Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
FvK
Wohnort: 
Zamonien

Bewertungen

Insgesamt 20 Bewertungen
12
Bewertung vom 22.11.2018
Feministin sagt man nicht
Herbst, Hanna

Feministin sagt man nicht


ausgezeichnet

Mit "Feministin sagt man nicht" hat die junge Österreicherin Hanna Herbst vor wenigen Wochen (ET: 01.10.2018) ein Buch auf den Markt gebracht, in dem sie genau darüber schreibt: falsche Klischees, absichtliches Missverständnis, und darüber, dass es einem beim Wort "Feministin" eiskalt den Rücken runter läuft, weil das Wort so inflationär und falsch gebraucht wird, dass es mitunter als Schimpfwort gilt, zumindest aber negativ konnotiert ist.

Sarkastisch, schonungslos, unbequem, provozierend, aber nie kaltherzig, schreibt die Autorin in dem Buch über all die Dinge, die richtig und wichtig sind. Sie erklärt, warum wir Feminismus brauchen, aus welchen Gründen er verkannt und verklärt wird, und nimmt sich auch aktuelle Themen vor. Egal ob die #metoo-Debatte, eine progressive Definition des Patriarchats, eine Herleitung, warum der Kampf für Gleichberechtigung auf so viel Hass trifft, der Einfluss von Pornografie oder ein Kapitel zum Thema "Schlachtfeld Körper": reflektiert legt sie dar, wo die Probleme liegen und mit welchen Mechanismen gearbeitet wird.

Dabei wirkt ihr Schreibstil nie belehrend oder gar bedrohlich, sondern spiegelt sie selbst als Person sehr gut wider: eine junge Frau, die reflektiert und mit viel Hintergrundwissen Probleme sichtbar machen möchte und Erklärungsversuch unternimmt. Statt von oben herab, macht sie mit Witz und Ironie auf die Thematik und die damit einhergehenden Baustellen aufmerksam. Ihre offene und schonungslose Art verfehlt dabei nie ihr Ziel. Man ist als Leser*in oftmals geschockt, überwältigt und wütend. Genau die richtige Ausgangslage, um in unserer Gesellschaft endlich was zu ändern. 


Neben dem grandiosen Inhalt glänzt das Buch auch durch seine Aufmachung. Es ist modern gestaltet und illustriert. Da die Autorin aus der Zeitungsbranche kommt, sind die Seiten statt im Fließtext formatiert in Spalten unterteilt, was das Lesen sehr angenehm macht. Dazu gesellen sich in regelmäßigen Abständen Zitate von berühmten Schauspielern, großen Politikern oder aus dem Social Media Bereich, die ihre Worte unterstützen und pointiert auf den Punkt bringen. Dazu taucht überall die Farbe orange auf, als Farbe der Überschrift, einleitende Seite für die Kapitel oder als Signalton – grandios! Ich habe nur einen einzigen, minimalen Kritikpunkt: der Einband ist schlicht aus harten Pappe, was dafür sorgt, dass das Buch nicht gut in der Hand liegt und sich die Ecken leicht abstoßen. Das minimiert jedoch nicht die Qualität des Inhalts.

Persönlich habe ich bereits viele Bücher, Artikel und Essays zum Thema Feminismus gelesen. Dieses Buch ist für mich mit Abstand das beste. Es hält sich nicht zurück, sondern ist schonungslos ehrlich, ohne belehrend zu werden; zeigt die Bandbreite der gesellschaftlichen Probleme auf und gibt den Leser*innen die nötige Anregung, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. 
Es ist nicht nur für Leser*innen gedacht, die sich bereits mit dem Feminismus auseinandergesetzt haben, sondern auch für Neueinsteiger*innen, unabhängig des Alters, der Geschlechts und des Genders.
Ach, und am Ende ein kleiner Spoiler zum Fazit der Autorin: Feministin sagt man doch... 

Bewertung vom 22.11.2018
Lust auf Landleben!
Steffen, Dagmar

Lust auf Landleben!


sehr gut

Ich persönlich bin aus der Kleinstadt nie heraus gekommen, wollte es aber auch nie. Sowohl in der mecklenburgischen Provinz als auch an der vorpommerschen Ostseeküste habe ich mich immer wohl gefühlt und wollte nie woanders leben.
Mittlerweile habe ich so einige Umzüge hinter mich gebracht und bin nun endlich angekommen. Zeit also, es sich so richtig wohnlich einzurichten, oder?

In dem Buch werden 12 Homestories gezeigt und die Besitzer der Häuser porträtiert. Vom kleinen Holzhaus in Südschweden über einen restaurierten Wohnwagen in Norddeutschland bis hin zu Herrschafthäusern in der Normandie lassen sich in dem Buch unterschiedlichste Perlen finden, die unterschiedlicher nicht sein können. Alle jedoch vereint durch ihre ländliche Lage und Liebe zum Detail.

Auch wenn einem vermutlich nicht jede Architektonik und jeder Einrichtungsstil zusagt, so findet man als Leser doch in jedem Portrait Dinge, die einen inspirieren und anregen. Möglich gemacht wird das durch die Detailverliebtheit der Autorin und des Fotografen, die in jedem Haus das besondere Etwas finden und es festhalten. Egal, ob es markante Wandfarben, gut erhaltene Fliesen, alte Türen oder aufgearbeitete Balken sind, Seite für Seite entdeckt man neue Welten, Anregungen und merkt die Liebe zur Einrichtung, sowohl bei den Porträtierten als auch der Autorin und dem Fotografen.
Für den Fall, dass man, so wie ich, nach dem Lesen der Homestories sofort Lust hat loszulegen und das eigene Zuhause aufzuhübschen, gibt es am Ende des Buches noch einige Seiten Erklärungen, Definitionen, Ideen und Adressen. Der geneigte Leser oder die geneigte Leserin bekommt also nicht nur die Unterschiede zwischen diversen Bodenbelägen erklärt, sondern auch aufgezeigt, wo und wie man am besten alte, aufgearbeitete Baumaterialien erwirbt.
Alles in allem ist „Lust auf Landleben“ ein rundum gelungenes Buch. Auch von außen ist das sofort zu merken, denn mit seiner Größe und den großflächigen und qualitativ hochwertigen Fotos auf Vor- und Rückseite spricht es nicht nur von innen, sondern auch von außen an.

Wer allerdings erhofft, dass hier das Rad neu erfunden wird, den muss ich leider enttäuschen. Denn etwas anderes, als immer wieder neue und schöne Landhäuser aufzutreiben und ländliche Refugien zu porträtieren, ist einfach nicht möglich. Das schafft das Buch jedoch einwandfrei.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.11.2018
Die Ziege auf dem Mond
Beuse, Stefan;Greve, Sophie

Die Ziege auf dem Mond


gut

Der Klappentext klingt schön und vielversprechend, und prinzipiell ist das Buch es auch. Beim Lesen fühlte ich mich an den kleinen Prinzen und Winnie Puuh erinnert, eine Mischung aus kindlicher Naivität und Tiefgründigkeit. Nur ging mir diese Tiefgründigkeit entweder nicht weit genug, oder war nur als Tiefgründigkeit verkleidet.

Die Themen, die im Buch angesprochen werden – Angst, Mut, Glück, Staunen, Träumen – werden in diesem Buch als etwas ganz besonderes oder seltenes dargestellt. Dabei bin ich der Meinung, dass wir all diese Dinge alltäglich machen sollten. Es sollte selbstverständlich sein, über unsere Ängste reden zu können. Es sollte Normalität werden, das Glück in alltäglichen Dingen sehen zu können. Träumen sollten ebenfalls etwas sein, dass zu jedem Menschen dazu gehört. Während des Lesens hatte ich jedoch das Gefühl, dass die Ziege mit all diesen Dingen etwas ganz Besonderes und Exotisches sei; dass darüber reden und darüber nachdenken etwas seltenes ist, das andere Menschen nicht oder nur ganz selten tun. Und genau das halte ich für einen Fehler. Es ist nämlich wichtig, all das jeden Tag zu tun, es zu fühlen und darüber nachzudenken. Und um es Normalität werden zu lassen, sollten wir es auch als genau das darstellen, und nicht auf so eine herausragende Position stellen wie in diesem Buch.

Darüber hinaus frage ich mich, was genau an der Geschichte über die Ziege auf dem Mond philosophisch sein soll. Vielleicht bin ich als Philosophiestudentin etwas betriebsblind geworden, das mag ich nicht ausschließen, aber abgesehen vom Thema Glück ist für mich der Rest des Buches zwar schön, jedoch keine Philosophie. Und auch das Thema Glück wird nur nebensächlich angesprochen, indem die Ziege erklärt, dass es Dinge gibt, die sie glücklich machen und Dinge, die das nicht schaffen. Allein wegen dieser Erkenntnis hat das Buch das Prädikat „philosophisch“ meiner Meinung nach nicht verdient.

Ich möchte das Buch jedoch nicht allein verurteilen. Ich kann es nur von meinem eigenen, sehr subjektiven Standpunkt aus beurteilen, und der ist, dass ich definitiv nicht zum Zielpublikum gehöre. Welche Wirkung es auf Kinder haben könnte kann ich als Nicht-Mama einfach nicht einschätzen, dazu fehlt mir die Erfahrung. Was ich als erwachsener Mensch kritisiere, kann für junge Menschen genau richtig sein, oder als Startpunkt für den Weg in ein reflektiertes Leben dienen. Die Themen, die angesprochen und behandelt werden, sind ohne Frage unglaublich wichtig und es ist sehr erfreulich, dass in so einem großen und erfolgreichen Verlag überhaupt ein Buch erscheint, das diese Themen behandelt.

Schaut man sich auf den BücherBlogs oder bei der Bookstagram Community um, dann sieht man sehr schnell, dass sich fast alle Leser einig sind: dieses Buch ist eine Perle und schafft es auch, erwachsene Leser zu berühren und zu überzeugen. Ich stehe mit meiner Meinung allein auf weiter Flur. Wenn ihr als Leser dieser Rezension nun also unsicher seid, ob es ein Buch für euch ist: zieht los in den nächsten Buchladen bei euch vor Ort oder in die Bücherei und werft selbst einen Blick hinein. Die Ziege scheint nämlich etwas an sich zu haben, dass die Menschen berührt und sie zum schmunzeln bringt, ich habe es scheinbar nur nicht gesehen.

Bewertung vom 27.10.2018
Alles so leicht
Haston, Meg

Alles so leicht


sehr gut

Seit „Was fehlt, wenn ich verschwunden bin“ habe ich mir geschworen, kein Jugendbuch zum Thema Essstörungen mehr zu lesen, denn dieses Buch hat mich zerstört und mich wie einen Scherbenhaufen zurück gelassen.
Aber sich vor dem Thema zu verschließen wäre falsch, denn es betrifft zu viele Menschen und ist zu wichtig. Daher habe ich mich gefreut, als ich vom Carlsen Verlag das Rezensionsexemplar von „alles so leicht“ von der Autorin Meg Haston bekommen habe und machte mich sofort ans Lesen.


Ein Versuch zu beschreiben, wie dieses Buch ist und was es mit mir gemacht hat, ist kaum möglich. Ich bin auf Grund persönlicher Erfahrungen und Kontaktpunkte sehr sensibel für das Thema und stecke vielleicht tiefer in der Thematik, als man es sollte oder jemandem wünscht.
Das Buch ist dabei unglaublich nah an der Realität und schildert offen und ehrlich wie es ist, an einer Essstörung erkrankt zu sein. Wie es für den oder die Erkrankte ist, mit der Krankheit zu leben, den Alltag zu meistern, die Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit aber auch der Trost, den man in seiner eigenen Erkrankung ist. Wie es für die Angehörigen ist, die verzweifelt sind, nicht wissen was sie tun sollen oder vielleicht auch gar nicht verstehen, was überhaupt mit dem Menschen passiert, den man doch eigentlich liebt, aber nicht wiedererkennt. Wie es für die Erkrankten untereinander ist, wie man versucht sich zu unterstützen, zu helfen, in manchen Momenten dann aber doch wieder, durch die Krankheit gelenkt, nur an sich denkt.

Die Protagonistin Stevie durchlebt all das innerhalb weniger Tage nach Ankunft im Therapiezentrum, als sie plötzlich dazu gezwungen ist, sich mit sich selbst und der Erkrankung auseinander zu setzen. Nach anfänglicher Resignation fängt sie an, mitzuarbeiten, zu überdenken und zu verarbeiten, jedoch nur, um den Schein zu wahren und ihrem zerstörerischen Plan im Geheimen weiter nachzugehen.

Durch die Art, die Geschichte als Tagebucheinträge zu verfassen, ist man sofort unglaublich nah an der Protagonistin und ihrer Gefühlswelt, lernt aber auch gleichzeitig viel über ihren Lebens- und Leidensweg und beginnt zu verstehen, warum sie sich so fühlt, wie sie fühlt, und wieso sie in die Erkrankung geraten ist.
Das so eine Geschichte nicht linear verlaufen kann, war zu erwarten. Die Wendungen, die die Geschichte rund um Stevie mit sich bringen, haben mich jedoch sehr überrascht und in voller Härte getroffen.


Für sehr sensible und involvierte Menschen ist dieses Buch mitreißend, hart und kann Menschen vermutlich sehr stark triggern. Also Achtung an euch alle da draußen, auf die diese Punkte zutreffen.
Allen anderen Lesern möchte ich das Buch jedoch ebenso ans Herz legen, um zu verstehen, wie sich Menschen fühlen, die an einer Essstörung erkrankt sind, was es bedeutet, mit dieser Erkrankung zu leben und wie hart der Weg der Genesung sein kann.

Bewertung vom 27.10.2018
In besserer Gesellschaft
Wiesböck, Laura

In besserer Gesellschaft


sehr gut

In besserer Gesellschaft – sind wir das wirklich? Jeder von uns, auch ich selbst spreche mich davon nicht frei, ist doch der Meinung, dass man selbst und auch die Menschen die einen umgeben zum besseren Teil der Gesellschaft gehören. Wir sind ernähren uns vegan, posten politische Memes in den sozialen Netzwerken, lesen geistreiche Bücher, trinken lieber ein Glas Wein als Billigbier und fahren statt mit protzigen Autos mit dem Rad zu Arbeit und Uni.
Warum aber denken wir, dass wir besser seien als andere? Warum verachten wir anders Denkende, anders Lebende und allgemein Menschen, die sich für einen anderen Lebensstil entschieden haben?

Laura Wiesböck ist in ihrem Buch genau diesen Fragen nachgegangen und hat erhellende Antworten gefunden.

In acht Kapitel zu acht verschiedenen Themen des Alltags bespricht die Autorin Vorurteile und Mechanismen, die dazu führen, dass jeder von uns in bestimmten Situationen den Blick abschätzig schweifen lässt, egal ob nach oben oder nach unten, nach links oder nach rechts. So wird beispielsweise gleich im ersten Kapitel aufgezeigt, dass und warum Menschen abschätzig auf Arbeitslose blicken und welche Vorurteile wir als Gesellschaft mit uns bringen. Dabei werfen wir nie einen Blick hinter die Fassade und versuchen zu verstehen, wie Menschen beispielsweise auf Grund ihrer psychischen, physischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten vom Tellerrand fallen können. Doch es werden nicht nur alteingesessene Themen, Vorurteile und Klischees behandelt. Auch neuere Abgrenzungsmöglichkeiten, wie beispielsweise die Klickzahlen auf Social Media Kanälen, vegane Ernährung oder die Zero Waste Bewegung werden unter die Lupe genommen.
Dabei schaut die Autorin nie von oben herab auf Menschen und ihre Vorurteile, sondern erklärt sachlich, woher sie kommen, warum wir sie haben und wieso wir sie unterbewusst immer wieder suchen und aufbauen.

Dieses Buch ist erhellend, informativ und augenöffnend, auch für Menschen, die bereits sehr bemüht sind, offen zu sein. Ich versuche selbst so vorurteilsfrei es geht durch das Leben zu gehen, wurde aber während der Lektüre dieses Buches oftmals schmerzlich darauf aufmerksam gemacht, dass ich von meinem Ziel noch weit entfernt bin. Mit dem Lesen dieses Buches kommt man diesem Ziel jedoch einen großen Schritt näher.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.10.2018
No More Bullshit
Verein Sorority

No More Bullshit


sehr gut

„No more bullshit / Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten“ – Ein reißerischer wie vielversprechender Titel, der sofort meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Was für ein Buch mag das sein? Kann ich noch was dazu lernen? Und was genau mag da drin stehen? Die Antwort folgt prompt.

Das Buch ist dabei in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil geht es um Stammtischparolen allgemein. Wie entstehen sie, was macht sie aus und wie kann ich sie identifizieren? Zusätzlich wird der*m Leser*in aufgezeigt, durch welche Strategien das Gegenüber Diskussionen stören kann und will, wie man diese erkennt, darauf eingeht und wo genau das Problem liegt. Gleichzeitig werden Methoden und Vorgehen zur Intervention aufgezeigt, die in allen Bereichen des Lebens angewendet werden können und nicht nur für den Sexismus spezifisch sind.

Im zweiten Teil des Buches werden dann 15 typische „Bullshit“ Sprüche identifiziert und besprochen.
Wer jetzt auf vorgegebene Antwortphrasen hofft den muss ich leider enttäuschen, denn statt der*m Leser*in vorgekaute Antworten in den Mund zu legen ist es das Ziel der Autorinnen und Autoren ein Grundwissen in verschiedenen Bereichen zu schaffen, auf dem aufbauend man in Diskussionen argumentieren kann.

Es handelt sich dabei jedoch wirklich nur um ein Grundwissen. Die Kapitel, so schön sie optisch auch aufbereitet sind, umfassen jeweils nur wenige Seiten und haben auf Grund dessen gar nicht die Kapazität, tiefgreifende Informationen, untermauert durch Zahlen und Fakten aus Studien und Sachbüchern, zu vermitteln. So bleiben die Erklärungen sehr oberflächlich und das Buch behält für mich den Charakter einer Broschüre.
Man kann es nun verurteilen, dass das Buch, statt in die Tiefe zu gehen, zu vielen unterschiedlichen Bereichen nur einen groben Überblick verschafft. Man kann es aber auch als das sehen, was es meiner Meinung nach ist: eine gute Grundlage für Menschen, die gerade erst beginnen, sich mit dem Thema auseinander zu setzen und sich zu belesen. Denn für diese Menschen ist dieses Buch genau richtig. Modern aufbereitet, grandios illustriert, stellenweise reißerisch und provokant, oftmals humoristisch aufgearbeitet und doch an einigen Stellen streitbar regt es die Leser*innen dazu an, sich mit dem Thema auseinander zu setzen, es selbst zu durchdenken und sich eine eigene Meinung zu bilden.

Ob man als Leser*in im Anschluss tatsächlich gewappnet ist für eine ausschweifende Diskussion wage ich zu bezweifeln. Was dieses Buch aber auf jeden Fall schafft ist, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Sexismus in unserem Alltag vorhanden ist, das wir daran arbeiten müssen, wie das möglich ist und wo man anfangen kann. Damit hat das Buch zwar nicht sein selbst gestecktes Ziel erreicht, dafür jedoch ein anderes, ebenso wichtiges: Achtsamkeit zu schaffen.

Bewertung vom 26.09.2018
Das Erwachen des letzten Menschen
Pale, Leveret;Skrobisz, Nikodem

Das Erwachen des letzten Menschen


sehr gut

Seit dem Deutsch LK vor vielen Jahren habe ich keine Novelle mehr gelesen, umso gespannter war ich auf „Das Erwachen des letzten Menschen“, einem kleinen philosophisch geprägtem Werk des Jungautoren Nikodem Skrobisz, der beim Verfassen dieses Werkes gerade einmal 17 Jahre jung war. Umso beeindruckendes ist dieses gerade einmal 53 Seiten umfassende Werk.


Worum geht es?

Es ist das Jahr 2137. Die Welt ist befriedet und komplett digitalisiert. Das Regieren haben Algorithmen übernommen, das Arbeiten Roboter und die Menschheit tut nichts mehr Nennenswertes, als in ihrem Reichtum zu schwelgen und sich mit Sexrobotern, virtuellen Realitäten und Videospielen zu unterhalten. Abgesehen davon, dass die Gesellschaft in genetischmodifizierte Bürger der Klasse A und normale Bürger der Klasse B gespalten ist, scheint die Welt endlich in einer Utopie angekommen zu sein, inklusive Bedingungslosem Grundeinkommen und einer scheinbar wohlgesinnten K.I..
Zumindest sehen das so die meisten.
Edgar jedoch wird depressiv, er verweigert den Konsum von Drogen und Sex und beginnt zu grübeln und seine Gedanken in einem Tagebuch festzuhalten. Er hat das Gefühl, dass irgendetwas in seinem Leben fehlt. Etwas, das von keiner Maschine oder einem materiellen Gut befriedigt werden kann. Bald realisiert er, dass das, was er sucht, der Sinn des Lebens ist.


Dieses kleine Buch erfüllt alle Charakteristika einer Novelle: es ist kurz, in einem Rutsch zu lesen, es gibt einen zentralen Konflikt und einen leidenden Protagonisten.
Dieser zentrale Konflikt ist jedoch vielfältig interpretierbar: Existenzialismus spielt hier mit rein, die Frage nach dem Sinn des Lebens, die fortschreitende Digitalisierung und die daraus resultierende Einsamkeit des Menschen. Viele dieser Themen sind bereits heute Teil unseres Alltags und lassen die Gedanken und Gefühle des Protagonisten somit nur noch bedrohlicher entscheiden.


Edgars Gedankenwelt kommt leider etwas sprunghaft daher, vergeht doch zwischen Grübelei und vermeintlicher Problemlösung nicht mehr als wenige Zeilen oder Seiten. Auch wenn es in einer Gedankenentwicklung wichtig ist, dass man selbst seine eigenen Ideen auch mal wieder verwirft und sie neu denkt, so lässt die Knappheit des Buches leider keinen Spielraum für einen langfristigen Aufbau von Lösungsansätzen.
Auch die wechselhaften Abfolgen zwischen depressiven Phasen und plötzlicher Motivation treten bei Erkrankten so nicht auf und lassen, auch hier der knappen Seitenzahl des Buches geschuldet, die Entwicklung nicht ganz realistisch wirken.


Die Handlung jedoch überzeugt, regt zum Nach- und Selbstdenken an und bietet einige äußerst interessante Gedankengänge dar. Der Protagonist steht nicht still, denkt vorwärts, fällt zurück und wirkt auf Grund seiner Unperfektheit und seines Erfahrungsdurstes herrlich sympathisch.


Ich persönlich hätte mir gewünscht, dass aus der Novelle ein Roman gemacht würde. Die Geschichte bietet Potential für „mehr“, für ausgereiftere, sich aufbauende Gedankengänge des Protagonisten, für mehr Einblick in die Alltagswelt im Jahr 2137 und ein nicht so abruptes Ende. Der fabelhafte Schreibstil des Autoren und die wunderbaren, langen Schachtelsätze hätten es durchaus zugelassen.

Bewertung vom 26.09.2018
Im Blick
Lehner, Marie L.

Im Blick


gut

Anhand von zwei Erzählperspektiven, der Kindheit und Jugend sowie der aktuellen On/Off Beziehung, wird die namenlose Protagonistin skizziert. Die beiden Zeitebenen werden dabei abwechselnd beschrieben und wirken eher wie Fragmente oder Episoden, nicht jedoch wie zusammenhängende und einander aufbauende Handlungsstränge. Der Zusammenhang zwischen den beiden Zeitebenen bleibt unklar.
Doch auch die handelnden Personen bleiben nicht nur auf Grund ihres fehlenden Namens ominös und nicht zu greifen. Einzig die Ich-Erzählerin wird mit ihren Gefühlen und Gedanken geschrieben. Der Rest bleibt nebulös, wage beschrieben oder wirkt wie eine Stereotype. Das lässt Spielraum für eigene Interpretationen und Gedankengänge und bietet eine unglaubliche Gelegenheit für ein Katz und Maus Spiel. Denn zusätzlich zum Namen und zur Gefühlswelt bleibt auch das Geschlecht des On/Off Partners unklar, wird undeutlich skizziert und gibt Rätsel auf. Ein kluger Zug der Jungautorin, wird so doch deutlich, dass Geschlechtszugehörigkeit etwas ist, mit dem man spielen und das in der Liebe keine Rolle spielt.

Der Schreibstil der Autorin ist, in meinen Augen, herausragend. Episodisch, knapp, ehrlich, modern, poetisch, flüchtig und intensiv – all das kommt im Buch vor. Während sie Diskussionen und politische Veranstaltungen nüchtern und sachlich beschreibt, so wird ihre Sprache, wenn es um die Beziehung und die Liebe der Protagonistin geht, poetisch, rhythmisch, intensiv. Ein Wechsel, der mich das eine oder andere mal dazu brachte Sätze mehrfach zu lesen, um sie ganz verstehen, aufsaugen und genießen zu können.

Für mich persönlich wirkte das ganze Buch nicht wie ein fertiger Roman. Der Geschichte fehlte es an einem roten Faden, an Geschlossenheit, Kontinuität und ersichtlichen Zusammenhängen.
Auf mich machte es eher den Eindruck, als läse ich im Skizzenbuch einer talentierten Autorin, läse Gedankenfetzen, Fragmente und Skizzen von Handlungen und Menschen. Unausgereifte, unreflektierte Gedankengänge und Episoden treffen dabei auf klischeehafte und plakative Fetzen und Charakterzüge. Diese regen jedoch nicht weniger zum Nachdenken an, machen Spaß zu lesen und sind ein kurzweiliges Vergnügen.

Auch wenn das bestimmt nicht die Absicht der Autorin war, so ist dieses Buch unter dem Gesichtspunkt gesehen durchaus weiterzuempfehlen.

Bewertung vom 12.09.2018
Loyalitäten
Vigan, Delphine

Loyalitäten


ausgezeichnet

Bücher zu lesen ist im Grunde eine ziemlich unterhaltsame Sache. Man taucht ein in eine andere Welt, lernt neue Charaktere kennen oder trifft alte wieder, verfolgt ihren Weg und ihre Entwicklung und freut sich mit ihnen über ihre Errungenschaften, erreichten Ziele und durchlebten Abenteuer. Für eine kurz Zeit kann man so als Leser dem Alltag entfliehen und spannende Geschichten verfolgen.

Was jedoch, wenn diese Geschichten traurig sind, die Charaktere geprägt von Schicksalsschlägen und ihre Entwicklung einem das Blut in den Adern stocken lässt?
Solche Bücher lassen einen binnen weniger Stunden ganze Achterbahnfahrten der Gefühle durchleben und mit gebrochenem Herzen zurück.

Und dennoch sind es genau diese Bücher, die gelesen werden müssen. Denn sie machen uns zu sensibleren und mitfühlenden Menschen.
Zusätzlich zeugt es vom Talent eines Autors oder einer Autorin, wenn er oder sie es schafft, allein mit Worten große Emotionen in einem auszulösen. Ein fabelhaftes Beispiel dafür ist Delphine de Vigans Roman „Loyalitäten“.

Trotz einer überschaubaren Anzahl an Seiten, Protagonisten, Orten und Handlungen ist dieses Buch gewaltig. Jeder einzelne Charakter dieser Geschichte bringt an ganzes Päckchen an Vorerfahrungen, Missständen und Schicksalsschlägen mit sich, die im Laufe der Geschichte zwar nicht direkt aufeinander treffen, aber dennoch auf unsichtbare Weise miteinander verknüpft sind und Auswirkungen aufeinander haben.

„Loyalitäten“ ist eines dieser Bücher, bei dem man von Beginn an merkt, dass die Geschichte kein gutes Ende nehmen wird, gar nicht nehmen kann, weil man als Leser sieht, welche Emotionen und welche Last die Charaktere mit sich bringen, die hier aufeinander treffen, und das ein neutraler und aufmerksamer Umgang miteinander gar nicht möglich ist.
Und dennoch kann man das Buch nicht aus der Hand legen, liest es immer weiter, kurzatmig und angespannt, und muss dennoch zwischenzeitlich Pausen einlegen, um das Geschehene zu verarbeiten, kurz in sich hinein zu hören, die aufgewühlten Emotionen zu ordnen und den Schmerz zu fühlen, der bei der Geschichte unweigerlich aufkommt.


Unweigerlich fragt man sich während des Lesens, warum Menschen zueinander halten und beieinander bleiben, die sich offensichtlich gar nicht gut tun, ob sie sich dessen selbst nun bewusst sind oder nicht. Delphine de Vigans Antwort darauf: Loyalitäten - den Eltern gegenüber, der Familie, dem Partner, dem besten Freund. In diesem Werk eruiert sie, woher die Loyalität der einzelnen Protagonisten stammt, an welchen Stellen das zu Konflikten führt und wieso Menschen so versessen darauf sind, Loyalität zu zeigen und zu bewahren.


Ein hochgradig emotionales und berührendes Buch.

Bewertung vom 15.08.2018
Bis ans Ende, Marie
Rieger, Barbara

Bis ans Ende, Marie


sehr gut

„Bis ans Ende, Marie“ ist das Erstlingswerk von Autorin Barbara Rieger und auch mein erstes Buch aus dem Verlag Kremayr-Scheriau und ich kann sagen, dass es auf allen Seiten eine gelungene Premiere war.


Der Roman ist so ziemlich das außergewöhnlichste, das ich bisher gelesen habe. Ausschlaggebend dafür ist der ganz besondere Schreibstil der Autorin. Ganz anders als in den meisten Romanen gibt es hier keinen Fließtext mit langen Sätzen und einfacher Wortwahl, sondern das Buch besteht aus bruchstückhaften und zusammengesetzten Erinnerungsfetzen der Protagonistin, einzelnen Sequenzen aus ihrem Leben und kurzen Splittern ihrer Illusionen und Fantasien. In Kombination mit kurzen Sätzen, einer prägnanten Wortwahl und dem Mut, die Protagonistin manche Sätze mitten im Reden oder Denken abbrechen zu lassen sorgt dafür, dass man schon nach wenigen Seiten komplett die Orientierung verloren hat und nicht mehr weiß, ob das eben Geschehene nun die Realität der namenlosen Protagonistin war oder reine Illusion. Die Geschichte entwickelt sich somit immer auf der schmalen Spur zwischen Wahn und Wirklichkeit, balanciert darauf und lässt den Leser irritiert zurück.

Was abschreckend klingt, ist jedoch in Wahrheit ein absoluter Garant für eine ganz außergewöhnliche Leseerfahrung. Auch wenn die Handlung und die Personen in diesem Buch durch den Schreibstil schwer zu greifen sind und man sich als Leser an manchen Stellen verloren fühlt, so merkt man doch bereits am Anfang, dass sich die Geschichte auf ein faszinierendes Finale hin bewegt. Rasant, fesselnd, beklemmend und verwirrend zugleich lässt einen das Buch wie in einem Rausch zurück und es fühlt sich an wie eine Trance, sobald man es aus den Händen legt.


Ebenso wie dem Leser ergeht es auch den beiden Frauen, von denen das Buch handelt. Die Beziehung zwischen den beiden ist ein Wechselspiel aus Zuneigung und Abscheu, Kühle und Vertrautheit und hat etwas von einer Hassliebe. Die beiden hegen eine beängstigende Faszination füreinander, die ungeahnte Ausmaße annimmt und am Ende in einem furiosen Finale endet.


Dieses Erstlingswerk der Autorin ist keine leichte Kost, verliert jedoch niemals an Spannung und steigert während des Lesens kontinuierlich die Neugierde des Lesers. Ein Buch, das man nicht nur wegen des schönen Covers nicht mehr aus der Hand legen kann.

12