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Sophie

Bewertungen

Insgesamt 153 Bewertungen
Bewertung vom 18.03.2024
Austrian Psycho Jack Unterweger
Herwig, Malte

Austrian Psycho Jack Unterweger


gut

Lässt Raum für mehr

„Austrian Psycho“ ist kein typisches True-Crime-Buch: Anstatt dem Täter chronologisch zu folgen oder ein Verbrechen rückwirkend aufzuklären, widmet sich das schmale Bändchen dem Wirken und der Wirkung des österreichischen Serienmörders Jack Unterweger nach seiner Verurteilung und seinem Gefängnisaufenthalt. Eine interessante Entscheidung des Autors Malte Herwig, die gleichwohl einige Fragen offenlässt.

In drei Teilen dröselt Malte Herwig Unterwegers Weg vom verurteilten Mörder zum gefeierten Autor und zurück zum verurteilten Mörder auf und hinterfragt, wie es dazu kommen konnte (und wie authentisch dieses geradezu märchenhafte Narrativ überhaupt ist). Dabei schreibt Herwig teilweise nicht als er selbst, sondern nimmt die Rolle eines Autors ein, der Unterweger wie so viele im deutschsprachigen Literaturwesen auf den Leim gegangen ist – jemand, der an seine Rehabilitation glaubt und nicht zuletzt Unterwegers literarische Fähigkeiten nicht infrage stellt. Dabei steht, so deckt Herwig auf, gerade Unterwegers schriftstellerisches Können durchaus auf dem Prüfstand, wenn man genau hinsieht und die Menschen betrachtet, die Unterweger zu seinem Status verholfen haben. Dass der Journalist Herwig diesen fiktiven Ich-Erzähler, der Unterwegers Geschichte erzählt, dann mit Belegen konfrontiert, die Unterwegers Schuld oder seine Lügen nachweisen, macht die Erzählweise so interessant.

„Austrian Psycho“ ist ein ungewöhnlich erzähltes Sachbuch, das nicht durch eine detaillierte Nacherzählung von Gräueltaten zu schocken versucht, sondern die gesellschaftliche Reaktion auf einen Serienmörder in den Fokus nimmt. Das verleiht dem Werk deutlich mehr Seriosität als vielen anderen Vertretern seines Genres. Durch diesen Ansatz und die sehr knappe und vom fiktiven Erzähler persönlich gefärbte Erzählweise bedingt klaffen jedoch auch größere Lücken in Unterwegers Biografie. Gerade der Einstieg ins Buch fällt schwer für Lesende, die von Unterweger zuvor nichts gehört haben und nun quasi mitten in die Geschichte geworfen werden. Insgesamt erzählt das Buch eher episodenhaft mit vereinzelten Schlaglichtern auf bestimmten Personen und Ereignissen und gibt kein vollständiges Bild von Unterweger wieder.

Ein originell konzipiertes True-Crime-Sachbuch, das jedoch einige Fragen offenlässt.

Bewertung vom 18.03.2024
Zeit der Schuldigen
Thiele, Markus

Zeit der Schuldigen


gut

Tatsachenbasierter Krimi, der in großen Bögen erzählt wird

Mit „Zeit der Schuldigen“ verarbeitet Autor Markus Thiele einen wahren Kriminalfall und stellt die Frage, ob vor Gericht tatsächlich immer Gerechtigkeit hergestellt werden kann. Während diese zugrunde liegenden Überlegungen durchaus interessant sind und zum Nachdenken anregen, kann die Krimihandlung nicht ganz auf demselben Niveau mithalten.

Auf verschiedenen Zeitebenen und durch die Perspektiven vieler beteiligter Figuren erzählt Markus Thiele die Geschichte der 17-jährigen Nina, die 1981 mutmaßlich von ihrem deutlich älteren Verehrer vergewaltigt und ermordet wurde. Der Verdächtige ist rasch ausgemacht, doch vor Gericht reichen die Beweise nicht. Jahrzehntelang kämpft Ninas zuvor abwesender, nun jedoch reuevoller Vater für eine Wiederaufnahme des Verfahrens und eine Verurteilung des Schuldigen. Dabei stehen ihm ein Polizeikommissar und seine Nachfolgerin sowie eine Journalistin zur Seite.

Die Grundidee von „Zeit der Schuldigen“ ist eine ebenso packende wie aktuelle: Das Buch stellt unser Rechtssystem infrage und zwingt uns Lesende zu einer Auseinandersetzung mit Themen wie Rache und Vergeltung im Lichte der deutschen Justiz. Während Ninas Perspektive, die Perspektive des Opfers, durchaus zum Tragen kommt, wird das Verbrechen selbst zunächst nicht auserzählt, sodass Unsicherheit über die Täterschaft des Verdächtigen besteht. Ist es da gerechtfertigt, dass nicht nur Ninas Angehörige, sondern auch wir Lesenden ihn bereits verurteilt haben? Umgekehrt liegen so viele Beweise gegen ihn vor, dass man sich fragen muss, wie dies nicht für eine Verurteilung ausreichen kann. Diese Frage tritt im Roman stärker zutage als die Suche nach der Wahrheit und die Aufdröselung des Verbrechens selbst, was eine interessante Abwechslung im Genre darstellt. Trotzdem kann der Roman nicht ganz überzeugen: Zu viele Stimmen kommen zu Wort, zu weit holt das Buch aus – eine Spannungskurve über mehrere Jahrzehnte hinweg zu halten, ist vielleicht per se ein hoffnungsloses Unterfangen. Der Roman bemüht sich um eine so vollständige Darstellung, dass das Pointierte fehlt. Gerade dadurch liest er sich häufiger wie ein aufgepeppter Tatsachenbericht als ein Roman. Diese dokumentarische, distanzierte Erzählweise lässt keinen echten Zugang zu den Figuren und ihren Emotionen zu.

Trotz dieser Schwächen stellt der Roman durchaus eine anregende Lektüre dar und lädt vor allem dazu ein, sich mit dem echten Fall, auf dem er basiert, näher zu befassen und in die deutsche Rechtsgeschichte abzutauchen. Eingeschränkte Empfehlung für Lesende, die diese Thematik zu schätzen wissen.

Bewertung vom 18.03.2024
Fensterbrettgarten
Haßler, Deike

Fensterbrettgarten


sehr gut

Ansprechend gestalteter Ratgeber mit vielen Tipps

Der Ratgeber „Fensterbrettgarten“ von Deike Haßler gibt Einsteiger*innen Tipps und Hilfestellung fürs Gärtnern im kleinen Rahmen – zwar insgesamt doch mehr für den Balkon als für die Fensterbank, aber doch mit einigen Anregungen für Großstadt-Gärtner*innen.

Das Sachbuch führt praxisorientiert auf, welches Arbeitsmaterial benötigt wird, auf welche Umweltfaktoren wie Standort und Bewässerung zu achten ist und welche Pflanzen sich wo besonders gut eignen. Praxistipps zu Themen wie Bewässerung in Urlaubszeiten oder Erkennen und Umgang mit Schädlingen, die Großstadtmenschen häufig begegnen, runden die Anleitung für den eigenen Minigarten ab. Daneben widmet sich das Buch der Vorstellung verschiedener Pflanzen mit ihren Eigenheiten und stellt auch einige Ideen zu ihrer Verwendung vor, beispielsweise das Trocknen von Kräutern.

Mit dem „Fensterbrettgarten“ kann man vor allem gut arbeiten, wenn man einen Balkon besitzt – für das Gärtnern auf der Fensterbank sind viele der Tipps dann doch nicht so gut geeignet. Dafür hat die Autorin allerdings viele hilfreiche Übersichten und Anregungen zusammengestellt: etwa, welche Pflanzen sich im selben Balkonkasten gut vertragen oder wie man die Sache mit der Bewässerung löst, wenn man einige Tage verreist ist. Auch Überblicksgrafiken wie die zum idealen Standort und zur optimalen Aussaatzeit gängiger Pflanzen sind enorm hilfreich, um für die eigenen Bedingungen die ideale Bepflanzung zusammenzustellen. Insgesamt liest sich der Ratgeber locker und gut verständlich, wenn auch hier und da etwas floskelhaft.

Fazit: ein hilfreicher Ratgeber für Menschen, die auch mit wenig Platz und Erfahrung in der Stadtwohnung gärtnern möchten. Ein Balkon ist allerdings doch von Vorteil.

Bewertung vom 28.02.2024
Rot / Die Farben Bd.2
Fforde, Jasper

Rot / Die Farben Bd.2


ausgezeichnet

Ein Feuerwerk skurrilen Humors in einer bizarren Welt

Wer den ersten Teil von Jasper Ffordes Farben-Reihe mit dem Titel „Grau“ noch nicht gelesen hat, sollte das schleunigst nachholen, bevor er sich in „Rot“ stürzt. Nicht nur hängen die beiden Teile eng zusammen und die Kenntnis von Band 1 hilft dem Verständnis von Band 2, man würde sich auch eines unermesslichen Lesevergnügens berauben, wenn man Band 1 ausließe.

In „Rot“ tauchen wir Lesenden tiefer in die bizarre Welt von Chromatacia ab, die Jasper Fforde in „Grau“ vor uns ausgebreitet hat: eine hierarchische Gesellschaft, aufgeteilt nach der Fähigkeit ihrer Mitglieder, bestimmte Farben zu sehen, und mit einem strengen Regelwerk, das kaum Individualismus zulässt und bedingungslos zu befolgen ist – ganz gleich, wie widersprüchlich und absurd eine Regel auch sein mag. An Absurditäten mangelt es in „Rot“ wahrhaftig nicht: Auf jeder Seite verbirgt sich eine neue Kuriosität. Mal bringen die bizarren Entwicklungen uns Lesende zum Lachen, mal bleibt es im Halse stecken. Denn das Leben in Chromatacia ist für die Hauptfiguren Eddie und Jane wahrhaftig kein Zuckerschlecken. Wild entschlossen, sich der Diktatur zu stellen und das Geheimnis hinter der bizarren Weltordnung zu lüften, stürzen sich die beiden in einen Kampf, der aussichtslos scheint. Und das, ohne je den Humor zu verlieren.

Bizarrer Humor ist das auszeichnende Kriterium von Jasper Ffordes Romanen, und so brilliert auch „Rot“ mit absurden Entwicklungen und wunderbaren Figuren, die selbst im Angesicht des drohenden Todes (der ungefähr einmal pro Kapitel eintritt) noch trockene Kommentare von sich geben können. Dem Fingerspitzengefühl des Autors ist es zu verdanken, dass die Gefahren des Romans trotzdem nie banalisiert werden. Eddie und Jane nehmen die faschistische Gesellschaft von Chromatacia zwar mit Humor, aber sie lassen uns Lesende nie vergessen, dass die Diktatur gestürzt werden muss. Der gekonnte Genre-Mix aus Dystopie, Urban Fantasy und Gesellschaftssatire mit einer Prise Science-Fiction lässt die Welt von Chromatacia in den schillerndsten Farben zum Leben erwachen. Ffordes brillantes Worldbuilding in Kombination mit seiner prägnanten Figurenzeichnung und seinem fabelhaften Humor lassen „Rot“ zu einem Buch werden, dessen Fortsetzung man gar nicht genug entgegenfiebern kann.

„Rot“ ist ein furioser Roman, der vor teils feinsinnigem, teils absurd-komischem Humor nur so sprüht. Nie wurde das Leben in einer Diktatur so lustig dargestellt, ohne ihren Schrecken ins Banale verkommen zu lassen.

Bewertung vom 19.02.2024
Schneekinder
Langer, Andreas

Schneekinder


sehr gut

Ein phantastischer Entwicklungsroman für junge Lesende

Selten schneidet ein Buch mit einer jungen Zielgruppe (ab 11 Jahren) so offen so viele ernste Themen an wie „Schneekinder“ von Andreas Langer: Krieg, Flucht, Tod und Verrat sind allgegenwärtig während der beschwerlichen Reise einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen durch das ans mittelalterliche Island angelehnte Jorland.

Der Krieg in Jorland hat die Kinder und Alten allein in den Dörfern zurückgelassen. Auf sich selbst gestellt, kämpfen sie in der rauen Natur täglich ums Überleben. Doch als eine tödliche Gefahr aus einem nahen Berg die 14-jährige Elin dazu zwingt, mit einer Gruppe verängstigter Kinder die Flucht durch Eis und Schnee anzutreten, spitzt die Lage sich zu. Nicht nur das, was ihnen folgt, bereitet der Gruppe Schwierigkeiten: Mehr und mehr brodeln interne Konflikte an die Oberfläche, die die Gemeinschaft zu zerreißen drohen. Elin, die ungewollt zur Anführerin wird, muss schwierige Entscheidungen treffen und lernen, über sich selbst hinauszuwachsen. „Schneekinder“ ist somit nicht nur eine phantastische Abenteuergeschichte, sondern zugleich ein Roman über das Erwachsenwerden.

Dem Roman gelingt es über lange Strecken hinweg, eine bedrückende und zugleich märchenhafte Atmosphäre aufrechtzuerhalten, die die großen Themen Krieg und Flucht anschaulich illustriert: Grundbedürfnisse wie Kälte und Hunger stehen neben moralischen Fragen nach Solidarität und Menschlichkeit in existenziellen Krisen. Die Gruppendynamik, die stets präsent ist, bietet daneben viel Raum für zwischenmenschliche Konflikte: Fremdheit und Empathie, Anführerschaft, Generationenkonflikte, Neid und nicht zuletzt Solidarität sind hier Thema. So viele Konflikte (und gerade so viele ernste Konflikte) auf engem Raum, dicht an dicht mit phantastischen Elementen, bedrohlichen oder überraschenden Begegnungen im wilden Jorland sowie der drohenden Gefahr im Rücken lassen den Roman manchmal etwas überfrachtet wirken – insbesondere überfrachtet mit Traumatischem: Manch eine Figur scheint einzig und allein deshalb aufzutauchen, um eine weitere Dimension des Schreckens zu veranschaulichen. Nichtsdestotrotz ist „Schneekinder“ ein beeindruckendes Buch: Offen, aber nicht schonungslos zeigt der Roman auf, was Angst mit Menschen machen kann. Die Schilderung durch die Augen der jugendlichen Protagonistin Elin, die viel zu schwere Entscheidungen treffen muss, hat etwas Anrührendes. Dass ihr Bruder Kjell daneben noch einen eigenen Handlungsstrang bekommt, der eher dem klassischen Abenteuerroman gleicht, wirkt dadurch fast nur noch wie Beiwerk.

„Schneekinder“ ist ein ehrgeiziger Jugendroman, dem vieles hervorragend gelingt, der stellenweise jedoch etwas zu viel möchte. Das besondere Setting und die überzeugende Hauptfigur machen ihn dennoch trotz kleiner Schwächen zu einem Roman, den man nicht so schnell wieder vergessen wird.

Bewertung vom 11.02.2024
Leuchtfeuer
Shapiro, Dani

Leuchtfeuer


sehr gut

Zwischen Vergangenheit und Gegenwart

Wer chronologisch erzählte Geschichten mag, sollte die Finger von Dani Shapiros „Leuchtfeuer“ lassen. Wen ein wenig Sprunghaftigkeit jedoch nicht stört und wer Wert auf glaubhafte Figuren und eine emotional berührende Handlung legt, wird diesen Roman sicher genießen.

Auf den unterschiedlichsten Zeitebenen und durch die Augen der unterschiedlichsten Figuren erzählt Dani Shapiro die Geschichte einer Familie, deren Schicksal von nur einem tragischen Ereignis geprägt ist: Ein schrecklicher Verkehrsunfall in den Teenagerjahren der Geschwister Theo und Sarah bestimmt nicht nur ihren Lebensweg vorher, sondern zugleich auch den ihrer Eltern Ben und Mimi. Anstatt die Last gemeinsam zu tragen, kämpft jeder von ihnen allein und auf seine Weise mit den Schuldgefühlen. Für Ben scheint sich schließlich ein Lichtblick am Horizont in Gestalt des Nachbarsjungen Waldo zu zeigen – ist es möglich, das Schicksal anderer auch auf positive Weise zu formen?

„Leuchtfeuer“ behandelt Themen wie Schuld und Trauma und stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie sich damit umgehen lässt – und wie nicht. Durch den ganzen Roman zieht sich das Thema des „Alles-mit-sich-selbst-Ausmachens“, das keiner der betreffenden Figuren guttut. Auf behutsame Weise lässt Dani Shapiro ihre Figuren erleben, dass die Verbundenheit mit anderen Menschen ein mächtiges Heilmittel sein kann. Die Erzählweise, die stetig zwischen Zeitebenen und Perspektiven hin und her springt, unterstreicht diese Aussage anschaulich. Zugleich ist es aber auch diese sprunghafte Erzählweise, die bisweilen eine große Distanz zwischen uns Lesenden und den Romanfiguren aufkommen lässt: Hat man sich gerade in eine Figur hineingefühlt, wechselt die Erzählung ganz woandershin. Hier und da hätte es dem Roman gutgetan, dichter an den Figuren zu bleiben, die ansonsten so überzeugend und lebensnah wie selten gezeichnet sind.

Abgesehen von dieser leichten Schwäche kann „Leuchtfeuer“ auf ganzer Linie überzeugen als ein Roman, der eine zutiefst menschliche Saite in seinen Leser*innen zum Klingen zu bringen vermag. In poetischen Worten und mit einem feinen Gespür für die menschliche Psyche zündet Dani Shapiro ein wahres literarisches Leuchtfeuer.

Bewertung vom 06.02.2024
Blood on the Tracks Bd.1
Oshimi, Shuzo

Blood on the Tracks Bd.1


sehr gut

Eine beunruhigende Story, verpackt in ausdrucksstarke Bilder

Der Auftakt zur Manga-Serie „Blood on the Tracks“ von Shuzo Oshimi wartet mit einigen beeindruckenden Zeichnungen (inkl. Farbteil) und einer spannenden Charaktereinführung auf. Einzig das Tempo der Entwicklungen holpert ein wenig, was dem vielversprechenden Manga jedoch nur wenig anhaben kann.

Der jugendliche Sei scheint ein ganz normales Leben zu führen: Er geht zur Schule, hat Freunde, verliebt sich zum ersten Mal und spielt gern mit seinem Cousin Videospiele. In seiner Familie mit der sehr fürsorglichen Mutter und dem eher abwesenden Vater fühlt er sich wohl und geborgen. Ein Leben wie aus dem Bilderbuch, könnte man meinen. Erst nach und nach stellen wir Lesenden zusammen mit Sei fest, dass das nicht ganz stimmt – ist seine Mutter nicht eher übertrieben fürsorglich?

Der Zeichenstil von „Blood on the tracks“ mit seiner klaren Linienführung und dem Fokus auf Schattierungen schafft es, die immer unbehaglicher werdende Atmosphäre des Mangas auf beeindruckende Weise bildlich festzuhalten. Man spürt eher, als dass man liest, dass etwas faul ist an der Art und Weise, wie Seis sanfte, liebevolle Mutter ihren Sohn behandelt. Mit dieser Feinsinnigkeit der Zeichnungen kann der Text des Mangas leider nicht mithalten. Auf dieser Ebene kommt so manche Entwicklung sehr plötzlich und unvermittelt, was gerade den Anfang etwas überhastet wirken lässt. Dennoch schafft es der Manga insgesamt, große Lust auf den Fortgang der Story zu machen. Das diffuse Unbehagen wird gegen Ende des ersten Bandes konkreter, und es drängt sich die Frage auf: Wie wird Sei damit umgehen?

Der erste Band von „Blood on the Tracks“ verspricht für den Fortgang der Reihe viel psychologische Tiefe, verbunden mit ausdrucksstarken Zeichnungen und einer Story, die viele Fragen offenlässt. Man darf gespannt auf die Fortsetzung sein!

Bewertung vom 06.02.2024
Die Burg
Poznanski, Ursula

Die Burg


sehr gut

Atmosphärischer Thriller mit Gruselpotenzial

Von Ursula Poznanski ist man futuristische Thriller mit vielen Twists ja mindestens seit „Erebos“ gewohnt. Ihr neuestes Werk „Die Burg“ liefert wie erwartet Hochspannung und ein überaus atmosphärisches Setting, das Vergangenheit und Zukunftsvision verknüpft. Nur mit der Figurenzeichnung will es hier nicht so recht klappen.

In „Die Burg“ bekommt der Escape-Room-Betreiber Maxim ein Angebot, das er nicht ausschlagen kann: einen Testlauf durch ein KI-generiertes Escape-Spiel in einer restaurierten mittelalterlichen Burg. Betreiber ist der Milliardär Nevio, der neben Maxim auch einen Historiker, eine Influencerin, eine Rätselexpertin und einen C-Promi eingeladen hat, das aufwendige Spiel auf Herz und Nieren zu testen. Nur scheint sich die KI bereits nach kurzer Zeit zu verselbstständigen und versperrt den Spielenden den Weg nach draußen. Aus der unterhaltsamen Rätselei mit Gruselfaktor wird ein Spiel um Leben und Tod, das realen und KI-generierten Horror miteinander verschwimmen lässt. Was steckt dahinter?

Mit ihrer meisterhaften Erzählweise schafft es die Autorin, bereits ab der ersten Seite einen Sog zu erzeugen, der Lesende bis zum Ende nicht mehr loslassen wird. Die Grundidee von „Die Burg“ (eine KI, die außer Kontrolle gerät) mag nicht unbedingt originell sein, aber Poznanskis Umsetzung des Themas berührt so viele weitere Themen (den Wert von Kulturgütern im Kapitalismus, Existenzangst, persönliche Schuld und mehr), dass eine einzigartige Melange entsteht. Dabei besticht der Roman vor allem durch die atmosphärische Schilderung der Burg und der vielen Horror-Szenarien, die die KI für ihre Besucher*innen ersinnt. Die plastischen Schilderungen von Wesen, Gerüchen, Empfindungen und Geräuschen kurbeln das Kopfkino ordentlich an und produzieren mehr als einmal Gänsehaut. Einzig die Figuren gehen in diesem Feuerwerk der Eindrücke ziemlich unter. Die meisten von ihnen bleiben blass und oberflächlich, andere so schwer greifbar, dass auch überraschende Enthüllungen am Schluss keinen echten Aha-Effekt hervorrufen können. Der Fokus von „Die Burg“ verharrt auf Atmosphäre und Handlung. In diesem Umfeld fungieren die Figuren eher als Spielsteine denn als echte Menschen.

„Die Burg“ ist ein zutiefst atmosphärischer Roman, der dem Wort „Kopfkino“ eine völlig neue Dimension verleiht. Dass die Figurenzeichnung in diesem Trubel untergeht, ist zwar schade, jedoch verzeihlich. Trotz der Oberflächlichkeit des Figureninventars ist „Die Burg“ also von der ersten bis zur letzten Seite spannend. Jedes Wort versetzt Lesende tiefer hinein in das gruselige Setting des KI-generierten Horrortrips. Nichts für schwache Nerven!

Bewertung vom 06.02.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


weniger gut

Tolles Setting, enttäuschende Story

„Schneesturm“ von Tríona Walsh könnte eigentlich eines dieser Bücher sein, die die Herzen von Hobby-Detektiv*innen höherschlagen lassen: eine einsame Insel mitten in der rauen irischen See, abgeschnitten von der Außenwelt durch einen Storm, ein mysteriöser Mord und eine Gruppe alter Freunde rund um das Opfer, die sich nach Jahren wiedertrifft – alle mit ihren eigenen Geheimnissen im Gepäck. Das implizierte Versprechen eines ausgeklügelten Plots kann der Roman jedoch leider nicht einlösen.

Dabei fängt es eigentlich gut an: Polizistin Cara muss nicht nur die Ordnung auf der Insel während des Schneesturms wahren, sondern sich auch mit ihrer tragischen Vergangenheit auseinandersetzen. Denn ihre alten Freunde sind gekommen, um den 10-jährigen Todestag von Caras Ehemann und ihrer aller Freund zu begehen. Schnell kommt die Frage auf, ob der aktuelle Mord im Zusammenhang mit dieser alten Geschichte steht. Um dem Ganzen die Krone aufzudrehen, hat einer von ihnen noch eine Filmcrew mitgebracht, die die Tragödie von damals filmisch umsetzen soll. Eigentlich Zutaten für eine spannende Geschichte, in der zwischenmenschliche Konflikte im Vordergrund stehen.

Leider zerfasert die Handlung jedoch bald in alle Richtungen: Cara scheint planlos von hier nach da zu rennen, viele Handlungsschritte wirken unmotiviert, und auch die anderen Figuren bleiben merkwürdig blass und leblos. Manche Entwicklungen kündigen sich über Seiten hinweg, andere kommen so aus dem Blauen heraus, dass man als Leser*in unwillkürlich die Stirn runzelt. Kurz: Vieles passt hier nicht zusammen. Hinzu kommt ein Stil, der so nüchtern und einfach gehalten ist, dass er bisweilen regelrecht monoton daherkommt.

Für mich hat sich „Schneesturm“ leider nicht gelohnt. Aufgrund der angekündigten Handlung und des Settings hätte das Buch eigentlich genau in mein Beuteschema fallen müssen, aber es konnte mich nicht packen. Wäre die Grundidee stringenter und klarer umgesetzt worden, hätte ich dem Roman mehr abgewinnen können.

Bewertung vom 23.12.2023
Tief im Schatten / Hanna Ahlander Bd.2
Sten, Viveca

Tief im Schatten / Hanna Ahlander Bd.2


sehr gut

Hochspannend und bedrückend

„Tief im Schatten“ ist Viveca Stens zweiter Band um die Ermittlerin Hanna Ahlander im hohen Norden Schwedens. Erneut entführt die Autorin mit sicherem Gespür für Spannungsaufbau und einem knackig-knappen Stil in den eisigen Norden und menschliche Abgründe – mit nur leichten Schwächen.

Als ein ehemaliger Skiprofi tot aufgefunden wird, nehmen Hanna und ihre Kollegen sofort mit Hochdruck ihre Ermittlungen auf und durchkämmen akribisch sein unmittelbares Umfeld. Was sie derweil nicht wissen, ist, dass ganz in der Nähe die junge Rebecka aus ihrer sektenähnlichen Gemeinde auszubrechen versucht. Was haben die beiden Fälle miteinander zu tun? Geschickt verwebt Viveca Sten die Ermittlungen mit schockierenden Enthüllungen über eine Beziehung, die nach und nach immer tiefer im Morast von Misshandlung und Kontrolle versinkt.

Die große Stärke der Autorin ist, durch kurze Kapitel und einen knappen, handlungsorientierten Stil die Spannung stets auf einem hohen Niveau zu halten. Die vielen Perspektiven, die dabei zum Tragen kommen, enthüllen nicht nur nach und nach weitere Details über den Fall, sondern auch über die Figuren, die so stetig an Tiefe gewinnen. Enorm berührend und zugleich bedrückend ist Rebeckas Geschichte: Auf sensible und authentische Weise wird erzählt, wie eine junge Frau erst nach und nach begreift, dass sie Opfer ist – und dass sie sich dagegen wehren kann. Insbesondere diese Passagen geben dem Roman viel Tiefe, während die Handlung andernorts auch mal ein wenig ins Stottern gerät. Nicht jede Entscheidung des Ermittlerteams ist wohlbegründet. Manch eine scheint eher dadurch motiviert, die Auflösung noch ein Stück weiter hinauszuzögern und noch mehr Spannung aufzubauen, was letztlich nicht ganz stimmig wirkt. Für diese leichte Schwäche entschädigen aber eine befriedigende Auflösung und das stetig hohe Spannungsniveau.

Ein spannender, teils unter die Haut gehender Krimi mit nur leichten Schwächen, den man kaum aus der Hand legen kann.