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haberlei
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Wien
Über mich: 
Begeisterte Leserin von Krimis, Thrillern, Humorvollem, historischen (Frauen-)Romanen, Biografien

Bewertungen

Insgesamt 292 Bewertungen
Bewertung vom 25.01.2025
Viel Tod um nichts
Zellner, Ingrid

Viel Tod um nichts


ausgezeichnet

Mordsg’schiss wega nix

„Viel Tod um nichts“ von Ingrid Zellner ist ein Krimi mit Theaterflair, spannend, überraschend; es ist der vierte Band der Reihe mit dem sehr sympathischen Ermittler mit indischen Wurzeln, mit Surendra Sinha.

Kurz zum Inhalt:
Bei der Premiere einer Laien-Theatervorstellung auf einer Freilichtbühne verunglückt einer der Hauptdarsteller tödlich. Als man im darauffolgenden Jahr mit den Proben desselben Stücks beginnen will, gibt es eine anonyme Warnung, auch dem diesjährigen Darsteller von Don Pedro könnte etwas zustoßen. Die Kripo schleust den kürzlich aus dem Beruf ausgeschiedenen Kommissar Surendra Sinha Undercover ins Theaterensemble ein. Er übernimmt die Rolle des Don Pedro. Wird es ihm gelingen, den Täter vor der Premiere zu entlarven?

Das Cover vermittelt eine Ahnung des Schauplatzes, der Freilichtbühne; der Blick durch das Herz gibt dem Foto einerseits einen ländlichen Touch, andererseits assoziiert man damit, dass auch Liebe im Spiel ist. Das Buch erschien 2024. Die Handlung spielt in der Gegenwart und umfasst ungefähr einen Ermittlungs-Zeitraum von einem Dreivierteljahr. Die Kapitel in angenehmer Länge, verfügen weder über Zeit- noch Ortsangaben. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Das Lokalkolorit ist gut eingefangen, sowohl landschaftlich als auch sprachlich durch vereinzelte Worte und Sätze im schwäbischen Dialekt, was zum Schmunzeln anregt. Auch das Bühnenleben ist sehr stimmig eingefangen. Man merkt, dass die Autorin selbst in einer solchen Truppe engagiert ist. Es fließen auch immer wieder Zitate aus der Shakespeare-Komödie in alltägliche Dialoge hinein. Im Hinblick auf die zahlreichen Mitwirkenden im Theaterstück empfand ich die im Anhang befindliche Liste der Darsteller als sehr hilfreich, ebenso die kurze Inhaltsangabe von „Viel Lärm um nichts“. Dass dies bereits der vierte Band der Reihe ist, war für mich als Quereinsteigerin kein Problem. Soweit erforderlich gibt es Hinweise auf die Vorgeschichte des Kommissars.

Die Handlung wird primär aus Sicht des Ermittlers geschildert, sodass man sich wie ein stiller Zuhörer mit eingebunden fühlt. Surendra Sinha verwickelt die Mitglieder der Schauspieltruppe geschickt in Gespräche und holt im Plauderton Hintergrundinformationen und subjektive Eindrücke der Beteiligten ein. Er entwickelt zwar etliche Theorien, stellt Überlegungen über mögliche Motive einiger Verdächtiger an, doch irgendwie kristallisiert sich wochenlang nichts Konkretes heraus, auch nicht, als ein weiterer Mord passiert. Das gibt einem als Leser viel Spielraum zum Mitraten. Man tappt jedoch bis zuletzt im Dunkeln, wird immer wieder von unerwarteten Wendungen überrascht, und von so manchen prekären bis gefährlichen Situationen geschockt. Bis letztlich Surendra die richtige Eingebung hat, den wahren Täter erkennt und diesen in einem spektakulären Auftritt stellt. Die Motivation und der Tathergang erweisen sich als schlüssig und nachvollziehbar.

Was die Charaktere anbelangt, so ist das Theaterensemble mit seinen verschiedenartigsten Typen facettenreich gezeichnet, ebenso das polizeiliche Ermittlerteam, die Menschen wirken authentisch, lebendig und zeigen Emotionen. Natürlich steht Surendra Sinha im Mittelpunkt. Er meistert die ungewöhnliche Aufgabe, eine Rolle zu übernehmen, mit Bravour, obwohl er noch nicht als Schauspieler auf der Bühne stand, letztlich auch mit Durchhaltevermögen. So wie ihn die Autorin beschrieben hat, äußerllch und vor allem auch im Wesen, nämlich ruhig und besonnen, verlässlich, ernsthaft, liebenswürdig, bescheiden und zurückhaltend, klug und in sich ruhend, kann ich nur jener Dame aus dem Theaterpublikum beipflichten und zitieren: „D’r neie Don Pedro isch abr an echt’s Sahneschtüggle!“ (S. 235). Mich hat er als Fan gewonnen. Ich bin schon gespannt, wie sein Leben – er hat ja beschlossen, sich in der Schwäbischen Alb niederzulassen – weitergeht, ob als Privatermittler oder wieder als Kriminalkommissar.

„Viel Tod um nichts“ hat mir erbauliche Lesestunden beschert, war spannend und unterhaltsam, abwechslungsreich und vermittelte trotz Mördersuche eine Wohlfühl-Atmosphäre. Mich hat Surendra Sinha (bzw. die Autorin) als Fan gewonnen. Ich freue mich schon auf weitere Fälle und empfehle dieses Buch mit Freuden weiter. 5 Sterne.

Bewertung vom 15.01.2025
Die Sehnsucht, die bleibt
Lange, Kerstin

Die Sehnsucht, die bleibt


ausgezeichnet

Saudade – die Sehnsucht nach Portugal

Kerstin Langes Roman „Die Sehnsucht, die bleibt“ basiert auf Erzählungen einer Zeitzeugin, die als Kind nach Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Caritas nach Portugal auf Erholung geschickt wurde. Es handelt sich um fiktive Charaktere und eine erfundene Lebensgeschichte.

Kurzer Inhalt:
Reni, ein armes, kränkliches Wiener Mädchen, wird von der Caritas nach Portugal zu einer wohlhabenden Familie vermittelt, die eine Tochter im selben Alter hat. So glücklich sich Reni dort fühlt, sie muss schließlich wieder zurück nach Wien, wo ihr bewegtes Leben seinen Lauf nimmt, mit Zeiten von Wut, Sorge und Trauer, ebenso wie der Freude, Zufriedenheit und des Glücks - stets auch mit einem Gefühl von Sehnsucht.

Das Cover ist ansprechend, wenn auch schlicht und einfach gehalten. Mit den Orangenbäumen und dem Mädchen mit der Reisetasche passt es wunderbar zur Thematik. Das Buch erschien 2024 und gliedert sich in angenehm kurze Kapitel, die jeweils mit Orts- und Zeitangaben versehen sind, was ich stets besonders schätze. Die Handlung umfasst (abgesehen vom Prolog aus 1948) den Zeitraum von 1953 bis 1983. Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft. Sowohl das jeweilige Milieu als auch Stimmungen, Zeitgeist und historische Ereignisse sind gut vorstellbar beschrieben. Man erfährt so einiges über Portugals politische und gesellschaftliche Situation nach dem Krieg bis in die späten 70er Jahre.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Verena Jelinek, genannt Reni. Sie lebt in Wien in ärmlichen Verhältnissen, versorgt von ihrer Großmutter, die ihr als einzige Zuneigung entgegenbringt. Die Mutter ist krank, die wesentlich älteren Brüder verhalten sich lieblos ihr gegenüber. Für Reni ändert sich das Leben schlagartig, als sie mit zehn Jahren aus gesundheitlichen Gründen nach Lissabon kommt. Nicht nur, dass sie bei der reichen Familie Figueiro ausreichend zu essen bekommt und neu eingekleidet wird, sie wird wie ein eigenes Kind in die Familie integriert, voller Liebe und Herzlichkeit. Vor allem mit der gleichaltrigen Marissa fühlt sie sich sehr verbunden, sie verstehen einander wie Schwestern. Doch das Glück währt nicht ewig. Reni muss nach Wien zurück, die Großmutter ist verstorben, die kränkliche Mutter benötigt Pflege. Reni, noch nicht großjährig, muss sich dem Zwang beugen. Schließlich findet sie Arbeit, verliebt sich, heiratet. Doch auch über dieses Glück werfen sich Schatten. Sowohl in glücklichen wie auch in düsteren Zeiten verspürt sie stets Sehnsucht nach Portugal. All die Jahre steht sie brieflich mit Marissa in Kontakt, hoffend, sie irgendwann einmal wiederzusehen. Renis Geschichte berührt. Dieser Wechsel von Höhen und Tiefen. Man leidet und freut sich mit ihr. Und manchmal ist man richtig wütend auf die Menschen in ihrem Umfeld, die sie ausnützen und unterdrücken. Ihr Schicksal ist von vielen Zwängen beherrscht, vieles ist dem Zeitgeist geschuldet, der sozialen Stellung, dem damaligen Frauenbild. Erst mit den Jahren gewinnt Reni an Selbstvertrauen, findet ihren Platz im Leben, Zufriedenheit und Glück.

Was die Charaktere anbelangt, lernt man natürlich in erster Linie sämtliche Facetten von Renis Wesenszügen kennen. Ihre Gedanken, wie sie ihre Umwelt wahrnimmt, ihre Wünsche, Ängste, Enttäuschungen, ihre Sehnsucht, Liebe für andere. Sie verfügt über Stärken und Schwächen. Sie ist anpassungsfähig, erträgt jahrelang Dinge, die sie nicht ändern kann, bis sie aus dem Gleichmut erwacht und sich durchsetzt. Auch die Menschen rund um sie sind gut vorstellbar gezeichnet, geprägt vom jeweiligen Milieu und Umfeld, sie wirken lebendig und authentisch, wenn auch nicht unbedingt jeder sympathisch.

Nach „Eine Ahnung von Glück“ war dies mein zweites Buch dieser Autorin. Es hat mich wieder genauso begeistert. Für diese bewegende Geschichte gibt es von mir eine unbedingte Leseempfehlung und 5 Sterne.

Bewertung vom 11.01.2025
Paddington in Peru - Das Buch zum Film
Wilson, Anna

Paddington in Peru - Das Buch zum Film


ausgezeichnet

Paddington zurück im Dschungel

„Paddington in Peru“ von Anna Wilson ist das Buch zum demnächst in die Kinos kommenden Film. Es ist ein Kinderbuch.

Worum geht es?
Paddington reist mit der Familie Brown nach Peru, um seine Tante Lucy zu besuchen. Doch als sie dort ankommen, ist Lucy verschwunden. Paddington und die Browns begeben sich auf eine abenteuerliche und gefährliche Suchaktion.

Das Cover hatte mich sofort angesprochen. Paddington treibt auf einem reißenden Fluss. Wirkt schon mal abenteuerlich und spannend. Ich bin ein langjähriger Fan dieses putzigen Bären, in Plüsch sitzt er bei uns im Regal. Somit war es klar, dass ich dieses Buch lesen musste.

Das Buch erschien 2025. Der Originaltitel lautet: Paddington in Peru: The Story oft he Movie. Ins Deutsche übersetzt wurde es von Heide Lutosch. Das Buch gliedert sich in 23 mit Titeln versehene kurze Kapitel. Der Kapitelbeginn ist zusätzlich mit einer zum jeweiligen Text passenden Zeichnung geschmückt. Die Schriftgröße ist kindergerecht, auch die Sprache. In der Mitte des Buches befinden sich einige Fotos von Filmszenen. Mir persönlich hätte es besser gefallen, wenn das Buch nicht nur mehr Fotos beinhalten würde, sondern diese mit dem Text verbunden wären, also zu jedem Kapitel auch ein besonders eindrucksvolles Foto.

Was die Handlung anbelangt, so ist sie abwechslungsreich, überrascht immer wieder durch unerwartete Wendungen. Sie verfügt sowohl über amüsante Szenen, Situationskomik, als auch über etliche Spannungsmomente, auch ein bisschen Gruseliges, Geheimnisvolles und Action. Ich schmunzelte und lachte über den süßen Bären und seine Hoppalas, ebenso wie ich in bedrohlichen Situationen mit ihm bangte. Nichts kann ihn aufhalten, um seine geliebte Tante Lucy zu finden. Familie bedeutet ihm viel. Vor allem seine Worte am Ende sind so berührend, Paddingtons Bekenntnis zur Familie. Ende gut, alles gut. Die Lektüre macht richtig Lust auf den Film, auch für mich als Erwachsene.

Die Charaktere sind gut vorstellbar gezeichnet, sowohl die Mitglieder der Familie Brown, als auch die Nonnen und Hunter mit Tochter Lisa, wobei sich so manche Figur im Laufe der Story ganz anders entwickelt als man voraussieht. Der Star ist natürlich Paddington, seine liebenswerte Art, seine Tollpatschigkeit einerseits, andererseits sein Einfallsreichtum, um aus verfahrenen Situationen wieder heil heraus zu kommen.

Es hat einfach riesigen Spaß gemacht, dieses Buch zu lesen. Den Film möchte ich unbedingt auch sehen.

Bewertung vom 11.01.2025
Waldviertler Todesrausch
Scherl, Christian

Waldviertler Todesrausch


sehr gut

Zwielichtige Machenschaften und ein Mord

„Waldviertler Todesrausch“ von Christian Scherl ist der erste Kriminalroman dieses Autors, der erste Fall des Ermittler-Duos Chefinspektorin Diotima Vogl und Inspektorin Wolke Böhm.

Worum geht es?
In einer Waldviertler Brauerei findet man in einem der Gärbottiche eine Leiche. Der Tote ist Sepp Ackermeier, der am Abend zuvor beim Wettbiertrinken wie die Jahre zuvor zum „Bierkaiser“ gekürt wurde. Zwar sieht es auf den ersten Blick nach Unfall aus, doch sicherheitshalber wird das LKA Wien eingeschaltet. Als Verdächtige gilt die Verliererin des Wetttrinkens, die Judo- und Sportlehrerin Heidi Dudek.

Das Cover mit aus einem Jutesack kollernden Hopfendolden fällt ins Auge und passt zum Thema. Das Buch erschien 2019 im Verlag Federfrei. Der Krimi gliedert sich in 17 Kapitel, die außer der Tagesangabe keine genaueren Zeit- oder Ortsangaben aufweisen, was stellenweise, vor allem bei Rückblenden, sehr konzentriertes Lesen erfordert, um mit der Chronologie nicht durcheinander zu geraten. Die Handlung spielt in der Gegenwart, vor allem in einem fiktiven Ort im Waldviertel, Niederösterreich, und erstreckt sich über neun Ermittlungstage. Der Schreibstil liest sich flüssig, das Lokalkolorit wirkt authentisch.

Es wird primär aus zwei Perspektiven erzählt. Erstens aus jener von Nestor Bach, dem Lehrerkollegen bzw. Freund der Verdächtigen Heidi Dudek, der in ihrem Auftrag unterwegs ist, um ihre Unschuld zu beweisen. Zweitens aus der Sicht von Diotima und Wolke. Zeitweise vermischen sich, auch infolge von Rückblenden, die chronologischen Ereignisse, was mich immer wieder verwirrte. Mich überraschte letztens nicht nur, wer sich als Täter entpuppte, sondern es verblüffte mich tatsächlich, dass sich dieses Kuddelmuddel schlüssig auflöste.

Der Handlungsaufbau ist an und für sich raffiniert gestaltet. Bis zuletzt bleibt man im Unklaren, wie Sepp Ackermeier den Tod fand. Denn anfangs erscheint die Sachlage klar, doch je weiter einerseits die Recherchen von Nestor, andererseits jene der Wiener Ermittlerinnen gedeihen, desto verwirrender wird es. Es kommen allerlei Machenschaften ans Tageslicht. Weder beim Wetttrinken noch bei der ebenfalls stattgefundenen Wahl der Bierprinzessin ging es ehrlich zu. Nestors Nachforschungen bringen ihn in etliche prekäre Situationen, denn seine Neugier und Einmischung in die Dorfangelegenheiten sind unerwünscht. Doch weder lässt er sich durch Drohungen und tätliche Angriffe abschrecken, noch lässt sich Diotima, die die Verdächtige aus ihrer Jugendzeit kennt, von ihrer fixen Idee abbringen, dass Heidi Dudek ihren Gegner ins Jenseits befördert hat.

Was die Charaktere anbelangt, so wurde ich leider mit keinerlei Protagonisten wirklich warm. So richtig sympathisch fand ich kaum jemanden, am ehesten noch Wolke. Insbesondere Diotima war mir für eine ausgebildete, routinierte Kriminalbeamtin viel zu emotional, auch zu aggressiv. Eine derart fanatische Einstellung erscheint mir nicht authentisch für eine Polizistin. Nestor und Heidi waren für mich auch keine Sympathieträger, insbesondere ist auch Heidi viel zu aggressiv und brutal.

„Waldviertler Todesrausch“ weist Spannungsmomente, auch Action auf, war mir aber stellenwese für einen Regionalkrimi zu brutal. Die komplexe Handlung wurde durch nicht deutlich ersichtliche Rückblenden noch zusätzlich verwirrend und die Protagonisten punkteten nicht mit sympathischer Ausstrahlung. Somit gibt es von mir für diesen Krimi nur 4 von 5 Punkten.

Bewertung vom 06.01.2025
Jenseits des Nadirs
Marmulla, Rüdiger

Jenseits des Nadirs


ausgezeichnet

Gefühle in knappen Worten ausgedrückt

Der Sammelband „Jenseits des Nadirs“ von Rüdiger Marmulla enthält Novellen, die zwar verschiedenste Themen ansprechen, aber alle eines gemeinsam haben: sie berühren. Denn seine kleinen Geschichten haben eine ganz eigene Ausstrahlung. Trotz seines extrem minimalistischen Schreibstils – die Charaktere sind nicht tiefschürfend ausgearbeitet -, vermag er Gefühle zu vermitteln. Man fühlt mit diesen Menschen. Die Themen, wenn auch eher nur oberflächlich angeschnittenen, regen zum Nachdenken an.

In „Raue Ufer“ wartet ein Vater auf seine jahrelang nicht gesehene Tochter. Berufliche Umstände zwangen ihn zu einem Auslandsaufenthalt, wodurch der Kontakt zu ihr abriss. Er sehnt sich nach einem Wiedersehen, doch die Tochter reagierte bislang nie auf seine Briefe. Sie fühlte sich als Kind von ihm verlassen, ist nach wie vor verletzt. Man spürt seine Sehnsucht, seine Trauer über verlorene gemeinsame Jahre, aber auch seine Hoffnung – und man hofft als Leser mit ihm -, dass sie ihm irgendwann einmal vergeben wird.

In „Rückkehr zu den Yosemite Falls“ besucht ein Großvater mit seiner Enkelin Plätze, wo er einst mit seiner Frau glückliche Stunden verbracht hat. Er plante diesen Ausflug mit dem Hintergedanken, dort zu sterben, doch die Enkelin sorgt für seine Rettung und gibt ihm zu verstehen, wie sehr er geliebt und noch gebraucht wird. Die positive Botschaft dieser Novelle ist für mich, wie wunderbar es für alte Menschen ist, wenn es Familie gibt, die sich um sie kümmert, sie liebt. Doch ein wenig schwingt auch die Überlegung mit, inwieweit man das Recht hat, seinen Tod zu bestimmen.

In „Das letzte Duett“ erfüllt eine Krankenschwester einem Sterbenden einen letzten Wunsch. Sie zeigt Empathie zu einem Patienten, den der Arzt bereits aufgegeben hat, weil er sich nur mehr für jene Menschen interessiert, denen er medizinisch helfen kann. Eine Geschichte, die einerseits durch die Handlungsweise der Schwester berührt, andererseits aber auch durch die distanzierte, unmenschlich wirkende Einstellung des Arztes betroffen macht.

Die letzte Geschichte „Jenseits des Nadirs“ ist die fantasievollste dieses Bandes. Es ist viel Sternenkunde in diesem Text mit hinein verwoben. Es ist eine metaphysische Reise. Ein Junge ist auf der Suche nach einem Freund, den er letztens in seinem Glauben findet.

„Jenseits des Nadirs“ ist ein Büchlein, das man gar nicht in einem Zug verschlingen, sondern dessen Geschichten man auf sich einwirken lassen sollte. Ich schätze die Novellen von Rüdiger Marmulla ob ihrer menschlichen Ausstrahlung. Man versinkt ein wenig in einer Atmosphäre von Ruhe und Beschaulichkeit, emotional berührt und nachdenklich gestimmt.

Bewertung vom 05.01.2025
Wer zuletzt tanzt, tanzt am besten
Roth, Mila

Wer zuletzt tanzt, tanzt am besten


ausgezeichnet

Turbulente Flusskreuzfahrt

„Wer zuletzt tanzt, tanzt am besten“ von Mila Roth alias Petra Schier ist eine erfrischend kurzweilige und gleichzeitig spannende Agentenstory, bereits der 15. gemeinsame Auftrag des Agenten-Duos Janna und Markus.

Worum geht es?
Die Wissenschaftlerin Dr. Valentina Kostova wendet sich an Markus um Hilfe. Sie fürchtet, von Kriminellen entführt zu werden, um sie zur Herausgabe des von ihr entwickelten Quantencodes zu zwingen. Markus und Janna begleiten sie als ein Ehepaar getarnt an Bord eines Donau-Kreuzfahrtschiffes in ihre Heimatstadt Sofia, damit sie dort ihre wissenschaftliche Arbeit sicher fortführen kann. Es wird eine turbulente Reise - Geheimdienstleute machen Jagd auf Valentina.

Das Cover ist nicht nur optisch ein Eyecatcher, sondern das Motiv des Tanzpaares passt auch optimal zum Titel. Das Buch erschien 2024. Die kurz gehaltenen Kapitel sind mit Orts- und Zeitangaben versehen, was ich stets sehr schätze, da die Chronologie nachvollziehbar ist. Das Personenverzeichnis fand ich ebenfalls sehr hilfreich, um den Personenkreis zu überblicken. Der Schreibstil ist flüssig, locker, humorvoll, auch gut beschreibend. Die Handlung spielt in der Gegenwart; sie erstreckt sich über einen zehntägigen Zeitraum.

Es handelt sich bereits um den fünfzehnten Band dieser Reihe. Für mich war es erst das zweite Buch der Reihe – vor ca. zwei Jahren habe ich Band 1 gelesen. Ich erinnerte mich kaum noch an Details, außer dass mir das Buch damals gut gefiel. Vorkenntnisse sind wirklich keine nötig, um in die Story hinein zu kommen. Soweit erforderlich gibt es Hinweise auf die Vorgeschichte.

Die Handlung beginnt eher ruhig und beschaulich mit Reiselust weckenden Eindrücken bei einer Donau-Kreuzfahrt, mit Stadtrundgängen und einem Tanzwettbewerb, doch der Spannungsbogen zieht sich bald abwechslungsreich und mit überraschenden Wendungen durch den Roman bis zum dramatischen Showdown.

Das sympathische Agenten-Duo Janna und Markus steht im Mittelpunkt. Die beiden verbindet über die harmonische berufliche Zusammenarbeit eine wirklich gute Freundschaft. Langsam bahnt sich darüber hinaus eine intensivere Beziehung an. Noch wollen sie es nicht wahrhaben, doch es knistert bereits beträchtlich zwischen den beiden. Bei dem zweiten Agentenpaar Melanie und Gabriel ist von Eintracht (noch) keine Rede, doch ich denke, da steckt mehr dahinter. Vielleicht wird das Geheimnis ja im nächsten Band gelüftet. Generell sind die Akteure gut vorstellbar beschrieben.

Mich hat diese Agentenstory wieder gut unterhalten. Es ist eine entspannende Lektüre, mit der man sich einfach wohl fühlt und gerne noch mehr davon lesen möchte. Ich empfehle dieses Buch gerne weiter.

Bewertung vom 01.01.2025
Frau Morgenstern und das Vermächtnis
Huwyler, Marcel

Frau Morgenstern und das Vermächtnis


ausgezeichnet

Der Wind, der Wind, das himmlische Kind …

„Frau Morgenstern und das Vermächtnis“ von Marcel Huwyler, mittlerweile der 6. Band dieser außergewöhnlichen witzig-spannenden Serie, war wiederum ein Lese-Highlight für mich.

Worum geht es?
Violetta Morgenstern, eigentlich im Ruhestand, wird vom Killerministerium wiederum angeheuert. Denn ihr Ex-Kollege Miguel Schlunegger hat einen Menschen erschossen, grundlos wie es scheint. Denn er schweigt. Violetta soll den Grund für sein Handeln herausfinden. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, denn Miguel droht die Todesstrafe.

Das farbenfrohe Cover, stimmig passend zu den Vorgängerbänden, zieht schon mal die Blicke auf sich. Das Buch erschien 2024, die Handlung spielt in der Gegenwart. Die kurzen Kapitel flutschen nur so dahin. Abgesehen von der durchgehend fesselnden Handlung begeistert mich an dieser Reihe immer wieder vor allem Marcel Huwylers Schreibstil, seine Wortspiele, die fantasievollen bildhaften Wortschöpfungen, die witzigen Dialoge und typisch Schweizer Ausdrücke.

Obwohl man diesen Band problemlos ohne Kenntnis der vorhergehenden lesen kann, würde ich jedem raten, sich die gesamte Reihe von Beginn an zu gönnen, vor allem um das Wesen der Protagonisten und ihre Entwicklung in all ihren Details und Facetten zu verstehen.

Bereits im Prolog ist man mitten im Geschehen, schaut dem Scharfschützen quasi über die Schulter. Und dann ist man schon mitten in Violettas Alltag auf Gozo, wo sie mit Maurice völlig zurückgezogen lebt. Doch die Ruhe hat ein Ende, als sie von Miguels Schicksal erfährt. Die Situation scheint ausweglos. Violetta stöbert alle nur erdenklichen Kontaktpersonen Miguels auf, um in Erfahrung zu bringen, was ihn zu dieser Tat getrieben haben könnte. Ich möchte nicht zu viel von den unerwarteten Wendungen verraten. Violettas Einfühlungsvermögen, ihre Kombinationsgabe, ihr Einfallsreichtum und ihr vollster Körpereinsatz sind notwendig, um letztlich in einem dramatischen Finale alles zum Guten zu wenden. Die Handlung ist stets packend, abwechslungsreich, voller Überraschungen. Ich mochte das Buch kaum noch aus der Hand legen.

In diesem Band steht eindeutig Violetta im Vordergrund. Die tiefe Freundschaft der beiden zueinander zeigt sich einmal mehr in der Intensität, mit der Violetta versucht, sein Leben zu retten. Niemand kennt Miguel so gut wie sie. Nur sie kommt dahinter, was in ihm vorging. Abgesehen von ihrer Aufgabe, Miguels Grund für die Ermordung eines Menschen zu erkunden, erlebt man Violetta wiederum voll in Action. Ich liebe Violettas raffinierte Ideen und kleine Racheaktionen. In punkto Liebe eröffnet sich für Violetta eine völlig neue Seite. Sie steht zwischen zwei Männern, die sie beide liebt.

Das Buch war wieder pures Lesevergnügen, hat mich gefesselt und unterhalten. Ein Roman voller Originalität, Fantasie, Emotionen, Spannung und skurrilen Situationen, zudem ein sprachlicher Genuss! Ich hoffe auf noch zahlreiche weitere Abenteuer dieser außergewöhnlichen Protagonisten.

Eine unbedingte Leseempfehlung – nicht nur für dieses Buch, sondern für die gesamte Reihe!

Bewertung vom 01.01.2025
In der Remise
Marmulla, Rüdiger

In der Remise


ausgezeichnet

Wissenswertes, Berührendes und die Kraft des Glaubens

„In der Remise“ ist ein Sammelband, der einige Geschichten bzw. Novellen von Rüdiger Marmulla vereinigt, die zwar verschiedenste Themen ansprechen, aber alle eines gemeinsam haben: sie berühren. Denn seine kleinen Geschichten haben eine ganz eigene Ausstrahlung. Er hat einen extrem minimalistischen Schreibstil. Es sind manchmal nur kurze Gedanken, Beobachtungen, Erkenntnisse. Stets gelingt es ihm, Gefühle hautnah zu vermitteln, das Kopfkino anzukurbeln. Und meist stehen der Glaube und das Gottvertrauen im Mittelpunkt.

„Der Abenteuergarten“ und „In der Remise“ enthalten Texte aus der Schreibwerkstatt, Kurzgeschichten aus der Kindheit des Autors, seiner Jugend, aus seinem Leben. Er schildert in einfachen Sätzen und mit schlichten Worten Situationen, wie sie früher waren. Man erfährt viel über den Autor, von seinen Träumen, Sehnsüchten, seiner Liebe zu seiner Familie, deren Zusammenhalt, seinen Glauben. Es sind Geschichten mit sehr viel Liebe und Herzenswärme zwischen den Zeilen. Manches liest sich auch tröstend, manches ist zum Schmunzeln. Es sind keine weltbewegenden Dinge, die da erzählt werden, sondern einfach der Alltag – Enttäuschungen, erste Verliebtheit, familiäre Wärme, glückliche Momente, Missgeschicke. Berührend. Beglückend. Frieden ausstrahlend. Und letztlich gewinnt man daraus auch für einen selbst die Erkenntnis, dass die eigenen Erlebnisse, und seien sie noch so banal, es wert sind, festgehalten zu werden. Denn sie machen den Menschen aus, sie prägen das eigene Leben.

In „Die Anatomie des Blumenkörbchens“ gelingt es dem Autor nicht nur in Interesse weckender Weise für einen Laien verständliches Anatomiewissen darzubieten, sondern dieses harmonisch mit der ebenso romantischen wie letztlich tragischen Geschichte einer ersten Liebe zu verbinden. Man spürt das junge Glück, diese unbändige Verliebtheit ebenso wie den Wissensdurst des jungen Medizinstudenten, ein wenig kriecht Gänsehaut hoch, wenn man sich bildlich vorzustellen versucht, wie dieses Sezieren vor sich geht, und wird schließlich mit voller Wucht in die Dramatik des tragischen Schicksals gesogen. Berührend, wunderschön und todtraurig zugleich.

In „Das Himmelsschiff auf Orientfahrt“ verbindet der Autor die historisch belegte Fahrt des Zeppelin LZ 127 vom April 1931 mit einem fiktiven Zusammentreffen von vier Männern, die verschiedenen Glaubensrichtungen angehören - einem Christen, einem Muslim, einem Juden und einem Atheisten. Im Rahmen dieser Gespräche wird aus Sicht jedes Einzelnen die Geschichte des jüdischen Glaubens dargestellt, auf Gemeinsamkeiten mit den anderen Weltreligionen hingewiesen, die Bedeutung Jerusalems für alle hervorgehoben, die wechselhafte, oft blutige Geschichte dieser Stadt erzählt und man erfährt, dass es Zeiten gab, wo in dieser Stadt Menschen aller Religionen friedlich nebeneinander lebten.
Abgesehen von der theologischen Thematik ist die Route, auch anhand von Skizzen, anschaulich beschrieben, die Eindrücke der Passagiere und Erlebnisse während der Fahrt.
In Anbetracht der aktuellen kriegerischen Ereignisse im Nahen Osten vermittelt diese Novelle viel historisches Wissen über die Ursachen der Konflikte, die weit in der Vergangenheit ihren Ursprung haben.
„In der Remise“ ist ein Buch für besondere Lesemomente. Es bietet Wissenswertes und Gefühlvolles. Es ist ein Buch, das man gar nicht in einem Zug verschlingen, sondern dessen Geschichten man auf sich einwirken lassen sollte. Es bietet die Möglichkeit, ein wenig in einer Atmosphäre von Ruhe und Beschaulichkeit zu versinken, emotional und nachdenklich.

Bewertung vom 01.01.2025
Nachtwald
Walsh, Tríona

Nachtwald


sehr gut

Ein albtraumhaftes Wochenende

„Nachtwald“ von Triona Walsh ist nach „Schneesturm“ der zweite packende Thriller dieser Autorin.

Worum geht es?
Schauplatz ist ein verfallenes Herrenhaus in Irland, wo sich die Familien von Claire und George versammeln, um deren Hochzeit zu feiern. Das Haus liegt sehr einsam inmitten eines dichten, unheimlichen Waldes. In die fröhliche Feier platzt ein ungebetener Gast und das Unheil nimmt seinen Lauf …

Das Cover sticht rein farblich sofort ins Auge und der besondere Eindruck wird durch die Prägung noch verstärkt. Das Motiv stimmt gut auf die Story ein. Die Originalausgabe kam 2023 unter dem Titel „The Party“ heraus und wurde von Birgit Schmitz übersetzt. Die deutsche Fassung erschien 2024 im Fischer Verlag. Die Kapitel sind angenehm kurz gehalten, sind sporadisch mit Zeitangaben versehen. Der Schreibstil ist flüssig und gut beschreibend.

Die Handlung spielt in der Gegenwart und beschreibt die Ereignisse eines einzigen Wochenendes. Bereits das Umfeld, der dichte, das alte Haus fast verschlingende Wald, wirkt beklemmend. Dazu kommt die Abgeschiedenheit, das Wissen, nicht ohne Weiteres weg zu können. Alles in allem beschleicht einen von Anfang an Gänsehautfeeling, das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Fröhlichkeit des Gastgebers wirkt aufgesetzt. Lizzie, deren Mutter Claire George ziemlich überstürzt geheiratet hat, traut dem Frieden von Beginn an nicht. Und dann taucht plötzlich ein unerwarteter Gast auf. Von da an überschlagen sich die Ereignisse und Lizzies Misstrauen wächst.

An und für sich ist ein Plot mit begrenzter Personenanzahl in abgeschiedener Umgebung bereits ein Garant für Spannung. Einer der Anwesenden muss der Mörder sein. Doch die Handlung entwickelt sich noch viel komplexer, die Verdachtsmomente häufen sich, Misstrauen greift um sich, Ängste kommen hoch, Fluchtpläne werden geschmiedet und vereitelt. Immer wenn man meint, den Täter identifiziert, die Motivation durchschaut zu haben, belehrt einen eine unerwartete Wendung des Besseren. Bis sich in einem dramatischen Showdown der Mörder und sein Motiv offenbaren.

Das Buch ist ab der ersten Seite spannend, schon allein durch die Atmosphäre, die das Anwesen ausstrahlt. Die Geschehnisse werden aus Sicht von Lizzie erzählt. Es gibt zwar keine Perspektivenwechsel, aber ihre Aktionen und Recherchen bringen stets neue Erkenntnisse zutage, gestalten die Handlung abwechslungsreich. Zum Mitraten gibt es trotz eines Hauptverdächtigen einigen Spielraum, weil sich auch andere verdächtig benehmen.

Was die Charaktere anbelangt, so steht Lizzie im Mittelpunkt. Über ihre Vorgeschichte, insbesondere ihre Schwachstellen (ehemalige Drogen- und Alkoholsucht) erfährt man am meisten. Die Übrigen sind in groben Zügen vorstellbar, im Wesen eher oberflächlich. Lizzie ist von Anfang an auf der Hut. Sie agiert aufmerksam und lässt sich von der überschwänglichen Fröhlichkeit und Freundlichkeit des Hausherrn nicht einlullen, auch nicht von der Naivität und Gutgläubigkeit ihrer Familie. Sie beweist letztlich Mut, mentale und physische Stärke.

Da so manches in diesem Roman ziemlich unrealistisch, unglaubwürdig und konstruiert erscheint, mir auch nicht alles bis ins Detail logisch erschien, war „Nachtwald“ letztlich für mich zwar ein Pageturner, der mich fesselte und mich mit zittern ließ, ob die Protagonisten wohl heil aus diesem Albtraum gelangen können, hatte aber eben auch Schwachstellen. Daher eine Leseempfehlung mit 4 Sternen.

Bewertung vom 31.12.2024
Vielleicht hat das Leben Besseres vor
Gesthuysen, Anne

Vielleicht hat das Leben Besseres vor


sehr gut

Familienschicksale

„Vielleicht hat das Leben Besseres vor“ von Anne Gesthuysen ist ein unterhaltsamer, gefühlvoller Familienroman, ein bisschen romantisch, mit einem Hauch Krimi, wobei auch verschiedenste aktuelle Themen mit verpackt sind.

Worum geht es?
In einem kleinen Ort ist ein geistig behindertes junges Mädchen verunglückt und liegt im Koma. Man rätselt über die Ursache. Gab es Fremdverschulden? Insbesondere die Pastorin Anna kümmert sich um die Mutter des Mädchens, wobei auch Annas Familie mit so einigen Problemen zu kämpfen hat.

Das Cover ist unspektakulär, ganz schlicht gehalten, die Frau mit Hund symbolisiert die Pastorin Anna mit ihrem Goldendoodle Freddy. Das Buch erschien 2024 im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Die kurzen Kapitel verfügen über Überschriften, sowie bei Rückblenden auch über Orts- und Zeitangaben. Die Handlung spielt in der Gegenwart. Der Schreibstil ist flüssig, locker und humorvoll.

Der Roman steht an und für sich für sich alleine, dennoch hatte ich das Gefühl, dass mir einiges an der Vorgeschichte von Anna klarer gewesen wäre, hätte ich den Roman „Wir sind schließlich wer“ bereits davor gelesen.

Eigentlich sind zwei Familiengeschicke miteinander verwoben. Einerseits das Leben der Pastorin Anna und ihrer Familie, anderseits jenes von Heike Müller, die mit eine behinderten Tochter eine schwere Bürde zu meistern hat. Sehr einfühlsam schildert die Autorin die vielschichtigen Probleme der Protagonist*innen. Vieles ist von Schuldgefühlen geprägt, von Sorgen, von früher Erlebten, von Vorurteilen. Man spürt auch die Kraft der Gemeinschaft, ob dörflich oder familiär, das Zusammenhalten, die Stütze durch andere. Ebenso spielt auch das dörfliche Flair mit hinein, die Neugier, das Getratsche und die Gerüchteküche. Mit hinein verpackt sind auch aktuelle Themen wie z.B. Wokeness.

Der tragische Unfall von Raffaela zieht sich von Beginn bis zum Ende als roter Faden durch die Handlung. Einerseits versucht man, die Unfallursache zu ergründen, bangt um das Leben des Mädchens, andererseits wird in Rückblenden aufgedeckt, wie es zur Behinderung kam und wie Heike bzw. die gesamte Familie mit der Erkrankung zurecht kam und kommt. Parallel dazu entwickelt sich Annes Leben weiter. Sie kümmert sich statt ihrer suchtkranken Schwester Maria um ihren Neffen Sascha, der sich nichts sehnlicher wünscht, als mit seiner Mutter leben zu können. Alles ist irgendwie schwierig, doch letztlich ist es die Gemeinschaft, die Hilfe und Unterstützung bietet. Und für Anna gibt es einen neuen Mann an ihrer Seite. Letzteres bringt ein wenig Romantik in die Geschichte. Dadurch dass bis zuletzt nicht klar ist, wodurch Raffaelas Sturz verursacht wurde, ist der Roman auch ein klein wenig ein Krimi. Auch amüsante Szenen gibt es, wie z.B. jene als Freddy zur läufigen Gloria ausbüchst und dem Hundehalter Martin somit eine Welpenschar beschert.

Es sind einigermaßen sympathische Menschen, die diesen Roman bevölkern. Auch wenn sie alle so ihre Schwächen und Probleme haben, dünkelhaft oder egoistisch sind wie Annas Mutter und Schwester, so fühlt man sich beim Lesen in ihrer Gesellschaft wohl. Es gibt in dem Sinn keine Bösewichte. Man fühlt mit ihnen, insbesondere mit Heike und Johannes, mit dem schweren Los, das sie bewundernswert meistern. Die Charaktere sind gut vorstellbar und lebendig gezeichnet, auch wenn mich manche genervt haben. Mit Anna wurde ich nie richtig warm. Vielleicht weil sie Volker gegenüber so unschlüssig und distanziert reagiert. Am meisten mochte ich ihren Neffen Sascha und Tante Ottlie, die mit Humor und Lebensweisheit immer die richtigen Worte zur rechten Zeit findet.

Es ist kein mitreißendes Buch, aber ich fand vor allem Heikes Schicksal berührend, und manche Szenen durchaus unterhaltsam.