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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Conny
Wohnort: 
Annaberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 67 Bewertungen
Bewertung vom 17.10.2022
Intimitäten (eBook, ePUB)
Kitamura, Katie

Intimitäten (eBook, ePUB)


sehr gut

Mit "jemandem intim sein", oder "Intimitäten austauschen" - für mich war das in der Regel sexuell behaftet. Durch den Roman von Katie Kitamura, wird mir aber klar, wie weitgefasst der Begriff sein kann.
In ihrem Buch findet Intimität auf vielen Ebenen statt. Bei der Protagonistin werden durch ihren Job als Dolmetscherin Beziehungen zu Kollegen und Klienten zur Intimität, als Freundin sind es die Verbindungen zu vermeintlich Gleichgesinnten, als Partnerin werden durch die (fehlenden) Bekenntnisse romantische Beziehungen in Frage gestellt.
Dabei wird sowohl körperliche, als auch sprachliche Intimität geschaffen, die nicht immer eindeutig zuordenbar ist und somit für viel Gefühls- und Gedankenchaos sorgt.
Das zu navigieren und zu sortieren - den anderen gerecht zu werden mit denen man "intim" geworden ist, sich dabei aber selbst treu zu bleiben- das versucht Kitamura zu ergründen.

Gute Lektüre, wenn auch die Protagonistin sich etwas wehrt "intim" mit dem Leser zu werden.

Bewertung vom 17.10.2022
Anleitung ein anderer zu werden
Louis, Édouard

Anleitung ein anderer zu werden


sehr gut

Edouard Luis ist ein kontroverser Autor, soviel steht nach dem Lesen fest.

In diesem autobiografischem Roman, kommt er nicht gut weg und das weiß er. Vielmehr versucht er zu rechtfertigen und zu erklären, warum ihm Unsympathien zufliegen.

"Anleitung ein anderer zu werden" beschreibt sein nicht enden wollendes Streben nach einem anderen Leben. Er lernt jemanden kennen, verliebt sich in dessen Leben und Persönlichkeit und versucht mit aller macht durch Imitation, Bücherwissen und Hartnäckigkeit, genauso zu werden.
Das amerikanische "Fake it till you make it" schreibt er sich dabei auf die Fahne und nimmt in Kauf extrem unauthentisch, und sogar dumm rüberzukommen, wenn er vorgibt weltmännischer oder wissender zu sein, als das der Fall ist.

Sicherlich sorgen seine Ausführungen über seine Kindheit und das Millieu in dem er aufgewachsen ist, für ein Maß an Verständnis für sein Streben, allerdings ändert auch das nichts an dem Fakt, dass während des Lesens klar wird, dass der Autor sich immernoch in diesem Prozess befindet (immer etwas besser, etwas reicher, etwas angesehener) und das allem Anschein nach immer sein wird.

Leider findet sich nirgends ein Anhaltspunkt nach den wahren Interessen und Motivationen von Edouard. Am Ende tat er mir fast Leid: gefeierter Autor, gefangen in einem Hamsterrad und nie wirklich und wahrhaftig glücklich, weil er immer jemanden kennen lernen wird, dessen Leben er für erstrebenswerter hält.

In dem Sinne bin ich wirklich beeindruckt von der Ehrlichkeit des Autors, die ganz klare Charakterschwächen aufzeigt, die nie genannt werden, aber von jeder Seite springen.

Bewertung vom 17.10.2022
Das Zuhause
Coccia, Emanuele

Das Zuhause


schlecht

"[Zuhause] ist eine panpsychistische Maschine der universellen Anregung, ein Mechanismus, der offenbart, dass sich in allem ein Ich verbirgt, der Raum eines unabsichtlichen Animismus."

Na? Neugierig geworden? Nein? Ich wäre es auch nicht. Leider täuscht das wundervolle Cover über den mäßigen Inhalt hinweg, den ich nur so beschreiben kann: 154 Seiten, die nicht wissen ob sie eine übereifrige Bachelorarbeit sein wollen oder eine Autobiografie, die dem Autor bei der Bewältigung diverser Trauma helfen sollen.
Emanuele Coccia verliert sich in einer Welt zwischen persönlichem Sinnieren und dem Erschließen des "Zuhauses" für die Allgemeinheit. Leider gelingt ihm das überhaupt nicht. Schon allein sprachlich hätte ein Lektor Einhalt gebieten müssen und ihn fragen sollen, ob dies eine wissenschaftliche Abhandlung für Kollegen sein soll (mit entsprechend beeindruckendem Vokabular, versteht sich) oder ob er damit Denkabstöße an die Allgemeinheit geben möchte, die Sichweisen vieler ändern kann.

Herr Coccia gaukelt gern allgemeine Gültigkeit seiner Ansichten zu Themen des "Heims" (z.B. Umzüge, Schränke, Zwillinge, Wälder & Gärten, - kein Witz, das und viel mehr macht das Inhaltsverzeichnis aus) vor, allerdings verbergen sich sehr persönliche und wenig übertragbare Gedankengänge hinter den einzelnen Abschnitten.

Noch dazu lesen sich diese wenigen Seiten, als wären es zehn mal so viele. Wer sich für ein wirklich gutes Buch zum Thema interessiert, dem kann ich Bill Brysons "Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge" empfehlen. Dabei handelt es sich zwar um 640 Seiten, aber ich verspreche, die sind schneller gelesen und um einiges interessanter als "Zuhause".

Bewertung vom 06.09.2022
Holly im Himmel
Lewinsky, Micha;Grimm, Lawrence

Holly im Himmel


ausgezeichnet

Tot, aber nicht ohne neue "Lebensziele". So kann man die kleine Holly beschreiben, die sich nach einem Unfall in der Zwischenwelt befindet und versucht mit Hilfe einer neuen Freundin ein Engel zu werden um Besuchsrecht für die Erde zu behalten.

Der Weg dahin, ist natürlich nicht einfach (Himmelsbürokratie scheint sehr ähnlich der auf deutschen Ämtern), und Holly muss viele Hindernisse überwinden und Konflikte lösen um ihrem Ziel näher zu kommen.
Die ganze Action macht das Buch sehr kurzweilig und man wird stark von den durchaus traurigen Aspekten abgelenkt, die aber immer im Hintergrund mitschwingen und nachdenklich machen.

Auf jeden Fall würde ich nach Beenden des Buchs, gerne eine Gespräch führen, wie das individuelle Himmelsreich aussehen würde? Ob man bewusst noch Kontakt zur Erde suchen würde? Ob man dieser unnötig komplizierten Bürokratie nicht einmal im Jenseits entkommen kann?

Fragen über Fragen, die zum Philosophieren anregen.

Bewertung vom 24.08.2022
Tea Leaf Reading
Fairchild, Dennis

Tea Leaf Reading


ausgezeichnet

Auf 7x8cm erstaunlich umfassend, informativ und wunderschön illustriert - für eine kleine Einführung braucht es nicht mehr.

Bewertung vom 25.07.2022
Dieser Beitrag wurde entfernt
Bervoets, Hanna

Dieser Beitrag wurde entfernt


ausgezeichnet

Kayleigh arbeitet für eine Platform und sichtet Videos um sicherzugehen, dass sie den Kriterien der Zumutbarkeit entsprechen. Sie macht das über mehrere Stunden und langsam aber sicher, wird die vorgegebene Skala der Videozensur, zu ihrem persönlichem Filter, durch den sie die Welt sieht.

Was komisch klingt, lässt sich mit ein bisschen Selbstreflektion auch auf das eigene Gehirn übertragen: es gibt Arbeitsstandards, die wir alle übernehmen und ein stückweit absorbieren und unter dem Aspekt die Welt anschauen.

Bei "dieser Beitrag wurde entfernt" spitzt sich das soweit zu, dass auf nur 107 Seiten dargestellt wird, wie Kayleigh (und ihre Kollegen) den Bezug zur Realität verlieren und jeder in ein anderes Extrem abdriftet, je nachdem in welcher Echokammer der Videozensur sie hängen geblieben sind.

Während des Texts sind die Übergange noch fließend, die Entscheidungen nachvollziehbar, doch stellt man Anfangs- und Endpunkt nebeneinander, merkt man, dass am Ende Wahnsinn vor Vernunft herrscht.

Für mich eine absolute Empfehlung, denn thematisch und optisch ist das Buch eine runde Sache, die extrem viel Gesprächsstoff und Denkanstöße bietet.

Bewertung vom 25.07.2022
Warum Ziele Quatsch sind - und wie wir sie trotzdem erreichen
Frädrich, Stefan

Warum Ziele Quatsch sind - und wie wir sie trotzdem erreichen


gut

Eines merkt man: der Autor - Stefan Frädrich - ist ein Trainer/Consultant/Sprecher, der es gewöhnt ist, ein Publikum zu überzeugen. Genauso liest sich das Buch zu großen Teilen nämlich, als würde man in einer großen Menschenmenge sitzen und lauschen. Nur ist man in der Masse sehr viel geneigter, sich einfach mitreißen und überzeugen zu lassen, als man das als einzelner aufmerksam lesender Mensch ist.

Entsprechend muss ich leider sagen, dass ich sowohl den Titel, als auch viele Thesen als zu reißerisch formuliert empfinde und in Teilen widerspricht sich der Autor dann auch gleich wieder (Beispiel: echauffiert er sich über allgemeine Floskeln, wirft aber teilweise selbst damit um sich - weil sie nunmal für die gemeine Masse überzeugend genug sind). Und auch Ziele sind, sofern sie aus dem eigenen Wunsch entstehen und nicht von Familie und sozialem Umfeld diktiert werden, doch nicht so großer Quatsch.

Vieles stellt er anschaulich dar und hinterlegt sie mit Beispielen, bei anderen scheint er sich gedanklich zu verheddern und löst sie nie richtig auf. Beispiel: er erwähnte sowohl seine Ex und seinen Vater und wie problembehaftet die Beziehung ist, wurde aber nie konkret dabei, sodass der Effekt etwas mit persönlichem Bezug zu erzählen, komplett verpufft.

Das sind alles Sachen, die bei einem Vortrag sicher nicht ins Gewicht fallen, aber als Leser stört es mich und es stört vor allem das Lesen. Ich konnte mir durchaus einige Denkanstöße mitnehmen, für die ich dankbar bin, aber in der Hinsicht, war das Buch dann auch mit nur 285 Seiten ein wenig künstlich aufgeblasen.


...und eins noch: wer nicht "normal" veranlagt ist (sprich: frei von Depressionen, Angstzuständen,etc.) dem würde ich generell vom Buch abraten, da Aspekte der menschlichen Psyche nicht weiter betrachtet werden bei dem zielstrebigem Erreichen des "Nicht-Sozial-genormten-Ziels".

Bewertung vom 19.06.2022
Fischers Frau
Kalisa, Karin

Fischers Frau


ausgezeichnet

..."es war und es war nicht". Treffender als die Autorin kann ich "Fischers Frau" auch nicht beschreiben, denn Karin Kalisa webt aus Fakten und Fiktion einen wunderbaren kurzweiligen Roman, der zum Nachdenken und Philosophieren anregt.

Die Protagonistin Mia hat sich in ihrem Leben immer irgendwie treiben lassen und ist letztlich durch ihre Paranoia und Neugier auf die Fährte einer längst verstorbenen Frau geschickt worden, die ihren ganzen Erfahrungschatz in ein letztes Werkstück - ihren Teppich - gesteckt hat. Dieser ist so voll Mehrdeutigkeiten und Widersprüche, dass Mia gar nicht anders kann, als dem Urspruch auch über Landesgrenzen hinaus, nachzugehen. Dabei erforscht sie so ganz nebenbei auch erstaunlich viel über ihr eigenes Wesen.

Fischerteppiche waren mir bis vor diesem Roman absolut kein Begriff, aber ich liebe es, wenn ein Autor es schafft mich für etwas neues zu interessieren und so habe ich auch während des Lesens gar nicht anders gekonnt, als nachzuschauen, zu googeln, was es mit der Geschichte dieser Teppiche auf sich hat.

Bewertung vom 18.05.2022
SCHNEE
Sigurdardóttir, Yrsa

SCHNEE


ausgezeichnet

"Schnee" ist ein extrem packender Roman, der in 31 Kapiteln zwischen drei Protagonisten herspringt: Johanna, die bei einer Suchaktion nach vermissten Wanderern hilft, Hjörvar der einen Wachposten auf einem Hubschrauberlandeplatz bekleidet und Dröfn, die zu der vermissten Wandergruppe gehört.
Diese Mischung macht es unheimlich spannend herauszufinden, wie sich die drei in ihren Geschichten berühren. Als Leser hat man das Glück von allen Blickwinkeln Informationen zu bekommen um so Stück für Stück zusammensetzen zu können, was den Ausflüglern passiert ist.

Das Buch mutet erst einmal wie ein gewöhnlicher Krimi/Thriller an, hat aber durchaus ein paar mysteriöse Aspekte, sodass ich es am ehesten mit Fällen der "Akte-X" Serie vergleichen würde.

Bewertung vom 18.04.2022
Atlas der Unordnung
Papin, Delphine

Atlas der Unordnung


ausgezeichnet

Ich bin nach dieser Lektüre baff wie wenig Grundverständnis ich überhaupt von Grenzen hatte. Natürlich dacht ich zu anfang gleich Geografie-Flashbacks, aber schnell zeigte sich, dess der "Atlas der Unordnung" eigentlich der perfekte Kurs im Fächerübergreifenden Unterricht ist, denn ich habe gelernt:
- sprachlich ist der Grenzbegriff gar nicht so einfach zu definieren
- rechtlich sowieso nicht
- geschichtlich ist alles schwammig, aber zeitlich linear nachvollziehbar
- kulturell und soziologisch ist er in der Regel Ansichtssache.
Das alles wird perfekt aufbereitet in Worten und vielen vielen (extrem nötigen) Grafiken verdeutlicht und greifbar gemacht.

Noch dazu stellen die Autoren Bezüge her zu den Aktuellen Grenzen, die uns die Corona-Pandemie stärker denn je bewusst gemacht hat, und die Russland gerade aufzulösen droht.

Hochbrisant und hochinteressant!