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CK
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Raum Stuttgart

Bewertungen

Insgesamt 135 Bewertungen
Bewertung vom 03.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


ausgezeichnet

Heftig, hoffnungsvoll und berührend:
Glück findet von Zeit zu Zeit sogar in den achtzehnten Stock


Wanda lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie im achtzehnten Stock eines Hochhauses. Eigentlich ist sie Schauspielerin und träumt von der großen Karriere. Aber manchmal läuft das Leben anders als erhofft. Sie hangelt sich so durch, mehr schlecht als recht.
Doch als sie unerwartet eine einmalige Chance bekommt, lernt sie plötzlich eine neue Welt kennen, in der Geld keine Rolle spielt und Türen immer offenstehen. Wirklich? Kann sie das alte Leben wirklich einfach so hinter sich lassen?
Mir hat er Schreibstil und überhaupt die ganze Story unheimlich gut gefallen. Ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Für mich war das schon so ein kleines Highlight zu Anfang des Jahres!

„Sollen die doch alle denken, was sie wollen. Glück lässt sich von Pisse im Treppenhaus nicht abschrecken, Glück findet von Zeit zu Zeit sogar in den achtzehnten Stock.“

„Adam lacht und ruft mir hinterher: »Vergiss nicht, woher du kommst!«, und ich rufe über die Schulter zurück: »So was kann man nicht vergessen, egal, wie sehr man es auch versucht.«“

„Das ist meine Chance, und ich fresse das Glück in mich rein, bevor es mir irgendjemand wieder nehmen kann.“

„Ich habe nichts mehr zu verlieren, ich bin wie eine offene Wunde, aber ich blute nicht mehr. Ich habe den Schmerz domestiziert. Es ist alles Gottes Plan. Er will mich testen, er will sehen, wie weit ich gehe. Ich muss ihm vertrauen, er hat mich nicht vergessen, denn egal, wie dunkel die Nacht ist, irgendwann gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit, und eines Tages wird sich der Himmel öffnen und der Geist Gottes wie eine Taube auf uns herabkommen. Irgendwann wird alles Sinn machen.“

„Er sei sich ganz sicher, und einer nach dem anderen dreht sich zu mir um und kriegt den Mund nicht mehr zu. Nicht wegen mir. Sie sehen mich gar nicht, sie sehen sich selbst. Wenn ich es geschafft habe, dann können sie es auch. Ich wollte nie ein Vorbild sein, doch vielleicht hat Aylins Mama recht, vielleicht bin ich eine von ihnen, vielleicht ist zwischen uns etwas, das größer und tiefer ist als ich selbst, und ich kann endlich etwas zurückgeben.“

„Wir trinken auf das neue Jahr. Das alte war beschissen, aber das neue wird ganz groß. Das neue Jahr wird unser Jahr. Niemand wird uns je wieder vergessen. Das Haus ist ein Mahnmal, ein Mittelfinger, der in den Himmel ragt und unübersehbar an uns erinnert, an uns und all die anderen, die keiner sehen wollte.“

Bewertung vom 03.02.2025
Wenn wir lächeln
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


ausgezeichnet

Geschichte einer Freunschaft – Hat mich leider nicht berührt

"Wenn wir lächeln" von Mascha Unterlehberg hatte mich aufgrund des wirklich wunderschön gestalteten Covers sofort angesprochen, auch der Klappentext klang sehr vielversprechend. Ich wollte es also wirklich gerne mögen, aber ... Das Buch konnte mich dann leider nicht überzeugen.

Erzählt wird hier die Geschichte von Jara und Anto, die eine nicht ganz einfache Freunschaft verbindet. Trotz aller Nähe und des Zusammenhalts ist da auch immer wieder Neid, Zweifel und Angst. Die beiden sind sehr aufeinander fixiert, sehr eng miteinander, obwohl sie offenbar aus unterschriedlichen sozialen Schichten kommen. Die Schwesternschaft der beiden steht über allem, sie teilen alles, auch ihre Gewaltfantasien. Jeden Abend gibt es einen neuen Plan, sie glauben, alles im Griff zu haben. Bis ihnen Stück für Stück die Kontrolle entgleitet. Und nun bleibt die Frage: Wohin mit all der Wut? Die Freunschaft nimmt kein gutes Ende ...

Ich fand den Schreibstil größtenteils ziemlich anstrengend und teilweise auch verwirrend. Die Zeit- und Themensprünge fand ich persönlich nicht so gelungen.

Ein paar gute Stellen gab es schon:

"Wenn wir in den Bars sitzen und die Blicke auf uns spüren, dann erinnern wir uns, erinnern sich unsere Körper daran, wie es war, als uns die Blicke das erste Mal trafen. Wie aufregen das war, wie schmeichelhaft: fremde Blicke von fremden Männern, die schon viel gesehen haben mussten, so viel älter als wir, und uns trotzdem für würdig befanden, und sagen, und wir wurden größer dabei und erwachsener und wurden es doch nicht."

"Wir stehen dann auf, wir drehen uns um, und wenn wir können, dann lächeln wir. Wir lächeln, wir lehnen uns aneinander, wir erwidern die Blicke. Wir warten."

"Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass andere ihre Mutter nicht wirklich hast. Sie will nicht, dass ihre Mutter tot ist, auch wenn Sie diese ganzen schlimmen Witze macht. Anto wünscht sich etwas, von dem sie weiß, dass sie es nicht bekommt. Ich denke, dass das immer so ist, für alle Menschen: dass es eine einzige Person gibt, von der man unbedingt zurück geliebt werden will, und meistens ist das die Person, die einem nicht das Gefühl gibt, besonders wichtig zu sein."

Doch abgesehen von ein paar guten Fragmenten, konnte mich das Buch sehr zu meinem Bedauern nicht abholen. Die Art und Weise, wie hier die Themen patriarchale Gewalt, erste Gefühle, Sexualität, Schwesternschaft und Klassenunterschiede bearbeitet wurden, hat leider nicht meinen Geschmack getroffen. Die Themen wurden oft nur angedeutet, angerissen - aber es hat mich leider nicht berührt.
Die Protagonistinnen sind mir fremd geblieben, ich konnte keinen Bezug zu ihnen und ihren Handlungen und Gedankengängen herstellen (bis auf einige wenige Stellen). Ich konnte die Geschichte einfach nicht fühlen. Manche Autor*innen berühren einen eben mit ihren Worten, andere nicht.
Bei diesem Buch war es leider so, dass ich hier keinen bleibenden Mehrwert für mich feststellen konnte. Da gibt es meiner Meinung nach aktuell viele bessere Bücher und Autor*innen - aber das ist natürlich immer individuelle Geschmackssache.

Bewertung vom 01.02.2025
Mehr als binär
Vaid-Menon, Alok

Mehr als binär


ausgezeichnet

Wichtiges und kluges Buch: Für mehr Vielfalt und Offenheit


"Mehr als binär“ von Alok Vaid-Menon ist ein sehr wichtiges und toll gestaltetes Buch, das uns alle einlädt, über die Kategorien "Mann" und "Frau" hinauszudenken. Das Buch können/sollten alle lesen, die sich mit dem Alltag von nicht-binären und gendernonkonformen Menschen befassen möchten oder für diejenigen, die selbst noch auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind.
Das Buch ist einerseits sehr persönlich, da es viel von Aloks eigener Lebensgeschichte und seinem Werdegang zu sich selbst erzählt. Gleichzeitig ist es aber auch ein sehr politisches und aktuelles Buch, da es von Vorurteilen und Vorwürfen berichtet, mit denen gendernonkonforme Menschen jeden Tag zu kämpfen haben.

Das Buch ist zwar relativ kurz, enthält aber wirklich jede Menge kluger Worte und Gedanken. Es ist eine gute Grundlage, um sich Gedanken darüber zu machen, was allgemein als "normal" angesehen wird. Besonders wenn sich jemand bisher noch nicht mit diesem Thema befasst haben sollte, gibt es hier wirklich gute Denkanstöße, um seinen Horizont zu erweitern.

Das Buch wurde ganz großartig übersetzt von Linus Giese und Charlotte (Luca Mael) Milsch. Auch die wunderschönen und farbenfrohen Illustrationen von Julius Thesing sind ein echtes Highlight dieses insgesamt großartigen Buchs. Von mir bekommt es eine ganz klare Leseempfehlung!

"Was mir so schmerzlich bewusst ist: zwischen dem, was Menschen sehen, und dem was ich tatsächlich bin, gibt es einen großen Unterschied. Die tödlichste Waffe des Menschen ist nicht die Faust; es sind die Augen. Was Menschen auffällt und wie sie etwas bewerten, hat etwas mit Macht und Machtverhältnissen zu tun."

"Das gesamte Publikum lachte mich aus.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bewusst Scham empfunden habe. "Jungen tun so etwas nicht", sagten meine Klassenkamerad* innen. Ich konnte nicht verstehen, wie etwas, dass mir so viel Freude bereitete, von anderen so abgewertet werden konnte.
Jungen tun was genau nicht? Tanzen, fühlen, Purzelbäume schlagen?
Was Geschlecht bedeutete, lernte ich über Scham. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise war beides für mich untrennbar miteinander verbunden."

"Wir sind gleichzeitig zu viel und niemals genug. Das Problem sind immer wir. Doch vielleicht sind wir das gar nicht Strich. Vielleicht ist das ganze Geschlechtersystem das Problem. Welchen Definitionen glauben wir überhaupt? Die binäre Geschlechterordnung ist so angelegt, dass wir alle zwangsläufig daran scheitern."

"Wir wünschen uns eine Welt, in der alle Menschen, ungeachtet ihre Erscheinung, mit Würde und Respekt behandelt werden - eine Welt, in der dieser Faktor keinen Einfluss auf die Sicherheit, Arbeitschancen und Möglichkeiten im Leben hat. Wir wünschen uns eine Welt, die die Vielseitigkeit von allen und allem zu schätzen weiß - eine Welt, in der Veränderungen nicht unterdrückt, sondern gefeiert werden. Wir wünschen uns eine Welt, in der Menschen eine Bedeutung haben, die völlig losgelöst von ihrer Geschlechtsidentität ist."

Bewertung vom 30.01.2025
Riot, don't diet!
Lechner, Elisabeth

Riot, don't diet!


ausgezeichnet

Die Zukunft ist widerspenstig: Ein Aufstand gegen „Schönheitsnormen“

„Riot, don’t diet! Aufstand der widerspenstigen Körper“ von Elisabeth Lechner ist ein herausragendes Buch, dessen Wichtigkeit ich gar nicht genug betonen kann!

Wer in unserer Gesellschaft nicht der „Norm“ entspricht, weil sie/er dick, haarig, queer, alt, ein Mensch mit Behinderung oder eine Person of Colour ist, wird häufig marginalisiert, gemobbt und ausgegrenzt. Doch wer definiert eigentlich „Schönheit“ und wem nützt dieser „Zwang“ zur ständigen Selbstoptimierung?
Das Buch ist in die Kapitel „DICK“, „SCHWARZ“, „HAARIG“ „QUEER“, „BEHINDERT“ und „ALT“ unterteilt. Zu jedem Kapitel bringt lässt Elisabeth Lechner eine Theorie vor, welche dann mit ganz konkreten Beispielen ergänzt wird, auch lässt sie immer verschiedene AktivistInnen zu Wort kommen.
Oft wird hier der Kapitalismus kritisiert, da besonders die Schönheitsindustrie vom permanenten Wunsch nach „Verbesserung“ der Menschen profitiert. Doch auch Ansätze wie die „Body Positivity“ -Bewegung werden beurteilt und auf ihre Stärken und Schwächen untersucht.
Am Ende des Buchs legt sie einen ermutigenden 5-Punkte-Plan vor, wie echte Solidarität aussehen kann und wie wir ALLE unseren Begriff von Schönheit hinterfragen können.

Dieses Buch kann ein Augenöffner sein. Es ist ein Aufruf, uns selbst und andere mit anderen Augen zu sehen:

"Um Sehgewohnheiten nachhaltig zu verändern, braucht es nicht nur eine viel diverse mediale Repräsentation aller Körper, sondern auch einen veränderten Umgang mit uns selbst."

"Auch wenn ihr nicht von Diskriminierung aufgrund eures Äußeren betroffen seid, ja gerade dann, wenn ihr von diesen Strukturen profitiert, fangt an mitzudenken, wie es anderen geht und helft mit, die Welt inklusiver und für alle lebenswerter zu machen. Tragt bei zu einer Welt, in der die Rolle des Aussehens, gerade von Frauen, gar nicht mehr so wichtig ist, und überlegt euch zum Beispiel, wofür ihr Menschen Komplimente macht. Sind es immer Oberflächlichkeiten, oder feiert ihr eure Freund*innen auch für ihren Humor, ihren Scharfsinn und ihre Eloquenz? Es geht hier absolut nicht um Verbote, sondern nur um ein Bewusstmachen, in welcher Situation Äußerlichkeiten vor Kompetenzen und Zwischenmenschlichem zum Tragen kommen - und um ein stückwwises Loskommen von diesen Strukturen."

"Die Zukunft ist widerspenstig. Ihr ist egal, wie dein Körper aussieht."

Bewertung vom 28.01.2025
Digitale Diagnosen
Wiesböck, Laura

Digitale Diagnosen


ausgezeichnet

"Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend" von Laura Wiesböck ist ein hochaktuelles und sehr wichtiges Buch. Aktuell ist es im Trend, dass sich Menschen selbst Diagnosen für psychische und neurologische Erkrankungen stellen:
"Die Fülle der Informationen und ästhetisierten Bilder im Bereich psychischer Krankheiten ist verbunden mit dem Trend, dass ich immer mehr Nutzer:innen selbst eine Diagnose stellen, ohne medizinisches Fachpersonal zu konsultieren."

"Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn der Schmerz über den Verlust einer nahestehenden Person als Krankheit klassifiziert wird? Ist Traurigkeit mittlerweile zu einem Symptom worden, dem es lösungsorientiert zu begegnen gilt? Welche Funktion erfüllt die Schematisierung und Pathologisierung von leidvollen Erfahrungen? Und was hat Gereiztheit mit psychischer Gesundheit ("Mental Health") zu tun? Ist ein dünnes Nervenkostüm nicht ein nachvollziehbarer Zustand für Mütter, die unter dauerhaftem Schlafmangel, fordernden Betreuungspflichten, mangelnder Unterstützung und hohen gesellschaftlichen Erwartungen leiden? Oder können Menschen sich mittlerweile nur mehr eine legitime Auszeit erlauben, wenn sie auf ihre Gesundheit verweisen?"

Die Soziologin Laura Wiesböck analysiert auf sehr gut verständliche Art und Weise die Ursachen und Folgen dieses Trends rund um das Thema "Mental Health".
Sie zeigt die hieraus entstehenden Gefahren auf wie Fehldiagnosen und "Genesungshindernisse", erklärt Begriffe wie "toxisch", "triggern" und "Trauma" sowie deren zunehmende bzw. übermäßige Verwendung.

"Die umgangssprachliche Trivialisierung von psychopathologischen Begriffen zeigt sich auch darin, dass universelle Merkmale des menschlichen Daseins, wie Trennungen, Enttäuschungen oder Erfahrungen des Scheiterns, vermehrt als "Traumata" bezeichnet werden. Das kulturelle und soziale Konzept von "Trauma" in der Alltagssprache schließt Erfahrungen ein, die zwar verletzen oder verärgern, aber integraler Bestandteil des Lebens - und keine außerordentlichen Schockerlebnisse sind."

"Das kann mitunter auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Erzählung stehen, das persönliche Entwicklungsschritte erst oft nach traumatisierenden Erfahrungen stattfinden ("posttraumatisches Wachstum"). Wer lernt, dass ein Trauma die Grundlage ist, um wachsen oder "healen" zu können bzw. zu dürfen, wird sich eher an einer traumatisierenden Deutung von gewaltvollen Ereignissen oder Erfahrungen orientieren."

Sie wirft einen Blick auf Influencer:innen und die Gefahr der Nachahmung, besonders was Jugendliche angeht.
"Das birgt vielfältige Risiken. Denn die Mehrheit der Mental-Health-Influencer:innen besitzt keine Ausbildung- oder Berufsqualifikationen, um als Expert:innen auf dem Gebiet von psychiatrischen Erkrankungen zu gelten. Bis dato gibt es keine Regulierung und Standards dafür, anerkannte wissenschaftlich oder medizinisch begründete Kriterien einzuhalten. Das zeigt sich auch in den von Laien verbreiteten Informationen über psychiatrische Diagnosen, die häufig unzutreffend oder stark verkürzt sind."

"Influencer:innen kommt dementsprechend eine wichtige Rolle in der Popularisierung von Diagnosen zu. Sie können andere dahingehend beeinflussen ("influencen"), eine psychische Erkrankung für anstrebenswert zu halten, ob sie das selbst beabsichtigen oder nicht, spielt in der auf Nachahmung ausgelegten Struktur keine Rolle."

Auch das Kapitel "Mental Health und Selfcare als Wohlstandsphänomen" fand ich sehr gut geschrieben.
"Selfcare bei Frauen wird dann zu einer Verknüpfung von Jugendlichkeit, Weiblichkeit, Konsum, Autonomie und Transformation. Es gilt, effizienter, fitter, flexibler, widerstandsfähige, positiver und resilienter zu werden, dabei jung und attraktiv auszusehen und gesellschaftlich möglichst wenig Kosten zu verursachen. Damit stehen Frauen nicht nur im Wettbewerb mit anderen, sondern auch mit sich selbst, konkret mit einer "besseren Version" ihrer selbst. Nach dieser Logik gibt es keine Zeit, in der das jetzige Selbst ausreicht oder vielleicht sogar zufrieden stellt."

Das Kapitel "Plädoyer für zwischenmenschliche Ambivalenz und Trost" bringt das Buch perfekt zum Abschluss.

"Wenn von psychischen Abweichungen die Rede, sollte sich eigentlich immer auch die Frage stellen, wovon eigentlich abgewichen wird."

"Die Zuschreibung einer Diagnose erfüllt für Menschen zahlreiche individuelle Stabilisierungsfunktionen. So können Diagnosen als eine offizielle Anerkennung von Leid und Dysfunktionalitäz gesehen werden, in einer auf sichtbare Produktivität ausgelegten Gesellschaft, die dafür kaum mehr legitimen Platz hat, in der Ineffizienz oder Traurigkeit im Gegenteil eher als Kompetenzverlust gesehen werden."

Das Buch bekommt von mir eine ausdrückliche Leseempfehlung - ein wichtiges Thema, hervorragend analysiert und großartig geschrieben!

Bewertung vom 27.01.2025
Das Paradies ist weiblich

Das Paradies ist weiblich


ausgezeichnet

Patriarchat vs. Matriarchat – Was wäre wenn?

„Das Paradies ist weiblich: 20 Einladungen in eine Welt, in der Frauen das Sagen haben“, herausgegeben von Tanja Raich, ist eine Anthologie mit 20 Beiträgen von Autor*innen, die den Fragen nach einer gerechteren, besseren, liebevolleren Welt auf den Grund gehen. Dabei wird keine einfache Lösung präsentiert, sondern vielmehr ein „Was wäre wenn“, viele kluge Gedanken und ganz unterschiedliche Texte, die mal literarisch, mal als Essay daherkommen.

»Es geht nicht um das Umkehren von Hierarchien, sondern um das Infragestellen derselben.« Mithu Sanyal

Beigetragen zu de Buch haben Shida Bazyar, Mareike Fallwickl, Linus Giese, Kübra Gümüşay, Simone Hirth, Gertraud Klemm, Julia Korbik, Miku Sophie Kühmel, Kristof Magnusson, Nicolas Mahler, Barbara Rieger, Emilia Roig, Jaroslav Rudiš, Mithu Sanyal, Tonio Schachinger, Margit Schreiner, Anke Stelling, Sophia Süßmilch, Philipp Winkler und Feridun Zaimoglu.

Ein wichtiges, aktuelles und sehr lesenswertes Buch!

"Wir reinigen die Welt. Von euch wird es bald nicht mehr viele geben, ihr wachst nicht nach. Denn eines habt ihr vergessen bei eurer Hetzjagd, eurem egozentrischen Glauben, das Machtgewicht würde zurückkippen in euren Schoß, eurem kurzsichtigen Vertrauen darauf, dass sich der Lauf der Geschichte nicht ändern lässt, nicht zu unseren Gunsten.
Wir haben die Kinder. Die Kinder sind bei uns.
Wir gebären sie, wir tragen sie, wenn wir fliehen, wir behalten sie. Wir ziehen sie groß, ohne Väter, die ihnen Gewalt einpflanzen. Ohne schießende, schlagende, mordende Vorbilder, ohne Narrative von Rittern und Rettern.
Wir unterrichten sie, hüllen sie ein in Liebe. Es ist eine neue Liebe, die nicht ausschließt, die nicht urteilt und nicht zwingt. Diese Liebe ist die wahre Revolution. Sie ist der Kern und der Samen, sie ist die Frucht und die Zukunft."
(aus "Tamina Blue" von Mareike Fallwickl)

"Wenn unser Selbstwert von der Unterlegenheit anderer abhängt, ist er zerbrechlich und erfordert, dass wir diese Überlegenheit ständig neu behaupten. Sich von Unterdrückung zu lösen, kann auch für Menschen aus dominanten Gruppen befreiend sein, da sie lernen, sich von ihrer verinnerlichten Überlegenheit zu lösen. Sie lernen, dass ihr Selbstwert nicht von der Unterlegenheit anderer abhängt."
(aus "Das Ende der Unterdrückung " von Emilia Roig)

"Die öffentliche Debatte um Sexismus dreht sich allzu oft um die Frage, ob es heute wirklich noch Sexismus, Patriarchat und Misogynie gibt. Die Antwort ist einfach: solange Jungen, die Röcke, Rosa, lange Haare und Nagellack tragen, unangenehme Gefühle in uns auslösen, und solange "Mädchen" ein Schimpfwort für Jungen ist, heißt es, dass unsere Gesellschaft noch nicht über Misogynie hinweg ist."
(aus "Das Ende der Unterdrückung " von Emilia Roig)

Bewertung vom 27.01.2025
Drei Schalen
Murgia, Michela

Drei Schalen


ausgezeichnet

Das letzte große Meisterwerk von Michela Murgia

Michela Murgia war nicht nur eine großartige Autorin, sondern auch Aktivistin gegen die italienische Rechte. Sie stand für Toleranz, Queerness und soziale Gerechtigkeit ein. Im Frühling 2023 machte sie ihre schwere Krankheit öffentlich. Kurz nachdem ihr Erzählband „Drei Schalen“ in Italien erschien, verstarb sie im Alter von nur 51 Jahren im August 2023, viel zu früh!

Die Menschen in Michela Murgias 12 Kurzgeschichten erleben alle auf unterschiedliche Art und Weise einen radikalen Umbruch. Basierend auf ihren eigenen Erfahrungen erzählt Michela Murgia in zwölf miteinander verflochtenen Geschichten von Krankheit und Tod, Trauer, Abschied, neuer Liebe und vom Weiterleben, von Krisen und Neuanfängen. Die meisten Geschichten sind sehr kurz und zeigen nur eine kurze Episode im Leben der jeweiligen Person, aber dank des großen Talents von Michela Murgia braucht es gar nicht mehr Worte, um es genau auf den Punkt zu bringen.

Ich finde es einfach grandios, wie Michela Murgia die 12 Geschichten ineinander verwebt. Am Ende schließt sich der Kreis mit der letzten Geschichte ... unfassbar gut gelungen!
Trotz der allesamt eher „unangenehmen“ und traurigen Themen ist es meiner Meinung nach doch auch ein Buch, das Hoffnung macht, Mut macht.
Michela Murgias Schreibstil spricht schon immer für sich und ihre Protagonisten sind alle sehr authentisch und gut getroffen. Das ist ganz große Kunst!
Das ist eine Autorin, die ich ganz schmerzlich vermissen werde! Ruhe in Frieden, Michela Murgia!

"Wer nicht weiß, wo er hingeht, kann überall ankommen."

"Unsere Geheimnisse entstehen unter den Blicken der anderen."

Bewertung vom 27.01.2025
Why We Matter
Roig, Emilia

Why We Matter


ausgezeichnet

Why we matter: Unterdrückung sichtbar machen

In ihrem Buch „Why we matter: Das Ende der Unterdrückung“ zeigt Emilia Roig die Muster der Unterdrückung auf, die es in den verschiedensten Bereichen gibt, sei es in der Liebe/der Ehe, an den Universitäten, in den Medien, im Gerichtssaal, im Beruf, im Gesundheitssystem und in der Justiz. Dazu gibt sie viele Beispiele aus ihrem eigenen Leben, geht sehr ins Persönliche; gleichzeitig sind es Themen, die viele Menschen betreffen und uns alle angehen sollten. Es werden auch viele unbewusste Diskriminierungsmuster aufgezeigt und kann bzw. sollte verändern, wie wir die Welt wahrnehmen.
Das Buch ist ein Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung ALLER
Das Buch hat mich total begeistert! Emilia Roig schreibt sehr gut und klug, ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen - unbedingt lesen!
Die vielfältigen Themen wie (Alltags-)Rassismus, Benachteiligung von Frauen, Flüchtlingen und Minderheiten gehen uns ALLE an! Das Buch sollte Pflichtlektüre werden!

"Warum fällt es uns heute so schwer, die Menschheit als eine kollektive Entität zu betrachten? Warum halten wir an der Idee fest, dass jede*r von uns vom Rest der Menschheit abtrennbar ist? Jede*r von uns ist der*die andere*. Jede Seele ist die Widerspiegelung von anderen Seelen."

"Das weibliche Schönheitsideal ist die gesellschaftlich konstruierte Vorstellung, das körperliche Attraktivität eines der wichtigsten Vermögen der Frauen ist, und etwas, dass alle Frauen anstreben und erhalten sollten."

"In einer Gesellschaft, die uns ständig sagt, dass wir nicht "genug" sind, ist uns selbst zu lieben revolutionär. Jede* r- Einzelne* von uns wurde genauso geboren, wie sie*er sollte. Wir sind alle perfekt, genug und liebenswert, wie wir sind. Wenn wir verstehen, dass unser Wert nicht von außen definiert werden kann, sind wir auf dem Weg der Heilung. Uns selbst zu definieren in einer Welt, die darauf besteht, uns in vorgefasste Rollen zu pressen, ist an sich subversiv. Selbstliebe braucht Zeit, Hingabe und Arbeit, und sie ist unsere größte Stärke und Waffe gegen Unterdrückung, denn wenn wir erkennen, was in uns liebenswert ist, erkennen wir die Liebe in der Menschheit als Ganzes und können unsere Verbindung mit anderen auf der Welt vertiefen."

"Alles ist eine Frage der Perspektive. Ein kollektiver Bewusstseinswandel ist möglich, hin zu mehr Verbindung, mehr Einheit, mehr Empathie und schließlich mehr Liebe."

Bewertung vom 27.01.2025
Das Ende der Ehe
Roig, Emilia

Das Ende der Ehe


sehr gut

Utopien sind hoffnungsvolle Vorstellungen ... Ein Aufruf zur Veränderung

Man(n) darf den Titel "Das Ende der Ehe" nicht falsch verstehen. Emilia Roig fordert damit nicht, dass sich alle scheiden lassen. Es geht hier um etwas Grundlegenderes. Die Ehe ist eine wichtige Stütze des Kapitalismus, da sie uns leider noch immer in starren Geschlechterrollen gefangen hält. Vor allem Frauen sind hier die Leidtragenden, finanziell und emotional. Womit weder die Autorin noch in bestreiten, dass es auch glückliche verheiratete heterosexuelle Paare gibt!
Emilia Roig fordert in ihrer Streitschrift das Ende einer patriarchalischen Institution. Sie hinterfragt die Übermacht der Ehe und geht der Frage nach, ob man Männer lieben und zugleich das Patriarchat stürzen kann. Ihrer Meinung nach wäre eine Abschaffung der Ehe nicht nur für Frauen befreiend, sondern für alle Menschen. Weg von einer starren vor staatlich „verordneten“ Version von „normal“ hin zu neuen, offenen, gleichberechtigten Lebensformen. Damit wir Liebe in Freiheit und auf Augenhöhe miteinander neu denken und leben können.

Ich kenne Emilia Roig schon von Beiträgen ln der Anthologie "Unlearn Patriarchy" und ihrem Buch "Why we matter", wo ich ihre Texte wirklich großartig fand. Bei ihrem Buch "Das Ende der Ehe“ war ich zugegebenermaße nicht mit all ihren Aussagen komplett einverstanden. Dennoch enthält das Buch wirklich einige wichtige Aussagen, denn es braucht dringend eine Veränderung!

"Der "Staat" ist weiß, männlich, aus der Mittelschicht und verheiratet. Die Interessen des Staates sind die Interessen von weißen, heterosexuellen, verheirateten Mittelschichtsmännern, denn er wird überwiegend durch genau diese Menschen repräsentiert "

"Sie sollten aufhören, ihre Männer ändern zu wollen. Man kann andere nicht ändern, höchstens sich selbst. Frauen sollten damit aufhören, Selbsthilfebücher zu lesen, die ihnen versprechen, sie könnten ihre Beziehung retten. Stattdessen können sie sich selbst die Liebe geben, nach der sie sich sehen, und von den Wunden heilen, die ihnen das Patriarchat von Kindesbeinen anzugefügt hat. Vielleicht müssen sie erst mal bemerken, dass sie verwundet sind. Alles zu seiner Zeit. Eenn sie nicht mehr auf ihre Männer fixiert sind, entstehen Raum und Energie, um die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu beachten. Und vielleicht wird das Ergebnis dieser Reise sein, dass sie ihre Beziehung beenden, und Platz zu machen für das, wonach sie streben: authentische Liebe, stärkere Verbindung und emotionale Tiefe. Trennungen sind manchmal Teil des Prozesses, das ist in Ordnung. Wenn Frauen an sich selbst arbeiten, werden die Männer Ihnen entweder folgen oder sie werden Ihnen entwachsen. Die Reise kann ohne Männer weitergehen. Was unsere Bestimmung war, wird bleiben. Was gehen muss, wird gehen "

"Wenn die Ungleichheit bisher ein Element heterosexueller Erotik war, bewirkt die Gleichheit dann das Gegenteil? Können Männer Frauen lieben, die sich als ihresgleichen betrachten? Und finden Frauen Männer attraktiv, die ihnen auf Augenhöhe begegnen und sie auch so behandeln? Bei einer Begegnung von Frauen und Männern auf Augenhöhe würden heterosexuelle Beziehungen grundlegend anders aussehen - und sich anders anfühlen. Es bedarf eine Revolution der Liebe, hin zu mehr Gerechtigkeit, mehr Freiheit ... und mehr Liebe."

"Die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Hierarchien und ohne Unterdrückung klingt utopisch, weil wir Dominanz und Ungerechtigkeit derart normalisiert haben, dass wir die Fähigkeit verloren haben, uns eine gerechte und unterdrückungsfreie Welt vorstellen zu können. Was würde passieren, wenn wir uns erlauben würden, über eine solche Welt nachzudenken? Utopien sind keine naiven Träumereien. Ganz im Gegenteil. Utopien sind hoffnungsvolle Vorstellungen, die uns in eine bessere, gerechtere Zukunft führen. Alle großen sozialen Fortschritte sind in utopischen Visionen verwurzelt. Utopien verwirklichen sich. Zumindest Teile davon."

Bewertung vom 27.01.2025
Die Großstadtdetektive
Lezzi, Eva

Die Großstadtdetektive


ausgezeichnet

Spannend und warmherzig: Der erste Fall der „Großstadtdetektive“

"Die Großstadtdetektive" von Eva Lezzi hat uns von der ersten Seite an sofort in den Bann gezogen: Jona ist neu in der Klasse und auch in Berlin, wohin seine Familie aus Lübeck gezogen ist. Er fühlt sich sehr unwohl, als er da vor seiner neuen Klasse steht und würde sich am liebsten unsichtbar zaubern. Dann wird er auch noch neben den unsympathischen Deniz gesetzt. Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, wird einer Klassenkameradin das Handy gestohlen, und natürlich wird auch er verdächtigt. Doch völlig unverhofft macht er sich gemeinsam mit Deniz auf die Suche nach dem verschwundenen Handy. Damit ist es aber nicht getan, denn plötzlich ist da noch ein Juwelendieb und jede Menge andere Abenteuer zu bewältigen. Gemeinsam mit Max, Irina und Laura sind Sie nun die fünf "Großstadt Detektive". Wird es ihnen gelingen, alle Fälle zu lösen?

Das Buch ist unserer Meinung nach ein wirklich gelungener Mix aus einer super spannenden Krimi Geschichte, die nebenbei aber auch noch eine wichtige Botschaft hat: Gemeinsam gelingt alles viel besser. Sie zeigt auch, wie ein friedliches Miteinander verschiedener Kulturen und von Menschen mit völlig unterschiedlichem background möglich ist. Solche Botschaften brauchen wir momentan mehr denn je!

Ganz besonders gut gefallen haben uns auch die außergewöhnlich tollen Illustrationen von Daniela Kohl (sie hat auch die "Lotta Leben"-Bücher illustriert).

Auch das Glossar am Ende des Buches finde ich eine super Idee!

Also rundum ein gelungenes, warmherziges und spannendes Kinderbuch, welches uns sehr auf eine Fortsetzung hoffen lässt.