Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Christina19

Bewertungen

Insgesamt 74 Bewertungen
Bewertung vom 19.10.2024
Die Geschichte vom zauberbunten Garten
Rübben, Andrea

Die Geschichte vom zauberbunten Garten


ausgezeichnet

Wahrlich zauberhafte Illustrationen

In einer großen grauen Stadt lebt eine alte Frau. Sie pflegt dort einen üppigen, bunten Garten. Eines Tages beginnt sie, ihre farbenfrohen Blumen zu verschenken. Mit dem Postboten, der Friseurin, dem Schuljungen und weiteren Menschen verbreiten sich die Farben und es zieht Leben in die Stadt ein.

„Die Geschichte vom zauberbunten Garten“ stammt aus der Feder von Andrea Rübben. Sie beginnt mit „Es war einmal…“ und mutet nicht allein dadurch wie ein modernes Märchen an. Andrea Rübben entführt ihre Leser/innen und Zuhörer/innen in eine dunkle Stadt und einen zauberhaften, geradezu magischen Garten. Mit leicht verständlichen Sätzen eignet sich ihre kurze Geschichte auch schon für junge Kinder.
Stella Dreis hat dem Buch die passenden Illustrationen beigesteuert. Mit ihrem unverwechselbaren Stil schafft die preisgekrönte Illustratorin die unterschiedlichsten Orte und Stimmungen: Wir sehen die Stadt, die im grauen Nebelschleier verschwimmt und den Garten, der wie eine Oase in der großen Wüste wirkt. Besonders gelungen ist der zarte Einzug der Farben in die Welt. Zuerst breiten sie sich ganz vorsichtig aus, ehe sie das Grau vollends überdecken. Die Farben in Stella Dreis‘ Bildern kommen durch den weißen Rand, der diese umgibt, besonders zur Geltung. Ich habe diese Art der Gestaltung so in noch keinem anderen Bilderbuch sehen können, finde sie aber genau passend für dieses wahrlich bezaubernde Buch.
„Die Geschichte vom zauberbunten Garten“ zeigt, dass auch kleine Gesten Großes bewirken können. Sie regt dazu an, selbst Gutes zu tun und an die Kraft der eigenen Taten zu glauben, ganz nach Mahatma Gandhi: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“

Bewertung vom 07.10.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


gut

Kolonialisierung, Sklaverei und starke Frauen

Als die „La Baleine“ Frankreich im Jahr 1720 in Richtung Louisiane verlässt, befinden sich 90 Frauen an Bord. Sie wurden unter den Bewohnern und Gefangenen einer psychiatrischen Anstalt in Paris ausgewählt, um den Aufbau einer französischen Kolonie in Amerika zu unterstützen. Unter ihnen sind Charlotte, Étiennette, Pétronille und Geneviève. Während die Siedler versuchen, die Wildnis in dem fremden Land zu zähmen, bauen sich ihre Frauen auf dem neuen Kontinent unter widrigen Bedingungen ein neues Leben auf.

„La Louisiane“ ist mit all den Themen, die darin anklingen, ein sehr vielschichtiger Roman. Er berichtet von der Kolonialisierung und der damit einhergehenden Ungerechtigkeit, die die indigene Bevölkerung Nordamerikas erfahren hat. Neben der Besetzung und Aneignung großer Landflächen, die die Ureinwohner hinnehmen mussten, fanden sie sich auch mehrfach in gewaltsamen Auseinandersetzungen wieder. „La Louisiane“ gewährt außerdem einen Einblick in die Anfänge der Sklaverei und die Bedingungen, unter denen die afrikanischstämmigen Menschen arbeiten mussten. Vor allem aber berichtet Julia Malye von Frauen, ihren Aufgaben und ihrer Stellung in einer männlich geprägten Welt. Sie schreibt darüber, wie sie sich den Gegebenheiten ihrer Zeit oft unterordnen mussten, sich teils aber auch dagegen auflehnten, sich kleine und größere Freiheiten erkämpften, Homosexualität erkundeten und sich und ihre Familie selbst durchbrachten. Julia Malye erzählt von starken Persönlichkeiten im 18. Jahrhundert, die wir auf über 500 Seiten näher kennenlernen:
Die Französinnen Charlotte, Étiennette, Pétronille und Geneviève waren aus teils fragwürdigen Gründen in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht und wurden von dort gegen ihren Willen nach Louisiane verschifft. In drei Abschnitten lässt uns die Autorin in ihrem Roman an den Leben dieser Frauen teilhaben. Jeder Leseabschnitt ist dabei wiederum in mehrere Kapitel gegliedert, in denen jeweils eine der Frauen im Mittelpunkt steht. Durch diesen stetigen Wechsel der Perspektive ist man nah dran am Leben aller Protagonistinnen. Ich mochte das sehr gerne, zumal es das Lesen abwechslungsreich machte. Die Kapitel bringen außerdem fortlaufend Zeitsprünge mit sich. Manchmal sind es einige Monate, manchmal mehrere Jahre, die zwischen ihnen liegen. Dadurch ist es möglich, Charlotte, Étiennette, Pétronille und Geneviève über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Während der insgesamt 15 Jahre, die in der Geschichte beschrieben werden, ändert sich das Leben der Frauen grundlegend. Dem ersten Drittel des Buches konnte ich leicht folgen, doch vor allem im zweiten und dritten Abschnitt gibt es zahlreiche unvorhergesehene Ereignisse sowie viele Nebenfiguren. Dadurch hatte ich ab und an Mühe, den Überblick über die Geschehnisse und Zusammenhänge zu behalten.
Während die Hauptfiguren von der Autorin erdacht sind, liegen der Geschichte doch auch einige wahre Begebenheiten zugrunde. Die Anstalt „La Salpêtrière“ beispielsweise gab es tatsächlich und sie existiert bis heute als Krankenhaus in Paris. Die Überführung einiger Frauen auf einen fremden Kontinent ist ebenso wahr wie einige der Ereignisse, die in Louisiane geschildert werden. Diese Tatsache macht das Schicksal der (wenn auch fiktiven) Frauen noch ergreifender!
Empfehlenswert für Liebhaber historischer Romane.

Bewertung vom 02.10.2024
Mukiza
Jaenicke, Hannes

Mukiza


sehr gut

Bedrohte Tierarten müssen geschützt werden!

Mukiza, das kleine Berggorillababy, erblickt eines Nachts im Bwindi Nationalpark in Uganda das Licht der Welt. Es ist Teil einer größeren Gruppe Berggorillas, zu denen auch seine Mutter Mugwere und sein Vater Zeus zählen. Mukiza wächst zunächst ganz unbekümmert auf. Er spielt mit seinen Gefährten, wird immer mutiger und lernt schnell. Als er eines Tages auf Menschen trifft, bleibt die Begegnung nicht ohne Folgen. Auch in seiner Gruppe gibt es bald Tumulte, sodass Mukiza, mittlerweile ein ausgewachsener Silberrücken, sich behaupten muss.

Hannes Jaenicke schreibt in „Mukiza“ über das Leben eines Berggorillas. Das Tier gibt es tatsächlich und Teile der Geschichte sind ebenso passiert. Umso beeindruckender – an manchen Stellen aber auch umso trauriger – ist das, was der Schauspieler, Umweltschützer und Autor hier schildert:
Wir lernen das Leben dieser besonderen Tiere kennen und erfahren, wie sie in Gruppen zusammenleben, voneinander lernen und sich als Anführer durchsetzen. Gleichzeitig sehen wir aber auch, welchen Gefahren diese sowieso schon bedrohte Tierart ausgesetzt ist. Der Mensch zerstört nicht nur den Lebensraum der Berggorillas, sondern sorgt mit Fallen immer wieder auch dafür, dass sich Tiere verletzen und schlimmstenfalls verenden.
Die Geschichte wird unterstrichen von Illustrationen, die durchweg großformatig gestaltet sind. Diese stellen den Regenwald atmosphärisch dar und zeigen gekonnt die Gemeinschaft der Berggorillas auf. Besonders die Lichteffekte stechen ins Auge, sei es die Stimmung bei Sonnenuntergang oder die eines Gewitters bei Nacht.
Gut gefällt mit, dass sich der CalmeMara Verlag verpflichtet hat, 1 € pro Buch an die Berggorilla & Regenwald Direkthilfe e. V. zu spenden. Damit leistet man mit jedem Kauf automatisch einen Beitrag zum Schutz dieser besonderen Tiere. Ein schönes Buch, um schon Kinder für den Umwelt- und Tierschutz zu sensibilisieren!

Bewertung vom 24.09.2024
Earhart
Kuhlmann, Torben

Earhart


ausgezeichnet

Ein eindrucksvolles Denkmal für eine Frauenrechtlerin

Als einer kleinen Wühlmaus eine besondere Briefmarke in die Pfötchen fällt, beschließt sie, mehr darüber herausfinden zu wollen. Gerne möchte sie erfahren, woher die Marke stammt und ob es die Großkatze, die darauf abgebildet ist, tatsächlich irgendwo auf der Erde gibt. Mit der Hilfe einiger Weggefährten – und gegen den Widerstand ihrer Kolonie – macht sie sich schließlich auf den Weg nach Afrika und weiter um die ganze Welt.

Mit „Earhart“ hat Torben Kuhlmann im 10. Jahr seiner Mäuseabenteuer das nunmehr 5. Buch der Reihe herausgebracht. Er setzt damit Amelia Earhart ein Denkmal, die als erste Frau im frühen 20. Jahrhundert nonstop über den Atlantik flog und als Ikone der Frauenrechtsbewegung gilt.
In seiner Geschichte lässt Kuhlmann seine Maus vieles durchleben, was auch Amelia Earhart gefühlt haben muss: Beide tragen den unbändigen Wunsch in sich, das Fliegen zu erlernen und die Erde zu umrunden. Gleichzeitig bekommen sie den Widerstand der Gesellschaft zu spüren, die ihnen den Erfolg nicht zutraut und ihnen andere Aufgaben zuschreibt – Earhart, weil sie eine Frau war und der Maus, weil sie wühlen statt fliegen soll. Auch das Ende ihrer Reise weist einige Parallelen auf, ohne an dieser Stelle jedoch zu viel verraten zu wollen.
Sehr gelungen finde ich die Bezüge, die Torben Kuhlmann zwischen seinen Büchern der Reihe knüpft. So gibt es ein Wiedersehen mit dem Mausepiloten, der als Pionier in der Mäuseluftfahrt Geschichte geschrieben hat und damit Lindbergh ein Vorbild war. Ebendiese Maus hatte anschließend in „Armstrong“ ihren Auftritt als bereits betagtes Tier. Dank „Earhart“ wissen wir nun, wie er seine Tage nach seinen Erfolgen als Pilot bis zu seiner Zeit im Smithsonian Museum verbracht hat.
In Teilen der Geschichte arbeitet Torben Kuhlmann mit Leerstellen und lässt dafür seine beeindruckenden Illustrationen sprechen. Diese entführen uns in US-amerikanische Großstädte und in die unterirdischen Anlagen der Wühlmäuse, sie nehmen uns mit in ein kleines Cockpit über den Wolken und lassen uns bis nach Afrika reisen. Kuhlmanns fotorealistische Zeichnungen sind atmosphärisch, oft abenteuerlich und teils voller Humor. Der Autor und Illustrator beweist damit einmal mehr, dass er kindliche und erwachsene Leser gleichermaßen zu bezaubern weiß.
„Earhart“ lehrt uns, dass selbst für die Kleinsten nichts unmöglich ist und es sich allen Widerständen zum Trotz lohnt, an seine Träume zu glauben!

Bewertung vom 17.09.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


sehr gut

Die Geschichte einer iranischen Familie in Deutschland - literarisch dicht und in poetischer Sprache

Reza ist noch ein Kind, als seine Eltern mit ihm vom Iran nach Deutschland ziehen. Hier leben sie in einem Viertel in Bochum, in dem Menschen der unteren Unterschicht bis zur mittleren Mittelschicht zu Hause sind. Der Familie fällt es nicht leicht, Anschluss zu finden. Sprache und Kultur sind ihnen fremd, ihre Nachbarn beäugen sie misstrauisch, ihre Abschlüsse werden nicht anerkannt. Auch nach Jahren in der neuen Heimat fühlt sich die Familie nicht zugehörig. Behzad Karim Khani erzählt davon, was es heißt, in einem Land anzukommen, ohne wirklich dort anzukommen.

Mit „Als wir Schwäne waren“ hat Behzad Karim Khani einen Roman verfasst, der deutliche autobiografische Züge aufweist. Er verleiht darin Reza seine Stimme. Reza ist der Sohn iranischer Einwanderer, der rückblickend seine und die Geschichte seiner Familie erzählt. Die Geschehnisse schildert er episodenhaft, sodass sich der Roman aus vielen Fragmenten in chronologischer Reihenfolge zusammensetzt. Der Autor bedient sich beim Schreiben einer höchst poetischen Sprache. Seiner Hauptfigur gibt er eine gewisse Distanz zu den Ereignissen, sodass Reza diese – obwohl er selbst Teil des Ganzen war – wie ein außenstehender, objektiver Beobachter recht emotionslos wiedergibt.
Khani schreibt über all die Probleme, die Menschen in Deutschland erwarten. Er weist auf kulturelle Unterschiede hin, erzählt von Sprachproblemen, der fehlenden Anerkennung von Abschlüssen und der Chancenlosigkeit. Er berichtet von Armut und Nachbarn, die deshalb ins kriminelle Milieu abstürzen. Er zeigt die Gewalt und Drogendelikte auf, die in Rezas Viertel vorherrschen. Und er erzählt, wie auch Reza selbst sich nicht gegen den Absturz schützen kann.
„Als wir Schwäne waren“ ist aber nicht nur eine Geschichte über die Perspektivlosigkeit einer emigrierten Familie, sondern es ist auch eine Geschichte von Vater und Sohn, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Auf der einen Seite der Vater, der in Deutschland nie Fuß fassen konnte, immer stiller wurde und vor allem über seine Gedanken und Gefühle nicht sprach. Über einen Vater, der Stolz und Würde besaß. Auf der anderen Seite der Sohn, der immer tiefer in die Kriminalität abrutschte und seinen Stolz noch heute sucht. Es ist die Geschichte zweier, die sich womöglich auch durch die Auswanderung voneinander entfernt und nie wieder so ganz zusammengefunden haben.
So viel uns der Autor über die Herausforderungen der Familie in Deutschland wissen lässt, so wenig gibt er an anderer Stelle preis. Das sorgt dafür, dass die Geschichte einerseits literarisch dicht erzählt ist, die Leerstellen andererseits aber einige Fragen aufwerfen: Wieso hatte die Familie den Iran überhaupt verlassen? Warum haben sie an ihrer Situation im Bochumer Viertel nicht früher etwas geändert, wenn sie nicht glücklich waren?
Obwohl „Als wir Schwäne waren“ in den 1980er und 1990er Jahren spielt, ist der Roman noch immer höchst aktuell und auf jeden Fall lesenswert.

Bewertung vom 13.09.2024
Das Möbel-Handbuch
Ramstedt, Frida

Das Möbel-Handbuch


sehr gut

Ein solides Nachschlagewerk für die Auswahl von Möbeln

Auf über 300 Seiten stellt die schwedische Innendesignerin und Bloggerin Frida Ramstedt Hinweise zusammen, auf welche Kriterien man bei der Auswahl seiner Möbel Acht geben sollte.
Sie befasst sich dabei mit Sitzmöbeln und Tischen ebenso wie mit Stauraummöglichkeiten und Betten. In jeder dieser Kategorien gibt es zahlreiche Unterscheidungen: So geht die Autorin beispielsweise bei den Sitzmöbeln separat auf Stühle, Hocker, Barhocker, Bänke, Schreibtischstühle, Sofas, Sessel und Schaukelstühle ein. Hierzu erteilt sie spezifische Tipps, da z. B. für den Kauf eines Stuhles auf andere Dinge zu achten ist als bei der Anschaffung eines Sofas. Ich finde es klasse, wie differenziert Frida Ramstedt die einzelnen Möbelarten betrachtet. Ihre Tipps sind entsprechend sehr umfangreich, enthalten für mich jedoch wenig neue Informationen (wobei ich mich seit einigen Jahren schon intensiv mit Möbeln befasse).
Interessanter finde ich ein weiteres Kapitel, das sich Materialien widmet. Hier werden unterschiedliche Arten an Holz, Stein, Leder, Textilien und Glas ausführlich beschrieben und miteinander verglichen. So erhält man u. a. einen Überblick über die Unterschiede zwischen Nubuk-, Anilin- und oberflächengefärbtem Leder sowie Kunstleder und erfährt über deren jeweilige Vor- und Nachteile. Die umfangreiche Übersicht inkl. der Beschreibungen erspart somit langes und mühseliges Recherchieren bei der Materialauswahl.
Eine dann folgende Zeitleiste gibt Einblick in die Designgeschichte Schwedens, ehe das Buch mit einem Kapitel zu Planungsgrößen und Konzepten endet. Diesen Abschnitt finde ich besonders hilfreich, da er Einblicke zur Einrichtung von Räumen bietet. Gerne hätte ich dazu noch mehr gelesen: Denkbar wäre für mich z. B. die Vorstellung von Wohnstilen und ein Abriss zur Farbenlehre, also kurzum, wie man Möbel hinsichtlich Form und Farbe geschmackvoll in Räumen mit Tapeten, Teppichen, Leuchten und Vorhängen kombiniert. Vermutlich hätte das an dieser Stelle aber zu weit geführt und womöglich wurde das Thema bereits im ersten Buch „Innendesign“ der Autorin abgehandelt (dieses kenne ich nicht, daher kann ich das nicht einschätzen).
Zuletzt einige Sätze zur Aufmachung des Buches: Der Einband aus Leinen lässt das Werk sehr hochwertig erscheinen, wenngleich mir das Cover der schwedischen Originalausgabe in seiner schlichten Gestaltung noch besser gefällt. Der Inhalt ist klar gegliedert, was die Orientierung in den einzelnen Kapiteln erleichtert. Einige Passagen sind um Darstellungen von Möbeln ergänzt, wobei diese durchgängig schwarz-weiß und somit recht schlicht gehalten sind.
Alles in allem ist dieses Buch ein solides Nachschlagewerk, wenn man die Anschaffung neuer Möbel in Betracht zieht.

Bewertung vom 05.09.2024
Die vorletzte Frau
Oskamp, Katja

Die vorletzte Frau


ausgezeichnet

Eine Beziehung und die Rollen einer Frau im Wandel der Zeit

Als sie Tosch kennenlernt, ist sie gerade einmal 30 Jahre alt. Er ist ihr Dozent am Literaturinstitut und 19 Jahre älter. Obwohl beide (noch) verheiratet sind, stürzen sie sich in ein leidenschaftliches Verhältnis. Sie versprechen sich, sich einander mit allen Meisen und Absonderlichkeiten zuzumuten und führen eine harmonische Beziehung. Als Tosch schwer erkrankt, ändern sich ihre Rollen – und damit auch ihre Beziehung…

Katja Oskamp erzählt in ihrem autobiografisch geprägten Roman von zwei Menschen an unterschiedlichen Punkten ihres Lebens, die sich kennen- und lieben lernen. Die Beziehung erleben wir aus Sicht der Frau, die mit über 50 Jahren rückblickend ihre Erinnerungen schildert. Sie tut das in einer Art und Weise, die ich sehr gerne mag: Oskamp lässt uns nah am Geschehen teilhaben, übermittelt Situationen meist knapp und nüchtern, ist dabei stellenweise dennoch wunderbar humorvoll. So erzählt sie, wie sie Tosch einst als Studentin in Leipzig traf, wie sie einander ergänzten und eine ganz und gar harmonische Beziehung führten. Oskamp berichtet, wie sich beide durch ihre getrennten Wohnungen ein Stück Unabhängigkeit bewahrten, wie genau diese Wohnsituation in der Beziehung aber auch zu einem „Komm her, geh weg“ führte. Auf mich machte das fast den Eindruck, als wenn vor allem Tosch zugunsten seiner Freiheit keine Verbindlichkeiten eingehen wollte. Den Wendepunkt in der Beziehung zu dem „Mann ihres Lebens“ markiert Toschs Erkrankung. Mit dieser begann eine Zeit des Abschiednehmens. Da jedes Ende einen Neuanfang bedeuten kann, lässt uns Oskamp auch daran teilhaben und zeigt auf, wie sie sich als Frau weiterentwickelte.
Während die Autorin vom Beginn, dem Verlauf und dem Ende einer Beziehung schreibt, thematisiert sie zugleich die Rollen einer Frau: Sie ist Mutter und Geliebte, Freundin und Tochter, aber auch Hausfrau, Schriftstellerin und Fußpflegerin. Stets versucht sie den Spagat zu schaffen und allen gerecht zu werden. Dennoch – und das sollte für jedermann gelten – vergisst sie auch sich selbst und ihre eigenen Bedürfnisse nicht.

Bewertung vom 04.09.2024
Mondeis: Trägerin des Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preises 2020; Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024, Kategorie Bilderbuch
Baek, Hee Na

Mondeis: Trägerin des Astrid-Lindgren-Gedächtnis-Preises 2020; Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024, Kategorie Bilderbuch


ausgezeichnet

Ein koreanisches Sommermärchen mit einzigartigen Bildern

In einer klaren Sommernacht leiden die Bewohner eines Mehrfamilienhauses unter der großen Hitze. Die Klimaanlagen laufen, die Ventilatoren brummen. Es ist so heiß, dass sogar der Mond zu schmelzen beginnt. Als Oma Holle das Tropfen hört, eilt sie nach draußen, um das Mondwasser aufzufangen.
Sie sammelt es in einer Schüssel, doch was soll sie nun damit anstellen? Und wie gelangt der Mond zurück an den Himmel?

Mit „Mondeis“ hat Baek Hee Na die moderne Version eines traditionellen koreanischen Märchens geschaffen. Mit ruhigen Worten erzählt sie von Oma Holle, ihren Nachbarn und den Geschehnissen in dieser heißen Nacht. Der Verlauf der Geschichte sorgt dabei für die eine oder andere Überraschung.
Maßgeblich für dieses Buch sind die einzigartigen Bilder der Illustratorin: Mit ihrer Puppenstube kreiert sie eine beschauliche Welt. Man blickt in Wohnzimmer mit kräftigen Tapeten, in kleine Küchen und ins Treppenhaus mitsamt abgestelltem Fahrrad. Die Figuren kommen als Tiere daher und sind durchweg von Hand gezeichnet. So vereint Baek Hee Na auf ihren Fotografien dreidimensionale Räume mit zweidimensionalen Figuren. Die Tiere bleiben in ihrer Farbigkeit zurückhaltend schwarz-weiß, was sie im Kontrast zu der farbigen Umgebung noch mehr hervorstechen lässt. Auch nach mehrmaligem Ansehen gibt es auf jedem Bild immer wieder etwas Neues zu entdecken, seien es Details in den Räumen des Mehrfamilienhauses oder die ausdrucksstarke Mimik und Gestik der Figuren. Besonders gefällt mir, wie Baek Hee Na einzelne Situationen mit Licht in Szene setzt. Ihre Fotografien wirken dadurch besonders stimmungsvoll.
Ein empfehlenswertes Bilderbuch, das zu Recht für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2024 nominiert ist!

Bewertung vom 23.08.2024
Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben
Auh, Dayeon

Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben


ausgezeichnet

Eine Parabel voller Optimismus und mit kunstvollen Illustrationen

Eines Tages begab sich der Großvater auf den Weg zum Markt. Er musste dazu einen nahegelegenen Berg besteigen, dem man Unheilvolles nachsagte: Wer hier stürzt, so hieß es, habe nur noch drei Jahre zu leben. Es kam, wie es kommen musste, der Großvater stolperte und fiel. Sorgenvoll blickte er in die Zukunft, bis seine Enkelin einen klugen Gedanken hatte…

„Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben“ ist das Bilderbuch-Debüt der Illustratorin Dayeon Auh. Die Geschichte beruht auf einem koreanischen Volksmärchen. Dadurch ermöglicht sie einen kleinen Einblick in eine fremde Kultur, was ich sehr aufschlussreich und inspirierend finde.
Die Handlung ist mit wenigen Sätzen eher knapp gehalten, muss für mein Empfinden aber auch gar nicht ausführlicher beschrieben werden. Von den Ereignissen rund um den sogenannten „Samnyeongogae“, dem „Berg des Grauens“, erzählt uns die Autorin auf eine sanfte Art und Weise. Gerade diese ruhigen, leisen Töne, die in der Geschichte anklingen, mag ich sehr gerne.
Im Kontrast zur Erzählweise stehen die kraftvollen Illustrationen. Sie sind durchweg seitenfüllend sowie farbintensiv gestaltet, wodurch sie ausdrucksstark daherkommen. Dayeon Auh bedient sich bei der Gestaltung ihres Buches unterschiedlicher Techniken: Sie malt und zeichnet, sie schneidet und klebt. Ihre Bilder zeugen von der besonderen Fantasie der Illustratorin, die beispielsweise Pflanzen und Tiere ganz außergewöhnlich darstellt. All diese Merkmale – von Farb- und Formgebung bis hin zu den angewandten Techniken – verleihen Dayeon Auhs Bildern einen einzigartigen, kunstvollen Stil, der, wie ich finde, gut zum Inhalt passt.
Im Gegensatz zu den deutschen Volksmärchen, die oft Gut und Böse gegenüberstellen, teils gewalttätige Inhalte haben und damit Angst verbreiten, spendet „Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben“ Hoffnung: Die Parabel veranschaulicht nämlich, welch weitreichende Auswirkungen es haben kann, Gegebenheiten aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Dayeon Auh zeigt uns damit die Kraft unserer Gedanken auf – im negativen, vor allem aber im positiven Sinne. Sie lässt Erleichterung, Frohsinn und Optimismus einziehen, die sich auf den Leser übertragen und auch lange nach dem Lesen des Buches erhalten bleiben.
„Ein Berg, ein Sturz, ein langes Leben“ ist ein wertvolles Bilderbuch für Optimisten und Menschen, die es werden wollen!

Bewertung vom 13.08.2024
Vielleicht können wir glücklich sein
Hennig von Lange, Alexa

Vielleicht können wir glücklich sein


ausgezeichnet

Schicksale in der 1940er Jahren – ein Werk gegen das Vergessen

Isabell findet im Nachlass ihrer Großmutter Klara über 130 Tonbandaufnahmen. Darin erzählt diese über ihr Leben in der Kaiserzeit, der Zeit des Nationalsozialismus und im geteilten Deutschland.
In „Vielleicht können wir glücklich sein“ begleiten wir Klara im letzten Jahr des Zweiten Weltkrieges. Ihre Stelle als Leiterin des Frauenbildungsheims hat sie aufgegeben, um sich um ihre vier Kinder kümmern zu können. Klaras Mann Gustav, der sich früher als Lehrer verdingte, wurde schon vor Langem eingezogen und kämpft nun mit seiner Einheit in Schlesien. In ständiger Anspannung wegen der zunehmenden feindlichen Angriffe versucht Klara ihren Alltag zu bewältigen. Zu ihrer Sorge um die Kinder und ihren Mann an der Front mischt sich auch die Angst um Tolla, ihre jüdische Ziehtochter, die nach Theresienstadt deportiert wurde…

Im dritten Band ihrer Heimkehr-Trilogie fängt Alexa Hennig von Lange den Alltag in den Kriegswirren 1944/45 ein. Damit schließt der Roman beinahe lückenlos an den zweiten Teil „Zwischen den Sommern“ an. In ihrer Reihe hat die Autorin mit Klara eine Figur geschaffen, die durch ihre eigene Familiengeschichte inspiriert ist. Entsprechend wirklichkeitsnah schildert sie auch im letzten Band wieder die Ereignisse in Sandersleben. Alexa Hennig von Langes Erzählstil ist dabei sehr lebendig, sodass man durchweg mit der Protagonistin fühlt: Für Klara ist es eine belastende Situation, wochenlang auf ein Lebenszeichen von ihrem Mann und ihrer Ziehtochter zu warten, die Verantwortung für ihre Kinder zumeist alleine tragen zu müssen, immer wiederkehrend Nachrichten vom Tod alter Bekannter zu erhalten und nicht zu wissen, was die Zukunft bringt.
Die Hauptfigur steht hier stellvertretend für Millionen von Schicksalen im zweiten Weltkrieg. So kann der Roman als Dokumentation der traumatischen Erlebnisse gesehen werden, die die Menschen damals durchstehen mussten. Wir erfahren, was es bedeutet, wenn ein Volk unter Lebensmittelknappheit leidet, Medikamente nur noch eingeschränkt verfügbar sind, wenn die Sirenen erklingen und die nächsten Angriffe ankündigen. Wir spüren – teils unmissverständlich beschrieben, teils zwischen den Zeilen –, wie schon Kinder in ihren jungen Jahren unter dem Krieg litten und sich Paare ein Stück weit entfremdeten. Kurzum: Wir können verstehen und nachempfinden, wie sehr der Krieg das Familienleben beeinflusste und die Menschen ein Leben lang prägte.
Trotz aller Widrigkeiten ist während des gesamten Romans die Liebe zu spüren, die Klara für ihre Familie in sich trägt. Und so keimt zwischen den Schrecken des Krieges vereinzelt auch Hoffnung auf: „Vielleicht können wir glücklich sein“.
Alexa Hennig von Langes Roman(-reihe) ist ein ergreifendes Werk gegen das Vergessen und daher eine unbedingte Empfehlung!