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Betty Literatur

Bewertungen

Insgesamt 85 Bewertungen
Bewertung vom 27.09.2024
Die schönste Version
Thomas, Ruth-Maria

Die schönste Version


ausgezeichnet

Absolut lesenswert

„Wenn ich ein Moment wäre, dann wäre ich dieser“, so beginnt die Geschichte von Jella und Yannick, doch das Glück bekommt Risse, es kommt zu Gewalt in der Beziehung, bis Yannick eines Tages zu weit geht und Jella würgt.
„Meine gestorbene Alleswürde“, so sagt sie und verlässt ihn, zieht wieder zu ihrem Vater in ihr altes Kinderzimmer und lässt in schonungsloser Introspektion ihre Erinnerungen Revue passieren.
Jella wächst in einer ostdeutschen Kleinstadt auf, die Familie musste das Dorf verlassen, der Kohleabbau vernichtet die Landschaft. Nun lebt sie mit ihrem Vater in einem Plattenbau, die Mutter ist nach Berlin gegangen.
Jalla lebt ganz in den Schönheitsidealen der Mädchen der frühen 2000er und sie definiert sich vollständig über die Beachtung durch die Jungen und jungen Männer, dafür ist sie zu allem bereit, auch beim Sex, auch bis zur Erniedrigung. Bis eines Tages ein Erlebnis ihr Leben verändert. Sie läuft gegen die Angst, gegen die Gedanken in ihrem Kopf und sie sucht sexuelle Abenteuer.
Als sie den geheimnisvollen Yannik kennenlernt, passt sie sich bis zur Selbstaufgabe seinen Erwartungen an, denn der Traum von einer „richtigen“ Beziehung ist noch da. Aber Yannik ist zerfressen von Selbstzweifeln und Eifersucht und so „spielen“ die beiden das giftige Spiel zwischen Streit, Wut, Beleidigungen, Gewalt und inniger körperlicher Versöhnung.
Das ist verwirrend und anziehend zugleich für Jella und bis zum Schluss kämpft sie mit der Frage, ihrer eigenen Schuld an diesen Eskalationen und der Frage, ob sie Yannik den extremen Übergriff verzeihen kann.
Ich bin begeistert von der Sprache der Autorin, so nah und eindringlich, von verspielt romantisch zu nüchtern sachlich.
Kurze stakkatoartige Sätze, winzige Momente, Beobachtungsschnipsel, Gedankensplitter
nehmen uns mit in die Gedanken im Kopf der Protagonistin.
Ein verstörendes Buch über eine selbstzerstörerische Frau, die den Schmerz sucht, um sich zu fühlen
Absolut lesenswert

Bewertung vom 22.09.2024
Lichtungen
Wolff, Iris

Lichtungen


sehr gut

Lichtungen - Iris Wolff
Shortlist zum Deutschen Buchpreis
Lev und Kato kennen sich seit ihrer Kindheit und sehen sich nach 5 Jahren in Zürich wieder.
Lev lebt in Rumänien, Kato ist Straßenkünstlerin und reist durch Europa.
Rückblickend wird erzählt, wie sie sich gefunden und verloren haben und so sind auch die Kapitel von hinten nach vorne geordnet (Kapitel 1 am Schluss).
Während seiner Schulzeit muss Lev aufgrund eines Unfalls zu Hause im Bett verbringen, er kann die Beine nicht mehr bewegen. Kato, dieses sonderbare Mädchen aus seiner Klasse, mit der niemand etwas zu tun haben möchte, versorgt ihn mit Aufgaben.
Und er verliebt sich in Kato.
Lev erlebt die Schulzeit voller Quälerei durch einen Mitschüler.
Er bricht die Schule ab und arbeitet mit seinen Brüdern im Wald, erlebt die Intensität der Natur, die Einsamkeit, die wortkargen Männer und leidet unter dem Heimweh nach Kato.
Levs große Verliebtheit mit 18 ist eingebettet in die düsteren Zeiten beim Militär unter der Diktatur Ceaușescus.
„Er konnte sich nicht sattsehen an ihrem Gesicht, das von einem Augenblick zum nächsten in etwas anderes kippen konnte, von übermütig in nachdenklich, aus ernst in euphorisch.“
Eines Tages taucht Tom in dem rumänischen Dorf auf. Er ist auf seiner Reise mit dem Fahrrad durch Osteuropa und Kato folgt ihm.
Lev macht sich auch auf den Weg, allein.
Er fährt durch einsame, verlassene Landschaften und Orte, Siebenbürgen, irrt umher, auch in seinen Gedanken. Aber er kehrt in sein Dorf zurück.
Es geht auch um die politische Wende in Rumänien, das Ende der Diktatur und um eine Familie (deutsch-österreichisch-rumänisch) mit ihren verschiedenen Wurzeln und die Frage: Was ist eigentlich Heimat?
„Sie lebten unter Wölfen. Das hatte er schon vorher gewusst.“
„Gut war man geworden. Im Wegsehen, Weghören. Auch: Wegdenken.“
Es geht auch um die Freiheit, mit der viele Menschen nach dem Ende der Diktatur noch gar nichts anfangen können.
Aber Kato hat diese Freiheit genutzt.
Iris Wolff erzählt leise und eindringlich, die Retrospektive in der Erzählweise ist am Anfang etwas anstrengend, aber sie schafft natürlich auch Spannung. Es ist nicht immer leicht sich in der Außensicht von Levs Perspektive zurechtzufinden.
Aber das Buch hat auch etwas Magisches in seiner Intensität, der Symbolik und der teilweise traurigen Düsternis.

Bewertung vom 12.09.2024
Mein Mann
Ventura, Maud

Mein Mann


ausgezeichnet

Mein Mann - Maud Ventura
Aus dem Französischen von Michaela Meßner

„Ich liebe und will geliebt werden, und zwar mit einem solchen Ernst, dass diese Liebe schnell anstrengend wird (für mich, für den anderen). Kurz, es ist immer eine unglückliche Liebe.“
Eine Frau, die alles hat, einen interessanten Beruf, einen Ehemann, den sie abgöttisch liebt, 2 Kinder, ein schönes Haus, ist geplagt von Selbstzweifeln. Sie achtet auf ein tadelloses Aussehen, verdrängt ihre eher bürgerliche Herkunft, um sich den Codes und Verhaltensregeln der Gesellschaftsschicht ihres Mannes anzupassen, um alles „richtig“ zu machen.

Ihr Leben ist vollständig auf „ihren“ Mann ausgerichtet, mit dem sie seit 15 Jahren verheiratet ist.
Sie ist besessen von der Vorstellung, dass er sie nicht mehr oder nicht genug liebt.
Diese „verzehrende Passion“ für ihren namenlosen Mann ist kaum zu ertragen.
Wir erleben das Psychogramm einer Frau, die an der Liebe ihres Mannes zweifelt und ihn immer wieder „auf die Probe“ stellt.
„Ich liebe so stark, dass meine eigene Liebe mich verzehrt (ständiges Analysieren, ständige Eifersucht, ständige Zweifel) - so sehr, dass ich, wenn ich verliebt bin, am Ende immer ein wenig erloschen wirke.“
Akribisch sammelt sie Notizen über die Beweise der nachlassenden Liebe ihres Mannes, Tipps aus Beziehungsratgebern, wie die Liebe eines Paares am Leben bleibt, aber sie notiert auch die kleinen Vergehen der Lieblosigkeit samt Strafen ihrerseits. Dabei geht sie sehr weit.
Sprachlich virtuos und eindringlich schreibt die Erzählerin über eine Woche, in der jeder Wochentag eine andere Farbe, eine besondere Bedeutung, eine bestimmte Stimmung und auch eine andere visuelle Wahrnehmung für sie hat.
„Ich habe die Tage immer in Farben gesehen.“
„Heute weiß ich, dass montags blaue Gegenstände mit größerer Intensität in
meinem Gesichtsfeld aufscheinend und mittwochs die orangefarbenen.
Ihr unerschöpfliches Liebesbedürfnis ist so existentiell, ihre Gedanken und Phantasien drehen sich nur um dieses Thema.
„Ich war nicht so sehr von dem einen oder anderen jungen Mann abhängig, die einzige Konstante war meine Abhängigkeit von der Liebe.“
Dieses Buch hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Die Selbstzerstörung einer Frau auf der Suche nach Liebe. Und ein starkes, überraschendes Ende.

Bewertung vom 10.09.2024
Pineapple Street
Jackson, Jenny

Pineapple Street


sehr gut

Pineapple Street - Jenny Jackson
Aus dem Amerikanischen von Barbara Schaden

Die äußerst vermögende Familie Stockton lebt in Brooklyn, New York.
Sasha, angeheiratete Ehefrau wohnt mit Sohn Cord im ehemaligen Haus seiner Eltern in der Pineapple Street, das die Erinnerungsstücke und Möbel sämtlicher Familienmitglieder beherbergt. Sie passt nicht wirklich in deren Welt, stammt aus einfachen Verhältnissen

Darley, Mutter zweier Kinder, ist mit einem koreanischen Mann verheiratet, der natürlich beruflich erfolgreich ist und deshalb auch in der Familie akzeptiert ist. Sie ist nicht berufstätig.

Georgiana, die jüngste Tochter, ist unglücklich verliebt, arbeitet bei einem Unternehmen, das soziale Projekte organisiert und hadert mit der Vorstellung so viel Geld zu besitzen, das sie geerbt hat.

Dominiert wird diese Welt von der alles bestimmenden Mutter Tilda, die in ihrer versnobten Art die „Regeln“ bestimmt.
Die Charaktere sind durchaus menschlich, sympathisch, die Entwicklungen und Konflikte der 3 jungen Frauen verständlich und nachvollziehbar.

In der Welt dieser reichen Familiendynastien herrschen die Macht und auch Arroganz des Geldes. Erleichterung findet das Gewissen dann auf Wohltätigkeitsveranstaltungen, auf denen man sich in Großzügigkeit „überbietet.“
Es gibt durchaus Kritik am obszönen Reichtum der Erben dieser Dynastien, gepaart mit der Frage, ob sich das viele Geld nicht sinnvoller in Stiftungen und sozialen Projekten einbringen lässt.

Es ist leichtes, unterhaltsames Buch, mich hat es nur teilweise überzeugt. Vor allem das „harmonische Ende“ wirkt fast banal, angesichts der wirklichen Probleme in der Welt.

Bewertung vom 31.08.2024
Mein drittes Leben
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


ausgezeichnet

Daniela Krien- Mein drittes Leben
„Mein Name ist Linda. Linda bedeutet die Milde, die Freundliche, die Sanfte. Dieser Name hat nichts mehr mit mir zu tun.“

Der Verlust der 17-jährigen Tochter hat das Leben der Erzählerin zerstört. Sie zieht sich in die Einsamkeit eines alten Bauernhofes auf dem Land zurück.
Dort durchlebt sie ihren täglichen Schmerz und taucht ein in die Vergangenheit mit ihrem Mann Richard und ihrer Tochter.
„Das Niemandsland zwischen Leben und Tod, das ich bewohne, spiegelt sich in der Landschaft wider und verschmilzt mit ihr. Die Schönheit hat hier kein Recht.“
Der Schmerz der Ich-Erzählerin ist spürbar, kaum zu ertragen.
Aber es ist auch der Prozess einer Heilung, das langsame Wiederentdecken des Lebens, gepaart auch immer wieder mit Rückschritten.
Obwohl Linda den Kontakt zu Menschen meidet, nimmt sie sie doch wahr, jeden detailgenau beobachtend und auf treffende Weise beschreibend.
Die Natur und die Arbeit im Garten geben ihr Halt und Struktur, auch nach ihrer Rückkehr in die Stadt.
Daniela Krien schreibt in kraftvoller Sprache, findet treffende sprachliche Bilder und zeigt uns auf überwältigende Weise den Kampf einer Frau auf dem Weg in ihr „Drittes Leben.“
Faszinierend die unkommentierten „belanglosen“ Dinge des Alltags, die hier literarische Qualität bekommen.
Dieses Buch steht zu Recht auf der Liste der Nominierungen zum „Deutschen Literaturpreis“.
Diogenes Verlag 2024

Bewertung vom 24.08.2024
Lass uns noch mal los
Matthiessen, Susanne

Lass uns noch mal los


sehr gut

Lass uns noch mal los - Susanne Matthiessen
„Immer war irgendwas zu viel. Ich war zu laut, zu selbstbewusst, zu anstrengend, zu fordernd, zu emotional, zu frech, zu anspruchsvoll. Immer war irgendetwas falsch.“

Susanne Matthiessen nimmt uns in ihrem autobiographisch geprägten Roman mit auf eine Zeitreise, als die 24-Jährige 1987 nach Berlin fährt.
Sie möchte Radiojournalistin beim NDR werden und scheitert beim Bewerbungsverfahren.
„Sie treten hier sehr burschikos auf, junge Dame. Als Hobby geben Sie Motorradfahren an. Tragen Sie eigentlich auch mal Kleider und Röcke? Sie haben doch eine ganz passable Figur. Nagellack? Lippenstift?“
Es ist ein Blick auf eine Zeit, in der Herren in Anzügen wie selbstverständlich und selbstherrlich mit einer jungen Frau umgehen. Und auch die Frage: „Wo müssen wir Sie politisch einordnen?“ klingt absurd, ist aber angesichts der drohenden RAF-Gefahr in der verunsicherten Bundesrepublik anscheinend legitim.
Die junge Frau erhält eine letzte Chance, um in Berlin über eine Hundezüchterausstellung zu berichten.
Sie gerät in die berüchtigte Straßenschlacht am 1.5.1987 und lernt Frauen aus einem „Frauenkollektiv“ kennen. Und sie entscheidet sich, dort zu bleiben.
Berlin ist ein „wilder Abenteuerspielplatz“, Punks, Hausbesetzer, Feministinnen sowie Menschen aller Kulturen prägen die Kreuzberger Szene.
Die Autorin gründet mit anderen Frauen ein feministisches Wohnprojekt.
Mittlerweile sind die Frauen in „die Jahre gekommen“ und erfahren am eigenen Leib, wie sich Wohnungsnot, steigende Inflation, Arbeitslosigkeit, Altersarmut auf ihr Leben auswirken.
Und auch die Kraft für gute feministische Aktionen fehlt. „Wir haben aufgegeben“, beklagt die Autorin und resümiert über die geplatzten Träume des Feminismus.
Aber irgendwie sind diese gealterten sympathischen Frauen auch in den 80er Jahren hängen geblieben.
Es kommt jedoch immer wieder neues „Leben“ in das Wohnprojekt, Aufgaben müssen gemeinsam bewältigt werden und neue kreative Ideen werden geboren, um z.B. auf häusliche Gewalt aufmerksam zu machen.
Die Charaktere der Frauen sind sensibel und humorvoll beschrieben, für mich ein bisschen unverständlich, warum der Prozess des Alterns und die damit verbundenen körperlichen Veränderungen so negativ bewertet werden.
Susanne Matthiessen beschreibt auf humorvolle Weise das Leben in dem Kreuzberger Frauen-Wohnprojekt. Das Lachen wird jedoch überlagert von der bitteren Erkenntnis, dass noch viel zu tun ist.
Die Probleme der Altersarmut von Frauen, dem teilweise tiefgreifenden Hass gegen Feministinnen, der Gewalt gegen Frauen, zeigen, dass es wirklich noch ein langer Weg sein wird, bis Frauen gleichwertig zur Gesellschaft gehören.
Aber es gibt sie noch! Die Feministinnen. Und sie machen weiter. Also: „Lass uns noch mal los.“
Ullstein Verlag 2024

Bewertung vom 17.08.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


ausgezeichnet

Kleine Monster-Jessica Lind
„Er gehört mir nicht. Er gehört sich selbst“
Nach einem Vorfall mit dem 7-jährigen Sohn der Erzählerin werden die Eltern aus der WhatsApp Gruppe entfernt.
Sie wissen nicht genau, was passiert ist und finden keinen Zugang zu ihrem Kind.
Gleichzeitig werden die Erinnerungen der Erzählerin an die eigene Kindheit wieder wach.
Die Qual der Mutter, die Wahrheit herauszufinden bestimmt ihren Alltag.
Jessica Lind hat ein sehr kluges und berührendes Buch über die Beziehung zwischen Eltern und Kind, Liebe und Vertrauen geschrieben.
Es gelingt ihr durch den Wechsel zwischen aktuellen Situation und dem Rückblick auf die eigene Kindheit eine große Spannung und Dynamik aufzubauen, gleichzeitig die Gedankenwelt der Erzählerin fast schmerzhaft zu durchdringen.
Ich konnte das Buch nicht aus der Hand legen.
#hanserverlag

Bewertung vom 13.08.2024
Die Wahrheiten meiner Mutter
Hjorth, Vigdis

Die Wahrheiten meiner Mutter


ausgezeichnet

Die Wahrheiten meiner Mutter – Vigdis Hjorth
aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs

„Wenn man wüsste, wenn man in jungen Jahren verstünde, wie entscheidend die Kindheit ist, würde man niemals wagen, selbst Kinder zu bekommen.“

Die Erzählerin kehrt nach 30 Jahren in ihre Heimat Norwegen zurück. Der Kontakt zur Familie war abgebrochen, als sie sich aus Liebe zu ihrem Mann und der Entscheidung für ihre Kunst zu leben, von ihrer Heimat und ihrer Vergangenheit löst.
„Aber das Schlimmste von allem: Vater starb, und ich kam nicht zur Beerdigung.“
Sie möchte den Kontakt zu Mutter und Schwester wiederherstellen
In eindringlicher Sprache reflektiert die Erzählerin ihre Kindheit sowie die Verlogenheit der Eltern, im Besonderen das problematische Verhältnis zu ihrer Mutter. „Mutter war von ihren wahren Gefühlen abgeschnitten, sie lernte in allgemeinen Redeweisen zu kommunizieren, in Floskeln und konventionellen Gesten.“
Die Entfremdung zwischen Mutter und Tochter ist tragisch „…die Mutter ist ein Spiegel, in dem die Tochter sich selbst in der Zukunft sieht, und die Tochter ist ein Spiegel, in dem die Mutter ihr verlorenes Ich sieht…“ und zurück bleibt ein Kind mit einem gebrochenen Herzen.
Während die Erzählerin versucht, Kontakt zur Mutter herzustellen, stellt sie sich vor, wie die Mutter jetzt lebt. Es ist ein liebevoller, versöhnlicher Blick auf die alte Frau, gepaart mit dem Wunsch einer Aussprache.
Der Wunsch nach einer realen Begegnung wird zur Obsession und so beobachtet sie minutiös ihre Mutter und deren Leben, solange, bis sie endlich Ruhe findet.
Die Norwegerin Vigdis Hjorth, eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen der norwegischen Gegenwartsliteratur, hat ein eindringliches Buch über eine schwierige Mutter-Tochter-Beziehung geschrieben. Ich bin im gleichen Jahr wie die Autorin geboren und kann die Härte und Kälte dieser Elterngeneration nachvollziehen, Kinder und Jugendliche, die sich aus der Enge der Moralvorstellungen und gesellschaftlichen Zwänge befreien müssen. Es gelingt der Autorin nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich diesen Konflikt zu bewältigen.

Bewertung vom 20.07.2024
Nur ein Schatten von dir (eBook, ePUB)
Loy, Janne

Nur ein Schatten von dir (eBook, ePUB)


sehr gut

Nur ein Schatten von dir - Janne Loy
Es ist eine spannende Geschichte um eine besondere Liebe, die leider viel zu schnell endet.
Linda arbeitet im Team eines Reisebüros und lernt dort den Praktikanten Joe kennen. Sie verliebt sich in den deutlich jüngeren Mann und er erwidert ihre Gefühle. Doch auch andere Frauen haben Interesse an dem attraktiven, hilfsbereiten und freundlichen Mann. Das Gift der Eifersucht nagt an Linda und ein Vorfall, an den sie sich nicht erinnern kann, verändert ihr Leben vollständig.
Die Charaktere sind sehr vielfältig entwickelt und zeigen sich in klugen, authentischen Dialogen.
Das Buch weckt Emotionen, ohne kitschig zu sein.
Durch die Rückblicke der 78-jährigen Erzählerin entsteht eine große Spannung. Was ist passiert, das diese Liebe zerstört hat?
Ich war Im Lesewahn, konnte das Buch nicht weglegen. Unbedingt empfehlenswert!

Bewertung vom 10.07.2024
Der Wind kennt meinen Namen
Allende, Isabel

Der Wind kennt meinen Namen


sehr gut

Der Wind kennt meinen Namen - Isabel Allende
Aus dem Spanischen von Svenja Becker
Suhrkamp Verlag 2024
„Niemand ist sicher in dieser Welt (…)“
Als die Nationalsozialisten 1938 in Österreich einmarschieren und die grauenhafte Verfolgung der jüdischen Menschen beginnt, muss die Familie Adler eine schwere Entscheidung treffen. Um ihren 5-jährigen Sohn Samuel zu schützen, schicken sie ihn mit einem der Kindertransporte nach England.
„An diesem Tag endete seine Kindheit.“
Der kleine Samuel wird von Familie zu Familie weitergereicht und landet schließlich in einem Waisenhaus.
Am Ende findet er Heimat in einer Quäkerfamilie, kann seine Karriere als Musiker beginnen und lernt die in jeder Beziehung unabhängige Nadine kennen, die er heiratet.

Fast 45 Jahre später finden während des Bürgerkriegs in El Salvador grauenhafte Massaker in den Dörfern statt.
Leticia und ihr Vater flüchten in die USA, alle anderen Familienmitglieder wurden getötet.
Leticia heiratet zu früh einen Mann, der Alkoholprobleme hat und gewalttätig ist, auch die 2. Ehe scheitert, der 3. Ehemann verstirbt zu früh.
Sie ist 28 und muss sich mit ihrer kleinen Tochter alleine durchschlagen.
Sie arbeitet im Haus von Samuel Adler, der um seine tote Frau Nadine trauert

Selena, Sozialarbeiterin, engagiert sich im Jahr 2019 für Flüchtlingskinder an der mexikanischen Grenze, die nach verschärften Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in die USA während der Trump-Regierung dort von ihren Familien getrennt werden.
Sie sucht gemeinsam mit einem Anwalt die Mutter der kleinen Anita, die plötzlich allein dasteht.

Die Schicksale dieser Menschen mit ihren ganz eigenen Flüchtlingsgeschichten werden miteinander verbunden.
„Wir sind nicht verloren. Der Wind kennt meinen Namen und deinen auch.“

Das Buch rüttelt auf. Es zeigt traurige Schicksale von Kindern, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen müssen und die menschenunwürdigen Verhältnisse und fehlenden Rechtssituationen, in denen sie sich dann befinden, wenn sie von den Eltern getrennt werden.

Leider sind bei der Vielfalt der Erzählstränge und der politischen Informationen im Hintergrund nicht alle Charaktere und Lebenssituationen erzählerisch ausgebaut. So werden die Lebensgeschichten oft über viele Jahrzehnte kurz zusammengefasst, die Entwicklung der Charaktere kann nicht nachvollzogen werden, die Persönlichkeiten sind leider oft sehr „schemenhaft“. Besonders die Monologe der kleinen Anita hätte ich mir authentischer gewünscht.

Trotz allem hat Isabel Allende einen wichtigen Roman zu einem wichtigen Thema geschrieben. Der Auslöser war wohl der reale Fall eines kleinen Mädchens, das bei dem Versuch der Einreise in die USA, wie viele weitere Kinder auch, von ihrer Mutter getrennt wurde.