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Benutzername: 
Lena
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2024
Der längste Sommer ihres Lebens
Fried, Amelie

Der längste Sommer ihres Lebens


sehr gut

Claudia Berner ist Geschäftsführerin und Erbin eines Autohandels in Meutlingen. Als junge Frau hatte sie ihre eigenen Träume aufgegeben, um in den Familienbetrieb einzusteigen, doch nun mit knapp 50 Jahren möchte sie einen neuen Weg gehen und die Verantwortung für die Firma an ihren Mann übergeben. Claudia beabsichtigt, als Bürgermeisterin in der schwäbischen Kleinstadt zu kandidieren und den konservativen Amtsinhaber zu ersetzen.
Als sie den Rückzug aus ihrer beruflichen Laufbahn verkündet, beginnt ihre bisher vernünftige, gerade volljährig gewordene Tochter Anouk, zu rebellieren, die Schule abzubrechen und sich als militante Klimaschützerin öffentlichkeitswirksam zu engagieren.
Schon bald werden Zweifel laut, ob die Mutter einer solchen Tochter die geeignete Kandidatin für die Aufgabe der Bürgermeisterin ist, während dem Autohandel die Aufträge verloren gehen.

Der Roman handelt im Sommer 2022 in der fiktiven, schwäbischen Kleinstadt Meutlingen und ist überwiegend aus der Sicht der sympathisch engagierten, patenten Claudia Berner geschrieben. Daneben gibt es auch Einblicke in die beiden anderen erwachsenen Hauptfiguren, Matriarchin Marianne und den um seine Position ringenden Ehemann Martin.

Die Geschichte ist politisch und gesellschaftlich aktuell und lebendig geschrieben. Es fällt leicht, sich in Claudia hineinzuversetzen, die als Mutter, Ehefrau, Geschäftsfrau, angehende Politikerin und Frau mit persönlichen Zielen und Träumen zwischen allen Stühlen sitzt.

Themen, die uns alle angehen, werden geschickt mit der Geschichte über eine Familie verknüpft, in der alles zusammenzubrechen droht. Neben der Firma steht die Ehe der Berners und der Verlust der Tochter auf dem Spiel, die sich unnachgiebig und selbstzerstörerisch der Organisation "Fünf nach zwölf" verschrieben hat und zu einer Klimakleberin in den Schlagzeilen mutiert ist.

Die Situation in dem heißen Sommer, was das Gefühl um die Klimakatastrophe untermauert, spitzt sich unaufhaltsam zu. Dabei ist sowohl der Konflikt zwischen den Generationen als auch zwischen den unterschiedlichen politischen Ansichten eindringlich dargestellt. Man versteht die Positionen, auch wenn nicht alle Handlungen dafür gutzuheißen sind.
Die festgefahrenen Haltungen und die Sorgen um die Tochter sorgen für Spannung, wie die Geschichte für jeden einzelnen ausgehen wird. Dabei ist auch die Entwicklung der Charaktere interessant, die sich selbst hinterfragen müssen.

"Der längste Sommer ihres Lebens" ist eine unterhaltsame Geschichte über die drängenden Fragen unserer Zeit, eine Geschichte über Zukunftsängste und die Verantwortlichkeit der Generationen und daneben eine Geschichte über den Wunsch nach Selbstentfaltung, den Mut seine Träume zu leben und die Schwierigkeit, ein guter Mensch zu sein.
Das Buch ist reichlich konfliktgeladen, hat dafür aber ein versöhnliches Ende - für die Familie und jeden einzelnen von ihnen, der sich in dem Sommer entscheidend weiterentwickelt hat.

Bewertung vom 20.03.2024
Schatten im Glashaus
White, Loreth Anne

Schatten im Glashaus


sehr gut

Kit Darling arbeitet als Haushaltshilfe für die Firma Holly's Help in Vancouver, wo sie in den Häusern der oberen Zehntausend sauber macht. Sie ist gründlich und hat einen tadellosen Ruf und konnte bisher immer gut verbergen, dass sie klammheimlich in den Sachen ihrer Arbeitgeber schnüffelt.
Im Haus ihrer neuen Arbeitgeber, Daisy und Jon Rittenberg entdeckt Kit ein kompromittierendes Geheimnis, das sie schockiert und dessen Aufdeckung das Leben des Paares zerstören könnte. Gleichzeitig wird das Wissen gefährlich für Kit, denn für die Bewahrung des Geheimnisses wären Menschen bereit zu töten.
In der Nacht von Halloween ereignet sich ein Blutbad in einem Luxushaus, in dem auch Kit regelmäßig sauer gemacht hat. Die Ermittler finden jedoch keine Leiche, die Eigentümer sind verschwunden und bei der Nachbarin, einer todkranken alten Frau, handelt es sich um eine Zeugin, die regelmäßig die Polizei alarmiert.

Der Thriller handelt auf zwei Zeitebenen, vor und nach dem Mord und wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Der Wechsel erfolgt zwischen den Tagebucheinträgen der Haushaltshilfe und den Perspektiven von Daisy und Jon in der Vergangenheit, während die Handlung immer weiter an die Mordnacht heranrückt. Die Gegenwart erfolgt aus der Sicht der erfahrenen Ermittlerin Mallory van Alst, die den Mord ohne Leiche aufklären muss, während sie sich um ihren Ehemann sorgt, der unter Demenz leidet und über Sterbehilfe nachdenkt.

Schon von Anbeginn ist zu ahnen, dass in diesem Kriminalfall nichts so ist, wie es scheint. Einerseits scheint die Sachlage klar, dass Kit Darling in dem Glashaus ermordet wurde, denn alle Spuren deuten daraufhin und auch der Prolog treibt die/ den LeserIn in diese Richtung. Andererseits kann es aber nicht so einfach und durchschaubar sein, dass Daisy und Jon ihre Haushaltshilfe ermordet haben, um ihr Geheimnis zu wahren, denn das wäre zu offensichtlich und letztlich haben in der Geschichte alle etwas zu verbergen und handeln aus Motiven, die die anderen nicht kennen.

Der Mix aus "Geld regiert die Welt", Erpressung, Rache und dem Wunsch nach Gerechtigkeit macht den Plot aus und wird klug inszeniert. Die Charaktere handeln eigensinnig und skrupellos bis hin zu brutal, wenn es darum geht die eigene Haut zu retten oder andere an den Pranger zu stellen.
Kurze Kapitel und schnelle Szenenwechsel sowie zahlreiche Wendungen sorgen für Dynamik und halten die Spannung hoch. Die Ermittlungen sind nicht detailliert, aber bis auf wenige Details schlüssig und ergänzen den weitaus vielseitigeren Handlungsstrang der Vergangenheit bis es zum großen Showdown - der Mordnacht zu Halloween - kommt und allmählich alle Rätsel um die Figuren und ihre Taten entschlüsselt werden.
Dem Tagebuch der Haushälterin kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, das den Leser aufgrund fehlender Datumsangaben in die Irre leitet, was am Ende ein klein wenig ernüchternd ist.

Bewertung vom 17.03.2024
Kaiserwald Bd.1
Jonuleit, Anja

Kaiserwald Bd.1


ausgezeichnet

Im April 1998 verschwindet Penelopes Mutter Rebecca spurlos. Niemand weiß, ob sie freiwillig gegangen oder ob sie Opfer eines Verbrechens geworden ist. Die Achtjährige wächst daraufhin bei ihren Großeltern im Allgäu auf, gibt sich selbst die Schuld am Verschwinden ihrer Mutter und hofft all die Jahre, dass ihre Mutter noch lebt.
Rebecca arbeitete als Lehrerin und war bei ihren Schülern an der deutschen Schule in Riga sehr beliebt. In ihrer Ehe mit dem untreuen Robert war sie schon lange nicht mehr glücklich und deshalb offen für die Avancen des Vaters einer Schülerin.
25 Jahre später versucht Mathilda den Kontakt zu der adligen Familie Prokhoff herzustellen. Unter Vorgabe falscher Tatsachen schleicht sie sich in deren Leben, verliebt sich in den Sohn der Familie und findet mehr raus, als sie zu ahnen hoffte.

"Kaiserwald" ist Band 1 einer Dilogie, die mit dem Erscheinen von "Sonnenwende" im Herbst 2024 abschließt. Die Geschichte handelt auf zwei Zeitebenen und ist aus verschiedenen Perspektiven erzählt, die die Verbindung der Personen miteinander nicht von vornherein aufdeckt, aber frühzeitig erahnen lässt.

Während sich Rebeccas Perspektive wie ein Tagebuch liest, spricht Penelope einen unbekannten Dritten direkt an, dem sie die Geschichte ihrer Kindheit und Jugend erzählt. Mathildas Sicht der Dinge wird nicht aus der Ich-Perspektive geschildert, weshalb sie am undurchsichtigsten wirkt und ihr Plan zunächst im Verborgenen bleibt.

Die Handlungsstränge der Vergangenheit und Gegenwart sind gleichermaßen einfühlsam und spannend geschildert. Einerseits bleibt lange offen, was mit Rebecca geschehen ist und andererseits fragt man sich, warum Mathilda sogar bereit ist, einen Unfall zu verursachen, um den Prokhoffs nahe zu kommen und was die Familie, die sich für Nachhaltigkeit und Ökologie engagiert, zu verbergen hat.

Die Charaktere sind vielschichtig und bieten Raum für Spekulationen. Gefangen in Konventionen träumt ein Teil von ihnen von einem anderen Leben und jemand anders zu dein. Die Geschichte ist durch ihre Konstruktion aus mehreren Handlungssträngen, die sich allmählich ergänzen und durch Andeutungen, die auf noch Kommendes verweisen, bis zum vorläufigen Ende spannend.

"Kaiserwald" ist ein gelungener Genre-Mix aus Familiendrama, Liebesgeschichte und Kriminalroman und führt den Leser über die späten 1990er-Jahre, über Riga und das Allgäu bis in die Gegenwart nach Berlin.

Das Buch bietet die perfekte Mischung aus unkomplizierter Unterhaltung, leidenschaftlichen Emotionen und einer fesselnden Geschichte, die mit verstörenden Kindheiten, einem Mordfall und (un)heimlichen Machenschaften Privilegierter gewichtige Themen beinhaltet, die einen moralischen Skandal und ein Verbrechen vermuten lassen.

Bewertung vom 14.03.2024
Ein falsches Wort
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


gut

Bergljot hat vor Jahren mit ihrer Familie gebrochen und den Kontakt zu ihren Eltern eingestellt. Mit einer ihrer jüngeren Schwestern steht sie sporadisch in Verbindung, ihre Kinder treffen zu Feiertagen die Großeltern und Tanten.
Das Erbe unter den Kindern sollte in den Augen der Eltern gerecht aufgeteilt werden: die jüngeren Töchter, zu denen eine enge Bindung besteht, erben jeweils eine Ferienhütte, während Bergljot und ihr Bruder Bård dafür ausgezahlt werden. Als Bård jedoch erfährt, dass der Schätzpreis der Hütten zu niedrig angesetzt wurde, bricht ein erbitterter Erbstreit aus, in den Bergljot unfreiwillig hineingezogen wird. Sie wird damit wieder an den Grund ihres Bruches erinnert und dass dieser innerhalb der Familie nicht anerkannt und totgeschwiegen wird. Nach Jahren von Alpträumen und Therapie ist Bergljot bereit, ihr Schweigen zu brechen und die Familie mit der ungeschönten Wahrheit zu konfrontieren.

Auch wenn Bergljots Trauma anfangs nicht direkt benannt wird, wird durch ihr Verhalten und die angsterfüllten Gedanken deutlich, was zwischen ihr und ihrem Vater in der Kindheit vorgefallen ist, was die Mutter ignoriert und was die jüngeren Schwestern nicht miterlebt haben.

Der Roman ist in kurze Abschnitte unterteilt, in denen zwischen Gegenwart und Vergangenheit willkürlich gewechselt wird. Aus Sicht der traumatisierten Ich-Erzählerin, die fast 50 Jahre nach ihren einschneidenden Erlebnissen und 23 Jahre nach dem Bruch mit ihrer Familie, leidet und auf eine Art von Gerechtigkeit, Entschuldigung oder wenigstens Anerkennung hofft, ist die Geschichte sehr intensiv.
Neben dem Erbstreit, der das fragile Familiengefüge belastet, ist Bergljots Trauma und der Vorwurf an Vater und Mutter zentral. Verzweiflung, Angst und Wut stehen im Raum und nehmen Bergljot die Luft zum Atmen.

Auch für den Leser ist die Lektüre anstrengend. Nicht, weil Details aus der Kindheit lautwerden, sondern weil die Seelenqual Bergljots, die Ignoranz ihrer Primärfamilie und der eigentlich lächerliche Streit über den Wert zweier Hütten, so einnehmend sind. Eine aktive Handlung gibt es in dem Roman kaum, die Themen drehen sich im Kreis, in Bergljots Gedanken und in der Auseinandersetzung mit Angehörigen und Freunden.

"Ein falsches Wort" handelt von einem brisanten Thema und der Entzweiung einer Familie. Was kann es Schlimmeres geben, als wenn Kinder nicht einmal in ihrer eigenen Familie sicher sind? Die Schuld kann nur bei den Erwachsenen gesucht werden, das Kind ist immer das Opfer.
Eine Vergebung erscheint aussichtslos, ein Ausweg nur in einem Befreiungsschlag und endgültiger Lossagung möglich.
Durch die zahlreichen - zum Teil wortwörtlichen - Wiederholungen und den willkürlichen Wechsel zwischen Zeiten und Schauplätzen ist das Lesen anstrengend. Als Stilmittel, um Bergljots Trauma nachzuvollziehen, sind die retardierenden und wirren Gedanken nachvollziehbar, als Roman jedoch zäh und ermüdend. Die Geschichte, die sich letztlich auf eine Wut und dem Wunsch nach Anerkennung auf und durch die verbliebenen Familienmitglieder fixiert und retardierend darlegt, wie verfahren und ausweglos die Situation ist, hätte auch auf die Hälfte der Seite heruntergebrochen werden können.

Bewertung vom 13.03.2024
Der Stich der Biene
Murray, Paul

Der Stich der Biene


weniger gut

Dickie Barnes hat einst den florierenden Autohandel seines eloquenten Vaters übernommen. In ihm steckte jedoch nie ein Verkaufstalent und seit es mit der Wirtschaft in Irland bergab geht, ist auch sein Geschäft vom Niedergang betroffen. Seine Frau Imelda, der ihr Status in der Stadt immer so wichtig war, ist enttäuscht. Aufgebracht verkauft sie Möbel und Kleidungsstücke, die sie im Unverstand gekauft hatte. Die Kinder machen sich Gedanken und fürchten das Gerede über den Konkurs in der Stadt. Die ältere Tochter Cass möchte so schnell es geht nach Dublin, um zu studieren, muss aber erst noch den Schulabschluss bestehen. Ihre bisher guten Noten torpediert sie allerdings durch Alkoholexzesse in den örtlichen Pubs. Ihr jüngerer Bruder PJ spürt die Spannungen in der Familie und fürchtet, aufs Internat geschickt zu werden. Sein Plan ist es, abzuhauen, um die Eltern wach zu rütteln.

Die Geschichte wird in langen Kapiteln aus den Perspektiven aller Hauptfiguren geschildert. Während zunächst nur auf die Anführungszeichen der wörtlichen Rede verzichtet wird, erfolgt aus der Sicht von Imelda überhaupt keine Interpunktion mehr. Der Sinn dahinter erschließt sich nicht und macht mitsamt der vulgären Ausdrucksweise den Inhalt nicht besser.

Positiv betrachtet, entwickelt sich das Buch unvorhersehbar. Es ist nicht erkennbar, in welche Richtung der Autor führt. Negativ betrachtet, ist die Geschichte ziellos, hängt lose an den Folgen der Finanzkrise für die Familie Barnes, so dass es schwerfällt, nicht nur quer zu lesen.

Die Charaktere sind nicht sympathisch und auf sich selbst bezogen. Auf diese Weise verbinden sich die einzelnen Abschnitte aus den unterschiedlichen Perspektiven kaum. Die Familienmitglieder interagieren wenig miteinander. Die Teenager, die unsichere, kluge Tochter und der nerdige Sohn rebellieren, die Eltern, die schöne, materialistische Mutter und der unbeholfene Vater, haben ihre eigenen Geheimnisse.
Der Anfang aus Teenagersicht zwischen Computerspielen, Drogen, Sex und toxischen Freundschaften ist anstrengend und retardierend. Interessanter sind die Perspektiven der beiden Erwachsenen, die überwiegend Rückblenden enthalten, die die Vergangenheit beleuchten und Details zur Familiengeschichte und die Geheimnisse von Dickie und Imelda preisgeben.
Als die Perspektiven in einem zweiten Anlauf schneller zwischen den Hauptfiguren wechseln, wird die Geschichte dynamischer und entwickelt doch noch das lang ersehnte bisschen Spannung. Die Erzählweise erfolgt sodann aus der Du-Sicht und unterstreicht, dass die Charaktere alle neben sich zu stehen scheinen. Auch wenn die einzelnen Abschnitte weiterhin nur lose miteinander verknüpft sind, verfolgt man, wie die Familie auf eine Katastrophe zusteuert. Jeder einzelne Charakter entwickelt, geleitet von irritierenden Gefühlen, ein selbstzerstörerisches Verhalten, das kein gutes Ende nehmen kann.

Bei dem Buch ist Durchhaltevermögen verlangt. Es ist insgesamt zu ausufernd, da lange nichts Reizvolles passiert. Erst auf den letzten 150 von 700 Seiten wird die Geschichte lesenswerter, verstörender und dramatischer. Und als man sich auf ein packendes Finale freut, vergeigt es der Autor komplett, indem er die endlich interessant gewordenen Handlungsstränge rüde abwürgt und dem Leser nur noch wirre Gedanken der Hauptfiguren entgegenschleudert und die Geschichte ohne ein Ende beendet.
"Der Stich der Biene" handelt von Menschen, die auf der Verliererseite des Lebens stehen und sich ihr eigenes Grab zu schaufeln scheinen. Die euphorische Beschreibung als "unwiderstehlich witzig und weise" kann ich nicht teilen, denn humorvoll ist weder die Art der Darstellung noch sind es die Schicksale der Charaktere.

Bewertung vom 12.03.2024
Wort für Wort zurück ins Leben
Miller, Beth

Wort für Wort zurück ins Leben


gut

Pearl Flowers lebt zusammen mit ihrem Mann Denny in einem Cottage im Wald bei Sévérac-le-Chateau in Frankreich. Sie sind zufrieden mit ihrem gleichförmigen Leben zu zweit, als ein Anruf von Pearls älterem Bruder Greg die Routine durchbricht und ihr mitteilt, dass ihr Vater Francis im Sterben liegt. Pearl hat ihren Vater, der die Familie verlassen hatte, um eine andere Frau zu heiraten, seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Dennoch beschließt sie, nach England zu fahren.
Pearl hat nicht mehr die Gelegenheit mit ihrem Vater zu sprechen, erbt neben einem kleinen Geldbetrag jedoch seine Tagebücher, die er seit über 30 Jahren geschrieben hat. Auch wenn ihre Brüder und ihr Mann sich Sorgen um die zerbrechliche Pearl Sorgen machen und Francis neue Familie das Erbe anfechtet, beginnt Pearl die Aufzeichnungen in Kurzschrift zu lesen und kommt zu Gewissheiten - auch über sich selbst.

"Wort für Wort" zurück ins Leben ist eine sanft erzählte Geschichte, in deren Mittelpunkt eine Frau steht, die sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat, um sich vor Verletzungen zu schützen. An ihrer Seite ist ein treuer Ehemann, der vereinnahmend überbehütend und bevormundend ist, woran Pearl sich gewöhnt hat.
Nach der Testamentseröffnung setzt sich Pearl über alle Einmischungen hinweg und widmet sich den Tagebüchern ihres Vaters - ein Vermächtnis über sein Leben - das überraschend auch Details über Pearls Leben beinhaltet, was sie gleichzeitig schockiert und berührt.

Ein weiterer Erzählstrang, der im Klappentext nicht erwähnt ist, handelt von Caroline Haskett aus Bristol, einer jungen Frau, die ihrer Mutter auf dem Sterbebett versprechen musste, Pearl zu kontaktieren.
Auch wenn Carrie durch ihre todkranke Mutter und die Trennung vom Vater ihres Kindes das Glück auch nicht gepachtet zu haben scheint, ist diese Perspektive weit weniger schwermütig zu lesen, als die Sicht von Pearl. Carrie ist ein Mensch, der mit beiden Beinen im Leben steht und sich nicht so leicht unterkriegen lässt. Ihr Geplänkel mit ihrer kleinen Tochter Emmie und selbst ihrem Exfreund Ian sind erfrischend und herzlich.

Wie Pearl und Carrie zusammenhängen, erfährt man nach der Hälfte des Romans. Die Offenbarung ist überraschend und nur ein weiteres Puzzlestück, das neugierig macht, die gesamte Geschichte von Pearl zu erfahren.

Der Roman handelt von einer Entfremdung und einer späten Annäherung, von Reue und Vergebung, von Trauer und Einsamkeit, von zweiten Chancen und Selbstbehauptung.
Die Aufzeichnungen in den Tagebüchern von Francis werden nicht im Detail dargestellt und spielen eine geringere Rolle, als erwartet. In den Fokus rücken die Charaktere und ihre verletzten Gefühle, ihr emotionaler Ballast und ihre Täuschungen, Lügen und Geheimnisse, die die langsam erzählte Geschichte allmählich vorantreiben.
Allerdings überwiegt so viel Ungesagtes und Misstrauen untereinander und die Handlungen der Charaktere sind wenig nachvollziehbar, dass die Geschichte holprig wirkt und von zu vielen Dramen und Geheimnissen dominiert ist, dass die Familienkonstellation schon fast toxisch wirkt. In der Vergangenheit wurde viel falsch gemacht und in der Gegenwart ist das Verhalten der Figuren ähnlich (ent)täuschend. Weder der schwache Francis noch das "graue Mäuschen" Pearl sind Identifikationsfiguren, die übrigen Familienmitglieder bleiben Statisten.

Anders als in der Beschreibung des Verlags erfährt man fast nichts über die Vater-Tochter-Beziehung und auch bleiben Wärme und Witz in der Geschichte weitgehend aus. Die Familiengeschichte basiert einzig auf Lügen, was ihr den Charme nimmt. Zudem entwickelt sich die Geschichte nach einem altbekannten Schema, in dem erst jemand sterben muss, bevor ein Stein ins Rollen gebracht wird. Hier sind es direkt drei Annäherungen zwischen den Generationen, wovon mindestens eine zu viel ist.

Bewertung vom 12.03.2024
Gestehe
Faber, Henri

Gestehe


ausgezeichnet

Johann "Jacket" Winkler ist Ermittler beim Wiener LKA, trägt aber seit der Aufklärung eines spektakulären Kriminalfalls und der Veröffentlichung eines erfolgreichen Thrillers auf Grundlage desselbigen mehr sein prominentes Gesicht werbewirksam spazieren, als seine Zeit mit Polizeiarbeit zu verbringen. Als sich in seiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Mord ereignet, ist er als einer der ersten am Tatort. Ihn erwartet eine grausam zugerichtete Leiche, wobei ihn die Umstände der Tat an sein neues Manuskript erinnern - eine Fortsetzung seines Debüts, das noch unveröffentlicht ist. Jacket ahnt deshalb, dass sich der Mörder nicht mit einer Tat abfinden wird.
Mohammed "Mo" Moghaddam ist ebenfalls Ermittler bei Leib-Leben, hat jedoch noch nie einen Fall aufklären dürfen. Als Polizist mit Migrationshintergrund blieb er im Hintergrund und hat sich bisher nur mit akribischer Verwaltungsarbeit einen Namen gemacht. Er wird in dem Mordfall zum Stellvertreter Jackets ernannt und ihm graut vor der Zusammenarbeit mit dem Aufschneider.

"Gestehe" ist ein Thriller der abwechselnd aus den Perspektiven von Jacket, Mo und "Er" geschrieben ist, wobei es sich bei "Er" um den Mörder handelt, der offenbar nach Manuskript mordet.
Jacket und Mo sind wie Tag und Nacht, zwei ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, die auch ganz unterschiedliche Herangehensweisen an die Aufklärung des Mordfalls haben, insbesondere da Jacket persönlich involviert ist.
Jacket ist kein Sympathieträger, ein eingebildeter, arroganter Wiener Schnösel, der die Polizeiarbeit offenbar nur noch als Hobby sieht. Im Verlauf des Romans offenbart sich jedoch auch eine weiche Seite, so dass er nicht zu eindimensional erscheint. Mo hat es als gebürtiger Wiener mit persischen Wurzeln schwer innerhalb des Polizeiapparats und wird zwar aus anderen Gründen, aber wie Jacket von den Kollegen nicht ernst genommen.

Die Beschreibung der Charaktere, deren Persönlichkeiten die Fallaufklärung prägen, ist sehr unterhaltsam, sarkastisch, humorvoll und bitterböse. Durch Mos Situation, den Rassismus hinter vorgehaltener Hand und den Rechtsruck in Österreich erhält der Roman neben den Ermittlungen zu den blutrünstigen Morden eine zusätzliche, politische Note, die ihm noch mehr Gehalt gibt.
Durch die Perspektive des Mörders ist man als Leser den Ermittlern einen Schritt voraus und kann wie Jacket die Bezüge zu dem Manuskript seines neuen Buches erkennen. Um wen es sich bei dem Täter handelt und welches perfide Spiel er mit Jacket treibt, bleibt lange ungewiss und lässt selbst Jacket am eigenen Verstand zweifeln.
Die Auflösung wird spannend inszeniert, folgt in kurzen Wechseln der Perspektiven und gipfelt in einem actiongeladenen Showdown, der jedoch noch lange nicht das Ende markiert.

"Gestehe" ist eine gelungene Mischung aus Kriminalroman und Thriller, die wendungsreich ist und sowohl durch einen gut konstruierten Mordfall als auch interessant gezeichnete, vielschichtige Hauptfiguren überzeugt. Nur das Ende empfand ich für einen Thriller etwas zu happy und die abrupte Wandlung der Charaktere hätte nicht so umfangreich sein müssen.

Bewertung vom 10.03.2024
Neunzehn Stufen
Brown, Millie Bobby

Neunzehn Stufen


gut

Im Herbst 1942 wird London immer wieder von Luftangriffen bedroht. Nellie Morris und ihre Familie suchen regelmäßig Zuflucht in der nahe gelegenen U-Bahn-Station Bethnal Green. Der Krieg hat sie mürbe gemacht, aber die Familie, vor allem ihre jüngere Schwester Flo, sowie ihre Arbeit als Sekretärin bei der Bürgermeisterin Mrs. Bolton geben Nellie Halt und eine Aufgabe.
Durch einen Zufall lernt sie den amerikanischen Pilot Ray Fleming kennen und verliebt sich auf den zweiten Blick in ihn. Beide träumen sie von Frieden und Freiheit und davon, die Zukunft gemeinsam zu verbringen.
Doch im Frühjahr 1943 kommt es in London zu einem tragischen Ereignis, das für Nellie alles ändert und das sie sogar ihre Liebe zu Ray in Frage stellen lässt.

"Neunzehn Stufen" ist inspiriert von der Lebensgeschichte der Großmutter der Autorin. Es ist ein dramatisches Zeitzeugnis, eine stürmische Liebes- und bewegende Familiengeschichte.
Wie viel des Romans Fiktion ist und wie viel auf wahren Begebenheiten beruht, wird nicht erläutert. Tatsache ist jedoch, dass sich die erschütternde Katastrophe von Bethnal Green im März 1943 ereignet hat und für viele Londoner zu einer der schmerzvollsten Nächte des Zweiten Weltkrieges wurde.

Die Geschichte wird lebendig in einfachen Worten erzählt. Die Liebesgeschichte entfaltet sich sehr rasch und euphorisch und überrascht am Ende nicht mit ihrer Dramatik. Die Charaktere sind allesamt liebenswert, gutherzig, verständnisvoll und damit arg flach und eindimensional. Die Liebesszenen werden blumig und kitschig beschrieben. Durch die Schicksalsschläge, die Nellie erleben muss und ihre inneren Kämpfe zwischen Trauer, Verantwortung, Schuld und Vergebung erhält der Roman mehr Gehalt.

Es ist ein historischer Roman, der gut unterhält und mit der Hauptfigur Nellie mitleiden lässt, der aber weder erzählerisch noch inhaltlich etwas Neues bietet und trotz des Hintergrunds der Geschichte der eigenen Familie bzw. Großmutter Ruth reichlich unpersönlich bleibt.

Bewertung vom 08.03.2024
Wir werden jung sein
Leo, Maxim

Wir werden jung sein


gut

Der Wissenschaftler Martin Mosländer forscht an einem Medikament zur Behandlung von Herzmuskelschwäche und teste das Resultat an vier Probanden, sich selbst und seinem Hund aus. Der frisch verliebte jugendliche Jakob hat plötzlich Erektionsstörungen, die ehemalige Profischwimmerin bricht überragend einen Rekord bei einem Benefizschwimmen, Jenny wird nach einer erfolglosen Kinderwunschbehandlung auf natürlichem Weg schwanger und der dem Tod geweihte Patriarch und Immobilienmogul Karl Menger sieht sich nun doch nicht gezwungen, sein Leben vorzeitig zu beenden.
Die Nebenwirkungen des neuen Medikaments verursachen eine Verjüngung der Zellen, was nicht nur die Medien, sondern auch den Deutschen Ethikrat auf den Plan ruft. Eine Diskussion über Generationengerechtigkeit, Chancengleichheit und Überbevölkerung entsteht, die zum Teil auch in Gewalt umschlägt.

Die Geschichte handelt wenige Monate in der Zukunft und mutet nicht nur aufgrund der zeitlichen Nähe, sondern auch aufgrund der schlüssigen Erklärungen zur Forschung und den schon kurzfristig entstehenden Folgen wenig utopisch und erschreckend real an.

Man erhält einen Einblick in sechs verschiedene Leben, die auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Medikament - als Wissenschaftler, Patient und Mitglied des Ethikrats - in Berührung kommen. Auch die Konsequenzen für die Probanden und die Gedanken, die sie sich machen, sind ganz unterschiedlich. Es geht nicht mehr nur um die körperlichen, sondern auch die seelischen Folgen und welcher Druck durch die Aussicht auf ein längeres oder gar ewiges Leben entsteht.
Neben den persönlichen Folgen sind die Auswirkungen für Gesellschaft und Weltbevölkerung kaum auszudenken. Fraglich ist, ob so ein Medikament - gegebenenfalls mit einer weniger starken Wirkung - zugelassen werden darf und ob eine Verbreitung überhaupt zu stoppen ist, wenn die Formel bereits in kriminelle Hände geraten ist.

Mit "Wir werden jung sein" stellt der Autor ein interessantes Szenario vor, das nachdenklich stimmt und das Für und Wider eines Einsatzes eines Medikaments betrachten lässt, das Krankheiten lindern, das Leben verlängern und sogar ein ewiges Leben möglich machen könnte, aber keine Lösung für das moralische Dilemma präsentiert. Ob die Folgen einer Zulassung des Medikaments mehr Vorteile oder mehr Nachteile birgt, ist unfassbar komplex und hängt sowohl von der Perspektive - Politik, Wissenschaft, Religion? - als auch vom Individuum und der Gesellschaft ab.

Der Erzählstil ist im Vergleich zur ernsthaften Thematik humorvoll, weshalb es dem Roman trotz des beängstigenden Zukunftsvision an Thrill und Spannung fehlt. Brisante Situationen werden charmant, aber recht simpel gelöst. Auch sind die Einblicke in die vier bzw. sechs Leben auf 300 Seiten zu kurz, als dass man ein Gefühl für die Charaktere bekommen und deren Situation und Misere besser nachvollziehen könnte. Die jeweiligen Enden wirken deshalb recht willkürlich gewählt.

Bewertung vom 04.03.2024
Das verborgene Genie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.5
Benedict, Marie

Das verborgene Genie / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.5


gut

"Das verborgene Genie" ist Band 5 der Reihe "Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte" und handelt von Doktor Rosalind Franklin, die eine Pionierin bei der Erforschung der DNA war, wofür sie zu Lebzeiten nie gewürdigt wurde.

Rosalind war eine Wissenschaftlerin aus Leidenschaft, die einzig für die Forschung gelebt hat. Für sie kam es deshalb nie in Frage, zu heiraten und dadurch an der Ausübung ihres Berufs gehindert zu werden. Ihre Eltern hatten für diesen Lebensweg nur wenig Verständnis und die Arbeit in den Forschungsinstituten war ein täglicher Kampf sich als eine der wenigen Frauen in einer Männer dominierten Domäne ernst genommen zu werden. Rosalind wollte mit ihrer Forschung Erkenntnisse gewinnen und das Leben besser machen. Ihr ging es nicht um Wettbewerb und darum möglichst schnell ein Ergebnis zu präsentieren. Sie ging bei ihrer Arbeit akribisch vor und wollte für ihre Theorien zuerst stichhaltig Beweise haben, bevor sie diese publik machen wollte. Ihre Genauigkeit und das fehlende Geltungsbedürfnis wurden ihr letztlich zum Verhängnis. Denn die Lorbeeren für ihre Arbeit sackten andere ein.

Geschildert werden die Jahre zwischen 1947 und 1958. Man erhält einen Einblick in ihre Forschungen ohne von wissenschaftlichen Details überfordert zu werden. Der Roman ist von ständigen Zeitsprüngen geprägt und beschränkt sich jedoch auch arg auf Rosalinds Arbeit und enthält nur wenige Informationen über ihr Privatleben und ihren familiären Hintergrund. Als Romanbiografie und nicht mit dem Anspruch, ein Sachbuch zu sein, hätte ein größerer Fokus auf den Rahmen der Handlung abseits des Labors dem Buch mehr Lebendigkeit, Spannung und Dramatik verliehen. So blieben die Auseinandersetzungen mit ihren Eltern und die inneren Konflikte etwas vage, die Helix und Rosalinds Augenringe hingegen unaufhörlich erwähnt. Sehr eindringlich ist jedoch aus der Ich-Perspektive die Ungerechtigkeit und Skrupellosigkeit von Männern geschildert, die sich geistiges Eigentum aneigneten und für eigene Zwecke verwendeten.

Das Buch ehrt Doktor Rosalind Franklin für ihre Arbeit. Sie ist nur ein Beispiel für viele kluge Frauen, deren Fähigkeiten von Männern in den Schatten gestellt und die nie eine reelle Chance hatten zu reüssieren. Es ist wichtig, dass solche Bücher die Geschichte ins rechte Licht rücken, als Romanfigur blieb Rosalind allerdings sehr blass und ihr monotones Leben für die Wissenschaft doch recht eintönig und das Buch spannungsarm.