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manjula

Bewertungen

Insgesamt 14 Bewertungen
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Bewertung vom 29.03.2024
Das Schweigen des Wassers
Tägder, Susanne

Das Schweigen des Wassers


sehr gut

Eine fesselnde Geschichte - und auch eine Kriminalgeschichte.

Ein Hamburger Kriminalkommissar, der seine Tochter verloren hat und - auf einem persönlichen und beruflichen Tiefpunkt angelangt - 1991 kurz nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung als polizeilicher „Aufbauhelfer“ an den Ort seiner Kindheit in Mecklenburg versetzt wird. Eine ganz junge Frau, der die Behörden ihre kleine Tochter weggenommen haben und die zehn Jahre, nachdem ihre Schwester ermordet wurde, in die Region zurückkehrt. Und ein reichlich kaputter Bootsverleiher, der sich verfolgt fühlt und dann tatsächlich wenig später ertrunken aufgefunden wird.

In die Whodunit-Story, die sie in dieser Konstellation entfaltet, webt die Autorin sowohl Vor- und Nach-„Wende“-Erfahrungen ihrer Figuren ein, als auch tragische persönliche Schicksale.

Der von lebendigen Dialogen geprägte Schreibstil ist so klar wie das schön gestaltete Buchcover.

Sich in die vielen gebrochenen Charaktere sowie in die Atmosphäre der Zeit und der Region einzufühlen, fällt erstaunlich leicht. Obwohl die Autorin aus dem Westen kommt und die Umbrüche der Wendejahre vermutlich vor Ort selbst nicht im Detail erlebt hat, wirkt die eingefangene Stimmung auf mich authentisch. Ich habe das Buch in kürzester Zeit weggelesen und hätte tatsächlich auch noch weiterlesen wollen, um zu erfahren, wie die Protagonistinnen und Protagonisten sich später entwickeln.

Klare Leseempfehlung für dieses spannende und interessante Buch!

Bewertung vom 07.03.2024
Kosakenberg
Rennefanz, Sabine

Kosakenberg


gut

Die Ich-Erzählerin Kathleen nimmt uns mit auf ihre Flucht aus der brandenburgischen Provinz nach London, und vor allem auf ihre jeweiligen Fahrten zurück zu ihrer Mutter, dem Haus der Familie im fiktiven „Kosakenberg“ und den ehemaligen Freundinnen.

Der Schreibstil der Autorin ist eingängig und zeitgemäß. Ich war schnell begeistert und wollte mehr. Der Roman dreht sich in weiten Teilen um die komplizierte und widersprüchliche Beziehung zum Heimatdorf, zur Mutter und darum, dass die Ich-Erzählerin sehr stark darauf aus ist, sich möglichst weit von dem Leben abzugrenzen, das sie als Kind und Jugendliche geprägt hat. Exemplarisch die Aussage der schon auf die 40 zugehenden Kathleen über Mary Wollstonecraft: „Mir gefiel, … wie sie ihre Herkunft hinter sich gelassen hatte“. Nun ja - lässt Vergangenheit sich mehr als (mit)verarbeiten, lässt sie sich ungeschehen machen? Kann eine Person ihre Herkunft wirklich „hinter sich lassen“ - wie den Schwanz, den ein Salamander bei Gefahr abwirft? Ob es Absicht der Autorin war oder nicht: Kathleen erschien mir am Anfang ideenreich, ihre Wahrnehmungen gut nachvollziehbar, sie bot Potenzial zur Identifikation. Im Lauf der Geschichte fing ich an, ihre Gedankenwelt etwas platt zu finden und sie wurde mir leider unsympathischer.

Dennoch würde ich alles in allem sagen: Die Erfahrungen der Protagonistin werden in diesem Buch gut lesbar geschildert, und auch so, dass sie sich über weitere Strecken nachempfinden lassen. Insoweit ist der Autorin mindestens eine spannende Geschichte vom Erwachsenwerden gelungen.

Bewertung vom 25.02.2024
Nostalgia Siciliana
Di Stefano, Patrizia

Nostalgia Siciliana


sehr gut

Eine schöne, zugleich etwas melancholische und manchmal traurige Reise in die sizilianische und auch die Berliner Vergangenheit.
Die Autorin erzählt darin die Geschichte ihres - von ihr geliebten und vermissten, früh verstorbenen - eigenen Vaters, der zu Beginn der Sechzigerjahre aus Sizilien nach Deutschland gekommen ist, eigentlich mit dem Wunsch, zu studieren. Anfangs in Köln, danach in Berlin musste er sich stattdessen jahrelang mit schlecht bezahlten Jobs in der Gastronomie über Wasser halten, bevor er sich selbst etwas aufbauen konnte; in der „kalten grauen Stadt“, in der er nicht nur mit dem langen harten Winter, dem deutschen Essen und Blümchenkaffee zu kämpfen hatte, sondern auch mit der Ausgrenzung der frühen italienischen Immigranten. Verpackt und in den Zeitebenen verschachtelt ist diese Geschichte in eine Rahmenhandlung, die die Hauptperson Tita - zumindest in Teilen die Autorin selbst - nach 26 Jahren zurück nach Sizilien bringt.
Der Schreibstil von di Stefano lässt sich leicht lesen, vermittelt zugleich viele Emotionen und Eindrücke von Sizilien. Für Italien- und Italienisch-Begeisterte wundervoll sind die vielen sizilianischen Einsprengsel im Text.
Sich in die Hauptakteure einzufühlen fällt leicht. Das Buch habe ich fast in einem weg gelesen. Die Liebe zum Leben in Italien und Berlin hatte daran ihren Anteil, aber eben auch die Erzählerin, die mich in diese Reise in die Vergangenheit und sowohl in Titas als auch in Giannis Gedankenwelt überzeugend mitgenommen hat. Fröhlich, traurig und hoffnungsvoll, herzlich offen und ein bisschen shady, süß und bitter, nie nur das eine, so wie Sizilien, wie Tita vielleicht bemerken würde. Auf der Seite des Aufbau Verlags gibt es übrigens Familienfotos zu sehen, die mich sehr interessiert haben, nachdem ich so intensiv in die Geschichte eingetaucht war.
Was ich als einziges bedaure: Titas Mutter kommt mir in dieser Erzählung ein kleines bisschen zu kurz; auch sie scheint eine beeindruckende Person zu sein.
Ein wirklich schönes, ganz ohne Action-Szenen fesselndes und auch lehrreiches Buch - mit einem tollen Retro-Einband, den die Autorin anscheinend auch gleich selbst gestaltet hat.

Bewertung vom 31.01.2024
Weiße Wolken
Seck, Yandé

Weiße Wolken


sehr gut

Zazie ist Mitte 20, hat gerade ihren Master geschafft und arbeitet im Jugendzentrum. Ihre Themen, die ihr gesamtes Denken und teilweise auch impulsives Verhalten bestimmen, sind Rassismus, Sexismus und Kapitalismus. Sie fragt sich angesichts dessen, ob sie mit ihrem ziemlich vorbildlichen „white boy“, dem Schreiner Max, eine Zukunft haben kann und mit einer Promotion den Weg in die Wissenschaft anstreben soll. Ihre Schwester Dieo, ein paar Jahre älter als Zazie, macht gerade eine Psychoanalyse-Ausbildung, um als Kindertherapeutin zu arbeiten. Mit ihren drei Söhnen zwischen Kita und Mittelstufe ist sie schon seit einiger Zeit im Familienuniversum gelandet. Ihr Ehemann Simon, Anfang 40, hat vor einem Jahr einen Jobwechsel in die Fintech Branche hingelegt, neigt immer mehr zu Midlife Crisis Verhalten wie zweifelhaften Statuskäufen, aber querfinanziert zugleich Dieos Ausbildung und das Leben im schicken Frankfurter Familienkiez. Eigentlich ist Simon ein liebevoller Partner und Vater, aber er räumt sehr häufig seinem Job die Priorität gegenüber familiären Absprachen, die Dieo zeitliche Freiräume für die Ausbildung geben sollen, ein. Damit hadert Dieo.
Das Verhältnis der Schwestern zu ihrer Mutter Ulrike, einer Psychoanalytikerin, die die beiden allein großgezogen hat, ist schwierig. Ulrike agiert ziemlich rücksichtslos gegenüber den Bedürfnissen ihrer Töchter. Auch gegenüber den Bedürfnissen des Vaters von Zazie und Dieo, dem sie Dieo jahrelang vorenthalten hat. Papis, der Vater, ist ein Nietzsche-begeisterter Philosoph, der aus dem Senegal nach Deutschland kam, und arbeitet mit viel Engagement aber anscheinend eher geringem Erfolg als Übersetzer großer Werke.
Als Papis plötzlich stirbt, müssen beide Schwestern nach Dakar fahren. Für Dieo ist es die erste Reise in den Senegal, obwohl ihre Großmutter dort sich schon seit vielen Jahren wünscht, sie überhaupt einmal kennenzulernen. Zazie hingegen war schon ein paarmal da, ist auch schon ziemlich vertraut mit der Familie und dem Leben im Senegal. Für Zazie ist die Reise eine Bereicherung und Vertiefung ihrer in den letzten Jahren schon begonnenen Entwicklung, für Dieo anscheinend (was ich nicht so überzeugend finde) die erste tiefere, vielleicht auch nur die erste bewusst gelebte, Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Teil ihrer Identität.
„Übermächtige Mütter und abwesende Väter gehören zusammen“ - dieser Satz gibt Dieo einen wichtigen Denkanstoß. Dieo bleibt mit ihren Überlegungen überwiegend im Familienuniversum verankert, Zazie widmet sich stärker (identitäts)politischen Fragen. Dieos (und Simons) eher unkritische Haltung gegenüber Zazies Themen führt immer wieder zu Dissonanzen zwischen ihnen, die die Autorin gut auffächert. Auf den Punkt bringt das Dieo irgendwann mit der Frage: „Bin ich die Einzige, die sich hier immer wie eine blöde, ungebildete Hinterwäldlerin fühlt, weil ich diesen ganzen woken BiPoc-pick-me-Kram nicht kenne?“ Was die Autorin nicht thematisiert ist aber die Ironie, dass Zazie zwar u.a. Kapitalismuskritik vor sich herträgt, letztlich aber sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits eine offenbar privilegierte Herkunft hat und letztlich dank ihrer inzwischen eher saturierten Schwester auch von deren Wohlstand und dem ihrer Mutter sowie der Familie ihres Vaters partizipiert.
Die Abschnitte des Buchs werden jeweils abwechselnd aus der Perspektive einer der Hauptfiguren erzählt, was deren Persönlichkeiten und Widersprüchlichkeiten sehr gut herausstellt.
Die Autorin ist selbst Psychoanalytikerin mit Wurzeln an den Orten der Handlung des Romans. Es lässt sich also spekulieren, dass auch ein bisschen Autobiografisches in die Geschichte verwoben wurde. Psychoanalyse ist immer wieder Thema.
Identitätsfindung interessiert mich schon immer. Das war für mich auch der Reiz des Buches: Ein unterhaltsamer Gegenwartsroman, im Hier und Jetzt geschrieben, der aktuelle politische Debatten nicht ausspart. Manches bleibt im Name Dropping hängen, was meinen Erwartungen nicht ganz gerecht wurde; vielleicht auch nicht dem mutmaßlich großen Anspruch der Autorin.
Gut gefällt mir auch das Cover des Buches von Barbara Thoben, die schon einige tolle Buchtitel für KiWi gestaltet hat.

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