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gabiliest
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Wien

Bewertungen

Insgesamt 43 Bewertungen
Bewertung vom 30.01.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Was ist ein gelingendes Leben?

In ihrem Roman “Halbe Leben” hat die preisgekrönte Autorin Susanne Gregor ein subtiles, scharf beobachtetes und eindringliches Buch über drei Frauenschicksale vorgelegt. Das gelungene Cover, zwei Frauen bei einer Rast, täuscht über den unerwarteten Beginn des Romans, der das Ende vorweg nimmt. Denn Klara ist tot, abgestürzt bei einer leichten Wanderung. Bei ihr war nur Paulina, die slowakische Pflegerin ihrer Mutter. Ein Unfall? Bis zum Ende des Buches werden sich die Lesenden diese Frage stellen!

Im Rückblick beschreibt die Autorin drei Leben, drei Frauen, drei Mütter:

Klara, 38 Jahre alt, ist Architektin. Sie hat die Mutterrolle bei ihrer jetzt zehn Jahre alten Tochter Ada wie eine Eisenkette empfunden, als das Mädchen klein war. Gerne hat sie ihrer Mutter Irene die Erziehung der Tochter überlassen, findet nur in ihrer Arbeit Anerkennung und Respekt. Sie ist diejenige, die das Geld nach Hause bringt. Als ihre Mutter Irene einen Schlaganfall erleidet, ist Klara gezwungen, kürzer zu treten, völlig überfordert von ihren Pflichten, zerrieben zwischen den Ansprüchen ihres Chefs, ihres Mannes und der Uneinsichtigkeit ihrer Mutter, der nichts gut genug ist. Klara, die mit der Verantwortung nicht zurechtkommt, die ihrer Tochter entfremdet ist, hofft, durch die Pflegerin Paulina ihr Leben zurück zu bekommen.

Irene, Klaras Mutter, war eine selbständige Frau, die ihr Leben im Griff hatte. Sie hat Klara, die sie schon als Kind als anspruchsvoll empfand, alleine aufgezogen. Nunmehr durch den Schlaganfall verwirrt, weigert sie sich lange, Hilfe anzunehmen. Als sie bei Klara einzieht, gelingt es erst Paulina, Irenes Vertrauen zu gewinnen, nachdem der Versuch mit anderen Pflegekräften bereits gescheitert ist.

Paulina ist zwei Wochen im Monat bei Irene, in dieser Zeit lebt sie nicht ihr Leben, sondern das einer fremden Familie. Die sie braucht, die froh ist, dass Paulina sich um alles kümmert. Doch Paulina hat zwei Söhne in der Slowakei, die die Mutter erst schmerzlich vermissen, aber dann nichts mehr von ihr erwarten. Und Paulina erkennt: Die Zeit, die sie nicht da ist, kann sie nie wieder gut machen.

Alle drei Frauen stellen sich dieselbe Frage: Was ist ein gelingendes Leben? Und alle drei scheitern an dieser Herausforderung. Und die Männer?
Klaras Mann ist Fotograf, opportunistisch und unter dem Deckmantel der Freundlichkeit fordernd. Es wird sich schon jemand kümmern- um den neuen Hund, um ein zweites Kind, um Irene. Er sucht die Schönheit im Chaos, lässt Klara alle Probleme lösen, aber scheint sie in seiner Bequemlichkeit zu lieben.
Irenes Mann war nach der Trennung ausgewandert, kümmerte sich nicht mehr um die Tochter. Und Paulinas Mann hat sie verlassen, als sie ihre todkranke Mutter pflegte, die so lange nicht sterben wollte, bis Paulina vergisst, ihr die notwendigen Medikamente zu geben.

Hier wird keine Frage nach der Verantwortlichkeit der Männer, der Väter, gestellt, die sich ihr Leben auf Kosten der drei Frauen eingerichtet haben. Die Frauen, die immer ein schlechtes Gewissen haben, zerrieben zwischen wirtschaftlichen Anforderungen, familiären Pflichten und, zumindest bei Klara, dem Wunsch nach Selbstverwirklichung. Dadurch entsteht Übergriffigkeit, ein Gefallen bitte, Paulina, du kannst doch noch bleiben? Und Paulina, abhängig von dieser Arbeit, gibt nach, denn sie weiß: In ihrer Agentur, die sie als Pflegekraft vermittelt hat, ist sie kein Mensch, sondern ein Ordner.

Susanne Gregor konfrontiert in diesem Roman die Lesenden mit drei Frauenschicksalen, mit der bitteren Realität des Alltags. Jede der drei Frauen lebt mit Schuld, weil sie der ihnen zugedachten Rolle nicht gerecht werden, weil sie überfordert damit sind, Ernährerin, Mutter, Ehefrau und Tochter gleichzeitig zu sein, weil die Pflicht, nicht nur für Kinder, sondern auch für die alten Eltern zu sorgen eine Rollenumkehr erzwingt, die das Leben der Frauen an den Rand des Erträglichen bringt.

In dichter, sachlicher und nur selten wertender Erzählweise beschreibt Susanne Gregor die Schwierigkeiten, die Frauen in unserer Gesellschaft meistern müssen, die um so leichter zu meistern sind, wenn man Geld hat und sich Hilfe leisten kann. Die Situation der betroffenen Familien und der Pflegenden wird realistisch beschrieben, dieses Schwanken zwischen der Hoffnung, Verantwortung abgeben zu können, weil man dafür bezahlt und der Verzweiflung der Pflegenden, die eigene Familie im Stich zu lassen, wird glaubhaft und einfühlsam geschildert. Dieses Buch ist leicht lesbar, geschmeidig, jedes Wort hat seinen Platz und dennoch ist dieser Roman oft schmerzhaft, denn er ist so wahr. Und manchmal schwer erträglich, weil sich die Lesenden vielleicht fragen, ob sie hier in den Spiegel ihrer eigenen, persönlichen Situation blicken.

“Halbe Leben” ist ein psychologisch fein ausgearbeitetes, beeindruckendes und kluges Buch, das ich nur empfehlen kann und mit verdienten fünf Sternen bewerte.

Bewertung vom 24.01.2025
Als der Wald erwachte
Karinsdotter, Emma;Widmark, Martin

Als der Wald erwachte


ausgezeichnet

Als die Freude in den Wald zurück kam

Mit “Als der Wald erwachte” haben Martin Widmark und Emma Karinsdotter eine außergewöhnliche, warmherzige Geschichte geschrieben, die in kindgerechter Weise erzählt, wie wichtig es ist, Trauer anzunehmen, aber dennoch die Augen vor dem Leben nicht zu verschließen. Das bezaubernd gestaltete umlaufende Hardcover dieses hochwertig und liebevoll ausgestatteten Buches zeigt den Kindern die alte Eiche, die die Geschichte des Waldes, von seinen Bewohnern “Spinat” genannt, erzählt.

Im Wald lebt die kleine Spinatfrau, die alle Waldbewohner fürchten, denn sie ist immer zornig. In ihrem Herzen ist Winter und daher mag sie nichts, das lebt. Doch nicht nur sie, auch ein kleiner wütender und trauriger Junge stapft durch den Wald, ohne einen Blick für seine Schönheit zu haben. Doch die Spinatfrau sieht er schon und steckt sie in seine Jackentasche. Alle Waldbewohner sind zuerst froh, die Spinatfrau ist weg. Aber fehlt sie nicht trotzdem? Als die Eiche ihre Geschichte erzählt, wird klar: Auch die kleine Spinatfrau gehört zum Wald.

In diesem wunderbaren Bilderbuch für vier- bis achtjährige Kinder werden Themen behandelt, die sonst vielleicht nicht angesprochen werden. Doch genau wie der kleinen Spinatfrau mag es Kindern gelingen, mit Trauer und Einsamkeit umzugehen und darüber zu sprechen. ”Als der Wald erwachte” ist ein außergewöhnliches Buch, sehr gut lesbar, oft fast poetisch, in dem die alte Eiche Geborgenheit und Mitgefühl vermittelt. Die märchenhaften Illustrationen von Emilia Dziubak, die bei einer Doppelseite jeweils eine volle Seite einnehmen, erhalten die Aufmerksamkeit der kleinen (Mit)Lesenden und helfen, in die Geschichte einzutauchen.

”Als der Wald erwachte” ist eine berührende Geschichte, die dazu anregt, mit gelebter Trauer abzuschließen und das Leben zu feiern. Es ist eine Geschichte über Sehnsucht und Verlust, aber auch über den Wert der Freundschaft, über das Wissen darum, geliebt und gebraucht zu werden. Und es ist eine Geschichte, die Trost bringen kann und dazu ermutigt, die schönen Seiten des Lebens und der Natur zu sehen. Nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene werden sich von dieser klugen Erzählung angesprochen fühlen und dieses Buch sicher öfter zur Hand nehmen, daher eine absolute Empfehlung von mir und verdiente fünf Sterne.

Bewertung vom 20.01.2025
PS: Du bist ein Traum! (PS: Du bist die Beste! 5)
Buchholz, Natalie

PS: Du bist ein Traum! (PS: Du bist die Beste! 5)


ausgezeichnet

Liebesträume und Liebeswirren

Im fünften Band der Reihe “PS: Du bist die Beste” hat die bekannte Spiegel- Bestsellerautorin Nathalie Buchholz wieder ein wunderbares Buch über Freundschaft, Familie und Teenagerträume vorgelegt. Das fröhlich- bunte Hardcover zieht mit seinen phantasievollen Illustrationen von Inka Vigh sofort die Blicke auf sich und nicht nur jugendliche Leser*innen werden neugierig zu diesem Buch greifen.

Wer die Reihe nicht kennt, findet schon auf den ersten Buchseiten eine Beschreibung der Figuren, ihrer Hobbys und Charaktereigenschaften. Hauptpersonen sind aber wie in den vorangegangenen Bänden die beiden Herzfreundinnen Lore und Emma, und was bei einer so tiefen Freundschaft nicht verwundert, auf beide Mädchen warten neben Liebeswirren auch große Überraschungen.

Zeitgleich schreiben die Freundinnen einander einen langen Brief, denn Lore lebt in Kiel und Emma in Rosenheim. Und beide sind an diesem Tag nicht in der Schule. Lore hatte einen seltsamen Traum, den sie nicht deuten kann, nicht einmal, als ihr ihre Mutter ein Buch über Traumdeutung gibt, das Siegmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, geschrieben hat. Sehr hilfreich ist es aber nicht. Daher will Lore ihren Traum für Emma aufschreiben. Lore hat von Sternbildern und ihrem Schwarm Aiko geträumt und von einem festlich gedeckten Tisch. Als ihr Vater sie zum Mittagessen ruft, verspricht er ihr eine große Überraschung. Wer steht da in der Küche? Ist das alles ein Traum oder doch real?

Auch Emma steckt im Gefühlschaos, denn sie ist in Alex verliebt, aber sie sind kein Paar. In der Vergangenheit hat Alex Emmas Vertrauen missbraucht, aber Emma hat ihm längst verziehen. Jetzt versucht Emma mit witzigen Situations- Auswirkungs- Emotions- Skizzen Ordnung in ihre Empfindungen zu bringen. Doch was Emma nicht weiß: Leon-der-beste-Stiefbruder-ever hat eine Überraschung für sie vorbereitet. Und wer steht in der Küche vor einem festlich gedeckten Tisch? Alles ist fast wie ein Traum. Oder ist es doch real?

Beide Mädchen wissen jedoch auch, dass Familie nicht immer einfach ist. Lores Eltern sind getrennt, aber sie hat einen süßen kleinen Bruder und eine Katze, die Katze heißt. Emma hingegen hat mit Ruth die beste Stiefmutter-ever und mit Leon den besten Stiefbruder. Leider ist Leon unglücklich verliebt und Emma kann hier nicht helfen, sondern nur trösten.

In diesem witzigen und flott geschriebenen Buch für Jungen und Mädchen ab elf Jahren finden sich verwirrte Gefühle und Situationskomik genau so wie einfühlsame Szenen über die Schwierigkeiten, die die Liebe mit sich bringt. Bildhaft und heiter wird sowohl die Verunsicherung, aber auch die überschäumende Freude beschrieben, wenn sich Träume erfüllen. Und über allem steht natürlich das Wissen, dass man seiner Traumfreundin alles anvertrauen kann.

Langeweile kommt hier niemals auf, denn Emma und Lore berichten im Tagebuchstil, in Chats oder in Briefform von ihren Gedanken und Gefühlen. Wunderbar unterstützt wird dieser lebhafte Austausch durch die gelungenen Illustrationen von Inka Vigh, die diese Geschichte leicht lesbar machen und damit beitragen, dass dieses modern gestaltete Buch zu einem Lieblingsstück im Regal werden wird. Daher eine absolute Leseempfehlung von mir und verdiente fünf Sterne.

Bewertung vom 19.01.2025
Salute - Der letzte Espresso
Kalpenstein, Friedrich

Salute - Der letzte Espresso


sehr gut

Der Tod zahlt keine Zeche

Mit seiner neuen Krimireihe, “Salute,. der letzte Espresso” entführt der durch seine “Tischler” Kriminalromane bekannte Autor Friedrich Kalpenstein die Leser*innen diesmal an den Gardasee. Dort hat der ehemalige Münchner Kriminalhauptkommissar Paul Zeitler ein Café eröffnet und sich bereits bestens in Bardolino eingelebt.

Doch statt zu bezahlen, wird sein letzter Gast umgebracht. Natürlich erwacht hier auch in Zeitler der ehemalige Kriminalist und er ermittelt neben Kommissar Lanza, dem zuständigen italienischen Beamten. Was diesem gar nicht recht ist, denn für ihn zählt der Kollege außer Dienst zu den Verdächtigen. Also muss Zeitler seine Unschuld beweisen, aber als er sich in seiner näheren Umgebung umsieht, kommt ihm bereits ein schlimmer Verdacht- welchen ungebetenen Besuch bekommt der befreundete Restaurantbesitzer nebenan? Und wieso hat ein bekannter Journalist in einem reißerischen Artikel alles getan, um den Verdacht auf Zeitler zu lenken?

Dieses Buch von Friedrich Kalpenstein ist nicht so blutrünstig, wie das wunderbar zur Geschichte passende rote Cover suggeriert. Es ist flüssig und angenehm zu lesen, nur sehr selten kommt Hektik auf. Vor allem vermittelt uns der Autor italienisches Lebensgefühl durch die Beschreibung freundlicher Menschen, von gutem Wein und hervorragendem Essen, natürlich kommt auch die wunderbare Landschaft nicht zu kurz. Der Krimi bietet mit dem nunmehrigen Barista Paul oder Paolo, wie er von den Einheimischen genannt wird, als Hauptfigur einen Mann in den besten Jahren, der sich mit seinem Café einen Lebenstraum verwirklicht hat. Auch Kommissar Lanza ist ein interessanter Charakter, mürrisch und misstrauisch, aber ein guter Ermittler. Allerdings weiß er auch, im richtigen Moment die Augen zu verschließen, wenn es um die Interessen des Fremdenverkehrs geht.

Ein wenig dürfen wir an Zeitlers früherem Privatleben teilhaben, seine Ex-Frau hat es auch nach Bardolino verschlagen, sie macht dort Urlaub- und nicht allein. Jedoch warum genau Zeitler München verlassen und seinen Beruf aufgegeben hat, können wir nur erahnen- er wollte wohl nichts mehr mit Leichen zu tun haben. Und doch ist er es, der der Polizei den entscheidenden Hinweis auf den Täter liefern kann.

Dieser Gardasee-Krimi überzeugt mit einem sehr sympathischen Ex-Kommissar Zeitler, der es versteht, mit allen seinen italienischen Nachbarn wunderbar auszukommen, ohne auch nur im Ansatz italienisch zu sprechen. Ein wenig wird auch die schreibende Zunft beleuchtet, und es mag verwundern, was Journalisten alles tun mögen, um ihren Artikel auf die Titelseite zu bekommen. Da das Buch nicht viele Verdächtige anbietet, kommt die Lösung dieses Kriminalfalles nicht ganz unerwartet. Trotz einer gelungenen Geschichte- ich habe hier ein wenig den Humor vermisst, der mir bei den anderen Büchern das Autors so gut gefallen hat. Aber “Salute, der letzte Espresso” bietet wunderbare Leseentspannung und ich kann diesen Roman allen empfehlen, die sich schon jetzt in den sonnigen Süden träumen wollen.

Bewertung vom 11.01.2025
Schon immer tot
Payne, T. M.

Schon immer tot


sehr gut

Berührend und bestürzend: Wer ist hier Täter, wer ist Opfer?

In ihrem Thriller hat die erfolgreiche Autorin T.M. Paine ein Szenario beschrieben, das die Lesenden in einen Konflikt stürzt und sie immer wieder zwingt, die Täter- und Opferrolle zu hinterfragen. Schon das gelungene Cover hat “blutrot” als Signalfarbe, und genau so entspinnt sich auch die Handlung.

Ein Mord ist geschehen, ohne Leiche. So muss es wohl sein, denkt DI Sheridan Holler, als sie den Cold Case zum Fall Daniel Parks wieder aufnimmt. Es gibt viele ungeklärte Fragen, der Vater von Daniel war zwar des Mordes angeklagt, wurde aber freigesprochen. Und Daniels Schwester Jennifer hat diesen Prozess akribisch verfolgt.

Nunmehr versuchen Sheridan und ihre Kollegin Anna neue Spuren zu finden, wieder geraten die Eltern ins Visier, doch sie können nicht mehr viel beitragen, denn sie werden selbst Opfer- grausam ermordet. Und Jennifer leidet. Sheridan Holler kennt diesen Zustand, denn auch ihr Bruder wurde vor Jahrzehnten ermordet, der Täter nicht gefunden. Daher verbeißt sich Sheridan in diesen Fall, bei dem sich bald ein Verdächtiger, ein Freund der Familie, heraus kristallisiert. Aber ist er wirklich der Täter?

Im Laufe dieses flüssig und spannend erzählten Thrillers zeigt sich, dass Täuschung und Manipulation eine große Rolle spielen. Und dass im Verborgenen, in der Familie der Ermordeten, furchtbare Verbrechen begangen wurden, die es den Lesenden nicht einfach machen, die Täter- und die Opferrollen eindeutig zuzuordnen. Hin und hergerissen zwischen Ekel, Abscheu und Mitleid verfolgt man als Leser*in gebannt das Geschehen, bringt Verständnis für die Täter auf, die selbst Opfer waren. Und muss sich entscheiden, ob man dem Recht oder der Gerechtigkeit den Vorzug geben möchte.

Der Roman “Schon immer tot” lebt von starken Frauencharakteren und dem erzählten Schicksal dieser Figuren:

Sheridan ist eine geschickte und durchsetzungsfähige Ermittlerin, die niemals den Versuch aufgeben wird, den Tod des eigenen Bruders aufzuklären. Ihr ist wenigstens persönliches Glück an der Seite ihrer Partnerin Sam vergönnt.

Anna, Sheridans Freundin und Kollegin, die in ihren Beruf engagiert und konsequent handelt, zögert in ihrem Privatleben aber lange, die Konsequenzen aus dem verbrecherischen Handeln ihres Ehepartners zu ziehen. Lange erhält sie die Maske des persönlichen Glücks aufrecht und das Buch findet für diese Figur noch keinen befriedigenden Abschluss.

DCI Hill Knowles, die Chefin von Sheridan und Anna, gibt sich abweisend und sarkastisch. Spät erkennen Sheridan und Anna die Gründe für dieses Verhalten und versuchen, das Arbeitsklima zu verbessern. Außerdem läuft eine Wette im Revier: Heißt sie wirklich Hill?

Jennifer, die Schwester von Daniel Parks, die augenscheinlich alles tut, um der Polizei bei ihren Nachforschungen zu helfen, gerät immer mehr ins Visier der Ermittlerinnen. Sie scheint nach den Morden an den Mitgliedern ihrer Familie seelisch gebrochen, dennoch ist Sheridan Holler zunehmend überzeugt, dass sie nachhaltig in die schrecklichen Geschehnisse verstrickt ist. Welche Rolle spielt Jennifer wirklich in diesem Drama? Und welche Rolle spielt ihr Bruder Daniel in ihrem Leben?

Die gute Lesbarkeit dieses Thrillers ist auch den sehr kurzen Kapiteln geschuldet, die es einfach machen, der Handlung zu folgen. Und erst spät im Fortgang des Geschehens erschließt sich die Wahrheit über so viele abscheuliche Verbrechen. Wer sich nicht scheut, hinter die Fassade einer angeblich heilen Familie zu blicken und zu überlegen, ob die Täter hier Sympathie oder doch die Rache der Justiz verdienen, dem empfehle ich dieses gut geschriebene, manchmal berührende und oft auch verstörende Buch- eine spannende Lektüre zum Nachdenken!

Bewertung vom 02.01.2025
Wo das Herz zu Hause ist: Roman   Der berührende und spannende Abschluss der Ein-Schluck-Liebe-Reihe
Wöß, Lotte R.

Wo das Herz zu Hause ist: Roman Der berührende und spannende Abschluss der Ein-Schluck-Liebe-Reihe


sehr gut

Die Liebe heilt die schlimmsten Wunden

Tim Schluck, ein erfolgreicher Ruderer, überlebt fast unverletzt einen furchtbaren Autounfall, als er mit seiner Mannschaft auf dem Weg nach Paris zu den Olympischen Spielen ist. Die meisten Kameraden sind tot, einige sehr schwer verletzt. Tim kann dieses Erlebnis nicht verarbeiten, ihn quälen schwere Schuldgefühle, weil er noch am Leben ist. Er zieht sich auf einem Campingplatz in die Einsamkeit zurück, ohne zu wissen, dass ihm die Journalistin Heidi auf den Fersen ist, die an einer Sensationsstory Interesse hat.

Der Roman der bekannten Autorin Lotte Wöss erzählt im Wechsel zwei Liebesgeschichten. Der erste Erzählstrang handelt von Tim, der Heidi näherkommt und durch sie neuen Mut findet, jedoch nicht ahnt, dass ihn Heidi belügt. Sie gibt vor, Psychologin zu sein und ihre Ratschläge helfen Tim tatsächlich, sich wieder dem Leben zu stellen. Was aber wird geschehen, wenn Tim die Wahrheit erfährt?

Im zweiten Erzählstrang wird das Schicksal von Andreas behandelt. Auf dem Apfelhof der Familie Schluck hat er die Geschäfte übernommen und ist sehr stolz auf seinen Sohn Hendrik, der die Arbeit als Apfelbauer liebt. Allerdings ist Hendriks Mutter gegen die Pläne ihres Sohnes, zwischen Andreas und ihr kommt es zu einem Streit um den Jugendlichen. Als dieser auf einem Urlaub in den Tropen, zu dem ihn die Mutter gezwungen hat, erkrankt, fliegt Andreas zu ihm und lernt dort die Ärztin Mariam kennen. Wird es trotz der Entfernung und der anderen Kultur eine Chance auf eine Beziehung zwischen den Beiden geben?

”Wo das Herz zu Hause ist” ist der sechste Band der Romanreihe über die Apfelbauerfamilie Schluck im Alten Land. Da die Familienverhältnisse umfangreich und manchmal schwer zu durchschauen sind, gibt es am Ende des Buches einen Stammbaum, der es erleichtert, die Zusammenhänge zu erkennen. Das heitere Cover dieser gefühlvollen Buchreihe darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass sehr wohl ernste Probleme angesprochen werden. So entsteht der Verdacht, dass die Familie Schluck durch einen Landkauf, zu dem ein jüdischer Vorbesitzer gezwungen wurde, zu ihrem Anwesen gekommen ist. Auch Themen wie Manipulation und Abhängigkeit in Beziehungen finden Raum ebenso wie Streitigkeiten um das Sorgerecht für Minderjährige und die schlimmen Auswirkungen von Spielsucht.

In authentischen Dialogen führt uns die Autorin die Probleme vor Augen, die durchaus auch in der Realität in ähnlicher Form stattfinden könnten. Aber natürlich findet vor allem die Liebe ihren Platz, die über Schwierigkeiten hinweghelfen und auch schlimme seelische Wunden heilen kann. Die einzelnen Charaktere sind gut ausgearbeitet und agieren glaubhaft, es fällt nicht schwer, sich in die Gefühlswelt der einzelnen Protagonisten zu versetzen. Sollten Leser und Leserinnen die vorhergehenden Romane dieser Reihe nicht kennen, wäre es sicher hilfreich, diese Lektüre nachzuholen, um einen besseren Überblick über die Geschichte zu bekommen. Abschließend kann gesagt werden, dass “Wo das Herz zu Hause ist” eine gelungene, fein ausgearbeitete Familiengeschichte ist, die manchmal tiefgründige Momente bietet, aber in Summe zwei schöne Liebesgeschichten in einem lesenswerten Buch vereint. Wenn das Herz also mitsprechen darf, kann ich diesen Roman nur empfehlen.

Bewertung vom 30.12.2024
Der tote Antiquar von Limehouse / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.9
Granger, Ann

Der tote Antiquar von Limehouse / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.9


ausgezeichnet

Spannende Verbrecherjagd im viktorianischen London

Mit ihrem historischen Kriminalroman ”Der tote Antiquar von Limehouse” hat die bekannte Autorin Ann Granger bereits das neunte Buch ihrer im viktorianischen London spielenden Krimiserie über Inspector Benjamin Ross und Lizzie Martin vorgelegt. Schon das hervorragend zum Thema passende Cover vermittelt die düstere Atmosphäre des übel beleumdeten Stadtteiles Limehouse, Wohnsitz des Antiquars Jacob Jacobus.

Dieser Händler steht im Ruf, mit gestohlenen Wertgegenständen zu handeln und zu anderen Gaunerbanden ein gutes Verhältnis zu unterhalten. Doch er gibt manchmal Scotland Yard Tipps, nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus Eigennutz. Denn mit Amateurdieben will Jacobus nichts zu tun haben, sie stören nur sein Geschäft.
Inspector Benjamin Ross besucht Jacobus, es gab Einbrüche in wohlhabende Haushalte. Ross ist überzeugt, dass Jacobus Diebsgut verkauft, doch konnte dem Händler bisher nichts nachgewiesen werden. Gerade jetzt ist ein wertvolles Smaragd-Collier von Lady Roxby verschwunden. Aber Jakobus kann dazu nichts sagen, denn er ist tot.

Besteht ein Zusammenhang zwischen den Verbrechen? Das Collier ist unauffindbar, auch wenn die Nichte und der Neffe von Lady Roxby des Diebstahls verdächtigt werden. Neffe Harry hat Schulden und schon mehrmals kleine Kostbarkeiten bei Jacobus versetzt. Zudem gibt es eine weitere Leiche. So verzweifelt Benjamin Ross auch die Lösung seiner Fälle sucht, alles ist anders, als es auf den ersten Blick erscheint. Auch die gesellschaftlichen Verbindungen seiner Ehefrau Lizzie bringen manchen wertvollen Tipp und tragen dadurch wesentlich zur Aufklärung der Geschehnisse bei.

Mit “Der tote Antiquar von Limehouse” hat Ann Granger ein gut recherchiertes Sittenbild der gesellschaftlichen Zustände in London im späten neunzehnten Jahrhundert vorgelegt. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird am Antiquar Jacobus gezeigt, der ein wohlhabender Gauner ist und nicht nur sein Wohnhaus, sondern auch die beiden Nebenhäuser mit einer Gaststätte und einem Eisenwarenladen besitzt. Die dort arbeitenden Menschen sind ihrem Dienstherrn ergeben und kümmern sich um ihn und seine Besucher. Aber nicht jeder kann der Gelegenheit widerstehen, dem toten Jacobus seine Taschenuhr zu stehlen. Und ein fürstliches Trinkgeld bleibt armen Leuten lange in Erinnerung- und trägt letztlich auch zur Ausforschung des Mörders bei.

Die Oberschicht wird in der Figur der Lady Roxby greifbar, die arrogant und unhöflich glaubt, über die Polizei und ihre Ermittlungsmethoden bestimmen zu können. Doch nach und nach kommen Familiengeheimnisse ans Licht, die nicht nur das verschollene Smaragdcollier betreffen.

Die Kapitel des Buches werden abwechselnd von Benjamin Ross und seiner Frau Lizzie in Ich-Form erzählt. Damit erkennt man gut die unterschiedlichen Sichtweisen der Eheleute, es ergeben sich liebevolle Dialoge, bei denen auch der typisch britische Humor nicht zu kurz kommt. Doch nicht nur Lizzie und Benjamin sind an dem Fall interessiert, auch ihr neugieriges Hausmädchen lauscht gerne an der Türe. Was sie so nicht herausbekommt, erzählt ihr ihr Freund, der mit Inspector Ross den Fall bearbeitet.

Dieser angenehm flüssig zu lesende heitere Kriminalroman überzeugt mit authentischen Dialogen und präzise gezeichneten Charakteren, die dazu einladen, die Figuren in das historische London zu begleiten. Die Sprache ist der Zeit gut angepasst und obwohl sich nie Hektik einstellt, ist das Buch spannend und birgt manche überraschende Wendung, die die Lesenden dazu anregt, selbst immer wieder neue Theorien zur Lösung der Fälle zu entwickeln. Ann Granger ist eine Meisterin darin, stets andere Verdächtige und mögliche Szenarien anzubieten, die dann doch wieder ins Leere laufen. Fans von Miss Marple oder Hercule Poirot werden von diesem Buch begeistert sein. Daher von mir eine absolute Leseempfehlung und verdiente fünf Sterne.

Bewertung vom 23.12.2024
Finsteres Herz / Die Toten von Marnow Bd.2
Schmidt, Holger Karsten

Finsteres Herz / Die Toten von Marnow Bd.2


ausgezeichnet

Zwei Handlungsstränge, vier Leben. So stellt uns der dreifache Grimme-Preisträger und Spiegel-Bestseller-Autor Holger Karsten Schmidt die Hauptcharaktere seines Kriminalromanes “Finsteres Herz” vor. Lona Mendt und Frank Elling sind das Ermittlerpaar, bei dem diese Geschichte beginnt. Erst als die beiden Polizisten niedergestreckt mit dem Tod ringen, treten die Sonderermittler Maja Kaminski und Hagen Dudek auf, um festzustellen, dass sie im Fall um das verschwundene bulgarische Waisenmädchen Sarah wieder ganz am Anfang stehen und in menschliche Abgründe blicken, die Mord, Menschenhandel und Kindesmissbrauch im ihrem Dunkel verbergen.

Zwei Handlungsstränge, vier Leichen. Darunter zwei Kinder. Nachlässig vergraben in einem Waldstück und als Illegale identifiziert, die niemand vermisst. Das gilt auch für die zwölfjährige Sarah, die jedem misstraut, sowohl der Polizei als auch den Menschenhändlern, die sie von Bulgarien nach Deutschland geschleust haben. Sarah ist Waise, sie sucht ihre bereits vor einem Jahr nach Deutschland geschleuste Schwester. Und nur Sarah kann helfen, den Hintermännern des Schleuserringes das Handwerk zu legen. Doch dafür müsste sie vor Gericht aussagen. Also kommt Sarah mit zwei weiteren Zeugen in ein Safe House, bewacht von Mendt und Elling- aber das Versteck wird verraten, Mendt und Elling sind lebensgefährlich verletzt. Sarahs Flucht beginnt aufs Neue, denn nun jagen sie nicht nur die Menschenhändler, sondern es ist klar- bei den Ermittlungsbehörden gibt es einen Maulwurf. Staatsanwalt Rost hat einen Verdacht und Maja Kaminski ermittelt nicht nur gegen die Verbrecher sondern auch in den eigenen Reihen.

Zwei Handlungsstränge, vier Schicksale:
Kommissarin Lona Mendt lebt angstbefreit- ihr ist das Schrecklichste widerfahren, das einem Menschen passieren kann. Sie hat ihre zwei Kinder und ihren Mann bei einem Flugzeugabsturz verloren. Nunmehr sind ihr die Folgen ihres Handelns gleichgültig, sie lebt in ihrem Wohnwagen, immer auf der Suche. Wonach? Die Antwort liegt bei Sarah und in Mendts Herz, das langsam wieder zu fühlen beginnt.

Frank Elling ist ein Polizist, der nicht immer den geraden Weg geht und Recht und Gerechtigkeit unterscheidet. Er liebt seine Tochter und sein Leben, das aber ohne sein Wissen schon lange Zeit an einem seidenen Faden hängt. Und ohne Zögern stellt er sich den Angreifern entgegen, die das Safe House überfallen, im Bewusstsein, dass das wahrscheinlich seinen Tod bedeuten wird.

Als Kommissarin Maja Kaminski von der Bundespolizei und Kommissar Hagen Dudek vom LKA den Fall übernehmen, geht es nicht nur um die Suche nach Sarah, sondern vor allem auch um die Suche nach den Hintermännern, einem verbrecherischen Clan, dessen Netzwerk sich über Bulgarien nach Polen und Deutschland erstreckt. Mafiaähnliche Strukturen sind der Hintergrund von geschleusten und ausgebeuteten Arbeitskräften sowie Kindern, die direkt aus Waisenhäusern kommen, gekennzeichnet nur mit einem Ring als “besondere Kinder“, solche, die verschwinden und nie in das Waisenhaus zurückkehren.

Zwei Handlungsstränge, die zum Jahreswechsel 2006/2007 in einander übergehen. Mendt und Elling kämpfen um ihr Leben, Kaminski und Dudek verfolgen den Fall weiter. Das Ermittlerduo hat gewechselt, Not und Elend sind gleich geblieben: Kinder, die in Waisenhäusern sehnlichst darauf warten, adoptiert zu werden. Geschleuste Kinder und Erwachsene, ausgebeutet von einem verbrecherischen System und von der Gesellschaft weitgehend unbemerkt. Abhängig und erniedrigt. Und doch zu verängstigt, um gegen ihre Peiniger auszusagen.

Holger Karsten Schmidt hat nicht nur einen eindringlichen, berührenden und Entsetzen auslösenden Kriminalroman vorgelegt, sondern er legt den Finger in die Wunden unserer Gesellschaft, die gerne wegsieht, wenn es sich um Ausbeutung und Missbrauch handelt. Im Roman “Finsteres Herz” kommen die Täter auch aus den höchsten gesellschaftlichen Schichten und sind so sehr in staatlichen Strukturen und Beziehungen verwoben, dass ihre Entdeckung und Verfolgung schwer möglich ist, da sie einen Skandal bedeuten würde. Macht und ihr Missbrauch sind hier wichtige Themen, Abhängigkeit und falsche Loyalität sowie Gewalt schützen verbrecherische Netzwerke. In einem Roman, der den Spannungsbogen bis zum “bitteren” Ende hält und das Geschehen in authentischer und bildhafter Sprache darstellt, kann man sich sowohl den Gefahren der Situation, den Gefühlen der Protagonisten sowie der Szenerie des Rostocker Umlandes nicht entziehen. Schon das genau zum Thema passende Cover zeigt: “Hier bist Du, Mensch, alleine und Dein Weg führt ins Ungewisse”.

“Finsteres Herz” ist ein nachdenklich machendes Buch, eine vielschichtige, realitätsnahe und zeitgemäße Bestandsaufnahme der dunkelsten Seiten unserer Gesellschaft und einfach ein großartiger Roman. Daher von mir eine absolute Leseempfehlung und verdiente fünf Sterne.

Bewertung vom 14.12.2024
Die Innere Führung
Sommer, Lars

Die Innere Führung


sehr gut

Von der Macht und Ohnmacht des Staates

In seinem Kriminalroman “Die Innere Führung” hat Lucas Fassnacht alias Lars Sommer nicht nur ein Gesellschaftsbild vorgelegt, sondern dieses in eine spannende Krimihandlung verpackt.
Schon das Cover zeigt die Szenerie der ersten Todesfälle, die Explosion einer Autobombe auf einer Hochzeit. Zu Tode kommt der Kommandeur einer Eliteeinheit der Bundeswehr und seine Frau, beschafft wurde die Limousine von einem anderen Elitesoldaten.
Und darum dreht sich der Kontext des Buches: Sind die Staatsmacht und ihre Organe moralisch befugt, Krieg zu führen oder in bewaffnete Konflikte einzugreifen? Ist es wichtiger, Werte und Haltung zu zeigen oder neigen die meisten Menschen tatsächlich dazu, nur in Ruhe leben zu wollen und ist hier Krieg und Tod eher störendes Beiwerk?

Hauptcharaktere des Romans sind drei Elitesoldaten, die in Afghanistan gedient haben und dort schwierige Einsätze bewältigt haben. Allen Dreien ist gemeinsam, dass sie unverbrüchlich für einander einstehen würden und ihr Leben für einander geben würden. Aber ist das wirklich so? Ist der Corpsgeist der Truppe so stark, dass sie Verräter oder solche, die sie dafür hält, in den eigenen Reihen dulden würde? Was geschieht, wenn einer der Kameraden bereit ist, Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen, die nicht für diese bestimmt sind?

Die Handlung dieses temporeichen Kriminalromanes zeigt Kriminalhauptkommissar Erich Kleinrädl, der mit Hilfe seiner Assistentin Schlanghain im Milieu der Bundeswehr ermittelt. Damit ruft er aber auch andere staatliche Dienststellen auf den Plan, die erst versuchen, die Ermittlungen zu hintertreiben, dann jedoch den Dingen ihren Lauf lassen. Und immer wieder zeigt der Autor auf, dass eigentlich nur militärische Spezialisten fähig sind, in Krisensituationen den Überblick zu behalten und Gefahren rechtzeitig zu erkennen.

Die Elitesoldaten Bastian Werker und Jonathan von Holl sind gezeichnet als Menschen, die ihre Gefühle glauben im Griff zu haben und die sich keine Schwäche zugestehen können. Dennoch neigen sie zu Überreaktionen, wenn sie provoziert werden und führen ein einsames Leben, das nur von Loyalität zu den ehemaligen Kameraden geprägt ist. Zwei Morde müssen geschehen, bevor Kriminalhauptkommissar Kleinrädl das Schweigen brechen kann und der Lösung des Falles nahe kommt. Letztlich ist daran auch eine ehemalige Heeresbergführerin beteiligt, die als Sportpolizistin und jetzt Psychologin die Situation der beteiligten Männer einordnen kann und versucht, Aggression und Gewalt zu entschärfen.

In seinem Buch “Die Innere Führung” hat Lars Sommer ein brisantes Thema unserer Gesellschaft aufgegriffen: Ist es gerechtfertigt, dass der Staat sein Gewaltmonopol durchsetzt oder haben die Bundeswehrgegner Recht, die versuchen, im Land Stimmung gegen die Truppe zu machen und dabei von den Medien weidlich unterstützt werden.

Dieses Buch sollte jeder lesen, der heute mit offenen Augen durch die Welt geht und sich nicht scheut, eine eigene Meinung zu den Geschehnissen zu entwickeln. Und immer wieder muss man sich fragen: “Ist die Wahrheit den Menschen zumutbar?” Wer sich nicht scheut, gesellschaftspolitische Probleme, verpackt in einen spannenden und gut ausgearbeiteten Krimistoff mit actionreichen Dialogen, anzusprechen, dem empfehle ich dieses sehr gut geschriebene Buch.

Bewertung vom 13.12.2024
Die Spur der Sehnsucht
Janssen, Jaane

Die Spur der Sehnsucht


ausgezeichnet

Von Liebe und Leiden: Ein großartiger Historien-,Liebes- und Frauenroman

Im ersten Band ihrer Ostfriesland Saga hat die bekannte Autorin Jaane Janssen mit “Die Spur der Sehnsucht” einen eindringlichen, gefühlvollen historischen Roman vorgelegt, in dessen Mittelpunkt ein schweres Frauenschicksal zur Zeit des ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts steht. Schon das stimmungsvolle Cover zieht den Blick auf das Meer, das Leben gibt, aber auch Frauen zu Witwen und Kinder zu Waisen macht.

Sventje, die Frau eines Walfängers, muss sich mit drei Kindern oft monatelang auf Borkum ohne Mann durchschlagen, jetzt ist das vierte Kind unterwegs. Wird ihr Mann Lian rechtzeitig zur Entbindung zu Hause sein? Doch Sventje stirbt fast bei der schwierigen Geburt, nur das kundige Wissen von zwei Hebammen hält sie am Leben.

Schon seit ihrer Jugend verbindet sie eine zarte Bekanntschaft mit Valentin von Halversberg, dem Gutsherrn, der Armut nur vom Sehen kennt. Er ist stets zur Stelle, wenn Sventje Hilfe braucht, sei es zur Geburt des Kindes oder als das Haus der Familie durch eine Sturmflut vernichtet wird. Valentin hat zärtliche Gefühle für Sventje, doch weiß er um die Unmöglichkeit seines Begehrens. Mehr als heimliches Beobachten ist ihm nicht vergönnt. Sventje würde sich zwar ein besseres Leben wünschen, liebt jedoch ihren Mann Lian.

Lian sehnt sich nach Sventje, er schreibt ihr regelmäßig, jeden Tag, den er auf See verbringt, führt er ein eigenes Logbuch in Briefform für sie. Doch wird er Sventjes Liebe halten können, wenn er ohne Geld nach Hause zurückkehrt?

Stärkster Charakter des Buches ist Sventje, deren intimste Momente von den Lesenden miterlebt werden. Dadurch schafft die Autorin eine persönliche Nähe zu ihrer Hauptfigur, die Lesenden erleben ihr Leiden, ihre Zweifel und ihren Kampf um das Überleben beinahe hautnah mit. Hier kommt auch die sorgfältige Recherche der Autorin zum Tragen, die das damalige Wissen und Können der Hebammen kompetent beschreibt.

Lian wird als treuer, mitfühlender und manchmal an seinem Beruf verzweifelnder Mann geschildert, der die langen Trennungen von seiner Familie genau wie Sventje schlecht verkraftet. Nach einer unüberlegten Entscheidung ist er jedoch gezwungen, seine Arbeit als Walfänger rasch wieder aufzunehmen.

Valentin, der Gutsherr, zeigt nach außen ein hartes Gebaren, ist aber im Herzen einfühlsam, hilfsbereit und unglücklich in Sventje verliebt. Letztlich ist ihm nur Sventjes Glück wichtig. Dennoch bleiben in diesem Zusammenhang einige Handlungsstränge offen, deren Auflösung erst im zweiten Band der Ostfriesen- Saga, der im nächsten Jahr erschien wird, zu erwarten ist.

Drei Leben, drei Schicksale unter schwierigen Lebensbedingungen in einander verwoben in einer Zeit, in der Unruhe und Revolution bereits herauf zu dräuen scheinen. Menschen, die oft getrennt sind und doch so innig verbunden durch Begehren und Sehnsucht.

In diesem vielschichtigen Roman, der gleichzeitig Historienepos, Liebes- und Frauenroman ist, erzählen Sventje, Lian und Valentin in kurzen, gut lesbaren Kapiteln und lebendiger Sprache aus ihrem Leben. Jaane Janssen schreibt so über altes Wissen, heute bereits verlorengegangen, aber auch über Aberglauben und Unwissenheit der damaligen Zeit. Das Leben war einsam und entbehrungsreich, sowohl für die zurückgebliebenen Frauen und Kinder wie für die Männer auf den Walfangschiffen. Damit zeichnet die Autorin ein authentisches Bild der Verhältnisse um das Jahr 1775. Als Leser und Leserin fühlt man sich direkt in die Geschehnisse einbezogen und kann die Gefühle der Protagonisten nachvollziehen, mit erleben und mit erleiden. So fehlt es dem Buch, das sich als echter Page-Turner erweist, nie an Spannung und unerwarteten Wendungen. Daher von mir eine absolute Leseempfehlung und verdiente fünf Sterne.