Benutzer
Benutzername: 
Morten
Wohnort: 
Köln

Bewertungen

Insgesamt 102 Bewertungen
Bewertung vom 31.03.2025
Lara, Emily Marie

Nowhere Heart Land


sehr gut

"My fingertips are holding onto the cracks in our foundation and I know that I should let go but I can't."

18 Jahre ist der Song von Kate Nash bereits alt, 15 Jahre in „Nowhere Heart Land“ von Emily Marie Lara – und ähnlich wie die Figur im Song hält auch die Protagonistin im Buch an Dingen fest, die sie längst loslassen müsste. Wenn das mal so einfach wäre.

In der Gegenwart ist gerade die Queen gestorben. Rosas Kollege, dessen Arbeit sie in einer Londoner Ad-Agency mitmacht, kommentiert das mit einem abfälligen Spruch – und kassiert Rosas Faust in sein Gesicht. Verdientermaßen muss man auch als gewaltfreier Mensch zugeben. Rosa wird freigestellt. Und muss zurück nach Deutschland, denn das Altersheim ihrer dementen Oma verlangt mehr Geld, das nur durch den Verkauf ihres Hauses aufzutreiben ist. Eine Reise in die Vergangenheit beginnt – zurück zum längst abgerissenen Internat, die zerbrochene Schulfreundschaft zu Leni und die Kartons mit den Erinnerungen an ihre früh verstorbene Mutter Conny.

„Nowhere Heart Land“ ist ein forderndes Buch. Eine Tour de Force durch diverse Breakdowns der Protagonistin, deren toxischer Alltag durch zu viel Alkohol und nie aufgearbeitete Abschiede bestimmt wird. Leser:innen werden sich viele Frage stellen und es ist nicht zu viel gespoilert, wenn man festhält, dass eigentlich keine davon beantwortet wird. Mag sicher für einige unbefriedigend sein, mir hat’s gefallen, mit klaren Antworten können auch Enttäuschungen einhergehen – und das ist auch sicherlich nicht die Intention des Buchs.

Es ist ein Homecoming-Roman einer Person, die nach dem Ende ihrer Schulzeit nach London geflüchtet ist, mit Heimat und Freund:innen gebrochen oder letztere auch verprellt hat. Die feststellen muss, dass auch ihre Freundschaften in England nicht allzu viel wert sind. Die den Abriss ihrer Schule und damit auch ein Auslöschen an ihre Mutter, die das Internat ebenfalls besucht hat, nie überwunden hat, vor allem aber auch deren viel zu frühen Tod – und wie soll man das überhaupt schaffen?

Ich mochte in Emily Marie Laras Debüt drei Sachen besonders: die Sprache, mit der sie Rosas Geschichte erzählt. Die Gefühle, die ich nachvollziehen konnte, wenn sie durch ihre alte Heimat läuft und sie gleichzeitig vertraut und doch fremd scheint. Aber auch die vielen „Oh girl, come on!“-Momente, wenn man Rosa von etwas abhalten oder ihr gut zureden oder wenigstens in den Arm nehmen mochte. Sie ist keine sonderlich sympathische, aber eine realistische Protagonistin, voller Fehler, voller Vergangenheit, der man auch nicht immer ganz vertrauen möchte und sie sich selbst vermutlich auch nicht.

Und auch wenn das Buch keine Antworten liefert, so ist das Ende doch durchaus passend, die Szene in der Pizzabude mehr als stark und das Buch trotz kleinerer Längen sehr lesenswert – aber nicht für jede:n.

Bewertung vom 31.03.2025
Ottenschläger, Madlen

OTTO fährt los - Ein Sommer in den Bergen


sehr gut

Gleich zwei Sachen vorab: Ja, es kommt Urlaubsstimmung auf im dritten Abenteuer von VW-Bus Otto. Und (leider?) ja, das Buch ist mehr Reiseführer als Geschichte – aber das ist nur in einem Punkt schade. Dazu später mehr.

Denn erst einmal Sachen packen und auf in die Berge: Otto reist mit einer Familie durch die Alpen. Bayern, Österreich, Schweiz – alles ist dabei. Schloss Neuschwanstein genauso wie der Bodensee, hochgelegene Bergseen, Hängebrücken, Gipfelessen. „Ein Sommer in den Bergen“, so der Titel dieses „Otto fährt los“-Teils, macht richtig Vorfreude auf den nächsten Urlaub oder sorgt für Flashbacks zu vergangenen Reisen.

Natürlich vor allem dank der großartigen Illustrationen von Stefanie Reich, die die Bergwelt perfekt einfängt und dabei das ein oder andere Motiv gezeichnet hat, das man von vielen, vielen Instagram Fotos kennt. Ist aber ja nicht schlimm, ist schließlich ein Kinderbuch und Kinder sind (hoffentlich) noch nicht selbst auf Insta unterwegs.

Und auch die Texte von Madlen Ottenschläger sind wieder gewohnt wohlig-lustig. Sie hat diesen ganz besonderen Stil, der hier im Haus ganz gut ankommt, egal ob bei Hannah und Benja, bei Metti Meerschwein oder nun eben Otto.

Nur einen kleinen Wermutstropfen gibt es doch: Die Familie, die mit Mietbulli Otto in den Süden fährt, bleibt leider etwas blass. Und das ist dem geschuldet, was ich anfangs geschrieben habe – dass das Buch mehr ein Reiseführer, eine Urlaubsinspiration für die Alpen ist und weniger eine Geschichte. Zwar verfolgt man, was die Zwillinge Klara und Luzie mit ihren Eltern erleben – vom Übernachten an Bergseen und Gondelfahrten hin zu Kletterabenteuern. Aber trotzdem wird man das Gefühl nicht los, dass es eine Aneinanderreihung von Urlaubsempfehlungen ist. Das ist, auch schon geschrieben, ein wenig schade. Aber auch Jammern auf recht hohem Niveau.

Denn alles in allem ist „Otto fährt los: Ein Sommer in den Bergen“ ein toll illustriertes, schön geschriebenes Buch, das sich tatsächlich anfühlt wie ein sonniger Wandertag irgendwo in Österreich oder Bayern mit einem großen Teller Kaiserschmarrn mit Preiselbeeren zum Abschluss. Sogar mit dem passenden Rezept am Ende des Buchs. Wer also in diesem Jahr mit dem Nachwuchs einen Urlaub im Süden plant – dieses Buch ist die (fast) perfekte Einstimmung.

Bewertung vom 18.03.2025
Murphy, Pip

Ein Beweisstück verschwindet / Detektivagentur Christie & Agatha Bd.1


sehr gut

Ein Sandwich ist verschwunden. Kein normales Sandwich, was für jeden hungrigen Magen schon recht dramatisch wäre. Nein, darin war ein Experiment von Mr. Fleming versteckt. Wer könnte Interesse daran haben? Sein Assistent Mr. Pryce? Die französischen Gastgeber? Oder etwa Sir Arthur Conan Doyle? Klare Sache – die Schwestern Agatha und Christie müssen diesen Fall aufklären.

Der erste Band der neuen Reihe „Detektivagentur Christie & Agatha“ mit dem Titel „Ein Beweisstück verschwindet“ ist ein gemütlicher, humorvoller Kinderkrimi voller Anspielungen auf Krimigeschichte und kulturellen Besonderheiten. So geraten die Gastgeber der Teeparty in Verdacht, französische Spione zu sein – dabei stammen sie aus dem benachbarten Belgien. Ein Schmunzler, der im englischen Original vermutlich ein bisschen besser zündet und mit Vorurteilen aufräumen soll.

Und natürlich ist die Geschichte ein guter Einstieg in die Krimiwelt, besonders, wenn die Eltern oder Großeltern eine Affinität für Agatha Christie, Sir Arthur Conan Doyle oder ähnliche Autor:innen haben. Es ist alles komplett unaufgeregt, die beiden Schwestern sind charmant, der Humor very british. Die Kriminalgeschichte ist ziemlich geradlinig, nur bedingt überraschend – cosy crime für Kinder eben, aber sie lebt über die Figuren, wie auch häufig in den Krimis für Erwachsene.

Vielleicht fehlt ein bisschen Würze, wenn die Kinder bereits andere Detektivgeschichten gelesen oder gehört haben. Sind sie schon an spannende Abenteuer wie bei den drei ??? Kids gewöhnt, könnten die Abenteuer von Christie und Agatha ein bisschen zu ruhig wirken. Das aber hängt vermutlich vom jeweiligen Kind ab – und wie die Reihe weitergeht. Denn schon im Sommer soll Teil 2 der Detektivagentur erscheinen. Und ich sag’s mal so: Wir sind durchaus interessiert, welcher Fall dann aufgeklärt werden muss.

Bewertung vom 18.03.2025
Friese, Julia

delulu


weniger gut

In David Lynchs Mulholland Drive gehen die Protagonistinnen ins Theater – und alles wird konfus. Realitäten verschieben sich, Zuschauer:innen wissen nicht mehr, was ist noch Realität, was ist Illusion. Und eigentlich gab es nur zwei Meinungen. Die einen liebten den Film, die anderen hassten ihn. Was hat das mit „Delulu“ zu tun? Recht viel. Denn Julia Frieses Roman spielt, wenn man so will, in einer Zeit, in der auch Mulholland Drive in die Kinos kam, etwas davor. Die Gedankenebene ist eine ähnliche. Und auch hier wird es größtenteils nur zwei Meinungen geben: Verehrung oder Verriss.

Um die Katze direkt aus dem Sack zu lassen: Mein Buch war „Delulu“ nicht. Das Buch ist Kunst, aber es ist nicht meine. Ich glaube zu verstehen, was Julia Friese hier gemacht hat, aber es hat mir nicht gefallen. Es war kein „intellektuelles Vergnügen“, wie es im Klappentext steht, es war eine intellektuelle Tortur. Unzählige Spotlights leuchten auf und verblassen. Szenen springen hin und her. Dialoge führen ins Nichts oder ins Irrwitzige. Ein paar 90er-Jahre-Zitate sorgen für Flashbacks, aber ohne jegliche Tiefe, ohne ein warmes Gefühl zu hinterlassen. Das ist natürlich auch nicht der Anspruch des Buchs.

Die Hauptfigur, Res, fällt nach einem Stromschlag im Prolog ins Delir, in einen Zustand zwischen Leben und Tod. Die Haupthandlung, in drei Kapitel aufgeteilt, lässt sie auf den Popstar Frances Scott treffen und gemeinsam wandeln sie durch diese Zwischenwelt, essen Frühstücksflakes, trinken Softdrinks, reden miteinander und aneinander vorbei. Nichts davon passiert wirklich, alles ist ein Rausch, eine wilde, eine völlig wirre Fantasie. Im Film, bei Lynch, würde das ganz anders funktionieren – Bilder würden die Zuschauer:innen überfluten. Aber so muss man sich die Bilder selbst erst erschließen, was ja der Sinn von Büchern ist, hier aber in einer so hohen, verdichteten Taktung geschieht, dass das Hirn, mein Hirn, irgendwann kapituliert, TILT schreit.

Hängt man das Hirn leicht aus, so wie man den Deckel des Kopftopfs ein Stück beiseiteschiebt, damit heiße Luft entweichen kann, dann geht’s, dann ist die Reise leichter aushaltbar, wird „Delulu“ vermutlich aber nicht gerecht. Wie man’s macht … ihr wisst schon. Für mich war Julia Frieses Buch wie ein Ohrwurm in oder nach einer Katernacht. Vertraut, vielleicht auch mal schön, aber auf Dauer furchtbar anstrengend, nervig. Und man ist froh, wenn dieser Kater endet, der Ohrwurm schwindet. Und genauso froh war ich, leider, als das Buch zu Ende war. Didn’t love it, I’m sorry.

Bewertung vom 17.03.2025
Dick, Morgan

Mickey und Arlo


ausgezeichnet

Nun ist es ja so: Dass Menschen einen auf Dauer enttäuschen, ist gar nicht so selten. Selbst liebgewonnene. Gehört zum Leben dazu, ist schade, vielleicht ist man selbst auch mal der Enttäuscher und nicht der Enttäuschte. Bücher müssen diese Emotionen erst einmal schaffen. Wie sehr Morgan Dick dies mit ihren Protagonistinnen in „Mickey und Arlo“ – und ganz besonders mit Mickey – gelingt, ist ziemlich grandios. Denn was erst nach cosy Thirty-Something-Read klingt, birgt ganz schön tiefe Abgründe.

Mickey ist Vorschullehrerin und quasi dafür geboren. Sie hat ein Händchen für Kinder und bleibt auch lieber beim kleinen Ian, als die Polizei und so das Jugendamt zu rufen, als seine Mutter ihn nicht abholt. Viel mehr noch: Sie bringt Ian zu seinem Onkel – und verstößt so gegen allerhand Gesetze und verliert ihren geliebten Job. Mit dabei ist der Anwalt ihres verstorbenen Vaters, der ihr nach jahrzehntelangem Nichtkontakt fünfeinhalb Millionen Dollar hinterlässt, wenn sie eine Therapie macht – bei ihrer Halbschwester. Und nein, die beiden kennen sich nicht und wissen nichts von der Situation.

Das ist auf den ersten Seiten mit viel Witz erzählt, man fühlt sich als Leser wohl in der Geschichte, bis man merkt: So eine richtig zuverlässige Erzählerin ist vor allem Mickey nicht. (Streng genommen: Die Kapitel erzählen nicht aus der Sicht der Schwestern, sondern in der dritten Person, muss man hier aber nicht so eng sehen.) Denn immer wird deutlich: Die beiden haben Probleme, die in ihrer familiären Vergangenheit liegen. Vor allem Mickey, die wie ihr Vater an Alkoholismus leidet, am liebsten alleine ist, ihre Freunde bestiehlt. Und Arlo, die gerade wieder in eine Psychotherapiepraxis einsteigt, nachdem ihre letzte Patientin Suizid begangen hat und keine Mitverantwortung bei sich sieht.

Und so wird „Mickey und Arlo“ Seite für Seite abgründiger, trauriger, man fühlt sich fast ein bisschen verraten von diesen großartig gezeichneten Figuren, die einem erst furchtbar sympathisch sind und von denen man sich doch Stück für Stück entfremdet – und ihnen gleichzeitig helfen will. Vielleicht dreht die Autorin irgendwann eine Schleife zu viel, ein paar Seiten weniger hätte dem Buch möglicherweise gut getan – auf der anderen Seite wollte ich noch viel, viel mehr Zeit mit Mickey und Arlo und auch dem Anwalt Tom Samson verbringen (auch so eine wunderbare Figur, die man selbst Stück für Stück erlesen und erfassen muss).

Hätte das Ende ein bisschen aufregender sein können? Ja, vielleicht, aber irgendwie ist es auch gut, wie es ist, ganz spoilerfrei. Ich habe die Figuren geliebt, bemitleidet, angezweifelt und furchtbar gerne über ihr Leben gelesen. Schon jetzt eines der schönsten Bücher des Jahres. Aber auch eines, das Menschen fordern kann. Gerade, wenn sie selbst mit familiären und mentalen Problemen kämpfen, selbst oder in Co-Abhängigkeit. Auf der anderen Seite: es sensibilisiert. Und das ist ja auch immer gut.

Bewertung vom 10.03.2025
Small, Steve

Meins! Der Hase, der nicht teilen wollte


sehr gut

Wer kennt es nicht – Kinder teilen selten gerne. Zumindest nicht mit jedem. Mama bekommt was ab, Papa nicht. Der eine Freund schon, die andere Freundin nicht. Manche Kinder wollen am liebsten gar nichts abgeben, so sehr die Eltern auch „Teilen macht Spaß“ predigen. Immerhin: Auf andere hören Kinder dann doch hin und wieder – und auf Bücher sowieso. „Meins! Der Hase der nicht teilen wollte.“ ist da ein schönes Buch übers Teilen lernen. Schön? Wunderschön!

Die Geschichte ist halbwegs schnell erzählt: Ein Hase hegt und pflegt seine Rüben und möchte keine abgeben. Schon gar nicht an die neuen Nachbarn, die Kaninchen. Als ein Wildschwein jedoch Kurs auf die gemeinsame Nachbarschaft macht, warnt der Hase die Kaninchen – und opfert ihnen zuliebe seine heißgeliebten Rüben.

Zugegeben: Der Sinneswandel des Hasen kommt schon etwas abrupt. Während die Kaninchen ihn immer wieder auf eine Suppe einladen, ist der eigenbrötlerische Hase stets abweisend, möchte weder etwas mit ihnen noch mit anderen Waldtieren zu tun haben. Doch in der Stunde der Gefahr besinnt er sich, verliert zwar seine Rüben, gewinnt aber neue Freunde. Und merkt, wie schön es ist, zu teilen. Das macht ihn zwar nicht zu einem Sympathieträger, zu einem Rollenvorbild, aber die Kinder begreifen die Moral des Buchs doch recht gut.

Einen Tick besser als die Geschichte sind jedoch die großartigen Illustrationen. Alle Bilder sind wunderschön gestaltet, die einzelnen Abschnitte mit einer bezaubernden, abwechslungsreichen Farbpalette in Szene gesetzt. Da sitzt das Kind auch gerne mal alleine vor dem Buch und schaut sich die wundervollen Bilder an und kichert über die ein oder andere Szene – besonders, wenn das Wildschwein seine Rüsselschnauze in den Kaninchenbau steckt, um die köstlichen Möhren zu erschnüffeln.

Natürlich ist Steve Smalls Geschichte keine Novität auf dem Kinderbuchmarkt. Aber wer noch kein Buch übers Teilen im Regal hat, der bekommt eine durchaus humorvolle und vor allem großartig illustrierte Geschichte, die zeigt, dass Teilen Freude und Freunde macht – und dass selbst in motzigen Hasen ein gutes Herz stecken kann.

Bewertung vom 04.03.2025
Hach, Lena

Tomke gräbt


ausgezeichnet

Als ich das Buch zuklappte, da fragte ich mich: Ist das ein Buch für Kinder – oder doch eher für Erwachsene, um das kindliche Gemüt besser fassen zu können?

Denn Tomke gräbt, Tomke buddelt, Tomke schaufelt. Und alle geben ihren Senf dazu. Schließlich muss das doch einen tieferen Sinn haben, dass Tomke da mit ihrer Schüppe sitzt und gräbt und gräbt und gräbt.

Und das Schöne daran ist ja: Das ist völliger Quatsch. Also das mit dem Sinn. Manches darf, ja, muss auch einfach mal sinnlos im besten Sinne sein. Einfach machen ohne Ziel. Pure Entschleunigung. Kinder dürfen das und wenn man einmal ehrlich ist, auch Erwachsene sollten das tun.

Und noch wichtiger, Erwachsene sollten auch nicht alles kommentieren – und dürfen sich nach der Lektüre mal so richtig ertappt fühlen. Denn eigentlich kennt man das. Ein Kind macht was, jemand kommentiert es. Weniger die Eltern, aber Tanten, Onkels, Großeltern, Nachbarn, fremde Menschen meinen viel zu häufig, dass es ohne einen Spruch nicht geht. Während das angesprochene Kind überhaupt nicht weiß, was es dazu sagen soll. Und es dann wie Tomke macht: ignorieren und weiterbuddeln.

„Tomke gräbt“ ist so eine Geschichte ohne große Worte. Dafür eine mit schönen Illustrationen von Julia Dürr, die Tomkes Buddelei in wundervolle Bild- und Farbwelten eingefangen hat. Und natürlich einer wunderbaren Moral von Julia Hach, die dieses kleine, feine Kinderbuch zu einer Lektüre für alle macht – Kinder, Eltern, Verwandte und alle, die Kindern gerne mal einen Spruch drücken. Und für alle, die selbst mal wieder buddeln möchten. Schüpp-schüpp: Hurra!

Bewertung vom 19.02.2025
Neubauer, Annette

tiptoi® Meine Lern-Spiel-Welt - Logisches Denken


ausgezeichnet

Vorschulbücher sind ja eigentlich eine schöne Sache: voller Rätsel und Spiele. Nur leider meistens nach einem Rutsch Geschichte. Alles vollgekritzelt und gelöst. tiptoi ist da schon eine cleverere Wahl – die Spiele lassen sich immer wieder spielen oder bieten häufig neu zusammengewürfelte Fragestellungen. Die Neuauflage „Logisches Denken“ mit Theo Tiger macht das auf eine ganz bezaubernde Weise.

Kinder ab 4 Jahren – Ravensburger nennt als Empfehlung 4 bis 6 Jahre, aber es macht sicher auch älteren Kindern und sogar Erwachsenen Freude – begleiten Theo rund um die Welt. Im Meer, am Strand, aber auch in den Bergen, in einem Schloss und sogar auf einem Jahrmarkt geht es kunterbunt zu. Die Hauptgeschichte ist zwar nicht allzu ausgefeilt, die Spiele dafür umso mehr.

Auf jeder Doppelseite gibt es drei Rätsel (Ausnahme: Im Schloss gibt es nur zwei, dafür aber komplexere.). Mal müssen Paare gefunden werden, mal werden Summen verglichen, Töne erzeugt, Labyrinthe bewältigt, Sudokus gelöst. Das ist wirklich vielseitig und sorgt schon einmal dafür, dass allein auf einer Doppelseite mehr als 30 Minuten mit dem tiptoi Stift verbracht werden.

Auch zwei Lieder dürfen nicht fehlen. In unserer Theorie sind diese besonders dafür da, dass die Elternteile Ohrwürmer fürs Leben haben – Grüße gehen raus an den Cowboy Joe. Abgerundet wird dieses sehr gelungene Buch durch die wie immer in den tiptoi Büchern schönen Illustrationen. Im Vergleich zu den Wimmelbüchern sind diese vielleicht etwas weniger detailliert, aber auch das hat seinen Sinn, sollen sie bei Suchspielen doch nicht ablenken.

Für wen ist das tiptoi Buch „Meine Lern-Spiel-Welt Logisches Denken“ am besten geeignet? Vermutlich für Kinder zwischen letztem Kindergarten- und erstem Schuljahr. Die Spiele haben unterschiedliche Ausprägungen und Schwierigkeitsgrade – wenn’s bei einem hakt, wird ein anders souverän bewältigt und irgendwann klappt eh alles. Und nach der Bettzeit? Sitzen die Eltern mit Zunge zwischen den Zähnen und Stift in der Hand und hoffen auf das Erfolgsglöckchen.

Bewertung vom 14.02.2025
Min, Juli

Shanghai Story


sehr gut

Vielleicht hilft es, wenn man „Shanghai Story“ direkt anders betrachtet: Nicht als Roman, sondern als Kurzgeschichtensammlung. Als Roman scheitert das Experiment, eine Familiengeschichte von 2040 in Richtung Vergangenheit zu erzählen, am fehlenden roten Faden. Auf der anderen Seite: die unterschiedlich langen Episoden aus dem Leben der Familie Yang sind wirklich gut.

Juli Min nimmt die Leser:innen mit in das Leben einer asiatischen Familie mit chinesisch-japanischen Wurzeln. Wobei Grenzen eigentlich keine Rolle spielen. Zwei der drei Kinder studieren in den Staaten, die Eltern haben lange in Frankreich gelebt, man jettet zu jeder Gelegenheit rund um den Globus. Aber auch das Leben in der Shang-High Society hat seine Schattenseiten – und die Autorin beleuchtet diese grandios.

Eheprobleme, Abtreibung, illegale Autorennen, Prostitution, ja, selbst Corona sind Elemente, die in den einzelnen Geschichten vorkommen. Zu Beginn sitzt Leo, der Familienvater, im Hochgeschwindigkeitszug vom Flughafen zurück in die Stadt und reflektiert den aktuellen Status seiner Ehe. Und auch andere Figuren tauchen auf, nehmen die Lesenden mit in ihre Gedankenwelt. Damit beginnt das Experiment, denn: „Shanghai Story“ ist rückwärts erzählt. Man wird nie erfahren, was aus Juli Mins Figuren wird. Aber kleiner, enttäuschender Spoiler: Man erfährt größtenteils auch nicht, worin die Wurzeln ihrer Gedanken, ihrer Lebenssituationen sind. Denn nur wenig ist miteinander verwoben.

Eigentlich enttäuschend, sollte man meinen. Viele Nebenfiguren, die in den Geschichten auftauchen, sind gut gezeichnet, man möchte mehr über sie erfahren, aber nein, um sie soll und wird es nur am Rande gehen. Und auch die vielen Erlebnisse der Familie Yang sind größtenteils nur kleine Spotlights, die einmal aufglühen und danach nicht mehr thematisiert werden. Viel Potenzial verschenkt, „Shanghai Story“ hätte zu einem epochalen Werk werden können.
Aber: Die Geschichten sind schon gut. Liest man sie für sich und macht sich keine Hoffnung, dass Plots wieder aufgegriffen werden, sind es wirklich starke, spannende Episoden rund um das Leben der Familie und der Personen, die ihnen nahestehen. Besonders berührend die über das Kindermädchen der Familie, fast schon herzzerreißend die Begegnungen und Abschiede rund um ihr vormals betreutes Kind.

Kritzelt man also dieses Wort „Roman“ vom Cover, ändert den Titel minimal auf „Shanghai Stories“, dann ist Juli Mins Debüt wirklich richtig gelungen. So bleibt ein fader Beigeschmack, dass mehr möglich gewesen wäre. Schon schade. Aber lesenswert allemal.

Bewertung vom 22.01.2025
Roller, Tobias

Der Goldhügel


sehr gut

Ja, das Buch macht ein bisschen Arbeit. Emotionale zumindest. Man muss den Erich Kästner seiner Kindheit ausblenden, vielleicht auch hinter sich lassen. In dieser fiktionalisierten Geschichte geht es um den Mann Kästner. Gealtert, aber nicht weniger lüsternd, sobald junge attraktive Frauen in seinem Umfeld auftauchen. Immerhin: Der Autor glorifiziert es nicht, im Gegenteil, schafft es dennoch, das Denkmal Kästner nicht mit dem Vorschlaghammer zu zertrümmern.

Es sind die 1960er-Jahre, Kästner ist nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch in ein Sanatorium am Luganer See. Ganz allein, fern von seiner Frau, fern von seiner Geliebten und ihrem gemeinsamen Sohn. Immer wieder betrachtet er die Beziehungen zwischen seinen Frauen, wägt ab, hofft auf eine Nachricht von der einen, bekommt aber bloß die der anderen. Freude kommt in dieser freudlosen klinischen Gegend nur von Schnaps und Zigaretten, die ihm bald verboten werden, und einem jungen Fräulein, Fan seiner Bücher, die sich abends an seinen Tisch setzt. Kritisch beäugt von einer älteren Tischnachbarin, die Kästner wie dem Fräulein nicht nur einmal ins Gewissen redet.

Die Kulisse ist bewusst an den Zauberberg angelehnt, was ja irgendwie doppelt passt, vom Kästner-Jahr 2024 zum Mann-Jahr 2025. Und zauberhaft geht es auch in Tobias Rollers Roman zu. Denn die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen dort auf dem Collina d’Oro, dem Goldhügel, zunehmend, und schon bald wissen Leser:innen kaum noch, welche der Figuren echt sind und welche nur Kästners Fantasie entspringen und auf Personen in seinem Umfeld basieren – Ehefrau, Geliebte, Vater, Mutter, …

Autor Roller wurde, so heißt es, für „Der Goldhügel“ nicht immer freundlich empfangen, sahen manche sein Buch doch als Verunglimpfung Kästners. Dabei ist es das gar nicht. Kästner wird nicht bejubelt, aber auch nicht zerstört. Sein Verhältnis zu Frauen reflektiert der fiktionale Kästner durchaus kritisch, es wird nicht als „Ach, damals war das halt so.“ abgetan. Es wird ein Blick in sein Innerstes geworfen, zwischen den Erfolgen der Vorjahre und vor seinen letzten Romanen, die er für seinen Sohn schrieb.

Und es ist auch ein Buch, in dem die Frauen vom Lustobjekt zu kraftvollen Personen werden, die Kästner in die Schranken weisen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, die auch selbst Abschied von einem Bild Kästners nehmen, um mit einem anderen weiterzuleben. In diesem Sinne ist „Der Goldhügel“ also keine kritische Auseinandersetzung mit dem Autor, sondern doch eine Art freundliche, unterhaltsame und gut erzählte Verbeugung.