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Benutzername: 
Reggie
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 18 Bewertungen
12
Bewertung vom 03.06.2012
Eine zweite Chance für den ersten Eindruck
Hinz, Melanie

Eine zweite Chance für den ersten Eindruck


sehr gut

Nina ist ein liebes nettes Mädel, hübsch, aber nicht blöd. Sie hat ihre eigene Meinung und lässt sich trotzdem mit Argumenten überzeugen. Sie wirkt sympathisch, verletzlich, aber nicht übersensibilisiert. Man nimmt ihr ihren Charakter ab. Sie ist die Schwester eines schwulen Footballspielers, der sich und seine Beziehung noch nicht geoutet hat (bitte wem fällt denn so etwas ein?) und lebt im gleichen Haus mit ihm. Die Eltern sind bei einem Unfall ums Leben gekommen, praktisch für die sensiblen Seelen. Der Bruder ist überfürsorglich und sorgt für den Stress im Roman, so dass der eifersüchtige Ex-Freund außen vor bleiben kann. Eine beste Freundin gibt es noch und den Lebensgefährten des Bruders, der bereits zu einem vollen Familienmitglied geworden ist.

Der spätere Angebetete Eric hat eine vierjährige Tochter. Damit verrate ich nichts Großartiges und auch das finde ich eine gelungene Eingabe der Autorin, denn wer von uns ist heutzutage noch ohne Laster, egal welcher Natur – da sie selbst bereits Mutter ist, kann sie hier gut ihre Erfahrungen und Liebe mit einbringen. Eric ist Amerikaner und auch das hat die Autorin meiner Meinung nach nicht unabsichtlich getan. Manche Dinge hören sich auf Englisch einfach besser an als auf Deutsch, gerade im erotischen Bereich. Sex spielt eine große Rolle im Roman, was ich nicht anstoßend finde, sondern völlig normal, zumal die Ausdrücke auch zu den Figuren passen und nicht völlig fehl am Platz erscheinen. Wer glaubt denn heutzutage noch Rosamunde, wenn ihre Protagonisten sich monatelang anschmachten, ohne miteinander das Bett zu teilen. Aber das ist auch der große Unterschied zwischen Rosamunde und dieser Autorin hier: es gibt Sex und das zur Genüge und auch ausführlich in Wort und bildhaft beschrieben. Das ist nicht unattraktiv und vor allem mutig, im Erst-Roman gleich mal richtig die „Sau“ raus zu lassen. Das ist nicht abwertend gemeint, sondern wirklich positiv. Ich hätte mich das nicht getraut (mal abgesehen davon, dass ich gar nicht in der Lage bin, einen Roman zu schreiben), zumal in dem Wissen, dass meine Familie und Freunde sicherlich mein Buch als erstes lesen würden. Die erotischen Szenen sind nicht billig dargestellt, aber auch nicht prüde. Lasst Euch einfach überraschen.
Die Autorin überzeugt in ihrem Roman aber nicht nur mit der Erotik. Geschehnisse und Abläufe, die sie einbaut, sind absolut glaubwürdig und realistisch. Gut, dass die Mutter meines Freundes mich beim ersten Treffen fragt, ob er bei mir übernachtet hat und gleich darauf hinweist, dass die höchste Priorität des Sohnes die Tochter ist: meine Mutter würde das nicht tun. Aber es gibt ja auch andere als meine. Was mir besonders gefallen hat, ist,dass der Roman nicht wirklich abflacht. Ich dachte in der Mitte des Buches zwar schon – und nu – alle glücklich – Ende. Doch dann nimmt die Autorin noch einmal richtig Anlauf und schiebt ein paar Seiten nach. Es wirkt im ersten Moment angehängt, hätte jedoch beim zweiten Blick tatsächlich den Roman weniger glaubwürdig als hingeklatscht erscheinen lassen.

Zur Schreibweise muss ich eigentlich gar nicht viel sagen, da klar ist, sie ist einfach und bildhaft. Jeder Teenie und andere Frau kann sich alle Szenen lebhaft vorstellen, weil sie es wollen und natürlich durchleben wollen.
Ich glaube nicht, dass dieser Roman die Bestsellerlisten stürmen wird. Aber die Autorin hat viel Fantasie bewiesen und dennoch darauf geachtet, glaubwürdig zu bleiben. Der Leser merkt nicht auf den ersten Blick, dass es ein Erstlingswerk ist. Dafür hab ich schon genug gelesen, vor allem von erfahrenen Autoren. Jeder, der gern mal ab und zu was Seichtes liest, kann sich genüsslich zurücklehnen und verführen lassen und wer hier nach Tiefgang und Kunst sucht, ist schon beim Genre fehl am Platz. Ich fühlte mich sehr gut unterhalten, hoffe aber, dass das nächste Buch nicht einfach nur andere Protagonisten hat, sondern hoffe, dass die Autorin noch weitere Dinge für sich entdeckt.

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Bewertung vom 03.06.2012
Auroras Anlaß
Hackl, Erich

Auroras Anlaß


ausgezeichnet

Was mich an Erich Hackl fasziniert ist, dass er wieder einen Tatsachenbericht so mitreißend geschildert hat, dass man nicht aufhören kann weiter zu lesen. Und wieder zäumt er das Pferd von hinten auf. Die Spannung scheint eigentlich schon auf der ersten Seite genommen. Doch der Schein trügt. Die Gründe der Mutter, ihre eigene Kindheit, die Kindheit von Hildegart, ihr Lebenslauf, die vorhersehbaren Schwierigkeiten – das alles zieht die Spannungsbogen in eine Richtung, die den Mord noch unglaubwürdiger macht, als er ohnehin schon erscheint. Vor allem erscheinen diese Tatsachen nicht an den Haaren herbeigezogen, sondern klingen auch noch plausibel. So sehr steigerte ich mich als Leser in das Bewusstsein der Mutter hinein. Und ich erwische mich tatsächlich dabei, ungläubig über das Urteil und des Ausgangs des Buches zu sein. All das erwartet man nicht von einem Sachbuch oder?

Die 144 Seiten nehmen nicht viel Zeit in Anspruch, aber vor allem seine Art zu erzählen, lässt die Seiten wie im Nu vorbeiblättern. Die Begierde nach Veränderung, die Besessenheit der Mutter werden klar geschildert. Hackl ist wie schon bei seinem letzten Werk stark distanziert, ohne eigene Meinung. Aurora wurde 1890 geboren, ihre Tochter 1914. Der Mord geschah 1933. Diese Begebenheiten trugen sich also zur Zeit vor Franco und vor dem Bürgerkrieg in Spanien zu. Hackl schafft es auch die politische Situation ohne Wertung darzustellen. Neben der Parteien-Politik vereint diese Geschichte noch folgende Themen in sich: Sexualpolitik, Rolle der Frau in Spanien, Erziehung, Mutter-Tochter-Beziehung.
Meine Faszination für wahre Begebenheiten wurde hier mal wieder geweckt – herausgefunden hab ich noch, dass die Geschichte 1977 auch verfilmt wurde, dass Hildegart Rodríguez als spanische Autorin bekannt war und sich massiv für die sexuelle Befreiung und soziale Emanzipation der Frauen eingesetzt hatte. Hackl selbst bezeichnet sein Werk als Geflecht von Fakten und Mutmaßungen (nicht seiner selbst) und erwähnt Hildegarts Artikel, ihre 13 Bücher und Broschüren sowie Gespräche, die Eduardo de Guzman mit ihrer Mutter im Gefängnis geführt hat. Des Weiteren lagen ihm die Prozessberichte vor.

Der Leser wird angeregt, sich mit den Themen auseinanderzusetzen und bekommt durch Hilfen wie das Gerichtsverfahren oder der Familie außenstehende Beteiligte verschiedene Sichtweisen präsentiert.
Ein Buch, das bildet, fasziniert, interessiert und damit prächtig unterhält.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.06.2012
Strandgeburtstag
Moore, Brian

Strandgeburtstag


weniger gut

Fergus Fadden, Ire, lebt als Schriftsteller in den Vereinigten Staaten und probiert sich dort als Drehbuchautor. Sein Leben ist derzeit nicht sehr anmutend, aber für den Leser eigentlich unterhaltend schlecht: Er ist in Geldnöten, seine Frau will sich scheiden lassen, er zahlt Alimente für die Tochter, hat eine junge Freundin, manche würden sagen, zu jung; er hat einen Auftraggeber, der möchte, dass er Änderungen an seinem seiner Meinung nach vollkommenen Werk vornimmt und: zu guter Letzt beginnt er nun auch noch Geister zu sehen. Während sich Fergus anfangs noch fragt, ob er an Halluzinationen leide, bevölkert sich das Haus mit weiteren Dahingeschiedenen aus seiner irischen Vergangenheit. Doch halt – es sind gar nicht alles tote Menschen, die ihn da besuchen – sie sind teils nur jünger als heutzutage. Und dann klagen sie ihn auch noch an. Wollen Rechenschaft über sein Leben!
Meinung

Schon während des Lesens fragte ich mich ständig, was mir der Autor mit seinem so grandiosen Werk wohl sagen möchte. Ich legte es immer wieder als Schwachsinn gelangweilt beiseite. Ich bin ja auch für lustigen Schwachsinn zu haben, aber wenn das Lesen so quält. Doch die Überzeugung und Begeisterung für den Verlag schob mich immer wieder zurück – irgendwas muss dieses Buch haben, sonst hätten die das nicht verlegt!

Und dann bröckelte es: der Typ muss in der Midlife-crisis stecken – also die Hauptfigur – über den Autor mag ich mir da kein Bild machen. Andernfalls kann ich mir zumindest diese Aneinanderreihung von Erlebnissen mit den „Geistern“ nicht erklären. Fergus wird konfrontiert mit toten alten Kameraden, Ex-Freundinnen, die ihm sagen, dass er so schlecht gar nicht war, dennoch haben sie heute einen anderen; seiner Mutter, die noch heute stets um sein Wohl bemüht ist, sein Vater, dem er nie zu genügen schien, dem Pastor von früher und und und. Und alle scheinen ihn zu fragen: was hast Du erreicht in Deinem Leben. Reicht es Dir? Bist Du der Meinung, dass Du genug getan hast, dass Du Dich jetzt schon anpassen möchtest oder lieber weiter Deinen Weg gehst. Willst Du aufhören, nach Deinen Idealen zu streben? Fergus in real ist sich keiner Schuld bewusst, wird hier mit seinem Unterbewusstsein konfrontiert und überrascht. In Fergus Wohnzimmer findet eine Art Gerichtsverhandlung statt, natürlich nur von den „Geister““ und Fergus wird angeklagt, sogar von sich selbst. Und letztendlich treffen sie sich alle am Strand, angeblich um Fergus' Geburtstag zu feiern. Sie haben sich Verstärkung mitgebracht, Leute, an die er sich überhaupt nicht mehr erinnert; er fühlt sich von ihnen überrollt und bedroht.

Also ich möchte nicht mit der Hauptfigur tauschen. Die Suche nach dem Sinn des Lebens ist so sinnlos, dass sie ohnehin kein Ende findet. Entweder hat man sich im Griff und weiß, was man will oder man sollte mit der Suche lieber gar nicht erst anfangen. Dabei kann man ja nur irre werden. Die Idee an sich, die der Roman in sich bindet, ist ja nicht verkehrt, aber der Ablauf zeigt, wie verwirrend und irrational diese Suche ist.
Der Stoff liefert genug Material für einen Roman, Gegenwart und Vergangenheit gehen in deutlich erkennbaren, aber doch ineinanderfließenden Erzählsträngen auf. Die wenigen komischen Szenen reichen jedoch für mich nicht aus, um mein Gemüt zu beleben. Fergus ist als Figur zu unwichtig, uninteressant, zu weit weg, ich finde keinen Bezug. Der Autor schafft es nicht, mir als Leser Gefühle für Fergus zu erzeugen, die dem Lesevergnügen Positivität verschaffen würden.

Nun frage ich mich: ist das wieder so ein „Männer“-Roman, den ich gar nicht versuchen muss, zu verstehen? Ich beschließe ja, denn sonst wird mein Wohnzimmer auch noch bevölkert und ich verirre mich in der Suche nach dem Sinn.

Bewertung vom 03.06.2012
Bevor der Tod euch scheidet
Joyce, Brenda

Bevor der Tod euch scheidet


sehr gut

Brenda Joyce stammt aus New York und lebte mehrere Jahre in Israel und Paris. Nach Jahren des Reisens kehrte sie in die USA zurück. Inzwischen sind ihre historischen Romane regelmäßig auf der Bestsellerliste der New York Times zu finden. Brenda Joyce lebt mit ihrer Familie in Arizona, wo sie ihren beiden großen Leidenschaften nachgeht: dem Schreiben und der Pferdezucht.
Was soll noch kommen, nach dem doch die Protagonistin ihren Willen und ihren Lover bei ihrem Vater durchgesetzt hat? Gut, der abgelegte Nur-noch-Freunde-Liebhaber ist geknickt und hat Angst um seine ach so geliebte Francesca. Ob das berechtigt ist, wird sich zeigen.

Dieser Bericht wird Ähnlichkeiten mit meinen bisherigen zu dieser Reihe aufweisen, dafür entschuldige ich mich schon jetzt. Aber wenn ich mich ohnehin wiederholen muss, kann ich auch die gleichen Wörter dafür benutzen – sind ja schließlich meine.
Francesca Cahill, die anstehende Hochzeit mit Calder Hart und der momentan neunte gemeinsame Fall mit Rick Bragg, dem Comissioner und verflossene Liebe von Francesca, sind der rote Faden des Romans. Ein zehnter Teil ist noch nicht angekündigt auf der Seite der Autorin – aber da sie selbst Fan von Fortsetzungen ist, wird sie wohl so schnell nicht aufhören können.

Im Gegensatz zu den vorangegangenen Teilen halten sich die Wiederholungen der bisherigen Ereignisse in Grenzen, was ich sehr befürworte. Wenige Worte reichen dieses Mal der Autorin, die Ereignisse im Kopf des Lesers wieder wachzurufen. Das ist inzwischen auch dringend notwendig, da doch einiges in den letzten acht Teilen passiert ist und auf Ereignisse Bezug genommen wird, die schon etwas länger zurückliegen.
Tatsächlich sind seit dem ersten Teil erst sechs Monate vergangen. Doch: Es ist Hochzeitstag und Francescas Traum, Calders Frau zu werden wird endlich wahr. Ihr Vater hat zugestimmt, momentan steht kein Fall an, der alles durcheinander bringen könnte und sie ist überglücklich. Rick versucht sie noch umzustimmen, da er fest davon überzeugt ist, dass sie in ihr Unglück rennt. Doch Francesca „weiß“, was sie tut.

Allerdings wird sie ein paar Stunden vor der Hochzeit erpresst – wenn Sie sich nicht meldet, wird das verwerfliche Nacktportrait, dass Calder von ihr hat malen lassen, der Öffentlichkeit präsentiert. Francesca bleibt nichts anderes übrig, als den Termin wahrzunehmen. Es kommt wie es kommen muss, es ist eine Falle und Francesca wird eingesperrt. So verpasst sie ihre Hochzeit und Calder nimmt es persönlich und glaubt, dass sie ihn absichtlich sitzen lässt.
Und wer steckt hinter dem Erpressungsversuch? Wer will Francesca beseitigen. Wem steht sie derart im Weg, dass sie getötet werden muss?

Ob Francesca gerettet wird und Calder zu ihr zurückkehrt – diese Fragen und Antworten und natürlich der neue Fall füllen die kommenden 400 Seiten.
Wenn ich diese Zeilen schreibe, bin ich doch immer wieder schockiert über mich selbst, zu welchen romantischen vorhersehbaren Lektüren ich mich immer wieder hinreißen lasse. Doch trotz der Einfach- und Lächerlichkeit der ganzen Serie bin ich süchtig danach, mich an dieser emotionalen romantischen Story zu laben. Jeder Mensch, naja - zumindest 50% aller Frauen - steht auf Liebe, Sex und Zärtlichkeit und genau das kommt in dem Buch vor. Jegliche Seriosität und Nachhaltigkeit wäre an dem Buch verschwendet. Natürlich gibt es viel bessere Liebesromane, an die diese Reihe nie heranreichen wird. Aber ich brauche zwischendurch ein bisschen pubertäre Schwärmerei und dafür sind die Romane von Brenda Joyce bestens geeignet.

Wer Pfeffer und Anspruch sucht, ist hier falsch. Wer Ablenkung sucht und Kitsch, Romantik mit einem Hang zur Erotik mag, ist hier genau richtig. Es scheiden sich die Geister. Intelligenter wird man durch diese Literatur nicht, aber wer will schon immer nur Bildung. Es ist genauso wichtig, einfach mal zu rasten.

Bewertung vom 03.06.2012
Alles ist erleuchtet
Foer, Jonathan Safran

Alles ist erleuchtet


ausgezeichnet

Zum einen schreibt Jonathan Briefe an Alex und Alex Briefe an Jonathan. Die Briefe von Jonathan werden nicht abgedruckt, Alex geht jedoch auf deren Inhalte in seinen Antworten ein. Alex schreibt in seinem schlechten Englisch. Das ist eine hervorragende Idee des Autors, macht das Lesen anfangs schwierig, aber wenn man das Verfahren durchschaut hat, durchaus amüsant. Ein paar Beispiele: „Ich sehne, dass dieser Brief gut wird.“ „Ich war sehr schamvoll über die Art…“Wir waren sehr beschäftigt zu reden.“Mit jedem seiner Briefe an Jonathan schickt Alex seine eigenen Schreibereien mit.Diese sind quasi die Wiedergabe der Reise. Aus diesem Handlungsstrang erfahren wir alles über die Reise nach Trachimbrod, die bereits geschehen ist aus der Sichtweise von Alex und mit seinen kuriosen Worten. Durch die kritischen Briefe von Jonathan wird dann deutlich, dass Alex teilweise übertreibt in seinen Darstellungen, was urkomisch ist und auch die Figur Alex näher definiert.Jonathan schickt mit jedem seiner Briefe einen neuen Teil seines Buches mit, das von Trachimbrod handelt. So wird von der Entstehung des jüdischen „Schtelts“ Trachimbrod berichtet.
Das alles hört sich zunächst sehr unübersichtlich und anstrengend an – das ist es auch für mich gewesen. Ehrlich gesagt, hab ich es erst so recht nach den ersten 100 Seiten (insgesamt hat das Buch 383 Seiten) verstanden und dann glatt noch einmal von vorn angefangen, denn ich wollte ja nichts verpassen.Von Beginn an hat man das Gefühl, ein Märchen zu lesen. Die Teile über Trachimbrod sind in der Erzählperspektive eines Ich-Erzählers geschrieben, dessen Identität erst am Ende des Buches verraten wird. Trachimbrod ist ein verrücktes Städtchen mit verrückten Menschen. Es wäre nunmehr müßig, Euch das ausschweifend zu erklären, aber vielleicht reichen folgende Beispiele: ein Mann fliegt mit seinem Pferdewagen aus der Kurve und ertrinkt, seine Tochter jedoch, noch ein Säugling, wird geborgen und die Schtetlbewohner benennen das Mädchen nach dem Fluss „Brod“. Der Mann konnte nicht identifiziert werden, aber man nahm an, dass es sich um Trachim handelte. Da Brod aus dem Fluss hervor ging, in dem ihr Vater Trachim ums Leben kam, steht dann auch der Schtetlname fest. Der Wucherer Jankel (längst über siebzig) bekommt das Kind zur Aufzucht übergeben, da die Bewohner des Schtetls ihm nach seinen früheren Vergehen und seinem eigenen privaten Leid der Meinung sind, dass er eine neue Chance verdient hat. Fortan wird jedes Jahr, in dem sich das Ereignis jährt, ein Fest gefeiert, an dem Brod als die Hauptperson teilnimmt. Fortan geht es hauptsächlich um Brod, die wir Ihr Euch sicherlich denken könnt, die Ur- ur- ur-ur-ur-Großmutter von Jonathan ist.
Meinem Eindruck nach hat Jonathan den persönlichen Bezug zum Buch gewählt, um sich und seinen Generationen eine Vergangenheit zu schenken. Denn laut Wikipedia hat wie schon sein fiktionalisiertes Alter Ego auch der Autor Foer selbst eine solche Reise unter ähnlichem Vorsatz angetreten, fand jedoch die erwähnte Retterin namens Augustine nicht. Allerdings ist das völlig frei von mir interpretiert. Ich will dem Inhalt des Buches nicht allzu viel vorweg nehmen. Aber es ist so, dass es das Städtchen nicht mehr gibt. Somit wird die Suche nach einer Vergangenheit für Jonathan enorm erschwert. Doch nicht nur für Jonathan geht es um die Vergangenheit, sondern auch von Alex Großvater und damit offenbart der Autor fast am Ende des Buches einen völlig anderen Handlungspart, der nebenbei fast untergegangen ist. Dies hat einen Überraschungseffekt, der und die Auflösung des Erzählers der Trachimbrod-Geschichte waren für mich das i-Tüpfelchen für den Roman.Ein anderes Thema neben der Geschichte Trachimbrods und der Familiengeschichte von Jonathan ist die ist die Judenverfolgung im zweiten Weltkrieg, die zum Untergang des Schtetls geführt hat. Der Autor hat diesen Umstand so gekonnt in den Roman eingebunden, dass es nicht überwiegt.

Bewertung vom 03.06.2012
Revolverherz / Chas Riley Bd.1
Buchholz, Simone

Revolverherz / Chas Riley Bd.1


weniger gut

In schneller Folge werden drei Frauenleichen entdeckt. Alle Opfer wurden entkleidet und skalpiert und dann in der Öffentlichkeit präsentiert, so dass sie auf jeden Fall gefunden werden mussten. Die Staatsanwältin Chastity Riley führt die Ermittlungen gegen den Serientäter an. Geholfen wird ihr dabei von ihrem Nachbarn Klatsche, der mit seinen Beziehungen so manche Tür öffnet.

Natürlich hatte Chastity eine schwere Kindheit – wie sollte man sonst als Staatsanwältin vom Kiez Persönlichkeit und Charakter verleihen. Nachdem Chastity schon als Kleinkind von der Mutter verlassen wurde und an ihrem zwanzigsten Geburtstag die Leiche ihres Vaters fand, hat sie auch noch gesundheitliche Probleme und leidet auch unter großen Bindungsängsten. So verwundert es nicht, dass sich die Gedanken der Staatsanwältin, die der Leser aus der Ich-Perspektive erleben darf, weniger um die entsetzlichen Morde als um ihre persönlichen Gefühle drehen.

Die Autorin schafft es nicht, sich auf den Fall zu konzentrieren – im Gegenteil: Die Gedanken der Staatsanwältin drehen sich um die entsetzlichen Morde als um ihre persönlichen Gefühle.
Da gibt es den 15 Jahre jüngeren Klatsche, dem sie versucht zu widerstehen, die Vergangenheit um ihren Vater und die beste Freundin Carla, die versucht Chas' zu verkuppeln. Auch das Verhältnis zwischen Chastity und den Polizisten, die mit ihr zusammenarbeiten, ist eng. Besonders Hauptkommissar Faller ist für Chas eher ein Ersatzvater als ein Kollege.
Daher wirkt das Romandebüt auch nicht wichtig recherchiert und tiefgründig – sondern eher leicht flockig irreal. Die Staatsanwältin betritt ihr Büro während des ganzen Romans nur zweimal, was damit begründet wird, dass sie es dort nicht aushält. Dann hat sie anscheinend auch keinen anderen Fall als die Ermittlungen gegen den Serientäter und verschläft und versäuft ganze Tage, ohne dass sich jemand über ihr Verhalten wundert. Und die Lösung des Kriminalfalls erfolgt letztendlich nur aufgrund der ab und zu vorhandenen emotionalen Fähigkeit Chastitys, sich in den Täter hineinzuversetzen. Wer stellt so jemanden ein?

Genauso emotional ist die Autorin in der Sprachwahl – klar, einfach - aber gewählte Ausdrücke und galant geformte Sätze sucht der anspruchsvolle Leser hier umsonst. Allerdings zeigt die Autorin bei den Beschreibungen der Örtlichkeiten umso größere Detailtreue. Für einen Hamburger Romantiker ist es ein Vergnügen, ihr durch die Straßen zu folgen.

Ich bin zu dem Buch gekommen, wie es sich dafür gehört: ein Hamburger hat es mir in einer Bücherkiste übergeben mit den Worten: such Dir aus, was Dir gefällt, den Rest kannst Du wegschmeißen. Vielleicht hab ich zuviel aufgehoben? So einen schlechten Krimi hab ich lange nicht gelesen – aber ehrlich gesagt: ich habe mich in Chas‘ emotional kaputtes Leben und verschrobenen Charakter verliebt und werde wohl auch den zweiten Teil lesen, um zu erleben, wie ihre Beziehung zu Klatsche weitergeht. Nennt mich irre, dafür Geld auszugeben, aber wenn man Rosamunde Pilcher guckt, ist es wirklich eine Erhebung.

Bewertung vom 03.06.2012
Das Geständnis
Grisham, John

Das Geständnis


sehr gut

Ganz klar, das politische Thema diesen Romans ist die Todesstrafe – nicht der erste Roman, in dem sich Grisham damit auseinander setzt. Schon in „Die Kammer“ hat er das Thema ausführlich behandelt und die Dramatik der letzten Anträge Minuten vor dem Hinrichtungstermin und die rührseligen Momente des Todeskandidaten ausgenutzt, um einen spannenden Roman zu schreiben.

Warum jetzt die Wiederholung des Themas? Das kann doch nur schief gehen! Nach ein paar Seiten drohte die Langeweile - für mich war alles klar: Typ gesteht, Pfarrer fährt mit ihm nach Texas, Geständnis wiederholt, Hinrichtung verhindert – alles mit ein bisschen Schnickschnack und Schmackes – rührseliges Amerika – fertig.

Doch weit gefehlt – ich habe Herrn Grisham unterschätzt. Dabei müsste ich es doch inzwischen besser wissen. Nicht nur, dass er der Story ständig Wendungen gibt, die für mich unerwartet auftauchen, aber viel Lese-Spass bereiten und überhaupt nicht unglaubwürdig sind, er wirft auch Fragen auf, an die ich nicht im Mindesten gedacht habe. Er beleuchtet die gesamte Story von allen Seiten, damit sie hieb und stichfest wird. Dadurch wird sein Roman für mich glaubwürdig und völlig nachvollziehbar. Und der Ausgang ist nicht minder ironisch wie die Behandlung des Themas „Todesstrafe“ in Amerika.
Ich werde den Inhalt jetzt nicht auf die Figuren und Story bezogen auseinander nehmen - das würde einfach zuviel verraten. Daher betrachte ich nur die Elemente, mit denen Grisham arbeitet:

Grisham packt zusätzlich zur Todesstrafe noch weitere Themen in diesem Roman an: Verstrickungen der Staatsgewalt, erzwungene Geständnisse und Ungerechtigkeit im Namen des Gesetzes, Rassendiskriminierung und die Hysterie der Medien. Das ist eine Menge, die es für den Autor zu recherchieren gibt. Denn ohne Recherche kann die Umsetzung der Idee nur zu einer Farce werden. Grisham weist in seiner Anmerkung darauf hin, dass er die Recherche nicht allein betrieben hat, sondern hier einen Anwalt für die Todesstrafe zu Rate gezogen hat. Auch seine Liebe zum Football kann Grisham nicht aus dem Roman heraus halten.
Die einzelnen Handlungsstränge in Topeka und Texas sind von einander zunächst unabhängig und bauen sich stimmig auf, laufen erst einmal parallel bevor sie sich miteinander verbinden. Die Handlung selbst bleibt bis zum Ende fesselnd. Der Leser kann sich mit den Ideen der handelnden Personen identifizieren und findet so leicht in das Buch hinein – schnelle Vorurteile werden wie in meinem Fall ersichtlich schnell ausgeräumt.

Die von Grisham dargestellten Standpunkte in Bezug auf Politik, Gesetz und Medien sind für den Leser vorhersehbar, aber die eingebauten Wendungen und kleinen Details verhelfen dazu, dass die Spannung nicht leidet.
Das typische Amerika und natürlich der Grisham sind deutlich spürbar – aber das weiß man, wenn man das Buch kauft.
Fazit

Ich mag Grisham, weil er gegenüber politisch hochrangigen Themen Stellung bezieht, was er für meine Begriffe ausführlich in seinen Romanen macht. Er packt die Fehler der Politiker offen auf den Tisch und stellt die sich immer wieder in Widersprüche verstrickenden Menschen bloß, macht seinen Lesern bewusst, was falsch läuft. Natürlich sind diese Fehler, Meinungen, Argumente und Widersprüche hinlänglich dem größten Teil des Publikums bekannt, aber die eigene Aufmerksamkeit auf derlei Themen lässt doch immer wieder schnell nach. So ist Grisham für mich ein Autor, der versucht, mit seinen Romanen, die einen aufzuklären und die anderen wieder wachzurütteln und vielleicht zu bewegen, etwas zu unternehmen, was zu verändern. Und wenn er das nicht erreicht, hat er zumindest gut recherchiert unterhalten. Das ist ihm auch mit diesem Roman wieder gelungen.

5 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

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