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Herbstrose

Bewertungen

Insgesamt 204 Bewertungen
Bewertung vom 03.08.2024
Kleine Monster (eBook, ePUB)
Lind, Jessica

Kleine Monster (eBook, ePUB)


sehr gut

Ein Kindheitstrauma der Mutter wird zum Problem ihres Kindes
Pia und Jakob werden in die Schule ihres Sohnes bestellt, es soll einen Vorfall mit einem Mädchen gegeben haben. Was sie dort hören können sie zunächst nicht glauben, ihr Luca ist doch erst sieben Jahre alt. Was kann ein Kind in diesem Alter schon schlimmes anstellen? Doch als Luca auf Nachfragen der Eltern eisern schweigt, kommen Pia erste Zweifel. Sie erinnert sich an ihre Kindheit, an die Abgründe in ihrer Familie und an das innige Verhältnis zu ihren beiden Schwestern. Plötzlich misstraut sie ihrem kleinen Sohn, überwacht ihn und lässt ihn nicht mehr aus den Augen. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn verschlechtert sich zusehends …
Jessica Lind, geb. 1988 in St. Pölten, ist eine österreichische Schriftstellerin und Drehbuchautorin, die mit dem Gewinn des Literaturwettbewerbs „Open Mike 2015“ bekannt wurde. Sie wuchs in Niederösterreich auf und lebt heute in Wien. „Kleine Monster“ ist ihr zweiter Roman.
Die Geschichte beginnt recht spannend und weckt die Erwartung, etwas über Lucas Verhalten und die Hintergründe zu erfahren. Leider wird dieser Aspekt zugunsten von Pias Trauma in ihrer Kindheit vernachlässigt. Einen Zusammenhang zwischen dem Tod ihrer Schwester und ihrer heutigen skeptischen Haltung gegenüber Luca und seinem möglicherweise boshaften Tun, konnte ich dabei nicht feststellen. Dies bewirkt, dass einige Fragen offen bleiben und die anfängliche Spannung allmählich abflaut. Ein Grund, dass Pia an der Unschuld ihres Sohnes zweifelt, ist für mich nicht ersichtlich.
Dennoch finde ich das Buch ganz gut gelungen. Die familiären Verhältnisse sind intensiv beschrieben und gut nachvollziehbar, wenn auch die Personen etwas emotionslos wirken. Der Schreibstil ist gut lesbar, die immer wieder auftauchenden österreichischen Ausdrücke hemmen den Lesefluss nur wenig. Etwas anstrengend jedoch ist der häufige, meist abrupte Wechsel von Gegenwart zu Vergangenheit, da man sich immer neu orientieren muss. Am Ende bleiben einige Fragen offen. Der Schluss der Geschichte ist überraschend, wirkt aber nicht in sich abgeschlossen, da das Geschehen in eine ganz andere Richtung abweicht.
Fazit: Ein interessantes, gut geschriebenes Thema, aus dem man noch etwas mehr hätte herausholen können.

Bewertung vom 31.07.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


weniger gut

Späte Suche
Die Autorin war gerade mal acht Monate alt, als ein rücksichtsloser Fahrer einen Unfall verursachte, bei dem ihr Vater zu Tode kam. Ihre Mutter sprach so gut wie nie darüber, und Zora stellte auch keine Fragen, obwohl sie den Vater vermisste. Jetzt sind sechzig Jahre vergangen und plötzlich möchte Zora mehr über ihren Vater, den Unfall und den Unfallverursacher erfahren. Mutter ist inzwischen dement und lebt im Altenheim, kann ihr also nicht mehr helfen. So ist sie mit ihren Nachforschungen, die sich schwieriger erweisen als gedacht, auf sich alleine gestellt …
Zora del Buono, geb. 1962 in Zürich, ist eine Schweizer Schriftstellerin, Architektin und Journalistin. Sie ist die Tochter eines italienischen Arztes, der früh bei einem Autounfall starb, und einer Schweizerin. Sie wuchs in Zürich und Bari auf, studierte in Zürich und Berlin Architektur, wo sie bis 1995 als Architektin tätig war. Del Bouno schrieb bereits mehrere erfolgreiche Romane, ist Mitglied des Schweizer PEN und lebt heute in Zürich.
Die autobiographische Geschichte ist in kurze Kapitel aufgeteilt, in denen die Autorin hauptsächlich über Belangloses berichtet und dabei von einem Thema zum anderen springt. Sie erzählt von ihrer Studienzeit in Berlin, schweift ab in die Historie Schweizer Dörfer, führt Gespräche mit Freunden, lässt Kindheitserinnerungen wach werden, führt Unfallstatistiken auf, erwähnt die AIDS-Krise und Rassismus und informiert uns über schöne Urlaube in Bari bei den italienischen Großeltern. Es wird nicht wirklich erklärt, warum über den toten Vater nicht geredet wurde. Nach 20, 30 oder mehr Jahren konnte der Schmerz nicht mehr so groß gewesen sein, dass man nicht über das Geschehene sprechen konnte. Dass man sich auch in Bari bei den Großeltern nicht darüber unterhalten hat finde ich äußerst seltsam, ja beinahe unglaubwürdig. Warum hat es die Autorin nicht früher interessiert, wer der Unfallverursacher war und wie er damit umgeht, am Tod eines Menschen schuldig zu sein? Sechzig Jahre ist eine unendlich lange Zeit, nach der man m.E. das Geschehen auf sich beruhen lassen sollte.
Fazit: Mich hat das Buch enttäuscht. Viele belanglose Themen, kaum Emotionen und eine Suche nach dem Unfallverursacher, die für mich Jahrzehnte zu spät erfolgt. Eine Empfehlung kann ich hier nicht aussprechen.

Bewertung vom 25.07.2024
Solito: A Read with Jenna Pick
Zamora, Javier

Solito: A Read with Jenna Pick


ausgezeichnet

Flucht ins Ungewisse
Von seinem fünften Lebensjahr an lebte der 1990 in El Salvador geborene Javier Zamora bei seinen Großeltern, die zwar arm waren, ihn aber liebevoll umsorgten. Er ist neun Jahre alt, als seine in die USA vor dem Bürgerkrieg geflüchteten Eltern endlich das Geld für falsche Papiere und einen Schleuser (Kojote) gespart hatten, der den Jungen zu ihnen nach Kalifornien bringen sollte. Die Route von 35oo Meilen sollte über Guatemala und durch Mexiko führen und etwa zwei Wochen dauern. Bis Guatemala begleitete ihn noch sein Großvater, dann begann für den Jungen ein Höllentrip. Der Schleuser setzte sich ab und Javier musste sich wechselnden Flüchtlingsgruppen anschließen. Die „Reise“ ging zunächst mit Bussen und Lastwagen über Land, dann auf kleinen Booten übers Meer und zu Fuß bei erbarmungsloser Hitze durch die Sonora-Wüste. Sein Überleben verdankt er der Fürsorge und Menschlichkeit einigen seiner Mitflüchtlingen, Patricia mit ihrer 12jährigen Tochter Carla, dem 19jährigen Chino sowie der Barmherzigkeit einiger Schleuser, die sie von Versteck zu Versteck weiter leiteten. Aus den geplanten zwei Wochen wurde eine Odyssee von beinahe drei Monaten, bis die Eltern den Jungen endlich in ihre Arme schließen konnten …
Javier Zamora ist ein salvadorianischer Dichter und Aktivist. Er wurde 1990 in El Salvador geboren, wanderte im Alter von neun Jahren in die USA aus, wo er zu seinen Eltern nach Kalifornien zog. Er studierte an der Universität von Kalifornien, Berkeley, und an der Universität New York. Ab 2018 schrieb er Gedichte, teils über seine Flucht, bevor 2023 sein Buch „Solito: Eine wahre Geschichte“ zunächst auf Englisch, dann 2024 auf Deutsch erschien. Heute lebt Javier Zamora als Lyriker in Arizona.
Da es sich bei dem Buch um die Schilderung einer wahren Begebenheit handelt ist es erstaunlich, an wie viele Einzelheiten sich der heute erwachsene Javier Zamora noch erinnern kann. Er lässt sein 9jähriges Ich erzählen und verzichtet auf sämtliche politischen und wirtschaftlichen Andeutungen, was die Geschichte absolut authentisch macht, und legt den Fokus stattdessen ganz auf Zusammenhalt und Menschlichkeit unter unmenschlichen Bedingungen. Der Schreibstil ist extrem packend, auch wenn es sich anfangs etwas hinzieht, bis die ‚Reise‘ endlich losgeht.
Schwerwiegende Kritikpunkte sind für mich jedoch die wirklich auffallend vielen im Original belassenen spanischen Ausdrücke, die man zwar im Glossar am Ende des Buches nachschlagen kann, was aber für den Lesefluss enorm störend ist. (Ich habe das eBook gelesen, da ist das Hin und Her schier unmöglich.) Warum hat man nicht alles übersetzt? Das hätte dem Verständnis und dem Mitgefühl für den Autor wirklich keinen Abbruch getan. Äußerst hilfreich wäre auch eine skizzierte Karte mit der Fluchtroute gewesen. Nicht jeder Leser ist des Spanischen mächtig oder hat die Landkarte Mittelamerikas im Kopf!
Fazit: Trotz dieser Kritikpunkte ein Buch das man lesen sollte, auch um die momentane Flüchtlingssituation und die Motivation der Flüchtlinge besser zu verstehen. Ich vergebe gerne 5 Sterne.

Bewertung vom 19.07.2024
Das erste Licht des Sommers
Raimondi, Daniela

Das erste Licht des Sommers


ausgezeichnet

Liebe bedeutet auch Verzeihen
Die Geburt war schwer, am kältesten Tag des Jahres 1947. Sie ist „so schön wie das erste Licht des Sommers“ meinte die Hebamme, als das Mädchen endlich da war. Die Eltern Guido und Elsa nannten sie Norma, nach einer Oper von Bellini. Die Kälte des Geburtstages sollte Norma ein Leben lang verfolgen. Sie wächst geborgen bei ihrer Großmutter Neve in Stellata auf, wo sie in ihrer Cousine Donata eine beste Freundin und im Nachbarsjungen Elia einen Freund fürs Leben findet. Doch irgendwann ist die Kinder- und Jugendzeit zu Ende und die jungen Leute verlieren sich aus den Augen. Norma geht nach London, wo sie vom Tod Donatas erfährt und Jugendfreund Elia wieder trifft. Aus der Freundschaft wird allmählich Liebe, die beiden heiraten. Auf Einladung einer vor Jahren ausgewanderten Tante geht die Hochzeitsreise nach Brasilien, was für ihr zukünftiges Leben nicht ohne Auswirkungen bleiben wird …
Daniela Raimondi, geb. 1956 in Sermide, ist eine italienische Schriftstellerin. Sie lebte zunächst in Viggiù, zog dann nach Südamerika und von dort nach England, wo sie studierte und als Italienischlehrerin arbeitete. Sie veröffentlichte ab 2000 einige Gedichtbände, für die sie mit verschiedenen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, bevor 2020 ihr erster Roman „La casa sull’argine“ erschien, der sofort ein Bestseller wurde und 2022 in der deutschen Übersetzung „An den Ufern von Stellata“ vom Ullstein-Verlag herausgebracht wurde. „Das erste Licht des Sommers“ (2024) ist die Fortsetzung der Familiengeschichte. Daniela Raimondi lebt heute auf Sardinien.
Dass es für die Familiensage einen Vorgängerband gibt habe ich erst bemerkt, als ich „Das erste Licht des Sommers“ bereits gelesen hatte – es handelt sich somit um eine eigenständige, vollständig in sich abgeschlossene Geschichte. Wünschenswert wäre allerdings ein Glossar über die Familien und ihre Verwandtschaftsverhältnisse, da man bei den vielen Personen öfter mal den Überblick verlieren kann.
Der Focus dieses Romans ist auf Norma gerichtet, die wir von ihrer Geburt bis ins Alter von achtundsechzig Jahren begleiten und dabei all ihre Höhen und Tiefen miterleben. Ihre innige Freundschaft zu ihrer früh verstorbenen Cousine Donata, ihre schon früh erwachte Liebe zu Elias, dem Gefährten in Kindertagen, und ihre spät erwachte Zuneigung zu ihrer Mutter Elsa, der sie auf dem Sterbebett ihre Gefühle und Gedanken mitteilt. Selbstverständlich gab es auch Schattenseiten in Normas Leben, an denen wir voller Mitgefühl teilhaben.
Der Schreibstil ist sehr flüssig, man kann das Buch zügig durchlesen. Die Geschichte ist chronologisch aufgebaut und kapitelweise mit der entsprechenden Jahreszahl überschrieben, beginnend von 1947 bis zum Jahr 2015. Die familiären Ereignisse werden begleitet von den jeweils aktuellen politischen und gesellschaftlichen Begebenheiten. Dazwischen in Kursivschrift und kurzen Kapiteln eingefügt sind Normas Empfindungen und rückblickende Gedanken am Sterbebett der Mutter, die ich persönlich als sehr bewegend empfand. Neben dem problematischen Mutter/Tochter-Verhältnis werden noch andere relevante Themen, wie unerfüllter Kinderwunsch, Seitensprung und plötzliche Todesfälle aufgegriffen. Ein versöhnliches Ende entschädigt für manche dramatischen Momente.
Fazit: Eindrucksvolle Familiengeschichte, mitten aus dem Leben gegriffen – empfehle ich gerne weiter!

Bewertung vom 15.07.2024
Reise nach Laredo
Geiger, Arno

Reise nach Laredo


ausgezeichnet

Seine letzte große Reise
Man schreibt das Jahr 1558. König Karl hat abgedankt und lebt jetzt in einem Kloster in Yuste, wo er von den Mönchen versorgt wird. Er ist krank, hat Schmerzen, langweilt sich und wartet nur noch auf seinen Tod. Doch als er dem elfjährigen Geronimo, einem seiner unehelichen Kinder, begegnet, erwachen in ihm neue Lebensgeister. Gemeinsam fassen sie den Plan, sich heimlich nachts mit Pferd und Maulesel auf den Weg nach Laredo zu machen. Trotz vieler Gefahren, die auf die beiden warten, fühlt sich Karl, der als König nie unbeschwert sein durfte, jetzt frei und unabhängig wie nie zuvor. Sie lernen neue Freunde kennen, erfahren Hilfsbereitschaft und Liebe und begreifen, welche Werte wirklich wichtig sind im Leben …
Arno Geiger, geb. 1968 in Bregenz, ist ein österreichischer Schriftsteller und Autor zahlreicher erfolgreicher Romane, Erzählungen und Hörspiele, für die er mehrfach Preise und Auszeichnungen erhielt. Er ist verheiratet und lebt als freier Schriftsteller seit 1993 abwechselnd in Wien und Vorarlberg.
Anhand der Jahreszahl und der Ortsangaben darf man annehmen, dass der Autor seine Anregung aus der Biografie des realen Kaisers Karl V. entnommen hat, dessen letzte Reise von Laredo nach Yuste war, wo er 1558 verstarb. Das Buch ist mit feiner Komik, sprachlich brillant und ausdrucksstark geschrieben, sodass man als Leser das Geschehen bildhaft vor Augen hat: eine phantastische Reise voller Abenteuer, ein Roadtrip im Mittelalter, gefahrvoll und mit ungewissem Ausgang. Man schmunzelt, fiebert mit und hofft für die beiden Protagonisten das Beste. Das ruhige Ende gibt uns dann Gelegenheit, wieder zu uns selbst zu finden und darüber nachzudenken, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Fazit: Für diese wunderbare Geschichte gibt es von mir eine Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.07.2024
Ehemänner
Gramazio, Holly

Ehemänner


gut

Der magische Dachboden
Ziemlich betrunken kommt Lauren eines Nachts nach einem feucht-fröhlichen Abend mit Freundinnen nach Hause, als sie in ihrer Wohnung einen fremden Mann vorfindet der behauptet, ihr Ehemann zu sein. Sie ist nicht verheiratet, das weiß sie gewiss, und einer ihrer Ex-Freunde ist es auch nicht, folglich muss sie wohl zu viel getrunken haben. Auch am nächsten Tag ist er noch da und Lauren findet sich allmählich mit dem Gedanken ab, dass sie verheiratet sein könnte. Doch als er auf dem Dachboden die flackernde Glühbirne auswechselt und dann ein anderer Ehemann die Leiter herunter kommt, zweifelt sie an ihrem Verstand. Was ist auf dem Dachboden los? Sie schickt ihn zum Nachsehen nochmals nach oben – und wieder kommt ein anderer runter. Ist der Dachboden verhext oder ist sie verrückt geworden?
Holly Gramazio ist gebürtig in Adelaide/Australien und lebt jetzt in London, wo sie als Game-Designerin arbeitet. Sie liebt Städtereisen und Videospiele, die die Menschen inspirieren und ihnen neue Perspektiven aufzeigen. „Ehemänner“ ist ihr erster Roman, der am 11.07.2024 in 14 Ländern erscheinen wird – die englische Fassung „The Husbands“ ist bereits seit dem 04.04.2024 erhältlich.
Die Geschichte ist eine originelle Satire auf die Bindungsängste und Beziehungsprobleme der jungen Generation, die sich anfangs auch ganz amüsant liest. Leider wird das Geschehen bald langweilig. Ein Ehemann geht, der nächste kommt. Lauren kann sich für keinen entscheiden, wird immer wählerischer, oberflächlicher und egoistischer. Mit jedem neuen Mann ändert sich ihre Wohnung, ihre Freunde jedoch bleiben die gleichen, sie merken von alledem nichts. Irgendwann, nach einigen Hundert Männern, wird es auch für Lauren zu anstrengend und in einer dramatischen Aktion setzt sie dem Dachboden samt der Suche nach potentiellen Ehemännern ein Ende.
Fazit: Wer gerne humorvolle Geschichten ohne viel Tiefgang liest, wird an diesem Roman seinen Spaß haben.

Bewertung vom 16.05.2024
Windstärke 17 (eBook, ePUB)
Wahl, Caroline

Windstärke 17 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Orkan im Kopf und Wutklumpen im Bauch
Mit einem alten Koffer, ein paar Klamotten und ihrem MacBook flüchtet Ida aus ihrem ehemaligen Zuhause. Ihre Mutter ist vor zwei Monaten gestorben, sie musste sich deshalb entscheiden, wie ihr Leben weitergehen soll und wie sie mit ihrer Trauer und ihrer Wut auf sich selbst umgehen kann. Zwar hatte ihre Schwester Tilda sie nach Hamburg eingeladen und ihr eine Fahrkarte geschickt, doch dahin will sie auf keinen Fall. So nimmt sie am Bahnhof den nächstbesten Zug – und fährt ohne Plan nach Rügen, wo sie abends in der Dunkelheit ankommt und die Jugendherberge aufsucht, weil sie sich kein Zimmer leisten kann. Am nächsten Tag sucht sie einen Job und landet in der Kneipe „Zur Robbe“, die dem alten Opa Knut gehört. Er und seine Frau Marianne nehmen Ida bei sich wie eine eigene Tochter auf. Als sie dann noch Leif kennen lernt, scheint Idas Leben endlich in ruhigeren Bahnen zu verlaufen. Doch es bleibt nicht so, das Schicksal schlägt erneut zu …
„Windstärke 17“ ist der Fortsetzungsroman von „22 Bahnen“, dem Debüt der jungen, 1995 in Mainz geborenen Autorin Caroline Wahl, für den sie mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde. Sie wuchs in der Nähe von Heidelberg auf, studierte Germanistik in Tübingen sowie Deutsche Literatur in Berlin und arbeitete danach in mehreren Verlagen. Heute lebt sie in Rostock.
In ihrer klaren, unverwechselbaren Jugendsprache berichtet die Autorin, wie Idas Leben nach dem Wegzug ihrer Schwester Tilda weiter verlaufen ist. Wir erfahren vom Tod der Mutter, von Idas Selbstvorwürfen und ihrem unbändigen Hass auf sich selbst. Wir dürfen teilhaben an ihrem allmählichen Wandel, wie sie mithilfe anderer Menschen lernt mit ihrer Trauer und ihrem Frust umzugehen und sich in schwierigen Situationen nicht wieder komplett zu verschließen. Auch Ida versucht, wie ihre Schwester Tilda, ihre Probleme im Wasser abzustreifen. Sie schwimmt keine Bahnen im Freibad, sondern schwimmt in der Ostsee bis zur Erschöpfung lebensgefährlich weit hinaus.
Die Figuren sind sehr lebensnah gezeichnet und wirken äußerst realistisch, die Autorin hat ein gutes Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Die Psyche der einzelnen Personen ist sehr ausgefeilt, der Schreibstil dabei angenehm flüssig und gut lesbar. Es sind durchaus schwere und ernste Themen, die in diesem Roman behandelt werden, die durch die ausgewogene Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit eine breite Palette an Emotionen wecken. Mit einem optimistischen Ausklang schließt die Geschichte ab.
Fazit: Eine Geschichte die mitreißt, aufrüttelt und nachdenklich stimmt.

Bewertung vom 13.05.2024
Treibgut
Brodeur, Adrienne

Treibgut


ausgezeichnet

Der Sommer bringt Geheimnisse ans Licht
Der 70. Geburtstag von Adam, dem seit vielen Jahren verwitweten Oberhaupt der Familie Gardner, die auf der Halbinsel Cape Cod lebt, steht bevor. Da der Meeresbiologe gleichzeitig in Ruhestand geht, soll an diesem Tag ein großes Fest stattfinden, bei dem er gebührend geehrt werden soll. Adam Gardner hat zwei Kinder, die er nach dem Tod seiner Frau größtenteils alleine großzog. Sohn Ken, mittlerweile 41 Jahre alt, ist erfolgreicher Immobilienmakler und möchte in die große Politik einsteigen, seine 3 Jahre jüngere künstlerisch begabte Schwester Abby ist Malerin und bewohnt das Atelier in den Dünen, das Ken gehört. Früher waren die Geschwister unzertrennlich, doch heute herrscht Rivalität zwischen den beiden. Das zeigt sich besonders in den Vorbereitungen zum Fest, bei dem einer den anderen zu übertrumpfen gedenkt. Als dann noch Steph, eine Polizistin aus Boston und Mutter eines kleinen Jungen, zur Party eingeladen wird und dadurch einige gut gehütete Geheimnisse ans Tageslicht kommen, eskaliert die Situation …
Adrienne Brodeur ist eine amerikanische Schriftstellerin und Autorin einiger Romane, die in den USA zu Bestseller wurden. Sie arbeitet in Cambridge/Massachusetts und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern in Cape Cod.
„Treibgut“ ist der zweite Roman der Autorin, der ins Deutsche übersetzt wurde. Er entführt uns auf die malerische Halbinsel Cape Cod, einem Rückzugsort der Reichen und Schönen, wo auch die Familie Gardner zu Hause ist. Wir lernen die einzelnen Familienmitglieder kennen, deren Fehler und Schwächen nach und nach aufgedeckt und gnadenlos bloßgelegt werden. Auch sie haben Probleme und Konflikte, kämpfen um Anerkennung und Erfolg, erfahren Missgunst und Neid und versuchen, ihre Geheimnisse zu verbergen.
Es sind essentielle und tiefgreifende Themen, die uns die Autorin in ihrem erfrischend leichtem und durchaus intelligentem Erzählstil präsentiert - Alkoholabhängigkeit, Rivalität, Trauer und traumatische Erlebnisse, um nur einige zu nennen. Die Protagonisten, über die kapitelweise berichtet wird, sind interessant und wirken sehr authentisch. Wir tauchen ein in ihre Gefühlswelt, verstehen allmählich den Grund warum die Geschwister sich entzweit haben und erfahren mehr über die Auswirkung von Adams bipolarer Störung. Der Roman ist mitreißend, die Spannung baut sich ganz allmählich auf und erreicht auf der Geburtstagsfeier ihren Höhepunkt. Ganz nebenbei erfahren wir noch einige Details aus dem Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump im Jahr 2016.
Fazit: Es macht Spaß dieses Buch zu lesen – im empfehle es sehr gerne weiter!