Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
leseeule
Wohnort: 
Eisenhüttenstadt

Bewertungen

Insgesamt 27 Bewertungen
Bewertung vom 24.09.2023
Heldenhörnchen und Drachenfreund
Scheffel, Annika

Heldenhörnchen und Drachenfreund


ausgezeichnet

Das kleine Eichhörnchen lebt mit vielen anderen Tieren zusammen auf einer Lichtung. Zum ersten Mal erlebt es den Herbst und versucht es zu verstehen. Die anderen Tiere im Wald sind ihm dabei keine große Hilfe. Erwachsenen ähnlich, nehmen sie die Gedanken des kindlichen Eichhörnchens nicht ernst und sehen mehr über ihn hinweg, als dass sie es wahrnehmen. Ständig wird ihm vorgehalten, was es doch alles nicht weiß. Niemand nimmt sich wirklich Zeit. Durch einen Zufall lernt das kleine Eichhörnchen einen Drachen kennen. Die Waldtiere haben große Angst vor diesem Ungeheuer und beschließen, dass das Eichhörnchen den Drachen fortbringen soll. Es versteht zwar deren Beweggründe nicht, doch um endlich einen Platz in der Gemeinschaft zu erhalten fügt es sich seiner Aufgabe. Während ihrer Reise kommen dem kleinen Eichhörnchen immer wieder Zweifel, ob das was er tut wirklich richtig ist. Als er endlich am Ziel seiner Wünsche angekommen ist, muss es aber feststellen, dass es trotzdem nicht glücklich ist.
Heldenhörnchen und Drachenfreund ist eine sehr poetische Geschichte für Groß und Klein. Die Art und Weise, wie hier Gefühle in kindlicher Logik erklärt werden ist einzigartig. Die Bildhaftigkeit der Sprache ist gewaltig und lädt zum Philosophieren über das wirklich ist ein. Die Geschichte an sich hat mich sehr berührt. Auch wenn das kleine Eichhörnchen nicht immer richtig gehandelt hat, so waren seine Handlungen doch für mich sehr nachvollziehbar. Es war so hin und hergerissen zwischen seinen Gefühlen und Wünschen. Es dachte wirklich, wenn es die Wünsche anderer erfüllt, dass man es dann mehr beachtet. Manchmal ist das was wir uns wünschen, nicht genau das was wir auch wirklichen brauchen. Und am Ende hat es das auch verstanden. Es hat gelernt für sich einzustehen und für andere Verantwortung zu übernehmen. Das kleine Eichhörnchen wusste es eigentlich vorher schon instinktiv aber durch den Druck von außen hat es sich sehr beeinflussen lassen. Die Reise mit dem Drachen hat es innerlich wachsen lassen, da es das erste Wesen war, das es ernst nahm und für wichtig ansah. Es hat viel über sich selbst gelernt. Manchmal ist es wichtiger, wer uns auf einer Reise begleitet, als der Weg oder das Ziel selbst.
Ich habe dieses Buch regelrecht gefühlt. Die Philosophie darin hallt noch lange nach und lässt einen schwer los. Ich empfehle dieses Buch allen, die sich auf das wirklich Wichtige besinnen wollen. Es handelt von Freundschaft, Angst, verschiedenen Arten von Einsamkeit und Mut. Es zeigt, das Zuhause kein Ort, sondern ein Gefühl ist.

Bewertung vom 09.09.2023
Weil da war etwas im Wasser
Kieser, Luca

Weil da war etwas im Wasser


weniger gut

Verworren wie das Spiel der Tentakelarme

Gleich zu Beginn der Geschichte wurde ich in die unendliche Tiefe des Meeres gezogen. Mir bot sich eine unvorstellbare neue Welt, die aufgrund seiner einzigartigen Schreibweise eine psychedelische Umgebung a la Jules Verne in meinem Kopf entstehen ließ. Die Idee, die Geschichte aus der Sicht eines Riesenkalmars zu erzählen empfand ich als sehr innovativ und versprach eine besondere Authentizität. Anfangs noch euphorisiert durch das traumhafte Setting, verlor ich aufgrund der eigenwilligen Erzählweise immer häufiger den Faden. Sobald ich mich wieder einigermaßen in der Geschichte zurecht fand, wurde ich aufgrund zahlreicher Einschübe wieder unterbrochen. Die Dialoge der Tentakelarme machten es mir da besonders schwer. Auch wenn sie Namen hatten, konnte ich sie nicht auseinanderhalten. In Fußnoten drängten sie sich noch mehr in die laufende Geschichte und ich wusste nie, ob es besser wäre diese komplett zu ignorieren oder ihnen zu folgen.
Jeder Tentakel erzählt seine eigene Geschichte, wird von den anderen unterbrochen oder nimmt Bezug auf ein geschichtliches Ereignis. Dazwischen kommen auch menschliche Stimmen zu Wort, die auf spezielle Weise mit dem Riesenkalmar verbunden sind. Auch der Autor selbst schiebt sich selbst in die Erzählung mit. Die einzelnen Erzählstränge sollten eigentlich ein großes Ganzes ergeben, doch konnte ich es nicht ganz finden. In meinen Augen wurde zu viel in diesen Roman gepackt. Auch wenn jedes dieser Themen an sich wichtig ist, so fühlte ich mich doch von der Masse erschlagen. Ich hatte vermehrt das Gefühl ein Sachbuch vor mir zu haben, als einen Roman. Diese vermehrt eingeschoben Sachtexte bezogen sich auf Geschichte, Wirtschaft, Wissenschaft, Umweltproblematik und Nachhaltigkeit. Zu vielem hatte ich einfach keinen Bezug und konnte dementsprechend vieles nicht wirklich verstehen.
Mein Fazit: Dieses Buch hat mich mehr verwirrt als unterhalten. Ich war des Öfteren davor einfach abzubrechen. Die Idee des Autors ist an sich wunderbar. Ich verstand auch, dass alles auf der Welt in Verbindung steht. Dennoch empfand ich es als sehr mühselig mich zwischen Tentakelarmen durch zu schlängeln. Vielleicht war ich einfach nicht die richtige Zielgruppe für diese Art von Roman.

Bewertung vom 30.07.2023
Die Erinnerungsfotografen
Hiiragi, Sanaka

Die Erinnerungsfotografen


sehr gut

Am Ende zählt nur der Moment
Wenn du stirbst, dann zieht dein ganzes Leben an dir vorbei. So oder so ähnlich stellen sich viele ihre letzten Augenblicke im Leben vor. Auch, wenn die Idee dahinter nicht neu ist, hat Sanaka Hiiragi in ihrem Roman diesem Thema eine ganz neue Bedeutung gegeben.
Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte ist ein ganz besonderes Fotoatelier. Es scheint auf den ersten Blick ganz gewöhnlich zu wirken, doch ist es ein mystischer Ort. Hier arbeitet Hirasaki und empfängt seine besonderen Kunden. Diese sind zeitnah verstorben und befinden sich nun in einer Art Zwischenwelt. Um weitergehen zu können, müssen sich seine Kunden aus den Fotografien ihres Lebens, ihre eigene Diashow voller Erinnerungen erstellen. Während dieses Prozesses steht Hirasaki stehts mit Rat und Tat zur Seite. Dabei kann es vorkommen, dass gewisse Fotografien abgegriffen wie Erinnerungen sein können. Hirasaki gibt seinen Kunden die Möglichkeit, zu diesem Tag zurück zu reisen und ihren besonderen Moment erneut aufzunehmen.
In 3 kurzen Episoden erhalten wir einen Einblick in Hirasakis Arbeit und deren Bedeutung dahinter. Ich muss gestehen, dass ich nach dem Besuch der alten Dame ein wenig Sorge hatte, dass es nun langweilig werden könnte beziehungsweise die Handlungen sich zu sehr ähneln würden. Meine Sorgen waren aber unbegründet. Natürlich sind Hirasakis Arbeitsabläufe in gewisser Weise stets gleich, doch macht die Individualität seiner Kunden den Unterschied.
Es kam mir so vor, als würde die Zeit hier wirklich still stehen. Auch wenn das Thema Tod kein fröhliches ist, so fühlte es sich nie schwermütig an. Ich empfand die hier geschaffene Atmosphäre eher heimelig, als würde ich selbst auf eine Tasse zu Besuch sein. Dies lag vor allem an Hirasaki selbst. Er besitzt eine unglaublich ruhige empathische Art. Während er seinen Kunden ihre Erinnerungen wiederherstellt, bleibt sein eigener Hintergrund blass wie eine abgegriffene Fotografie. Sein eigenes Schicksal wird am Ende nur dem Leser in kleinen Details offenbart. Dies machte mich doch traurig, da ich mir wünschte Hirasaki einen Teil seiner Erinnerungen wiedergeben zu können.
Die Idee mit den Fotografien war einfach nur bezaubernd. In unserer heutigen schnelllebigen Welt werden Erinnerungen meist nur noch digital festgehalten und schnell wieder vergessen. Diese aber in den Händen zu halten, macht sie aber wieder viel realer.
Man erfährt nur das Allernötigste über Hirakis Arbeit und dass es anscheinend noch mehr Ateliers dieser Art zu geben scheint. Normalerweise würde es mich stören, nicht mehr über das große Ganze dahinter zu erfahren. Doch hier lag der Fokus auf dem Leben an sich und die Bedeutung des Einzelnen. Daher mochte ich es, dass nicht das gesamte Leben der Verstorbenen beleuchtet wurde und ihr Leben nicht in Schwarz und Weiß unterteilt wurde. Ihr letzter Gedanke sollte eine besondere Bedeutung für sie haben. Es macht mich glücklich zu wissen, dass es die Möglichkeit gibt, mit seinen bedeutenden und vielleicht längst verblassten Erinnerungen von dieser Welt zu gehen. Und dabei zu bemerken, dass das eigene Leben doch nicht sinnlos oder vergeudet war. Es reicht meist eine vermeintlich bedeutungslose Tat, die für andere die Welt bedeuten. Ebenso zeigt diese Geschichte, wie unscheinbare Momente uns unbewusst beeinflussen können.
Es ist erstaunlich wie sehr ein Bild etwas in uns auslösen kann. Man fühlt sich in den Augenblick zurück versetzt, als er entstanden ist. Der Moment von einst ist fast körperlich spürbar mit all seinen Empfindungen, Gerüchen und Geräuschen. Selbst nach Beendigung des Buches ließ mich die Geschichte nicht los. Ich stellte mir selbst die Frage, wie ich entscheiden würde, sollte ich eines Tages in Hirasakis Fotoatelier erwachen. Welche Fotos meines Lebens würde ich für meine letzte Reise auswählen? Vor allem wie würde dieses letzte besondere Foto aussehen, deren Moment ich noch ein Mal rückblickend erleben dürfte?
Was die japanische Literatur ausmacht ist die Tatsache, dass sie sich nicht mit vermeintlich überflüssigen Details aufhält. Sie erzählt auf eine nüchterne Art und dennoch unterschwellig poetisch. Es mag zwar oft unspektakulär wirken, doch berührt mich diese ruhige Direktheit umso mehr. So passierte es, dass mich während des Lesens ein paar Sätze unvorbereitet tief getroffen haben. Für andere mag diese Szene unbedeutend erscheinen, doch mir wird sie noch lange im Gedächtnis bleiben. Am Ende hätte ich mir vielleicht noch mehr Episoden gewünscht, um noch länger in dieser Zwischenwelt zu verweilen.
Ein Buch für alle die das Entschleunigte suchen und sich auf das Wesentliche besinnen wollen.

Bewertung vom 30.07.2023
Genial normal
Sutcliffe, William

Genial normal


sehr gut

Wenn alle besonders sind, dann sind am Ende doch alle gleich
Heutzutage versucht jeder irgendwie besonders zu sein und sich von der Masse abzuheben. Durchschnittlichkeit gilt als verpönt und bedeutet quasi langweilig zu sein. Doch es gibt sie, diese Menschen, die sich damit wohlfühlen und nicht herausstechen müssen. Der 15jährige Sam ist einer von ihnen. Er lebt mit seiner Familie in einer ganz normalen Stadt in England, hat ganz normale Freunde und ist damit mehr als zufrieden. Nur leider ist seine Familie alles andere als normal. Sein älterer Bruder Ethan ist ein begeisterter Musiker und scheint sehr talentiert zu sein. Zusätzlich ist seine kleine Schwester Freya ein kleines Zeichentalent und schreibt dazu Geschichten. Sams Mutter dagegen hat ständig wechselnde Interessen, in denen sie Bestimmung sucht. Sam scheint der einzige talentfreie in der Familie zu sein. Bisher hat ihn dies auch nie gestört, bis sein Vater der Familie eine beträchtliche Geldsumme einbringt und damit Sams bisheriges Leben auf den Kopf gestellt wird. Unerwartet zieht die gesamte Familie in einen noblen Vorort von London. Dies bedeutet natürlich auch, dass Sam seine Freunde verlassen muss und eine neue Schule besuchen muss. Als wäre dies nicht schon schlimm genug, muss es für seine Mutter unbedingt eine Schule für besonders kreativ-begabte Kinder sein. Für einen normalen Jungen wie Sam eine Katastrophe.
Auch, wenn ich eigentlich nicht mehr zur Zielgruppe gehöre, konnte ich mich sehr gut in Sam hineinversetzten. Ich muss gestehen, dass mich Sam wirklich beeindruckt hat. Er ist wirklich ein ganz normaler Teenager, der mit ganz normalen Umständen zu kämpfen hat. Nur dass seine Familie und seine Schule es ihm noch schwerer machen. Der Neue irgendwo zu sein ist schon nicht leicht. Mir selber wäre es glaube auch echt schwer gefallen mich in einer solchen Umgebung einzuleben.
Er hat gelernt nur sich selbst etwas beweisen zu müssen. Denn auch, wenn du etwas besonders gut kannst, macht es dich nicht automatisch zu einem besseren Menschen. Du kannst dich zwar vor anderen verstellen um akzeptiert zu werden aber es macht dich auf Dauer nicht glücklich. Schön war, dass Sam etwas gefunden hatte in dem er gut war aber nicht versuchte sich darüber zu definieren.
Sams Familie gegenüber bin ich doch etwas zwiegspalten. Von außen betrachtet wirkten die Gespräche schon sehr skurril und sehr witzig. Aber je mehr Zeit man in Sams Kopf verbrachte, desto belastender wurde es für mich. Was mich wirklich störte, war die Tatsache, dass sie doch sehr aneinander vorbei leben. Auch wenn der Vater nicht immer präsent ist, so empfinde ich es doch als sehr unglaubwürdig, dass keines der Kinder wusste beziehungsweise daran interessiert war, was ihr Vater beruflich macht. Aber am meisten hat mich die Mutter aufgeregt. Sie scheint sich in einem Selbstfindungsprozess zu befinden, um etwas Besonderes aus sich heraus zu holen. Dabei überträgt sie anscheinend vieles unbewusst auf Sam. Ich meine es ist schon schlimm von seinem sozialen Umfeld das Gefühl zu bekommen ungenügend zu sein. Wenn man dies aber auch noch von seiner eigenen Mutter zu spüren bekommt, sei es auch nur unbewusst, dann macht mich das echt wütend. Mich wundert es wirklich, dass Sam trotz allem so normal geblieben ist. Ich an seiner Stelle wäre längst durchgedreht. Zwar gab es auch einen Moment, in denen seine Geschwister sich für ihn eingesetzt haben. Dennoch hatte ich dabei kein schönes Gefühl, da ihm quasi vorgeworfen wurde, dass seine Probleme (Mobbing) von ihm selbst verschuldet wurden.
Der Schreibstil war sehr faszinierend. Durch die Ich-Perspektive war man direkt an Sams Gefühls- und Gedankenwelt beteiligt. Es wurde alles sehr bildreich geschildert. Für einen 15jährigen hat Sam recht tiefgreifende Gedankengänge. Aber gerade zum Ende hin, wurde es mir doch manchmal zu umgangssprachlich und auch ein bisschen zum fremdschämen. Dennoch gefiel mir der Erzählstil, da er auf der einen Seite sehr humorvoll aber dennoch einen melancholischen Grundton besaß.
Für mich ein sehr inspirierendes Buch über Akzeptanz und die eigene innere Stärke für Jugendliche ab 15 Jahren.

Bewertung vom 07.07.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


sehr gut

Eine Freundin sagte letztens zu mir, dass sie daran glaube, dass es Seelenverwandtschaft wirklich gäbe. Dass zwei Menschen für einander bestimmt seien aber manchmal einfach nicht der richtige Zeitpunkt oder Ort sei. Nicht jede Reise sei dafür gemacht, sie gemeinsam zu bestreiten. Dass diese zwei Menschen dann voneinander getrennt wachsen müssten, um zu denen zu werden, die sie füreinander sein sollten.
So in etwa könnte man die Beziehung der beiden Protagonisten Will und Rosie beschreiben. Ihre ersten Begegnungen haben mich wirklich tief berührt. Es war von Anfang an eine derartige Anziehungskraft zwischen ihnen vorhanden, die sich kaum in Worte fassen lässt. Es ging mir förmlich unter die Haut. Es bestand zwischen den beiden eine Art Intimität, die man nie durch eine körperliche Verbindung erreichen könnte. Doch manchmal reicht dies leider für ein Happy End nicht aus. Dafür hatte jeder von ihnen einfach zu viel Ballast auf seinen Schultern. Ihre unterschiedlichen Lebenswelten und Zukunftspläne, machte die Sache auch nicht gerade leichter. Und außerdem hat das Leben auch noch ein Wörtchen mitzureden und schlug mit aller Härte zu. All dies sorgte dafür, dass es aufhörte, bevor es überhaupt beginnen konnte. Doch ganz stimmt das nicht, denn wenn die Seele sein Gegenstück gefunden hat, dann ist man auf ewig verbunden. Und so passiert es, dass sich ihre Lebenswege zwar trennen aber nie ihre innere Verbundenheit. Über viele Jahre hinweg, kreisen sie wie zwei Planeten umeinander, deren Umlaufbahnen sich ab und an kreuzen und den Sternenstaub des jeweils anderen mit sich tragen.
Doch je mehr Jahre ins Land gingen und mit jedem weiteren Aufeinandertreffen, schlichen sich bei mir immer mehr Zweifel ein, ob zwischen ihnen wirklich die unsterbliche Liebe besteht. Meine eigene Gefühlswelt war eine reine Achterbahnfahrt. Es lag nicht unbedingt an dem ständigen Auf und Ab der beiden, sondern vielmehr an Rosies Verhalten währenddessen. Will und Rosie hatten jeder für sich schon einiges zu verkraften. Rosies innerer Drang es alles Recht machen zu müssen und sich selbst dabei zu verlieren konnte ich noch nachvollziehen. Auch ihr schwerer Verlust machte es nicht besser. Doch hatte ich oft das Gefühl, dass je mehr sie sich für andere aufopfert, sie egoistischer Will gegenüber wurde. Will war ihr in all der Zeit immer bedingungslos gegenüber und hat sie bei allem unterstützt. Er ahnte, wenn sie ihn brauchte und lies für Rosie alles stehen und liegen. Rosie hingegen suchte eigentlich nur Kontakt zu Will, wenn sie ihm von einem wichtigen Ereignis berichten wollte oder ihr Seelenleben in Trümmern lag und er es wie selbstverständlich zusammen kehrte. Oft schlichen sich Worte, wie Notfallplan oder Ankermensch in meine Gedanken. Hielt Rosie an Will so fest, da sie sich bei ihm einfach fallen lassen konnte? War in Will einfach nur die Sehnsucht nach der Vorstellung was hätte sein können? Genau diese Aspekte nahmen mir leider im Laufe der Geschichte die starken Empfindungen, die ich anfangs durch die beiden empfunden hatte. Die Geschichte lebt dennoch vor allem durch seine Charaktere, deren starke Gefühls- und Gedankenwelt gut herausgearbeitet wurden. Die ständig wechselnde Erzählsicht gab mir wirklich das Gefühl, dass sie das was in ihrem Inneren verborgen liegt nur mir preis gaben. Der Schreibstil ist durchgehend schwermütig. Selbst in den kleinen gestohlenen Momenten des Glücks schwang eine tiefgreifende Melancholie mit, die tief in mir etwas zum Klingen brachte. Die teils sehr großen Zeitsprünge waren ein sehr effektives Stilmittel. Durch sie wurde noch deutlicher, dass selbst jahrelange Funkstille ihrer inneren Verbindung nichts anhaben konnte. Dennoch, trotz all der Schwermut, erklang zwischen den Zeilen eine immerwährende Hoffnung, dass am Ende der Nacht, ein für immer möglich sein könnte. Allerdings bin ich mir irgendwie unsicher, ob beide wirklich im sicheren Hafen angekommen sind oder es nicht einfach nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist. Letzten Endes war ich aber froh, dass Rosie es aus eigener Kraft geschafft hat sich weitestgehend selbst zu reparieren und jetzt für sich und ihre Wünsche einsteht.
Eine Geschichte voller Momente, verpassten Chancen und innerer Zerrissenheit. Es war ein Auf und Ab der Gefühle, das ich so noch nie erlebt habe.

Bewertung vom 18.06.2023
Die Wölfe von Pompeji
Harper, Elodie

Die Wölfe von Pompeji


sehr gut

Schattenseite einer leuchtenden Stadt

Wir schreiben das Jahr 74 v. Chr. und befinden uns mitten im alten Pompeij. Jeder kennt diese antike griechische Stadt, die durch einen Vulkanausbruch vollständig zerstört wurde. Man verbindet sie ebenfalls mit Demokratie, Philosophie und Kultur. Doch hinter all dieser zivilisierten Fassade, lauerten Schatten innerhalb dieser Stadt und besonders in den Köpfen der damaligen Menschen. Dieser Roman schildert das unwürdige Leben der Sklaven, insbesondere derer die in die Prostitution geschickt wurden.
Im Zentrum der Geschichte steht die junge Amara. Aufgewachsenen als wohlbehütete Arzttochter, landet sie durch widrige Umstände im berühmt berüchtigten Stadtbordell Pompeijs, der Wolfshöhle. Ein erniedrigendes Leben unter dem grausamen Zuhälter Felix wartet auf sie. Doch statt sich ihrem Schicksal zu ergeben oder gar daran zu zerbrechen, setzt sie alles daran diesem Leben entfliehen und wieder frei zu sein. Immer an ihrer Seite sind 4 weitere Leidensgenossinnen. Die „Wölfinnen“ könnten in ihren Charakteren und Lebensgeschichten nicht unterschiedlicher sein. Jede von ihnen geht anders mit ihrem Schicksal um und war dabei absolut nachvollziehbar. Ihr Leben wird eindringlich geschildert und der harte Alltag wird in all seinen Facetten dargestellt. Trotzt des enormen Konkurrenzdrucks herrscht eine unglaubliche Solidarität zwischen den Frauen, ohne die wohl keine lange durchgehalten hätte. Und auch von anderen Sklaven erfährt man einiges. Es berührte mich sehr, diese Menschen über ein Jahr zu begleiten und ihre Ängste, Leiden, Träume und Hoffnungen zu teilen. Die kleinen unerwarteten oder gestohlenen Momente von Glück, die manchmal schneller platzten als eine Seifenblase waren teilweise genauso schlimm wie all die Grausamkeiten, die sie zu ertragen hatten. Es wird auch ebenfalls gut dargestellt, dass nicht jeder der grausam ist auch so geboren wurde, sondern dass gewisse Umstände eine Persönlichkeit dazu bringen können. Bis zum Schluss blieb es unklar, ob Amara jemals wieder ein freies Leben führen würde. Das Ende kam für mich völlig abrupt. Erst im Nachhinein wurde mir klar, dass dies der Auftakt einer Trilogie sein sollte und Amaras Reise noch nicht zu Ende erzählt ist.
Die Beschreibung des Alltags und der Umgebung empfand ich als sehr lebendig und so konnte ich mir alles viel bildhafter vorstellen. Ob jetzt alles historisch korrekt war, kann ich leider nicht sagen aber es wirkte zumindest alles sehr authentisch. Anfangs tat ich mich wirklich schwer in die Geschichte hineinzufinden. Gleich zu Beginn wurde man so vielen Namen konfrontiert und es war zunächst nicht klar wer wer ist, sodass ich schnell den Überblick verlor. Ich brauchte etwas, um mich zurecht zu finden. Der Sprachstil an sich ist relativ derb gehalten, was aber aufgrund der Umgebung doch passend war. Dennoch war er mir stellenweise zu modern gehalten. Es wird nichts beschönigt aber ich bin froh, dass in vielen Dingen nicht zu sehr ins Detail gegangen wurde. Teilweise war das Unausgesprochene erschreckend genug.
Sprachlich gesehen konnte mich Elodie Harper nicht vollständig abholen, dennoch bin ich neugierig welche Wege das Schicksal für Amara und die Wölfinnen noch vorgesehen hat.

Bewertung vom 21.05.2023
Sieben Männer später
Vine, Lucy

Sieben Männer später


weniger gut

Aufgewärmt schmeckt eigentlich nur Gulasch...
Was wäre, wenn man nur sieben Chancen im Leben bekommt, den richtigen Partner zu finden?
Esther jedenfalls glaubt an diese Theorie. Endlich hat sie eine Erklärung dafür gefunden, warum es beziehungstechnisch einfach nicht bei ihr klappen will und jedes Date in einer Katastrophe endet. Eigentlich ist sie ja glücklich in ihrer kleinen WG mit ihren besten Freundinnen und ihrem Job. Trotzdem ist da die Sehnsucht nach einer festen Partnerschaft. Und so kurz vor ihrem 30. Geburtstag beginnt ihre biologische Uhr immer lauter zu ticken. Wild entschlossen daran etwas zu ändern, macht sie sich auf die Suche nach ihren sieben Ex-Partnern, da einer von ihnen schließlich ihr Mann fürs Leben sein muss. Mir gefiel der Einstieg in die Geschichte sehr und ich mochte Esther und ihre verrückten Freundinnen sofort. Nach den ersten Kapiteln, erwartete ich eine schräg-sarkastische Mischung aus Sex and the City und How I met your Mother. Die Grundidee war wirklich toll und mal etwas ganz anderes. Der Schreibstil war angenehm locker und hatte stellenweise einen wirklich trockenen Humor. In Rückblenden erhält man Einblicke, wie die jeweiligen Beziehungen abliefen und woran es letztendlich scheiterte. Hierbei bekommt man aber zunächst nur Esthers subjektive Wahrnehmung gezeigt, die sich erst im Laufe der Handlung aufklärt. All dies hätte den Roman zu einem echtem Sommerhighlight für mich machen können.
Doch leider hielt meine anfängliche Begeisterung nicht sehr lange. Das Problem lag einfach an der Protagonistin selbst, die in meinen Augen alles ruiniert hat. Von Kapitel zu Kapitel kristallisierte sich immer mehr ihr nerviger Charakter heraus. Anfangs hatte ich noch Mitleid mit Esther, da man schon merkte wie sehr ihr die fehlende Nähe eines Partners zusetzte. Doch je mehr ich von ihr und ihren früheren Beziehungen erfuhr, desto mehr konnte ich verstehen, warum sie immer noch Single war. Betrachtet man die Rückblicke genauer, lässt sich erkennen, dass Esther die Hälfte ihrer Beziehungen eigentlich selbst torpediert hat, da sie mit sich selbst nicht im Reinen war. Ihre stetige Unentschlossenheit und das ständige Hineininterpretieren in alles und jeden war furchtbar anstrengend. Aber nicht nur ihr Beziehungsverhalten machte Esther mir so unsympathisch. Auch als beste Freundin war sie für mich eine unglaublich toxische Person. Sie verrennt sich so sehr in ihre Mission und stellt dafür alles hinten an. Nicht nur, dass sie dadurch vollkommen blind für die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen wird, auch verlangt sie die bedingungslose Unterstützung ihrer besten Freundinnen. Sie verhält sich ihnen gegenüber unfassbar egoistisch und absolut selbstgerecht. Esther badet förmlich in Selbstmitleid und erwartet ihre ständige Anteilnahme. Verhalten sich die anderen nicht so wie gewünscht, dann benimmt sie sich wie ein trotziges Kind, ist nachtragend und wird dann regelrecht verletzend. Sie gönnt wirklich niemandem sein Glück und empfindet alles persönlichen Angriff. Und dass sie am Ende immer noch jeder lieb hat, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Die sogenannten Running Gags machten das Ganze auch nicht besser und gingen mir nach kurzer Zeit wirklich auf die Nerven. Ich war oft davor dieses Buch abzubrechen, da ich beinahe ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln hatte. Doch leider war ich zu neugierig darauf, wer am Ende an ihrer Seite stehen wird. Im Nachhinein hätte es auch gereicht, bis zum letzten Kapitel vor zu blättern. Mit dem Ausgang ihrer Suche konnte ich mich dann wieder anfreunden. Und auch ihr Blick auf dieses ganze Thema hat sich stark weiterentwickelt. Am Ende wirkte die Geschichte auf mich weniger wie eine Liebesgeschichte, als eine Auseinandersetzung mit Esthers eigener Vergangenheit. Man könnte eigentlich sagen, dass alles in ihrer Vergangenheit seinen Sinn hatte. Ohne all diese kleinen und großen Begebenheiten, wäre sie nicht dort wo sie jetzt ist.
Zwischen all den Peinlichkeiten kamen auch gesellschaftskritische Themen zur Sprache, in Verbindung mit wirklich tiefgründigen Gedanken. Auch wenn es wichtig diese anzusprechen, wirkten diese ernsten Worte in all dem kindischen Kontext leider irgendwie deplatziert.
Das Beste an diesem Buch war in meinen Augen einfach der Prolog. Jedes einzelne Wort strahlte so viel Sehnsucht und Hoffnung aus, dass es mich tief berührte. Ich wünsche jedem, der es auch möchte, diesen besonderen Menschen zu finden, bei dem solche Gedanken der Vergangenheit angehören.
Mein Fazit zu der ganzen Geschichte ist leider nicht so wie gehofft. Die Idee, der Aufbau und Schreibstil waren echt gut aber die Protagonistin machte leider alles zunichte. Solch eine Freundin wünsche ich niemandem.

Bewertung vom 08.05.2023
Die Tage in der Buchhandlung Morisaki
Yagisawa, Satoshi

Die Tage in der Buchhandlung Morisaki


gut

Manchmal muss man vom Leben eine Pause machen

Takakos Welt liegt in Trümmern. Ihre Zukunftsträume sind zerplatzt wie eine Seifenblase. Sie fällt in ein tiefes Loch und der Knoten in ihrer Brust nimmt ihr die Luft zum Atmen. Ein Tapetenwechsel scheint da genau richtig, so die Meinung ihrer Familie. Notgedrungen zieht Takako zu ihrem Onkel Satoru in das berühmte Bücherviertel Jinbocho. Dort soll sie erst ein Mal eine Auszeit nehmen und ihrem Onkel in seinem Antiquariat unter die Arme greifen. Da Takako weder ihrem Onkel noch dem Lesen besonders zugetan ist, verkriecht sie sich noch mehr in ihr Schneckenhaus.
Satoshi Yagiawa hat seinen Roman in zwei Teile eingeteilt. Der erste Teil behandelt dabei Takakos Seelenheilung während ihrer Tage in der Buchhandlung Morisaki. Mit Begeisterung begleitete ich Takako auf ihren Streifzügen durch Jinbocho und fühlte ihren plötzlichenunbändigen Drang sämtliche Literatur in sich aufzusaugen. Die Menschen denen sie währenddessen begegnete, waren allesamt sehr charmante Persönlichkeiten. Allen voran ist mir ihr Onkel Satoru besonders ans Herz gewachsen. Seine sehr direkte Art mag nicht jedem gefallen, doch hat genau dies seinen besonderen Charme ausgemacht. Beschäftigt man sich näher mit ihm, dann erblickt man eine unglaublich sensible und loyale Persönlichkeit. Er und alle anderen in Takakos neuem Umfeld trugen auf eine ganz besondere Art und Weise dazu bei, dass sie wieder zu sich selbst finden konnte. In dieser Zeit hat Takako eine starke Entwicklung durchgemacht.
Für mich persönlich hätte die Geschichte hier enden können und ich wäre glücklich gewesen.
Mit dem nachfolgenden Teil konnte ich mich einfach nicht identifizieren. Dieser spielte außerhalb der Buchhandlung und handelt hauptsächlich von Takakos Tante Momoko. Und genau dieser Charakter minderte meine Begeisterung für dieses Buch deutlich. Auch wenn ich ihre Beweggründe in Teilen nachvollziehen konnte, war sie für mich eine wirklich sehr unsympathische Person. Aufgrund ihrer anmaßenden und unhöflichen Art baute sich förmlich eine Mauer in mir auf, die ein Schatten auf die gesamte Geschichte warf. Und genau hier zeigt sich wieder, dass eine vernünftige Kommunikation vieles leichter gemacht hätte. Doch liegt es wahrscheinlich in der Natur des Menschen, sich bei Problemen in Schweigen zu hüllen und somit Dinge unnötig zu verkomplizieren. Auch mit Takako hatte ich in diesem Teil so meine Probleme, da ihre Gedanken mit ihrem Handeln im Widerspruch standen. Außerdem hätte ich erwartet, dass sie viel mehr hinterfragen und gewisse Dinge nicht einfach so hinnehmen müsste. Genau dies habe ich auch bei Onkel Saturo vermisst, der leider in diesem Teil sehr stark in den Hintergrund gerückt ist.
Den Schreibstil von Yagisawa mochte ich sehr. Er erzählt die Geschichte schnörkellos und auf eine sehr direkte Art. Eigentlich passiert gar nicht wirklich viel, dennoch sind es diese kleinen Momente die einen aufgrund von Komik oder Sensibilität berühren. Es sind hier wieder die leisen Töne, die teilweise echt poetisch dahin getragen werden, die die Geschichte zu etwas einzigartigen macht.
Manchmal habe ich mir etwas mehr von allem gewünscht. Mehr von Jinbocho, mehr Bücherzauber und mehr Dialoge. Ich glaube aber, dass es einfach an dem gewohnten westlichen Literaturstil liegt, manches viel zu sehr auszuschmücken. Manchmal ist weniger einfach mehr und lässt einen sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Dieses Buch ist optisch gesehen ein absoluter Blickfang. Das Cover erinnerte mich sofort an die Zeichnungen in den japanischen Mangas. Es wirkte auf mich wie eine persönliche Einladung, mich umgehend auf die Reise dorthin zu begeben, durch Jinbocho zu streifen, sämtliche Auslagen zu durchforsten und mich mit meinen neuen Schätzen in das Zimmer über der Buchhandlung niederzulassen.
Abschließend kann ich sagen, dass mich dieser Roman sehr zwiespältig zurück lässt. Während mich der erste Teil sehr gut unterhalten hat, konnte mich der Rest leider weniger überzeugen. Würde ich den zweiten Teil außer Acht lassen, dann gäbe ich mit Freuden 4 ½ Sterne. Doch leider muss ich das Gesamtergebnis bewerten. Eine Verfilmung des Romans erfolgte bereits 2018, doch bisher nicht auf Deutsch. Sollte es noch dazu kommen, würde ich ihn gern sehen.

Bewertung vom 08.05.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


sehr gut

Orwells Vision
Die Welt in der wir leben lässt schon lange keine Anonymität mehr zu. Wir sind gläserner als je zuvor. Mit jedem Schritt, den wir machen, stehen wir unter Beobachtung und geben mehr preis, als uns bewusst ist. Die Datenkraken freuen sich über unsere Naivität. Verkauft wird uns das Ganze als Verbesserung unserer Lebensqualität und zu unserer Sicherheit. Doch inwieweit darf dieser Sicherheitsgedanke in das Leben eines Einzelnen eingreifen? Wie weit stehen wir wirklich unter Beobachtung? Wie schmal ist der Grat zwischen Allgemeinwohl und Überwachungsstaat wirklich? Genau hier setzt „Going Zero“ an.
Cy Baxter, unumstrittener Medienexperte, hat es sich, aus persönlichen Gründen, zur Aufgabe gemacht die Welt zu 100% sicher zu machen. Dafür geht er mit seiner Firma eine Kooperation mit dem FBI, der NSA und CIA ein. Dadurch entsteht eine bisher nie dagewesene Datenbank, um jeden Menschen zu jeder Zeit, an jedem Ort zu finden und jede Handlung vorhersagen zu können. Um zu beweisen, dass sein Fusion-Projekt all dies leisten kann, startet er den Beta-Test zu Going Zero. Die 10 ausgewählten Kandidaten haben die Aufgabe, für 30 Tage unter dem Radar zu bleiben und nicht auffindbar zu sein. Als Belohnung winken 3 Millionen Dollar. Der Bibliothekarin Kaitlyn Day, bekannt als Zero 10, räumt man die wenigsten Erfolgschancen ein. Sie zu unterschätzen war jedoch ein schwerwiegender Fehler und es beginnt ein rasantes Katz- und Mausspiel.
Ich muss ehrlich gesagt zugeben, dass ich selbst Zweifel hatte, wie eine durchschnittliche Frau, wie Kaitlyn, dazu fähig sein soll sich komplett unsichtbar machen zu können. Charakterlich schien sie auch nicht besonders stark zu sein, um diesem Unterfangen gewachsen zu sein. Genau wie Cy Baxter, bin auch ich meinen Vorurteilen erlegen. Sie war so ambivalent in ihrem Verhalten, sodass ich zwar merkte, dass mehr in ihr zu stecken schien, ich aber die ganze Zeit im Dunkeln tappte. Ihre fast schon zu methodische Flucht und inneren Monologe stand schon sehr im Widerspruch zu dem Bild, das man anfangs von ihr bekam.
Ich habe schon einige Romane mit ähnlichem Inhalt gelesen. Dabei passierte mir nur allzu oft, dass mir das Personenregister zu unübersichtlich wurde und ich häufig nicht mehr wusste, wer eigentlich wer ist. Hier erging es mir zum Glück nicht so und ich konnte somit gut der Handlung folgen. Auch fiel mir positiv auf, dass man auch ohne größere Grundkenntnisse den technischen Details folgen kann.
Mir gefiel ebenfalls, dass der Jagd nach den anderen Zeros ebenfalls Raum gegeben wurde. Zero 1 war mir dabei von allen am sympathischsten. Es war echt spannend zu erfahren, mit welch unterschiedlichen Herangehensweisen die Kandidaten sich vor ihren Häschern zu verstecken versuchten. Fusions Jagdmethoden waren dabei ebenfalls einfallsreich wie auch erschreckend. Ich meine, dass mir ein Großteil der eingesetzten Technik schon bekannt war, aber vieles auch ein völlig neues Level an grenzenloser Überwachung bot und meine Vorstellungskraft sprengte. Mit diesem Wissen ihm Hinterkopf, was wirklich möglich sein könnte, könnte man schlicht paranoid werden. Auch, wenn man nichts zu verbergen hat, möchte doch niemand das Gefühl haben auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Wie weit darf der Wunsch nach Sicherheit gehen? Wer entscheidet was erlaubt ist? Gerade an Cy Baxter lässt sich gut erkennen, dass noch so gute Absichten ganz schnell umschlagen können. Gerade wenn man bedenkt, wie viel Macht sich aus unserer Datenmenge ergibt.
In Bezug auf das Cover bin ich etwas zwiegespalten. Einerseits mochte ich die Idee dahinter, einen Fingerabdruck zu verwenden, der gleichzeitig einem Irrgarten gleicht und einige Blindspots enthält. In meinen Augen ist damit das Thema perfekt getroffen. Nur leider bin ich kein Freund der farblichen Gestaltung.
Die Kapitel sind relativ kurz und in wechselnden Perspektiven geschrieben. Dies gab der Geschichte schon einen gewissen Seriencharakter. Der stetige Countdown sorgte ebenfalls für Spannung. Der Schreibstil war schnörkellos und passte sich der jeweiligen Erzählsicht gut an.
Den Plottwist empfand ich als sehr gelungen und war für mich völlig unerwartet. Zwar brachte er endlich Licht in Dunkel, doch fiel die Spannung danach leider merklich ab. Danach gab es für mich zu viele Zufälle, die irgendwie zu konstruiert wirkten. Der eigentliche Grundgedanke der Geschichte war für mich dann leider dahin.
Trotz der Schwächen zum Ende hin, habe ich mich gut unterhalten gefühlt und gebe eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 16.04.2023
Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


sehr gut

Mit großer Vorfreude ging ich erneut auf die Reise mit der „Pharmacie Littéraire“. Ich ging an Bord, ohne zu wissen, wohin das Schiff mich diesmal bringen würde und als was für ein Mensch ich am Ende ankommen würde. Meines Erachtens ist es wirklich wichtig im Vorfeld „Das Lavendelzimmer“ gelesen zu haben. Es würde auch ohne gehen, doch befürchte ich, dass einem einiges im Bezug auf die Gefühls- und Gedankenwelt einiger Charaktere, sowie deren Handeln verborgen bleiben könnte.
Jean Perdu kehrt nach langer Zeit wieder auf sein Bücherschiff zurück. Es zieht ihn zurück zu seiner Berufung, Menschen in ihren jeweiligen Gemütszuständen, mit Hilfe literarischer Medizin, zu helfen. Er bietet quasi Hilfe zur Selbsthilfe. Dabei heilt er nicht nur die Menschen, die von ihm angezogen werden, sondern auch sich selbst Stück für Stück.

Nina George besitzt einen einzigartigen poetischen und gefühlvollen Sprachstil, auf den man sich aber einlassen sollte, sich treiben lassen und nicht versuchen dagegen anzuschwimmen. Diese besondere Art der Komplexität ist nicht dafür gemacht nebenbei gelesen zu werden. Mal glitt ich auf den Wellen dahin und im nächsten Augenblick wurde ich zurückgeworfen, als würde mir der Mistral entgegen wehen und mich um mich selbst drehen lassen. Ich gebe zu, dass ich ein ums andere Mal meine Gedanken sortieren und einige Abschnitte erneut lesen musste.
Diese Geschichte spricht Gefühle und Gedanken an, die man zwar in sich spürte, aber nie klar benennen konnte. Gibt ihnen Namen und macht sie somit greifbar. Meine neuen Lieblingswörter habe ich hier auch gefunden…“Untiefe Gespräche, Ankermensch, wunderblind…“

Die Charaktere waren allesamt bunt und individuell wie das Leben selbst. Jeder von ihnen war auf seine unperfekte Art und Weise perfekt. All ihre Gedanken, Sorgen und Glücksmomente mitzuerleben, hat mich sehr bewegt.

Es geschieht vielleicht nicht ganz so viel wie in der Vorgeschichte. Die Handlung ist dies Mal überschaubarer, doch muss ja nicht immer alles in große Ereignisse ausarten. Es geht mehr um die leisen Zwischentöne, die dich tief im Inneren berühren und in einem noch lange nach hallen. Genau in diesen Momenten wohnt ein Zauber inne, den man nur selten findet. Und auch, wenn ich mich dieses Mal nicht ganz so sanft auf den französischen Gewässern treiben lassen konnte, kam ich innerlich doch weiter, als zwischenzeitlich gedacht. Es war für mich eine Zeit der Selbstreflexion. Zum einen über meine eigene Beziehung zu Büchern, bei der die „Leseverfassung“ viel dazu beigetragen hat. Und umso mehr über die Bedeutung des Zwischenmenschlichen und die Magie der einzelnen Momente. Die Summe all dieser Augenblicke bzw. „Details“, verwoben aus Liebe, Genuss und besonderen Menschen, öffnen einem die Augen, für das was wirklich zählt. Dem Seelenglück.

Die „Große Enzyklopädie der kleinen Gefühle“ war etwas ganz Einmaliges für mich. Die Verbindung von Literatur und gewissen „Seelen-Maladien“, wurde durch diese einzigartige Sammlung noch einmal hervorgehoben. Jeder einzelne Eintrag passte ausgesprochen gut zum jeweiligen Kapitel. Dennoch brachte es mich, im Hinblick auf die Haupthandlung, stets aus dem Konzept. Wie das nervige Schleusen auf den Kanälen, hielt es mich davon ab, meine Reise ungestört fortzusetzten. Und genau dies war vielleicht auch der Faktor, weshalb ich mich diesmal nicht ganz so zu Hause gefühlt habe.
Dennoch ist es aufgrund seiner Seelenmomente, zu einem Wohlfühlbuch geworden.