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Ingrid von buchsichten.de
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Erkelenz

Bewertungen

Insgesamt 328 Bewertungen
Bewertung vom 25.08.2024
Genau so, wie es immer war
Lombardo, Claire

Genau so, wie es immer war


ausgezeichnet

In ihrem Roman „Genau so, wie es immer war“ beschreibt Claire Lombardo nach ihrem Debüt „Der größte Spaß, den wir je hatten“ erneut ein familiäres Drama rund um ihre Protagonistin Julia Grace Ames, geborene Marini. Julia möchte am 60. Geburtstag ihres Ehemanns Mark eine Party veranstalten, wozu sie eine spezielle Zutat zum Dinner benötigt. Es hat für sie weitreichende Folgen, dass sie zu einem anderen Supermarkt fährt als dem üblichen, denn dort begegnet sie Helen, einer früheren Freundin. Das unerwartete Treffen löst bei Julia Erinnerungen aus an Ereignisse, die zwanzig Jahre und länger zurück in ihrer Vergangenheit liegen.

Die Geschichte spielt auf mehreren Zeitebenen und ist in einer personalen Erzählperspektive geschrieben. In der Gegenwart steht Julias 17-jährige Tochter Alma kurz vor ihrem Highschool Abschluss, als ihr älterer Bruder Ben die Familie mit einer erfreulichen Nachricht überrascht. Julia lebt einen geregelten Alltag, aber die Begegnung mit Helen, die Teenagersorgen der Tochter und die Veränderung in Bens Leben bringen ihre Routinen aus dem Gleichgewicht, genau so, wie es vor langer Zeit schon einmal geschehen ist. Die Kapitel des Romans springen zwischen den Handlungsebenen.

Die Stärke der Geschichte basiert darin, dass die Autorin ihre Figuren sehr gut ausformuliert, die Interesse beim Lesenden wecken. In den Rückblenden erfuhr ich, warum Julias Kontakt zu Helen abgebrochen ist. Aber erst als ich zunehmend mehr Einzelheiten aus der Kindheit der Protagonistin erfuhr, konnte ich die Beweggründe zu den Handlungen der Protagonistin vor zwanzig Jahren besser verstehen.

Bevor Julia Mark durch Zufall kennenlernte hatte sie mehrere Jahre für sich allein gelebt. Sie war es gewohnt, Entscheidungen selbst zu treffen, was auch ein Ergebnis ihrer Erziehung ist. Julia wurde durch eine angespannte Beziehung zu ihrer Mutter geprägt, aus der sie mitgenommen hat, dass sie gelegentlich nicht deren Wertansprüchen entsprach. Es war nicht einfach für sie, sich am Beginn ihrer Ehe mit ihrem Mann über bestimmte Angelegenheiten abzusprechen. Sie neigt dazu, sich vergleichsweise lange Gedanken zu Sorgen zu machen, die nicht die ihren sind. Indem sie Kontakte meidet, verhindert sie, sich mit Problemen anderer zu beschäftigen. Von Beginn an schaut sie argwöhnisch auf die besten Freunde von Mark, dadurch bleibt immer ein Stück Misstrauen in ihrem Verhältnis. Nach der Geburt ihres Sohns fällt ihr der Umgang mit anderen Müttern nicht einfach. In Helen findet sie zu dieser Zeit eine mütterliche Ratgeberin, deren Selbstbewusstsein sie bewundert. Ihre neue, einige Jahre ältere Freundin weckt in ihr Gefühle, in denen sie nicht geübt ist.

Claire Lombardo schreibt abwechslungsreich, denn im Leben ihrer Protagonistin geschehen immer wieder unerwartete Begebenheiten. Julia als Kind, Teenager, Ehefrau und Mutter erlebt Situationen, die vermutlich viele Lesende wiedererkennen, was sie mir nahbar machte. In Diskursen erlebt man, dass es oft unterschiedliche Meinungen über ein Thema gibt ohne eine beste Lösung.

Der Roman „Genau so, wie es immer war“ von Claire Lombardi konnte mich im gleichen Maß begeistern wie ihr Debüt. Tiefgründig und feinsinnig beschreibt die Autorin die Gefühlswelt ihrer Protagonistin Julia, die es gelernt hat, sich nach einer schwierigen Kindheit einen Weg im Leben zu suchen und an den Anforderungen des Lebens gereift ist. Einige Twists und wohlgehütete Geheimnisse sorgen für eine hintergründige Spannung. Sehr gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 07.08.2024
Ex-Wife
Parrott, Ursula

Ex-Wife


sehr gut

Es ist fast einhundert Jahre her, dass der Roman „Ex-Wife“ von Ursula Parrott zum ersten Mal veröffentlich wurde, jedoch kann man das beim Lesen häufig vergessen, denn die Handlung wirkt häufig so, als könnte sie in der Gegenwart spielen. Die Geschichte dreht sich um die 24-jährige Patricia, die nach vier Jahren Ehe von ihrem Mann Peter verlassen wird.

Patricia ist eine lebenshungrige Frau, die nach der Hochzeit ihrem Beruf als Werbetexterin weiter nachkommt. Dennoch ist ihr Wohnort New York ein teures Pflaster und in der ersten Zeit der Ehe kann das Paar sich noch nicht alle Dinge leisten, die sie sich wünschen. Glamouröse Kleidung, Restaurantbesuche und reichlich Alkoholgenuss im Freundeskreis, den sie trotz Verbots leicht beschaffen können, lassen keinen Platz für Sparpläne.

Nachdem Peter ihr einen Seitensprung gesteht, lässt Patricia sich vom besten Freund ihres Ehemanns verführen. Sie gesteht ihm ebenfalls die Affäre, jedoch ohne den Namen ihres Liebhabers zu nennen. In den folgenden Wochen und Monaten schleicht sich ein Störgefühl in die Ehe, bis Peter die Scheidung fordert, doch Patricia verweigert sie ihm über einen längeren Zeitraum hinweg.

Der Roman wird in der Ich-Perspektive von Patricia erzählt. Sie schildert ihr Leben nach der Scheidung, schaut aber auch zurück auf die gemeinsamen Jahre. Bereits im Vorwort zur Neuauflage verweist Mareike Fallwickl darauf, dass der erst seit wenigen Jahren mögliche Zugang zu Bildung zu einer Doppelmoral führte. Weil Frauen nun im Beruf, auch nach der Heirat, eigenes Geld verdienten, fiel es ihren Ehemännern leichter, sie zu verlassen. Die Phasen, die die Protagonistin im Anschluss an die Trennung durchläuft, scheinen allgemeingültig und heute noch zu gelten. Patricia sucht und findet Rat bei einer Freundin, die sich nach eigener Einschätzung bereits auf der nächsten Stufe nach ihrer Scheidung befindet.

Manchmal durchlebt Patricia die Tage und Nächte wie im Rausch, zu anderen Zeiten langweilt sie sich. Immer wieder erzählt sie von Frauen in ihrem Umfeld, die sich für eine klassische Rolle als Hausfrau und Mutter entscheiden, wodurch dann doch ein Unterschied zwischen der Handlungszeit zu heute spürbar wird. Die Protagonistin wurde mir, vor allem aufgrund ihres exzentrischen Auftretens, nicht sympathisch. Ihr Umgang in Bezug auf ihr Kind fand ich kaum begreifbar, aber das diesbezügliche Verhalten von Peter war empörend. Einige der Begebenheiten in der Geschichte basieren auf Erfahrungen der Autorin, wodurch ihre Schilderungen authentisch wirken.

Ich fand es sehr interessant, mit „Ex-Wife“ von Ursula Parrott in die schillernde Welt der gehobenen Gesellschaft im New York der 1920er Jahre einzutauchen. Die Ansichten und Handlungen der Protagonistin als unabhängige Frau sind auch heute noch aktuell. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 06.08.2024
Mitternachtsschwimmer
Maguire, Roisin

Mitternachtsschwimmer


ausgezeichnet

Die Protagonistin Grace des Romans „Mitternachtsschwimmer“ von Roisin Maguire ist genauso rau und sanft wie die See vor der Küste von Nordirland, an der der kleine Haupthandlungsort Ballybrady liegt. Das Dorf ist beschaulich und ähnelt dem, in dem die Autorin lebt, weswegen sie die dort vorherrschende Atmosphäre besonders gut eingefangen hat. Auch das Cover, das sehr schön vom Kölner Designbüro Lübbeke Naumann Thoben gestaltet wurde, strahlt die Unruhe und Stärke der See aus. Der Titel ist haptisch durch eine Tiefprägung im Papier spürbar und bezieht sich auf Grace, die es liebt, in der Nacht im Meer zu schwimmen und die Ruhe zu genießen.

Die Handlung spielt im Frühjahr 2020. Grace ist 50 Jahre alt, besitzt eine spezielle Art von Humor und ein großes Herz, das sie zu schützen versucht. Ihr Einkommen bestreitet sie durch Quilten, dem Verkauf von Seegras und der Vermietung ihres Elternhauses. Neben Grace spielt auch der in Belfast lebende Evan eine Hauptrolle. Evans Ehe ist nach einem schweren Verlust in eine Krise geraten. Um Abstand davon zu gewinnen, mietet er für eine Woche das Cottage von Grace. Als wegen Corona auch in Nordirland ein Lockdown verhängt wird, werden für Evan die wenigen Tage zu einem längeren Aufenthalt, in denen er sich mit Land und Leuten näher auseinandersetzt.

Mit Grace und Evan agieren zwei interessante Persönlichkeiten in der Geschichte, die beide an einer seelische Verletzung aus der Vergangenheit zu tragen haben. Während die psychische Belastung von Evan von Beginn an offen zu erkennen ist, vergräbt die Autorin die Wunden der Grace unter deren Zurückhaltung anderen Menschen gegenüber und deren oft schroffem Auftreten in Interaktionen. Erst nach und nach erfuhr ich als Leserin ebenso wie Evan davon, was in ihren jungen Jahren geschehen ist. Die Begebenheiten werden mit ausreichend Raum geschildert, den man mit eigener Fantasie ausmalen kann.

Neben den feinfühligen Beschreibungen zu brisanten Themen, erzählt die Autorin von den Herausforderungen des Lebens an der Küste in aller Härte. Es ist der besondere Charme des Buchs, der einerseits tiefsinnig die Probleme der Protagonistin und des Protagonisten aufgreift und dem andererseits das raubeinige Auftreten von Grace und der ungezähmten Natur der Küste entgegenstellt. Evan erfährt in der Gemeinschaft nicht nur Rückhalt, sondern schöpft im Laufe der Zeit die Hoffnung, dass ein Neubeginn möglich ist. Eine lebenskluge Verkäuferin und ein achtjähriger Junge, der Geborgenheit sucht, sorgen für aufheiternde Momente und geben der Geschichte einige unerwartete Wendungen.

Der Roman „Mitternachtsschwimmer“ von Roisin Maguire ist einfühlsam geschrieben und sorgt mit einem stimmungsvollen Setting und gut ausformulierten Figuren für ein abwechslungsreich gestalteten Lesevergnügen. Gerne empfehle ich die bezaubernde Geschichte weiter.

Bewertung vom 01.08.2024
Haus aus Wind
Naumann, Laura

Haus aus Wind


ausgezeichnet

Wäre das Haus der Protagonistin Johanna aus Wind gebaut, dann könnte sie nichts umwerfen. Doch im entsprechend benannten Debütroman „Haus aus Wind“ von Laura Naumann ist das Leben von Johanna in Schräglage gekommen. Daher nimmt sie sich eine Auszeit und reist an die Algarve, um dort das Surfen zu lernen.

Das Cover setzt sich ausschließlich aus den Zahlen Eins und Null des Binärystems zusammen. Binarität lässt sich auch auf Zweigeschlechtlichkeit beziehen. Daher weist die Umschlaggestaltung auf die bis heute anhaltende Ungleichbehandlung von Frauen im Vergleich zu Männern im Profisport des Surfens hin, die die Autorin unter anderem thematisiert. Das Verständnis wichtiger Dialoge von Johanna mit Personen in ihrem multikulturellen Umfeld in Portugal wird erschwert, weil sie fast alle in Englisch geführt werden, was die Kenntnis der Sprache bei den Lesenden voraussetzt.

Recht bald wird deutlich, dass die fast 30-jährige Ich-Erzählerin Johanna aus ihrem Wohnort Berlin vor etwas geflohen ist, was mir als Leserin zu Beginn noch nicht greifbar wurde. Sie hat Ängste entwickelt, spürt ein Vibrieren im Körper und hofft nun, dass sie sich im Urlaub davon ablenken kann. Vor fast zwanzig Jahren hat sie bereits begonnen, als Synchronsprecherin zu arbeiten und seither keine längere Pause genossen. Nun liegt ein Jahr hinter ihr, dass sie viel Kraft gekostet hat, denn beispielsweise ist ihre Beziehung ist in die Brüche gegangen. In ihrem Reisegepäck befindet sich ein Plüschhamster, mit dem sie sich oft in Lautstärke unterhält. Diese geschickte Gestaltung trägt dazu bei, dass die inneren Konflikte der Protagonistin sichtbar werden.

Immer wieder erzählt Johanna in kurzen Abschnitten von ihrer Kindheit. Ihre Eltern sind engagiert im Beruf, daher ist die Familie finanziell gut aufgestellt. Aber ihre eigene Arbeit lässt ihr wenig Zeit für Freundschaften zu Gleichaltrigen. Sie erzählt in ihrem Umfeld nie von ihren Synchronisationen, um sich nicht vor anderen hervorzutun. Schon in jungen Jahren findet sie eine Partnerin, mit der sie lange Zeit zusammenlebt.

In Portugal erlebt sie eine unbeschwerte, aber körperlich anstrengende Zeit. Sie bewundert ihre Surflehrerin, mag die Art und Weise wie sie sich kleidet und ihre Schüler*innen anleitet. Nach den vierzehn Tagen ihres Urlaubs möchte sie nicht nach Hause zurückkehren, denn es widerstrebt ihr, sich erneut dem Termindruck zu unterwerfen. Sie genießt neue Freundschaften und die Nähe von anderen Frauen, wobei sie sich verliebt, mehrfach sogar. Es ist schwierig für sie, herauszufinden, wie sie ihre Zukunft gestalten möchte. Auf diesem Weg macht sie auch schmerzhafte Erfahrungen. Sie stellt fest, dass auch andere, ebenso wie sie selbst, in der Freiheit des Moments, ihre Vergangenheit nach eigenen Regeln zugänglich machen.

Laura Naumann erzählt in ihrem Debüt „Haus aus Wind“ einfühlsam von weiblichen Partnerinnenschaften. Dabei arbeitet sie heraus, welchen Klischees sich Frauen entgegenzusetzen haben und welchen Problemen sie sich ausgesetzt sehen. Gleichzeitig schaut die Geschichte exemplarisch darauf, welche Ansprüche die Medienbranche in Bezug auf Disziplin und Resilienz bereits an Kinder stellt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 31.07.2024
Im Nordwind / Nordwind-Saga Bd.1
Georg, Miriam

Im Nordwind / Nordwind-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Der Roman „Im Nordwind“ ist der erste Band einer Dilogie von Miriam Georg, die die Frauenrechte in der Hansestadt Hamburg in den 1910er Jahren ebenso wie Standesunterschiede in dieser Zeit thematisiert. Die Protagonistin Alice ist verheiratet und hat eine fünfjährige Tochter. Gemeinsam wohnen sie in einer kleinen Wohnung in einem zweiten Hinterhaus auf der Uhlenhorst. Einer alten Familienweisheit zufolge bringt Nordwind Ärger, was für Alice zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werden scheint.

Alice arbeitet in einer Kämmerei und muss ihren schwer verdienten Lohn bei ihrem Ehemann Henk abliefern. Wenn er sie als ungehorsam empfindet, hat das schmerzhafte Folgen für sie. Als er auch Tochter Rosa immer mehr zurechtweist und Alice sie an Körper und Geist gefährdet ansieht, beschließt sie, sich von ihrem Ehemann zu trennen. Bei der wöchentlich stattfindenden Sprechstunde der Rechtsberatung der Sozialfürsorge trifft sie auf den Rechtsanwalt John Reeven, der sich dort ehrenamtlich engagiert und ihre Scheidung in die Wege leiten soll.

John stammt aus einer alteingesessenen, angesehenen Unternehmerfamilie, ist verlobt und lebt noch in der elterlichen Villa, die in einer der vornehmsten Gegenden Hamburgs steht. Bei dem ersten Besuch von Alice möchte er ihren Fall schnell zu den Akten legen, denn die geltenden Gesetze sprechen Frauen wenige Rechte in der Ehe zu. Doch Alice beharrt weiterhin auf seine Hilfe und ihre Verletzungen nach einem Ehestreit veranlassen ihn, ihr beizustehen.

Sowohl Alice wie auch Henk stammen aus einer Schaustellerfamilie. Auf den ersten Seiten wird durch den Bruder der Protagonistin angedeutet, dass er sie einmal verloren hat, ohne dass ich zunächst als Leserin die Bemerkung einordnen konnte, Nach etwa einhundert Seiten wechseln Handlungszeit und -ort. Im Jahr 1896 wächst in der Nordmarsch ein Mädchen heran, dass dort ehemals nicht beheimatet war. Schon bald ahnte ich, wer mir aus der Ich-Erzählerin in diesem Perspektivenwechsel seine Geschichte erzählt. Von diesem Zeitpunkt an blickt die Erzählung über die Begebenheiten im Jahr 1913 immer wieder einmal in die Vergangenheit.

Beide Handlungsstränge gestaltet die Autorin dank ihrer sehr guten Recherche authentisch und bewegend. Obwohl man es weiß oder zumindest ahnt, ist es erschreckend darüber zu lesen, wie groß die Unterschiede der Rechte von Frauen im Vergleich zu denen der Männer in der damaligen Zeit waren, Interessant fand ich die Einbindung von speziellen Hamburger Gepflogenheiten, nicht nur in Verbindung mit der Rechtsberatung und Sozialfürsorge, sondern auch mit dem Stand des Adels.

Alice kämpft jedoch nicht nur darum, als gleichwertig in der Ehe angesehen zu werden, sondern ist sich auch Standesunterschieden bewusst. Für ihre Tochter wünscht sie ein unbeschwerteres Leben, als sie es bisher selbst kennengelernt hat. Durch den Kontakt zu John und seiner Familie wird ihr vor Augen geführt, was Wohlstand bewirken kann. Aber von außen ist nicht sichtbar, was die Familie von innen bewegt. Die Krankheit von Johns Vater stürzt die Geschwister Reeven in große Probleme und es kommt zwischen ihnen zu Streitigkeiten.

Miriam Georg ist mit „Im Nordwind“ ein fesselnder erster Band ihrer Dilogie gelungen, der ausgezeichnet zu unterhalten versteht und durchgehend mit dem Schicksal der Protagonistin Alice und den Geschehnissen in der Familie einer fiktiven großen Unternehmensdynastie berührt. Dafür spreche ich sehr gerne eine Leseempfehlung aus und erwarte nun nach dem Cliffhanger am Ende des Buchs ungeduldig die Fortsetzung.

Bewertung vom 10.06.2024
Das Licht in den Birken
Fölck, Romy

Das Licht in den Birken


gut

In ihrem Roman „Das Licht in den Birken“ erzählt Romy Fölck von einer Schicksalsgemeinschaft, die sich auf Bennos Gnadenhof für Tiere in der Lüneburger Heide zusammenfindet. Der Hof ist hoch verschuldet und deshalb hat Benno das ursprüngliche Kesselhaus renoviert und dort zwei Wohnungen eingerichtet. Thea hat eine davon gemietet. Sie ist Mitte Fünfzig und hat jahrelang eine der Herden Ziegen in Portugal gehütet, die präventiv Wälder reinigen und dadurch die Brandgefahr verringern. Kaum ist sie eingezogen, findet Benno beim Holzsammeln im nahegelegenen Forst Juli, eine junge verunfallte Frau, der er Unterkunft bietet, bis sie weiterwandern kann.

Thea, Benno und Juli haben jeweils ihr Päckchen aus der Vergangenheit zu tragen. Mit Respekt füreinander akzeptieren sie die Launen der anderen und gewähren ihnen den benötigten Freiraum. Die Geschichte spielt innerhalb von zwei bis drei Wochen. Für diesen kurzen Zeitraum laufen die Geschehnisse in eiligem Tempo ab. Die Figuren entwickeln sehr zügig Nähe und Mitgefühl, so dass sie sich der Probleme der anderen annehmen und schnellstmöglich eine Lösung anbieten, was auf mich allerdings teils unrealistisch wirkte. Leider fand ich die Begründung für die Rückkehr von Thea nach Deutschland nicht vollständig überzeugend, denn ihr hatte es in Portugal eigentlich sehr gut gefallen. Gerne hätte ich mehr über ihr früheres Leben auf Wanderschaft erfahren. Auch die Sinneswandlung von Julis Mutter in Bezug auf ihr Verhältnis zur Tochter kam meiner Meinung nach recht plötzlich.

Die im Roman verarbeiteten Themen wie beispielsweise Wechseljahre, Verarbeiten einer Scheidung, Ertrag bringende Umgestaltung eines Gehöfts und Selbstverwirklichung sind interessant und tragen zum Unterhaltungswert des Romans bei. Manchmal ecken die Charaktere mit den von ihnen angebotenen Lösungen zur Problembewältigung auch an und sorgen damit für Abwechslung in der zuweilen absehbaren Entwicklung der Handlung.

Romy Fölck beschreibt in ihrem Roman „Das Licht in den Birken“ die zunehmende Freundschaft dreier sehr unterschiedlicher Figuren, die sich auf einem landwirtschaftlichen Anwesen zusammenfinden. Innerhalb kürzester Zeit bewältigen sie durch gegenseitige Unterstützung die größten Schwierigkeiten. Wer einen Feel-Good-Roman sucht ist hier richtig.

Bewertung vom 03.06.2024
Emmas Herzdilemma
Gerstenberger, Stefanie

Emmas Herzdilemma


ausgezeichnet

Die fast 16-jährige Emma empfindet ihr Leben als eintönig. Sie ist die Protagonistin des Jugendromans „Emmas Herzdilemma“ von Stefanie Gerstenberger. Gemeinsam mit ihren Eltern und einem Großvater wohnt sie in Köln-Lindenlauf. Manchmal hält sie sich nicht an die von Vater und Mutter aufgestellten Regeln. Als sie eine Woche vorm Sommerurlaub der Familie den Hund ihres Opas ausführt, kommt sie am Bode-Park vorbei, in dem der von ihr umschwärmte Oskar mit seinen Freunden Skatebord trainiert. In einem Moment ihrer Unaufmerksamkeit verunfallt der Hund. Emmas Eltern verlangen von ihr, dass sie die Tierarztkosten übernimmt, die sie in der Pension ihrer Tante in Italien erarbeiten soll. Kurz vor dem Abflug hat sie bei Gelegenheit die Fäden in der Hand, den weiteren Verlauf ihrer Ferien zu gestalten.

Mir hat es sehr gut gefallen, dass die Autorin ihrem Roman zwei Handlungsverläufe gibt. Der Ablauf ändert sich in dem Augenblick, in dem Emma das Portemonnaie ihrer Flugbegleitung auf dem Tisch liegen sieht. Nimmt sie es an sich, wird sie nach Italien fliegen, wenn nicht, bleibt sie in Köln. Immer wieder springt die Geschichte von einem Verlauf zum anderen. Damit wurde ich als Leserin dazu angeregt kapitelweise zu überlegen, was mir an Emmas Stelle lieber wäre: die Ferien in Italien mit der Arbeit in der Pension verbringen und den süßen Boy mit der Vespa kennenlernen oder in Köln dem Großvater zur Hand gehen und Oskar im Park beim Skaten zuschauen. Beides beinhaltet die Möglichkeit ein Verhältnis mit dem jeweiligen Jungen anzufangen.

Stefanie Gerstenberger sorgt für unerwartete Entwicklungen in beiden beschriebenen Ereignisabläufen. Dem Roman erhält durch die Einbindung von schwierigen Themen wie beispielsweise erheblichem Alkoholgenuss, Übergriffigkeiten, Scheidung der Eltern und Vertrauen in einer Beziehung an Tiefe. Je nach Geschehnissen tendierte ich mehr dazu, dass Emmas Ferien in Italien ihr besser gefielen im Vergleich zu denen in der Heimat, mal war es andersrum.

Die Covergestaltung gibt dem Buch einen sonnigen sommerlichen Touch. Anhand von Piktogrammen und der Schriftart lässt sich leicht unterscheiden, ob man sich beim Lesen in Italien oder Deutschland befindet. Ich habe das Verhalten von Emma und ihren Freunden und Freundinnen in beiden Erzählungen altersgerecht und realistisch empfunden. Jede von Emmas Handlungen hat Konsequenzen, aber meist kann sie nicht voraussehen, ob diese sich zum Guten hin für sie auswirken oder ob sich daraus etwas von ihr Unerwünschtes ergibt.

Die zwei verschiedenen Enden zeigen schließlich, dass Vieles eine Laune des Schicksals ist. Gerne empfehle ich diesen romantischen und originellen Roman, bei dem man sich amüsieren, aber sich auch an der Seite der Protagonistin Sorgen macht, weiter an alle Jugendlichen ab 12 Jahren, aber ebenso an Erwachsene, die gerne an der Seite der Protagonistin die erste Liebe erleben möchten.

Bewertung vom 14.05.2024
Das Fenster zur Welt
Winman, Sarah

Das Fenster zur Welt


sehr gut

Im Roman „Das Fenster zur Welt“ beschreibt Sarah Winman die Freundschaft zwischen Private (=niedriger militärischer Rang) Ulysses Temper, einem in Zivil in London lebenden Globenbauer und Evelyn, einer Kunsthistorikerin, die über 60 Jahre alt ist und ebenfalls aus England stammt. Die beiden begegnen sich im Jahr 1944 in der Toskana, wo Evelyn darauf wartet, mit alliierten Kunstschutzoffizieren zusammenzuarbeiten und Ulysses um seine Mithilfe bittet. Wenig später nimmt er sie mit in einen Weinkeller, wo sie ihm bei Speis und Trank ihr Wissen um die Schönheit der italienischen Lebensart beschreibt und ihm damit seine Sicht aufs Leben weitet.

Evelyn und Ulysses gehen später ihre eigenen Wege, jedoch vergessen sie einander über Jahrzehnte hinweg nie. Die Handlung fokussiert hauptsächlich auf Ulysses, der im Winter 1946 in seine Heimat zurückkehrt. Seine Frau Peggy, die er zu ihrer Sicherheit geheiratet hat, bevor er seinen Kriegsdienst antrat, hat sich inzwischen in einen amerikanischen Soldaten verliebt. Sie wurde mit ihrer Tochter Alys schwanger, aber der Vater verschwand noch vor der Geburt.

Bis zu diesem Zeitpunkt lernte ich als Leserin eine Reihe von eigenwilligen Figuren kennen, die in London auf die Rückkehr von Ulysses gewartet haben und im Folgenden nicht nur von Bedeutung für die Handlung, sondern auch für den jungen Globenbauer sind. Als Ulysses wenige Jahre später unerwartet ein Haus in der Toskana erbt, beschließt er mit Alys und einem besten Freund nach Italien zu fahren, das Erbe anzutreten und dort zu wohnen. Mit ihnen reist auch ein Papagei, der durch seine Kommentare immer mal wieder für amüsante Situationen sorgt.

Es sind große Ereignisse die im Handlungsrahmen des Romans die Toskana verändern: Weltkrieg und Überschwemmung. Die einfachen Leute leiden am meisten darunter, weil sie weder die Macht haben, die Dinge zu verändern noch über ausreichend finanzielle Mittel verfügen, um die Schäden ausbessern zu lassen. Aber genau diese Personen besitzen oft etwas Unbezahlbares: die Zuneigung von Freunden, denen sie vertrauen und auf deren Hilfe sie jederzeit setzen können.

Ulysses und seine Mitreisenden finden in der Ferne neue Freunde. Aber sie wissen, dass sie jederzeit heimkehren können und dort mit offenen Armen erneut empfangen werden. Freunde bieten ihnen eine helfende Hand, eine leckere Mahlzeit oder Zeit, um ihnen zuzuhören und genauso halten sie es im Gegenzug ebenfalls. Sarah Winman zeigt, wie Kunst, Literatur und Kulinarik zu einem positiven Lebensgefühl führen können. Ihre Figuren sind abwechslungsreich gestaltet und in der Liebe unabhängig. Einige waren mir von Beginn an sympathisch, andere weniger. Bei manchen zeigte sich erst mit der Zeit wie warmherzig sie sind. Sie sind wichtiger als die Handlung, die stellenweise aus der Beschreibung des Alltags besteht mit wenigen Besonderheiten.

Unterdessen führt Evelyn mit einer Partnerin an ihrer Seite ihr Leben in England fort. Es entsteht eine unterschwellige Spannung beim Lesen durch die Frage, ob Ulysses und Evelyn sich je wiedersehen werden.

„Das Fenster zur Welt“ von Sarah Winman zeigt den besonderen Wert von Freundschaften und sorgt mit eigenwillig gestalteten, in ihrer Liebe freien Figuren für ein bewegendes Leseereignis, das ich gerne weiterempfehle.

Bewertung vom 06.05.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


ausgezeichnet

In seinem Roman „Das andere Tal“ konfrontiert der gebürtige Kanadier Scott Alexander Howard den Lesenden mit der faszinierenden Frage, was geschehen würde, wenn es mehrere parallele, aber zeitversetzte Wirklichkeiten gäbe. Seine Protagonistin Odile, die in der Ich-Form erzählt, soll sich im Alter von 16 Jahren für einen Beruf entscheiden. Sie lebt in einer Stadt im Tal an einem See. Es ist den Bewohnern nicht erlaubt über die Ortsgrenze hinaus nach Osten oder Westen zu reisen, weil sich jenseits davon identische Städte an identischen Seen mit ebensolchen Bergen befinden, von denen Odiles Heimat umgeben ist. Würde Odile in den links- oder rechtsliegenden Ort reisen können, befände sie sich dort zwanzig Jahre früher beziehungsweise später als zu ihrer eigenen Gegenwart.

Odiles Mutter drängt ihre Tochter dazu, sich für eine Stelle beim Conseil zu bewerben, welches darüber bestimmt, wann und für welche Person eine Ausnahme gemacht wird, damit diese unter Bewachung eines der nebenliegenden Täler besuchen darf. Der einzig legitime Grund ist die Suche nach Trost im Trauerfall. Dabei entsteht das Problem, das empfundene Gefühl der Trauernden in Fakten zu fassen. Anfangs läuft der Aufnahmeprozess beim Rat im Sinne von Odilie, doch dann sieht sie in der eigenen Stadt Besucher eines anderen Tals, die sie kennt. Danach kommen ihr immer mehr Fragen in den Sinn, Die ihr wichtigste ist, ob jemand aus ihrem Freundes- oder Bekanntenkreis bald sterben wird. Damit beginnt eine interessante Auseinandersetzung über das Für und Wider, in den Weltlauf einzugreifen und den Ablauf von Geschehnissen zu ändern.

Der Roman gliedert sich in zwei Teile. Der zweite Abschnitt spielt zwanzig Jahre später als der erste und vertieft das Gedankenspiel zwischen gestern, heute und morgen. Der Autor hat ausgeprägte Kenntnisse in Philosophie und füllt das Geschehen durch einige Wendungen mit immer neuen Fragestellungen an, die er aber nicht immer zur Gänze ausdiskutiert. Harte Strafen dienen als Abschreckung vor Regelverstößen. Körperliche Züchtigung für jedes Vergehen ist in der Schule erlaubt. Die Anliegen des Conseils haben Priorität und sind den eigenen Bedürfnissen unterzuordnen. Das Conseil schürt Angst in der Bevölkerung unter der Behauptung, dass jede und jeder Gefahr läuft, sich selbst auszulöschen als mögliche Folge eines Eingriffs in die Ereignisse. Wachsame Augen sind überall. Eine Selbstverwirklichung ist auf dem engen Raum der Stadt beschränkt ausführbar. Ob eine Flucht Sinn ergibt, wenn am Ziel die gleichen Gegebenheiten herrschen?

Scott Alexander Howards Roman „Das andere Tal“ ist ein kluges Spiel mit der Frage nach den Konsequenzen unserer Handlungen, die nachdenklich stimmt und weiter nachhallt. Gerne vergebe ich eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 23.04.2024
Verraten / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.10
Adler-Olsen, Jussi

Verraten / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.10


ausgezeichnet

Mit dem Thriller „Verraten“ schließt der dänische Autor seine Serie rund um das Sonderdezernat Q mit dem zehnten Fall für Kriminalkommissar Carl Morck und seinem Team ab. Der erste Band „Erbarmen“ erschien im Jahr 2007 und trägt den Untertitel „Die Frau im Bunker“. Ebenjener Frau begegnete ich als Leserin im aktuellen Buch erneut, doch wie sie in das Geschehen um die lange erwartete Aufklärung des „Druckluftnagler-Falls“ involviert ist, verrate ich nicht.

Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Rückblick auf den Beginn einer Ermittlung im Jahr 2006, an dem damals Carl und seine Kollegen Hardy und Anker beteiligt waren. Wie man als Fan der Thriller-Reihe weiß, endete die Szene in einem Fiasko, was man später detailliert erklärt bekommt. In einem weiteren Prolog wurde mir der Rotterdamer Polizist Eddie vorgestellt, der tief in zwielichtige Machenschaften verwickelt zu sein scheint und von oberen Mächten einer Organisation für sein Fehlverhalten bedroht wird. Erst dann beginnen die Kapitel, von denen das erste die letzte Szene des neunten Falls „Natrium Chlorid“ nahtlos fortsetzt.

Am zweiten Weihnachtstag 2020 wird Carl wegen Drogenhandels und unter Mordverdacht verhaftet. Im Gefängnis verweigert man ihm eine Isolation von den anderen Häftlingen, obwohl er als Ermittler mit Übergriffen rechnet. Er hat für einige Schuldsprüche von Täter(inne)n vor Gericht gesorgt und in Verbrechenskreisen ist das weitläufig bekannt. Dagegen halten seine Kollegen ihn nun für korrupt und er erhofft sich von ihnen wenig Hilfe. Carl vertraut einzig seiner Frau sowie seinem Team des Sonderdezernats Q, die aber von oberster Seite aufgefordert sind, sich aus den Ermittlungen gegen Carl herauszuhalten. Carls Situation wird noch brisanter, als sich während der Haft herausstellt, dass der- oder demjenigen eine hohe Summe ausgezahlt wird, die oder der ihn ermordet.

Carl muss Taktik einsetzen, um sich selbst zu schützen, doch auch er durchschaut nicht immer den Charakter der Mithäftlinge sowie Wärter und Wärterinnen. Er muss viel Geduld aufbringen, denn er selbst hat keine Möglichkeit, die gegen ihn gerichteten Vorwürfe zu entkräften. Der Autor lässt einige zweifelhafte Figuren auftreten. Über der Handlung steht ständig die große Frage, ob Carl im Druckluftnaglerfall unschuldig ist oder nicht. Wird er sich endlich an weitere Details der Szene erinnern, in der einer seiner Kollegen den Tod fand und der andere schwer verletzt wurde? Umso erstaunlicher ist es, dass man ihm nun selbst nach dem Leben trachtet.

Von Beginn an baut Jussi Adler-Olsen zunehmend Spannung auf, die er durch immer neue Wendungen bis zum Ende hochhält. Mir als Leserin kamen bereits durch die Rolle von Eddie die ersten Gedanken dazu, in welcher Richtung ein oder mehrere Drahtzieher(innen) mit einem Interesse am Ableben von Carl zu finden ist oder sind. Auch das Team vom Sonderdezernat Q hat keinen leichten Stand und beweist in seinem letzten Fall wie gut man einander kennt, seine Stärken einbringen kann und sich aufeinander verlässt, ohne dass man ausführlich darüber diskutiert.

Im Thriller „Verraten“, dem zehnten und letzten Fall für sein Cold Case Dezernat der Kopenhagener Polizeibehörde, läuft Jussi Adler-Olsen noch einmal zur Höchstform auf. Zwar sind die dargestellten Ereignisse zunehmend überspitzt, sorgen aber im wahrsten Sinne des Wortes für Sprengkraft und Nervenkitzel mit einem überraschenden Bösewicht am Ende. Der abschließende Band ist für alle Carl Morck Fans ein Must-Read und eine Empfehlung für alle Thrillerlesende.