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Benutzername: 
kerstin_aus_obernbeck
Wohnort: 
Ostwestfalen

Bewertungen

Insgesamt 63 Bewertungen
Bewertung vom 16.09.2024
Akikos stilles Glück
Sendker, Jan-Philipp

Akikos stilles Glück


gut

Akiko Nakamura lebt in Tokio. Sie ist Ende 20 und arbeitet als Buchhalterin. Seit ihre Mutter vor drei Jahren verstorben ist, hat sie keine weiteren Angehörigen, denn ihre Eltern haben sich früh scheiden lassen, zu dem Vater und zu der Familie der Mutter besteht kein Kontakt.
In ihrer Kindheit und Jugend war Akiko eine Außenseiterin, sie wurde in der Schule gemobbt und hatte keine Freunde. Ihre Mutter führte ein Weinlokal, schon in jungen Jahren wurde Akiko viel Selbstständigkeit abverlangt. Ihre Fantasie, die Fähigkeit sich Geschichten auszudenken waren ihr in dieser Zeit eine Hilfe, und Flucht aus einer mit Angst und Traurigkeit einhergehenden Realität.
Als Erwachsene ist es ihr großer Wunsch und ihr Ziel, nicht aufzufallen und in Ruhe gelassen zu werden. Sie hat einen kleinen Freundeskreis, versucht ein „angepasstes, unauffälliges Leben“ zu leben.
Ihre Freundin und Kollegin Naoko hat sich kürzlich in einer „Solo-Wedding“ selbst geheiratet. Akiko ist von der Idee fasziniert und zieht für sich ebenfalls eine Hochzeit in Betracht.
Eines Abends begegnet sie auf der Straße einem Freund aus der Schulzeit. Sie ist überrascht ihn zu sehen und spricht ihn an. Kento hat sich in den letzten Jahren verändert und lebt sehr zurückgezogen, verlässt oft lange Zeit nicht seine Wohnung und spricht mit niemandem. Ihm erzählt sie von den Heiratsplänen. Kento fragt sie, ob sie sich kennt und ob sie sich mag … und mit diesen Fragen beginnt für Akiko eine Suche nach Antworten und sie begibt sich auf eine intensive Reise.

Shikata ga nai (仕方がない) – diese mit „es lässt sich nicht ändern“ zu übersetzende japanische Redewendung findet sich immer wieder in dem Roman von Jan-Philipp Sendker.
Ich greife sie gern auf, denn es lässt sich leider auch nicht ändern, dass mich der Roman nicht wirklich erreicht hat. Es ist mir nicht gelungen mit den Charakteren warm zu werden und in dieser Geschichte einen roten Faden zu entdecken.

Es passiert viel abseits eigentlichen Geschichte; sei es die Freundin, die über eine Schönheits-OP nachdenkt, die andere, die Love-Hotels aufsucht und Akiko unbedingt einen Mann für eine Nacht aufdrängen will oder gar die Frau in der Bahn, die Geister sehen kann. Beim Lesen habe ich das als unruhig und ablenkend empfunden.

Für mein Empfinden wird die eigentlich schöne Idee der Geschichte von zu viel „japanese way of life“ verdeckt. Ich hatte ein wenig das Gefühl, dass der Geschichte eine Extra-Portion Japan zugefügt worden ist, die eigentlich gar nicht erforderlich gewesen wäre. Ein Hikikomori, ein Mietvater, Solo-Wedding … für mich zu viel des Guten.

Die Leseprobe hat mir gut gefallen, der vollständige Roman ist interessant, hat mich jedoch nicht 100% überzeugen können.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.09.2024
Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21
Lieder, Susanne

Agatha Christie / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.21


ausgezeichnet

„Seit Lucrezia Borgia bin ich die Frau, die am meisten Menschen umgebracht hat, allerdings mit der Schreibmaschine.“ (Agatha Christie)

Bis es so weit ist, dauert es jedoch noch ein paar Jahre, denn Agatha Mary Clarissa Miller möchte eigentlich Pianistin werden. Dem vorhandenen Talent steht jedoch das Lampenfieber im Wege. Ermutigt von ihrer Mutter und motiviert durch eine Wette mit ihrer Schwester Magde, beginnt sie zu schreiben.
Dies ist jedoch nicht der einzige Zeitvertreib der jungen Frau. Mit ihrer Mutter, zu der sie ein inniges Verhältnis hat, ist sie oft auf Reisen und sie liebt es, Bälle zu besuchen und zu tanzen (bevorzugt Tango, Walzer ist nicht ihr Ding). Natürlich kreuzt auch der eine oder andere junge Mann ihren Weg – aber für eine Heirat sind ihr diese alle viel zu langweilig. Es ändert sich, als sie Archibald Christie begegnet, der ihr Leben in vielerlei Hinsicht auf den Kopf stellt.
Neben dem Glück in der Liebe lässt auch der schriftstellerische Erfolg nicht auf sich warten - aber kann es so viel Glück auf einmal geben?

Die Romanbiografie „Agatha Christie“ erzählt aus dem Leben der Autorin in der Zeitspanne von 1908 bis 1928, gegliedert in die Kapitel

1908-1910 Reisejahre
1912-1914 Ambitionen
1917-1920 Einschnitte
1927-1928 Ein neues Kapitel

Dazwischen gibt es Einblicke in den Sommer 1926, in dem Christie nach dem Tod der Mutter den Nachlass in ihrem Elternhaus „Ashfield“ ordnet.

Ich gebe zu, Romanbiografien ansich finde ich nett, jedoch habe ich mich bisher strikt geweigert, ein solchen Buch über Agatha Christie zu lesen, weil ich Bedenken hatte, dass es mich enttäuschen würde.
Darüber hinaus gibt es diese Zeit im Dezember 1926, in der sie verschwunden war. Darüber hat sie nie gesprochen und ich möchte einfach nicht in einer Romanbiografie wilde Spekulationen über das Geschehene lesen – und bin Susanne Lieder dankbar, dass sie davon abgesehen hat, sondern es in ihrem Buch erwähnt und es dann dabei belässt.

Wenn es an diesem Buch überhaupt etwas gibt, was ich nur semi-gelungen finde, dann ist es der Untertitel „In der Liebe suchte sie nach Hoffnung, mit ihren Krimis eroberte sie die Welt“. Mit dem zweiten Teil des Satzes kann ich sehr gut leben, der erste klingt, als ob er bei Rosamunde Pilcher oder sogar Barbara Cartland geräubert worden wäre. Ich habe viel über Agatha Christie gelesen, ohne Frage war sie bestrebt, ein glückliches Eheleben zu führen, geliebt und akzeptiert zu werden – aber „in der Liebe suchte sie nach Hoffnung“ finde ich persönlich eine eigentümliche Formulierung. Aber egal, denn die Geschichte selbst ist toll erzählt und bietet einen interessanten Einblick in das Leben der Queen of Crime.

Das Buch erzählt lebhaft und auf wunderbare Weise aus dem Leben der Autorin, die auch heute zur Recht noch gern und viel gelesen wird. Tatsachen und Fiktion werden geschickt kombiniert, man begleitet Agatha Christie durch ihre frühen Jahre und auf dem Weg zum Erfolg als Schriftstellerin, und erfährt mehr über die Autorin mit dem Faible für Mord und Totschlag.

Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 11.09.2024
Die Unmöglichkeit des Lebens
Haig, Matt

Die Unmöglichkeit des Lebens


sehr gut

Die Unmöglichkeit des Lebens / Matt Haig

Grace Winters ist 72 und pensionierte Mathematiklehrerin. Sie lebt einen unspektakulären Alltag in den Midlands. Ihr Mann Karl ist bereits verstorben, der einzige Sohn Daniel als Kind bei einem Unfall ums Leben gekommen.
Anhedonie bestimmt ihr Leben, Gefühle sind ihr mehr oder weniger abhandengekommen. Sie hadert, da sie einst ihren Mann betrogen hat und glaubt als Mutter versagt zu haben, da sie den Unfall des Sohnes nicht verhinderte.

Unerwartet erfährt sie von einem Anwalt, dass sie von ihrer ehemaligen Kollegin Christina ein Haus auf Ibiza geerbt hat. Es ist nicht genau klar, woran Christina verstorben ist – neugierig macht sich Grace auf den Weg auf die Mittelmeerinsel. Dort angekommen findet sie ein heruntergekommenes Haus und einen Brief vor, in dem Christina sie auffordert, verschiedene Orte und Menschen aufzusuchen, aber auch das Leben und die Zeit auf Ibiza zu genießen und sich zu amüsieren. Auf der Suche nach Informationen über das Leben der Freundin und das Rätsel ihres Todes trifft Grace unter anderem Alberto – und dieser teilt mit ihr ein Wissen und eine Geschichte, die unglaublicher, wundersamer und unvorstellbarer kaum sein könnte.

Wird Grace alte Muster, Denkweisen, sowie Selbstzweifel ablegen können, um sich mutig in ein Abenteuer zu stürzen, einen Neuanfang zu wagen und das Rätsel lösen?

„Du bist nicht da, um vollkommen zu sein. Das ist niemand von uns. Du bist da, um zu leben.“ (S.327)

Mit „Die Unmöglichkeit des Lebens“ nimmt uns Matt Haig diesmal nicht mit in eine Mitternachtsbibliothek, sondern nach Ibiza. Ich bin gut in die Geschichte hereingekommen, Grace mit ihrer eher distanzierten Art ist kein Charakter, der mich sofort für sich eingenommen hat, aber ich habe ihr Denken und Handeln nachvollziehen können. Wenn der Autor von Quantenverschränkungen, biolumineszenten Photonen und irgendetwas, dass außerhalb von Raum und Zeit existiert, aber auch von Blondies „Sunday Girl“, Richard Feynman und Agatha Christies „Der blaue Express“ erzählt, dann ist das mal gut lesbar, an einigen Stellen jedoch auch etwas langatmig.
Ich würde übel spoilern, wenn ich hinsichtlich „La Presencia“ und dem was 1855 auf Ibiza passierte ins Detail gehen würde, als Whovian hat mir dieser magische Aspekt der Geschichte aber gut gefallen.

Matt Haig lässt Grace ihre Geschichte in Form einer E-Mail an ihren ehemaligen Schüler Maurice Augustine erzählen – und die Geschichte ist wirklich abenteuerlich. Grace und besonders Alberto sind interessante Charaktere. Der Autor hat selbst auf Ibiza gelebt und seine Liebe zu der Insel ist deutlich zu erkennen. Die Geschichte erzählt von Verlust, von Abschied, aber auch davon, wie wichtig es ist Mut zu haben, sich selbst zu akzeptieren, sich und anderen Gutes zu tun. Es ist immer die richtige Zeit ist, um an sich zu glauben.

Leseempfehlung!

„Kurzum, Lesen ist Telepathie, und wer liest, reist immer auch durch die Zeit. Es verbindet uns mit allem und jedem, jedem Ort und jeder Zeit und jedem je erdachten Traum.“ (S.217)

Bewertung vom 05.09.2024
Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1
Douaihy, Margot

Verbrannte Gnade / Die Punkrock-Nonne ermittelt Bd.1


gut

Schwester Holiday lebt in einem Kloster in New Orleans, in der dazugehörigen Klosterschule erteilt sie Musikunterricht. Die Nonne ist keinesfalls eine klassische Ordensfrau, ihre Tätowierungen verbirgt sie mit Handschuhen und einem Halstuch, der Punk in ihr gibt nur selten Ruhe, „unkonventionell“ ist quasi ihr zweiter Vorname, der Goldzahn ein unübersehbares Markenzeichen und rauchen muss sie heimlich in irgendwelchen Ecken und Gassen.

Bei einem dieser Rauchausflüge sieht sie, dass es in der Klosterschule brennt – und nicht nur das, während sie näherkommt und helfen will, findet sie den Hausmeister Jack tot auf. Die Polizei übernimmt die Ermittlungen, aber auch Schwester Holiday macht sich auf die Suche nach der Ursache des Brandes und den Täter. Leider können weder die Polizei noch die Nonne einen weiteren Brand und ein nächstes Opfer verhindern.

Getrieben von Neugier und Gerechtigkeitssinn ermittelt Schwester Holiday weiter und begegnet dabei nicht nur den Vorurteilen ihrer Mitmenschen, sondern muss sich auch der eigenen Vergangenheit stellen. Sie stößt auf ein Netz von Lügen, Intrigen, Konflikten und verborgeneren Beziehungen und deckt zahlreiche dunkle Geheimnisse der Klostergemeinschaft auf. Je mehr die Nonne erfährt, desto komplexer wird das Geschehen und ihr Wissen bringt sie immer wieder in Gefahr.

Wird Schwester Holiday das Rätsel lösen?

Margot Douaihy hat mit Schwester Holiday eine sehr ungewöhnliche Protagonistin geschaffen, die eine ganz eigene Art hat, an Dinge heranzugehen. Die Geschichte ist gut lesbar, klug konzipiert und voller unerwarteter Wendungen – und die Auflösung sehr überraschend!

Ich weiß nicht, ob ich jemals einen hinsichtlich der Charaktere derart unkonventionellen Krimi gelesen habe, der jedoch im Aufbau einem klassischen #whodunnit im Stil der #queenofcrime oder Seishi Yokomizo nur wenig nachsteht.

Eine gut erzählte Geschichte, eine kluge und nachvollziehbare Auflösung, die zum Nachdenken anregt und der Humor, insbesondere wenn es darum geht, dass Holiday maximal nonnenuntypisch ist, sind eine gelungene Mischung.
Die Autorin beschreibt lebendig die Klostergemeinschaft und setzt sich auch kritisch mit Religion und den Machtstrukturen der Kirche auseinander. New Orleans habe ich durch den Roman als unfassbar warm und irgendwie düster empfunden. Aber es scheint dort an jeder Ecke Musik zu geben.

Ob Sister Holiday und ich zu alten Punkmädchenschwestern im Geiste werden, kann ich nicht sagen. Mir war sie etwas zu forsch und ihr mitunter ruppiges Auftreten, sowie die „außer mir wird das niemand hinbekommen“-Attitüde habe ich als anstrengend empfunden. Ich halte ihr aber zugute, dass sie aus der Vergangenheit ein ordentliches Päckchen mit sich herumträgt und ihr Weg nicht immer ein leichter war.
Mit den in die Geschichte eingebundenen Zitaten aus der Bibel, habe ich nicht allzu viel anfangen können, aber es passt natürlich zu der Geschichte.

Ich wünsche Schwester Holiday weiterhin interessante Fälle und viele begeisterte Leserinnen und Leser.

Bewertung vom 15.08.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


sehr gut

Oscar Maria Wilhelm Graf von Ebersdorff ist ein Überflieger.
Er ist 16 Jahre alt, studiert im ersten Semester Mathematik und hat seinen Bildungs- und Lebensweg penibel geplant. Die blauen Haare des jungen Mannes lenken nur bedingt von einer Art zu denken, leben und kommunizieren ab, die andernfalls auf deutlich mehr Jahrzehnte auf der Lebensuhr schließen lassen würden.
 
Sein großes Ziel ist es, den Bachelor in Mathematik in 5 Semestern zu erlangen. Der berühmte, mit der Fields-Medaille ausgezeichnete Mathematiker Daniel Johannsen soll ihn bei der Abschlussarbeit begleiten und Erstprüfer sein.
Kontakte zu anderen Studierenden oder gar ein Sozialleben sind in Oscars Plänen nicht berücksichtigt, er geht davon aus, seine Ziele am besten allein und ohne Ablenkungen und Störungen erreichen zu können.
 
Diese Rechnung hat er jedoch ohne Moni gemacht, die mit viel Elan in sein Leben knallt!
 
Monika (Moni) Kosinsky ist 53 und Oscar geht bei ihrer ersten Begegnung davon aus, dass sie sie verlaufen hat und nicht in die Vorlesung gehört. Er ist irritiert von ihrem farbenfrohen Make-up, ihrem interessanten Style und der großen Ikea-Tasche voller unnützer Dinge und denkt, sie sei Sekretärin oder in der Kantine beschäftigt.
 
Moni erfüllt sich mit dem Studium einen Traum. Für die Multi-Jobberin ist es eine riesige Herausforderung, denn ihre Familie, insbesondere die 3 Enkelkinder, erfordern viel Aufmerksamkeit – ohne zu wissen, dass die Frau mit dem Faible für Leoprints die Hochschulbank drückt.
 
Während Oscar es als Einzelkämpfer schaffen will, ist Moni schnell an der Uni beliebt – aber auch zwischen den beiden entwickelt sich nach und nach eine Freundschaft. Oscar erfährt, dass Moni eine Verbindung zu Daniel hat und möchte mehr darüber erfahren. Wird er das Geheimnis lösen?
 
Wären da nicht die verwegenen blauen Haare, hätte mich Oscar an Sheldon Cooper in jungen Jahren erinnert, bei Moni hatte ich ein wenig Rita Kruse vor Augen. Aber die Mischung passt, bietet gute Unterhaltung und liest sich kurzweilig. Über die mathematischen Feinheiten, die sich elegant in die Geschichte einfügen, habe ich zielstrebig hinweggelesen, die Entwicklung der Freundschaft von Moni und Oscar jedoch gern verfolgt.
Monis herzliche, offen und ehrliche Art, sowie ihre Hilfsbereitschaft, auch wenn sie selbst eigentlich kaum Kapazitäten dafür hat, sind einfach wunderbar – und Alina Bronsky erzählt nachvollziehbar, wie der scheinbar bisher stets gut behütete, einen Hauch versnobte Oscar zu einem über den mathematischen Tellerrand hinausdenkenden Studenten wird.
Das Ende ist in vielerlei Hinsicht unerwartet, war für mich war es jedoch passend und okay so wie es ist.
 
In kleinen Anmerkungen finden sich Gedanken der Autorin und eine von Oscar angefertigte Zeichnung von Monis Stammbaum findet sich ebenfalls in dem Buch.

Alina Bronsky hat mit „Pi mal Daumen“ eine charmante Geschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft geschrieben, die ich sehr gerne gelesen habe und die mich gut unterhalten hat.

Bewertung vom 14.08.2024
Das größte Rätsel aller Zeiten
Burr, Samuel

Das größte Rätsel aller Zeiten


ausgezeichnet

Das größte Rätsel aller Zeiten / Samuel Burr

“Solange sie ich zurückerinnern konnte, brachte sie Wörtern eine Wertschätzung entgegen, die mit Worten nicht zu beschreiben war.“ (S.43)
 
Miss Pippa Allsbrook (51) ist die Schöpferin allerfeinster Kreuzworträtsel. Mit dem Ziel Rätselfreunde zusammenzubringen lädt sie am Dienstag, den 7. August 1979 Enigmatologen, Logiker, Trivialisten und Rätselfreunde ein, um die „Gemeinschaft der Rätselmacher“ zu gründen.
 
Pippa ist beruflich erfolgreich, ihr Privatleben hingegen ist überschaubar. Vielen Mitgliedern des Clubs geht es ähnlich und so dient der Club schon bald nicht nur als Ort, an dem gemeinsam gerätselt und berufliche Unterstützung gegeben wird, die Gesellschaft nimmt auch einen wichtigen sozialen Stellenwert ein.
 
Für die 100. Sitzung des Clubs am 22. September 1981 plant Pippa einen Ausflug nach Creighton Hall in Bedfordshire. Das Hotel steht zum Verkauf und Pippa möchte es zum Hauptquartier der Gesellschaft und zu einer WG für die Rätselmenschen machen. Die Idee wird umgesetzt und Creighton Hall wird zu einem Zentrum des Rätselns und der Tüftelei.
 
Im Jahr 1991 überschlagen sich die Ereignisse. Die Gemeinschaft muss Ideen entwickeln, da das gemeinsame Leben finanziell eine Herausforderung ist … und dann wird auch noch vor ihrer Tür ein Säugling ausgesetzt. Die Gesellschaft nimmt sich dem Kind an und es bleibt in Creighton Hall.
 
Als Pippa 2016 stirbt macht sich der inzwischen 25jährige Clayton auf die Suche, um das Rätsel seiner Herkunft zu lösen. Dabei folgt er Hinweisen, die Pippa ihm hinterlassen hat. Die Suche wird zu einer Schnitzeljagd, führt Clayton nach London und Amsterdam, lässt ihn rätselhafte Menschen treffen und manches finden, was er weder erwartet noch gesucht nach. Wird er das Rätsel seiner Herkunft lösen können?
 
„Alle Freunde waren mal Fremde.“ (S.207)
 
Die Idee von einer kreativen und einfallsreichen Wohngemeinschaft kluger Köpfe zu erzählen ist schon ziemlich gut, dies noch mit einer Frage nach der Herkunft des Findelkindes zu verknüpfen, ist einfach richtig genial.
 
Im Prolog wird erzählt, wie Pippa 1991 das Kind vor der Tür findet. Die Geschichte selbst beginnt im Jahr 2016, am Vorabend der Beisetzung von Pippa. Im folgenden 2. Kapitel gründet Pippa 1979 den Club; die Geschichte der „Gemeinschaft der Rätselmacher“ wird jeweils in Rückblenden erzählt, Claytons Suche nach seiner Identität in der Gegenwart – und beide Zeitebenen gehen gut ineinander über.
 
Es hat mir gefallen, dass sich in der Geschichte immer wieder Rätsel finden und es anderweitige Gedankenspiele gibt. NIRELSTEARTROWZUERK als Text auf der Gedenkschleife eines Trauerkranzes ist sicher eher ungewöhnlich und „Old West Action“ ein nettes Anagramm für Clint Eastwood.
 
Ein kleines Highlight waren für mich die Momente von Cilla und Clayton, so wunderbar und schön; überhaupt hat Samuel Burr eine wundervolle Art erste Begegnungen zu beschreiben, sei es Pippa und Nancy, aber auch Clayton und Neil. Und ich liebe die Sanduhr! (mehr wird dazu nicht verraten, nur das Buch selbst zu lesen wird diese Rätsel lösen)

Die Gestaltung des Buches finde ich ebenso passend wie gelungen. „Old British green“ und gold sind genau die Farben, die ich mir für eine Gemeinschaft dieser Art vorstelle.

Samuel Burr erzählt fantasievoll von Freundschaft in vielen Facetten. Die Charaktere sind liebenswert und interessant, die Geschichte ist gut erzählt und toll zu lesen! Ich bin absolut begeistert!
 
Ganz große Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.08.2024
Das Dorf der acht Gräber / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.3
Yokomizo, Seishi

Das Dorf der acht Gräber / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Das Dorf der acht Gräber / Seishi Yokomizo

Nach „Die rätselhaften Honjin-Morde“ und „Mord auf der Insel Gokumon“ gibt es einen neuen Krimi von Seishi Yokomizo, auf den ich sehr gespannt war.

Tatsuya Terada ist Ende 20, er lebt ein einfaches Leben in Kobe. Seine Mutter ist gestorben als er 7 Jahre alt war, aufgewachsen ist er bei seinem Stiefvater, seinen leiblichen Vater oder Verwandte mütterlicherseits kennt er nicht.
Im Mai 1946 wird er in das Büro seines Vorgesetzten gerufen, der ihm sagt, dass mit einem Aufruf im Radio nach ihm gesucht wird. Tatsyua hat keine Idee, worum es gehen könnte. Er wendet sich an den zuständigen Rechtsanwalt und erfährt, dass er der einzig verbliebene Erbe eines großen Vermögens ist. Ebenso groß ist seine Überraschung zu erfahren, dass der Vater seiner Mutter lebt und dieser gekommen ist, um ihn in den Heimatort, das Dorf der acht Gräber, zurückzubringen.
Jedoch kommt es nicht so weit, denn beim ersten Treffen von Großvater und Enkel stirbt der alte Mann. Ein anonymer Brief hatte Tatsuya vorab vor der Rückkehr gewarnt, hätte er diese Warnung ernster nehmen sollen?
Letztlich begleitet ihn eine entfernte Verwandte zurück. Unmittelbar nach seiner Ankunft muss Tatsuya feststellen, dass die Dorfgemeinschaft von seiner Rückkehr überhaupt nicht begeistert ist – sie haben nicht vergessen, dass Tatsuyas leiblicher Vater vor 25 Jahren bei einem Massaker 32 Dorfbewohner getötet hat.

Kurz nach Tatsuyas Ankunft in dem Dorf gibt es einen weiteren rätselhaften Todesfall und nur wenige Zeit später einen dritten Toten. Scheinbar handelt es sich in beiden Fällen nicht um ein natürliches Ableben und schnell ist man überzeugt, dass Tatsuya in die Fußstapfen seines Vaters tritt, dem Dorf Unheil bringt und der Mörder ist.

Kosuke Kindaichi, der eigenwillige, sehr spezielle Ermittler ist zufällig zu Besuch im Dorf der acht Gräber.

„War dieser zerzauste Stotterer, der auf den ersten Blick so ungehobelt wirkte, womöglich verkanntes Genie?“ (S.297)

Gemeinsam mit seinem alten Freund Kommissar Isokawa übernimmt er die Ermittlungen. Wird er die Morde aufklären, bevor die Dorfbewohner ihr eigenes Urteil gegen Tatsuya vollstrecken?


Seishi Yokomizo hat eine faszinierende Art zu erzählen und ähnlich Agatha Christie experimentiert er mit der Erzählperspektive.
In "Das Dorf der 8 Gräber" erzählt Tatsuya Terada auf Anraten von Kosuke Kindaichi rückblickend seine Geschichte:

„Zwar habe ich kein großes Zutrauen zu meinen schriftstellerischen Fähigkeiten, aber ich will ja keinen Roman schreiben, sondern lediglich die ungeschminkte Wahrheit über das, was ich erlebt habe, zu Papier bringen.“ (S.24)

Es fühlt sich beim Lesen tatsächlich an, als ob man der spannenden Erzählung eines Freundes zuhört. Es rückt beinahe in den Hintergrund, dass man einen Krimi liest und dieser nicht aus Sicht des Ermittlers wiedergegeben wird.

„Es hat mich von Anfang an gestört, dass ich dieses Buch nicht aus der Sicht des Detektives schreiben konnte, obwohl es ja ein Kriminalroman ist.“ (S.177)

Aber alles in allem ist es natürlich ein Krimi – und zwar ein sehr guter!

Seishi Yokomizo verbindet gekonnt eine Geschichte aus dem Jahr 1566, ein Blutbad, dass ein Vierteljahrhundert zurückliegt, Aberglaube, sowie japanische Traditionen und das enge Geflecht einer Dorfgemeinschaft zu einem spannenden Krimi.
Seine Beschreibungen sind lebhaft, ich hatte das Gefühl die Figuren in dem Roman gut zu kennen, die Orte, Häuser und Räume vor mir zu sehen. Yokomizos Art zu erzählen macht es dem Lesenden leicht in die Geschichte hineinzufinden.

In dem Prolog wird die Geschichte, die sehr weit zurückliegt, erzählt. In den drei „was danach geschah“-Kapiteln werden die Rätsel erklärt, ein Epilog rundet die Geschichte ab. Ein Personenregister erleichtert die Zuordnung der Personen und ein Glossar vermittelt zusätzliche Informationen zu Land, Leuten und Geschichte.

Seishi Yokomizo hat mit „Das Dorf der acht Gräber“ einen Krimi geschrieben, der mich von der ersten bis zur letzten Seite begeistert und gefesselt hat.

Ganz, ganz große Leseempfehlung!

Bewertung vom 02.08.2024
Don't kiss Tommy. Eine Liebe in der Stunde Null
Graw, Theresia

Don't kiss Tommy. Eine Liebe in der Stunde Null


ausgezeichnet

Ostwestfalen, 1945. Anne arbeitet als Krankenschwester und hofft, dass der Krieg bald vorbei ist, ihre Eltern haben am Kurpark ein Hotel und dieses möchte sie wieder zu altem Glanz führen.
Ein Ende des Krieges und der schweren Zeit wünscht sich auch Rosalie. Sie hat ihre Angehörigen bei dem Angriff auf den Rüstungsbetrieb Weserhütte verloren und blickt in eine ungewisse Zukunft.

Bad Oeynhausen wird letztlich kampflos an die Briten übergeben, die die Stadt zum Hauptquartier der Britischen Rheinarmee machen. Die Innenstadt wird dadurch zur Sperrzone und muss geräumt werden.
Während Anna mit ihrer Familie in eine der Baracken an der Mindener Straße umsiedelt, gelingt es Rosalie in Rehme auf dem Bauernhof von Helmut und seinem Vater unterzukommen.

Anne bemüht sich die Familie zu versorgen. Wie auch andere Oeynhausener versucht sie in der Notunterkunft ein neues Gewerbe aufzubauen, außerdem wird sie als Übersetzerin im Hauptquartier eingestellt.
Neben der Arbeit auf dem Bauernhof hat Rosalie einen Job als Kellnerin im „Victory Club“, dem Offizierskasino im ehemaligen Hotel von Annes Familie.

Die beiden Frauen, einst beste Freundinnen, haben somit beide Verbindungen zu den Briten. Während Anne jedoch immer wieder mit Colonel Michael Hunter aneinandergerät, flirtet Rosalie gern mit den Offizieren.
Es verbindet die jungen Frauen der Wunsch nach besseren Zeiten. Werden sie diese erleben und können sie ihre Freundschaft retten?

Beide Protagonistinnen gefallen mir auf ihre Weise und ihre Geschichten sind so erzählt, dass sie durchaus auf wahren Begebenheiten beruhen könnten.
Das Buch führt den Lesenden in eine Zeit, die voller Hoffnung auf ein gutes Morgen, jedoch auch voller Entbehrungen war. Es ist spannend zu verfolgen, wie die beiden jungen Frauen Mittel und Wege finden, damit es weitergeht und auch, was sie dafür in Kauf nehmen.

Natürlich bin ich etwas voreingenommen, da ich die in dem Buch genannten Orte gut kenne, beim Lesen hatte ich ein wenig das Gefühl, gerade selbst durch die Klosterstraße zu gehen, in Rehme oder an der Werre sein und den Eindruck, Anne und Rosalie gleich zu treffen.

Was für ein großartiges Buch!

Theresia Graw verbindet auf ganz wunderbare Weise die fiktiven Geschichten von Anne und Rosalie, von ihren Wünschen und Träumen mit der realen Geschichte der damaligen Zeit.
Ich bin absolut begeistert!

„Don’t kiss Tommy“ ist eine Geschichte von Freundschaft, Zusammenhalt und wie wichtig es ist, nicht den Mut zu verlieren.

Vielen Dank an die Autorin für diese besondere Geschichte!

Ganz ganz große Leseempfehlung!

Bewertung vom 14.07.2024
Lektionen fürs Leben. Lebensweisheiten aus 100 Werken der Weltliteratur
Piercy, Joseph

Lektionen fürs Leben. Lebensweisheiten aus 100 Werken der Weltliteratur


ausgezeichnet

Lektionen fürs Leben – Lebensweisheiten aus 100 Werken der Weltliteratur / Joseph Piercy

Bücher über Bücher finde ich großartig, sie zu lesen fühlt sich immer ein bisschen wie der Austausch mit einem anderen Buchmenschen an und wenn sich in der Beschreibung zu einem Buch ein Satz wie „von Charlotte Brontë bis Haruki Murakami“ findet, dann bin ich definitiv neugierig.

In der Einleitung „Bekenntnisse einer Leseratte“ erzählt Joseph Piercy von seiner Liebe zum Lesen und von seiner ersten bewussten „erwachsenen“ Leseerfahrung.
Ich kann mich nicht erinnern, was bei mir nach „Hanni und Nanni“ kam, vielleicht habe ich mit Michael Ende den Weg in andere Lesewelten gefunden, ohne Frage haben auch die Bücher, die im Deutschunterricht gelesen wurden, einen Beitrag geleistet.

Seinen Gedanken hinsichtlich des Lesens von Büchern in verschiedenen Lebensphasen kann ich gut nachvollziehen, auch mir ist es schon so ergangen, dass ich ein Buch, dass mich zuvor begeistert hat, mit dem Abstand von Jahren weniger mag – oder ich es umso mehr schätze.

„Aus Büchern lernen wir etwas über das Leben, die Welt um uns herum und die Menschen, die sie bevölkern, und was wir durch sie lernen, erweitert unser Verständnis von uns selbst und anderen.“ (S.15)

Das Buch teilt sich in 5 Kapitel auf:

Liebe & Beziehungen
Mensch & Gesellschaft
Unterdrückung & Kampf
Psychologie & Persönlichkeit
Geschichte & Erinnerung

Jedes Kapitel beginnt mit einer Einführung, dann gibt eine kurze Übersicht, worum es geht und welche Erkenntnis sich aus der Geschichte ergibt. Anschließend erzählt der Autor über das Werk, seine Entstehung, von der Zeit, in der das Buch geschrieben und erschienen ist und manchmal gibt mit einem „schon gewusst“ interessante zusätzliche Informationen.

Am Ende des Buches findet sich ein Register der AutorInnen sowie der Werke.
Joseph Piercy greift auf Werke von „Anna Karenina“ bis „Zimmer mit Aussicht“ zurück. Einige der von ihm genannten Bücher waren mir bekannt, ich habe sie gelesen und sie stehen bei mir im Regal, andere waren mir unbekannt. Bei dem einen oder anderen habe ich auch unmittelbar ein „hurra, ach nee doch nicht“ empfunden, aber ich habe auch Bücher entdeckt, die ich bisher gar nicht auf dem Schirm hatte, auf die ich nun aber neugierig bin.

„Lektionen fürs Leben“ ist sicher keine ultimative Top 100-„must read“-Aufstellung, aber es greift auf viele gute Bücher, ja Klassiker zurück und bringt sie dem interessierten Buchmenschen näher.
Ich habe es von Anfang bis Ende, dann quergelesen, mich im Hin- und Herblättern verloren, meine eigenen Erkenntnisse mit denen des Autors verglichen und eine Liste erstellt, welche Bücher ich nun unbedingt noch lesen möchte.

Das Buch ist ein schönes Geschenk für Leseratten, ebenso fühlt es sich im eigenen Regal sehr wohl.

Mich hat dieses Buch begeistert, es ist ein Buch für Buchmenschen. Es ist klug und unterhaltsam geschrieben und sehr gut lesbar. Großartig!

Bewertung vom 13.07.2024
Lady Churchill / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.2
Benedict, Marie

Lady Churchill / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.2


sehr gut

Geboren 1885 erlebt Clementine Ogilvy Churchill, geb. Hozier aufgrund einer unsteten Mutter eine unruhige Kindheit. Obwohl es finanziell oft eng war, erhält sie die Erziehung eines Mädchens aus der Oberschicht. Sie ist klug und interessiert und dank einer Tante verkehrt sie in den besten Kreisen.
1908 begegnet sie bei einem Bankett Winston Churchill. Sie unterhalten sich und Clementine stellt fest, dass Winston

„…dieselbe Begeisterung und denselben Idealismus in Sachen Politik, Geschichte und Kultur an den Tag legte, die auch ich in mir trug.“ (S.25)

Winston Churchill entstammt einer dem Hochadel angehörenden Familie, er hat politische Ambitionen für die Verstand und Durchsetzungsvermögen ebenso wichtig sind wie eine Ehefrau. Es ist keine Vernunftehe, die am 12.9.1908 geschlossen wird, die Heirat beruht auf Sympathie, gleichen Grundsätzen, Wertvorstellungen und politischen Ansichten.

1909 wird Diana, das erste von vier Kindern geborgen, aber Clementine ist nie nur Hausfrau, Ehefrau und Mutter; an der Seite ihres Mannes unterstützt sie ihn in seiner politischen Arbeit, sie berät ihn, gibt Hilfestellung und gestaltet im Hintergrund seine Karriere mit. Sie drängt sich nicht in den Vordergrund – ist jedoch auch nicht unsichtbar, sondern klug und mit einer eigenen Meinung definiert sie ihre Rolle als Frau eines Politikers und Frau des Premierministers nach ihren eigenen Vorstellungen.

Marie Benedict erzählt die Geschichte einer bemerkenswerten Frau, die mehr als nur „die Frau von“ war. Sie erzählt in Rückblicken aus der Kindheit und Jugend von Clementine, das Buch beginnt am Tag der Hochzeit und endet am 12.5.1945.
Es ist die Geschichte einer emanzipierten und klugen Frau, die für ihren Mann Beraterin, Unterstützerin und Fels in der Brandung war, gleichzeitig Hausfrau und Mutter und die sich dabei selbst nicht verlieren wollte.

„Aber tue ich das nur für das Volk? Oder tue ich es für mich, für mein Selbstwertgefühl? Oder für beides?“ (S.363)

Ein Satz, der die Geschichte, das Leben von Clementine Ogilvy Churchill, geb. Hozier hervorragend widerspiegelt.
Basierend auf geschichtlichen Daten erzählt Marie Benedict fiktiv von einer Frau, die nicht nur hin- und hergerissen, sondern oftmals zerrissen wird von all den Rollen, die ihr das Leben auferlegt und die sie für sich gewählt hat.

Die Zerreißproben gehen immer wieder an ihre Substanz. Ihre Rolle als politische Beraterin, Wegbereiterin und -begleiterin für ihren Mann ist oft ein Drahtseilakt zwischen Überforderung und dem Gefühl, nicht ausreichend involviert zu werden.
Diese Ambivalenz findet sich auch im Familienleben. Clementine und Winston haben beide unruhige, von unsteten Müttern geprägte Kindheiten erlebt. Clementine möchte es besser machen, findet sich jedoch nur schwer in die Rolle als Mutter, ist mitunter lange auf Reisen und dann pikiert, dass die Kinder zu der Nanny ein besseres Verhältnis haben als zu ihr.

Für ihre Zeit war sie eine moderne, emanzipierte Frau. Sie wusste sich zu behaupten, hatte Weitblick. Trickreich führt sie in der jungen Ehe den Haushalt mit kleinem Budget, als ob das Einkommen fürstlich wäre, im Krieg sorgt sie für verbesserte Bedingungen in den Luftschutzbunkern und hält nachts Ausschau nach feindlichen Flugzeugen. Sie geht auf Menschen zu, trifft Staatsmänner und ist Politikergattin durch und durch.

Der Erzählstil von Marie Benedict ist sehr gut lesbar, man ist flott mittendrin im Leben dieser großartigen Frau und erlebt Momente der Geschichte aus ihrer Sicht mit. Ich fand es etwas schade, dass das Buch am 12.5.1945 endet, es wäre sicher auch interessant über die späten Jahre zu lesen. Aber vielleicht gibt es ja irgendwann eine Fortsetzung?

Eine interessante Geschichte über eine außergewöhnliche Frau.