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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 41 Bewertungen
Bewertung vom 05.01.2025
Wohnverwandtschaften
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


sehr gut

Eine neue Familie

Constanze zieht nach einer Veränderung in ihrem Leben in eine WG. Sie trifft auf Jörg, Anke und Murat. Sie lebten bisher zu dritt, haben sich aber entschlossen, ein weiteres Zimmer in der WG zu vermieten. So trifft Constanze auf eine eingeschworene Gemeinschaft und die Karten werden neu gemischt. Wer sind diese 4 Menschen, die in dieser WG aufeinandertreffen? Da gibt es als den Wohnungseigentümer Jörg, ein ehemaliger Journalist und Ende 60, der nach dem Tod seiner Frau nicht alleine in seiner Wohnung leben möchte und sie deshalb in eine WG umfunktioniert. Gerade in Hamburg eine sehr gute Idee, denn in großen Städten bezahlbaren Wohnraum zu finden, ist eine recht große Aufgabe und so wird sich die Idee einer WG in der nächsten Zeit sicherlich einer größeren Beliebtheit erfreuen. Weiter gibt es in der WG den lebenslustigen Murat, eine absolut sympathische Figur, einerseits erscheint er als das Herz und die Seele der WG, andererseits merkt man dem Charakter an, dass er auch gern Probleme nicht sehen möchte, sie einfach weglächelt. Er ist Mitte 50 und IT-Spezialist, doch ist er ein Genussmensch, was sich sonst in der IT-Welt wenig findet. Er bewirtschaftet den Garten von Jörg und kocht für die WG, spielt sehr gern Fußball, ist ein wunderbarer Charakter. Dann gibt es noch Anke, auch Mitte 50 und Schauspielerin. Also sie war Schauspielerin und jetzt, mit Mitte 50 wird sie nicht mehr gebucht. Das ist etwas, was mit Anke natürlich etwas macht. Sie ist an einem Wendepunkt, ist frustriert, verständlicherweise frustriert, muss sich neu sortieren. Ebenso muss sie ihre Sonderstellung als einzige Frau in der WG aufgeben, „muss ihre Männer teilen“. Constanze ist Mitte 30, arbeitet als angestellte Zahnärztin und hat sich gerade von ihrem Freund getrennt, da seine Lebensplanung mit ihrer nicht zusammenpasst und sich deshalb unüberwindbare Abgründe auftaten. 4 unterschiedliche Menschen in verschiedenen Lebensphasen treffen hier in dieser WG zusammen und bilden eine Wohnverwandtschaft. Sie haben einen Vorteil, sie sehen sich und begegnen sich gleichwertig, für Egoisten sind WGs glaub ich die völlig falsche Entscheidung. Mit einem Egoisten wird nie eine Wohnverwandtschaft entstehen. Darum prüfe man, wenn man hineinlässt, ins eigene Leben und auch in eine WG. Hier ist gut geprüft worden und so kommt auf die Wohnverwandten eine harte Zeit zu, denn Jörg erscheint so nach und nach verändert, sein Traum, eine Reise mit dem Bulli nach Georgien, die er eigentlich genau jetzt unternehmen wollte, rückt immer weiter weg und auch Jörg bewegt sich immer weiter weg.

Schon mit „Der Pfau“, „Mein Helgoland“ und „Laufen“ hat sich Isabel Bogdan in mein Herz geschrieben und auch mit diesem Roman hier trifft sie mich. Man möchte mehr von diesen Charakteren. Aber „Laufen“ ist für mich immer noch das Highlight, denn an dieses „Laufen“ kommen die „Wohnverwandtschaften“ nicht heran. Wird aber auch schwierig, wie ich finde. Und man muss auch nicht an „Laufen“ herankommen. „Wohnverwandtschaften“ habe ich sehr gern gelesen, die Charaktere sind einem schnell nahe und am Ende des Buches war ich verblüfft. Was schon zu Ende? Schade! Ich wäre gern noch ein Stück Weg mit euch gegangen.

Bewertung vom 05.01.2025
Das andere Mädchen
Ernaux, Annie

Das andere Mädchen


sehr gut

Blicke auf die Schwester

Das andere Mädchen. Welches andere Mädchen? Die Schwester. Die verstorbene Schwester. 10-jährig erfährt Annie von ihr. Gleichzeitig dazu erfährt sie die eigene Abwertung und die Höherstellung der Verstorbenen durch eine unbedachte Aussage der eigenen Mutter. Ein Trauma für die 10-jährige. Dies prägt sich ihr ein. Lässt sie nie mehr los. 2011 bringt die 1940 geborene Annie Ernaux dieses Buch in Frankreich heraus, 2022 folgt dann die deutsche Ausgabe bei Suhrkamp. Eine lange Zeit, um diesen Blick auf die tote Schwester zu veröffentlichen. Eine Zeit, die etwas über die Intensität dieses Blickes aussagt.

6-jährig verstarb die Schwester an Diphtherie. Zweieinhalb Jahre vor der Geburt von Annie. Was bei Annie Fragen aufwirft. Zersetzende Fragen. Annie war ein Einzelkind, ihre Eltern erst Arbeiter, dann Inhaber eines kleinen Ladens, ihre Möglichkeiten im Leben waren begrenzt. Gibt es Annie nur weil ihre Schwester starb? Der Tod als Grund für das eigene Leben!

Geredet haben Annies Eltern mit ihr nie über diese verschwundene Schwester, dieses andere Mädchen. Was die Verstorbene zu einer unerreichbaren Größe macht. Was bedeutet dies für Annie? Ist der Tod des anderen Mädchens, der verschwundenen Schwester der Grund für das eigene Leben? Kann man sich daran überhaupt messen? An einer Unerreichbaren? Am Tod?

Kann man eine Verbindung spüren zu einem nie gekannten Wesen? Annie kann dies und schreibt sich ihre Gedanken in diesem Buch, in einem Brief an die verschwundene Schwester von der Seele. Ein Versuch zu heilen. Ungemein berührend, trotz den wenigen Seiten.

Dieses Buch ist trotz der Kürze sehr empathisch, zeigt es doch ein tiefsitzendes Trauma, berührt die Autorin doch mit ihrem Versuch dieses Trauma zu bearbeiten. Zeigt dieses kurze Buch doch einen tiefsitzenden Schmerz und gleichzeitig zeigt es auch den Versuch dieses Trauma durch die Anteilnahme abzulösen. Annie Ernaux berührt mich hier tief. Ich bin neugierig auf weiteres aus ihrer Feder und hoffe, dass ich sehr bald die Zeit dafür finde.

Bewertung vom 02.12.2024
Das Fest
Fricke, Lucy

Das Fest


ausgezeichnet

Die magische 50

Ein subdepressiver Mann wird an seinem 50-zigsten Geburtstag von seinem Leben eingeholt, fällt in dieses 50er Loch. Jakob, einst gefeierter Filmregisseur, blickt auf sein Leben und sieht nur das Nicht. Er suhlt sich im Selbstmitleid, ist für sein Umfeld schwer zu ertragen. Die magische 50, eine Begegnung mit der eigenen Endlichkeit. Manchmal schwer ertragbar. Klar. Aber dennoch gibt es ja nicht nur das Nicht. Nur vergessen das manche Charaktere einfach, wollen sich nicht mehr auf das Positive konzentrieren, können sich nicht mehr auf das Positive konzentrieren, weil das Negative einfach in ihrem Kopf überwiegt. Jakob ist so ein Charakter. Er steht nicht mehr als gefeierter Filmregisseur im Mittelpunkt, ist in keiner Beziehung, fühlt sich alt und nicht gebraucht. Und das mit 50. Was wird da wohl noch auf Jakob zukommen? Schwere Frage. Ich weiß.

Eine Freundin will sich diese negative Weltsicht nicht mehr länger ansehen, was ich sehr gut verstehen kann und verfällt deswegen in die Aktion. Ein Hoch auf Ellen. Ich liebe Ellen. Jeder sollte so eine Ellen in seinem Leben haben oder selbst die Gedanken der Ellen verinnerlicht haben.

Lucy Fricke hatte mich schon mit ihrem Buch „Töchter“ vollkommen erreicht und begeistert. Aber hier in „Das Fest“ übertrifft sie diesen Eindruck noch. Vielleicht ist es diese subdepressive Thematik, die mich so anknipst. Sie begegnet mir auf der Arbeit, aber nicht nur da und macht anscheinend etwas mit mir. Ein richtig schönes Buch!

Sicherlich auch ein Buch zum Verschenken.

Denn so ein Jakob tummelt sich wahrscheinlich in jedem Umfeld, ob dieses Buch die Kraft zum Aufwecken hat, weiß ich natürlich nicht, aber wenn man es nicht versucht, kann man es nicht beurteilen.

Nur sollte man subdepressives Verhalten nicht mit der echten Depression verwechseln. Ob in einer Depression dieses Buch etwas anstoßen kann, eine Art der Reflexion erreicht, keine Ahnung. Man sollte aber nicht vergessen, dass ein Resümee manchmal auch extrem gefährlich ist. Also wieder mal ein Balanceakt. Wie so vieles im Leben.

Bewertung vom 02.12.2024
Die Schlangen werden dich holen
Malfatto, Emilienne

Die Schlangen werden dich holen


sehr gut

Maritza Quiroz

Ein Buch, welches einen Blick nach Kolumbien wirft, einen düsteren Blick. Emilienne Malfatto blickt hier auf den Tod und das Wirken von Maritza Quiroz Leiva, die 2019 ermordet wurde. Ein interessantes Buch. Es zeigt die Umstände in Kolumbien auf und zeigt wohin Macht und Gier manche Menschen bringen können. Etwas, was in unserer Demokratie unbedingt mehr Beachtung verdient. Denn auch bei uns stehen von der Macht Besessene in den Startlöchern und warten auf ihre Chance.

Maritza Quiroz Leiva. Eine Frau. Eine Verstoßene. Eine Suchende. Eine Mutter. Eine soziale Aktivistin. Sie möchte, dass ihre Kinder es besser haben als sie selbst. Wird deswegen laut. Und fällt deshalb auf. Das klingt jetzt nicht so sehr aufrührerisch. Bedingt aber dennoch ihren Tod.

Auch dies zeigt die Verhältnisse, die sich in Kolumbien gebildet haben. Paramilitärs, Guerilla und auch gewöhnliche Kriminelle gehen ihren Weg, ohne nach rechts oder links zu schauen. Den eigenen Paranoias wird nachgegeben, aus der Verlustangst heraus, deshalb sterben Menschen. Nachbarn zinken Nachbarn an, wegen echten politischen Zielen, aber auch aus der Lust am Mord. Kriminelle verfolgen eigene Ziele, stecken ihren Machtbereich zur Verwirklichung ihrer eigenen Interessen ab und wehe man kommt ihnen zu nahe.

Echt schlimme Verhältnisse!

Und normal Sterbliche bewegen sich dazwischen und versuchen nirgendwo anzuecken, versuchen zu überleben. Ein schwieriges Unterfangen. Der Staat schaut zu, steckt selbst mittendrin und unternimmt nichts. Will man so etwas?

Die fehlende Bildung in dem Land, besonders auf dem Land, auf dem von den urbanen Zentren weit abgelegenen Land macht dieses Agieren der Mächtigen, der Machtvollen, der Gierigen erst möglich. Aber warum soll sich an daran auch etwas ändern, wenn die Korruption und der Machismo das Land beherrschen?

Emilienne Malfatto blickt hier auf die Gegend um die Sierra Nevada de Santa Marta, indigene Heimat der Arhuaco, Kogi, Wiwa und Kankuamo, Nachfahren der alten Tairona, aber die nebelverhangenen Berge bieten auch Unterschlupf für Andere, die ihre Ziele in der Abgeschiedenheit verfolgen können.

Emilienne Malfatto blickt hier auf die Familie von Maritza Quiroz, geht über diesen Blick dem Wirken der unerschrockenen Frau nach, zeigt darin aber genauso die Abgründe der kolumbianischen Gesellschaft auf und dies nicht etwa in der Vergangenheit, wo man solches Tun am liebsten verorten wöllte, sondern schaut in ihrem Buch auf das Heute. Denn der Mord an Maritza erfolgte 2019 und sie ist nicht die einzige ermordete Aktivistin im lateinamerikanischen Bereich. Dort grassiert momentan eine Mordwelle. Die Machtbesessenen wollen sich ihre Macht nicht nehmen lassen. Autokratie und Demokratie kämpfen einen blutigen Kampf.

Bewertung vom 23.11.2024
Reichlich spät
Keegan, Claire

Reichlich spät


sehr gut

Misogynie

Claire Keegan wirft hier in „Reichlich spät“ einen Blick nach Irland. Einen leicht dahin plätschernden Blick. Aus den Augen eines Mannes. Einen Blick, der vor Frauenverachtung nur so trieft, ohne dass dies dem Betrachter klar ist. Denn er ist so erzogen und stellt dies natürlich nicht in Frage. Denn für ihn ist dies ja bequem so. Meint er zumindest. Denn das genau dieser plätschernde Blick ihm selbst eine Falle stellt, das übersieht er. Ihm sein eigenes Gefängnis schafft. Dann noch etwas Polemik. Und der Weg zum Incel ist hier sicher nicht weit.

Denn die Frau ist hier natürlich schuld. Hach, wie einfach.

Claire Keegan zeichnet hier ein Bild über Irland. Doch diese verkrachten Existenzen gibt es überall. Sie gab es früher, mit deutlich mehr Macht, siehe vorherige Rezension und sie gibt es heute in der gesamten patriarchalen Welt. Ja, richtig gelesen. In der patriarchalen Welt. Und dies bedeutet, dass das Patriarchat da einen großen Anteil hat.

Genauso wie es bedeutet, dass es auch anders gehen kann. Matriarchal zum Beispiel. Die Gesellschaften der Khasi in Indien, der Mosuo in China, der Zapoteken in Juchitlan in Mexiko und noch viele mehr sprechen über diese andere Gesellschaftsordnung und zeigen diese anderen Welten.

Muss man halt nur wissen. Denn diese patriarchale Vorherrschaft muss so nicht weitergehen, kann so eigentlich auch nicht weitergehen. Es ist halt nur verdammt schwer dagegen vorzugehen.

Denn das Patriarchat wehrt sich natürlich, es möchte seine Macht nicht verlieren.

Und hier mal wieder so eine Frage, die nicht zum Buch passt, aber bei näherer Betrachtung wieder schon. In welchen Parteien sind die Frauen in etwas gleicher Zahl wie männliche Kollegen vertreten? Wenn man dann als Frau die patriarchale Welt verachtet, warum wählt man dann nicht dementsprechend? Wir sind ja mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Weil auch wir Frauen indoktriniert sind. Dies muss Frau nur klar werden!

Und Literatur ist ein guter Weg zum Überwinden der eigenen Grenzen.

Noch dazu, wenn die Literatur so auf dem Silbertablett daherkommt, wie bei Claire Keegan!

Bewertung vom 23.11.2024
Cascadia
Phillips, Julia

Cascadia


sehr gut

Kaskade oder Cascadia und/oder Mensch und Tier

Auf den San Juan Islands im Bundesstaat Washington leben die ungleichen Schwestern Sam und Elena mehr schlecht als recht mit ihrer sehr kranken Mutter in einem Haus. Einst hatten sie sich bessere Lebensverhältnisse erhofft, aber diese Hoffnungen sind mittlerweile tief begraben. Sie arbeiten im Dienstleistungsbereich für die Urlauber, die diese Inseln aufsuchen/heimsuchen. Interessante Blicke auf den Menschen werden im Umgang der Urlauber mit „ihrem“ Personal geboten. Kurze Blicke. Dennoch aber treffende Blicke. Ebenso, wie in diesem Buch das Sozialsystem der USA beleuchtet wird, also eigentlich wird da wenig beleuchtet, aber vielleicht ist dies ja auch schon die Beleuchtung. Denn wo nichts/wenig ist, kann auch nichts/wenig betrachtet werden.

Nur mal so am Rande. Wenn man dann bei der Lektüre auf unsere Meckerer und Hater schaut, wird einem gleich ganz anders zumute.

Aber gut. Zurück zu den Schwestern. Beide Schwestern berichten in einzelnen Erzählsträngen. Auch darin erkennt man die Unterschiede, die im Alter, aber auch im Charakter begründet liegen. Sie möchten das Haus verkaufen und weg. Wenn die Mutter von ihrem Leid erlöst wurde. Aber ist dieser Gedanke nicht etwas kindlich und steckt hier nicht auch mehr der Wunsch und nicht die Wirklichkeit.

Jedenfalls erscheint ein Bär auf der Bildfläche und beide Schwestern haben unterschiedliche Sichten und gehen unterschiedlich mit dieser Situation um. Wobei ich hier etwas zweifele. Denn Elenas Handlungen zeigen für mich eine gewisse Unstimmigkeit. Sie passen meines Erachtens eher zu einer Stadtbewohnerin, als zu einer Bewohnerin des ländlichen Raums. Sie haben etwas Mystisches, Entrücktes und auch der Bär handelt durchaus nicht artgerecht. Wodurch eine Art Magie entsteht.

Ein Roman, der vielleicht der Leserschaft einen Blick auf den menschlich verklärten Blick auf das Wilde nahebringen möchte, ihn aber gleichzeitig auch karikiert, ebenso wie dieses Buch auch die Angst der Menschen ad absurdum führt. Denn auch diese Angst vor den Tieren ist überzeichnet und passt eher zu einer Stadtbewohnerin, als zu einer Bewohnerin des ländlichen Raums.

Der Titel ist auch interessant gewählt, dachte ich doch erst, dass die Handlung wie eine Kaskade von Ereignissen verläuft, bis zu dem fulminanten, wie auch imposanten, aber auch schockierenden Ende. Andererseits habe ich gerade gelesen, dass die Gegend in der Nordwestküste Nordamerikas, die Grenzregion von Kanada und den USA, die die Staaten British Columbia in Kanada , und die Staaten Washington und Oregon in den USA umfasst, Cascadia genannt wird. Eine Bioregion, die über eine noch recht intakte Natur mit einigen Reservaten und auch eine ansehnliche menschliche Besiedlung verfügt, so dass gerade dieses Thema Mensch und Tier und ihre Beziehungen gut zum Buch passt.

Ich habe dieses Buch sehr gern gelesen, es ist spannend geschrieben, ist in der Handlung recht eigenwillig und mit einer gehörigen Portion Magischer Realismus versehen. Die Dynamik in der Schwesternbeziehung fand ich gut ausgeleuchtet. Und gerade durch diese etwas anders aufgebaute Geschichte bin ich sehr neugierig auf den Vorgänger geworden. Als Buch zu mir gewandert, steht es nun im Regal mit seinen ganzen Freunden und wartet darauf, dass Madame endlich Zeit hat. 😊

Bewertung vom 23.11.2024
Skalpjagd
Buchholz, Frauke

Skalpjagd


ausgezeichnet

Profiler oder Psychotherapeut?

Nach seinem letzten Fall ist der Profiler Ted Garner zum Nachdenken gekommen, er gemeinsam mit seiner Frau. Denn wenn man dem Tod von der Schippe springt, dass macht etwas mit einem, leider selbst erlebt, von daher völlig glaubhaft. Das Bisherige wird aus einem anderen Auge betrachtet, die Wichtigkeiten verschieben sich.

Und so quittiert Ted Garner den Polizeidienst, macht eine psychotherapeutische Praxis auf. Als Profiler ist dies sicher auch eine Möglichkeit. Schließlich schaut er aus einer völlig anderen Perspektive auf die Täter, wächst mit der Zeit der ausgeübten Tätigkeit, ebenso wie man mit den Lebensjahren an Erfahrung reicher werden sollte. Klappt mal besser und mal schlechter, ich weiß.

Er fährt in den Westen von Kanada, nach British Columbia zu einem Therapeutenkongress. Auf mich wirkt Ted so, als würde er immer noch nicht recht mit seiner jetzigen Situation zusammengewachsen sein. Er hadert irgendwie. Das wirft die Frage auf wie er zu dem Entschluss des Berufswechsels gekommen ist. Am Abend nach dem anstrengenden Tag trifft er in einer Bar auf Dr. Hofstätter, sie kommen ins Plaudern und der etwas unstete Ted lässt sich von der interessanten Therapeutin überreden an einer indianischen Zeremonie teilzunehmen. Dabei konsumiert er nicht nur den schon bekannten Alkohol, sondern irgendwie auch ein paar psychogene Pilze.

Nach einem Trip erwacht Ted in dem Tipi, in dem die Zeremonie stattfand, in der Hand ein blutiges Messer und neben sich eine skalpierte Leiche. Der Horrortrip beginnt also erst!

Interessant spinnt die Autorin die Geschichte um den smarten Ted Garner weiter und wieder konnte sie mich vollkommen überzeugen. Absolut spannend, sehr interessant, mit einer gehörigen Portion Einblick in die indianische Denke, die indianische Lebenswelt, entführt Frauke Buchholz die Leserschaft nun nach British Columbia, in die Lebenswelten der indianischen Bewohner der Nordwestküste. Übrigens ist die Nordwestküste eines der interessantesten Kulturareale, die die Amerikas bieten. Nur mal so am Rande. Und die handelnden Personen. Nun, was soll ich sagen, ich bin Fan von Ted Garner!

Was mir sehr gefallen hatte! Auch Sophie LeRoux ist weiter eine wichtige Person in Teds Leben. Was mich sehr freut! Denn dort knistert es. Ich liebs!

Bewertung vom 23.11.2024
Die goldene Stunde
Versteeg, Wytske

Die goldene Stunde


ausgezeichnet

Diktatur, Flucht und fragile Sicherheit

Hier gab es mal wieder einen Schatz aus dem Hause Wagenbach zu bewundern. Die niederländische Schriftstellerin Wytske Versteeg ermöglicht der Leserschaft in ihrem Buch „Die goldene Stunde“ einen Blick in eine Diktatur. Was heute ja anscheinend dringend notwendig ist, da ja wieder viele über stärkere Regierungen nachdenken.

Mari, Ahmad und Tarik sind die Protagonisten in diesem Buch. Jeder der drei kämpft mit seinen Dämonen.

Ahmad ist damals aus seiner Heimat geflohen. Er floh vor der staatlichen Willkür, vor staatlicher Gewalt. Namentlich wird dieses Land, aus dem Ahmad flieht, nicht genannt, dennoch gibt es viele Hinweise, die darauf hindeuten, dass Syrien gemeint ist. Es wird eine Bevölkerung gezeichnet, die unserer nicht unähnlich ist. Auch hier bemerken die Menschen die Ungerechtigkeiten, auch hier begehren sie auf. Jedoch geht hier der Staat mit ungeahnter Grausamkeit gegen die eigene Bevölkerung vor. Das ist etwas, was schwer zu ertragen ist, dennoch zeigt dieses Buch ja das wahre Leben auf. Ein Leben, das sich genau so in vielen Teilen der Erde abspielt. Etwas, was uns wohlstandsverwöhnten Europäern klar sein muss, klar sein sollte.

Ahmad flieht nun aus dieser für ihn gefährlich gewordenen Welt. Er flieht nach Europa. Er flieht in die Niederlanden. Wobei dieses Land meines Erachtens nur exemplarisch für unsere sogenannte Willkommenskultur steht. Denn die Flüchtlinge müssen erst durch diese Auffangstationen an den Außengrenzen der EU, was weiteres Leid verursacht. Nun könnte man sagen, die Einreise in unsere Länder des Friedens und des Wohlstands muss ja irgendwie geregelt werden. Ja, dass muss es. Aber geht das nicht menschlicher, geht das nicht etwas umsichtiger? Aber gut. Es ist, wie es ist. Genießen wir unsere Sicherheit in den europäischen Landen. Wer weiß, wie lange wir diese noch haben werden. Die Rechten erstarken an vielen Orten und gefährden mit ihren polemischen Slogans unsere Sicherheit und viel zu viele fallen darauf herein. Menschenfänger. Erst gibt es das Zuckerbrot. Und dann? Wer mit wachen Augen in die Geschichte schaut, wird wissen, was dieses Dann bedeuten kann.

Ahmad kommt nun in den Niederlanden an, ist traumatisiert, trägt eine Schuld mit sich. Er konnte dieser Hölle in seiner Heimat entkommen. Doch was ist mit seiner Familie, was ist mit seinen Freunden? Ja, Ahmad trägt nicht nur das Grauen des Erlebten in sich, er krankt auch noch an den Unsicherheiten, die seine Familie, sein Umfeld betreffen. Was verstehbar ist! Wenn man sich nur etwas mit den Schicksalen der Menschen befasst, empathisch auf sie schaut. Und nicht den Hass gewinnen lässt.

Er trifft auf hilfsbereite Geister. Menschen voller Mitleid. Aber auch auf Menschen mit Erwartungshaltungen. Das ist etwas zutiefst menschliches, Erwartungshaltungen zu haben. Wenn man sich nicht ausreichend hinterfragt. Denn wenn man dies tut, erkennt man, oder kann man erkennen, dass genau diese Erwartungshaltungen auch voller Gift stecken. Denn mit Erwartungshaltungen kann man sich, aber auch seiner Umwelt das Leben immens schwer machen. Muss man erkennen. Ist halt nur nicht einfach. Einer dieser hilfsbereiten Geister ist Mari. Sie nimmt Ahmad auf. Sie ist voller tiefer Gefühle. Doch was passiert, wenn zu viel Druck auf eine Seele trifft, die schon genug Druck in sich trägt?

Ahmad verschwindet, hinterlässt Mari aber Aufzeichnungen. Aufzeichnungen in Arabisch. Mari ist nun verunsichert, hinterfragt sich, kommt auch einigen Antworten nahe. Aber nicht allen. Und so reißt sie in das Herkunftsland von Ahmad. Und trifft auf Tarik. Und hier schließt sich der Kreis, denn Tarik gehört zu den Kräften, die der Diktatur erst die Macht ermöglichen. Er krankt an seiner Schuld. Findet in Mari die Möglichkeit sich zu hinterfragen, erkennt ganz neue Gedanken in sich.

Ein intensives Buch! Wie ich es aus dem Hause Wagenbach schon gewohnt bin. Ein beeindruckendes Buch. Auch Francesca Melandri und Omar Robert Hamilton haben mich mit ihren Büchern tief beeindruckt, auch diese beiden Bücher stammten aus dem Hause Wagenbach. Ein Verlag, wo man genau hinschauen sollte. Ich kann nur sagen, Wagenbach-Liebe!!!

Bewertung vom 23.11.2024
Frida Kahlo und die Farben des Lebens / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.11
Bernard, Caroline

Frida Kahlo und die Farben des Lebens / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.11


sehr gut

Die Welt der Frida Kahlo

Frida Kahlo, Malerin, Sozialistin, Feministin, Idol und unerschöpfliches Thema. Ja, das muss man so sagen. Frida ist für mich ein unerschöpfliches und immer sehr inspirierendes Thema. Auch wenn die Beleuchtung ihrer Person hier etwas unterhaltend erfolgt. Dennoch kann ich mich fallen lassen in Fridas Welt, dennoch sehe ich sie vor mir. Denn Frida ist halt Frida.


Ja, was soll man sagen, wenn man Frida verehrt. Dies hier ist keine hohe Literatur. Die Dialoge sind manchmal schon sehr schnulzig. Dennoch dreht sich das Buch ja um Frida und da kann ich wahrscheinlich nicht völlig neutral bewerten. Denn Fridas Welt will man beschreiten, durch jedwede Augen betrachten. Von Frida will ich alles lesen. Und auch ein unterhaltendes Buch entfaltet diesen Frida-Zauber.


Denn diese On-Off-Beziehung mit Diego Rivera hat ja auch einen etwas unterhaltend-schnulzigen Beigeschmack. Für die Betrachter. Für die Außenstehenden. Wenn man in dieser Geschichte drinsteckt, wird dies alles andere, aber niemals schnulzig gewesen sein. Im Dreieck springende Gefühle. Ein heikles Thema. Aber eben auch ein Thema, wo wir mitreden können. Denn das Thema Liebe, seine Irrungen und Wirrungen, kennen wir wohl alle. Wenn man drinsteckt, ist es das pure Feuer, wenn die Liebe besteht, ist es herrlich, wenn sie vergeht, denkt man sich manchmal, nie wieder. Aber irgendwann kommt das Feuer wieder auf Besuch. Und das Spiel beginnt erneut.


Nun ist Frida aber nicht nur die On-Off-Beziehung. Sie ist viel mehr. Vielleicht ist die Lektüre über diese charismatische Frau gerade deshalb auch immer ein Gewinn. Denn man kommt ihr näher, durchlebt im Buch mit ihr die Stationen ihres Lebens.


Und dies hat mir gefallen, eine weitere Reise durch die Welt der Frida Kahlo. Ein weiterer inspirierender Blick auf das Leben einer starken Frau.

Bewertung vom 23.11.2024
Verlorene Sterne
Orange, Tommy

Verlorene Sterne


ausgezeichnet

Familienepos und mögliche Zukunft

Tommy Orange hatte mich mit seinem Vorgänger „Dort dort“ tief getroffen. Dieser Blick auf die Indigenen der USA mit diesem Showdown beeindruckte mich tief. Was bedeutet es in einem Land zu leben, dass in der Vergangenheit versucht hat, dein Volk zu vernichten, dass dich deines Landes beraubt hat und für das du ein Bürger zweiter Klasse bist. Interessante Blickwinkel. Man könnte im Gestern verharren und ewig wütend und unglücklich sein. Mit Recht und völlig nachvollziehbar. Man könnte sich auf eine Zukunft fokussieren und das Weiter in den eigenen Blick rücken. Könnte man. Aber eigentlich ist es doch die Frage wie viele Rückschläge ein Mensch verkraften kann. Oder? Denn wenn man ewiger Benachteiligung ausgesetzt ist, macht dies natürlich etwas mit den Betroffenen. Und dies ist in der Geschichte der Indigenen der Amerikas immer wieder beobachtbar. Schon in „Dort dort“ hatte Tommy Orange, selbst ein Indigener, ein Angehöriger der Cheyenne und Arapahoe, auf dieses Dilemma geblickt. Sehr intensiv geblickt.

Mit „Verlorene Sterne“ rundet er nun „Dort dort“ noch ab. Denn in diesem intensiven Familienepos rechnet er grandios mit den USA, mit der Vergangenheit und mit dem Heute ab. Er lässt einige Protagonisten des Vorgängers in „Verlorene Sterne“ erneut auftreten, erzählt die Geschichte einer Familie der Cheyenne. Am Anfang steht der Horror des Massakers von Sand Creek, welches ein Glück nur kurz angeschnitten wird. Denn dieser Horror, dem die Südlichen Cheyenne damals ausgesetzt waren, würde eine Zukunft verneinen. Dieses Geschehen damals zu verzeihen, dürfte den Indigenen sehr schwerfallen. Und auch dem uninformierten Leser dürfte es danach sehr schwer fallen positiv in die Zukunft zu schauen. Denn was damals in Sand Creek mit den Indigenen passierte, übertrifft fast jeden vorstellbaren Horror. Wen es interessiert, lest „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ von Dee Brown, dort schildern Augenzeugen das unmenschliche Geschehen von Sand Creek und von noch vielen anderen Orten in den jetzigen USA.

Zurück zum Buch, „Verlorene Sterne“, ein Familienepos, welches fast zweihundert Jahre einer Cheyenne-Familie schildert. Sand Creek im Jahre 1864 ist der Beginn, das Heute ist das Ende. Das Geschehen vor „Dort dort“ wird geschildert und das Geschehen danach, die „Verlorenen Sterne“ umschließen „Dort dort“ und beide Bücher bilden eine Einheit. Beide Bücher zeigen was Unterdrückung und Rassismus mit den Cheyenne gemacht haben. Beide Bücher stehen exemplarisch für die Taten weißen Eroberer und deren Folgen für die Indigenen, für die Cheyenne und alle anderen Stammesgruppen in den USA, in Kanada, eigentlich in den Amerikas. Tommy Orange feiert damit in den USA Erfolge und dies ist richtig so. Denn hier gehört etwas geradegerückt. Gerade in diesem Wahljahr 2024.

Tommy Orange schreibt in seinen Büchern über die Sucht, ein großes Problem für die Indigenen, resultierend aus langjährigem Fehlverhalten. Fehlverhalten im Damals und Fehlverhalten im Heute. Die Sucht, eine Erkrankung, die die Indigenen dahinrafft, dieser Tod auf Raten. Die Sucht, eine Erkrankung, die die indigenen Strukturen schwächt, eine Erkrankung, die in den Familien weitergegeben wird. Die Sucht, ein weiterer Krieg. Eine weitere Vernichtung.

Aber Tommy Orange schreibt auch über eine Möglichkeit zur Umkehr, zeigt damit die Hoffnung, die die Indigenen sicher umtreibt.