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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
TontoM
Wohnort: 
Wolsfeld
Über mich: 
Ich lese gern anspruchsvolle Literatur und Sachbücher.

Bewertungen

Insgesamt 32 Bewertungen
Bewertung vom 17.08.2021
Machen
Krogerus, Mikael;Tschäppeler, Roman

Machen


ausgezeichnet

5-4-3-2-1-Danke!

Mikael Krogerus und Roman Tschäppeler erklären in ihrem handlichen blauen Ratgeber „Machen“, warum diesem ein seltsamer Zauber innewohnt. Die beiden Autoren stellen eine Vielzahl von Regeln vor, die nicht nur in der Geschäftswelt helfen, Projekte erfolgreich abzuschließen, sondern auch unseren Alltag erheblich erleichtern. Sie helfen schnell und effizient, Entscheidungen (Batching, Triage) zu treffen, uns zum Handeln aufzuraffen (5-Sekunden-Regel) oder verraten mit dem Matthäus-Effekt Spielregeln des Erfolgs. Mit einem „Danke“ statt einer „Entschuldigung“ drücken wir unsere Wertschätzung anderen gegenüber aus und bewegen sie schneller, uns zu helfen. Das Buch ist flüssig und unterhaltsam geschrieben und die Illustrationen vertiefen die Aussagen des Textes.
Das anspruchsvolle Kompendium bietet sich als kompakter Wegbegleiter an, der zuverlässig Hilfestellung beim MACHEN gibt. Im Anhang finden sich weiterführende Literaturangaben, im Textteil Querverweise, sodass Gelesenes schnell vertieft werden kann.. Ein Personenregister wäre hierbei auch nützlich. Die Lektüre hat mir ausgesprochen gut gefallen, wenngleich diese ohne Gendern schneller gewesen wäre. Aber das Gesetz der Umkehrung hilft sicher bei der Umsetzung!.

Bewertung vom 31.07.2021
Asado verbal

Asado verbal


ausgezeichnet

Einblicke in eine ferne Welt
Timo Berger und Rike Bolte stellen in ihrer Anthologie junge argentinische Autoren vor, wie Fabián Casas, Pedro Mairal, Lucía Puenzo oder Félix Bruzzone deren Werke bereits auf Deutsch erschienen sind. Texte weiterer Autoren sind hier erstmals in deutscher Sprache abgedruckt. Sie erzählen von Besonderheiten des argentinischen Alltags mit seinem Tango, Reminiszenzen an bekannte Persönlichkeiten wie Eva Perón oder Carlos Menem und der Zuwanderung aus der ganzen Welt. Die Texte erzählen auch von globalen Einflüssen, die maßgeblich zwischenmenschliche Beziehungen verändern. Einige Texte sind komisch und heiter, andere verstörend. Bei einigen wünscht man sich eine Fortsetzung. Die Anthologie öffnet eine Tür zu einer Literatur, die noch viele Entdeckungen verspricht

Bewertung vom 16.06.2021
Die jüngste Tochter
Daas, Fatima

Die jüngste Tochter


sehr gut

Brisantes Tabuthema

Gebetsmühlenartig leitet Fatima Daas die Abschnitte ein, bis auf einen, und beschwört den Namen einer symbolischen Figur des Islam. Sie beschreibt mit diesem Stilmittel ihre innere Zerrissenheit zur nachfolgenden Beschreibung ihres Lebens in einer algerischen Familie in der Banlieue von Paris. Die Verhaltensregeln in der Küche, dem Königsreich ihrer Mutter; sind symptomatisch für das Leben einer Muslimin im Allgemeinen. Fatima Daas verhält sich anders als ihre älteren Schwestern. Sie erzählt von ihrem Versuch der Selbstfindung, wenn sie wegen ihrer homosexuellen Gefühle professionelle Hilfe beim Iman oder Psychologen sucht. Homosexualität gibt es nicht im Islam. Fatima folgt dem Rat des Iman, um durch das Gebet auf den rechten Lebensweg zu finden. Vergeblich. Sie schreibt über ihre Liebesbeziehungen, die kompliziert sind wie alle Liebesbeziehungen. Ihr Buch gleicht Tagebuchaufzeichnungen, die Struktur in ihr Leben bringen sollen und der Reflexion dienen. Niemandem wagt sie sich anzuvertrauen. Es gibt jedoch eine Person in ihrer Familie, die durchaus sehr gut Bescheid weiß über Fatima.
Das Buch stellt keine leichte Lektüre dar. Es überzeugt mit seinen Darstellungen des zermürbenden öffentlichen Transportes im Großraum Paris – eine weniger glamouröse Facette des Leben an der Seine - oder dem Besuch bei den Verwandten in Algerien.
Das Buch stand wochenlang auf der französischen Bestsellerliste – berechtigterweise.

Bewertung vom 22.05.2021
Alles wird Zahl
de Padova, Thomas

Alles wird Zahl


ausgezeichnet

Alles wird Zahl – Die faszinierende Welt der Mathematik

Thomas De Padova zeichnet ein lebendiges Bild der Renaissance in den oberitalienischen Städten (Venedig, Florenz, Bologna) und dem süddeutschen Nürnberg. Sie sind eng miteinander verbunden durch Handel, Kultur- und Wissenstransfer.
Buchdruckkunst, Erfindung der Zentralperspektive in der Malerei und Erschaffung einer mathematischen Formelsprache befördern den Ideenaustausch. Deutsche Buchdrucker verbreiten den Buchdruck in Italien und italienische Papiermacher bringen die Technik der Papierherstellung nach Deutschland.
Padova stellt herausragende Vertreter beider Regionen vor, die wesentlich die Wissensentwicklung in der Renaissance voranbrachten. Der bedeutende Mathematiker und Astronom Regiomontanus übersetzt und korrigiert Übertragungen aus dem Griechischen ins Lateinische und erschließt damit Wissen der Antike, Indiens und des arabisches Raumes. Die venezianische Buchführung benutzt konsequent indisch-arabische Zahlen und prägt damit die moderne doppelte Buchführung. Vielfältige Rechenoperationen der Algebra werden erst durch diese uns heute gebräuchlichen Zahlen möglich.
Padova beschreibt Leonardo Da Vincis und Albrecht Dürers Beschäftigung mit Malerei und ihr intensives Interesse für die Mathematik, das sich auch in bedeutenden bis in die heutige Forschung wirkenden Lehrwerken niederschlägt. Spannend schildert Padova, wie Cardano und Stifel mit anderen Mathematikern um ihr Wissen konkurrieren und dieses in ihren Büchern festhalten. Beide sind Astrologen und recht umtriebig in verschiedenen Wissensgebieten und Berufen (Medizin, Theologie). Die Gültigkeit oder Lösung einiger Probleme konnte erst in den vergangenen Jahrzehnten gefunden und bewiesen werden.
Leider beenden Krankheiten, Seuchen wie die Pest oder Kriege jäh vielversprechende ehrgeizige Forschungs- und Druckprojekte.
Das Buch ist überaus anschaulich und faktenreich geschrieben – Wissenschaftsgeschichte fesselnd und faszinierend.

Bewertung vom 15.05.2021
Unnützes Wissen Literatur
Heer, Carina

Unnützes Wissen Literatur


ausgezeichnet

Abwechslungsreicher Spaziergang durch die Weltliteratur

Carina Heer kennt sich in der Welt der Bücher aus, sie hat kein Lieblingsbuch, aber sehr viele Lieblingsbücher, deshalb lädt sie uns zu einem unterhaltsamen und abwechslungsreichen Spaziergang durch die Weltliteratur ein. Der Buchtitel ist ironisch gemeint, denn ihr faktenreiches Buch birgt interessante Details, die zum weiteren Schmökern einladen.
In Victor Hugos Les Misérables gibt es einen Satz mit 823 Wörtern. Goethe traf zweimal persönlich Napoleon, der auch seinen Werther gelesen hat. Die Startauflage des ersten Harry-Potter-Bands betrug 500 Exemplare. Der Mörder John Lennons trug bei seiner Festnahme J.D. Salingers Kultbuch Der Fänger im Roggen bei sich. Im kleinsten Buch der Welt, dem japanischen Shiki no Kusabana (Blumen der Jahreszeiten) sind die Buchstaben nur 0,01 mm groß. Ein Leser verliert sein Interesse an einem Buch meist auf Seite 18. Am 2. Mai ist Gedenktag der heiligen Wiborada, der Schutzpatronin der Bücherfreunde. Seit Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 steigen die Verkaufszahlen von Albert Camus Die Pest. Pro Buch soll Johannes Mario Simmel eine Schreibmaschine verschlissen haben. David Bowie besaß einen Koffer für 1500 Bücher, den er mit auf Reisen nahm. Tolstois Krieg und Frieden hat 1536 Seiten.

Bewertung vom 28.04.2021
Siegerin
Sarid, Yishai

Siegerin


ausgezeichnet

Siegerin- Welche Gefühle darf man beim Töten empfinden?

Die hochbegabte Abigail hat wie ihr Vater Psychologie studiert. Während er meint, Psychologie und Militär vertrügen sich nicht, berät sie das israelische Militär. Sie bereitet die Soldaten auf ihre Kampfeinsätze vor oder therapiert diese nach traumatisierenden Erlebnissen.
Abigails Sohn leistet als Fallschirmjäger in einer Eliteeinheit seinen Wehrdienst und gerät psychisch an seine Grenzen. Abigail schwankt zwischen ihren Gefühlen als Mutter, die unbedingt ihr Kind beschützen möchte und der bedeutenden Militärpsychologin, die eine wichtige Rolle bei der Landesverteidigung wahrnimmt.
Das Buch thematisiert die psychologische Kriegsführung auf israelischer und palästinensischer Seite, die durch direkte Ansprache ihre Anhänger zu Provokationen am israelisch-palästinensischen Grenzzaun anstiftet.
Im Buch wird der Unterschied zwischen Töten und Morden thematisiert. Abigail erlebt spät im Roman das lustvollen Gefühl des Tötens, als ein junger Scharfschütze, der ihr Liebhaber wird, sie bei einem Einsatz daran teilhaben lässt.
Ist Abigail eine Siegerin, weil sie das Töten nur von der lustvollen Seite her erfährt und sie nicht die Traumata ihrer Patienten erlebt? Sie wirkt abgeklärt und distanziert, beherrscht scheinbar jede Situation. Ausgerechnet zu ihrem Vater und ihrem Sohn kann sie jedoch keine wirkliche Nähe herstellen.
Sarid beschreibt sehr einfühlsam starke Protagonistinnen, die gefühlsmäßig an ihre Grenzen geraten können. Im Wettstreit der Psychologie mit dem Militär obsiegt Erstere.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.04.2021
Eingewanderte Wörter
Heine, Matthias

Eingewanderte Wörter


ausgezeichnet

Der Tollpatsch, der Schlawiner und der Kanake palavern in der Pampa
Der Germanist und Journalist Matthias Heine erzählt anhand von 140 im Alltag geläufigen Stichwörtern unterhaltsam und fundiert Wort- und Kulturgeschichte. Seine präzisen Erläuterungen belegt er mit der einschlägigen Fachliteratur, die er im Anhang auflistet. Eine wahre Fundgrube sind die zahlreichen interessanten Quellen aus Literatur und Publizistik, von denen er auch ausgewählte im Anhang erwähnen sollte.
Aktuell zur Coronapandemie erläutert er zum Stichwort Virus zahlreiche neue Wörter wie Lockdown und Homeoffice, die Eingang in unsere Sprache gefunden haben. Die Vielzahl der Ursprungssprachen aus denen Wörter ins Deutsche kamen ist beeindruckend.
Sprachgeschichte mit diesem Buch ist äußerst vergnüglich. 1968 wollte z.B. Franz-Josef Strauß noch lieber Ananas in Alaska züchten, als Kanzlerkandidat der CDU/CSU werden. 1980 hatte er sich dann umentschieden.

Bewertung vom 13.04.2021
Wir bleiben noch
Wisser, Daniel

Wir bleiben noch


ausgezeichnet

Eine Familie zeigt die tiefen Brüche in der modernen österreichischen Gesellschaft auf.

Auf der Geburtstagsfeier der 99-jährigen Großmutter finden Victor,47, und seine Cousine Karoline, die aus Norwegen nach Österreich zurückgekehrt ist, nach 30 Jahren endlich zueinander. Ihre Beziehung ist legal, stellt jedoch einen Tabubruch dar. Bereits früh werden die Familienkonflikte offengelegt, die jeder aus seiner Familie kennen dürfte.

Victor ist Aussteiger und letzter Sozialdemokrat seiner Familie, die jetzt rechts wählt. Die Romanhandlung umfasst den Zeitraum September 2018 - September 2019 und bezieht wichtige innenpolitische Ereignisse wie die Ibiza-Affäre und die daraus resultierenden Neuwahlen ein.

Victor seziert seine Familie, die exemplarisch ist für die österreichische Gesellschaft. Wann hat diese Angst begonnen, bei der gesellschaftlichen Umverteilung der Pfründe leer auszugehen. Persönlicher Frust über eigene Fehlentscheidungen und nicht genutzte Chancen belasten die familiären Beziehungen.

Das Buch erzählt von dem Versuch für die alternde Gesellschaft im Dorf eine Perspektive zu entwickeln und den Vorbehalten bei der Integration von Flüchtlingen. Für die Errungenschaften des modernen Lebens wie Smartphone und Amazon gibt es ein Remis. Sind die Preisgabe persönlicher Daten ein zu hoher Preis für Komfort und Anschluss an die moderne Welt auch auf dem Land?

Wie das auf dem Buchcover abgebildete vom Aussterben bedrohte Breitmaulnashorn ist Victor mit seiner unangepassten Haltung allen Unkenrufen zum Trotz noch sehr präsent! Die Diskussion um ein C oder ein K im Namen ist übrigens eine charmante Anspielung an k.u.k.

Bewertung vom 08.04.2021
Serge und Jane
Krenn, Günter

Serge und Jane


ausgezeichnet

Kreativ sein oder sterben

Er liebte die Frauen mit einem B im Namen: Béatrice- Brigitte Bardot – Bambou. Die längste und intensivste Beziehung hatte er zu Jane Birkin, die als seine künstlerische Nachlassverwalterin auch heute mit seinen Chansons erfolgreich Konzerte gibt und nicht nur in Frankreich gefeiert wird.
Der Wiener Filmwissenschaftler Günter Krenn erzählt lebendig und spannend die große Leidenschaft zwischen Serge Gainsbourg und Jane Birkin, die zugleich äußerst kreativ und zerstörerisch ist. Als sich 1968 Serge und Jane bei Filmaufnahmen für „Slogan“ begegnen, ist ihr erster Kontakt äußerst schwierig. Jane ist schüchtern und spricht kaum Französisch, Serge ist wesentlich älter und ein gefeierter Star. 1969 werden sie von den Medien zum Paar des Jahres erklärt. Zwölf Jahre dauert die Beziehung, dann emanzipiert sich Jane und verlässt Serge. Sie wird ihm jedoch stets tief verbunden bleiben.
Krenn hat Gespräche geführt mit Jane Birkin, Serges älterer Schwester Jacqueline und vielen weiteren Weggefährten, sodass ein authentisches faktenreiches Buch entstanden ist.
Ursprünglich schwankte Serge zwischen Malerei und Musik, entschied sich für letztere und folgte damit auch seinem jüdisch-ukrainischen Vater, der als erfolgreicher Barpianist seine Familie in Paris ernährte. Serge war ein schüchternes Kind und ein Einzelgänger.
Als Sänger, Schauspieler und Komponist für andere Künstler wie Juliette Greco, Isabelle Adjani oder Vanessa Paradis war er sehr wandlungsfähig und errang mit seinen Alben Gold- und Platinstatus. France Gall gewann 1965 mit einem seiner Chansons den Grand Prix d’ Eurovision. Den größten Erfolg feierte er gemeinsam mit Jane Birkin mit „Je t’aime moi non plus“, das der Papst verbot und dem Lied damit ungeahnte Publicity verschaffte. Es gibt eine Paradie darauf von Frankie Howerd & June Whitfield mit Schnarchgeräuschen.
Gainsbourg war süchtig nach medialem Interesse, provozierte und inszenierte sich als Gainsbarre. Gitanes und ein hoher Alkoholkonsum zeigten ihre destruktive Wirkung. Öffentliche Szenen, in denen er sich mit Jane Birkin stritt, prägten sein negatives Images
Der sehr widersprüchliche Serge war im Privatleben sehr streng, kontrollierte alles und verbat sich jegliche Änderungen in seinem ganz in Schwarz gehaltenen Haus, das sich an Salvador Dalís Vorliebe für dunkle Farben bei der Einrichtung orientierte. Er benutzte Polizeiwagen wie ein Taxi und unterstützte soziale Projekte der Polizei.
Ich habe Krenns Biografie einer Leidenschaft mit Genuss gelesen, sie ist faktenreich und fundiert. Ich vermisse nur ein Personenregister und eine Diskografie, die mir das Nachschlagen nach Personen (Janes Ehemänner John Barry und Jacques Doillon, Marlene Dietrich, Polanski) oder Liedern erleichtert hätten