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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2024
FEUER UND FLAMME: Konflikte als Zündfunken für komplexe Figuren, packende Plots, tiefgründige Themen und atemlose Spannu
Waldscheidt, Stephan

FEUER UND FLAMME: Konflikte als Zündfunken für komplexe Figuren, packende Plots, tiefgründige Themen und atemlose Spannu


ausgezeichnet

Was macht einen Roman aus, was macht einen Roman spannend, worum geht es in jedem Roman? Konflikte. Sie sind die Quintessenz, die Zutat, die einen Text erst zu einem Roman macht, jedenfalls einem lesenswerten.
Der Autor dieses neuen Ratgebers zum Kreativen Schreiben ist wohlbekannt und zu Recht hochgelobt für seine Bücher. In denen er anschaulich, nachvollziehbar, verständlich und vor allem gut lesbar zu speziellen Themen des Schreibens seine Tipps und Ratschläge gibt.
Viele seine Bücher geben Gesamtbilder, zeigen, was alles gutes Schreiben ausmacht. Viele jedoch, vor allem die letzten, befassen sich mit ganz gezielten, sehr begrenzten Bereichen, auf die es beim Verfassen guter Romane ankommt. Sei es die Erzählperspektive, sei es das Thema Spannung und Suspense oder wie hier in dem gerade neu erschienenen Band, das Thema Konflikte.
Sie sind das Salz in der Suppe, die Hefe im Teig, der Funke für die Spannung. Ohne Konflikt keine fesselnde Handlung, ohne Konflikt keine fesselnde Figur.
Mit vielen Vergleichen, vielen sehr aussagekräftigen Bildern bringt der Autor den Schreibenden nahe, wie wichtig, wie unverzichtbar Konflikte sind. Und welche Arten es gibt und wie sie Figuren, Spannung und Thema beeinflussen. Dabei ist es gerade die so anschauliche Erzählweise von Stephan Waldscheidt, die es schafft, dass man seine Bücher, so theoretisch sie doch eigentlich sind, verschlingt wie einen hochspannenden Thriller.
Er bringt das, worum es geht, auf einfache Formeln, die nachvollziehbar und gut verständlich sind. So wie das Konfliktdreieck aus Konfliktstoff, -umfeld und -auslöser. Wie bei einem Brandbeschleuniger müssen diese Zutaten in der richtigen Mischung zusammentreffen, um das „Feuer“, also die Spannung, zu erzünden.
Dabei zeigt er, wie ein Konflikt den Plot voranbringt oder vielmehr wie der Konflikt schlussendlich ja im Grunde der Plot ist. Er zeigt, dass Protagonisten Konflikte brauchen, um die Leser:innen zu binden, in ihnen Gefühle zu wecken. Und – worum es schließlich immer geht – sie dazu zu bringen, den Roman bis zum Ende zu lesen.
Waldscheidt schildert die verschiedenen Ebenen eines Romans und was für diese Konflikt bedeutet. Er zeigt, worin Konflikte liegen können, was ein Konflikt im Grunde ist, was er bewirkt und wie er – das wichtigste in einem Schreibratgeber – zu erschaffen ist. Er zeigt, dass Konflikte auf ganz verschiedenen Ebenen angelegt werden können, in der Vorgeschichte der Figuren, von außen oder von innen entstehen können, dass ein Konflikt den anderen beeinflusst und vieles mehr.
Der Autor geht sehr ins Detail, was naheliegend ist, wenn man sich einem begrenzten Thema widmet. Manches wird oft wiederholt, so dass man hin und wieder das Gefühl bekommt, die Informationen würden einem beim Lesen regelrecht eingehämmert. Dafür entschädigt immer wieder der Humor, der aus fast jedem Satz scheint. Hier lohnt es sich auch immer, unbedingt die meist herrlich komischen Fußnoten zu lesen.
Ein wieder rundherum gelungener Ratgeber zum Kreativen Schreiben, der zusammen mit den vorigen und hoffentlich weiteren Bänden ein umfassendes, fast unentbehrliches Werk bildet.
Stephan Waldscheidt - Feuer und Flamme
Independent, September 2024
Broschur, 288 Seiten, 19,99 €

Bewertung vom 25.10.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


gut

Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Umsetzung ist manchmal schmerzhaft, besonders, wenn man mit dem Anspruch gewisse Erwartungen weckt, denen man denn leider nicht gerecht wird.
So sind Thema und historische Einordnung dieses Romans aus Frankreich hochinteressant, auch weil gerade das Thema bislang wenig bis gar nicht in Romanform auftauchte, jedenfalls, soweit mir bekannt ist.
Es geht um Frauen, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts nach Amerika verschifft wurden – man muss diesen Ausdruck verwenden, denn sie wurden wie Ware behandelt. Es sind Frauen, die man aus der Gesellschaft ausgegrenzt hat, die nicht der „Norm“ entsprechen, die vielleicht kleinere oder größere Straftaten begangen hatten oder einfach nur niemanden hatten, der sie schützte. Diese Frauen wurde in der berüchtigten Salpetrière eingesperrt, meist ohne jede Chance, je wieder freigelassen zu werden.
Von diesen Frauen wurden etliche, ohne dass man sie um ihre Einwilligung gebeten hätte, in die neue französische Kolonie La Louisiane – das spätere Louisiana – gebracht als künftige Ehefrauen dort lebender Männer. Diese wollten Familien gründen, brauchten billige Arbeitskräfte und was für andere Gründe es dafür sonst noch gab. Mann und Frau kannten sich nicht, bekamen auch keine Gelegenheit, sich kennenzulernen. Nur wenige Tage nach der Ankunft, nach wochenlanger Überfahrt in überfüllten Schiffen, mit kaum Zugang zu gesunder Nahrung oder frischer Luft, wurden die Frauen verheiratet.
Beispielhaft wird dies im Roman erzählt an drei Frauen, die im Mittelpunkt stehen: Geneviève, Charlotte und Pétronille. Doch nicht nur deren Geschichte erfährt man, auch die etlicher anderer Frauen, jeweils aus der Perspektive einer dieser drei Frauen. Geneviève, die eher Frauen als Männer liebt, kennt sich mit der Arbeit als Engelmacherin aus. Charlotte, fast noch ein Kind, ist als Waise in der Salpetrière aufgewachsen und Pétronille wurde von ihrer Familie dorthin abgeschoben, weil sie sich nicht in die Normen einer adligen Umgebung einfügen wollte.
Die drei, die mit demselben Schiff ankommen, verlieren sich aber immer wieder aus den Augen, so dass ihre Geschichten parallel nebeneinander laufen, begegnen sich dann wieder, nur um wieder längere Zeit voneinander entfernt zu leben. Nachdem zu Beginn der Roman in epischer Breite wenige Tage schildert, springt er später in großen Sprüngen durch die Jahre, verfolgt die Entwicklung der drei Frauen, ihrer Männer und ihrer Kinder. Schließlich tritt auch noch eine weitere Hauptfigur auf, eine Angehörige des Stammes der Natchez.
So fesselnd und interessant das Thema ist, so wenig konnte ich mit der Umsetzung anfangen. Die Erzählweise war langatmig, es traten zu viele Figuren auf, um gleich wieder im Nirwana zu verschwinden. Die Figuren, so plastisch und anschaulich ihre jeweilige Geschichte geschildert wurde, erreichten mich nicht, waren zu spröde, ließen mich nicht mitfühlen. Manche Beschreibungen waren zu lang, andere wieder zu oberflächlich. Insgesamt wurde ich weder mit der Handlung noch mit den handelnden Personen wirklich warm, verlor irgendwann gar das Interesse an ihrem weiteren Schicksal.
Schade, denn in der Tat hätte es ein feministischer Roman sein können, auch weil die Frauen all den Problemen, der Unterdrückung, der Verachtung, die ihnen widerfahren, zu trotzen imstande sind.
Julia Malye - La Louisiane
aus dem Französischen von Sina de Malafosse
Gutkind Verlag, September 2024
Gebundene Ausgabe, 525 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 23.10.2024
Mord im Stadtpalais (eBook, ePUB)
Maly, Beate

Mord im Stadtpalais (eBook, ePUB)


sehr gut

Gefühlt nimmt man bei der Lektüre dieses behaglichen Kriminalromans erheblich zu, werden doch permanent verlockend klingende Köstlichkeiten verspeist. Denn die dem ermittelnden Kommissar hilfreich unter die Arme greifende Mila ist eine hervorragende Köchin, die zu verwöhnen weiß.
Und gerade, weil es den Anschein hat, als seien die mysteriösen Todesfälle im Haushalt auf vergiftetes Essen zurückzuführen, ist Mila bestrebt, ihre Unschuld zu beweisen. Und, na ja, auch weil ihr der Kommissar sehr sympathisch ist, was durchaus auf Gegenseitigkeit beruht.
Dieser Kommissar, Felix Zack, entspricht so gar nicht seinem Namen, denn er ist alles andere als zackig unterwegs. Im Gegenteil, recht gemütlich und geruhsam führt er seine Ermittlungen durch, dabei nicht wenig erfolgreich.
Bei einem Essen im Familienkreis, kurz vor Weihnachten 1910, kommt der Hausherr ums Leben. Man nimmt zuerst an, eine Allergie habe den Tod verursacht, was sich schnell als Irrtum herausstellt. Wie üblich in reichen Kreisen, wo es viel zu erben gibt, gibt es viele Verdächtige und alle hätten ein schlüssiges Motiv.
Doch dank der guten Beobachtungsgabe der Köchin Mila und der Hartnäckigkeit des Kommissars wird der Mord natürlich am Ende aufgeklärt. Oder viel mehr die Morde, denn es gibt sogar noch einen zweiten Todesfall. Die Aufklärung wird Agatha-Christie-mäßig am Ende coram publico durch Kommissar Zack verkündet, nachdem man vorher den geschickt gelegten richtigen und falschen Hinweisen gut folgen kann, ohne dass zu viel zu früh verraten wird.
Viel typischer Wiener Schmäh, viel typischer Familienklüngel, viele typische Klischees prägen diesen Roman, der dennoch viel Spaß macht, sind doch die Figuren liebevoll gezeichnet, mit Augenzwinkern und viel Sympathie für ihre Macken und Kapriolen. All die vielen Süßspeisen, die Mila zubereitet und serviert, gerade in dieser Vorweihnachtszeit, versüßen die Lektüre zusätzlich. Und dass der im Grunde einsame, weil verwitwete Kommissar auch noch ein großes Herz offenbart, als er einen streunenden Hund bei sich aufnimmt, macht diesen Ermittler noch viel liebenswerter.
Man wünscht sich eine Fortsetzung mit diesem herzigen Duo aus gemütlichem Kommissar und gewitzter Köchin, zumal in diesem Ambiente. Ein warmherziger Cosy Crime, empfehlenswert.
Beate Maly - Mord im Stadtpalais
Emons, September 2024
Taschenbuch, 223 Seiten, 16,00 €

Bewertung vom 21.10.2024
Monas Augen - Eine Reise zu den schönsten Kunstwerken unserer Zeit
Schlesser, Thomas

Monas Augen - Eine Reise zu den schönsten Kunstwerken unserer Zeit


sehr gut

52 mal Kunst in ebenso vielen Wochen besucht ein kleines Mädchen zusammen mit seinem Großvater. Und erlebt so eine Reise zu den berühmtesten Werken in den berühmtesten Museen Frankreichs.
Die kleine Mona verliert für 63 Minuten ihr Augenlicht. Es wird alles schwarz, während sie am Tisch über ihre Hausaufgaben gebeugt ist. Die Eltern sind verständlicherweise schockiert und sehr besorgt, gehen mit der Zehnjährigen zu Ärzten und Fachleuten. Da sich medizinisch keine Ursache für die vorübergehende Erblindung des Mädchens finden lässt, rät man den Eltern, das Kind zu einem Psychiater zu schicken.
Monas Großvater Henry befindet, das sei keine gute Idee, er habe eine bessere. Indem er Monas Eltern gegenüber behauptet, er würde ab jetzt jede Woche einmal mit dem Kind zum Psychologen gehen, sich aber jede Frage der Eltern zum Ablauf und Stand der Behandlung verbittet, gelingt es ihm, Mona jeden Mittwoch für sich zu haben. Er wird mit ihr aber nicht den Arzt, sondern die großen Pariser Museen aufsuchen. Zuerst geht es in den Louvre, dann ins Musée d’Orsay und schließlich ins Centre Pompidou.
Doch Henry schlendert nicht wie jeder andere Mensch durch die Ausstellungsräume. Stattdessen steht jeden Mittwoch nur ein Werk auf dem Programm. Er weist Mona an, sich jeweils vor das Gemälde oder die Skulptur zu stellen und sich in die Betrachtung zu versenken, minutenlang, 20 Minuten, 30 oder 40 Minuten, möglichst ohne zu sprechen.
Danach darf sie, die erst Zehnjährige, ihre Eindrücke schildern und bekommt dann vom Großvater nicht nur die Geschichte des jeweiligen Kunstwerks erklärt, sondern auch alles Wissenswerte über den Künstler oder die Künstlerin. Die im Roman besprochenen Werke sind im Buch im vorderen und hinteren Bucheinband abgebildet.
So geht es über 52 Kapitel. Großvater und Enkelin gehen ins Museum, stellen sich vor das Werk, welches erst ausführlich und sehr detailliert beschrieben wird, quasi aus dem Off. Anschließend folgt das seitenlange Gespräch zwischen den Beiden. Eingebettet ist das Ganze in eine recht alibimäßig gehaltene Rahmenhandlung. Ziemlich schematisch wechseln drei Handlungsebenen, die aber nur wie Brücken wirken zwischen den Museumsbesuchen.
Eine folgt Mona in die Schule, man lernt einige Mitschüler:innen kennen, ihre Freundinnen. Jungs, die mobben und solche, die gemobbt werden. Zweiter Handlungsort der Rahmenhandlung ist der Laden von Monas Vater, der immer wieder am Rand der Pleite schwebt, weshalb der Vater zum Alkoholiker wird.
Und schließlich die dritte Variante der Rahmenhandlung sind die ständigen Arztbesuche und die umfangreichen Untersuchungen, denen Mona unterzogen wird. Dazu kommt noch die immer wiederkehrende Erinnerung Monas an ihre Großmutter, Henrys verstorbene Frau, die offensichtlich einen erheblichen Einfluss immer noch auf die aktuellen Ereignisse zu haben scheint.
Die Botschaft und die Idee, die offensichtlich hinter diesem Roman steht, ist löblich und im Ansatz auch nicht schlecht. Die Umsetzung aber erscheint mir arg unrealistisch und zudem wird durch die ausufernde Beschreibung der Bilder und die ausschweifende Unterhaltung zwischen Großvater und Enkelin das Ganze derart erschöpfend, dass man irgendwann eigentlich nur noch zum Ende kommen will.
Besonders unglaubwürdig scheint mir ein zehnjähriges Mädchen, das sich geduldig ein Jahr lang die drögen Vorträge des Großvaters anhört. Dazu kommt die Sprache, in welcher sich sowohl Henry wie auch Mona ausdrücken. Dass ein Kind in diesem Alter solche Worte versteht, sie nicht hinterfragt, sie schließlich selbst ganz locker verwendet, das erscheint mir wirklich zu weit hergeholt.
Dazu kommt die ziemliche Überzeichnung der Figuren. Die Mutter ist sehr schrill, stets kurz vor der Explosion, streitet mit den Ärzten, hetzt von Termin zu Termin. Der Vater stets verzweifelt, ohne Selbstvertrauen, schämt sich, trinkt aber weiter. Der Großvater, elitär, abgehoben, der die ärztlichen Anweisungen ignoriert, um der Enkelin Kunstwerke zu zeigen. Und schließlich ist der Stil, die Sprache des Buchs im krassen Gegensatz zur Thematik eher einfach, sind die Formulierungen schlicht und die Schilderungen wenig bildhaft
So schön die Geschichte im Ansatz ist, so ermüdend ist leider die Umsetzung. Was die Lesefreude ein wenig trübt, auch wenn der Roman als Ganzes durchaus lesenswert ist.
Thomas Schlesser - Monas Augen
aus dem Französischen von Nicola Denis
Piper, September 2024
Gebundene Ausgabe, 494 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 16.10.2024
Lückenbüßer / Kommissar Kluftinger Bd.13
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Lückenbüßer / Kommissar Kluftinger Bd.13


sehr gut

So unterhaltsam die Kluftinger-Reihe der beiden Erfolgsautoren ist, so gleich ist auch immer das Schema. Ein komplizierter Mordfall muss aufgeklärt werden, parallel durchleidet Kluftinger ein privates Tal der Tränen und dies ist stets gepaart mit skurrilen Aufeinandertreffen mit seinem Lieblingsfeind Dr. Langhammer. Dazu eine reichlich bemessene Dosis der üblichen Tollpatschigkeit des Kommissars.
Genauso läuft also auch der neue Roman ab. Bei einer großangelegten Polizeiübung kommt ein Polizist zu Tode. Es schaut nach Unfall aus, doch schnell stellt sich heraus, dass es ein Mord war. Die Hintergründe des Getöteten sind eher dubios, scheint er doch in rechten Kreisen zu verkehren. Zumindest führen die Spuren ziemlich schnell in diese Richtung.
Auf der Suche nach Spuren wird in Kluftiger der Pilzjäger geweckt und über dem Sammeln der begehrten Gewächse vergisst er fast das Ermitteln. Diese Nebengeschichte nimmt recht breiten Raum ein im Roman, trägt allerdings wenig zur Haupthandlung bei.
Abgelenkt wird der Kommissar zusätzlich durch seinen Wahlkampf. Hat er sich doch auf die Liste für die Wahl zum Gemeinderat aufstellen lassen. Zuerst nur als Lückenfüller, auf dem letzten Listenplatz. Als er jedoch spitzkriegt, dass Intimfeind Langhammer sich für die gegnerische Partei hat ebenfalls aufstellen lassen und seinen Wahlkampf mit großer Vehemenz bestreitet, wächst auch in Kluftiger der Ehrgeiz. Von nun an wird aus ihm ein überzeugter Wahlkämpfer, mit allem was dazu gehört. Natürlich, wie soll es anders sein, auch hier stellt er sich meist selten dämlich an. Immerhin beherrscht er inzwischen die Sozialen Medien etwas besser.
Dieser zweite Handlungsstrang sorgt dann für reichlich lustige Begebenheiten, wenn Klufti immer wieder wichtige Fototermine vergisst und ähnliches. Leider, wie immer, gerät über all dem Privaten der Kriminalfall öfter mal in den Hintergrund, laufen die Ermittlungen eher nebenher.
So entsteht wenig Spannung, auch wenn sich die über 400 Seiten flott herunterlesen. Wann wäre Klufti auch schon mal langweilig gewesen? Insgesamt aber ist der neue Roman schon etwas ernster gestrickt als die letzten Vorgängerbände. Corona und die Nachwehen spielen immer wieder ein Rolle, der Umgang damit, die Aufarbeitung, die Reaktionen und die Auswirkungen auf viele Leute werden thematisiert. Das kam mir etwas überspitzt vor, für die Zeit, die seither vergangen ist, aber trotzdem wirkte es und sorgte für den nötigen Tiefgang. Zusätzlich gab es immer wieder so etwas wie einen erhobenen Zeigefinger, wenn es um den Umgang miteinander, in den Sozialen Netzwerken, in Wahlkämpfen und ganz grundsätzlich geht. Am Ende hält Kluftiger über dieses Thema schließlich sogar eine Rede.
Insgesamt etwas ernsthafter als die letzten Romane der Reihe, ein bisschen mehr Spannung, mehr Konzentration auf den Krimifall würde der Kluftinger-Buchreihe aber gut tun.
Volker Klüpfel & Michael Kobr – Lückenbüßer
Ullstein, September 2024
Gebundene Ausgabe, 428 Seiten, 24,99 €

Bewertung vom 14.10.2024
Sörensen macht Urlaub / Sörensen Bd.5
Stricker, Sven

Sörensen macht Urlaub / Sörensen Bd.5


ausgezeichnet

Nicht der erste erschienene Band, aber der erste, den ich las. Der neue Krimi um den von einer Angststörung geplagten Kommissar Sörensen. Die ersten Bände wurden sehr erfolgreich und absolut gelungen verfilmt, mit dem genialen Bjarne Mädel in der Hauptrolle.
Diesen Schauspieler hat man, sofern man die Filme kennt, nun stets vor Augen, seine Stimme stets im Ohr bei der Lektüre des Romans. Und das passt so perfekt, ist so stimmig, dass allein das schon die halbe Garantie für die Qualität dieser Lektüre ausmacht.
Allerdings dauert es eine ganze Weile, bis die Handlung Fahrt aufnimmt, bis der eigentliche Kriminalfall nach und nach mehr in den Vordergrund tritt. Dabei laufen über lange Zeit zwei unabhängige Handlungsstränge nebeneinanderher.
Der eine folgt Sörensen, der immer nur so genannt wird, weil er seinen Vornamen hasst, in den Urlaub. Darauf hat er eigentlich so überhaupt keine Lust, daher kommt ihm die Bitte seiner Ex-Frau Nele gerade recht. Sie möchte, dass er in Hamburg bei ihr und der gemeinsamen Tochter Lotta einen Stopp auf seiner Reise nach Österreich einlegt, da sie bei etwas seine Hilfe braucht. Es stellt sich heraus, dass eine Freundin von Nele in Gefahr zu sein scheint. Aileen, die nur Achim genannt wird, fühlt sich verfolgt von einem Mann mit Hoodie und Schlauchschal. Sörensen, eher widerwillig, macht sich auf die Suche nach diesem Mann. Doch dann eskaliert die Situation gewaltig.
Die zweite Handlung folgt Sörensens Kollegin Jennifer im Revier in Katenbüll, die es mit einem Mord zu tun bekommt. Ein junger Mann wurde tot aufgefunden, nur scheint es zuerst keinerlei Motiv zu geben. Das größere Problem für Jennifer aber ist der Vertretungskollege Mommsen, der für Sörensen einspringen soll. Ein absoluter Kotzbrocken, was aber so herrlich komisch geschildert wird, dass es einfach Spaß macht, seinen Eigenlobhudeleien zu folgen.
Herrlich komisch auch die Szenen, in denen Sörensen und Jennifer sich jeweils Idylle vorspielen. Er, der so tut, als sei er in Österreich längst angekommen, sie, die ihm nichts vom aktuellen Fall erzählt.
Natürlich, das ist zu erwarten, laufen die beiden Handlungsstränge irgendwann zusammen, haben die beiden Fälle miteinander zu tun. Sobald das geschieht, bekommt der Roman erheblich an Tempo, wird der Krimi mehr zum Hauptteil des Romans.
Vorher ist es eher das Psychogramm vieler kaputter Seelen. Alle, Sörensen, Aileen, Jennifer und auch ihre Kollegen in Katenbüll, haben ihre Wunden, ihren Narben, ihre Störungen. So nimmt sich der Autor sehr viel Zeit, diese zu schildern. Er zeigt, wie die Angststörung immer wieder in Sörensen rumort, wie er sie bekämpft. Wie er mit dem Urlaub hadert, sich mühsam wachhält, weil er doch eigentlich jeden Tag weiterfahren möchte. Wie er an seiner Tochter hängt, wie stark seine Gefühle für Nele immer noch sind.
Etwas gestört haben den Handlungsfluss die immer mal wieder vorkommenden Einschübe, in welchen Nebenfiguren ihre Gedanken kundtun. Mal die Mutter des in Katenbüll ermordeten Mannes, mal ein Kioskbesitzer, der Sörensen von früher kennt, mal einfach ein Mann auf der Straße. Das ist einerseits schon ein bisschen witzig, andererseits holt es einen aus der Spannung heraus und bringt nichts oder wenig für den Handlungsverlauf.
Aber insgesamt ist das ein absolut gelungener Roman, halb Krimi, halb die Geschichte armer, getriebener Seelen. Dank des in fast jedem Satz durchschimmernden, gut platzierten Humors, der leisen Ironie und der wunderbar und sehr geschickt formulierten Spitzfindigkeiten, ist dieses Buch ein wirkliches Highlight. Besonders die Schilderungen von Jennifers Qualen, wenn sie die Tiraden von Mommsen, seine Frauenfeindlichkeit, seine Überheblichkeit und seine Selbstverliebtheit ertragen muss, sind herrlich komisch (auch wenn sie mich als Frau genauso wütend machten wie Jennifer).
Ein unbedingt zu empfehlender Roman, auf dessen hoffentlich folgende Verfilmung ich mich jetzt schon freue.
Sven Stricker - Sörensen macht Urlaub
rororo, September 2024
Taschenbuch, 573 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 11.10.2024
Wintergeister
Collins, Bridget;Hurley, Andrew Michael;Kidd, Jess

Wintergeister


sehr gut

Wieder versammelt die preisgekrönte Autorin Bridget Collins Gruselgeschichten namhafter Schreibenden in einem wunderschön gestalteten Buch, das erneut zu passenden Jahreszeit erscheint.
Aus dem vorigen Band sind neben der Herausgeberin bereits die Autorinnen Jess Kidd (eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen), Laura Purcell sowie der Autor Andrew Michael Hurley bekannt. Neu in der diesjährigen Ausgabe hinzugekommen sind Catriona Ward und Susan Stokes-Chapman.
Letztere erzählt vom „Witwenweg“, einer dunklen Gasse, welche die Fächermacherin Honoria jeden Abend entlang laufen muss, um zu ihrem Haus zu gelangen. Honoria wird von vielen Menschen bedauert, denn ihr Ehemann ist seit Wochen spurlos verschwunden. Es ist nun kurz vor dem jährlichen Weihnachtsball des ortsansässigen Lords, für welche Gelegenheit viele Damen des Ortes neue Fächer benötigen. So auch die Tochter des Lords, für die Honoria ein besonders schönes Stück anfertigt. Eine wirklich gruselige Geschichte, die auch viel Spannung entwickelt.
Auch sehr beeindruckt hat mich die Geschichte „Das Lied von Glocken und Ketten“ von Laura Purcell, in welcher die Gouvernante Abigail große Mühe hat, ihre Schutzbefohlenen unter Kontrolle zu halten und zu ordentlichem Benehmen zu erziehen. Schließlich, um die Ungebärdigen zu strafen und zu schrecken, erzählt sie eine düstere Schauergeschichte. Das aber zeitigt üble Folgen.
Jess Kidds Geschichte „Ada Lark“ handelt von einer betrügerischen Frau, die angeblich mit Verstorbenen Kontakt aufnehmen kann. Ada, ein kleines Waisenmädchen, spielt bei dem Betrug eine entscheidende Rolle. Doch plötzlich scheint sie tatsächlich Botschaften aus dem Jenseits zu empfangen.
Dann gibt es die Geschichte von Andrew Micheal Hurley über ein altes Theaterstück, das am Ende der Aufführung für einen der Schauspieler eine ganz schreckliche Überraschung bereithält. Bridget Collins erzählt von einer Schriftstellerin, die sich von einer steinernen Figur bedroht fühlt und Catriona Word schließlich von einer Gestalt, die immer dann auftaucht, wenn die Protagonistin lügt.
Nicht alle sechs Geschichten sind gleich schaurig, nicht alle wirklich gruselig. Die Geschichten spielen zu ganz unterschiedlichen Zeiten, mal in früheren Jahrhunderten, mal nach dem Zweiten Weltkrieg, mal erfährt man es gar nicht, was vielleicht ein gewisses Manko ist.
Gemeinsam ist den Geschichten die fast immer wirklich überraschende Pointe, das verblüffende Ende. Und vor allem auch die meisterhafte Schreibkunst der hier versammelten Schreibenden. Wie es ihnen gelingt, die passende Stimmung, die unheimliche Atmosphäre zu erschaffen, das ist schon wirklich genial. Auch wenn man sich nicht unbedingt wirklich fürchtet bei der Lektüre, so ist das gesamte Buch doch sehr unterhaltsam, wunderbar geschrieben und wirklich gelungen.
Eine uneingeschränkte Leseempfehlung für alle, die englische Schauerromane lieben.
Bridget Collins (Hrsg.) – Wintergeister
aus dem Englischen von Sibylle Schmidt
DuMont, September 2024
Gebundene Ausgabe, 236 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 09.10.2024
Zwei Leben
Arenz, Ewald

Zwei Leben


gut

Es ist ganz sicher eine Binsenweisheit, dass ein Autor nicht immer gleich gut schreibt, dass Leser:innen nicht alle seine Werke gleich gut gefallen. Bei Ewald Arenz ist das für mich sehr ausgeprägt, haben mich doch vor allem zwei seiner bisherigen Romane sehr berührt und überzeugt, andere dagegen konnten mich nicht erreichen.
Nun also ein neuer Roman aus der Feder dieses fleißigen Autors, dessen „Alte Sorten“ oder insbesondere „Der große Sommer“ absolute Highlights waren und sind. Diesmal entführt er uns in ein Dorf in Süddeutschland, zu Beginn der 70er Jahre. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt der Handlung, aus ihren Perspektiven verfolgen wir die Ereignisse.
Da ist Roberta, Anfang 20, die für eine Schneiderlehre in der Stadt war, ein paar Jahre von zuhause fort. Sie hat in einer Fabrik gelernt und gearbeitet, war in einem ganz anderen Umfeld als sie es vom heimatlichen Dorf gewöhnt ist. Ihre Eltern betreiben einen Bauernhof, wo es ständig und immer viel zu tun gibt. Vater und Mutter sind wortkarg, es interessiert sie nur die zurückkehrende und schmerzhaft vermisste Arbeitskraft, ihr Interesse an Robertas Wünschen oder Gefühlen ist so gut wie nicht vorhanden.
Und da ist Gertrud, die Frau des Pfarrers. Seit Jahren lebt sie in dem Dorf, ist dort aber nie heimisch geworden. Solange ihr Sohn Wilhelm noch klein war und ihrer Obhut bedurfte, war sie beschäftigt. Doch inzwischen ist er erwachsen, leistet gerade seinen Zivildienst ab, und Gertrud fühlt sich mehr denn je fehl am Platz. Sie erstickt an Langeweile, vermisst das Leben in der Großstadt Hamburg, in der sie aufwuchs.
Dass sich zwischen Roberta und Wilhelm eine große und berührende Liebesgeschichte entwickelt, bekommt Gertrud, so verstrickt in ihr eigenes Selbstmitleid, nicht mit. Roberta, der selbst nicht wirklich bewusst ist, dass sie eigentlich lieber als Schneiderin arbeiten würde statt Bäuerin zu sein, sieht für sich aber keine Alternative, als einziges Kind ihrer Eltern. Für Roberta ist die Arbeit auf dem Hof mit allem was dazu gehört, selbstverständlich. Sie redet es sich schön, malt sich das Leben idyllischer als es ist.
So glaubt sie auch nicht an eine Zukunft mit Wilhelm, der irgendwann zum Studieren fortgehen wird, während sie ans Dorf gebunden ist. Ihre Beziehung halten die Beiden vor allen geheim, der Grund dafür hat sich mir bei der Lektüre nicht so ganz erschlossen. Derweil geht Gertrud auf eine zweimonatige Reise mit ihrem Bruder durch Europa, kommt zurück und empfindet die dörfliche Enge nun umso schlimmer.
Dann geschieht vieles auf einmal, bis es schließlich in einem Unglück kumuliert. Und am Ende sind alle da, wo sie am Anfang waren.
Wie immer schafft Ewald Arenz es, die genauen Strömungen, die Atmosphäre des Dorfes, der Landwirtschaft und des Pfarrhaushaltes exakt einzufangen. Er arbeitet viel mit allen Sinnen, schildert stets die Gerüche, die bei Roberta immer wieder bestimmte Erinnerungen und Assoziationen auslösen. Arenz widmet dabei viele Sätze, viele Worte diesen Beschreibungen. Doch leider empfand ich diesmal alles als zu süßlich, zu idyllisch.
Die Handlung nimmt an mancher Stelle schmonzettenhafte Züge an, alles wird ein bisschen zu dick aufgetragen. Nach etwa zwei Dritteln wird es geradezu groschenheftartig, wird es banal und kitschig. So gut der Autor Landschaft und Stimmung der Natur beschreiben kann, so wenig gelingt es ihm in diesem Roman, die Gefühle der Figuren in Worte zu fassen. Besonders störend das ständige Lächeln. Alle lächeln stets, auch an Stellen, an denen es völlig unpassend ist. Lächeln ist der einzige Gefühlsausdruck. Abgesehen von Robertas Umgang mit dem Unglücksfall, hier wiederum schafft es der Autor, ihre Gefühle sehr bildhaft und einfühlsam zu beschreiben.
Insgesamt ein etwas zu kitschiger Frauenroman um künstlich aufgebauschte Probleme. Nicht so überzeugend wie andere Bücher dieses guten Autors.
Ewald Arenz – Zwei Leben
DuMont, September 2024
Gebundene Ausgabe, 363 Seiten, 25,00 €

Bewertung vom 07.10.2024
Charly Broms Dilemma
Linder, Lukas

Charly Broms Dilemma


sehr gut

Charly Brom, Vater eines kleinen Sohnes, wird durch einen Anruf in seine Vergangenheit zurückgeworfen. Die liegt in seiner Heimat, wo er als Jugendlicher schwere Schuld auf sich geladen zu haben glaubt. Dieser Anruf wirft ihn völlig aus der Bahn, treibt ihn nach Hause, zu Mutter und Großmutter.
Diese beiden hausen seit Jahrzehnten unter einem Dach, seit Charlys Vater bei einem Fenstersturz ums Leben kam. Die beiden Frauen umkreisen sich, ärgern sich gegenseitig. Die Großmutter, rüstig für ihr Alter, tut, als wäre sie schwer krank. Die Mutter, neuerdings mit Männerbekanntschaft, hat ihr Faible für Antiquitäten entdeckt.
Charly trifft nun in seiner Heimat auch alte Bekannte wieder, wird immer wieder schmerzhaft an Ereignisse aus seiner Kindheit und Jugend erinnert und ist getrieben von der Sorge, sein damaliges Verbrechen könnte ans Licht kommen. Er ist hin und her gerissen zwischen Hoffen auf weiteres Verschweigen und dem Drang, alles zu gestehen. Darunter leidet seine Beziehung zu Nina, der Mutter seines Sohnes Emil.
Erst nach und nach dröselt sich die Geschichte auf, zeigt sich, was seine damalige anhimmelnde Verliebtheit in die Metzgersgattin mit den Geschehnissen zu tun hat, wie die anderen Protagonisten der seinerzeitigen Ereignisse darin verstrickt sind.
All das wird sehr humorvoll erzählt, mit viel Augenzwinkern, mit liebevoller Ironie und stark überzogenen Charakteren. Besonders Charlys Mutter und Großmutter sind großartig gezeichnet, herrlich skurril, absolut verschroben und wunderbar liebenswert. Charly selbst ist arg verpeilt, völlig unorganisiert, hat nach und nach den Überblick über sein Leben gänzlich verloren und torkelt sozusagen durch das Geschehen.
Aber auch all die anderen Einwohner bekommen den Spiegel, eigentlich einen Zerrspiegel, vorgehalten. Alles wird leicht überhöht beschrieben, voller freundlichem Spott, aber doch auch so nah an den Figuren, dass sie bei aller Überzeichnung dennoch authentisch wirken.
Am Ende allerdings fragt man sich doch, was der Roman uns schließlich eigentlich erzählen, was der Autor uns sagen will. Abgesehen von der vergangenen Schuld Charlys fehlt ein roter Faden, fehlt eine stringente Handlung. Es gibt ständig Rückblicke auf die damaligen Ereignisse, die jedoch weder systematisch noch chronologisch eingefügt sind. Vielmehr wechselt das Erzählen meist urplötzlich von der aktuellen Handlung in den Rückblick, was man manchmal erst nach einer ganzen Weile erkennen kann, da die Übergänge nahtlos aneinander gefügt sind.
Ein stilistisch außergewöhnlicher, sehr skurriler Roman mit interessantem Personal und witziger Ausgangssituation, bei dem aber doch nicht alles hundertprozentig überzeugt.
Lukas Linder – Charly Broms Dilemma
Kein & Aber, September 2024
Gebundene Ausgabe, 286 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 04.10.2024
Nachbarinnen
Danz, Ella

Nachbarinnen


gut

Im Ansatz eine interessante Geschichte, mit dem Stil, in welchem sie umgesetzt wurde, wurde ich allerdings nicht warm. Vier Frauen, Nachbarinnen in einem Mehrfamilienhaus in Berlin, hadern auf die eine oder andere Weise mit ihrem derzeitigen Leben. Dabei hat die eine mehr, die andere eher weniger Grund dazu.
Und es geht schon wieder um Mütter – offensichtlich ein derzeit sehr populäres Thema in der Bücherwelt. Die vier Protagonistinnen, aus deren jeweiliger Perspektive der Roman erzählt, sind Vera, Frederike, Tanja und Jenny.
Vera ist bei weiten die Älteste, eine Kriminalschriftstellerin (wie die Autorin des Romans selbst auch). Ihre Tochter ist längst erwachsen und lebt in New York. Doch auch Vera mutiert in gewisser Weise wieder zu einer Mutter mit einem zu betreuenden Kind, denn ihr Mann ist, seitdem ein Aneurysma in seinem Gehirn platzte, behindert, wenn auch noch kein wirklicher Pflegefall.
Tanja ist Mutter dreier Kinder, alleinerziehend, unkompliziert, stets gut gelaunt. Sie arbeitet als Kellnerin und liebt Dylan, einen irischen Musiker, der allerdings mehr durch Abwesenheit glänzt.
Frederike lebt seit kurzer Zeit zusammen mit Thomas, der schon länger in diesem Haus wohnte. Sie haben einen kleinen Sohn, Frederick, der ständig krank ist, Krampfanfälle hat. Sie hält sich für die Einzige, die weiß, was ihm guttut. Außerdem hat sie Angst vor ihren Eltern, besonders vor ihrem Vater, die immer wieder ihren Besuch ankündigen.
Und Jenny schließlich hat nichts anderes im Kopf als unbedingt und sofort schwanger zu werden. Alles dreht sich für sie um dieses Thema, sie ist wie besessen davon, spricht von nichts anderem, quält ihren Freund zu den fruchtbaren Tagen mit ihr zu schlafen und glaubt stets bereits am nächsten Tag zu spüren, dass es diesmal geklappt hat.
Vera ist diejenige, die immer wieder versucht, mit ihren Nachbarinnen in Kontakt zu treten. Sie lädt sie ein, sie spricht mit ihnen. Während Jenny und Tanja darauf eingehen, zieht sich Frederike eher zurück, bleibt ablehnend, verschlossen.
Immer wieder wechseln die Perspektiven, werden die Ereignisse mal aus der Sicht der einen, mal aus der einer der anderen Frauen erzählt. Dies in Ich-Form und so nah in der jeweiligen Figur, dass man quasi mit ihr gemeinsam erlebt, was geschieht. Man folgt ihren aktuellen Gedanken, als wäre man in ihr drin. Bei Frederike wird so getan, als schreibe sie Tagebuch, bei den anderen ist man direkt in ihren Köpfen.
Das irritiert, das ist gewöhnungsbedürftig. Es fiel mir schwer, damit warm zu werden, zumal dort, wo ich die Gefühle der Figur nicht nachvollziehen konnte, wo sie mich teils eher abstießen, wie z.B. die Besessenheit von Jenny. So hat das Thema des Romans durchaus Potenzial, wenn auch vieles abgedroschen ist und thematisch zu oft auserzählt wurde. Aber die Umsetzung konnte mich nicht überzeugen, statt, wie sicher beabsichtigt, mich näher an die Figuren heranzuführen, stieß sie mich eher von ihnen ab. Warm wurde ich mit keiner der Protagonistinnen, außer vielleicht Tanja, die von allen die natürlichste, authentischste war. Und diejenige, die wirklich reichlich Probleme hatte und dennoch am wenigsten jammerte.
Ein Roman, der durchaus Spannungsmomente hat (auch wenn man vieles bald ahnt), der aber wenig Neues erzählt.
Ella Danz – Nachbarinnen
gmeiner, September 2024
Taschenbuch, 313 Seiten, 18,00 €