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marcialoup

Bewertungen

Insgesamt 102 Bewertungen
Bewertung vom 23.10.2024
Im Namen der Barmherzigkeit
Lind, Hera

Im Namen der Barmherzigkeit


ausgezeichnet

Mitreißende, unfassbare Lebensgeschichte

Puh! Was für ein Buch! Ich tauche auf aus der erschütternden, sehr bewegenden, gewaltsam-grausamen Lebensgeschichte von Steffi, dem in Wien geborenen Mädchen, das von ihrer Mutter direkt nach der Geburt ungeliebt ins Heim geschickt wurde und von dort von der Fürsorge auf einen Bauernhof in der Steiermark in eine Pflegefamilie vermittelt wurde, die ihre Pflegekinder als Arbeitskräfte, ja Sklaven, hielt. Die Fürsorge ließ sich unkompliziert mit einem großen Präsentkorb höfischer Lebensmittel abspeisen, und alle Unwägbarkeiten und blauen Flecke an den Pflegekindern waren ihnen selbst zuzuschreiben, so sagte Frau Kellerknecht stets.
Unfassbar, dass das Gelesene in den 70er/80er Jahren stattfand, eine Zeit, die nahe meiner eigenen Kindheit liegt. Man hat das Gefühl, man liest einen Roman der Hunderte Jahre zuvor spielt…
Doch es ist ein Tatsachenbericht von vor gar nicht allzu langer Zeit! Unglaubliche Taten, das Gefühl, „nur“ zweite Wahl zu sein, weil man ja Pflegekind ist und nicht die echten Kinder, gewaltsame Schläge ohne Grund bis hin zu Vergewaltigung – ohne Ausweg, ohne Lichtblick, ohne selbst zu wissen, dass es auch andere Zustände auf der Welt gibt! Völlig verloren und vergessen taumelt Steffi durch ihr Leben, bleibt tapfer, geht unter, kämpft immer weiter.
Ein Zitat von Seite 93 zeigt auf, wie wertlos die Pflegekinder runtergemacht wurden, da ähnliche Sätze immer wieder in sie eingepflanzt wurden:
„Die echten Kinder hatten je ein gekochtes Ei bekommen. Es war mir völlig klar, dass wir Pflegekinder keinen Anspruch ein ein eigenes Ei hatten.“

Hera Lind hat ein unglaublich mitreißendes Buch geschrieben. Man meint, als stiller Beobachter im Bauernhaus der Familie Kellerknecht zu lauschen. Eindrücke und Szenarien sind so lebendig dargestellt, dass man den Gestank aus dem Schweinestall riechen kann, der nach einer dort verbrachten Nacht an Steffi haftet, man hört die Stimme der „Mutti“, die Anweisungen zur Arbeit gibt, man leidet mit jedem Peitschenhieb mit, spürt die Schmerzen der barfüßig arbeitenden Pflegekinder und röchelt mit Steffi um Atem, wenn sie bei der Heu-Ernte fast an einem Asthma-Anfall erstickt.

Atem holen mußte ich nach Beendigung der Lektüre auch, um die tiefgreifend bewegenden Ereignisse zu verarbeiten.
Ohne vorweg greifen zu wollen, erlebt Steffi noch weitere Niederschläge und Katastrophen auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden, hat aber auch Chancen, Vertrauen in wenige ausgewählte Menschen zu fassen. Steffi ist ein unglaublich starker Mensch!
Die Nachworte von Hera Lind und Frau Dr. Winkler, der behandelnden Ärztin und Psychotherapeutin von Steffi, läßt noch einmal mehr verstehen, dass das, was man gerade gelesen hat, nicht fiktiv ist und echte Menschen dies alles in echt erlebt haben (auch wenn sie keine „echten“ Kinder waren)!
Das Nachwort von Steffi läßt endgültig den Tränen freien Lauf!
Dieses Buch ist so wichtig, es klingt lange nach – DANKE dafür!

Bewertung vom 20.10.2024
Moments in Nature
López, Gamander;López, Una

Moments in Nature


ausgezeichnet

Natur und Tiere faszinierend in Szene gesetzt

Die Geschwister López haben ein ganz wundervolles Buch kreiert, dass den Leser sofort mit in die Natur nimmt. Nicht weit weg sondern in die Natur direkt vor der Haustür oder im nahen Wald. Sie führen uns heran an den Lebensraum vieler Tiere, die mit uns tagtäglich in unserer Nähe leben und zum Alltag gehören: Vögel, Eichhörnchen, Füchse, Mäuse und Waldtiere, die man in ihrem natürlichen Lebensumfeld beobachten kann. Einzigartige Momente sind in hervorragenden Bildern festgehalten mit spektakulären, faszinierenden Fotos und Schnappschüssen und werden durch liebevolle Texte, die empathisch aus dem Alltag heraus erzählt werden, intensiviert.
Zusätzlich gibt es Informationen zu den einzelnen Tierarten, die man auch als Familie spielerisch mit den Kindern entdecken kann.
Darin zu blättern und zu lesen ist wie ein Ausflug in die Natur!
Aber auch spannende, überraschende und witzige Erlebnisse, die das Geschwisterpaar bei den Aufnahmen mit den Tieren hatten, werden sehr umsichtig wiedergegeben.
Dieses Buch regt dazu an, selbst Natur und Tiere zu beobachten. Ich selbst bin immer mit den Tieren verbunden, sobald ich nach draußen gehe, ich sehe sie und sie begleiten meine Wege. Diese Achtsamkeit, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wird in diesem Buch auch vermittelt und das ist wichtig, um die Natur wieder mehr schätzen zu lernen! Denn wir Menschen sind nicht die einzigen Lebewesen!

Bewertung vom 20.10.2024
Was ist ein Mensch?
Göhlich, Susanne

Was ist ein Mensch?


sehr gut

Wissenschaftlich tiefgreifend trifft auf wuselbunte Bilder

Ihr Kind möchte Medizin oder Biologie studieren? Dann ist dieses Buch sicher ein hilfreicher Frühstart…
Der Hamster Poldi fragt sein Frauchen Löcher ins Gehirn, um zu verstehen, was ein Mensch ist. Maya, das Erzähl-Frauchen, nimmt kein Blatt vor den Mund und erklärt Poldi alles, was er wissen möchte und noch viel mehr.

Anfangs fühlt man sich (als Erwachsene) überfordert ob der zu bunten, zu wuseligen Illustrationen, Hinweisen, Pfeilen zu Hinweisen, rechts, links, oben, unten – das wirkt auf den ersten Blick ziemlich chaotisch.
Gibt man sich ein bißchen Zeit, läßt sich darauf ein und liest sich zunächst nur durch ein oder zwei Seiten, nicht durch das ganze Kapitel auf einmal, findet man in den Aufbau des Buches hinein und ist bereit, es einem Kind vorzulesen und mit ihm zu entdecken.
Das Buch mit 6 oder 7 Jahren selbst zu lesen, finde ich eine fast zu große Herausforderung…

Schön finde ich Poldi’s HamsterRAT, der am Ende jedes Kapitels kluge, ausgewogene und hilfreiche Tipps zusammenfassend darstellt.
Lobend erwähnt sei auch das übersichtliche, total süße Inhaltsverzeichnis!

Mit 80 Seiten ist es ein sehr üppiges Buch mit vielen bunten Bildern, die die inhaltlich vielfältigen und informativen Erklärungen unterstützen. Auch etliche Fachbegriffe des menschlichen Körpers oder dessen Ablaufs schmücken die kindlichen Texte und werden spielerisch erklärt sowie im „Glossar der geliebten Wörter“ im Anhang des Buches noch einmal separat aufgeschlüsselt.
Trotz allem empfinde ich Wörter wie Accumbenskern, der mit Basalganglien und limbischem System erwähnt wird, neben Myelin, Dendrit, Amygdala usw., eine krasse Herausforderung zum Verständnis für Sechsjährige!
Selbst Erwachsene erhalten wissenschaftlich tiefgreifende Einblicke!
Für Wissbegierige ist dieses Buch sicher eine tolle Aufgabe!
Es erweitert auf jeden Fall Wortschatz und Wissen immens, aber ob man sich das mit 6 oder 7ff. schon merken kann/will bzw. versteht, ist fraglich.

Ich schwanke zwischen drei und vier Sternen, denn der Aufwand, dieses Buch so intensiv, umfangreich und vielfältig entworfen und gestaltet zu haben, hat vier Sterne verdient! Vor allem für einen recht günstigen Preis (im Vergleich zu manch anderen Kinderbüchern mit weniger Seiten)!!
Jedoch:
Ab 6 Jahre ist ein weiträumiger Begriff und meiner Meinung nach eben nicht für 6- oder 7-jährige geeignet...

Bewertung vom 15.10.2024
Die Geschichte vom zauberbunten Garten
Rübben, Andrea

Die Geschichte vom zauberbunten Garten


weniger gut

Zauberbunt oder Gruselgrau?
Ein so wunderschöner Titel und dann eine so große Enttäuschung, als man Die Geschichte vom zauberbunten Garten aufschlägt und liest…
Auf nur wenigen Seiten ist mit wenig Text (ein bis zwei Sätze pro Seite) versucht worden, eine Geschichte zu bilden.
Die Aussage der Geschichte, aus einer grauen, tristen Stadt oder Umgebung mit Blumen eine farbenfrohe, fröhliche Welt zu zaubern, mag einen guten Ansatz haben, jedoch sind die begleitenden Illustrationen meiner Meinung nach keinesfalls zauberhaft. Die grauen Bilder wirken sehr düster und durch ihre nebelartige Zeichnung verschwommen und irgendwie dystop. Die bunten Seiten dominieren mit übergroßen Blüten und Pflanzen im Verhältnis zu den Menschen, sodaß auch dies in Kinderaugen etwas gruselig wirken könnte. Da die verschenkten Blumen die graue Welt bunter machen sollen, überwiegen jedoch die düsteren grau-vernebelten Seiten mit nur wenig Blüten-Farbklecksen, was im Gesamteindruck einfach kein schönes Kinderbuch ausmacht.

Zunächst dachte ich noch, ich schenke es meiner fünfjährigen Nichte und garniere es am Ende mit einem Tütchen Blumensamen zum Selbst-Aussäen und Beim-Wachsen-Zugucken, aber nachdem ich das Buch noch zwei weitere Male durchgeblättert habe, bin ich von der Idee abgekommen, es ihr zu schenken.

Einzig positiv zu erwähnen wäre, dass der in meinen Augen überteuerte Preis eine Spende an die Flyeralarm-Kids-Foundation abgibt.

Bewertung vom 14.10.2024
Das zweite Kind
De Franchi, Marco

Das zweite Kind


sehr gut

Kunstgenuss im Thriller-Format
Aus erfahrener Feder schreibt der Autor, der selbst Hauptkommissar ist, einen soliden Thriller, der auf über 600 Seiten die Leser bei Atem hält.
Ein Polizist mit Dreck am Stecken (oder doch nicht?);
eine super-sympathische, emotional tiefgängige Ermittlerin einer Spezialeinheit;
ein verstörter Junge mit überraschenden Aussagen;
ein mutmaßlicher Täter, der näher beleuchtet ebenso überraschende wie grausame Tatmotive bespielt;
mehrere andere Polizisten, die dem Denken und Handeln der Ermittlerin und ihrem Polizisten immer wieder im Wege stehen… sie alle umgeben von italienischem Flair, das der Autor durch mehrere Nebenschauplätze gekonnt einfließen läßt.
Zusätzlich zu den Hauptprotagonisten gibt es noch viele Nebendarsteller, die aber alle zugänglich sind und sich schnell ins Geschehen einfügen. Das private Umfeld der Hauptprotagonisten wird geschickt eingepflegt und läßt eine alltägliche Lebendigkeit aufkommen.

Der Mörder, der mit schlohweißem langem Haar ein Wiedererkennungsmerkmal hat, hat ein wahnsinnig ausgetüfteltes Konstrukt aufgebaut, nach dem er seine Opfer aussucht.

Auf den ersten ca. 150 Seiten verspürte ich einige Längen, diese durchzuhalten sind es wert – es geht langsam los, wird aber zu einem Strudel mit spannenden Aha-Erlebnissen und Schockmomenten sowie dem Wunsch, an den Ermittlungen selbst teilzunehmen. Es werden nicht nur Cold Cases aufgedeckt sondern der Täter mordet aktuell weiter.
Später hat der Leser auch Kontakt zum Mörder, den man auf seinen Taten begleitet.

Alles in allem ein fulminanter, gut ausgearbeiteter und fantastisch durchdachter Thriller, allerdings sollte man auch grausame Szenen ertragen können, die hier keine Überhand nehmen, aber immer wieder eingestreut vorkommen.

Bewertung vom 13.10.2024
Die Unmöglichkeit des Lebens
Haig, Matt

Die Unmöglichkeit des Lebens


gut

Die unglaubliche Unmöglichkeit
Die Mathematiklehrerin Grace erzählt ihrem ehemaligen Schüler Maurice per Email-Anhang ihre Lebensgeschichte, nachdem Maurice, der nun selbst Mathematik studiert, seine Mathe-Lehrerin in Momenten tiefer Traurigkeit per email einfach so angeschrieben hatte.
Bis hierhin erstmal ein netter Beginn.
Auch der Plot ist anfangs gut durchdacht, denn die Geschichte von Grace ist spannend und lebensverändernd. Ihr Alltag war grau, alteingesessen und mit wenig Abwechslung „stehengeblieben“, sie hat ihren Sohn früh durch einen Unfall verloren und auch ihr Mann ist schon verstorben. Bis eine Nachricht über die Erbschaft eines Hauses auf Ibiza von einer längst vergessenen Freundin sie aus der Bahn wirft und ihr Leben umkrempelt, trotz ihrer 72 Jahre. Spontan reist sie nach Ibiza und findet ein heruntergekommenes Haus vor, das eine gewisse Spiritualität ausstrahlt, die sie ihrer damaligen Kollegin, einer ehemaligen Musiklehrerin, nicht zugetraut hätte. Ihr Tod ist unter mysteriösen Umständen passiert und noch nicht komplett aufgeklärt. Grace begibt sich auf Spurensuche und entdeckt Unerwartetes.
Aus Grace’s farblosem Leben wird plötzlich ein abenteuerliches, buntes, mystisches Leben, dass ihr die Augen öffnet und sie mit mehr Sinn und Sinnlichkeit offener und bewußter durchs Leben geht.

Sicher versucht der Autor, die Unmöglichkeit des Lebens mit der Logik, Struktur und Wahrscheinlichkeit von Mathematik aus den Angeln zu heben, die im Roman mit Magie, paranormalen Phänomenen und Unwahrscheinlichkeiten aneinanderprallt.
Trotz großem Einfühlungsvermögen in alle Irrungen, Wirrungen und Empfindungen des Lebens, die der Autor gekonnt in Worte fasst und dadurch den Leser mitzieht, hat mich auch dieser Roman von Matt Haig leider nicht überzeugt. Hier entwickelt sich zu viel in eine übernatürliche, absurd-unglaubliche Richtung, sodass es für mich nicht unmöglich aber unglaubwürdig bleibt.

Bewertung vom 04.10.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


sehr gut

Grenzenlose Freundschaft und Demenz
Linda ist eine bezaubernde Protagonistin, die sich mit ihren fünfzehn Jahren in die Herzen liest.
Sie selbst jedoch ist eher so unglücklich, dass sie sich das Leben nehmen möchte, wäre da nicht neben ihrem Freund Kevin noch Hubert, der demente alte Herr, der einmal Bademeister war, und den Linda immer dann betreut, wenn dessen Pflegerin Ewa Freizeit hat.
Ganz herzallerliebst geht sie mit Hubert um, hat einen besonderen Zugang zu ihm in seine demente Welt, wohl auch, weil sie selbst verzweifelt genug ist.

In besonderer Sprache erzählt Petra Pellini eine herzerwärmende Geschichte, in der Demenz eine wichtige Rolle spielt, die aber mit so viel Charme und Miteinander in normalen Alltag gerückt wird, so, wie er auch sein kann.
Der süße Ton macht Linda charakterstark und viele heikle Situationen werden dadurch entschärft. Man schwankt oft zwischen Lächeln und Tränen...

Der besondere Sprachklang ist Hauptbestandteil und man muss ihn mögen oder sich darauf einlassen, andernfalls ist es nicht jedermann's Roman.

Bewertung vom 30.09.2024
Der längste Schlaf
Raabe, Melanie

Der längste Schlaf


ausgezeichnet

Traumwandelnd und berauschend

Ich kenne die Thriller von Melanie Raabe (noch) nicht, doch sie hat ein geschicktes Händchen mit dem auch spannende Romane geschrieben werden können. Das Cover zeigt eine in ganz tiefen dunklen Schlaf versunkene junge Frau, die in die Welt der Träume nicht mehr eindringen kann. „Der längste Schlaf“ ist ein Roman einer Schlaf-Forscherin, die selbst an Schlaflosigkeit leidet. Ihre Schlaflosigkeit hat einen Grund, den der Leser im Verlauf des Buches entdecken wird.

Melanie Raabe hat zu Beginn des Romans verschiedene, bunt gemischte Fäden gesponnen, die zunächst offen vor einem liegen und man ist gespannt, wie diese sich miteinander verwickeln, verflechten oder doch wieder auflösen werden?!
Wäre da einmal die Geschichte der Protagonistin Mara Lux, die Schlaf-Forscherin und ihre Schlaflosigkeit, deren Leben gefüllt ist mit unglaublichen Erlebnissen. Dort hinein fällt plötzlich eine mysteriöse Erbschaft.
Außerdem lernen wir eine Ich-Erzählerin kennen, die Kai retten will. Diese Geschichte erscheint in anderer Schriftart und fällt zunächst aus dem Zusammenhang. Weder Kai noch die Geschichte der Ich-Erzählerin finden zunächst eine Verbindung zu Mara Lux.
Im Nebenspiel wird noch eine Erfindung einer über den Tod hinaus gehenden KI eingesponnen. Und dann sind da immer wieder Mara’s skurrile Träume, mit denen man umgehen lernen muß.

Ein wirklich (um)spannendes Leseerlebnis, das gefüllt ist mit sehr feintonigen Traumszenarien in Mara’s Realität, so dass der Roman eine Vermischung in eine Traumwelt erzeugt ähnlich wie sie bei längerer Schlaflosigkeit entstehen kann. Auf leise Art wird der Leser dort hineingezogen in ein traumwandlerisches fantastisches Geschehen, das wie ein Gefühlsrausch wirkt. Die anfangs gelegten losen Fäden werden zu überraschenden Mustern verknüpft.
Ein ganz besonderer Roman!

Bewertung vom 27.09.2024
Von Angesicht zu Angesicht
Eulberg, Dominik;Hörren, Thomas;Danke, Thorben

Von Angesicht zu Angesicht


ausgezeichnet

Respekt, liebe Insekten!

Eine bunt schillernde Welt öffnet sich uns mit den Seiten des Buches und man taucht in die Vielfalt der Insekten ein, die durch ihre Farben, Formen, Beschaffenheiten und Eigenschaften sehr beeindrucken.
Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Schönheit der heimischen Insekten, denn wir schützen oft nur das, was wir kennen. Sie sind schützenswert und wertschätzend sollte man ihnen gegenübertreten!

Die drei Autoren haben in einer harmonischen Zusammenarbeit ein außergewöhnliches Werk geschaffen, dass uns die Welt der Insekten in neuem Licht erscheinen läßt, über viele interessante Informationen wie Anatomie und Physiologie aufklärt und Fakten wiedergibt.
Es werden die wichtigsten Insekten-Ordnungen der heimischen Insekten vorgestellt und bekannte Arten aus verschiedenen Gruppen, z.B. Marienkäfer, näher beschrieben, begleitet von sehr verständlichen Texten.
Die in intensiver Vergrößerung dargestellten Flügel, Augen, Beine usw. zeigen haargenau und farbenfroh spannende Details, wie man sie noch nie gesehen hat. Besonders beeindruckt haben mich die Flügel des Gemeinen Ohrwurms, die wie ein zartes Feen-Gewand anmuten. Oder die puschel-kuscheligen Beinchen mancher Insekten, die man bisher nur als „haarig“ einstufte. Und der Blick eines Schmetterlings mit seinen kleinen Äuglein, die, wenn man genau hinschaut, einen ganz neugierig und niedlich anschauen.
Wenige Tage nach der Lektüre waren wir direkt in einem Schmetterlingshaus, wo wir ganz still saßen, bis ein Schmetterling sich auf meiner Hand niederließ und diese erforschte.

Hoffen wir, dass das Buch Anlass ist, das nächste Insekt mit anderen Augen zu betrachten, wirklich zu betrachten, und sich in seine Welt hineinzuversetzen, es eben und gerade deshalb leben zu lassen oder ihm ins Leben zurückzuhelfen, wenn es sich einmal verlaufen / verflogen hat. Es ist genauso ein Lebewesen wie du und ich, und auch seine Welt ist ein sinngebendes System, das Hand in Hand mit uns einhergeht.

Bewertung vom 22.09.2024
Der Morgen nach dem Regen
Levensohn, Melanie

Der Morgen nach dem Regen


sehr gut

Verletzte Seelen

Das Cover ist bezaubernd und verbirgt alles, was der Roman erzählen möchte. Die Sehnsucht, die Einsamkeit, die Zerrissenheit von Mutter und Tochter und doch die Gemütlichkeit, das Besondere im Aufenthalt im Haus ihrer Tante Toni.
So wie auf dem Cover könnte der Blick in den Garten aussehen, den man von Toni’s Haus hat.
Johanna, Elsa’s Mutter erbt dieses Haus und zieht sich dorthin zurück nach einem intensiven Berufsleben für die Vereinten Nationen. Weltweit war sie permanent auf humanitären Einsätzen unterwegs, Familienleben zu gestalten war schwierig.
Elsa litt sehr darunter und es zerbrach nicht nur in ihr ganz viel.
Interessanterweise hat Elsa den Weg zur Anwältin im Internationlen Gerichtshof angestrebt und gibt für ihren Beruf ebenso alles, genau wie ihre Mutter. Nur das Elsa auf der anderen Seite steht, der Strafverteidigerseite, was für Johanna unbegreiflich ist, da sie gezeichnet ist durch Leid und Elend in den Kriegsgebieten. Nicht nur diese beiden Ungereimtheiten wirken zerstörerisch auf die Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Toxische Reaktionen begleiten sie hilflos.
Die Rückblenden in Elsa’s Kindheit zeigen dem Leser auf, wie das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter so verhärtet und vereist wurde. Nie war Johanna für Elsa da. Obwohl Johanna das innerlich zerriss, verpasste sie so viel in Elsa’s Leben, was zu Enttäuschungen auf Elsa’s Seite führte die zu Abwehrhaltungen beitragen. Dadurch entfernten sich Mutter und Tochter immer mehr, obwohl sie beide genau das Gegenteil wollten. Selbst über ihren Beruf zeigte Elsa Johanna ihre Abneigung, weil sie auf der Seite der Kriminellen stand.

In Toni’s Haus in St. Goar am Rhein entblättert sich Johanna langsam zu der Person, die sie wirklich ist und die lange von Arbeit oberflächlich abgelenkt wurde. Mit zunehmender Ruhe und Abstand zu ihrem Job kommen unverarbeitete Gefühle nach oben und ihr ganzes Leben breitet sich vor ihr aus. Sie hat nicht nur New York verlassen, sie fühlt sich insgesamt auch absolut frei in St. Goar. Die beschauliche Ankunft mit netten Nachbarn empfindet man auch als Leser als eine Wohltat.
Elsa kämpft mit einem Burn-out und entschließt sich, in Toni’s Haus Abstand und Genesung zu finden, auch wenn ihre Mutter ebenfalls dort ist. Elsa muß ihre Schutzhülle, die aus Arbeit, Arbeit und Arbeit bestand, fallen lassen um zu sich selbst zu finden. Ihre Verletzungen sitzen so tief, dass auch sie Schicht um Schicht in sich einkehren muß, um ihre Mutter wieder zulassen zu können.
In Toni’s Haus treffen Elsa und Johanna aufeinander und geraten immer wieder aneinander.

Als Leser können wir sehr tief in beider Seelenleben eintauchen und die Gefühle besser verstehen als sie selbst, die sich im Weg stehen. Das Band zwischen Mutter und Tochter ist zwar starker Zusammenhalt aber aus diesem Grund genauso stark in tiefen Verletzungen.

Mit einer gelungenen Schreibweise zieht die Autorin uns in ihren Bann, die Sprache ist sehr angenehm, liest sich flüssig und läßt Bilder entstehen.