Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Kwinsu
Wohnort: 
Salzburg

Bewertungen

Insgesamt 86 Bewertungen
Bewertung vom 16.03.2025
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


weniger gut

Vanessa Chapman war Künstlerin, die auf einer einsamen Insel lebte. Ihr Verhältnis zu Männern war problematisch, dafür wurden ihre Kunstwerke in der Szene umso mehr gefeiert. Jahre nach ihrem Tod stellt sich heraus, dass eines ihrer Werke einen menschlichen Knochen enthält. Der Kunstkurator James Becker begibt sich deshalb regelmäßig auf die Insel, um bei Vanessas Vertrauten Grace mehr über den Hintergrund des Kunstwerks und der Künstlerin herauszufinden. Dabei ist er einem dunklen Geheimnis auf der Spur...

Paula Hawkins legt uns in "Die blauen Stunde" einen Roman mit Krimielementen vor, der einen außergewöhnlichen Erzählaufbau vorweist: unterschiedliche Erzählweisen wechseln sich ab. Tagebucheinträge der Künstlerin, Zeitungsberichte über sie und normale Erzählvorgänge aus der fiktiven Gegenwart und Vergangenheit wechseln sich ab. Das macht das Buch grundsätzlich recht gut und kurzweilig lesbar, den zusammenhängenden Sinn dahinter konnte ich aber nach Beendigung des Buches nicht so wirklich nachvollziehen.

Ich habe selten ein Buch gelesen, in dem mir beinahe alle Figuren so unsympathisch waren, wie in diesem Buch. Nur Becker und Grace sind stellenweise zugänglich, aber im Grunde haben die beiden auch nicht sonderlich viel einnehmende Charaktereigenschaften. Die Figur der Grace ist ziemlich widersprüchlich, scheinbar wurde sie nie in ihrem Leben geliebt und ihr wird unterstellt, mit Menschen nicht umgehen zu können, andererseits ist sie aber eine gut angenommene Landärztin. Generell waren die geschilderten Personen für mich allesamt unzugänglich. Die Kunstszene wird für meinen Geschmack viel zu umfänglich beschrieben, hier habe ich oft die Aufmerksamkeit verloren, weil mir die langen Passagen, in denen die (in der Realität fiktive) Künstlerin Vanessa beschrieben wird, einfach zu kunstdetailliert und ausschweifend beschrieben sind. In einigen Nebenschauplätzen erfahren wir auch einiges über Lug und Trug und allerlei Intrigen, die aber für die Geschichte nicht wirklich relevant sind. Zudem bleiben einige Themen, die aufgerissen wurden, unnötigerweise unerklärt.

In der zweiten Hälfte des Buches wird viel mehr auf Grace und Becker eingegangen und kurze Zeit dachte ich mir, dass ich endlich einen Zugang zu ihnen finden würde. Aber dann gibt es eine Entwicklung, die meines Erachtens ziemlich absurd ist. (die aus Spoilergründen hier nicht näher erläutert wird) Ich finde es sehr schade, dass mich das Buch so überhaupt nicht ansprechen konnte, denn die Beschreibung wirkt äußerst spannend. Ich kann es aber leider nicht weiterempfehlen.

Bewertung vom 12.03.2025
Berauscht der Sinne beraubt
Kirakosian, Racha

Berauscht der Sinne beraubt


gut

Die Mittelalterhistorikerin Racha Kirakosian nimmt uns in ihrem Buch "Berauscht der Sinne beraubt - Eine Geschichte der Esktase" mit in die Geschichte des (geistigen) Rauschzustands, indem sie die unterschiedlichen Wahrnehmungsstufen der Ekstase eingehend beleuchtet.
Es ist erstaunlich welche unterschiedlichen Aspekte eine Ekstase hervorrufen können. Eingehend werden religiöse Ekstasen beschrieben, aber auch veränderte Bewusstseinszustände im sexuellen Bereich, beim Tanzen oder bei gemeinschaftlichen Massenerlebnissen und viele, viele mehr.

Ich muss zugeben, dieses Buch zu lesen war eine Herausforderung. Auch wenn das Cover anderes vermuten lässt, ist dies kein übliches Sachbuch, sondern ein wissenschaftlicher Abriss der Thematik. Dies beweist auch der Umstand, dass die letzten 70 Seiten aus einem Anmerkungsapparat besteht. Die Sprache folgt der gängigen deutschen Wissenschaftssprache, wobei die Satzlängen hierfür durchaus kurz sind, das Sprachniveau hingegen ist hoch. Und nicht nur das, auch die umfangreichen Erläuterungen sind hochschwellig und deshalb eher schwer zugänglich. Sehr detailliert wird in die Menschheitsgeschichte und ihre ekstatischen Ausschweifungen hineingeblickt, es wird philosophiert, Zusammenhänge eingehend erklärt und historisch aufgearbeitet. Immer wieder schiebt die Autorin kurze Exkurse ein, die das gerade behandelte Thema besser bzw. anschaulich verständlich machen sollen, wobei sie hierbei mitunter auch persönliche Berichte vorlegt. Diese grau hinterlegten, mit "Exkursiv" oder "Diskursiv" betitelte Einschübe bieten eine Atempause in dem komplexen Erzähltext.

Nach Beendigung des Buches muss ich zugeben, dass ich mich an die meisten Passagen schon gar nicht mehr erinnern kann. Auch wenn die Grundthematik durchaus spannend ist, war die Art und Weise, wie es erzählt wurde, für meinen Geschmack viel zu hochschwellig und viele Erklärungen zogen sich in die Länge. Diese Buch ist wohl am Besten an geisteswissenschaftlichen Universitäten aufgehoben, für eine kurzweilige, lesende Abendbeschäftigung im Privaten würde ich es nicht empfehlen. Fundiert ist es selbstredend aber allemal.

Bewertung vom 17.02.2025
Death in Brachstedt
Wagner, Tobias

Death in Brachstedt


sehr gut

"Ein Wunder, dass nicht alles den Bach runtergeht, dachte ich, obwohl offensichtlich nur ein Bruchteil der Menschheit vollen Zugriff auf seinen Verstand hat." (S. 148)

Nachdem er sich immer seltsamer verhält, verschwindet plötzlich Leos Vater und taucht wenig später bei der Tante des 15-Jährigen auf. Es stellt sich heraus, dass er an einer seltenen Form der Demenz erkrankt ist, weshalb Leo nun einige Zeit allein über die Runden kommen muss. Mit seinem besten Freund Henri beschließt er die restlichen Ferien zu genießen. Sie drehen einen Film und organisieren die erste Party ihres Lebens. Doch die Erkrankung des Vaters trübt die schöne Zeit...

Tobias Wagner ist mit "Death in Brachstedt" ein wunderbar amüsanter und schräger Jugendroman gelungen, der auch mit Tiefgang aufwarten kann. Sein Schreibstil ist sehr erfrischend und immer mit einer Brise Humor versehen, die durch diverse schräge Erlebnisse noch verstärkt wird.

Besonders schön finde ich, wie die Hauptfigur Leo gezeichnet wird. Er ist zwar in der Pubertät und durchlebt seine erste Verliebtheit, andererseits ist die Liebe und das Vertrauen zu seinem Vater fast kindlich groß. Man ist es ja gar nicht gewohnt, dass ein Pubertierender so gar nicht genervt von seinem Elternteil ist. Und auch die Freundschaft zu Henri ist intensiv und tiefgründig, man nervt sich gegenseitig ab und an, aber grundsätzlich ist eine große Verbundenheit da, die im Laufe des Buches noch stärker wird. Bis auf eine kleine Ausnahme findet man keine Gehässigkeiten unter den Jugendlichen, was auch unüblich ist. Leo wirkt teilweise naiv, aber neugierig und unbekümmert zugleich, was ihn des Öfteren in seltsame Situationen bringt.

Die Mischung aus schrägen Erlebnissen, Kreativität, Naivität und Zusammenhalt ist, was "Death in Brachstedt" so besonders macht. Hinzu kommt, dass Leo, auch wenn das nicht so deutlich ausgesprochen wird, doch ein sonniges und hoffnungsvolles Gemüt hat und sich von den traurigen Vorkommnissen um seinen Vater nicht aus der Ruhe bringen lässt.

Nichtsdestotrotz muss ich einen Bewertungsstern abziehen. Ich bin mir nicht sicher, ob die eingesetzte Sprache nicht zu erwachsen, zu unjugendlich für einen Jugendroman ist. Über lange Strecken dachte ich mir, dass der Plot vielleicht in den 90er Jahren angesetzt ist, auch wenn das durch die Existenz von Handys eher unwahrscheinlich schien (sie schreiben sich gegenseitig SMS! [sic!]). Später wird dann aber das Jahr 2018 erwähnt (auch hier wäre Whatsapp schon modern gewesen). Auch die ganzen Filme die angeführt und rezipiert werden, kenne ich als 80er-Jahre Kind - wobei ein Filmfreak natürlich in die Vergangenheit blickt. Ansprechen tut dies wahrscheinlich eher Personen älteren Semesters. Und: in einem Jugendroman wären doch sicher am Ende Anlaufstellen für Jugendliche erwähnt, die ihnen mit den durchaus schweren Themen, die im Buch vorkommen, helfen könnten.

Mein Fazit: "Death in Brachstedt" ist ein lesenswerter, nicht eindeutiger Jugendroman, der durch feinen Humor und schräge Vorkommnisse glänzt. Vor allem ist es aber ein Buch über Zusammenhalt und Freundschaft.

Bewertung vom 14.02.2025
Dunkle Asche (eBook, ePUB)
Thomsen, Jona

Dunkle Asche (eBook, ePUB)


gut

Die Polizeibeamtinnen Judith und Gudrun werden damit beauftragt, einen 30 Jahre zurückliegenden Mordfall an einer jungen Frau aufzuklären, nachdem es eine neue Zeugenaussage gibt. Alles sieht danach aus, als würde der ursprünglich Tatverdächtige nun endlich dingfest gemacht werden können. Doch dann tauchen neue Hinweise auf und Gudrun, die viele Beteiligte von damals kennt, muss gemeinsam mit Judith ein umfangreiches Lügennetz entwirren.

Jona Thomsen liefert mit "Dunkle Asche" einen soliden Cold-Case-Ostsee-Krimi, der durch den angenehmen Schreibstil, die Zeitsprünge und etliche Wendungen bis zum Ende spannend bleibt. Die zwei Hauptfiguren Judith und Gudrun starten als neues Team und müssen sich erst kennenlernen. Besonders Judiths gute Intuition und kritische Haltung bringen die Entwicklung des Falls gut voran. In das gegenwärtige Geschehen werden ab und an Rückblenden in die Tatzeit und die Gedankengänge des Täters - ohne dass dieser benannt wird - eingeflochten, was die Spannung und das eigene Spekulieren nur fördert. Ich persönlich hatte fast bis zum Schluss jemand anderen in Verdacht und war dann überrascht, als der wahre Schuldige sich enttarnte. Trotzdem ich das Buch gerne gelesen habe, besonders wegen den zwei Ermittlerinnen, gibt es einige Punkte, die bei mir zum Abzug von Sternen führen.

Gudrun ist eine taffe lesbische Frau, die ein Verhältnis mit einer deutlich jüngeren Person beginnt. An sich finde ich es ja super, wenn queere Personen als Figuren auftauchen, ist ja glücklicherweise ganz normal heutzutage. Allerdings wirkte es für mich in "Dunkle Asche" zu unnatürlich, zu gekünstelt, zu gewollt. Außerdem wurde gefühlt hundert Mal die Zweifel Gudruns betont, die sie aufgrund des deutlich jüngeren Alters ihrer Auserwählten hat, das war mir too much. Was mich aber noch mehr gestört, ja teilweise sogar genervt hat, war wie verschiedene Personen beschrieben waren. Fast alle waren übergewichtig und das, weil sie so eine große Last im Leben tragen mussten. Auf weitere Äußerlichkeiten wurde kaum eingegangen und ich habe mich gefragt, was uns der Autor mit diesem oft vergebenen Attribut sagen will. Judith hingegen tritt gestylt im Hosenanzug mit acht Zentimeter hohen Stiefeletten, die ihr natürlich beinahe zum Verhängnis werden, auf, was für mich nicht ansatzweise realistisch ist - sie ist eine polizeiliche Ermittlerin und keine Geschäftsfrau! Klarerweise gibt es dann auch eine schlanke Hausfrau, die von dem Geld ihres Gatten lebt und natürlich trotzdem unglücklich ist, sodass sie trinkt. Die hier gezeichneten Frauenbilder empfinde ich doch eher seltsam, klischeehaft, vorurteilsbeladen und altbacken.

Das schlussendliche Mordmotiv hat mich auch nicht überzeugen können, vor allem weil im kompletten Buch nie ein einziger Hinweis darauf war. Gut, man könnte sagen, dass es der Figur gut gelungen ist, dieses Geheimnis zu verbergen, nichtsdestotrotz war es für mich ob der Dramatik des Traumas einfach nicht glaubwürdig.

Mein Fazit: "Dunke Asche" ist ein solider Ostseekrimi, der durchaus spannend und kurzweilig ist. Durch das komische Frauenbild und das mir nicht nachvollziehbare Mordmotiv konnte er mich aber nicht vollends überzeugen.

Bewertung vom 10.02.2025
Schmerz (eBook, ePUB)
Jónasson, Jón Atli

Schmerz (eBook, ePUB)


sehr gut

Als ein junger Mensch aus dem Nationalpark Þingvellir verschwindet, fällt es der Kriminalpolizistin Dora zu, sich auf die Suche nach ihm zu begeben. Freude bereitet ihr das nicht, denn seit einem schrecklichen Unfall im Dienst, bei dem ihr Gehirn einen Schaden davon getragen hat, wurde sie nur mehr im Innendienst eingesetzt. Schließlich wird ihr der Ermittler Rado zur Seite gestellt, der aufgrund familiärer Verstrickungen aus einer Großrazzia herausgehalten werden soll. Langsam bilden sie ein Team und stoßen bei ihren Recherchen auf vielerlei widrige Umstände.

Jón Atli Jónasson gelingt mit "Schmerz" ein fulminanter Auftakt einer neuen isländischen Krimireihe, der mit viel Spannung, ereignisreichen Wendungen und zwei sehr speziellen Ermittler:innen aufwarten kann. Sprachlich schreibt der Autor packend, ab der ersten Seite wird man von der Geschichte und den Charakteren mitgerissen. Dora ist aufgrund ihres Handicaps sehr speziell, hat aber eine besondere Beobachtungs- und Kombinationsgabe. Im ersten Kapitel erfahren die Lesenden die Umstände ihres Unfalls, was zur Folge hat, dass man ihr gar nicht anders als mit Mitgefühl und Verständnis begegnen kann. Ihr Kollege Rado steht ihr erst mit großer Skepsis gegenüber, schnell aber lernt er Dora schätzen und sie werden ein eingespieltes Team, das viele Widrigkeiten durchleben muss. Beide zeichnen sich dadurch aus, dass sie aufgrund verschiedener Umstände Außenseiter sind, etwas unkonventionell und nicht zwangsläufig regelkonform arbeiten und trotz allem hartnäckig bleiben.

Die isländische Atmosphäre und Landschaft wird, wie bei vielen Krimiautor:innen der Insel im Nordatlantik, gekonnt in den Kriminalfall eingearbeitet und die Leser:innen fühlen sich vor Ort, gebannt von der kargen und wunderschönen Landschaft und Natur. Auch gesellschaftsrelevante Themen werden eingebracht, so geht es um migrantische Gesellschaften, Geschlechtsidentitäten, Drogensüchte, Skrupellosigkeit, Gewalt und Kindererziehung. Die Spannung steigert und steigert sich und das, trotzdem es einige Zeitsprünge gibt. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen und las es in eineinhalb Tagen aus.

Nichtsdestotrotz muss ich einen Stern abziehen. Die Auflösung des Falles passiert viel zu rasch und wird viel zu rapide und oberflächlich abgehandelt, was dem Ehrgeiz und der Intelligenz des Ermittlerteams diametral gegenübersteht - und vor allem dem dargebotenen Spannungsaufbau und Erzählstil des Autors. Das mag zwar damit zu tun haben, dass es tatsächlich ein offenes Ende gibt und uns ein Cliffhanger vor die lesenden Füße geworfen wird, allerdings hat mich das ziemlich verständnislos hinterlassen... Aber so gut wie der Autor schreibt und es weiß seine Geschichte zu erzählen, kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass der Fall im folgenden zweiten Band der Reihe nicht nicht aufgearbeitet wird. Sollte dies wieder erwarten anders sein, werde ich meine Sternevergabe zwangsläufig nach unten korrigieren müssen.

"Schmerz" ist ein packender und hervorragend erzählter Islandkrimi mit einem schrägen und sympathischen Ermittler-Duo, der es wagt in einem offenen Ende zu münden. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 10.02.2025
Lichtungen (eBook, ePUB)
Wolff, Iris

Lichtungen (eBook, ePUB)


gut

Lev und Kato verbindet ein besonders Band - eine Freundschaft, eine Anziehung und eine Verbundenheit, die bereits seit Kindheitstagen existieren. Während Lev in Rumänien geblieben ist, hat es Kato nach Zürich verschlagen - trotzdem denken sie aneinander. Doch wie hat die Geschichte der beiden begonnen?

Iris Wolff nimmt uns in "Lichtungen" in eine Zeitreise der beiden Protagonist:innen. Das besondere dabei: die Geschichte wird rückwärts erzählt. In neun Kapitel, ausgehend von der Gegenwart, tauchen wir in die Vergangenheit Levs und Katos bis in ihre Kindheitstage. Die Erzählerin folgt dabei Levs Werdegang und seinen Erinnerungen an Kato. Die Sprache der Autorin ist poetisch und das Tempo ist gemäßigt, ruhig, plätschert so dahin. Die einzelnen Kapiteln sind Momente / kurze Ausschnitte des jeweiligen Lebensabschnitts, erst zum Ende - angekommen in der Kindheit Levs - schließen sich so langsam die Kreise und man kann nachvollziehen, weshalb die Autorin die jeweiligen Ereignisse als Erzählung gewählt hat. Besonders schön ist es zu lesen, wie Lev Kato wahrnimmt, mit welcher Liebe, welchen Details und welcher Hingabe. Kato ist speziell und man spürt ihre Warmherzigkeit regelrecht beim Lesen. Die Beschreibungen von Lev selbst hingegen waren für mich eher blass und ich konnte seinen Charaktere über weite Strecken nicht einschätzen. Auch die Beschreibungen Rumäniens, mit den unterschiedlichen Ethnien und der bewegten Geschichte, finden ihren Platz, die Sehnsucht nach Althergebrachten und der freien Welt sind spürbar, bleiben aber für mich trotzdem eher oberflächlich beschrieben.

Für mich war das Buch - vor allem in der ersten Hälfte - ehrlichgesagt eher reizlos. Irgendwie verspürte ich Monotonie, es passierte nicht viel, die uneinschätzbaren Zeitsprünge verwirrten teilweise. Je kindlicher die Kapitel waren, desto mehr konnte ich mit dem Erzählten anfangen. Vielleicht lag es an der kindlichen Naivität, die nachvollziehbarer ist. Vielleicht sollte diese Veränderung zwischen Kindheit und Erwachsensein auch der Kern sein. Komplett einnehmen konnten mich aber leider weder die Figuren oder die Atmosphäre, noch die Geschichte selbst. Ja, die Verbindung zwischen den beiden ist zu spüren, ja, ihre Geschichte erschließt sich rückwärts etwas, aber was die Essenz des Erzählten ist, blieb mir verborgen. Vielleicht hat mir auch die nötige Geduld gefehlt, die die sanft gewählte Sprache einem abverlangt, aber ich konnte den Zauber, den scheinbar viele in "Lichtungen" gefunden haben, nicht erleben.

Bewertung vom 09.02.2025
Von Norden rollt ein Donner (eBook, ePUB)
Thielemann, Markus

Von Norden rollt ein Donner (eBook, ePUB)


sehr gut

Jannes ist 19 und steht in der Tradition seiner Familie - er ist Schäfer in der Lüneburger Heide. Eines Tages entdeckt er Spuren eines Wolfes und schnell wird diese mutmaßliche Bedrohung zum Gesprächsstoff Nummer 1. Während sein Vater langsam aber sicher einer Demenzerkrankung unterliegt und sich mit Hilfe eines völkischen Nachbarn immer mehr in die Wolfsbedrohung hineinsteigert, hat Jannes immer öfter verstörende Begegnungen mit einer Frau, die scheinbar nur er sehen kann. Und auch sein Großvater besinnt sich ob des Wiederauftauchens des ungewollten Tieres seiner Vergangenheit. Bis sich herausstellt, dass alles mit allem zusammenhängt und eine belastende Dunkelheit über der Familie liegt.

Markus Thielemann schafft mit "Von Norden rollte ein Donner" einen höchst atmosphärischen Roman, dessen Tempo die heutige schnelllebige Zeit vergessen lässt, auch wenn das Setting recht gegenwärtig ist (es spielt im Jahr 2014). Der Autor erzeugt mit seinem ruhigen und ausdrucksstarken Schreibstil eine bildhafte Szenerie, stets nimmt man sich in der Heide wahr, sieht auch jene Sachen, die verborgen zu sein scheinen und ahnt recht früh, welche Düsternis die Vergangenheit der Familie überschattet, auch wenn sie es selbst gar nicht weiß. Die Verschränkung der Themen (Alltag in der) Viehwirtschaft, Generationenkonflikte- und Generationenzusammenhalt, Demenz, psychische Erkrankung, Nazi-Vergangenheit & Rechtsextremismus und Overtourism werden hier so selbstverständlich erzählt, dass kein Zweifel aufkommt - diese Geschichte könnte auch wahr sein. Thielemann beherrscht die einnehmende Erzählkunst wie aus dem Effeff, auch wenn die gedrosselte Geschwindigkeit des Erzählten mitunter seine Längen aufweist. Lediglich Jannes wirkt mit seinen 19 Jahren um ein vielfaches älter: zwar werden ihm Freundschaften zugestanden, nichtsdestotrotz bleibt er in seinem Schäferdasein recht einsam, nur die nicht ausgewählte Familie umgibt ihn stetig. Weder gibt es (den Wunsch nach) Liebschaften, noch scheint der Protagonist das Verlagen nach Abwechslung, Party und Geselligkeit zu verspüren, was doch eher ungewöhnlich wirkt. Vielleicht ist es aber auch seine psychische Situation, die ihn wie einen Älteren scheinen lässt. Nur die volle Anerkennung seines Berufsstands und somit seiner Familie liegt ihm am Herzen.

Lange Zeit fragt man sich beim Lesen, in welche Richtung sich die Geschichte wohl bewegen wird, welche Wendungen da wohl auf eine zukommen. Es gibt zahlreiche Andeutungen und Hinweise, der Autor beherrscht es wirklich, sich nicht in Eindeutigkeiten zu verstricken, lässt vieles unausgesprochen, was aber immer klarer wird und darin ist seine Kunstfertigkeit zu erkennen. Von Norden rollt ein Donner ist ein souveränes, langsames und literarisches Buch, das stellenweise langweilt, aber größtenteils durch seine eindrückliche Atmosphäre, den Hauch der Andeutungen, die Verstrickung gesellschaftsrelevanter Themen und den generationsübergreifenden Geschichtserzählungen besticht.

Bewertung vom 26.01.2025
Zitronen
Fritsch, Valerie

Zitronen


ausgezeichnet

August Drach verbringt seine Kindheit in einem Dorf, umgeben von einem gewalttätigen Vater und einer distanzierten Mutter. Dies ändert sich, als der Vater plötzlich verschwindet - nun wird August von der Liebe der Mutter nur so überschüttet, so sehr, dass er dauerhaft krank wird. Schließlich kann er sich aus ihren Fängen entreißen und beginnt ein Leben in der Stadt. Langsam und anhand einer scheiternden Beziehung erkennt er seine eigenen Unzulänglichkeiten - oder auch nicht. Irgendwann jedoch kehrt er zurück in das Dorf um sich seiner Vergangenheit zu stellen.

Ich kann kaum ausdrücken, wie großartig ich Valerie Fritsch's "Zitronen" finde. Die nüchterne Sprache schafft eine ganz eigene Atmosphäre, sie stockt einem den Atem und reißt zugleich enorm mit. Der Hals schnürt sich zu wenn man von der Gewalt des Vaters liest, die er seinem Sohn antut. Dem gegenüber steht die Liebe des Familienoberhaupts zu seinen Hunden, die er liebevoll umhegt - August erkennt diesen Zwiespalt emotionslos aber doch voller Sehnsucht. Herzzerreißend lesen sich die stillen Momente, in der August sich nach Berührungen ereifert. Die Tyrannei scheint vorbei zu sein, als sein Vater spurlos verschwindet, wird aber prompt abgelöst von dem Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom seiner Mutter. Als sie mit dem neuen Lebensgefährten Otto in den Süden auf Urlaub fahren, darf August den schönsten Sommer seines Lebens verbringen, er genießt seine unverhoffte Gesundheit, das Meer und auch die Zugewandtheit Ottos. Nur die Mutter muss Höllenqualen durchstehen, kann sie doch ihren geliebten Jungen nicht mehr umsorgen. Im Schleier verbleibt dann der letzte Rest von Augusts Kindheit. Als Erwachsener schlägt er sich mit Lügen und Betrügen durch, bis er selbst eine Liebe findet, die er erdrückt mit der Gewalt der unvermögenden Liebe. Seine Emotionen wechseln vom Überbordenden über kindlichen Trotz bis hin zur scheinbaren Emotionslosigkeit, es wird klar, dass er sich nie Gelerntes als Erwachsener nur schwer aneignen kann.

Dieses Psychogramm Augusts ist Fritsch so hervorragend gelungen, dass man sich ab und an in der Figur selbst findet, Verständnis hat, wo keines sein sollte und seine Art doch mit Wiederwillen ablehnt. Der Roman ist erzählerisch dicht, er erfordert Aufmerksamkeit, eckt immer wieder an, zieht einen in seinen Strudel. Die Luft ist knapp, der Schleier über der Geschichte kompakt. Unfassbar ist die Kunst, die die Autorin mit ihrer nüchternen Sprachgewalt an den Tag legt. Zitronen ist ein Buch, das nachhaltig in Erinnerung bleibt und trotz aller Grausamkeit durch die hohe Erzählkunst einfach umwerfend ist! Meines Erachtens ein Meisterwerk!

Bewertung vom 25.01.2025
Das geerbte Weingut
Zingerle, Roland

Das geerbte Weingut


gut

Detektiv Heinz Sablatnig staunt nicht schlecht, als er von einem Notar informiert wird, dass er der alleinige Erbe eines Weinguts sein soll. Der Tote ist ihm aus der Vergangenheit ein Begriff, aber der Grund für die unverhoffte Erbschaft ist, dass der Gewesene langsam mit Arsen vergiftet wurde und ihm mit der Erbschaft auch auferlegt, seinen Mörder zu finden. Als Heinz sein Erbe antritt, stößt er selbstverständlich auf viel Widerwillen der Hinterbliebenen. Wer von ihnen wollte den Weingutbesitzer tot sehen? Die Spurensuche verläuft holprig, führt zu einer Bruderschaft und entlarvt einen unerwarteten Tötungsgrund.

Roland Zingerle ist mit "Das geerbte Weingut" ein souveräner Kärntner Regionalkrimi gelungen, der leicht und kurzweilig zu lesen ist, auch wenn er sich streckenweise in die Länge zieht. Ein besonderes Augenmerk legt der Autor auf seine Hauptfigur Heinz, die umfassend beschrieben wird. Auch andere Charaktere werden detailliert gezeichnet. Ebenso erfahren wir viel über die Kärtner Weinkultur und über Weinbau generell. Teilweise hat es den Anschein, als würde der Autor das für ihn neu Gelernte direkt an seine Leserschaft weitergeben. Ein weiteres Manko ist, dass Zingerle traditionelle Rollenbilder unreflektiert weitergibt, indem er beispielsweise die Figur "Marie", 19 Jahre alt und Tochter des Ermordeten, selbstverständlich und ohne Gemurre die Herren der Familie bedienen lässt, sie kocht zur richtigen Zeit und tut so gar nichts für sich selbst Da liegt es auch auf der Hand, dass sie sehr emotional ist und ständig in Tränen ausbricht. Das erscheint in der heutigen Zeit äußerst altbacken und eher weniger mit der Realität zu tun zu haben. Ebenso wird der Bruder des Verstorbenen, der im Rollstuhl sitzt, als dafür bedauernswerte Person geschildert und dem Autor fiel kein anderes Verb für seine Fortbewegung als "rollen" ein. Auch dies mutet unzeitgemäß und unreflektiert an. Auch von einem "geistig Behinderten" zu sprechen, lässt sprachsensible Menschen ratlos zurück. Aber selbstverständlich ist das Ansichtssache, es gibt wohl einige Leser:innen, die sich daran nicht stören mögen. (leider) Sehr verwunderlich ist es weiters, dass die um ihr Erbe betrogenen keinerlei juristische Hilfe in Anspruch nehmen, um sie sich rechtmäßig zurück zu holen. Generell ist fraglich, ob es überhaupt legal ist, dass nahe Verwandte so ganz ohne Erbanteil aussteigen können (hierfür fehlt mir allerdings die juristische Expertise).

Als zusätzliche Handlung, die den Ermittlungen neuen Schwung einhauchen, wird eine Fahne aus dem Büro des Toten gestohlen, die zu einer alten Weinbau-Bruderschaft führt. Für mich hat sich diese Wendung etwas an den Haaren herbei gezogen angelesen und hätte es nicht unbedingt gebraucht. Nichtsdestotrotz habe ich das Buch in weiten Teilen gern gelesen und habe versucht, die sich mir nicht erschlossenen Details außer Acht zu lassen. Was mich aber dann wirklich gestört hat, war die Aufklärung des Falles, da er uns ein Mordmotiv liefert, das zwar überraschend, aber für mich überhaupt nicht glaubwürdig erscheint. Auch hier bedient der Autor Gesellschaftsklischees, die mit der Wirklichkeit nur wenig am Hut haben.

Mein Fazit: "Das geerbte Weingut" ist ein Kärtner Regionalkrimi, der durchaus angenehm und teilweise spannend zu lesen ist, besonders, wenn man etwas über Weinkultur und Weinanbau lernen möchte. Leider konnte mich die Aufklärung des Falles so gar nicht überzeugen und mir waren die von Zingerle vermittelten Gesellschaftsbilder viel zu altbacken.

Bewertung vom 19.01.2025
Nach Ibiza
Hessenthaler, Julian

Nach Ibiza


sehr gut

Jedem politisch interessierten Menschen in Österreich wird jener Tag im Mai 2019 in lebendiger Erinnerung bleiben, als es plötzlich hieß: Strache will die Nation verscherbeln. Durch investigative Journalisten der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht, führte die "Ibiza-Affäre" zum Bruch der Koalition von Türkis-Blau. Bereits kurz danach veröffentlichten die Ostermayer-Journalisten der SZ ein Buch zu den Hintergründen. Nun ist aber jener Mann an der Reihe, seine Version der Geschichte zu erzählen, der hinter dem kompromittierenden Video steckt: Julian Hessenthaler.

Schon kurz nach der Aufdeckung des Skandals wurde er zu einem der meistgesuchten Österreicher, konnte sich aber noch einige Zeit in Deckung halten, bis er schließlich aufgespürt und rund eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft saß. In "Nach Ibiza" lässt uns Hessenthaler, der Sicherheits-Consultant, wissen, wie es aus seiner Sicht zu dem Video gekommen ist, warum es rund zwei Jahre dauerte bis es veröffentlicht wurde und wie er die Jagd auf sich erlebte. Hessenthaler ist kein Schreiberling, dass merkt man bereits an den ersten paar Seiten - die Sprache wirkt teils holprig, teils sehr umgangssprachlich, aber das macht das Gelesene noch authentischer. Hessenthaler gibt auch Einblick in seine Herkunft und wie es ihm vor seiner Sicherheits-Karriere ergangen ist, was seinen weiteren Werdegang erklärt.

Trotzdem wundert man sich häufig über das was man liest. Einerseits schien Hessenthaler, nicht nur bei der Erstellung und Weitergabe des Videos, oft sehr dilettantisch und naiv vorzugehen, andererseits gelang es ihm trotzdem, Vertrauen zu Schlüsselpersonen aufzubauen. Oft schwingt auch ein Stückchen Selbstmitleid mit, obwohl er häufig doch ziemlich viel Glück hatte, betrachtet man die Blauäugigkeit, die ausführlich geschildert wird. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich ihm einiges nicht abnehme, was auch daran liegt, dass Hessenthalers Argumentation teilweise unschlüssig oder wenig glaubhaft ist. Nichtsdestotrotz ist es spannend mitzuverfolgen, wie ihm das Video gelungen ist, wie seine Gefühlslage war, es so lange unter Verschluss zu halten, wie er es verkraftete zum Gejagten und Beschuldigten zu werden. Besonders bemerkenswert ist, wie die österreichische Justiz bzw. Exekutive versuchte, ihn zum Schuldigen zu machen, das Kopfschütteln hört nicht auf, wie Hessenthaler den Prozess beschreibt, der gegen ihn geführt wurde und ihn schließlich verurteilte für Delikte, die er nach seinen Aussagen nicht begangen hat. Und tatsächlich sind die geschilderten Widersprüche im Verfahren unfassbar, auch wenn klar ist, dass hier nur eine Seite erzählt wird.

Wie erwähnt, fand ich es oft schwer, Julian Hessenthaler alles abzukaufen, so wie er es in seinen Worten erzählt. Aber auch wenn man davon ausgeht, dass nur ein Bruchteil des Erzählten stimmt, was ganz sicher der Fall ist, lässt es einen schier sprachlos zurück, denn es führt einem vor Augen, was alles schief läuft in unserem Land. Man wundert sich nicht mehr, weshalb Österreich in den Korruptionsrankings immer weiter nach oben gereiht wird, worüber man sich allerdings sehr wundern darf nach dem Gelesenen, das zwar nicht allzu viele neue Facetten auf die Ibiza-Affäre wirft, aber doch die Gefühlslage des Drahtziehers gekonnt wiedergibt, ist die Tatsache, dass nach all den korrupten Vorhaben, die uns die FPÖ (aber auch die ÖVP) vor nur so kurzer Zeit eingebracht haben, sich diese über einen solchen Wähler:innenzuspruch freuen dürfen. Die Welt ist wohl aus den Fugen geraten. Hessenthaler schließt jedenfalls mit dem inbrünstigen Plädoyer, die Demokratie niemals aufzugeben, sie zu schützen. Hoffen wir, dass viele Menschen sich auf dieses Ansinnen berufen.