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sleepwalker

Bewertungen

Insgesamt 481 Bewertungen
Bewertung vom 26.08.2024
Taubenschlag / Teit und Lehmann ermitteln Bd.2
Jürgensen, Dennis

Taubenschlag / Teit und Lehmann ermitteln Bd.2


ausgezeichnet

„Teit und Lehmann. Das famose dänisch-deutsche Gespann und gute Beispiel für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit.“ Das könnte die Überschrift für „Taubenschlag“ sein, den zweite Krimi des dänischen Autors Dennis Jürgensen aus der Reihe „Teit und Lehmann ermitteln“. Zwar fand ich das Buch nicht so spannend wie sein Vorgänger „Gezeitenmord“, für mich war viel zu früh klar, wer hinter den Morden steckt. Aber die Geschichte ist vielschichtig, gut ausgearbeitet und wartet mit zwei sehr unterschiedlichen Ermittlern auf, die hervorragend miteinander harmonieren.
Aber von vorn.
„Irgendwo über uns stand die Mauer. Wir sind im alten Ostberlin runtergegangen, jetzt sind wir in Westberlin.“ Beim Kartieren eines bis dahin unbekannten unterirdischen Bunkers finden zwei Mitarbeiter von Bunker Protocol die Leichen eines Ehepaars und dessen kleiner Tochter. Die drei Toten lagen schätzungsweise rund 40 Jahre im Bunker, vermutlich waren sie auf der Flucht in den Westen. Kurze Zeit später wird in Norddeutschland eine alte Frau erschossen aufgefunden. Sie wurde vor ihrem Tod gefoltert und an den Sessel gefesselt erschossen Es findet sich noch ein weiteres makabres Detail am Tatort: auf ihrem Schoß liegt eine tote Taube. Der Fall wird Rudi Lehmann übertragen, im Rahmen von CEPOL (Collège européen de police, diese fördert die europäische Polizeizusammenarbeit durch Ausbildung über die Landesgrenzen hinweg) wird die Kopenhagener Kriminalassistentin Lykke Teit vier Monate nach ihrer ersten Zusammenarbeit wieder an ihn „ausgeliehen“. Kurz darauf wird ein älterer Mann ebenfalls erschossen an einen Sessel gefesselt aufgefunden. Auch bei ihm liegt eine Taube. Als Lykke bei ihren eigenmächtigen Ermittlungen spät abends in einem der Opfer-Häuser beinahe zu Tode kommt, wird der Fall „doppelt so ernst“ und den Ermittlern droht die Zeit davon zu laufen. Hängen die Morde zusammen und handelt es sich beim Täter um einen Serienmörder?
Der Schreibstil von Dennis Jürgensen ist flüssig und nah am Leser. Einige handwerkliche Fehler in der Übersetzung fielen mir (berufsbedingt) auf, so ist die Mehrzahl von Schublade zum Beispiel ganz sicher nicht Schubläden und das/dass-Fehler finde ich schlicht ärgerlich. Fertig gemeckert, denn abgesehen davon gibt es keine Kritikpunkte. Inhaltlich kann der Krimi bei mir vor allem durch Komplexität auf mehreren Ebenen punkten. (DDR-) Vergangenheit trifft auf aktuelle Morde, wobei natürlich eine Verstrickung der Stasi nicht auszuschließen ist. Lykke Teit kämpft mit ihrer eigenen Vergangenheit, da sie schwer mit dem Verlust ihrer Tochter Gry zu kämpfen hat, die vor fünf Jahren durch den Angriff eines Kampfhundes zu Tode kam. Jetzt glaubt ihr ex Mann Thomas den Halter des Pitbull Terriers gesehen zu haben und reißt alte Wunden wieder auf. Und auch Rudi Lehmann sieht sich plötzlich mit seiner eigenen familiären Vergangenheit konfrontiert. Die Charaktere und auch die Schauplätze sind sehr gut und anschaulich beschrieben. Lykke und Rudi sind ein interessantes Ermittler-Paar, das, nicht zuletzt wegen des großen Altersunterschiedes, der kulturellen Unterschiede und ihrer eigenen familiären Hintergründe eine ganz spezielle zwischenmenschliche Dynamik hat.
Als erfahrener und langjähriger Krimileser wusste ich zwar schon sehr früh, wer der Mörder ist und der Autor verzichtet dahingehend auch weitgehend auf Überraschungen. Die Ermittlungen fand ich dennoch sehr spannend, vor allem, da das Motiv hinter den Taten lange unklar ist. Dadurch fand ich den Krimi überaus unterhaltsam und lesenswert. Da es erst der zweite Teil der Reihe ist, kann man das Buch problemlos ohne Vorkenntnisse lesen. Ich kann den ersten Band „Gezeitenmord“ aber allen ans Herz legen, die gerne vielschichtige und gut erzählte Krimis mit menschlichen und nahbaren Ermittlern mögen. Diesen empfehle ich natürlich auch „Taubenschlag“, ich habe das Buch sehr gern gelesen und vergebe fünf Sterne.

Bewertung vom 26.08.2024
Die Postkarte
Berest, Anne

Die Postkarte


ausgezeichnet

„Ephraïm Emma Noémie Jacques“. Diese vier Namen stehen auf der Postkarte, die Anne Berests Eltern 2003 erreicht. Die vier Menschen sind ihre Großeltern, ein Onkel und eine Tante. Sie wurden 1942 in Auschwitz ermordet. 16 Jahre später macht sie sich mithilfe ihrer Mutter auf die Suche nach dem Absender der Karte. Sie erfährt viel über die Geschichte der Familie ab 1919, sich selbst und darüber, was „jüdisch sein“ bedeutet. „Die Postkarte“ ist eine auf Tatsachen beruhende berührende Familienchronik, die angesichts der aktuellen politischen Situation nachdenklich macht.
„Wir mögen Juden nicht besonders“. Das bekommt Anne Berests sechsjährige Tochter Clara auf dem Schulhof zu hören. Der Satz weckt in der Autorin Erinnerungen an die anonyme Postkarte, die ihre Mutter vor 16 Jahren erhalten hat. Erst jetzt wird sie neugierig und macht sich auf die Suche nach dem Absender. Akribisch forscht sie nach. „Diese Menschen waren meine Vorfahren, und ich wusste nichts über sie. Hätte man mir ihre Porträts gezeigt, hätte ich sie unter Fremden nicht wiedererkannt. Dafür schämte ich mich.“ „Jüdisch sein“ war in ihrer Familie etwas, worüber nicht geredet wurde. Mit dem Judentum war sie überwiegend dann konfrontiert worden, wenn es in Zusammenhang mit Antisemitismus stand. „Etwas wiederholte sich, so viel stand fest.“
Es ist beeindruckend, wie sich Anne Berest die Chronik ihrer Familie erarbeitet. Sie zwingt ihre Mutter, sich zu erinnern, führt mit ihr Gespräche, zu denen sie eigentlich nicht bereit ist und schlägt einen Bogen zum Antisemitismus im heutigen Frankreich. Ihre Nachforschungen bringen die Geschichte der Familie Rabinovitch ans Tageslicht. Diese stammte ursprünglich aus Russland, zog nach der Revolution über Riga nach Palästina und ließ sich 1929 in Frankreich nieder. Sie wollten sich einbürgern lassen, fühlten sich als Franzosen. Nach dem Einmarsch der Deutschen wurden Ephraïm, Emma, Myriam, Noémi und Jacques deportiert und in Auschwitz ermordet. Nur Myriam, die damals schon aus dem Haus war, konnte sich in Sicherheit bringen. Über ihren Mann Vicente (Sohn des Künstlers Francis Picabia) und dessen Schwester Jeanine kam sie zur Résistance, ihre Taten sind in mehreren Büchern erwähnt. Auch Noémie ist in die Geschichte eingegangen. Sie unterstützte im Lager die Ärztin Adélaïde Hautval, die in deren Buch „Medizin gegen die Menschlichkeit“ über sie schreibt.
Parallel zur Geschichte ihrer Familie und der Geschichte des Nationalsozialismus in Frankreich, erfährt Anne Berest viel über sich selbst und lässt die Leserschaft daran teilhaben. „Ich bin Jüdin, doch ich weiß nichts über diese Kultur.“ Durch ihre Nachforschungen lernt sie viel über ihre „verborgene Identität, eine geheimnisvolle Abstammung“. Und dennoch wirft ihr eine Bekannte vor, sie sie „immer nur dann Jüdin, wenn es dir in den Kram passt.“ Ihr Freund Gérard toppt die Aussage sogar noch, als er sie eine Antisemitin nennt. Identitätsstiftend sind für sie auch Namen. „Diese hebräisch klingenden Namen sind wie eine Haut unter der Haut.“ Anne heißt mit zweitem Vornamen Myriam, ihre Schwester Claire Noémi. „Unsere Eltern hätten uns vielleicht lieber nicht diese so schwer zu tragenden Namen aufbürden sollen“. Ihrem zweiten Kind möchte sie daher einen Namen geben, „der niemandem gehört.“
Stilistisch war „Die Postkarte“ ganz nach meinem Geschmack. Es ist eine Mischung aus Roman und journalistischer Erzählung. Anne Berest schreibt bildhaft und lebendig. Durch die verschiedenen Zeitebenen nimmt sie die Leserschaft mit auf die spannende Suche nach dem Absender der Karte, ihrer Herkunft und ihrer Identität. Die Karte und wer sie geschickt hat, ist der rote Faden, der das Buch zusammenhält. Dass zum Schluss das Geheimnis gelüftet wird, wurde für mich angesichts der berührenden Familiengeschichte und der aktuellen Brisanz des Themas durch den Rechtsruck der Politik, fast zur Nebensache.
Von mir gibt es keine Lese-Empfehlung, sondern eine Lese-Aufforderung. Und natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 29.07.2024
Tote Augen / Georgia Bd.3
Slaughter, Karin

Tote Augen / Georgia Bd.3


ausgezeichnet

Karin Slaughters Thriller „Tote Augen“ hatte ich schon vor einigen Jahren zum ersten Mal gelesen. Mit dem Wissen aus allen Büchern, die auf diesen ersten Teil der „Georgia-Serie“ gefolgt sind, ist es schwierig, dieses Buch zu rezensieren. Für mich ist es ein ganz spezielles Buch, denn zum ersten Mal (und unter äußerst unschönen Umständen) treffen GBI-Agent Will Trent und die seit drei Jahren verwitwete Ärztin Dr. Sara Linton aufeinander. Sonst ist das Buch genauso, wie ich es von Karin Slaughter erwartet habe: es strotzt vor Gewalt, Folter, Blut und als Sahnehäubchen gibt es einen Hauch aufkommender Zuneigung zwischen Will und Sara.
Aber von vorn.
Das ältere Ehepaar Henry und Judith Coldfield ist auf dem Heimweg von einer Familienfeier, als das Auto im Dunkeln etwas rammt. Aber es ist kein Tier, das Henry überfahren hat, sondern eine junge Frau. Bei ihrer Einlieferung in die Notaufnahme des Grady Hospital stellen die Ärzte fest, dass ihre schweren Verletzungen nicht nur vom Unfall stammen, sondern dass das Opfer schon vorher gefoltert wurde. Obwohl es eigentlich nicht ihre Aufgabe ist, beginnt das Agentengespann Will Trent/Faith Mitchell vom Georgia Bureau of Investigation mit Ermittlungen. Beim ersten Außeneinsatz stößt Will auf eine unterirdische Folterkammer, in der er Hinweise auf mindestens ein weiteres Opfer findet. Kurze Zeit später bewahrheitet sich seine Befürchtung, eine junge Frau wird tot in unmittelbarer Nähe der Erdhöhle gefunden. Als Pauline McGhee vor den Augen ihres Sohnes Felix von einem Supermarktparkplatz entführt wird, beginnt die Zeit Will und Faith davonzulaufen. Was verbindet die jungen Frauen miteinander? Kannten sie sich? Und wer ist der Sadist, der hinter alldem steckt?
Ich gebe es zu: ich bin ein großer Fan von Karin Slaughter und ein noch größerer von Will Trent. Slaughters Stil, ihre bildhaften Beschreibungen der blutigsten und grausamsten Verbrechen und die Art und Weise, wie sie ihre Charaktere ausarbeitet haben es mir einfach angetan. Ja, die viele Brutalität muss man mögen und damit ist das Buch auch nichts für schwache Nerven und empfindliche Mägen, sondern eher etwas für hartgesottene Thriller-Fans. Bis zum Ende sind die Ermittlungen ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Will und Faith werden von lügenden Zeugen in die Irre geführt, es ergeben sich neue Spuren und Sackgassen und dann haben sie auch noch mit Polizeibeamten zu kämpfen, die nichts Besseres zu tun haben, als ihre Arbeit zu sabotieren. Die Geschichte ist dicht und rasant erzählt, der Fall wird innerhalb von vier Tagen gelöst, das hohe Tempo erhöhte für mich die Spannung ins teilweise Unermessliche. Obwohl ich ein langjähriger Krimi-Leser bin, hat mich der Schluss vollkommen überrascht. Das Einzige, was mich etwas gestört hat, war das ständige Herumreiten auf Wills Legasthenie und seiner Vorliebe für dreiteilige Anzüge. Kaum ein Kapitel kommt ohne Hinweis darauf aus.
Mit diesem Buch führt sie die „Grant County-Reihe“ (die Hauptfiguren dort sind Dr. Sara Linton und ihr Mann Jeffrey Tolliver) und die „Atlanta-Reihe“ (Hauptfiguren dort Will Trent und Faith Mitchell) zusammen. Daher ist es zwar durchaus möglich, das Buch auch einzeln zu lesen, es empfiehlt sich aber eigentlich nicht. Ein gewisses Maß an Vorwissen (beispielsweise, warum Sara Linton diesen speziellen Brief seit Ewigkeiten mit sich herumträgt) schadet bei den Büchern von Karin Slaughter nicht. Saras jetziges Leben als Klinik-Ärztin knüpft nahtlos an ihr vorheriges Leben als Kinderärztin mit eigener Praxis und Coroner an. Will kämpft nach wie vor mit seinen Dämonen, die heißen Legasthenie, Selbstzweifel und Angie, wobei letztere seine Ehefrau ist. Und Faith dachte, jetzt, wo ihr Sohn Jeremy aus dem Haus ist, könnte ihr Leben wieder geregelter laufen – jetzt ist sie schwanger und leidet zudem unter Diabetes. Viel Privates trifft auf grausame Mord/Entführungsgeschichte, das ist ein Buch ganz nach meinem Geschmack. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 29.07.2024
Todesfalle / Emma Klar Bd.9
Peters, Katharina

Todesfalle / Emma Klar Bd.9


ausgezeichnet

„Todesfalle“ ist der Titel des neunten Teils von Katharina Peters‘ „Ostsee-Krimi“-Reihe um die Privatermittlerin Emma Klar. Mit diesem Buch hat die Autorin ihrem Publikum ein völlig verzwicktes, undurchsichtiges und perfides Spiel serviert, das alle Beteiligten (und vermutlich auch einige Lesende) an den Rand der Verzweiflung bringt. Ein bestens durchdachter, hervorragend kompliziert konzipierter Krimi.
Aber von vorn.
Nach den letzten aufreibenden Ermittlungen hatte Emma Klar eigentlich beschlossen, beruflich etwas kürzer zu treten. Sie zieht sich aus der aktiven Polizeiarbeit zurück und arbeitet für ihren Lebensgefährten Christoph Klausen in dessen Sicherheitsfirma. Als Ulrike Steiner auf sie zukommt und sie um Hilfe bittet, zögert sie allerdings nicht lang. Denn bei dem Fall, den ihr die Staatsanwältin anträgt, geht es um eine „diskrete Personensuche.“ Steiner kann es sich nicht leisten, dass etwas von ihrem Anliegen an die Öffentlichkeit durchsickert, denn der Mann, den Emma suchen soll, ist ein Callboy, mit dem sie einige Jahre „ein Arrangement hatte“. Knifflig wird es für alle Beteiligten, als der junge Mann ermordet auf dem Betonschiff vor der Küste von Redentin aufgefunden wird. Ulrike Steiner vermutet, dass der äußerst brutale Mord mit einem großen Wirtschaftskriminalitäts-Fall zu tun hat, den sie gerade bearbeitet. Will man ihr was anhängen und damit mürbe machen? Da sie wohl die letzte war, mit der der Callboy gesehen wurde, ist sie plötzlich verdächtig, vor allem, als dann auch noch ein Hotelangestellter aussagt, dass sie sich mit Rico gestritten hätte.
Emma ermittelt zusammen mit ihrem Lebensgefährte Christoph Klausen und dem IT-Spezialisten Jörg Padorn im Umfeld von Ulrike Steiner, im Umfeld des Callboys und auch im Umfeld des Verdächtigen im Wirtschaftsfall der Staatsanwältin. Zuerst hat sie Rückendeckung bei den Vorgesetzten im BKA. Nachdem eine junge Staatsanwältin aus Steiners Team erst ins Fadenkreuz der Ermittler gerät und dann tot aufgefunden wird, wird Emma aber wegen ihrer eigenwilligen und eigenmächtigen Ermittlungsansätze von ihrer Chefin zurückgepfiffen. Aber Emma wäre nicht Emma, würde sie sich davon aufhalten lassen. Sie ermittelt weiter, tritt rechts und links Menschen auf die Füße, schreckt den einen oder anderen auf, denn ihrer Meinung nach steckt hinter allem „der große Unbekannte, der im Hintergrund die Fäden zieht und bisher nicht einen Moment erfasst wurde.“
„Todesfalle“ war für mich ein spannender Krimi, ideal, um ihn im Sommerurlaub an der See zu lesen, vor allem, da ich ihn sprachlich auch sehr angenehm fand. Leider hatte ich schon sehr früh die richtige Vermutung, wer hinter allem steckt, aber das tat meiner Lesefreude keinen Abbruch. Der Spannungsbogen wird kontinuierlich aufgebaut und ist stellenweise sehr hoch, unerwartete Wendungen geben der Geschichte zusätzlichen Schwung. Die Charaktere sind gekonnt und greifbar ausgearbeitet, vor allem die Staatsanwältin Ulrike Steiner hat mir angetan, sie ist spröde, unnahbar und doch zeitweise verletzlich und angreifbar. Als „Kenner“ der Serie konnte ich die Entwicklung von Emma, Christoph und Padorn miterleben und die finde ich wirklich hervorragend beschrieben, wobei ich Emmas unangepasste Art und ihre Ermittlungsmethoden manchmal etwas stressig finde. Hier bin ich, wie bei Serien üblich, bei der Frage: Kann man das Buch auch „alleinstehend“ lesen? Ja, kann man, aber warum sollte man? Die anderen Teile der Reihe sind mindestens genauso gut. Katharina Peters hat übrigens ein kleines „Crossover“ in dieses Buch eingebaut: Emma Klar trifft auf den Stralsunder Kommissariatsleiter Jan Riechter, den Ehemann von Romy Beccare aus den Rügen-Krimis.
„Todesfalle“ ist auf jeden Fall ein Buch, das ich gerne weiterempfehle und von mir gibt es natürlich fünf Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Das schweigende Dorf / Akte Nordsee Bd.3
Almstädt, Eva

Das schweigende Dorf / Akte Nordsee Bd.3


weniger gut

Eigentlich mag ich die „Akte Nordsee“-Serie von Eva Almstädt gern. Aber der dritte Teil mit dem Titel „Das schweigende Dorf“ konnte mich nicht wirklich begeistern. Unterhaltsam ist der Krimi um die Anwältin Fentje Jacobsen zwar, mehr aber auch nicht. Eine schier unüberschaubare Menge an Charakteren und eine etwas konfuse und sehr konstruierte Handlung machte das Buch für mich chaotisch und nur leidlich spannend. Positiv fand ich nur die Nordseelandschaft und Fentjes eigenwillige und reichlich schrullige Oma war ein echter Lichtblick. Leider reicht das für einen gelungenen Krimi nicht aus.
Aber von vorn.
»Wir kennen uns nicht. Aber ich brauche Ihre Hilfe!« Mit diesen Worten zieht ein Unbekannter namens Sascha Anwältin Fentje Jacobsen kurz vor Mitternacht in einen komplizierten Fall. Denn es geht noch weiter: „Er ist tot. Tot! Ich glaube, ich habe gerade einen Mord begangen!“ Tags darauf muss die rührige Juristin feststellen, dass im kleinen Dorf Helenendeich nicht nur Eike Harms erschlagen in seiner Küche aufgefunden wurde, sondern auch ein Mann namens Sascha Janssen. Und das ist nur der Anfang, wobei sich Fentjes Recherchen enorm schwierig gestalten. Sie hat keinerlei Befugnisse, ihr mutmaßlicher Mandant ist tot und konnte sie nicht offiziell beauftragen. Zusammen mit dem Journalisten Niklas John ermittelt sie dennoch und sie stoßen in dem norddeutschen Dorf auf eine Mauer des Schweigens. Vor allem, als sich herausstellt, dass Sascha Eike Harms gar nicht ermordet und sich dann selbst erhängt hat, sondern beide Männer von einem Unbekannten getötet wurden, kann sie nicht auf Hinweise aus der Bevölkerung hoffen, das Dorf schweigt eisern. Auch die Informationen zu einem mehrere Jahre zurückliegenden Vermisstenfall und einem Selbstmord sind spärlich. Aber hängen die beiden Fälle überhaupt zusammen?
Stilistisch ist das Buch leicht und flüssig zu lesen. So viel zu den positiven Aspekten. Eigentlich liegt mir die ungewöhnliche Konstellation bei den „Akte Nordsee“-Krimis auch. Dass das Ermittlerteam aus einer Anwältin und einem Journalisten besteht, ist nicht alltäglich. Aber in diesem Band überschreitet Fentje ihre Kompetenzen meiner Meinung nach so eklatant, dass ihre Impertinenz zum Teil schon fast zum Fremdschämen war. Was für ein Glück, dass Niklas als Journalist einen guten Draht zur Polizei hat und ihr zu Hilfe eilen kann. Überhaupt hilft den beiden immer wieder Kommissar Zufall und irgendwelche Beziehungen zu irgendwem, der irgendwen kennt, der irgendwas weiß. Ihre eigene zwischenmenschliche Beziehung ist in der Schwebe, was Oma Gretje gar nicht passt. Sie versucht daher verzweifelt, Fentje an den Mann, genauer gesagt, an den neuen Tierarzt, einen schmucken Adligen zu bringen. Niklas hingegen muss sehr viel Charme spielen lassen, um als Witwentröster an Informationen zu den Morden zu kommen.
Leider schafft Eva Almstädt es nicht, einen konstanten Spannungsbogen aufzubauen. Über weite Teile plätschert das Buch vor sich hin, wirklich Fahrt nimmt die Handlung erst im letzten Drittel auf. Durch die große Zahl an Charakteren wird alles etwas unübersichtlich, zumal einige der Personen zur eigentlichen Geschichte nichts oder nur wenig beitragen. Obwohl ich, der ich in einem 200-Einwohner-Dorf lebe, vieles der Dynamik innerhalb der Ortsgemeinschaft nachvollziehen kann, hätte ich mit der Feindseligkeit nicht gerechnet. Doch, wie Fentje konstatiert: „»In Helenendeich ist aber nichts normal“.
Zusammen mit den Themen Kriminalität, Gewalt gegen Frauen und Mobbing hatte ich manchmal das Gefühl, die Autorin hat sich etwas verrannt, da nicht alles zufriedenstellend auserzählt wird. Selbst die Auflösung am Schluss konnte bei mir nicht punkten. Insgesamt fand ich „Das schweigende Dorf“ zu konstruiert, was in Anbetracht der guten Idee hinter dem Buch schade ist. Da hat die Autorin meiner Meinung nach sehr viel Potential verschenkt. Zusammen mit der fehlenden Spannung war das Buch für mich leider eine Enttäuschung und ich vergebe zwei Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


weniger gut

„Schneesturm“ war das erste Buch der irischen Autorin Triona Walsh, das ich gelesen habe. Da ich aber mit ihrem Stil nicht ganz warm werden konnte, wird es vermutlich auch das letzte bleiben. Dabei ist die Idee hinter dem Krimi wirklich gut, richtig schlecht erzählt ist die Geschichte auch nicht, aber so ganz konnte die Autorin mich einfach nicht für sich gewinnen. Der Krimi wirkt durch die viele Bewegung der Charaktere (und das meine ich wörtlich: jeder scheint irgendwie ständig irgendwohin unterwegs zu sein) ein bisschen verfahren. Dazu gibt es den Schneesturm und Tote. Leidlich unterhaltsam ja, aber nicht wirklich gut.
Inishmore ist eine Insel mit rund 900 Einwohnern an der irischen Küste. Cara hat es dort wirklich nicht leicht. Als Polizistin hat sie kaum Autorität und ist eine Außenseiterin, die Einheimischen ignorieren sie gerne, da sie kein Gälisch spricht und dazu noch rote Haare hat, was laut des Aberglaubens der Ewiggestrigen Unglück bringen soll. Dass sie mit einem „von ihnen“ verheiratet war, zählt nicht, schließlich ist ihr Mann Cieran schon seit zehn Jahren tot. Anlässlich seines Todestages trifft sich der damalige Freundeskreis zu Silvester auf der Insel. Die frühere Vertrautheit und Freundschaft stellen sich aber nicht mehr ein. Es wird gestichelt und gestritten und als an den Steilklippen eine Leiche gefunden wird, kippt die Stimmung plötzlich völlig. Durch den Schneesturm kann niemand die Insel verlassen, der Mörder muss also noch vor Ort sein. Obwohl Cara als einfache Garda weder die Erfahrung noch die Kompetenz hat, beginnt sie zu ermitteln. Es bleibt ihr ja wenig anderes übrig, da wegen des Sturms auch keine Ermittler auf die Insel kommen können. Nach und nach kommen bei allen Beteiligten Geheimnisse und Lügen ans Tageslicht. Wem kann Cara überhaupt noch trauen, da zu ihrer eigenen Überraschung jeder, mit dem sie es zu tun hat, etwas zu verstecken zu haben scheint?
Die Idee, die hinter „Schneesturm“ steckt, ist wirklich gut. Aber manchmal hatte ich das Gefühl, die Autorin wollte schlicht zu viel. Freundschaften, Feindschaften, Drogen, ein Schneesturm, Leichen, dann ein eher undurchsichtiges Doppelgänger-Spiel noch einiges mehr versucht sie verzweifelt in ihrem Krimi stimmig zu verarbeiten und leider gelingt es ihr in der Hauptsache nicht wirklich gut. Außer dem tollen Insel-Setting, das die Autorin in seiner Beklemmung und Düsternis wirklich gut einfängt, konnte mich nichts packen. Vor allem mit den Charakteren konnte sie bei mir nicht punkten. Am authentischsten fand ich Patrick Kelly, den seltsamen Stalker, der ist mir ans Herz gewachsen. Wirklich gut beschrieben fand ich eigentlich außer ihm keinen, dazu kamen langatmige, gewollt ausschweifende pseudo-poetische Passagen, die für mich die ganze Geschichte zäh und über weite Strecken quälend langweilig gemacht haben. Außerdem lässt die Autorin so gut wie kein Klischee aus: Cara hat rote Haare. Rothaarige Frauen bringen Unglück. Und Bewohner abgelegener Inseln sind immer alle hinterwäldlerisch und abergläubisch.
Die Übersetzung fand ich gelungen und die vielen Sätze auf Gälisch waren sicher passend. Da ich aber nur sehr wenig Gälisch spreche, wusste ich außer bei den Namen bei den meisten Wörtern nicht, wie man sie ausspricht, was mir den Lesefluss wirklich störte. Der Schluss der Geschichte ist gleichermaßen stimmig und für mich völlig überzogen. Denn natürlich löst Cara den Fall. Aber dass sie ihre Ermittlungsergebnisse in einem seitenlangen Monolog präsentieren muss, gab dem Buch für mich den Rest. Spätestens da habe ich so quergelesen, dass ich beinahe versäumt hätte, wer jetzt tatsächlich hinter allem steckt. Bei Krimis bin ich wirklich kein anspruchsvoller Leser, aber das Buch blieb sogar hinter meinen Erwartungen weit zurück. So viel nicht ausgeschöpftes Potential! Daher kann ich es nicht wirklich weiterempfehlen und vergebe zwei Sterne.

Bewertung vom 15.07.2024
Der Heumacher
Hoem, Edvard

Der Heumacher


ausgezeichnet

„Nesje war mein Urgroßvater.“ Auf diesem schlichten Fakt baut Edvard Hoem sein Buch „Der Heumacher“ auf, denn allzu viel ist über Knut Hansen Nesje nicht bekannt. Aus den wenigen Daten aus Kirchenbüchern und Zeitungen und den Geschichten, die in der Familie erzählt wurden, hat der Autor den ersten Teil seiner Familiensaga gestrickt. Zusammen mit sehr viel Fantasie („Ich musste ihn herbeidichten, aus Luft und aus dem Nichts, aus dem Licht über Molde und Rekneslia, aus dem Wind, der meine Haare zaust, und aus dem Regen, der auf Felder und Menschen fiel – zu seiner wie zu meiner Zeit.“) entstand ein eindrucksvoller Roman, der die Leserschaft ins schwierige Leben auf dem Land im Norwegen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mitnimmt.
Aber von vorn.
Knut Hansen, genannt Nesje, ist der jüngste Sohn von Marta Kristine Andersdatter Nesje, der Hebamme, die Hoem-Kennern schon aus dem gleichnamigen Roman bekannt sein dürfte. Der Witwer lebt mit seinem Sohn Hans auf einem Pachtgrundstück oberhalb der Kleinstadt Molde an der norwegischen Küste und arbeitet im Gegenzug als Heumacher auf dem Hof des Großbauern. Sein Traum ist es, eines Tages das von ihm bestellte Stück Land zu besitzen, er hofft, dass sein Fleiß und seine Zuverlässigkeit sich irgendwann auszahlen. Abgesehen davon ist er bescheiden und bodenständig. An seinem 36. Geburtstag lernt er 1874, zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Guri, Serianna kennen. Die unabhängige junge Frau imponiert ihm und er verliebt sich. Als sie im Jahr darauf heiraten, ist die Braut bereits im siebten Monat schwanger. Hans verlässt den Pachthof noch vor seiner Konfirmation, er „hatte einmal eine Mutter und kann keine neue bekommen“. Das Leben geht weiter und das Buch teilt sich in zwei Erzählebenen. Das Leben von Nesje und Sarianna in Molde wird in der einen beschrieben, das Leben von Seriannas jüngerer Schwester Gjertine in der anderen.
Da „Mutter Norwegen es nicht mehr schafft, alle ihre Kinder zu ernähren“, wandert Gjertine mit ihrer Familie nach Amerika aus, denn „Wer auf der Suche nach einer besseren Zukunft ist, muss so schnell wie möglich fort von hier!“ Natürlich ist das Leben im „gelobten Land“ nicht so einfach wie erhofft, im Endeffekt tauschen sie ein arbeits- und entbehrungsreiches Leben in Norwegen gegen ein ebensolches in Amerika. Nesje und seine Frau versuchen, in der Heimat das Beste aus der Situation zu machen. „Wir bleiben hier. So haben wir es beschlossen“. Allerdings macht der technische Fortschritt Berufe wie Heumacher nach und nach überflüssig und Nesjes wirtschaftliche Lage wird schlechter.
„Der Heumacher“ ist ein Buch ohne Anfang und Ende. Es umfasst ein paar Jahre im Leben von Menschen, beschreibt, was sie in der Zeit erlebt haben und was sie umgetrieben hat. Gjertine und Ole stehen exemplarisch für unzählige Menschen, die Ende des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach Glück und Wohlstand nach Amerika aufgebrochen sind. Nesje und Serianna sind ein Beispiel für die, die diesen Schritt aus welchen Gründen auch immer nicht gemacht haben. Die einen fügen sich in ihr Schicksal und leben mit ihren Träumen, die anderen nehmen das Schicksal in die Hand und leben ihren Traum. Sehr ans Herz ging mir das Schicksal von Anton Edvard, des jüngsten Kindes von Nesje und Serianna, der schon mit sieben Jahren zu einem Onkel, dem Möbeltischler Erik, in Kost gegeben wurde.
Interessant fand ich, wie Edvard Hoem die Rolle der Frauen beschreibt. Sarianna und Gjertine sind willensstarke Frauen und, während die Männer die Versorger der Familie sind, scheinen die Frauen die treibenden Kräfte hinter allem. Sprachlich fand ich das Buch sehr gut zu lesen, der Stil ist anfangs gewöhnungsbedürftig, aber klar und sachlich, bodenständig und schlicht, wenn man sich darauf einlassen kann, erkennt man die Poesie und Schönheit. Die Übersetzung aus dem Nynorsk ist hervorragend gelungen. Die Geschichte ist lebendig und packend, für mich war das Buch, wie auch schon „Die Hebamme“ ein echtes Highlight. Von mir fünf Sterne.

Bewertung vom 08.07.2024
Tödlich rauscht die Brandung / Ben Kitto Bd.7
Penrose, Kate

Tödlich rauscht die Brandung / Ben Kitto Bd.7


ausgezeichnet

Mit „Tödlich rauscht die Brandung“ hat Kate Penrose den siebten Teil der Serie um Detective Inspector Ben Kitto vorgelegt. Für mich war es ein Buch, das sowohl die Sehnsucht nach Cornwall, den Wunsch nach der Einsamkeit der Scilly-Inseln, als auch eine etwas beklemmend klaustrophobische Atmosphäre wachrief.
Die letzten Tage vor seiner Hochzeit hatte sich Detective Inspector Benesek „Ben“ Kitto wirklich anders vorgestellt. Eigentlich wollte er seiner zukünftigen Frau Nina bei den Vorbereitungen helfen oder sich wenigstens ab und zu um den drei Monate alten Sohn Noah kümmern. Stattdessen ist er sowohl bei der Seenotrettung als auch bei der Polizeiarbeit völlig eingespannt. Der junge Seenotretter-Kollege Jeremy „Jez“ Cardew ist auf See verschollen. Er ist trotz seines jungen Alters ein erfahrener Kapitän und wurde für seinen Einsatz als Seenotretter bereits ausgezeichnet. Nach längerer Suche wird Jez‘ Boot zwischen St. Mary’s und St. Agnes gefunden, einige Zeit später erst seine abgetrennte Hand und dann seine schrecklich zugerichtete Leiche. Einen natürlichen Tod schließen die Ermittler aus, denn an der Leiche des Neunundzwanzigjährigen ist mit Draht eine Tapferkeitsmedaille befestigt.
Verdächtige gibt es in diesem Fall einige. Da ist Jez‘ Mitbewohner Sam Austell, ein vorbestrafter junger Mann, der von den Inseln stammt, nach seiner Haftentlassung aber in der alten Heimat nicht mehr Fuß fassen kann. Callum Moyle, der cholerische und undurchsichtige Vermieter und Arbeitgeber von Jez und Sam hat ganz offensichtlich etwas zu verbergen. Auch Jez‘ ehemalige Freundin Anna Dawlish (sie ist auch eine ex Freundin von Ben) hätte einen Grund, ihn zu hassen. Jez hatte die zehn Jahre ältere Mutter einer Tochter überraschend verlassen, nachdem er ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte. Hatte er weitere „Frauengeschichten“ auf den Inseln? Etwa gar mit verheirateten Frauen? Als Molly Bligh verschwindet, die ebenfalls eine ex Freundin von Jez ist, läuft Ben und seinem Team langsam die Zeit davon. Wer von den Verdächtigen hat das stärkste Motiv? Ist der Täter überhaupt einer von ihnen? Geht es um persönliche Rache oder um allgemeinen Hass auf die Seenotretter? Und was hat es mit den Anstecknadeln auf sich, die Mitglieder der Seenotrettung zusammen mit einem Zitat aus William Shakespeares „Der Sturm“ per Post bekommen?
Da hat uns Kate Penrose ja mal wieder einen rasanten Krimi aufgetischt! Von der ersten bis zur letzten Seite herrschte Spannung, die gegen Ende ins schier unermessliche wuchs. Sprachlich fand ich das Buch ansprechend und flüssig zu lesen. Die beiden Handlungsstränge werden aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, einer aus der Sicht von Ben in der ich-Form, der andere aus der Sicht von Sam, allerdings von einem außenstehenden Erzähler. Auch psychologisch hat das Buch bis hin zum (für mich) überraschenden Schluss einiges zu bieten. Liebesgeschichten, Eifersucht, Neid und blanker Hass sind da nur einige der Themen. Die Charaktere sind detailliert und dreidimensional ausgearbeitet. Ben ist den Kennern der Reihe ja bekannt, seine Entwicklung im Laufe der Zeit ist beachtlich. Aber auch in diesem Buch hat jeder Charakter seine Eigenheiten und seine ganz eigenen Probleme. Jez kämpfte mit einer (lebens)wichtigen Entscheidung. Sam, der Kleinkriminelle, den Ben vor einigen Jahren verhaftet hat und der jetzt wieder zurück auf den Inseln ist, möchte einfach wieder ein normales Leben führen. Er ist aber das lebende Beispiel für das englische geflügelte Wort „to give a dog a bad name and hang him“, er kann seine Vergangenheit nicht ablegen und ist darauf angewiesen, dass die Leute ihm eine Chance zur Rehabilitation geben.
Alles in allem war das Buch für mich ein echtes Highlight und ich habe die Lektüre sehr genossen. Von mir fünf Sterne und ich warte ungeduldig auf den nächsten Teil.

Bewertung vom 08.07.2024
Enna Andersen und das weite Land
Johannsen, Anna

Enna Andersen und das weite Land


sehr gut

„Enna Andersen und das weite Land“ heißt der neue Krimi von Anna Johannsen und damit führt sie ihre Leserschaft an den Jadebusen. Da ich schon öfter dort in der Gegend war, war das Buch natürlich ein Muss für mich. Da ich alle anderen Teile der „Enna-Andersen“-Reihe mit großer Begeisterung gelesen habe, hätte ich es aber vermutlich ohnehin gelesen. Ganz so begeistert hat mich der neue Band zugegebenermaßen nicht, aber gut unterhalten.
Aber von vorn.
20 Jahre nach ihrem Verschwinden werden der Landwirt Tjark Feddersen und seine Frau Eefke zufällig tot gefunden. Die Leichen der beiden, die seinerzeit spurlos verschwunden waren, liegen in einer ehemaligen Weidefläche bei Butjadingen vergraben. Anhand der skelettierten Leichen kann keine Todesursache mehr festgestellt werden. Daher trägt Albrecht Heinzen den Fall Enna Andersen und ihrem Team an, die für ihre Ermittlungserfolge bei Cold Cases bekannt sind. Enna, Pia, Jens und (Jan) Paulsen machen sich an die Arbeit. Verdächtige gibt es bezüglich des Todes von Tjark Feddersen einige, denn der Großbauer war ein streitbarer Charakter, der als autoritärer Chef, dominanter Ehemann und allgemein als Choleriker bekannt war. Außerdem hatte er sich wohl als Lokalpolitiker einige Feinde gemacht und der Verdacht der Korruption steht im Raum. Und kaum, dass Enna und ihr Team in ihren Ermittlungen Fortschritte machen, gibt es in der Familie Feddersen einen weiteren Toten. Tjarks Bruder Hinnerk wird tot aufgefunden. Hängen die beiden Fälle zusammen? Wusste Hinnerk zu viel und musste deshalb sterben? Und überhaupt, was weiß Jan, der verwaiste Sohn von Tjark und Eefke, der beim Verschwinden seiner Eltern 14 Jahre alt war?
Wow, da tischt uns Anna Johannsen eine schier unüberschaubare Menge an Verdächtigen in den beiden Fällen auf, und dabei ist noch gar nicht klar, ob sie überhaupt zusammenhängen. Stilistisch ist das Buch locker und flüssig zu lesen, es ist weitestgehend unblutig und kommt mit angenehmer, aber alltagsnaher Sprache daher. Angenehm ist auch der Umgang innerhalb des Ermittlerteams, Kompetenzgerangel gibt es mit den Kollegen, die im aktuellen Fall (dem Tod von Hinnerk Feddersen) ermitteln.
Für mich litt die Spannung wegen der vielen Personen etwas, der Spannungsbogen war nicht konstant. Langweilig ist das Buch aber trotzdem nicht, als Fan der Reihe habe ich mich natürlich auch über die neuen Entwicklungen im Privaten bei den Paaren Enna und Aaron, Pia und Alina, Paulsen und Katja. Sie sind mir inzwischen alle ans Herz gewachsen. Zwar kann man den Krimi ohne Probleme auch ohne Vorkenntnisse aus den anderen Teilen der Reihe lesen, ich finde es aber nicht empfehlenswert. Die Charaktere wurden vom ersten Band an weiterentwickelt und es macht großen Spaß, an der Entwicklung teilzuhaben. Auch die Querverweise auf Ennas eigene Lebensgeschichte (sie hat ihre Eltern ebenfalls als Teenager verloren) sind wesentlich verständlicher, wenn man etwas „Insiderwissen“ hat.
Alles in allem war das Buch für mich nicht der beste Teil der Reihe, dafür fehlte mir ein wenig die Spannung. Der Schluss ist stimmig und logisch, bei so vielen Irrungen und Wirrungen in der Handlung hat er mich aber nicht wirklich vom Hocker gerissen, für mich war es eher so ein „okay“-Moment, als alles aufgeklärt wird. Aber ich fand den Krimi durchaus unterhaltsam und bin gespannt, ob es einen weiteren Teil geben wird, denn das Ende könnte sowohl einen Abschluss als auch einen Cliffhanger darstellen.
Von mir gibt es für „Enna Andersen und das weite Land“ vier Sterne.

Bewertung vom 25.06.2024
Das Schweigen meiner Schwestern
Volkmann, Stine

Das Schweigen meiner Schwestern


ausgezeichnet

„Das Schweigen meiner Schwester“ ist das Debut von Stine Volkmann und ein Buch, das mich auf ganzer Linie überrascht hat. Zugegeben, eine ganze Zeitlang wusste ich nicht, wohin mich die Geschichte führen wurde, nach einer Weile hatte sie mich aber gepackt und nicht mehr losgelassen. Aus dem scheinbar altbekannten Familiendrama wurde nämlich schnell ein Psychothriller und eine wilde Achterbahnfahrt.
Aber von vorn.
Bis 1998 war die sechsköpfige Detmolder Familie Neumann regelmäßig in den Ferien auf der Nordseeinsel Langeoog. Doch in diesem Jahr ändert sich für die Schwestern Jenni (18), Mo (15), Sonja (13) und Kaja (6) alles. Jenni verliebt sich in den gutaussehenden Alex und macht mit ihm erste zwischenmenschliche Erfahrungen. Mo macht hingegen ihre ersten Erfahrungen mit Alkohol. Für Sonja und Jenni besteht der Urlaub aus Strand, Sand und dem Versuch, von den Älteren akzeptiert zu werden. Vor allem Sonja hat es schwer, denn sie ist mit ihren 13 Jahren kein Kind mehr, wird aber von den Teenagern auch nicht wirklich wahrgenommen. Als Alex plötzlich spurlos verschwindet, bekommt die Urlaubsidylle Risse und auch nach dem Urlaub ist nichts mehr wie zuvor. Alle Familienmitglieder gehen eigene, getrennte Wege, die vorher augenscheinlich harmonische Familie zerbricht. 20 Jahre später treffen sie sich auf der Insel wieder, um gemeinsam ihre nach langer Krankheit verstorbene Mutter beizusetzen. Schon beim ersten Aufeinandertreffen ist die Spannung zwischen den vier inzwischen erwachsenen Frauen greifbar. Ihr Umgang miteinander ist von Sticheleien und unterschwelligen Vorwürfen geprägt. Die Schwestern, zwischen die nie ein Blatt Papier passte und die immer zusammenhielten, sind verfeindet. Eines ist klar: zwischen ihnen steht ein Geheimnis und das muss geklärt werden, sonst werden sie sich nie wieder aneinander annähern können. Aber schaffen die vier es? Und was hat der mysteriöse Fremde mit allem zu tun.
Wie gesagt, erst hatte ich das Gefühl, irrtümlich an ein Familiendrama geraten zu sein. Heile Familie mit vier Kindern macht Urlaub auf einer Nordsee-Insel, Familie zerbricht, jeder geht seiner Wege. Aber dann passieren plötzlich Dinge, die das Buch in eine ganz andere Richtung schubsen. Die Mutproben der (prä)pubertären Mädchen werden brutaler, plötzlich scheint die Sommersonne hinter einer stetig präsenten, dunkleren Wolke versteckt zu sein. Dieses ungreifbare, aber persistierende mulmige Gefühl im Magen wurde von der Autorin ganz meisterhaft erarbeitet, das Verschwinden von Alex und die Suche nach ihm bleibt bei weitem nicht das einzige Drama in der Geschichte (mehr möchte ich dazu nicht sagen, ich möchte nichts spoilern).
Durch die beiden Zeitebenen und die verschiedenen Perspektiven, die sie gekonnt miteinander verwebt, zeigt sich, dass dieses Gefühl die Protagonistinnen über 20 Jahre lang nicht loslässt. Ihr Leben wurde durch das Geschehen und das damit verbundene Trauma beeinflusst, Misstrauen und Zweifel an ihren eigenen Erinnerungen sind bei allen präsent.
Die Charaktere sind gründlich und dreidimensional ausgearbeitet, ich konnte mich tatsächlich in alle gut einfühlen. Auch die dysfunktionale Familie, die die Autorin gekonnt beschreibt, ist mir nicht fremd. Die psychologischen Komponenten des Romans hat sie hervorragend eingeflochten und so aus einem eigentlich einfachen „coming of age“ Roman mit rebellischen Teenagern, die sich ausprobieren wollen, einen Thriller geschaffen. Zwei große Geheimnisse liegen wie Schatten über dem Leben des Schwestern-Quartetts, wirklich glücklich ist keine geworden, egal, wie sehr sie versuchen, es sich einzureden.
Für mich war der vielschichtige und vielseitige Roman ein wahrer Lese-Genuss, den ich Freunden von Krimis/Thrillern mit dem gewissen Etwas und etwas psychologischem Tiefgang gerne weiterempfehle. Von mir fünf Sterne.