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Benutzername: 
Anne
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 42 Bewertungen
Bewertung vom 06.11.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


sehr gut

Kopftuch und iPhone sind kein Widerspruch, wie Nilufar Karkhiran Khozani in ihrem Debut-Roman "Terafik" zeigt. Darin reist ihre prägnante Ich-Erzählerin, die ebenfalls Nilufar heißt, zum ersten Mal in den Iran, das Heimatland ihres Vaters. Zu ihm hat die Protagonistin ein schwieriges Verhältnis, schließlich hat er seine Tochter und ihre deutsche Mutter allein in Deutschland zurückgelassen, als er in den Iran zurückgekehrt ist.

In ausdrucksstarken Beschreibungen springt die Autorin zwischen Nilufars Leben in Deutschland und ihrer Reise in den Iran hin und her. So erlebt man nicht nur dieses Land aus Nilufars Perspektive, sondern erhält auch nach und nach mehr Einblicke in ihre Kindheit und ihr Verhältnis zu ihren Eltern. Damit wird die Geschichte zu einer spannenden und persönlich aufrührenden Reise

Hier zeigt sich auch immer wieder, dass nichts einfach ist und Menschen komplex sind. Anhand der Briefe, die der Vater seiner Tochter in gebrochenem Deutsch geschrieben hat, wird beispielsweise deutlich, wie schw

r dem Iraner das Leben in Deutschland gefallen ist und warum er trotz der Liebe zu seiner Tochter wieder in seine Heimat zurückgekehrt ist. Dort will er nun Nilufar so viele Verwandte und Bekannte wie möglich vorstellen, sie reisen durch den Iran, treffen ständig neue Leute, tingeln von Feier zu Feier. Zwischendurch fand ich das leider etwas ermüdend - so viele verschiedene Charaktere, die man teilweise nur sehr flüchtig bei den sich immer wiederholenden Familienbesuchen antrifft. Da Nilufar kaum Persisch spricht, fällt ihr die Kommunikation mit ihren Verwandten schwer. Auch Aspekte der Kultur sind ihr fremd, warum muss der Vater zur Feier ihres Besuchs ein Lamm schlachten, obwohl sie das gar nicht möchte? Obwohl sie iranische Wurzeln hat, fühlt Nilufar sich nicht dazugehörig. Dieses Gefühl von Heimatlosigkeit zieht sich sowohl auf Seite der Tochter als auch auf Seite des Vaters durch das ganze Buch. Die Autorin beschreibt anschaulich und nachvollziehbar, wie schwer das Leben zwischen zwei Kulturen sein kann, wenn man auf keiner Seite richtige Anerkennung und Zugehörigkeit findet.

Bewertung vom 13.06.2023
Keine gute Geschichte
Roy, Lisa

Keine gute Geschichte


ausgezeichnet

Die Geschichte mag nicht gut sein, der Roman ist es aber auf alle Fälle. Mit klarer und direkter Sprache, die teils krass und aggressiv wird, zeichnet die Autorin ein schonungsloses Bild der Protagonistin Arielle in einer schwierigen Lebenslage. Sie kehrt nach einer stationären Behandlung gegen ihre Depression zu ihrer Großmutter nach Essen-Katernberg zurück. Dort ist Arielle unter prekären Umständen nach dem Verschwinden ihrer Mutter bei ihrer Großmutter aufgewachsen und so schnell abgehauen, wie möglich. Nun holt sie ihr altes Leben wieder ein. Die Geschichte gibt tiefe Einblicke in Arielles Psyche und ihre Probleme. Die Protagonistin, aber auch viele der skurrilen Nebenfiguren werden spannend und schonungslos beschrieben, sodass der Roman trotz der überschaubaren Handlung mitreißt. Ein bewegendes Lese-Erlebnis!

Bewertung vom 29.10.2022
Rosa kocht vegan
Roderigo, Rosa

Rosa kocht vegan


ausgezeichnet

Leichter Zugang zu vielseitiger veganer Ernährung! Rosa kommt in ihrem Buch genauso sympathisch rüber wie auf Instagram und präsentiert hier ebenfalls eine große Vielfalt an veganen Rezepten. Von Blaubeer-Pancakes zum Frühstück über deftiges "Hühner"-Frikasse bis hin zu Sommerrollen mit passendem Dip: Neben typischen veganen Gerichten präsentiert sie eine Vielzahl an Speisen mit Ersatzprodukten, die zum Teil überraschen und Lust machen, sich in der veganen Küche auszuprobieren.

Die Zutatenliste der einzelnen Gerichte ist überschaubar und auch die Arbeitsschritte sind gut nachvollziehbar in einfacher Sprache erklärt. Man kann den Beschreibungen wirklich gut folgen und sie sind nie länger als eine Seite. Dadurch wird vegane Ernährung leicht zugänglich. Zu jedem Gericht gibt es ein wirklich gut fotografiertes Foto, das noch zusätzlich Appetit macht.

Rosa schreibt so ähnlich, wie sie spricht, sodass man das Gefühl hat, sich mit einer guten Freundin entspannt übers Kochen auszutauschen. Eine echte Empfehlung für alle, die Rosa auf Instagram mögen, und alle, die ohne Berührungsängste kreative und einfache vegane Küche ausprobieren wollen.

Bewertung vom 29.10.2022
Die Kriegerin
Bukowski, Helene

Die Kriegerin


ausgezeichnet

Beeindruckender Roman über zwei ungewöhnliche Frauen! Lisbeth ist Floristin und hat die Grundausbildung der Bundeswehr kurz vor ihrem Abschluss abgebrochen. Dort traf und befreundete sie eine Frau, die über den Großteil des Romans nur als "die Kriegerin" bezeichnet wird. Während die Kriegerin als Soldatin in Krisengebieten eingesetzt ist, flieht Lisbeth vor ihrem Leben auf ein Kreuzfahrtschiff, auf dem sie wieder als Floristin arbeitet.

Beide Frauen tragen ganz unterschiedliche Traumata in sich und gehen auch ganz verschieden damit um. Leider wird auf dem Klappentext bereits Lisbeths größtes Trauma vorweggenommen, obwohl die Autorin es im Buch erst ziemlich spät erzählt.

Trotz der physischen Distanz bleiben sich die Frauen verbunden und treffen sich immer wieder in einer Hütte an der Ostsee. Auch dort fliehen sie genau wie in ihren Jobs vor der Realität.

Helene Bukowski zeichnet ein bewegendes Bild von zwei Frauen, die stark sein wollen und es auf ihre Art auch sind. Dabei nutzt die Autorin eine Ich-Erzählerin, die nur gegenüber Lisbeth allwissend ist. Über die Gedanken, Gefühle und Motivationen der Kriegerin erfahren wir nur, was sie tatsächlich ausspricht oder Lisbeth in ihren vielen Briefen schreibt. Dadurch entsteht beim Lesen viel mehr Nähe zu Lisbeth, während die Kriegerin verschlossener und mysteriöser wirkt. Helene Bukowski schafft so gekonnt ein Gefälle zwischen beiden Charakteren. Das Buch wird mir noch lange im Gedächtnis bleiben!

Bewertung vom 11.09.2022
People Person
Carty-Williams, Candice

People Person


ausgezeichnet

Sie haben alle denselben Vater, könnten aber sonst kaum unterschiedlicher sein: Dimple, Nikisha, Danny, Lizzie und Prynce sind sich in ihrer Kindheit einmal begegnet und dann direkt wieder auseinandergedriftet. Miteinander anfangen konnten die fünf sehr unterschiedlichen Geschwister wenig. Erst als Erwachsene kommen sie gezwungenermaßen wieder zusammen. Alle fünf sind individuelle Charaktere mit teils bizarren Eigenarten und Unsicherheiten. Das sorgt für viele Kontroversen, wenn sie aufeinandertreffen. Gleichzeitig hat Candice Carty-Williams ihre fünf Protagonist:innen mit so klarem Profil gestaltet, dass sie lebendig werden und man das charmante und stürmische Familienchaos begeistert verfolgt.

Ohne zu viel zu verraten: Ziemlich zu Beginn des Buches passiert ein Unglück, das die fünf Geschwister unerwartet zusammenbringt. Sie versuchen das Problem gemeinsam zu lösen, verbringen dadurch viel Zeit zusammen und kommen sich menschlich näher. Das Problem selbst ist ziemlich klischeehaft und die Wendung wenig überraschend - ich finde aber, dass man darüber gut hinwegsehen kann, da das Problem nur der Auslöser für das Zusammentreffen der Geschwister ist und die Dynamik und Entwicklung der fünf im Mittelpunkt steht. Und die hat die Autrin hervorragend und glaubwürdig gezeichnet.

Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, da mir die deutsche Übersetzung der teils sehr umgangssprachlichen direkten Rede in der Leseprobe etwas steif vorkam. Im Englischen hatte das Buch einen sehr guten Fluss und konnte von Anfang an mitreißen.

Bewertung vom 06.06.2022
Die sieben Männer der Evelyn Hugo
Reid, Taylor Jenkins

Die sieben Männer der Evelyn Hugo


sehr gut

Monique und Evelyn könnten unterschiedlicher nicht sein: Monique ist eine wenig erfolgreiche Journalistin, frisch getrennt und orientierungslos in Privat- und Berufsleben. Evelyn ist eine weltberühmte Hollywood-Schauspielerin, die auf eine Jahrzehntelange erfolgreiche Karriere und sieben Ehen zurückblickt. Eine interessante Konstellation: Evelyn wählt die ihr scheinbar unbekannte Monique dazu aus, ihre Biografie zu schreiben und verbringt mit ihr viel Zeit, um über ihr Leben zu sprechen.

Die Szenen, in denen Evelyn über ihre Karriere und Beziehungen spricht, fließen locker und spritzig dahin. Wir durchleben mit der Hollywood-Legende die vielen emotionalen Auf und Abs ihres Lebens. Etwas anstrengend fand ich hingegen oft die Zwischenspiele in der Gegenwart, in der beide Frauen zusammensitzen. Monique wird als übertrieben eingeschüchtert und unsicher gezeichnet. Vermutlich soll das ihren Wandel zur selbstbewussten Autorin verdeutlichen, zu der sie nach und nach wird. Aber nach einer Weile fand ich ihr unterwürfiges Verhalten Evelyn gegenüber einfach nur unangenehm.

Der Roman lässt sich im Großen und Ganzen gut weglesen, hat nicht wahnsinnig viel Tiefgang, aber unterhält gut. Er erlaubt einen Blick hinter die glamouröse Fassade einer fiktiven Filmlegende und spricht einige wichtige Themen und deren Wandel in der Wahrnehmung über die Jahrzehnte hinweg an.

Bewertung vom 13.04.2022
New York und der Rest der Welt
Lebowitz, Fran

New York und der Rest der Welt


sehr gut

Fran Lebowitz schreibt in ihren kurzen Geschichten über viel Alltägliches und Banales, das erst durch ihren spritzigen und unverkennbaren Stil zu etwas Besonderem wird. Durch ihre persönliche Brille betrachtet und seziert sie ihre Begegnungen, Arbeitserlebnisse, Reisen und Alltagsbeobachtungen, wobei ihre Persönlichkeit aus jedem Wort strahlt. Ich kann mir ohne Probleme vorstellen, dass die Texte viel Aufmerksamkeit erregt haben und fast schon revolutionär waren, als sie in den USA in den 1970ern und 1980er erschienen sind. Auch wenn die Texte jetzt erstmals auf Deutsch erschienen sind, habe ich das Gefühl, dass die Autorin in den letzten Jahrzehnten so viele andere Künstler:innen inspiriert hat, dass der Zauber des Neuen hier nicht mehr so ganz zieht. Das ändert natürlich nichts daran, dass sie wahnsinnig gut beobachtet und beeindruckend stilsicher schreibt.

Bewertung vom 27.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


ausgezeichnet

Der Roman nimmt die Leser:innen mit in den (Alp-)Traum Social-Media-Ruhm: Er erzählt die Geschichte von Melanie und ihrer Bilderbuchfamilie aus Ehepaar und zwei Kindern, die ihr scheinbar perfektes Leben auf YouTube und Instagram ausleben. Mutter Melanie ist der Motor hinter der erfolgreichen Online-Präsenz, dabei ist sie regelrecht verblendet: Sie erkennt nicht, wie unglücklich ihre kleine Tochter ist und wie sie ihr Leben zerstört. Sie ist überzeugt, dass Kimmy - genau wie ihre Mutter - die Aufmerksameit liebt und süchtig nach der Liebe fremder Menschen ist. In diesem Glauben handelt Melanie auch: Sie lässt Merchandise mit den Namen ihrer Kinder entwickeln, organisiert ihnen Autogrammstunden und hält beinahe jede Minute filmisch fest, egal wie banal sie ist.
Alles kommt zum Stillstand, als die sechsjährige Kim entführt wird. Zwischen Gesellschaftskritik und Krimi erzählt "Die Kinder sind Könige" einerseits die Suche nach dem berühmten verschwundenen Mädchen und setzt sich andererseits mit der Auswirkung von Social Media und Berühmtheit auf die Gesellschaft und speziell auf Kinder auseinander.
Die Handlung erzählt Autorin Delphine de Vigan abwechselnd aus Perspektive der Mutter und der Polizistin Clara, die in dem Fall ermittelt. Die beiden ungefähr gleichaltrigen Frauen könnten kaum unterschiedlicher sein: Die eine hat die scheinbar perfekte Bilderbuchfamilie, Geld durch lukrative Werbedeals, Ruhm und Erfolg, die andere ist Single, kinderlos, blickt auf gescheiterte Beziehungen zurück und hat mit Social Media gar nichts am Hut. Aber Clara arbeitet sich mit Empathie und Dringlichkeit in die ihr fremde Welt des Internetruhms ein. Das zeigt die Autorin u.a. anhand von Protokollen, die Clara beispielsweise zu Insta-Storys oder YouTube-Videos der Familie erstellt. Die nüchternen Beschreibungen führen die Banalität und Absurdität des Ganzen perfekt vor Augen und schaffen einen eindringlichen Kontrast zu Melanie, die diesen Content mit voller Hingabe und Überzeugung entwickelt.
Nicht nur die Auflösung der Entführung, sondern auch das Ende des Buches hat mich überrascht. Die Autorin hat aktuelle Medienphänomene kritisch beleuchtet und gleichzeitig in eine spannende Geschichte verpackt. Empfehlenswert!

Bewertung vom 14.03.2022
Die Diplomatin
Fricke, Lucy

Die Diplomatin


ausgezeichnet

Wir lernen die Protagonistin Fred, eigentlich Friederike Andermann, in Uruguay kennen. Sie sitzt auf einem scheinbar langweiligen Posten als Botschafterin, der sich plötzlich in einen diplomatischen Alptraum verwandelt. Dieses kurze Vorspiel in Südamerika dient vor allem dazu, die Charaktere zu etablieren und ein erstes Gefühl für die Diplomatin zu bekommen. Sie ist eine starke Frau in einem von Männern dominierten Bereich. Ihre einst großen Träume haben sich mit den Jahren in Ernüchterung aufgelöst und die Autorin Lucy Fricke bringt die Gedanken und Erlebnisse der Ich-Erzählerin mit feiner Ironie und einer Portion Zynismus zu Papier. Fred ist eine vielseitige Protagonistin und es macht Spaß, ihren anstrengenden Arbeitsalltag beim Lesen zu begleiten.

Der Großteil des Buches und der Handlung spielt schließlich in der Türkei, wohin Fred nach einem Zwischenspiel in Deutschland als Konsulin versetzt wird. Hier wird die Geschichte hochaktuell, denn es geht unter anderem um deutsche Journalisten und Menschenrechtler, die zu Unrecht im türkischen Gefängnis sitzen. Fred und der deutsche Botschafter bemühen sich darum, sie auf diplomatischem Wege zu befreien. Das ist enervierend, erfordert viel Fingerspitzengefühl und Geduld. Die Autorin zeigt, wie kalt und berechnend Politik und Diplomatie sein können und schafft es doch immer wieder, feinen schwarzen Humor mit der Handlung zu verweben.

Bewertung vom 06.02.2022
Misfits
Coel, Michaela

Misfits


ausgezeichnet

Kern dieses Buchs ist das Redemanuskript eines Vortrags, den Michaela Coel auf einer wichtigen Veranstaltung der britischen TV-Branche gehalten hat. Darin hinterfragt sie ihren Weg von einer Kindheit in Armut über ihr Schauspielstudium bis hin zu ihrem ersten großen Erfolg: "Chewing Gum", eine TV-Serie, die sie als Autorin und Schauspielerin entwickelte. Ihre einzelnen Erlebnisse und Schritte setzt sie in einen größeren Kontext und spricht so u.a. über Erfolg und strukturellen Rassismus. In klarer, präziser Sprache schreibt sie anschaulich über das Leben als Misfit - also als Außenseiterin oder Person, die nicht dazu gehört und mit entsprechenden Herausforderungen zu kämpfen hat. Bis sie bei ihrer TV-Show plötzlich einen ganz neuen Einfluss hat und merkt, dass sie sich plötzlich für andere stark machen und etwas bewirken kann. Der eindrucksvolle Vortrag ist eingerahmt von kurzen, lebendigen Erzählungen aus der Zeit, in der die Autorin die Rede geschrieben hat, und wie sie nachgewirkt hat.