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Frie
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Hamburg
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Leseratte

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 24.10.2023
Um 1500
Schmitz-Esser, Romedio

Um 1500


sehr gut

Ich habe mich sehr gefreut, als ich das Buch in Händen hielt. Verspricht es doch einen interessanten Ansatz zur Betrachtung der Zeit um 1500.
Vom Titel schaut uns Dürer an, anhand dessen Lebensweg wir einen Blick auf die Zeit des ausgehenden Mittelalters und den Beginn der Neuzeit werfen.
Es geht um ihn selbst, die Stadt Nürnberg, das heilige römische Reich und Europa.
Was hab ich nicht alles gelernt beim Lesen!
Jedem der 50 Kapitel ist ein Gemälde, eine Zeichnung oder ähnliches von Dürer vorangestellt.
Das wertige Papier bringt diese Abbildungen sehr gut zur Geltung.
Die Bilder sind für die jeweiligen Kapitel sehr gut gewählt und dienen mit einer Beschreibung der Inhalte oder Umstände der Entstehung als Entree für den Inhalt des Kapitels.
Allein darüber werden Dürer Fans sich freuen. Was allerdings noch besser ist: es gibt viele Zitate aus Briefen von Dürer oder anderen Schriftstücken. Wir nähern uns dem Künstler also auch über das Wort. Das ist ungewöhnlich und sehr interessant.
Da diese Zitate alle im damaligen Deutsch wiedergeben werden, hatte ich leider gelegentlich Verständnisschwierigkeiten.
Manchmal werden die Texte direkt im Abschluss in modernes Deutsch übersetzt; da war ich schon ein paarmal erschrocken, was ich verstanden hätte und was dann der Inhalt war. Ich hätte die durchgehende Übersetzung gebraucht.
Der Autor ist Professor für mittelalterliche Geschichte. Das merkt der Laie durchaus.
Obwohl er im Vorwort einen unkomplizierten Zugang verspricht, wäre ich ohne Suchmachine aufgeschmissen gewesen.
Das betrifft einzelne Begriffe, wie auch ganze Kapitel, bei denen mir zum Teil das Hirn rauchte.
Dazu schafft es der Autor, sperrige Sätze zu produzieren und diese mit sehr modernen Begriffen auszuschmücken, bei denen man denkt: hat er das jetzt wirklich geschrieben bzw. gemeint oder ist das ein Druckfehler...
Hat er so gemeint!
Zum Teil entsteht der Eindruck, daß Buch sei von verschiedenen Personen geschrieben. Da hätte das Lektorat eingreifen müssen.
All dessen ungeachtet bin ich begeistert von dem Buch und werde es gleich verschenken (natürlich nicht mein gelesenes Exemplar).
Das Buch wird einen dauerhaften Platz in meinem Bücherschrank finden (was durchaus nicht immer so ist).
Wer sich für die Zeit um 1500 interessiert und Dürer gut findet, der wird dieses Buch auf jeden Fall mögen, auch ohne Geschichtsstudium.
Es gibt 4 Sterne und eine Leseempfehlung von mir.

Bewertung vom 05.10.2023
Ein Hof und elf Geschwister
Frie, Ewald

Ein Hof und elf Geschwister


ausgezeichnet

Natürlich muss ich das Buch lesen, dessen Autor meinen Spitznamen als Nachnamen trägt und welches mit Familie zu tun hat, bin ich doch Hobby-Ahnenforscherin.
Frie beschreibt die Abläufe und Veränderungen auf dem elterlichen Hof aus Sicht seiner Geschwister. Da 25 Jahre den Ältesten und die Jüngste der Geschwister trennen, erleben wir in diesen Schilderungen den Wandel der bäuerlichen Welt im 20. Jahrhundert. Obwohl es ein Sachbuch ist, ist das Ganze wirklich spannend zu lesen. Frie verwebt die Familien- mit Zeitgeschichte und bindet auch immermal Fakten mit ein, die dem Verständnis dienen.
Für mich ist das alles sehr interessant, obwohl ich mit Landwirtschaft nichts zu tun habe. Ob es Rinderleistungsschauen, Hintergründe der Veränderung der Zahl der MitarbeiterInnen auf den Höfen oder der Einfluss von Bafög auf die Berufswahl der Kinder von Landwirten, ich habe ganz viel dazu gelernt. Das Buch hat zurecht den Sachbuchpreis 2023 gewonnen. Ich empfehle es gerne.

Bewertung vom 05.10.2023
Tränen, Liebe, Lebensgier
Hagen, Kimberly

Tränen, Liebe, Lebensgier


ausgezeichnet

Kimberly (Kim) Hagen verliert nach einer Routine-OP ihrem Mann und wird mit gerade mal 40 Jahren zur Witwe.
In Tränen, Liebe, Lebensgier lässt sie uns in Tagebuchform, an ihrem Trauerjahr teilhaben.
Der Einband des Buches ist schön gestaltet: von einem petrolfarbenen Grund blickt uns eine bunte, stilisierte Llbelle an.
Das Buch ist sehr flott, zum Teil mit deutlich junger Sprache geschrieben. Die Autorin beherrscht als Kolumnistin den Aufbau einer Geschichte und liefert auch mal einen unerwarteten Twist.
Wie schon der Titel vermuten lässt, hat Kim ihre sehr eigene Art mit der Trauer umzugehen. Sie hat ein Umfeld, dass ihre unkonventionelle Herangehensweise trägt und unterstützt. Es ist mutig, dies alles öffentlich zu machen: ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die das alles nicht verstehen. Neben sehr traurigen Stellen gibt es Gelegenheit zum Lachen und Grinsen.
Ich finde das Buch sehr interessant, da es mir zeigt, wie anders ein Weg in Trauer sein kann, als z.B. meiner war (ich habe vor gut 3 Jahren meinen Vater verloren). Kims Lebenslust und -energie springt einen förmlich aus dem Buch an, dem konnte ich mich nicht entziehen.
Das Buch kann ein Geschenk für Menschen sein, die ihre PartnerIn verloren haben, aber da muss man genau schauen, ob es passt.
Mir hat das Buch gut gefallen und ich empfehle es gerne.

Bewertung vom 26.02.2023
Malvenflug
Wiegele, Ursula

Malvenflug


sehr gut

Ein hübsch eingebundenen Buch hält man in Händen; zu sehen eine Abbildung eines Fresco aus Prima Porta. Der Titel macht neugierig, habe ich doch Malven beim Fliegen noch nie betrachtet.
Das Buch startet mit einem Personenverzeichnis; das kann man gut gebrauchen, besteht doch der erste Teil des Buches aus kurzen Leseabschnitten, in welchen verschiedene Mitglieder der Familie Prochazka Einblick in ihr Leben und ihre Gedanken zwischen 1940 und 1945 geben. Emma lebt getrennt von ihrem Mann Pavel, welchen sie inflagranti erwischt hatte. Sie nimmt eine Stelle in Davos an und lässt ihre vier Kinder zurück. Wir erfahren, wie es denen mitten im Krieg und voll unter Einfluss des dritten Reiches geht. Weder die Kirche, noch die Schule oder die Großeltern können das Fehlen beider Elternteile auffangen. Jedes Kind entwickelt sein eigenes Muster, das auszuhalten.
Der zweite Teil beschreibt die Jahre nach dem Krieg bis ins heute und ist aus der Sicht der ältesten Tochter, Helga geschrieben. Ein regelmäßig stattfindenes Familientreffen steht an, an welchem die Mutter erstmals nicht teilnehmen will.
Der erste Teil des Buches mit seinen Schlaglichtern auf einzelne Personen erinnert mich an 'Tell' von Schmidt. Die zurückhaltende, distanzierte Beschreibung lässt viel Raum für eigene Gedanken. So habe ich mich gefragt, warum sich die Mutter quasi um die Treffen mit den Kindern 'drückt' und welche emotionalen Lücken das in der Entwicklung der Kinder hinterlässt.
Dadurch, dass Wiegele das Buch ihren Großeltern mütterlicherseits widmet gehe ich davon aus, daß sie ihre Familiengeschichte darin einfließen lässt. Da ich selbst Ahnenforschung betreibe, finde ich den Ansatz spannend und verstehe aber auch die fühlbare Distanz zu den Protagonisten. Ein bisschen muss man sich die Geschichte der Familie ja auch vom Leib halten, damit sie einen nicht überrollt. Ich bin mir sicher, dass die Autorin die Nachwehen dieser Geschehnisse 'spürt. Es ist ein leise erzähltes Buch mit einem versöhnlichen Ende. Ein Lesebändchen hätte ich schön gefunden, da das Buch auch ein Geschenk sein könnte. Für mich eine Leseempfehlung mit 4 Sternen.

Bewertung vom 03.01.2023
Codename: Sempo
Neuenkirchen, Andreas

Codename: Sempo


sehr gut

Andreas Neuenkirchen hat ein Buch über Chiune "Sempo" Sugihara geschrieben. Ein Diplomat, der seine Stellung als japanischer Vizekonsul in Litauen nutzte, um Juden mit Reisedokumenten zu versehen, die diesen zur Flucht in ungefährlichere Länder verhelfen sollten. Man geht davon aus, dass heute ungefähr 250.000 Nachkommen von diesen Geflüchteten leben. Das ist die wichtigste und eine beeindrucke Zahl.
Es gibt nicht so viele Quellen über Sempo, so dass es schwer fällt, ihm in den Schilderungen wirklich nahe zu kommen.
Ein bisschen fühlte ich.mich wie mit der Lupe vor einem Insekt.
Neuenkirchen hat versucht, die Fakten interessant aufzubereiten; ein Roman ist es nicht, aber eine lesbare Biographie.
Sempo hatte ein spannendes Leben, wurde nach dem Krieg aus dem diplomatischen Dienst entlassen und musste 'kleine Brötchen' backen. Erst spät wurde ihm Ehrung für seine Taten zuteil. Heute ist er in Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet.
Ich kenne die Namen des deutschen Widerstandes und verschiedene Bücher über diese besonderen Menschen. Ich kannte bisher kein Buch über einen Japaner, der der Judenverfolgung etwas entgegen gesetzt hat. Das Buch hat mich also schon grundsätzlich interessiert. Es ist auch ein Blick in eine andere Kultur; das ist spannend. Traurig zu lesen, wie weit der Arm des Naziregiems reichte; aber ohne Menschen wie Sugihara hätte diese Zeit noch mehr Leben gefordert. 4 Sterne für das Buch mit dem ungewöhnlichen Einband.

Bewertung vom 15.11.2022
Die Tochter der Hungergräfin
Spratte, Annette

Die Tochter der Hungergräfin


sehr gut

In einer Zeit, zu der die Buchhandlung voll liegen mit Romanen auf denen Frauen von hinten oder von der Seite zu sehen sind und die irgendwelche reißerischen Überschriften haben, kann ein solches Buch untergehen. Es gab sie aber tatsächlich, die Hungergräfin; sie wurde in einem anderen Buch bereits ausführlich beschrieben und ist auch über Wikipedia und ähnliche Quellen recherchierbar. Annette Spratte hat sich mit ihr beschäftigt und ein Buch über ihre älteste Tochter geschrieben. Die Informationen über die Protagonistin, Ernestine von Sayn und Wittgenstein sind wohl rar gesäht. Spratte hat das Vorhandene genutzt und sich für Ernestine ein mögliches Leben erdacht. Dabei waren vielfach Rückbezüge auf das besser dokumentierte Leben der Mutter möglich. Herausgekommen ist kein wissenschaftliches Buch sondern ein gut lesbarer Roman, der Interesse an den handelnden Personen weckt. Schön herausgearbeitet ist m.E. die mögliche Entwicklung zu einer fortschrittlichen Regentin unter dem sicherlich mächtigen Vorbild der ungewöhnlichen Mutter. Ernestine wurde im 30 jährigen Krieg geboren und Spratte nimmt sich die Zeit, auch Auswirkungen dieses Krieges auf Land und Leute zu beschreiben. Ungewöhnlich spät heiratet Ernestine einen besonderen Mann. Dieser hätte vielleicht ein eigenes Buch verdient; ich kannte ihn bisher gar nicht. Angenehm ist, dass weder ein Liebesroman daraus wurde noch ein trockener Schinken. Spratte kann gut erzählen und so mag man das Buch nicht aus der Hand legen.
Für mich ist das solide Unterhaltung, die ich gerne mit 4 Sternen bewerte.

Bewertung vom 18.09.2022
Eine Hochzeit in der Provinz
Rothschild, Emma

Eine Hochzeit in der Provinz


sehr gut

Rothschild ist Wirtschaftshistorikerin und hat ein Buch über eine französische Familie geschrieben. 1995 besuchte sie den Ort das erste Mal; 2021 ist das Buch in England erschienen und liegt nun in einer deutschen Übersetzung vor. Rothschild verfolgt die Familie vom 18. bis ins 20. Jahrhundert und erwähnt auch weitere Bewohner des Ortes Angouleme.
Ausgangspunkt ist ein Ehevertrag mit 83 Unterschriften. Das weckte wohl die Neugier der Autorin; immerhin handelt es sich nur um einen kleinen Ort in der Provinz. Es kann aber auch der Erzbischof gewesen sein, der in der 5. Generation als Einziger aus der Familie weltweite Bekanntheit erlangte.
Der schöne Einband und neugierig machende Titel sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich um ein Sachbuch mit detaillierten Beschreibungen der recherchierten Verhältnisse der einzelnen Personen handelt. Das ist manchmal sehr gut zu lesen aber auch häufig anstrengend, wenn alle 'Umstände' der Personen zum Teil wieder und wieder erwähnt werden. Als Nichtakademikerin habe ich jetzt Hochachtung vor Wirtschaftshistorikern. Das Buch ist in mehrfacher Hinsicht hochinteressant: ich wusste zuvor nicht, dass völlig normale Menschen zu dieser Zeit rege Reisetätigkeiten in die Kolonien hatten und dort auch mehrere Jahre lebten und arbeiteten. Zudem kannte ich den Reichtum der Kirche in Frankreich nicht und war überrascht, wie viele derer Grundstücke nach der Revolution bei den Bürgern landeten. Als Hobby Ahnenforscherin bin ich ein bisschen neidisch darauf, welche Quellen die Autorin beiziehen konnte und was sie alles zu Tage gefördert hat. Schön finde ich, dass die Abbildung des 'auslösenden' Dokuments, ein Lageplan und ein Stammbaum das Buch ergänzen. Ich habe trotzdem den Überblick über die vielen Personen verloren. Der umfangreiche Anhang mit Quellenangaben ist für Geschichtswissenschaftler bestimmt interessant und lässt eine deutliche Vertiefung der Inhalte zu.
Ich werde dieses Buch behalten und es in einigen Jahren zu Rate ziehen, wenn ich die Ergebnisse meiner Ahnenforschung zu Papier bringen möchte. Ich stelle fest, wie wichtig das exakte Zitieren von Quellen ist und wie interessant Abweichungen sein können. Vielleicht komme ich dann Dank Rothschild auch auf die Shortlist des Cundill History Prize :)
Für Menschen mit Interesse an Geschichte, Frankreich und/oder Ahnenforschung kann ich dieses Buch empfehlen. Ich habe wirklich etwas dazu gelernt. Von mir gibt es 4 Sterne für das Sachbuch.

Bewertung vom 17.09.2022
Der Himmel über Sachsen
Hultsch, Wolfgang

Der Himmel über Sachsen


gut

Wolfgang Hultsch schreibt die Lebensgeschichte seines Großvaters auf Basis von dessen Tagebüchern. Ergänzt wird der Text durch eigene Internetrecherchen des Autors.
Die Geschichte ist plastisch erzählt: zu gerne würde ich die in der Werkstatt gefertigten Pyramiden sehen oder erfreue mich an Neujahrskarten oder vergoldeten Nüssen. Die Sitte mit Geldgeschenken an Fremde, wenn sie an Neujahr Glückwünsche aussprechen, war mir gänzlich neu. Auch von einem Bienenkorb aus Makronenteig hatte ich noch nie gehört. Die Hinweise zum Kriegswillen in der Gesellschaft sind deutlich herausgearbeitet. Die Anzahl der Päckchen von zuhause während des Krieges hat mich sehr gewundert. Ich habe etwas gelernt und mich überraschen lassen.
Diese Teile des Buches gefallen mir sehr gut.
Es gibt örtliche Gemeinsamkeiten mit meiner Vita: Meißen, Leipzig, München. Oder auch ähnliche Erfahrungen, z.B. mit den Festen der schlagenden Verbindungen.
Ich wollte das Buch wirklich mögen.
Leider gibt es aus meiner Sicht sehr gewichtige Kritikpunkte:
Nicht gefallen haben mir z.B. ausführliche Passagen zum Betrieb der Familue de Großmutter; der seitenlange Einschub zu einer Sängerin (woher stammen diese Informationen?).
Mir war während des Lesens also nicht immer klar: was ist Tagebuch, was Internetrecherche, was Ergänzung des Autors (so auch Seite 144 oder 146).
Die Rolle des Großvaters im Zusammenhang mit dem Einmarsch nach Österreich ist mir zu unklar beschrieben: die Aufgabe seiner Einheit war u.a. die Verhaftung bekannter Nazigegner!
Damit kommen wir zum m.E. kritischten Punkt: Widerstand und 'stiller Held': Von 260 Seiten nimmt dieser Teil im Buches gerade mal 13 Seiten ein.
Als Beispiel wird ein Brief eines Juden an Hultsch von 1945 herangeführt.
Leider haben sich gerade zum Ende des Krieges Deutsche Briefe von Juden schreiben lassen, dass sie geholfen haben oder ähnliches, damit diese es nach dem Ende des Krieges leichter haben (bei der Entnazifizierung wurden solche Dokumente dann herangezogen). Einen solchen Brief als Beweis für Unterstützung von Juden anzuführen sehe ich deshalb kritisch. Es gefällt mir auch nicht, dass alles andere zum Widerstand eigene Wahrnehmung ist. "Seit 1934 gehörte ich der Widerstandsbewegung an"... dieser Satz steht so im Raum: woran wird das fest gemacht?
Und dann noch die Geschichte mit dem Bild aus dem Familienbesitz, welches am Ende aus einer jüdischen Familie stammt. Es soll keine Raubkunst sein; das wird nicht belegt, nur so geschrieben: das ist mir zu dünn.
Es kann nicht jeder Großvater ein Held sein; muss er auch nicht. Aber wenn man bei einer Biographie jemanden als Helden betitelt oder den Widerstand gegen das dritte Reich auf dem Cover benennt, dann muss dieser Teil Raum im Buch einnehmen und es müssen hieb- und stichfeste Beweise geliefert werden. Das leistet dieses Buch nicht. Das ist enttäuschend. So werden es gerade noch 3 Sterne.

Bewertung vom 05.09.2022
Isidor
Kupferberg, Shelly

Isidor


sehr gut

Wie kann man in Deutschland leben, wenn die eigene Familie derartiges hat erleben müssen unter der Nazi Herrschaft?
Ab von den Gräueltaten in den Lagern haben sich leider die Schattenseiten vieler Menschen auch an anderen Stellen gezeigt.
Shelly Kupferberg wählt einen distanzierten Tonfall, wenn sie diese Geschichten erzählt. Vielleicht ist es auch anders nicht auszuhalten, wenn es die eigene Familie betrifft.
Ganz anders allerdings hat die Geschichte begonnen: Israel Geller streift das enge und arme Kleid seiner galizischen Herkunft ab und steigt als Isidor in Wien zum Kommerzialrat auf. Er wird sehr reich und zeigt gerne seine Bildung und sein Vermögen. Kupferberg recherchierte in verschiedenen Quellen und kann z.B. beweisen, dass Isidor, der in den Erzählungen der Familie ein ewiger Junggeselle war, tatsächlich 2x geheiratet hatte. Das Buch ist gut zu lesen und die Autorin hat einen schönen Schreibstil.
Neben Isidor erfahren wir auch mehr über seinen Neffen Walter. Dieser wird den Holocaust überleben und für eine Reise nach Wien zurückkehren. Dort muss er Jahre später erneut erfahren, wie abgründig und gierig Menschen sind. Er bricht den Aufenthalt ab. Auch die Lebensgefährtin Isidors ist eine interessante Persönlichkeit und mit weiteren bekannten Menschen verbunden. Mir zeigte es einmal mehr, wie vernetzt die Welt ist. Gerne hätte ich zumindest das Exlibris Isidors abgebildet gesehen; es wird mehrmals erwähnt.
Wer das dritte Reich am Schicksal einzelner Menschen bzw. einer jüdischen Familie kennenlernen will, der hat mit diesem Buch die Gelegenheit dazu. Diese Zeit hat jüdische Menschen körperlich und seelisch gebrochen zurück gelassen. Es ist immer wieder ein unbegreifliches Wunder, wenn jemand überlebt hat. Diese Geschichten gehören erzählt, damit wir das alles niemals vergessen.

Bewertung vom 14.08.2022
Selenskyj
Derix, Steven;Shelkunova, Marina

Selenskyj


gut

Steven Derix, Journalist und ehemaliger Korrespondent für Russland, die Ukraine und Weißrussland und Marina Shelkunova, Rechercheurin und Unterstützerin von Organisationen für Menschenrechte in Russland haben eine Biographie über Selenskyj geschrieben.
Diese umfasst im wesentlichen den Zeitraum nach seinem Jurastudium bis heute; Kindheit und Jugend werden auf wenigen Seiten zusammengefasst.
Das Buch ist gut und schnell lesbar.
Neben einer Beschreibung des ukrainischen Präsidenten werden immer wieder politische Entwicklungen der jeweiligen Jahre mit eingeflochten, so dass Selenskyjs Leben in die Geschichte seines Landes eingebettet wird.
Die Informationen für das Buch haben die Autoren den Quellen von Zeitungsartikeln, Originalberichten von Nachrichtenagenturen, Interviews und Literatur in Ukrainisch, Russisch und anderen Sprachen entnommen; auch Videomaterial wurde ausgewertet. Es wurde kein Interview mit Selenskyj oder einer ihm nahestehenden Person geführt. Am Ende des Buches findet sich ein Literaturverzeichnis, welches die ukrainischen und russischen Quellen in kyrillischer Schrift wiedergibt und somit nur für den Kenner slawischer Sprachen zu gebrauchen ist.
Der Mensch Selenskyj bleibt für mich weitgehend im Dunkeln. Erfahren habe ich, was Dritte über ihn denken und wie er auf diese wirkt. Da ich online zwei Tageszeitungen und eine weitere gelegentlich papierhaft lese, war ich über den Lebensweg Selenskyjs informiert; wirklich Neues habe ich nicht erfahren. Seine Jahre als Komiker waren mir im Detail nicht so bekannt.
Ich hatte mir von dem Buch mehr erwartet und kann es eher Leser:Innen empfehlen, die sich mit Selenskyj bisher wenig beschäftigt haben und das ändern möchten.
Für mich sind es 3 Sterne.

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