Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
http://lotharpawliczak.blog.de/
Wohnort: 
Berlin
Über mich: 
Nach In 15 Jahren Reiseleitung gelingt es mir immer noch, mich über so manchen Unsinn oder Fehler in dem einen oder anderen Guidebook zu ärgern. So habe ich denn begonnen, der nahezu unübersehbaren Venedigliteratur selbst noch ein vielleicht überflüssiges Buch unter dem Titel „Was man so alles nicht über Venedig weiß“ hinzuzufügen (erscheint 2011).

Bewertungen

Insgesamt 39 Bewertungen
Bewertung vom 29.03.2010
Über den Fluß und in die Wälder
Hemingway, Ernest

Über den Fluß und in die Wälder


schlecht

Das schlechteste Buch, das er geschrieben hat

Die Liebe des alternden und todkranken Cantwell zur 19jährigen Venezianerin Renata "ist so sehr als ein andauernder Gleichklang beschrieben, daß sich die ausführlichen Liebesdialoge, die sich durch das ganze Buch ziehen, beinahe bis zur Blödigkeit wiederholen. So ist der Roman vollkommen statisch, ohne jede eigentliche Aktion oder Entwicklung, das Paar besucht 'Harry's Bar', speist im Hotel 'Gritti', setzt sich in eine Gondel, streift durch Venedig, und überall stehen Cantwells alte Freunde herum ..." (HANS- JOSEF ORTHEIL: Venedig. Eine Verführung. München/Wien 2004, S. 113)
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen!
HEMINGWAY litt an Schreibblockade, weil die Abenteuer aus jüngeren Jahren nicht zu wiederholen und die Freunde abhanden gekommen waren. Er verfiel in heftiger Liebe zur 19jährigen ADRIANA IVANCICH, deren älterer Bruder im II. Weltkrieg schwer verwundet und deren Vater im Sommer 1945 vor seinem Haus Opfer eines Attentats geworden war. Freunde waren als Soldaten im Krieg umgekommen und ein Teil des Familienbesitzes der IVANCICH bei Bombenangriffen zerstört worden. Nur seine (4.) Ehefrau bewahrte HEMINGWAY vor den größten Peinlichkeiten. ADRIANA IVANCICH - verheiratete Gräfin Rex - leistete sich die Peinlichkeit, den Einband zur Rowohlt-Ausgabe von "Über den Fluß und in die Wälder" zu entwerfen, was sie aber wieder wettmachte, indem sie bald nach dem Tod von HEMINGWAY dessen an sie gerichtete Liebesbriefe versteigern ließ. Ihre Erinnerungen Il Torre Bianco brachten nicht genug.
Statt einer Erzählung, die ebenso dramatisch wir grotesk mit der Geschichte Venedigs vor dem Hintergrund des II. Weltkrieges und der Zeit danach hätte verknüpft werden können, entschied sich HEMINGWAY, die Stadt lediglich als Kulisse seiner Erzählung zu verwenden, die auch jeder andere schöne Ort der Welt gut hätte abgeben können. Diese Kulisse steht ebenso wie Cantwells alte Freunde in der Gegend herum, um dem Gelegenheiten zu bieten, sich immer wieder als doch eigentlich toller Kerl zu präsentieren. Ich meine, das Wort "Maulheld", das "im Kern den Tatbestand" trifft (Angelika Corbineau-Hoffmann: Paradoxie der Fiktion. Literarische Venedigbilder 1797-1984. Berlin/New York 1993 S. 479 Anm. 191), ist hier keineswegs zu hart und banal. Und was soll man zum Vergleich der Kirche Santa Maria del Giglio mit einem Jagdbomber sagen?
Wenigstens ist das Buch an dem "sich die Legende von ,Papa' Hemingway (bildete), der zwischen dem Gritti und Harry's Bar als lebendige Venedig-Reklame verkehrte" (FRANZ LOQUAI: Das Licht von San Marco. Ein Venedig-Lesebuch. München 2002, S. 450), weiter für die Stadt werbewirksam. Allerdings nicht ganz zu unrecht soll GIUSEPPE CIPRIANI gesagt haben: "Schauen Sie, es war umgekehrt! Ich, mein Lokal haben Reklame für ihn gemacht. Nicht zufällig hat er den Nobelpreis nachher bekommen, nicht vorher." (WERNER ROSS: Venezianische Promenade. Berlin 1996, S. 282)

Lassen Sie sich nicht von mir täuschen: Dieses Buch steht haushoch über vielem, was sonst so in Bücherregalen, ja sogar auf Bestsellerlisten zu finden ist - von Grabbeltischen ganz zu schweigen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.03.2010
Ein perfektes Wochenende... in Venedig

Ein perfektes Wochenende... in Venedig


sehr gut

Ein perfektes Wochenende besteht offenbar überwiegend aus Hotels und Restaurants

Ein perfektes Wochenende besteht offenbar aus 2/3 Hotel und Restaurant (80 Seiten einschließlich Fotos von STEFFEN JÄNICKE), 8% Shopping (91/2 Seiten), 1,7% Nightlife (2 Seiten) und 11,7% (14 Seiten) Sehenswürdigkeiten, Museen und Besonderheiten des Ortes. Das mag ja angehen, aber daß S. 90 steht, in der Markusbasilika lägen "auch (immerhin wurde die Kirche für diese Reliquie gebaut !) die Gebeine des heiligen Markus" und "keiner zweifelte bisher an ihrer Echtheit" (was schlicht nicht wahr ist), ist schon mißlich.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.03.2010
Mein Venedig
Leon, Donna

Mein Venedig


sehr gut

Amüsant, aber nichts über Venedig

DONNA-LEON-Fans sollten wissen, daß die Texte hier zweit- oder sogar drittverwertet erschienen sind, Venedig-Fans entdecken mit dieser Broschüre vielleicht etwas Neues. Mit erstaunlicher Offenheit, die Nicht-Amerikaner wahrscheinlich für Wahrhaftigkeit/Ehrlichkeit halten, schreibt DONNA LEON nicht nur Krimis, sondern eben auch über Alltagserlebnisse und -beobachtungen. Übrigens: Der angebliche Ausblick aus ihrer Wohnung (S. 48) ist so nicht möglich: "Wenn man nach rechts blickte, sah man den oberen Teil der Fassade von Santi Giovanni e Paolo, geradeaus den fernen Glockenturm von San Francesco della Vigna", der allerdings keine "Art Miniaturausgabe von San Marco" (gemeint ist wahrscheinlich des Marcusturm) ist. Oder ist hier nur schlecht aus dem Amerikanischen übersetzt worden: Wenn rechts Santi Giovanni e Paolo (Zanipolo) liegt, sieht man geradeaus auf die nördliche Lagune. Ist vielleicht gemeint, daß San Francesco della Vigna geradeaus östlich hinter Zanipolo gelegen sei? Dem ist so und daher wäre tatsächlich - wenn man westlich von Zanipolo in einem genügend hohen Haus wohnte - im Prinzip geradeaus hinter der Fassade von Santi Giovanni e Paolo der Glockenturm von San Francesco della Vigna zu sehen. Nur: Solche hohen Häuser, von denen man über Zanipolo hinwegsehen könnte, gibt es nicht!
Ihre kleinen, amüsanten Geschichten verlören allerdings nichts, würde man darin das Wort "Venedig" und seine Ableitungen tilgen. Das liegt vielleicht daran, daß sich DONNA LEON - wie man hört - in der venezianischen Gesellschaft rar macht und daher wenig von dem täglichen Klatsch und Ähnlichem erfährt, was Venedig-Kenner-und-Liebhaber so gern in ihren Texten verwursten. Dafür mischt sie sich offenbar gelegentlich gern in Stadtführungen ein und bestreitet hartnäckig, daß sie bei ihren Brunetti-Ortsbeschreibungen Fehler gemacht habe (Ich hätte sie - auch wenn ich sie damals schon von Angesicht gekannt und erkannt hätte - nicht verraten, denn ein Inkognito muß man irgendwie respektieren). Aber beides spricht ja nicht unbedingt gegen sie. Allerdings: Jemand, dem ich dieses Büchlein empfohlen hatte, gab es mir halb gelesen mit einer Frage zurück: Wieso wohnt jemand zwanzig Jahre freiwillig in einer Stadt, die er - sie - offensichtlich nicht leiden kann?

Bewertung vom 29.03.2010
Zwölf Spaziergänge durch Venedig
Rauh, Ulrike

Zwölf Spaziergänge durch Venedig


ausgezeichnet

Das ist Poesie, Venedigs würdig

Hier erzählt eine Malerin über die geliebte Stadt, vor allem natürlich über Gemälde. Hier malt eine Dichterin Bilder in Worten. Dass sie das feinsinnig Beobachtete und Beschriebene wirklich auch malen kann, beweisen die Abbildungen von dreien ihrer Pastelle und einem Aquarell. Da wünscht man sich mehr davon!
Nirgends bricht bei ihr der bei anderen Autoren, die einige Zeit in Venedig gelebt haben oder leben, verschiedentlich kaum unterdrückte Stolz (oft ist es nur Hybris) durch, zu den vermeintlichen Venedig-Insidern zu gehören. Die Autorin hat kein Problem damit, gelegentlich zuzugeben, dass sie etwas nicht weis, dass sie manchmal in einem Reiseführer nachgeschlagen hat, dass sie dies gelegentlich für überflüssig hält und ohne Interesse über das eine oder andere hinweggeht, dass ihr mitunter ein Gemälde einfach nicht gefällt. Man mag ihr da vielleicht bisweilen nicht zustimmen, aber gerade diese ehrliche, offene Subjektivität zeichnet das Buch gegenüber vielen anderen aus. Autoren, die sich allwissend geben und dem Leser zumuten, ihm einfach zu glauben, gibt es genug!
Nur ein kleiner, kritischer Hinweis, zur Korrektur in der nächsten, 4. Auflage: Der 1. Textabschnitt im 12. Spaziergang (S. 95f) ist offensichtlich vertauscht worden und gehört zwischen den 3. und 4. Abschnitt in der 3. Auflage (also zwischen S. 97 und 98).

Bewertung vom 29.03.2010
Auch das ist Venedig
Störmer, Udo

Auch das ist Venedig


ausgezeichnet

ein rundum gutes Venedig-Kenner-und-Liebhaber-Buch

Das Bändchen bietet viel mehr, als sein Untertitel verspricht. Schon die erste Annäherung macht klar, was viele Autoren ignorieren: Venedig war und ist ständig in Veränderung begriffen. Genau das macht es so interessant, Vergangenheit und Gegenwart miteinander in Beziehung zu setzten. Der Autor verfällt aber nicht in das so weit verbreitete, romantisierende Lamento: "Möchten wir die komfortableren und klaren Verhältnisse des heutigen Zustandes missen? Diese Frage, meist ein zögerliches 'Nein' provozierend, wird sich als Leitmotiv unseres Spaziergangs erweisen." (S. 27)
Auch mit zwei Karten (S. 11 und 83) macht der Autor anschaulich klar, was selbst seriöse und sonst sehr ordentliche wissenschaftliche Studien zu Venedig oft ignorieren: viele Bereiche der Stadt wurden erst im Laufe der Zeit zu bebaubaren Inseln aufgeschüttet, viele Kanäle später wieder zugeschüttet (zu beidem wäre noch mehr zu sagen). Das sei zur allgemeinen Nachahmung empfohlen und jedem Leser sei so allgemein Skepsis angeraten: Wenn von der Vergangenheit Venedigs die Rede ist, gehört dazu nicht einfach als Veranschaulichung ein aktueller Stadtplan, sondern die Illustration der seither erfolgten Veränderungen. Wiedergaben alter Stadtpläne, Veduten, Stiche und Gemälde allein - die gibt es bei STÖRMER auch reichlich (da wünscht manb sich immer noch mehr) - tun es nämlich nicht.
Auch stellt der Autor klar, aus welchen Quellen er - wie manch anderer Autor insgeheim - schöpft. Seltsamerweise meinen ja Verlage von Populärliteratur offenbar, Quellenangaben und Literaturhinweise seien meist überflüssig, wohl weil sie die Käufer ihrer Erzeugnisse ohnehin nicht für kompetent halten. Welch Armutszeugnis - nicht für die Leser, sondern für die Verlage! Das Buch spricht also auch positiv für den Verlag.
Weit über sein eigentliches Thema hinausgreifend und sich diesem annähernd, führt der Autor vom Bahnhof (der wird zu Recht offenbar einer Erwähnung nicht für würdig befunden) an das östliche Ende der Stadt und dann noch einmal kursorisch über die Geschichte der kleinen Inseln in der Lagune zur ja ehemals ebenso kleinen Insel Sant'Elena hin.
Es ist wirklich schon lange überfällig, dass Sant'Elena gewürdigt wird. Bei literarischen Berühmtheiten wie LORD BYRON, der in Venedig krampfhaft nach Zeichen des Verfalls suchte und hier hätte fündig werden können, oder THOMAS MANN kommt das alte Kloster nicht vor und Humbert Fink klagt, es gebe nur wenige "Handbücher(n), welche diese Insel überhaupt einer Erwähnung würdigen" (Begegnung mit Venedig. Innsbruck/Frankfurt 1989, S. 170). Touristen kommen meist - wenn überhaupt - nur bis zum Gelände der Esposizione Internazionale d'Arte Moderna. Apropos: Der größte Teil der auf Veranlassung von NAPOLEON BONARPARTE angelegten Giardini pubblici wird von der Biennale beansprucht "und ein Wort des Tadels dürfen wir nicht unterdrücken. Die Veranstalter der Biennale haben ihren Parkteil durch eine häßliche und ganz überflüssige hohe Mauer vom Rest von Sant'Elena abgegrenzt ... Die Exponate lassen einen verständigen Menschen lachen, wenn er guter, und sich ärgern, wenn er schlechter Laune ist." (Störmer S. 89)
Ich kann nur empfehlen, das Buch in die Hand zu nehmen und sich am Fußballstadium vorbei (S. 105: "Scheußlichkeit von ganz anderen, von wirklich undiskutablen Ausmaßen") nach Sant'Elena führen zu lassen. Der Weg führt vom Vaporetto-Anleger durch das Quartiere Sant'Elena, dessen Baugeschichte und Schönheit (Architekturpuristen sind sicher anderer Meinung) gebührend Platz eingeräumt wird, während das sterile Wohngebiet beidseitig des Rio di Quintavalle zurecht ignoriert wird.

Bewertung vom 29.03.2010
Venedig unter vier Augen
Begley, Louis; Muhlstein, Anka

Venedig unter vier Augen


weniger gut

Das erste Drittel in den Papierkorb, der Rest ist halbwegs gut

Man gilt ja heutzutage wohl als altmodisch oder irgendwie nicht "normal", wenn man literarischen Exhibitionismus einfach widerwärtig findet. Na schön, dann bin ich eben altmodisch. Was normal ist, kann sowieso nur der Psychiater entscheiden. Aber warum muss sich BEGLEY ausgerechnet unter dem Titel "Der Königsweg nach Venedig" entblößen? Passender und ehrlicher wäre als Titel "Nach Venedig durch die Unterhose" gewesen.
Dass ANKA MUHLSTEIN sich die Peinlichkeit leistet, ihren schönen Text "Die Schlüssel zu Venedig" auf die Altmännerphantasien ihres Gatten folgen zu lassen, wird ja wohl wenigstens noch etwas Verwunderung hervorrufen dürfen. Auch der Verlag hielt das wohl für irgendwie erklärungsbedürftig und teilt im Klappentext mit, dass die beiden "seit fast dreißig Jahren verheiratet" sind. ANKA MUHLSTEIN schreibt nett, wie sie die Stadt kennen lernte(n), von Angelesenem (manchmal mit vager Quellenangabe) und offensichtlich Aufgeschnapptem - nett, aber auch ein bisschen langweilig.
Dass BEGLEY auch Lesenswertes schreiben kann, zeigt sein zweiter Text "Romane und Venedig" - ein Essay über die Venedig-Dichtungen von HENRY JAMES, MARCEL PROUST, THOMAS MANN und über sein eigenes Buch "Mistlers Abschied". Seine Analyse über Venedig als Handlungsort der Romane könnte einen Ansatz für eine Theorie der Romankulisse (sicher gibt es die aber schon) hergeben: 1. der in einen Ort hineingeschriebene Roman, der Handlungsort als Bühnenbild: HENRY JAMES "Aspens Nachlaß"; 2. der Handlungsort als dramatische Person: HENRY JAMES "Die Flügel der Taube"; 3. die Stadt als mythischer, exotischer Ort: MARCEL PROUST "Die Flüchtige" (6. Band der Suche nach der verlorenen Zeit); 4. die Stadt als Gefäß, Illustration der Empfindungen: THOMAS MANN "Der Tod in Venedig"; 5. die Stadt als beliebiger Handlungsort, der auch jeder andere sein könnte: vermutlich BEGLEYS "Mistlers Abschied" selbst, worauf seine 2x wiederholte Aussage schließen lässt: "So kam mir unausweichlich Venedig in den Sinn, denn wie Mistler weiß ich, dass mich an Venedig nichts stört ..." (S. 156 sowie S. 153) Wenn das das Thema seines Romans ist, kann man sich es wohl schenken, ihn zu lesen.

Insgesamt ist der Dreiklang der Texte eher ein Missklang: Es ist zu vermuten, dass Leser, denen jeweils einer der Texte zusagt, wenig Verständnis für die anderen beiden aufbringen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.03.2010
Venedig Eine Verführung. Mit Fotografien von Jörg Schaper.
Ortheil, Hanns-Josef

Venedig Eine Verführung. Mit Fotografien von Jörg Schaper.


sehr gut

Ich bin hin- und hergerissen

Über Ankünfte in Venedig, IGOR STRAWINSKIJS Beerdigung, feinen "Sonnendunst" (S. 17), "tranige(r) Schwere" des Wassers (S. 19), "malerische(n) Tableaus" der Campi (S. 20), über Kirchen mit ihren prächtig-beeindruckenden Gemälden, die Rialto-Märkte, Museen und Palazzi, über berühmte Maler der Stadt, den Bucintoro, Piazza und Piazetta S.Marco, Denkmäler, Gondeln, Gondolieri, Vaporetti und Traghetti, Harry's Bar, Torcello, die Giudecca und den Lido ist schon viel erzählt worden, ORTHEIL tut es in wahrlich wohlgesetzten Worten. Er braucht die gängigen Venedig-Klischees nicht, um vor allem in Bars und Restaurants zu führen. Einerseits reiz/ßt es mich (hin), zu fordern, daß er doch bitteschön jeweils die genaue Adresse der beschriebenen und so empfohlenen Bars oder Restaurants angeben möge, damit der weniger kundige Leser die auch finden und genießen kann. Anderseits wäre das aber ungerecht gegenüber allen anderen guten Lokalitäten, die man ja unmöglich alle aufzählen kann. Oder sollte man als Autor den erwähnten Adressen einen Werbeobulus abverlangen, was man dann fairerweise auch dem Leser mitteilen müßte (Ich werde in Vorbereitung meines Venedig-Buches rechtzeitig darüber nachdenken)?
HANS-JOSEF ORTHEIL präsentiert aber alles andere als einen RestaurantFührer, obwohl es sich der Autor als vielleicht begnadeter Topfgucker nicht verkneifen kann - es ist wohl eine neuere Mode, wie die Venedig-Krimis - Venedig-Kochrezepte aufzuführen (das Rezeptregister S. 140f ist durchaus praktisch). So recht weiß ich auch hier nicht, was ich davon halten soll. Wenn MARLENA DE BLASI (Tausend Tage in Venedig. Frankfurt 2005, 52007) Kochrezepte anführt, ist das konsequent, denn sie ist immerhin eine renommierte amerikanische Restaurantkritikerin und profunde Kennerin der italienischen Küche. Aber Venedig-Kenner-und-Liebhaber-Autoren oder gar Reiseführer, die Rezepte empfehlen ...? Dann doch lieber ein ordentliches Venedig-Kochbuch!
Irritiert bin ich auch über HANS-JOSEF ORTHEILS gelegentliche unkritische Bewunderung für Oberst Richard Cantwell alias ERNEST HEMINGWAY, ja er steigert dessen Alleskönnerschaft sogar noch. Nicht einmal HEMINGWAY hat es gewagt, so zu schreiben - HANS-JOSEF ORTHEIL macht klar, daß der das genau so gemeint hat: "Cantwell ... lässt (er) sich von einem Fischverkäufer ein gebogenes Messer geben und schneidet ... besser, als selbst der Fischverkäufer es gekonnt hätte, .. 'ganz dicht an der Muschel entlang'." Ob das ironisch oder bewundernd gemeint ist, lässt der darauf folgende Satz offen: "Mit so einfachen, indirekten Hinweisen deutet Hemingway an, was für ein imponierender, welterfahrener Bursche sein Richard Cantwell ist ..." (S. 43f) HEMINGWAY ist übrigens keineswegs solch ein "solitaire ambulante" (S. 49), daß er stets mühelos, wie etwa behauptet, durch das Gewirr der Gassen findet: in mindesten einem Fall ist dessen Wegbeschreibung eindeutig falsch (Was Wunder, wo der doch meist sowieso nur zwischen dem Hotel Gritti und Harry's Bar hin- und her pendelte.) und der einzige italienische Satz in HEMINGWAYS Buch ist auch noch fehlerhaft.
Vielleicht täuscht ORTHEIL auch nur sich und den Leser gegen eigene Erkenntnis: Seine ebenso knappe wie treffende Kritik von "Über den Fluß und in die Wälder" steht S. 113ff .

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.