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Top-Rezensenten Übersicht

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dozzeline
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Leipzig

Bewertungen

Insgesamt 24 Bewertungen
Bewertung vom 29.05.2022
Amelia
Burns, Anna

Amelia


gut

Amelia ist acht Jahre alt, als 1969 die Troubles in ihrer nordirischen Heimat Belfast beginnen. Ab diesem Punkt nehmen Gewalt und psychische Probleme einen großen Platz im Leben des Mädchens und der jungen Frau ein.

„Amelia“ ist das Erstlingswerk der Autorin Anna Burns und auf Englisch bereits 2001 erschienen. Und ehrlich gesagt: auch mehrere Tage, nachdem ich das Buch beendet habe, weiß ich nicht sicher, was ich davon denken soll.
Das Buch verfolgt Amelia in einem Zeitraum von 1969 bis 1994. Die Kapitel sind chronologisch angeordnet und mit der jeweiligen Jahreszahl übertitelt, jedes Jahr ist nur durch ein einziges Kapitel, meist eine einzige kurze Episode vertreten. Den roten Faden zwischen den Geschichten habe ich jedoch immer wieder verloren. Vor allem im Mittelteil wird man als Leser*in mit regelmäßigen Perspektivwechseln konfrontiert, die Geschichte bewegt sich teilweise komplett von Amelia weg. Erschwerend kommt dazu, dass es sich um überwiegend unzuverlässige Erzähler*innen handelt - ein Kapitel wird beispielsweise durch eine Figur in einer akuten Psychose erzählt. Hier hat mich die Autorin leider absolut verloren, so dass ich mir stellenweise überlegte, das Buch endgültig zur Seite zu legen. Dazu kommen zahlreiche Schilderungen von (teilweise sexueller) Gewalt – hätte mich grundsätzlich bei dem Thema nicht unbedingt überraschen sollen, aber ich denke, dass eine Content Warnung in diesem Fall ganz nett gewesen wäre.
Was man Anna Burns aber auf jeden Fall lassen muss: sie kann definitiv schreiben. Die Kapitel, die mich nicht inhaltlich, aufgrund massiver Gewaltschilderungen oder fehlendem Anknüpfungspunkt, überfahren haben, lasen sich sehr unterhaltsam. Letztendlich bleiben diese Geschichten aus dem Leben dieser jungen Frau inmitten des nordirischen Bürgerkriegs greifbar und sind an sich genommen auf jeden Fall lesenswert – aber sie wirken auf mich eher wie Kurzgeschichten, die sich eine Protagonistin teilen. So wirklich schlau geworden bin ich aus „Amelia“ leider bis zur letzten Seite nicht.

Bewertung vom 01.05.2022
Nachtschwärmerin
Mottley, Leila

Nachtschwärmerin


ausgezeichnet

„Ich unterzeichne sie mit einem „K“, da ich nicht einmal mehr weiß, welcher Name eigentlich mir gehört.“

Die siebzehnjährige Kiara lebt alleine mit ihrem großem Bruder Marcus in einer Wohnung in Oakland; ihr Vater ist vor Jahren gestorben, kurze Zeit später verschwand ihre Mutter aus dem Leben ihrer Kinder. Seither halten sich die Geschwister selbst gerade so über Wasser, was zunehmend schwieriger wird: ihr Vermieter erhöht die Miete, Marcus nimmt sich zunehmend aus der Gemeinschaft heraus und wer gibt einer minderjährigen Schulabbrecherin einen Job? Letztendlich landet Kiara in den Fängen eines Prostitutionsrings der örtlichen Polizeieinheit und von dort scheint kein Weg zurückzuführen.

Was für ein Buch! Leila Mottley hat ihr Debüt im Alter von nur 17 Jahren geschrieben und sowohl Sprache als auch Inhalt lassen dies nicht vermuten. „Nachtschwärmerin“ ist ein schonungsloser, brutaler Roman. Die sexuelle Gewalt, die Kiara widerfährt, wird absolut ungeschönt geschildert, das Gefühl des Ausgeliefertseins und der Auswegslosigkeit überträgt sich direkt von den Seiten auf die Leser*innen. Deswegen würde ich tatsächlich empfehlen, dieses Buch nicht in einer Phase zu lesen, in der es einem selbst nicht so gut geht. Trotz allem zeichnet Mottley mit Kiara aber auch eine starke Protagonistin, die zwar den Glauben an ihr Umfeld nicht jedoch in sich selbst verliert.
Bedeutend ist in diesem Zusammenhang auch die Abschlussanmerkung der Autorin. Leila Mottley hat Kiaras Geschichte, basierend auf einer wahren Begebenheit im Jahr 2015, aufgeschrieben, um auf den fehlenden Schutz vor sexueller (Polizei-)Gewalt aufmerksam zu machen, unter dem vor allem Mädchen und Frauen of Color leiden. Das ist ihr mehr als gelungen. Ich hoffe, bald mehr von Leila Mottley zu lesen!

Bewertung vom 06.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


sehr gut

„Deutsche Touristen waren ein Elend. Ließen sich schon im Taxi das Portemonnaie abnehmen, ritten auf dem Esel durch IS-Gebiete, checkten mit einem Rucksack voller Drogen für ihren Rückflug ein oder schlenderten mit einer Rolex am Handgelenk durch irgendeine Favela, um dann am Ende verzweifelt unsere Notfallnummer anzutelefonieren.“

Friederike Andermann, genannt Fred, ist deutsche Diplomatin, die, nach einem unglücklichen Zwischenfall während ihrer Zeit als Botschafterin in Uruguay, als Konsulin nach Istanbul beordert wird. In Istanbul jedoch stößt Fred an die Grenzen der Diplomatie – und die Frage, ob sie bereit ist, eben jene hinter sich zu lassen.

Lucy Frickes neuer Roman traut sich in politisch schwierigen Zeiten an politisch schwierige Themen. Und liest sich dabei ausgesprochen unterhaltsam. Fred ist eine absolut sympathische Protagonistin, die nach 20-jähriger Beamtenlaufbahn zwar auf den ersten Blick zynisch wirkt, trotz allem aber nicht die Hoffnung aufgegeben hat, in ihrer Position Veränderung bewirken zu können. Ihr fehlender Enthusiasmus für repräsentative „Blumentopf-Events“ und zynischer Blick auf deutsche Touristen und „Atemlos“-singende Botschafts-Angestellte tragen zu diesen Sympathien eher weiter bei.
Tempo und Stimmung des Romans zeigen einen deutlichen Wandel in der zweiten Hälfte des Romans, die, sowohl was die Handlung als auch Freds Innenleben angeht, deutlich ernstere fast düstere Töne anschlägt. Die Situation von Presse, Kurden und anderweitig als „terroristische Vereinigung“ deklarierter Gruppen in der Türkei dürfte für die wenigsten neu sein. Lucy Fricke gelingt es jedoch, das Thema anhand von Freds Erlebnissen sehr eindrücklich aufzuarbeiten – und stellt uns damit vor die Frage, ob wir die Grenzen der Diplomatie als Grenzen des Möglichen akzeptieren wollen.
Ich habe die Lektüre der „Diplomatin“ sehr genossen, einziger Kritikpunkt meinerseits: Den Bruch zwischen Montevideo und Istanbul empfand ich als zu hart und die Infos bezüglich der zwei dazwischenliegenden Jahre als etwas zu spärlich – stellenweise hatte ich fast das Gefühl zwei unterschiedliche Bücher zu lesen. Was jedoch nichts daran ändert, dass ich beide Bücher sehr gerne gelesen habe und mich bereits auf weitere Romane von Lucy Fricke freue.

Bewertung vom 20.02.2022
Butter
Yuzuki, Asako

Butter


ausgezeichnet

„Von meinem verstorbenen Vater habe ich gelernt, dass eine Frau stets duldsam sein sollte. Dennoch gibt es zwei Dinge, die ich nicht ertragen kann: Feministinnen und Margarine.“

Rika, eine angepasste junge Journalistin aus Tokio, sichert sich ein Exklusivinterview mit Manako Kajii – einer mutmaßlichen Serienmörderin. Kajii hatte vor wenigen Jahren Japan in Aufregung versetzt, da sie – weder schlank, noch hübsch – eine Reihe Männer verführt und anschließend ermordet haben soll. Bei ihren regelmäßigen Besuchen im Gefängnis, bei denen Kajii darauf besteht, ausschließlich über Essen und Rezepte und keinesfalls über ihren Fall zu sprechen, stellt Rika viele „Wahrheiten“ ihres eigenen Lebens infrage.

Wie beschreibt man einen Roman wie „Butter“? Die vom Verlag angestrebten Vergleiche, zum Beispiel zu Han Kangs „Vegetarierin“, greifen für mich alle zu kurz – und haben mich glücklicherweise nicht abgeschreckt, da ich gerade mit der „Vegetarierin“ so gar nicht warm geworden bin. „Butter“ hat anders als viele Bücher, die ich bisher aus dem asiatischen Raum gelesen habe, mit Rika eine nahbare Protagonistin, was mir den Einstieg ins Buch deutlich erleichtert hat.
Auch handelt es sich trotz der Mordserie definitiv nicht um einen Krimi. „Butter“ lebt deutlich weniger von einem rasanten Plot als von der feinen Zeichnung der unterschiedlichen Charaktere und vor allem der Beziehungen, die sich bedingt durch Rikas Treffen mit Kajii, deutlich verschieben.
Überhaupt: Manako Kajii – manipulativ, selbstgerecht und für mich trotzdem eine der faszinierendsten Buchfiguren seit langem. Kajii lehnt den Feminismus entschieden ab – und schafft es doch teilweise sich den gesellschaftlichen Zwängen und zahllosen Erwartungen an Frauen erfolgreicher zu versagen als Rika und ihre beste Freundin Reiko, die sich ihrer Limitation auch durch die inhaftierte Mörderin bewusst werden.
„Butter“ ist für mich eine spannende Mischung diverser Genres, Themen und gesellschaftlicher Kritik, die mich auf den fast 450 Seiten auch bei objektiv langsam erzählter Handlung sehr gut unterhalten hat. Auf detailreiche Essensbeschreibungen muss man eingestellt sein – auch wenn mich diese als Vegetarierin kaum geteasert haben. „Butter“ ist trotzdem bereits jetzt eines meiner Highlights des Jahres 2022.

Bewertung vom 16.02.2022
Zusammenkunft
Brown, Natasha

Zusammenkunft


sehr gut

„Ich bin, was wir immer für das Empire waren: purer Scheißprofit. Eine natürliche Rohstoffquelle zum Ausbeuten und Ausbeuten, Niedermachen und Ausbeuten.“

Die namenlose Protagonistin in Natasha Browns Roman „Zusammenkunft“ hat als Schwarze Frau ihr gesamtes Leben bis zur Verausgabung für den sozialen Ausstieg gekämpft und scheint auf den ersten Blick kurz vor dem Ziel zu sein: ein Führungsjob im Londoner Finanzsektor, ein Freund aus dem alten britischen Geldadel. Dabei sieht sie sich weiter konstant rassistisch und misogyn motivierten Aggressionen ausgesetzt; der ständigen Frage nach ihrer Zugehörigkeit zur Gesellschaft und nach ihrer beruflichen Qualifikation. Lohnt sich ihr Kampf weiterhin oder legitimiert er letztendlich ein System, das sie anhaltend zum Objekt degradiert?

„Zusammenkunft“ ist kein Roman, der es den Leser*innen leicht macht. Die Passagen, die ich im übermüdeten Zustand gelesen habe, musste ich allesamt ein zweites Mal ausgeschlafen wiederholen. Die Erzählung ist stark fragmentiert, manche Zusammenhänge erschlossen sich mir nur nach konzentriertem Lesen und häufigem Zurückblättern. Der Stil ist größtenteils sehr poetisch (- so dass ich auf vielen Seiten das Bedürfnis hatte, ganze Absätze zu markieren), schweift aber gerade gegen Ende des Buches auch manchmal ins Essayistische über. Der nur 113 Seiten kurze Roman schafft es in diesem begrenzten Rahmen, eine Vielzahl von Themen von Identität, Rassismus, Misogynie bis zu den Mythen von Meritokratie und Dekolonisierung zu komprimieren. „Zusammenkunft“ ist kein Buch, das Spaß macht. Aber es ist ein wahnsinnig wichtiges Buch, das mich definitiv noch länger begleiten wird.

Bewertung vom 15.03.2020
Das Haus der Frauen
Colombani, Laëtitia

Das Haus der Frauen


sehr gut

Solène war eine erfolgreiche Anwältin in Paris. Bis sich einer ihrer Mandanten nach einer verlorenen Gerichtsverhandlung vor ihren Augen in den Tod stürzt. Ihre darauffolgende Depression zwingt sie, ihren Beruf aufzugeben und ihr Leben neu zu erfinden. Als Ehrenamtliche kommt sie ins „Haus der Frauen“ – einer Notunterkunft mitten in Paris, die Frauen aus aller Welt Zuflucht bietet. Während sie ihre Tätigkeit dort – den Bewohnerinnen mit Briefen und Schriftstücken behilflich zu sein – zu Beginn recht reserviert gegenüber steht, wird bald klar, dass Hilfe auch in diesem Fall keine Einbahnstraße ist.

Der zweite Erzählstrang des Buches spielt im Paris der 1920er Jahre: Blanche Peyron, überzeugte Anhängerin der Salvation Army, versucht das Leid der Armen der Stadt so gut wie möglich zu lindern. Dabei wird sie immer wieder mit dem Schicksal von Frauen konfrontiert, für die es in der großen Stadt kaum Notunterkünfte gibt…


Wie schon in „Der Zopf“ gelingt es Laetitia Colombani in „Das Haus der Frauen“ Figuren zu zeichnen, die man gerne begleitet. Mein Highlight waren diesmal definitiv die Geschichten der Bewohnerinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch alle zeigen, dass wir definitiv noch großen Nachholbedarf haben, was den Schutz von Frauen weltweit angeht. Mit der Geschichte von Blanche Peyron bin ich dagegen nicht ganz warm geworden: ich verstehe das Anliegen der Autorin, dieser frühen Gründerin von Frauenhäusern ein Denkmal zu schaffen, doch trotz alledem wurde Blanche für mich auf den Seiten nicht in gleichem Maße lebendig wie Solène. Wie auch beim Vorgängerbuch hätte ich an einigen Stellen gerne noch ein wenig mehr über die einzelnen Charaktere erfahren – ich bin definitiv kein Fan von in die Länge gezogenen Romanen, doch hier hätte ich mir ein paar mehr Seiten gewünscht.

Bewertung vom 15.03.2020
Marianengraben
Schreiber, Jasmin

Marianengraben


ausgezeichnet

Vor zwei Jahren ist Paulas damals zehnjähriger Bruder Tim gestorben. Ertrunken im Sommerurlaub auf Mallorca, er der eigentlich Tiefseeforscher werden und die Fische im Marianengraben erforschen wollte. Seither führt Paula ein Schattendasein zwischen Schuldgefühlen und Depression, gefangen in ihrem ganz persönlichen Marinanengraben. Auf Vorschlag ihres Therapeuten, das Grab ihres Bruders, von dem sie sich bisher fern gehalten hat, einfach außerhalb der „Friedhofsstoßzeiten“ zu besuchen, bricht Paula nachts in den Friedhof ein. Doch da ist sie nicht die einzige: auf dem nächtlichen Friedhof trifft sie Helmut, einen alten Mann, der dort seine Freundin Helga „abholt“, um sein Versprechen einzulösen, mir ihr zurück in die Alpen zu fahren. Am nächsten Tag bricht das ungleiche Paar mit der eingeäscherten Helga und der eigensinnigen Hündin Judy zu einer besonderen Reise auf.

Jasmin Schreiber ist mit Marianengraben ein ganz besonderes Buch gelungen. Ihr Schreibstil ist über große Teile der Geschichte wundervoll poetisch. Oftmals verknüpft die Autorin Bilder und sprachliche Konstrukte, die mich beim Lesen öfters haben innehalten, den Satze ein zweites Mal lesen und zumindest für ein
Überschrieben sind die einzelnen Kapitel mit Zahlen zwischen 11000 und 0, die uns im Verlauf des Buches daran teilhaben lassen, wie Paula langsam aus den Tiefen des Marianengrabens aufsteigt und zurück ins Leben findet.

Empfehlen kann ich dieses Buch eigentlichen allen. Allen, die Paula und Helmut auf ihre Reise in den Alpen und in Vergangenheit und Zukunft begleiten wollen, allen die einfach mal wieder ein unglaublich schön geschriebenes Buch lesen wollen und natürlich allen aspirierenden Tiefseeforschern!

Bewertung vom 22.02.2020
Ein wenig Glaube
Butler, Nickolas

Ein wenig Glaube


ausgezeichnet

Lyle und Peg Hovde, beide in ihren Sechzigern, führen ein beschauliches Leben in ihrer Heimat Wisconsin und lassen keine Gelegenheit aus, ihren 5-jährigen Enkel Isaac nach Strich und Faden zu verwöhnen, nachdem ihr eigener Sohn Peter bereits als im Säuglingsalter verstarb. Machtlos müssen sie mit ansehen, wie ihre Adoptivtochter Shiloh zunehmend tiefer in die Fänge des radikalen Predigers Stevens und seiner evangelikalen Glaubensgemeinschaft gerät. Steven ist überzeugt, dass es sich bei Isaac um einen „Heiler“ handelt, mit dessen Hilfe er mehrere Gemeindemitglieder gesund gebetet hätte. Als Isaac selbst Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung zeigt, beschuldigt Shiloh ihren Vater Lyle, sein fehlender Glaube an Gott, habe zu Isaacs Krankheit geführt, verbietet dem Großvater den Umgang mit dem Enkel und lehnt jegliche medizinische Hilfe für ihren Sohn ab.

„Ein wenig Glaube“ ist der erste Roman, den ich von Nickolas Butler lese. Schon nach den ersten Seiten hat mich die Geschichte der Familie Hovde in ihren Bann geschlagen. Dem Autor gelingt es, die zwischenmenschlichen Nuancen und Stimmungen, die Eierschalen auf denen Lyle und Peg weite Teile des Romans in Gegenwart von Shiloh laufen, aus Angst davor, Isaac zu verlieren, schnörkellos zwischen den Zeilen zu verpacken. Erzählt werden die Geschehnisse über den Lauf eines Jahres aus der Perspektive Lyles, der seit dem Verlust seines neugeborenen Sohns selbst ein äußerst angespanntes Verhältnis zu Gott und Religion pflegt.
„Ein wenig Glaube“ schafft einen familiären Spannungsgraben zwischen der Verzweiflung der Großeltern, die rechtlich keine Möglichkeit haben, ihrem Enkel gegen den Willen ihrer Tochter zu helfen, und der gleichzeitigen Weigerung der Eltern, Hoffnung und Glauben an ihre Tochter verlieren. Nickolas Butler meistert dieses Spannungsfeld grandios.

Bewertung vom 07.01.2020
Die Fowl-Zwillinge und der geheimnisvolle Jäger / Die Fowl-Zwillinge Bd.1
Colfer, Eoin

Die Fowl-Zwillinge und der geheimnisvolle Jäger / Die Fowl-Zwillinge Bd.1


ausgezeichnet

Myles und Beckett Fowl sind so unterschiedlich, wie Zwillinge nur sein können. Während Myles ganz nach seinem großen Bruder Artemis kommt (der sich aktuell auf dem Weg zum Mars befindet), ist Beckett von den ständigen Vorträgen der zwei eher gelangweilt und sucht sich lieber seine eigenen Abenteuer. Als eine internationale Geheimorganisation den Fehler macht, die Zwillinge zu entführen, entspannt sich eine verrückte Verfolgungsjagd durch halb Europa – in die auch ein hunderfünfzigjähriger, krimineller Adeliger, die Welfe Lazuli von der ZUP und ein Troll verwickelt werden.

Es ist bestimmt zehn Jahre her, dass ich mich als Jugendliche jedes Mal begeistert auf ein neues Artemis Fowl Buch gestürzt habe. Und obwohl ich inzwischen eigentlich keine Fantasy Geschichten mehr lese – auf den neuen Fowl war ich dann doch neugierig. Und ich wurde nicht enttäuscht!

Grundsätzlich baut Eoin Colfer natürlich auf die Artemis Fowl Reihe auf – die drei Hauptakteure Artemis, Butler und Holly Short werden zwar alle erwähnt bzw. spielen Nebenrollen – im Fokus steht aber das neue Trio Myles, Beckett, Lazuli. Was sich aber überhaupt nicht geändert hat, ist Eoin Colfers intelligenter und vor allem wahnsinnig lustiger Schreibstil, sein Händchen für rasante, überraschende Wendungen und seine Vorliebe für minderjährige Protagonisten, die den Rest der Welt ziemlich alt aussehen lassen. Ich freue mich auf weitere Abenteuer der Fowl Familie!

Bewertung vom 21.11.2019
Alles, was wir sind
Prescott, Lara

Alles, was wir sind


sehr gut

Russland, Anfang der 50er Jahre. Der Schriftsteller Boris Pasternak arbeitet seit Jahren an seinem Meisterwerk „Doktor Schiwago“ – sehr zum Missfallen der politischen Elite, die das Werk als antisowjetisch betrachtet. Schnell gerät auch Olga Iwinskaja, Boris Muse und Geliebte, ins Fadenkreuz Stalins Männer.
Währenddessen versucht Irina Drosdowa verzweifelt auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, als die CIA auf die junge Frau mit dem tiefen Groll auf ihr Herkunftsland, das vor Jahren ihren Vater ermordete, aufmerksam wird. Irina wird tief hineingezogen in einen Strudel aus Macht und Intrigen und wird schließlich selbst zu einer Key Playerin im neusten Coup der CIA: sie soll helfen das durch die Sowjetunion verbotene Werk Pasternaks „Doktor Schiwago“ in Russland zu verbreiten. Denn auch das Wort ist eine Waffe im Kalten Krieg.

Was sich im ersten Moment nach blühender Fantasie auf Seiten der Autorin anhören mag, ist das Ergebnis jahrelanger Recherche. Erst 2014 veröffentlichte die CIA ihre Akten zur Affäre „Doktor Schiwago“ und bestätigte damit Jahrzehnte später die Verschwörungstheorien des sowjetischen Propagandaapparats.

Prescotts Erstlingswerk lässt sich nur schwer in eine Schublade stecken. Geschickt jongliert die Autorin Elemente aus den Bereichen historischer Roman, Agententhriller und Liebesgeschichte und schafft damit ein spannendes Geflecht abseits der typischen Genres. In Lara Prescotts Roman geht es um Macht, um Literatur, um Freiheit, um die Akzeptanz Homosexueller. Letztendlich ist „Alles, was wir sind“ in meinen Augen aber vor allem ein Buch über starke Frauen in der männerdominierten Welt der 50er und 60er Jahre. Die Geschichte wird überwiegend aus Sicht der weiblichen Protagonistinnen erzählt, denen oft große Teile der Wahrheit vorenthalten werden, die jedoch alle eine deutlich klareren Blick auf die Ereignisse haben, als den Männern auf beiden Seiten Recht wäre.

Obwohl das Buch für mich einige Längen hatte - wohl auch dadurch bedingt, dass ich im Vorfeld etwas andere Erwartungen hatte (der Plan der CIA nimmt erst ab der zweiten Hälfte des Buchs Fahrt auf) – habe ich die Lektüre von „Alles, was wir sind“ sehr genossen. „Doktor Schiwago“ hat sich einen Platz auf meiner Leseliste verdient.