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Bücherfreund54
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Detmold

Bewertungen

Insgesamt 19 Bewertungen
12
Bewertung vom 28.09.2022
Die Kriegerin
Bukowski, Helene

Die Kriegerin


gut

Keine leichte Lektüre
Helene Bukowski macht es den LeserInnen ihres Romans „Die Kriegerin“ nicht leicht. Obwohl aus der Perspektive der einen Hauptfigur, Lisbeth erzählt, gibt die Erzählerin nur wenig von dem preis, was im Inneren der Figur sich abspielt. Sie schildert die Ereignisse mit Distanz. Dies gilt auch für die zweite Hauptfigur, die bis kurz vor Schluss namenlos bleibt. Der/die LeserIn muss sich die inneren Handlungsmotive und die Befindlichkeit der beiden Hauptfiguren selbst erschließen. So ist es bei Lisbeth ihre Neurodermitis, die immer dann einen Schub bekommt, wenn sich psychische Probleme auftun. Und ihre Träume spielen eine besondere Rolle.
Die erzählerische Distanz passt zum Charakterzug der beiden Frauen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, anderen Menschen gegenüber wenig öffnen. Und obwohl sie befreundet sind, öffnen sich auch die beiden Frauen erst am Schluss des Romans, als schon eine Katastrophe droht.
Die Sprache passt sich der Erzählweise an: die Formulierungen sind einfach, fast lakonisch.
Ich fand es schon spannend zu lesen, wie zwei Außenseiterinnen letztlich doch zueinander finden.

Bewertung vom 24.08.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Verstörend und großartig
Ein Mann verliert seine Frau, drei Kinder verlieren ihre Mutter. Wie können sie mit diesem Verlust fertig werden? Dieser Frage geht Stefanie vor Schulte in ihrem zweiten Roman nach. Und sie tut das auf eine sehr ungewöhnliche Weise, die einen aufmerksamen Leser verlangt, der bereit ist, sich auf den außergewöhnlichen Sprachstil einzulassen. Eine durchgehende Handlung fehlt. In einzelnen Episoden wird gezeigt, wie unterschiedlich die Familienmitglieder mit ihrer Trauer umgehen und wie sie doch als Familie auch ohne Frau bzw. Mutter zusammenfinden.
Die Grenze zwischen Realität und Imagination wird immer wieder aufgehoben, vor allem in dem Schlusskapitel, in dem ein umgedrehter Küchentisch zu einem Boot wird und die Familie einer imaginären Spur der Frau/Mutter folgt und schließlich auf einer Insel landet, auf der die Mutter einmal in einer Hütte vermeintlich gelebt hat: „Sie ist leer. Johanne ist hier nicht mehr. Nur wenige Dinge sind noch übrig. Aber in diesen scheint ein Laut, ein Duft eine Seele geborgen.“
Dem Leser wird es nicht leicht gemacht, eine rationale Handlungslogik fehlt. Aber es geht ja eben um eine innere Handlungslogik, um den Versuch, seelische Vorgänge in der Handlungsweise von Figuren deutlich zu machen. Das ist verstörend, aber großartig gelungen.

Bewertung vom 17.08.2022
Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3
Storks, Bettina

Ingeborg Bachmann und Max Frisch - Die Poesie der Liebe / Berühmte Paare - große Geschichten Bd.3


ausgezeichnet

Zwiespältig
Es ist ohne Zweifel ein schwieriges Unterfangen, die gescheiterte Liebesbeziehung zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, beide zur Zeit ihrer Liebesbeziehung gefeierte Schriftsteller, literarisch aufzuarbeiten. Sicherlich gelingt es Bettina Storks, die grundlegenden Konfliktebenen der Beziehung offenzulegen: der unbedingte Freiheitswille Ingeborg Bachmanns, ihre Suche nach einer poetischen Sprache und ihre Hingabebereitschaft auf der einen Seite, die kleinbürgerliche Bodenständigkeit Frischs, seine Arbeitsdisziplin und seine übersteigerte Eifersucht auf der anderen Seite. Storks versucht beiden Persönlichkeiten gerecht zu werden, indem sie abwechselnd aus der Sicht Bachmanns bzw. Frischs schreibt. Dabei gibt sie jede Distanz zu den Figuren auf, indem sie jeweils von „Ingeborg“ und „ Max“ spricht. Unverkennbar aber gehören ihre Sympathien Ingeborg Bachmann ( Bettina Storks ist zu einem Thema über Ingeborg Bachmann promoviert worden). Vielleicht ist es diese Sympathie, die verhindert, dass der exzessive Alkohol- und Medikamentenmissbrauch von Ingeborg Bachmann näher thematisiert wird. Und der ist nicht allein durch die problematische Beziehung zu Max Frisch bedingt.
An vielen Stellen fügt Storks Zitate aus Werken Bachmanns und Frischs ein und bezieht sie auf biografische Gegebenheiten ihrer Beziehung. Das ist ein sehr problematisches Verfahren, reduziert sie doch die Literatur Bachmanns und Frischs auf biografische Versatzstücke. Ebenso problematisch ist es, ein Originalzitat mit einem Zitat der Sekundärliteratur zu verbinden, ohne dies zu kennzeichnen.
Wirklich zu verstehen ist die Problematik der Beziehung zwischen Bachmann und Frisch nur, wenn man beider Werke kennt. Und auch um die Rolle Paul Celans in dieser Beziehung zu verstehen, ist eine Kenntnis seiner Dichtung notwendig.

Bewertung vom 10.08.2022
Eine Feder auf dem Atem Gottes
Nunez, Sigrid

Eine Feder auf dem Atem Gottes


ausgezeichnet

Spurensuche
In dem stark autobiografisch geprägten Roman „Eine Feder auf dem Atem Gottes“, der bereits 1995 in Amerika erschienen ist, geht die vor allem in den USA bekannte Schriftstellerin Sigrid Nunez auf biografische Spurensuche. In vier Kapiteln geht sie ihren biografischen Wurzeln nach bis zum Alter von 17 Jahren nach.
Das erste Kapitel ist dem chinesisch-panamaischen Vater gewidmet, der kaum spricht, aber umso mehr arbeitet. Was sie über ihn weiß, erfährt sie von anderen Personen. Mit ihm selbst hat sie kaum gesprochen.
Im zweiten Kapitel beschreibt die Ich-Erzählerin ihre Mutter, die mit ihrem Leben unzufrieden ist und keine auf Vertrauen basierende Beziehung zu ihrer Tochter aufbauen kann.
Das dritte Kapitel hat dem Roman den Titel gegeben. Die Ich-Erzählerin berichtet von ihrem Traum, eine Ballett-Tänzerin zu werden und von dem Scheitern dieses Traumes. Ballett ist für sie auf der einen Seite die Möglichkeit, ihrer Wirklichkeit zu entfliehen. Auf der anderen Seite stellt sie aber auch schonungslos die desillusionierende Wirklichkeit des Balletttrainings dar.
Im vierten Kapitel geht es um die erste große Liebe der 17-Jährigen. Sie geht eine Beziehung mit einem doppelt so alten, verheirateten Russen aus Odessa ein. Dabei gelingt es ihr, ein für den Leser wirklich nachzuvollziehendes Portrait ihres Geliebten anzufertigen.
Der Roman ist sprachlich sehr präzise geschrieben und lässt sich dadurch sehr gut lesen.
Eine Leseempfehlung für alle, die sich dafür interessieren, aus welchen biografischen Gegebenheiten sich eine Persönlichkeit entwickelt.

Bewertung vom 19.07.2022
Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


ausgezeichnet

Gottesdemenz
Ich habe den Erstlingsroman der Journalistin Tamar Noorth in zwei Tagen ausgelesen und das ist durchaus ein Qualitätskriterium. Die Thematik ist sehr vielfältig. Im Vordergrund steht der Selbstfindungsprozess der Ich-Erzählerin, eine junge Frau von ca. 25 Jahren, angehende Pastorin. Aus ihr zunächst unerfindlichen Gründen kommt ihr die Fähigkeiten abhanden, irgend etwas auszusprechen, was mit Gott zusammenhängt. Sie nennt dies selbst Gottesdemenz. Dies stürzt sie eine Lebenskrise. Ihr wird klar, wie stark ihr Vorhaben, Pastorin zu werden, von dem Wunsch ihres Vaters abhängig war, sie als seine Nachfolgerin zu sehen.
Sie lebt in einer Beziehung mit einem Informatiker, der Agnostiker ist, den sie aber als sehr perfekten Menschen darstellt. Dass sie in der Beziehung nicht hundertprozentig zufrieden ist, merkt sie, als sie einen Mann kennen und lieben lernt, der ein ganz anderes Leben führt. Es kommt zur Trennung von ihrem Freund.
Der dritte zentrale Punkt ihrer Selbstfindung besteht in der Aufarbeitung des Todes ihres Bruders vor 15 Jahren..
Diese Punkte der Selbstfindung werden in dem Roman weitgehend schlüssig und nachvollziehbar dargestellt. Als Leser identifiziert man sich sehr stark mit der Ich-Erzählerin, sieht sie aber gegen Ende des Romans auch mit anderen Augen.
Als Leser hatte ich Angst, dass es zu einem platten HappyEnd kommt. Die Sorge war unbegründet, der Schluss lässt die Zukunft der Ich-Erzählerin durchaus offen.
Auch sprachlich vermag der Roman weitgehend zu überzeugen.
Uneingeschränkte Leseempfehlung.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.06.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


ausgezeichnet

Ausbruch aus dem Korsett
„Ein unendlich kurzer Sommer“- dieser Titel lässt aufhorchen: unendlich kurz? Ist das nicht ein Widerspruch?
Auf einem heruntergekommenen Campingplatz ohne Besucher treffen drei Menschen zusammen, die alle in einer Lebenskrise stecken.
Gustav, der Campingplatzbesitzer hatte vor über dreißig Jahren ein Liebeserlebnis, dessen Ende ihm immer noch zu schaffen macht. Zudem weiß er, dass er nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat, was er aber niemanden mitteilt. Er ist ein ausgesprochener Eigenbrödler.
Lale, die ihren Bruder verloren hat und aus der sie erdrückenden Beziehung zu ihrem Ehemann fliehen will. Für sie nutzt die Verfasserin als zentrale Metapher des „Korsetts“, das sie einschnürt und doch zusammenhält.
Christophe, der gerade seine Mutter bestattet hat und in ihrem Nachlass einen Brief von ihr an Gustav findet, den sie nie abgeschickt hat und aus dem hervorgeht, dass Gustav der biologische Vater von Christophe ist. Christophe glaubt nicht daran, jemals eine dauerhafte Beziehung eingehen zu können.
Der Roman erzählt nun in unaufgeregter, ruhiger Weise, wie diese drei Personen zueinanderfinden. Zuweilen hat der Roman dadurch Längen und gerät auch in die Nähe, kitschig zu werden. Trotzdem gelingt es der Autorin, die drei Hauptpersonen nachvollziehbar darzustellen und so die Identifikation der Leserschaft zu wecken.
Schwach dagegen ist die Darstellung des Ehemanns von Lale. Völlig unvorstellbar, warum Lale mit ihm verheiratet ist und warum sie überlegt, zu ihm zurückzukehren.
Das Ende des Romans - immer ein schwieriger Punkt - ist vorhersehbar, aber trotzdem akzeptabel.
Insgesamt ein Roman, den ich trotz gewisser Schwächen gerne gelesen habe.
Zurück zum Titel: Den scheinbaren Widerspruch muss jede(r) LeserIn für sich entscheiden.

Bewertung vom 30.04.2022
Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1
Vassena, Mascha

Mord in Montagnola / Moira Rusconi ermittelt Bd.1


weniger gut

Nichts Halbes und nichts Ganzes
Das beginnt schon mit dem Cover: Abgebildet ist eine romanische Kirche mit einem Beinhaus als Anbau. Der Titel des Buches „Mord in Montagnola“ lässt den Leser vermuten, dass es sich um eine Kirche in Montagnola handelt. Tatsächlich handelt es sich aber um die Kirche Santa Maria del sasso in Morconte, 10 km von Montagnola entfernt. Dies spielt aber keine Rolle, weil weder die eine noch die andere Kirche irgendeine Rolle in dem Roman spielen. Das Cover ist also reine Staffage. Beworben wird der Roman als „Destinationskrimi“. Dafür kommt mir aber die Beschreibung der Örtlichkeit noch zu kurz. Eine rechte Vorstellung von dem Dorf Montagnola habe ich jedenfalls nicht bekommen. Aber wenigstens spielen Briefe von Hermann Hesse, der in dem Dorf gelebt hat, eine Rolle.
Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Sehr realistisch wird die langwährende und qualvolle Tötung eines Mannes dargestellt. Der Leser muss vermuten, dass dieser Mann schwere Schuld auf sich geladen hat und dass sein Mörder voller Hass gegen ihn ist. Erwartet wird ein Blick in Abgründe menschlicher Seelen. Dieser bleibt dann allerdings weitgehend aus. Allein auf den letzten drei, vier Seiten deutet sich ein solcher Abgrund an. Dies führt letztlich dazu, dass der zu Beginn beschriebene Tötungsakt nicht wirklich motiviert ist.
Die Handlung selbst folgt dem Schema des „whodonit“. Der Leser erfährt die Ereignisse streng aus der Perspektive der Ermittlerin Moira. Er weiß an keiner Stelle mehr als sie. Daraus resultiert schon eine gewisse Spannung, da der Leser sich seine eigene Theorie aufstellen kann. Da aber die Psyche der Verdächtigen kaum ausgelotet wird, tappt er meist im Dunkeln. (Auf Seite 333 stellt sie übrigens extra eine Liste mit den bislang bekannten Indizien zusammen. Es sind genau drei!)
Und letztlich gelingt es auch der Ermittlerin nicht, den Fall durch logisches Kombinieren oder mit der Hilfe feiner Menschenkenntnis den Fall zu lösen. Darin sehe ich eine handwerkliche Schwäche des Romans und ein
sorgfältigeres Lektorat hätte dem Roman gut getan (immerhin verfasst der Lektor selbst Kriminalromane).
Moira ist keine ausgebildete Polizistin, sondern Übersetzerin, und sie ist zum ersten Mal überhaupt mit einem Kriminalfall konfrontiert. Dennoch heißt es relativ zu Anfang der Handlung über sie: „Moira stutzte. In ihrem Magen kribbelte es, immer ein Anzeichen, dass sie auf der richtigen Spur war.“ Immer? Es ist doch ihr erster Fall!
Sprachlich ist der Roman überwiegend solide. Doch gibt es ein paar Ausrutscher, von denen hier vier angeführt werden.
„Moira blieb dennoch liegen und spitzte die Ohren. ‚Nicht zur Polizei. Die würde uns sofort verhaften, auch wenn wir gar nichts mit dem Mord zu tun haben‘, sagte Agnes.Moira hatte das Gefühl, ihre Augen würden gleich vor ihr ins Gras kullern.“
„Moira Herz stürzte in ihren Magen - so fühlte es sich jedenfalls an. Sie kippte schnell den Wein hinterher.“
„Moiras Solarplexus wurde warm und begann zu prickeln.“
„‚Moira!‘ Lucas Stimme fuhr ihr direkt in den Solarplexus.“
Solche anatomischen Stilblüten lassen sich schon durch ein aufmerksames Lektorat vermeiden.
Bleibt festzuhalten: Ein Kriminalroman, der weder Thriller-Fans noch Liebhaber regionaler Krimis zufrieden stellen kann. Nichts Ganzes und nichts Halbes eben.

Bewertung vom 30.03.2022
Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach
Mattera, Julia

Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach


schlecht

Küchenpsychologie
Ohne Zweifel: Julia Mattera will uns mit ihrem Roman „Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach“ eine Botschaft vermitteln. Und das tut sie unablässig, penetrant, spätestens nach jeder zweiten Seite. So lässt sie eine Romanfigur, Maggie, formulieren: „Ich mache Reportagen über neue, umweltbewusste Lebensweisen, die letztlich nicht nur der Erde, sondern auch uns Menschen zugutekommen.“ Gegenstand ihrer neuesten Reportage ist unser Romanheld Robert. Robert ist ein begnadeter Koch, der sein Gemüse selbst zieht und das so hervorragend wächst und schmeckt, weil er mit ihm spricht. Und nicht nur das: Die Möhren verstehen ihn und reagieren auf ihn: „Guten Abend, meine Schätzlein“, verzeiht mir, dass ich so spät komme.“ Die Möhren erleben in seinem warmen Atem. Sie wirken ungeduldig. (…) Er beugt sich ganz nah zu ihnen und murmelt ein paar aufmerksame Worte in ihre Ohren. Die Möhren durchfährt ein angenehmer Schauer.“ Fragt sich, wie Robert es über sich bringen kann, diese wunderbaren Geschöpfe aus dem Boden zu reißen und sie zu verkochen. Aber das ist kein Problem. Wenn die Möhren so gut behandelt werden, dann ist es für sie der Lebenssinn, in einem Kochtopf zu enden. Und immerhin hat Robert jeder einzelnen Möhre einen Namen gegeben beim Ausreißen. Fragt man sich als Leser: Geht‘s noch?
Na gut, aber wie sieht es mit den Mitmenschen aus? Da hat Robert ein gewaltiges Problem: Er hatte vor 42 Jahren ein traumatisches Erlebnis, ein Unfall, bei dem seine Eltern starben. Vor allem den Tod seiner Mutter hat er nie verwunden und sich von der Welt und allen Mitmenschen zurückgezogen. Er lebt isoliert in seinem Gemüsegarten und kennt nicht einmal den Elsaß, seine Heimat.
Gott sei Dank gibt es aber sechs Laientherapeuten, die sich nach diesen 42 Jahren des Problems annehmen und es natürlich, das kann man verraten, ohne zu spoilern, lösen.
Für mich spannender war die Frage, ob Robert die Handlung überhaupt überlebt oder nicht vielmehr an Herzversagen stirbt. Er scheint nämlich ein ausgesprochenes Problem mit dem Blutdruck zu haben: „Robert wird puterrot“, „Behutsam richtet er sich auf, sein Atem geht schnell, das Herz rast“, „Das empfindsame Herz von Robert krampft sich angesichts dieses Vergleichs zusammen“, „Robert wird rot“, „Sein Herz schlug bis zum Hals“, „Sein Herz gerät erneut in Wallung und macht sich durch lautes Pochen bemerkbar“, „Sein Herz war nicht mehr im Zaum zu halten“, „Roberts Herz gerät so aus dem Takt, dass ihm die Luft wegbleibt“, „Robert steigt das Blut zu Kopfe“, „Roberts Wangen glühen, es fühlt sich an, als würde er von Kopf bis Fuß erröten“, „Roberts Wangen sind jetzt krebsrot“, „Seine Brust schmerzt, so wild schlägt sein Herz“, „Roberts Wangen färben sich hochrot“, „Die warme Glut rötet seine Wangen“, „Roberts Wangen färben sich rot“, „Roberts Herz beginnt schneller zu schlagen“, „Sein Herz rutscht ihm vollends in die Hose“, „Verzaubert von ihren Worten, schmilzt Roberts einsames Herz dahin“, „Robert ist bleich. Er möchte am liebsten schreien, ein solcher Schmerz tobt in seiner Brust“, „Sein Herz schlägt Bum Bum Bum“…
Wer jetzt noch nicht von der Sprachgewalt der Autorin überzeugt ist, lese folgendes Liebesgeständnis: „Noch nie hat er solch intensive Gefühle verspürt, noch nie ein so zärtliches und aufrichtiges Einverständnis mit einer Person des anderen Geschlechts empfunden.“
In einem Interview sagte die Fernsehmoderatorin und Literaturkritikerin Christine Westermann, dass sie Literatur nicht mag, die eine Anleitung zum Lebensglück versprechen. Seit der Lektüre von „Der Koch, der zu Möhren und Sternen sprach“ verstehe ich sie.

Bewertung vom 20.03.2022
Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn
Matthiessen, Susanne

Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn


sehr gut

Kritischer Blick hinter die Kulissen
Folgt man Susanne Matthiessen, dann lautet das erste Gebot der Insel Sylt für alle Einheimischen: „Du sollst das schöne Bild nicht stören und den Urlaubern einen entspannten Aufenthalt ermöglichen und ein Sylt präsentieren, das ihren Träumen nahekommt.“ Mit ihrem zweiten Syltroman verstößt die Autorin allerdings erneut gegen dieses Gebot. Mit ihrem Blick hinter die Kulissen, die den schönen Schein wahren sollen, legt sie den Finger in manche Wunde der Sylter Gesellschaft.
Dabei nimmt die Schärfe, mit der sie ihre Sicht von Sylt beschreibt, gegenüber dem ersten Roman durchaus zu. Gleichwohl, das sei vorweg gesagt, bleibt die Insel ihre geliebte Heimat (wie dies schon der Romantitel deutlich macht, ein Vers aus dem Lied „Westerland“ der Gruppe „Die Ärzte“).
Wie schon in dem ersten Roman sind es die vielen Bausünden, die den Zorn der Ich-Erzählerin wecken. Sie erzählt von den Immobilienhaien, die bei der Bebauung der Insel vor nichts Halt machen, auch nicht vor einem Kulturgut wie dem Steinzeitgrab im Denghoog.
Sie berichtet weiterhin von Naturkatastrophen wie der Sturmflut vom November 1981, bei der die Insel droht, auseinanderzubrechen, und dem massenweisen Seehundsterben 1982. Letzteres wird von den Inselbewohner gar nicht als Naturkatastrophe wahrgenommen, sie fürchten vielmehr um das Image der Urlaubsinsel.
Auch vermeintlich private Ereignisse werden erzählt: Der Missbrauch ihrer besten Freundin Pfuschi, deren Leben dadurch aus der Bahn gerät. Das Schweigen ihres Bruders, der zwar als Rettungsschwimmer tätig ist, sie aber nicht unterstützt, die Entscheidung, den Missbrauch nicht öffentlich zu machen.
Ein Kapitel ist der Großmutter gewidmet, die sich herausnimmt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ganz zum Entsetzen ihrer Familie.
Diese unvollständige Auswahl zeigt das Bemühen der Ich-Erzählerin, die vermeintliche Idylle als das zu entlarven, was sie ist, nämlich ein schöner Schein.
Daneben wird aber immer wieder der hohe Stellenwert deutlich, den die Insel für die Ich-Erzählerin als Heimat, als „Ankerpunkt“ in ihrem Leben hat. Und dieser Zwiespalt, in dem sie lebt, macht den Reiz der Lektüre des Romans aus.

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