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goldfisch
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Bücherwurm

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Insgesamt 14 Bewertungen
12
Bewertung vom 27.09.2009
Die Stunde, in der ich zu glauben begann
Lamb, Wally

Die Stunde, in der ich zu glauben begann


sehr gut

Amerikanische Familiensaga mit aktuellem Bezug
"Die Stunde, in der ich zu glauben began" wird vom Ich-Erzähler Caelum Quirk erzählt. Er ist Lehrer, seine Frau Maureen ist Krankenschwester. Beide wuchsen in mehr oder minder kaputten Familien auf und sie führen eine problematische Ehe. Um ihre Ehe zu retten und um näher bei Maureens Vater zu wohnen, ziehen sie von Connecticut nach Colorado. Dort arbeiten beiden an der Columbine Highschool. Als Caelums Tante schwer erkrankt, fliegt er nach Connecticut. Maureen ist noch in Colorado und erlebt das Massaker mit. Sie überlebt zwar, schafft es aber nicht mehr, ein normales Leben zu führen. So folgt ein weiterer Umzug, diesmal zurück nach Connecticut, wo Caelum das Anwesen seiner Tante geerbt hat. Es beginnt eine Odyssee, auf der Caelum und Maureen um Maureens Gesundheit und ihre gemeinsame Zukunft kämpfen und auf der Caelum mehr über seine Familie erfährt, als er je wissen wollte.

Der neuste Roman von Wally Lamb ist ein Porträt der amerikanischen Bevölkerung in den letzten zehn Jahren, sowie eine Familiensaga, die sich über einen Zeitraum von mehr als einhundert Jahren erstreckt. Caelum und Maureen sind beide Opfer der beiden jugendlichen Attentäter an der Columbine Highschool, auch wenn diese Opfer in den Medien zunächst nicht als solche gesehen wurden. Immerhin hat Maureen überlebt und Caelum war am Tag des Massakers nicht in der Schule. Und doch gehören sie zu denen, die unmittelbar und langfristig von der Gewalt betroffen sind. Die Schilderungen des Massakers und der Situation vor Ort in den Tagen und Wochen danach ist sehr beeindruckend. Anders als bei "Wir müssen über Kevin reden" von Lionel Shriver oder "Neunzehn Minuten" von Jodi Picoult wird hier aus der Perspektive der Betroffenen erzählt. Dies geschieht auf eine unerwartet undramatische Art und Weise, die mich vielleicht gerade deshalb so mitnahm. Durch Caelum übt Wally Lamb auch Kritik an den Medien und kirchlichen Organisationen, die versuchten Profit und aus den Ereignissen zu schlagen, statt tatsächlich zu helfen teilweise noch mehr Schaden bei den Opfern anrichteten. Maureen bekommt kaum echte Hilfe, muss auf eigene Kosten von Arzt zu Arzt pilgern und wird letztendlich abhängig von den Medikamenten, die ihr von den hilflosen Medizinern verschrieben werden. Genauso hilflos ist ihr Mann, der immer wieder versucht, ihr zu helfen, aber fast ohnmächtig dabei zuschauen muss, wie sie immer tiefer abrutscht und sie sich entfremden.

Im zweiten Erzählstrang wird die Geschichte von Caelums Familie erzählt, von dem Ort an dem Caelum aufwuchs und an dem er jetzt wieder lebt. Auch dieser Teil des Buches hat mir sehr gut gefallen. Die Schilderung der Gründung des Frauengefängnisses und der Gesellschaft vor über einhundert Jahren war gut zu lesen und durch die alten Briefe und Tagebücher von Caelums Vorfahrinnen besonders interessant. Caelum wird durch die neuen Informationen über seine Familie schwer erschüttert und gerade jetzt wünscht er sich die Anwesenheit seiner Tante, der Schwester seines Vaters. Doch jene Tante starb einen Tag vor dem Massaker in Columbine und so muss er nicht nur alleine versuchen, Maureen zu helfen, sondern auch die Familiengeheimnisse zu entwirren und seine Herkunft wirklich zu verstehen.

"Die Stunde, in der ich zu glauben begann" ist ein sehr ehrgeiziges Projekt, in dem es um Liebe, Hoffnung, Familie, Gewalt und deren Folgen geht. Ein Buch, das mich in seinen Bann zog und trotz der 752 Seiten innerhalb weniger Tage verschlungen habe. Dem Leser wird vor Augen geführt, dass die Geschichte sich wiederholt, im Großen wie im Kleinen, aber dass man nie die Hoffnung und vor allem sich selbst aufgeben sollte.

Trotz des sehr ernsten Themas ein letztendlich positives Buch, mit einem ansprechenden Cover und eher unpassendem Titel,

1 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.09.2009
Schrei nach Stille
Chaplet, Anne

Schrei nach Stille


sehr gut

Schrei nach Stille - Anne Chaplet

Das hessische Dorf Klein-Roda hat eine neue Einwohnerin. Die Schriftstellerin Sophie Winter, deren Buch “Summer of Love“ für viel Aufsehen gesorgt hat und das jetzt verfilmt wird. Die Dorfbevölkerung empfängt sie nicht gerade mit offenen Armen, denn in ihr Roman spielt hier, im Jahr 1968, und endet damit, dass die Einwohner die Schuld am Tod ein junges Hippie-Mädchen tragen. So begegnet sie ihr mit dem gleichen Misstrauen wie ihrer fiktive Hippie-WG vor vierzig Jahren.

Mich fasziniert, wie beklemmend die Stimmung in dem alten Haus geschildert wurde und wie Anne Chaplet auch im Rest des Buches mit Sprache und Atmosphäre spielt. Ich lese gerne Bücher, in denen Rückblicke in die Vergangenheit eine wichtige Rolle spielen. Bei “Schrei nach Stille“ wurde ich nicht enttäuscht. Geschickt werden längst vergangene Ereignisse nach vierzig Jahren nochmal ans Tageslicht geholt und wirken dort auf einmal ganz anders. In den ersten Kapiteln wimmelt es nur so von losen Enden, die viel Spannung erzeugen. Diese wurde bis zum Ende des Romans auf oft unerwartete Weise zusammengeführt. Fast nichts war so, wie es am Anfang schien.

Die Figuren werden plastisch beschrieben. Menschen mit Ecken und Kanten und einer eigenen, glaubwürdigen Vergangenheit. Es war bedrückend zu lesen, wie Sophie Winter sich von den Einkünften des Buches und der Filmrecht ihr Traumauto leistet, ein Haus kaufen kann, versucht sich der Vergangenheit zu stellen und gleichzeitig merkt, dass sie ihr Gedächnis verliert. Endlich könnte sie ihr Leben genießen, doch das ist ihr nicht vergönnt. Auch der alleinerziehende Kriminalkommissar DeLange hat es nicht leicht und seine persönlichen Probleme nehmen zwar viel Raum ein, aber meiner Meinung nach nicht zu viel.

“Schrei nach Stille“ spielt in einer Zeit, die ich selbst nicht bewusst miterlebt habe und vermittelt mir, wie es damals wirklich hätte sein können. Ein Aufeinandertreffen von Landbevölkerung und Hippies aus der Großstadt. Am Schluß bleibt die Frage, ob sich in den letzten vierzig Jahren auf dem Land und in der Stadt wirklich viel geändert hat.

Das Buch macht Lust auf weitere Bücher von Anne Chaplet, von der ich bisher noch nichts gelesen hatte. Ein Roman, den ich mit Sicherheit weiterempfehlen werden. Nächstes Mal weiß ich dann, dass mich kein reiner Krimi erwartet, sondern hoffentlich wieder ein spannender Roman.

Bewertung vom 27.09.2009
Das Haus in den Wolken
Lennox, Judith

Das Haus in den Wolken


ausgezeichnet

Ein fesselnder Familienroman

Judith Lennox ist ein fesselnder Familienroman gelungen, der den Leser in die Zeit vor dem ersten Weltkrieg bis in die Mitte des zweiten Weltkriegs entführt.

In einem kleinen Dorf im englischen Devon begegnen sich die beiden Hauptfiguren Isabel Zeale und Richard Finborough. Isabel war als Haushälterin angestellt und ist sehr zurückhaltend. Ihr Arbeitgeber ist gerade gestorben und sie ist im Dorf sehr unbeliebt. Richard hingegen ist sehr selbstsicher, Sohn eines Landbesitzers in Irland und selbst Unternehmer in London. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten und Isabels Ablehnung finden die beiden zusammen. Sie heiraten in London und gründen eine Familie. All das in einer Zeit großer gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Veränderungen.

Judith Lennox versteht es, ihre Figuren zum Leben zu erwecken und Klischees zu vermeiden. Isabel, die es nicht schafft, ihre Geheimnis rechtzeitig mit Richard zu teilen und die sich in der höheren Gesellschaft sehr unwohl fühlt. Richard, der in ganz anderen Verhältnissen aufwuchs als Isabel und der miterleben muss, wie sich die Gesellschaft verändert und altvertraute Werte und Freunde verschwinden. Ihre drei Kinder, die durch gesellschaftliche Konventionen und die schnellen Veränderungen Wege einschlagen (müssen), die weder sie sich gewünscht haben, noch ihre Eltern. Gleichzeitig bieten ihnen sich durch diese Veränderungen auch Möglichkeiten, die nur wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wären, insbesondere im privaten Bereich.

Die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern, Ehepartnern und deren Freunden spielen eine wichtige Rolle, sowie die Positionen, die jeder innerhalb der Familie einnimmt. Alle sind sehr willensstarke Persönlichkeiten und müssen im Lauf des Romans mehr als einmal über ihren Schatten springen. Stets zwischen dem Wunsch, eigenständig zu sein und doch der Familie loyal zu bleiben. Auf der Flucht (vor alten Geheimnissen, Zwängen, Konventionen und der Familie) und gleichzeitig auf der Suche (nach alten Geheimnissen, einem Weg, es allen Recht zu machen und dem eigenen Glück).

Am Ende des Buches hatte ich das Gefühl liebgewonnene Freunde verlassen zu müssen. Selten kam mir ein Buch mit knapp 600 Seiten so kurz vor. Es hätten locker noch hundert oder zweihundert Seiten mehr sein können und mir wäre trotzdem nicht langweilig geworden. Stattdessen werde ich jetzt Ausschau nach anderen Werken von Judith Lennox halten und freue mich schon auf die Lektüre.

Eine einzige Frage blieb am Ende noch offen: Wer ist die blonde Frau auf dem Titelbild?

6 von 6 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

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