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franzosenleser
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KN

Bewertungen

Insgesamt 13 Bewertungen
12
Bewertung vom 19.06.2023
Vermutlich Deutscher
Wroblewsky, Vincent von

Vermutlich Deutscher


ausgezeichnet

Ohne den Besuch der Leipziger Buchmesse wäre mir dieses Buch wohl nie begegnet. Ein unscheinbares Cover, doch das zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich, gefolgt vom Titel: »Vermutlich Deutscher«. Neugierig geworden las ich den Klappentext, der meine Erwartungen weiter anheizte. Es versprach eine interessante, lehrreiche Lektüre und einen neuen Blick auf die deutsch-deutsche Geschichte.

Es ist die Biografie von Vincent von Wroblewsky, dem »Sartre-Übersetzer«. Doch der Inhalt ist weitaus umfangreicher und mitreißender, als es der Klappentext vermuten lässt. Hier geht es nicht allein um Wroblewskys Leben in der DDR, das Einblicke in den teils absurden Apparat des Systems gewährt, sondern auch um die Suche des Autors nach seiner Herkunft, seiner Schöpfungsgeschichte sozusagen. Dabei stößt er auf faszinierende Details, die das Leben seiner Eltern betreffen. Die Bekanntschaft mit Ernst Thälmann, der Widerstand seiner Eltern gegen die Nationalsozialisten – all das ist packende deutsche Geschichte, und ich muss gestehen, dass ich diesen Teil äußerst fesselnd fand. Es waren Fragmente aus einer anderen Zeit, einer höchst aufregenden Epoche deutscher Geschichte, deren Facetten in der allgemeinen Geschichtsbildung der BRD bedauerlicherweise viel zu kurz kommen.

Das Buch ermöglicht einzigartige Einblicke in die deutsche Geschichte, wie es kein Geschichtsbuch vermag. Durch den mitreißenden Erzählstil des Autors tauchen wir in die Erlebnisse und Hintergründe ein, die jene Zeit prägten. Es ist eine Lektüre, die mich nicht nur gut unterhalten hat, sondern auch mein Verständnis für die deutsche Geschichte erweitert hat. Im Kleinen offenbaren sich die Absurditäten der Verwaltung in der DDR. Das Hin und Her, als Wroblewsky zum Sartre-Kongress reisen wollte und von welchen Faktoren die Teilnahme letztlich abhing – dies sind persönliche Erfahrungen, die auch jenen, die sie nicht selbst erlebt haben, das Gefühl geben, dabei gewesen zu sein.

An keiner Stelle spürt man Bitterkeit, es werden keine Vorwürfe erhoben – auch das ist bemerkenswert. Mit einer sachlichen Herangehensweise und einer leicht lesbaren, prägnanten Erzählweise gelingt es dem Autor jedoch, die Lektüre äußerst unterhaltsam zu gestalten. Beim Lesen dieses Buches war ich stellenweise genauso gebannt wie von einem spannenden Thriller und erhielt darüber hinaus außerordentlich wertvolle Informationen. Ich bekam einen einzigartigen Blick auf die vergangene DDR-Geschichte.
Wie in einem guten Roman hat Wroblewsky das Buch aufgebaut, sogar der Titel ist literarisch, wie man am Ende, auf der letzten Seite verstehen wird. Denn dort wird klar, dass es keinen treffenderen Buchtitel hätte geben können.

»Vermutlich Deutscher« verknüpft individuelle Erfahrungen mit historischen Ereignissen und sollte einen festen Platz in der deutschen Geschichtsliteratur finden.

Ich empfehle diese Biografie uneingeschränkt all jenen, die persönliche Einblicke in die Geschichte der DDR suchen und generell an der deutschen Geschichte interessiert sind. Das Buch hat mich restlos begeistert. Es hat nicht nur meine Erwartungen übertroffen, sondern mich regelrecht in seinen Bann gezogen, indem es mich tief in die Geschichte eintauchen ließ.

Bewertung vom 19.06.2023
Mönning, Antje Nikola

"Nicht normal" ist ganz normal


ausgezeichnet

Antje Nikola Mönning widmet sich in ihrem Buch »Nicht normal ist ganz normal« einem Thema, das uns alle betrifft: dem Finden und Ausleben der eigenen Sexualität. Sie zeigt uns sexuelle Neigungen, die nicht unbedingt der Norm entsprechen, aber dennoch völlig »normal« sind. In authentischer und offenherziger Weise erzählt sie von ihrem eigenen Weg, ihre Sexualität zu finden und anzunehmen.

Doch dieses Buch geht weit über Mönning’s eigene Geschichte hinaus. Im zweiten Teil des Buches gibt sie Raum für die Geschichten anderer Menschen, die auf ihre eigene Weise versuchen, ihre Sexualität, sexuelle Orientierung oder sexuelle Identität zu leben. BDSM-Praktizierende, Swinger, Fetischisten, Prostituierte, Pornodarsteller, Cam-Girls, Crossdresser, trans Menschen und assexuelle Menschen – sie alle kommen zu Wort und gewähren uns Einblick in ihre Erfahrungen und Perspektiven.

Diese Themen sind allgemein bekannt, werden jedoch in unserer Gesellschaft oft verschämt missachtet und nicht offen angesprochen. Statt auf das sensationslüsterne Bild, das von der Regenbogen- und Boulevardpresse geprägt ist, zu setzen, verzichtet Mönning in ihrem Buch auf einen voyeuristischen Blick. Stattdessen gibt sie den Betroffenen eine Stimme und ermöglicht uns einen respektvollen Einblick in ihre Welten.

Der Erzählstil in »Nicht normal ist ganz normal« ist locker und mitreißend. Mönning schaffte es, mich von der ersten Seite an in das Thema hineinzuziehen, sodass ich das Buch kaum aus der Hand legen mochte. Ihre klare und direkte Art zu schreiben, macht das Buch zu einem leicht zugänglichen und fesselnden Leseerlebnis.

Informativ, manchmal amüsant und stets zum Nachdenken anregend, bietet dieses Buch eine Vielzahl von Geschichten, die berühren und gleichzeitig dazu ermutigen, zu seiner eigenen Sexualität zu stehen. Antje Nikola Mönning öffnet uns die Augen für die Vielfalt menschlicher Erfahrungen und schafft ein besseres Verständnis für andere Menschen.

»Nicht normal ist ganz normal« ist eine klare Leseempfehlung für alle, die ihren Horizont erweitern möchten und sich für das Thema Sexualität und Selbstakzeptanz interessieren. Das Buch regt zum Nachdenken an und ermöglicht es, eigene Vorurteile abzubauen und mehr Verständnis und Empathie für andere Menschen – und Lebensentwürfe – zu entwickeln. Eine faszinierende Lektüre, die dazu beiträgt, unsere Sichtweise auf Sexualität und gesellschaftliche Normen zu hinterfragen.

Bewertung vom 19.06.2023
Der Dritte
Laufenberg, Walter

Der Dritte


sehr gut

Der Titel, besser gesagt der Untertitel von »Der Dritte« verspricht nicht zu viel. Von Anfang an wird klar, dass dieser Roman weit mehr ist als nur die Geschichte des Autors. Tatsächlich beginnt die Erzählung »pränatal«, noch bevor der Autor das Licht der Welt erblickt. Hier wird eine Jahrhundert-Familiengeschichte aufgedeckt, die so viele Facetten und fesselnde Elemente enthält, dass man gar nicht anders kann, als vollkommen in ihren Bann gezogen zu werden.

Das Buch führt uns über Leben der (16!) Ururgroßeltern des Autors, anfangs noch eher vage beschrieben, da sein Wissen dazu mündlich von seiner Mutter überliefert wurde, bis in die Gegenwart. Die Mutter, ja zu der hat der Autor oder sein Ich-Erzähler – denn wir können nie genau sagen, was Dichtung und Wahrheit ist – eine ganz besondere Beziehung.

Am Ende des Romans, anlässlich der goldenen Hochzeit seiner Eltern, begegnen wir dem jüngsten Familienmitglied, dem pubertierenden Enkel des Autors. Dessen amüsante Gedanken und auch die der anderen Anwesenden werfen frische Blickwinkel auf die Geschichte.
Obwohl man »Der Dritte« vielleicht als einen Familienroman bezeichnen könnte, widersteht er den klassischen Merkmalen dieses Genres. Es ist kein monumentales, chronologisch erzähltes Werk. Stattdessen spielt Laufenberg geschickt mit verschiedenen Perspektiven und verbindet das Schicksal eines jedes seiner Ahnen mit seinem eigenen Leben.

Nach kurzer Zeit wird klar, warum der Titel »Der Dritte« gewählt wurde – der Autor selbst ist der ungeplante drittgeborene Sprössling. Doch das ist nicht alles, was dieser Roman zu bieten hat. Es gibt noch eine weitere wichtige Figur in der Geschichte, die treue Lebensgefährtin der Mutter: die Nähmaschine. Mehr möchte ich hier jedoch nicht verraten, denn das Buch steckt voller überraschender Wendungen und enthüllt nach und nach seine Geheimnisse.

Fazit:
»Der Dritte« hat mich dank des einmaligen Erzählstils von Walter Laufenberg bestens unterhalten. Seine Fähigkeit, eine so komplexe Familiengeschichte zu verweben und den Leser mit verschiedenen Perspektiven zu fesseln, ist bewundernswert. Ich kann dieses Buch jedem empfehlen, der nach einer mitreißenden und intelligenten Lektüre sucht. Ich konnte völlig in die Welt von »Der Dritte« eintauchen und die faszinierende Geschichte hat mich gänzlich mitgerissen.

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