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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Zabou1964
Wohnort: 
Krefeld

Bewertungen

Insgesamt 188 Bewertungen
Bewertung vom 21.09.2023
Wellenkinder
Bahrow, Liv Marie

Wellenkinder


ausgezeichnet

Mir ist das Cover dieses Buches sofort ins Auge gesprungen. Es zeigt die Silhouette eines Frauenkopfes im Profil, das mit einem blauen Wellenmuster versehen ist. In der Mitte des Kopfes ist ein schaukelndes Kind abgebildet. Auch der Klappentext erweckte sofort mein Interesse. Die Geschichte spielt auf drei Zeitebenen mit drei verschiedenen Protagonisten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Erst im Laufe der Geschichte erfährt man die Zusammenhänge.
Jede einzelne Geschichte hat mich tief berührt und mitfiebern lassen.

1945 gelingt es Margit mit ihrem Bruder und ihrer Mutter mit einem der letzten Schiffe aus Königsberg zu fliehen. Als das Schiff bombardiert wird, rettet sie einen kleinen Jungen, der fortan bei der Familie lebt. In der Nachkriegszeit wächst Margit in der zukünftigen DDR auf.

1970 begeht Oda gemeinsam mit ihrem Freund einen Fluchtversuch aus der DDR. Sie wollen übers Meer fliehen, was leider missglückt. Oda landet daraufhin im gefürchteten Frauengefängnis Hoheneck, wo sie schon bald entdeckt, dass sie schwanger ist.

2022 lebt Jan in Berlin getrennt von seiner Frau und seinem Sohn. Die Polizei ruft ihn in seine alte Heimat nach Rügen, nachdem sein Vater den Beamten gegenüber handgreiflich geworden ist. Vor mehr als 30 Jahren war Jans Mutter spurlos verschwunden. Nun wurde eine Leiche gefunden.

Die Autorin springt kapitelweise zwischen den Zeiten und Charakteren. Anfangs hat mich das ein wenig irritiert, aber ich habe mich schnell in den Rhythmus der Geschichte hineingefunden. Jede der Handlungen hat einen Bezug zum Meer und zur DDR, in jeder Lebensgeschichte geht es um die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind. Liv Marie Bahrow versteht es ausgezeichnet, die Spannung konstant hochzuhalten. Ihre Sprache ist sehr plastisch, was gerade bei den Szenen im Gefängnis äußerst beklemmend war. Man merkt, dass sie vom Fach ist. Auch dass sie in der DDR aufgewachsen ist, war sicher hilfreich. Ich konnte mir alles sehr genau vorstellen, obwohl ich in der BRD geboren wurde.

„Wellenkinder“ ist Liv Marie Bahrows Debüt. Ich hoffe sehr, dass sie weitere Werke veröffentlichen wird. Diese werde ich mit Sicherheit lesen.

Fazit:
Sehr bewegender Roman über Mutterliebe.

Bewertung vom 05.09.2023
Wir träumten vom Sommer
Rehn, Heidi

Wir träumten vom Sommer


ausgezeichnet

In ihrem neusten Werk nimmt uns Heidi Rehn ins München der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre mit. Anhand der jungen Studentin Amrei, die aus ländlichen Verhältnissen in die Großstadt kommt, beschreibt sie die Zeit der Studentenbewegungen bis hin zu dem tragischen Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Wie immer gelingt es ihr vorzüglich, die Stimmung der Zeit zu beschreiben, sodass ich mich fühlte, als säße ich mit am Küchentisch der WG.

Dieser Roman spielt auf zwei Zeitebenen: 1967/1968 und 1972. Kapitelweise wechselt die Zeitebene. Es wird die Geschichte der jungen Amrei erzählt, die 1967 zum Studieren nach München kommt und bei ihrer Großtante Annamirl wohnt. An der Universität lernt sie eine Gruppe junger Studenten kennen, die in einer WG leben. Dort ist sie schon bald häufig anzutreffen, was nicht zuletzt an dem jungen attraktiven Kunststudenten David liegt. Die Gruppe engagiert sich politisch, Amrei macht anfangs begeistert mit. Nach einiger Zeit hinterfragt sie jedoch die Auswirkungen ihres Handelns. Bei einer Demonstration lernt sie den jungen Polizisten Wastl kennen, in den sie sich verliebt. Für welchen der Männer soll sie sich entscheiden?
Der Teil der Geschichte, der 1972 spielt, handelt vom Wiedersehen der jungen Leute, nachdem Amrei einige Jahre im Ausland verbracht hat. In München finden die Olympischen Spiele statt, bei denen Amrei als Hostess arbeiten kann. Das Attentat auf die israelische Mannschaft geht auch an ihr und ihren Freunden nicht spurlos vorbei.

Amrei entwickelt sich im Laufe der Geschichte von einem schüchternen Mädchen vom Lande zu einer selbstbewussten jungen Frau. Daran ist nicht zuletzt ihre Großtante Annamirl schuld, die meine absolute Lieblingsfigur in diesem Buch war. Wer, wie ich, alle Bücher der Autorin verschlingt, wird Annamirl vielleicht noch aus „Die Buchhandlung in der Amalienstraße“ kennen. Sie ist eine sehr kluge Frau, die trotz ihres hohen Alters von 84 Jahren noch fest im Leben steht. Amrei ist auf der Suche nach sich selbst und wird dabei von Annamirl das ein oder andere Mal liebevoll in die richtige Richtung geschubst.

Der Geist der 68er-Bewegung und die Proteste werden sehr authentisch beschrieben. Wie dem Nachwort der Autorin zu entnehmen ist, hatte sie die Möglichkeit, mit Zeitzeugen zu reden. Heidi Rehn ist für ihre hervorragende Recherchearbeit bekannt. Deshalb und wegen ihrer lebensnahen Beschreibungen liebe ich ihre Bücher.

Fazit:
Der Geist der 68er-Bewegung und der olympischen Spiele unterhaltsam verpackt.

Bewertung vom 25.08.2023
Die Weltenseglerin
Raiser, Nadja

Die Weltenseglerin


sehr gut

Eigentlich hatte ich irgendwann mal genug von den Romanen über Frauen in typischen Männerberufen. Bei diesem Werk der Autorin Nadja Raiser, die mir bislang völlig unbekannt war, machte mich allerdings das Thema der Entdeckung der sogenannten Magellanstraße neugierig. Es hat mich sehr interessiert, wie im 16. Jahrhundert die Seefahrt funktionierte, wie Seeleute neue Regionen und deren Bewohner entdeckt haben, wie das Leben an Bord eines solchen Schiffes war. Dies alles hat die Autorin anhand der fiktiven Nichte Fernando Magellans wunderbar beschrieben.

Die junge Portugiesin Mariella Alvaro soll mit einem gewalttätigen Säufer zwangsverheiratet werden. Sie ist vollkommen verzweifelt. Als ihr Onkel Fernando Magellan in das Haus ihres Vaters kommt und ihn um Geld für eine wichtige Expedition bittet, ist ihr Plan schnell gefasst: Sie will sich heimlich auf das Schiff ihres Onkels schleichen. Begleitet wird sie von der Haushälterin Emi, die für sie wie eine Mutter ist. Dass das Versteckspiel nicht lange gutgeht, kann man sich denken. Für Mariella und Emi bricht eine spannende und gefährliche Zeit an.

Sehr hilfreich war ein Personenverzeichnis am Anfang des Buches, in dem auch angezeigt wird, welche Personen real existiert haben. Mariella und Emi sind natürlich fiktiv, aber viele der Seeleute hat es tatsächlich gegeben. Die Reise Magellans wurde sehr bildhaft und farbenprächtig geschildert. Auch das Leben an Bord hat die Autorin mit all seinen Schwierigkeiten sehr genau beschrieben. Ich fand es sehr interessant, wie die Seefahrt und die Erstellung von Karten damals funktionierten.

Die Geschichte Mariellas und die ihrer Liebe zu Juan Sebastián de Elcano, der übrigens auch real existierte, ist freilich erfunden. Aber ich konnte mir vorstellen, dass es so hätte gewesen sein können, wenn eine Frau sich auf ein Schiff geschmuggelt hätte. Die Liebesgeschichte wurde sehr gefühlvoll geschildert und hat einen willkommenen Kontrast zu der harten Welt der Seefahrer gebildet.

An einigen Stellen war der Fortgang der Geschichte für mich vorhersehbar. Dennoch habe ich mich sehr gut unterhalten gefühlt von Nadja Raisers Roman. Ich werde das Schaffen dieser Autorin auf jeden Fall verfolgen.

Fazit:
Gut recherchierte und authentische Geschichte über die Entdeckung der Nordwestpassage.

Bewertung vom 03.08.2023
Paradise Garden
Fischer, Elena

Paradise Garden


ausgezeichnet

Der Klappentext und das schön gestaltete Cover, das ein Gemälde eines jungen Mädchens zeigt, haben mich sofort angesprochen. Ich mag die Bücher aus dem Diogenes Verlag sehr, deshalb habe ich mich gefreut, dass ich dieses Erstlingswerk der Autorin Elena Fischer vorab lesen durfte.

Die 14-jährige Billie, die eigentlich Erzsébet heißt, führt mit ihrer Mutter Marika, einer gebürtigen Ungarin, ein bescheidenes, aber sehr glückliches Leben in einem Hochhaus in einer nicht erwähnten deutschen Stadt. Das innige Verhältnis zwischen Mutter und Tochter hat mich sehr gerührt. Ihr fröhliches Leben ändert sich jedoch, als Billies Großmutter aus Ungarn anreist, um sich in Deutschland von erfahrenen Ärzten behandeln zu lassen. Dazu nistet sie sich bei Marika und Billie ein und mischt sich ungefragt überall ein. Billie leidet sehr darunter. Als Marika schließlich auf tragische Weise stirbt, hält Billie es nicht lange bei ihrer Großmutter aus: Sie nimmt sich den alten Nissan ihrer Mutter und begibt sich auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater.

Das Mädchen Billie war mir auf Anhieb sympathisch, genau wie ihre etwas verrückte Mutter Marika. Billie ist ein ruhiges Mädchen, das gerne Geschichten schreibt und immer mit einem Notizbuch herumläuft. Marika ist dagegen eher eine quirlige Frau, die tagsüber putzen geht und abends in einer Bar arbeitet, um ihrer Tochter ein einigermaßen gutes Leben bieten zu können. Sie tut alles für Billie, nur wer ihr Vater ist, sagt sie ihr nicht. Billie träumt regelmäßig vom Meer, obwohl sie noch nie am Meer war. Als Marika stirbt, wächst sie über sich hinaus, nimmt ihren Mut zusammen und begibt sich ganz allein auf die Suche nach ihrem Vater. Das hat mir enorm imponiert. Die Entwicklung, die das junge Mädchen durchmacht, ist etwas gewagt. Aber unmöglich ist sie sicher nicht und unterhaltsam für die Leser der Geschichte ist sie allemal.

Der Debütroman von Elena Fischer ist ein Coming-of-Age-Roman gemixt mit einer Roadnovel. Sowohl die Hauptfigur Billie als auch die Nebenfiguren, wie z. B. die Nachbarin Luna, konnten mich überzeugen. Trotz des ernsten Themas musste ich häufig schmunzeln. Ein paar Seiten später war ich wieder zu Tränen gerührt. Dieser Roman war für mich eine Achterbahn der Gefühle.

Ich bin sehr gespannt auf weitere Werke der Autorin, welche ich sehr gerne auch lesen werden. Ihr Debüt hat mich jedenfalls vollkommen überzeugt. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.06.2023
Rot. Blut.Tot.
Nordby, Anne

Rot. Blut.Tot.


ausgezeichnet

Da mir bereits der erste Teil der Reihe um die sympathische Super-Recognizerin Marit Rauch Iversen sehr gut gefallen hatte, war ich sehr auf den nun vorliegenden zweiten Teil gespannt. In „Blut. Rot. Tot.“ bekommt es die Kopenhagener Mordkommission mit einem besonders brutalen Mörder zu tun. Die Geschichte ist nichts für zartbesaitete Leser.

Auf einem Industriegelände wird eine übel zugerichtete Leiche gefunden. Der Mann starb, weil man ihm gewaltsam die Kiefer auseinandergerissen hat. Drapiert wurde die Leiche unter einem Bild, das einen Wolf zeigt. Die Truppe um Kirsten Vinther und Jesper Jørn Bæk beginnt mit den Ermittlungen in einem Kopenhagener Armenviertel, in dem das Opfer lebte. Doch schon bald gibt es einen zweiten Mord nach demselben Muster auf der Insel Møn. Die Spur führt schnell zu einem Mann, der nach über 30 Jahren gerade aus der Haft entlassen wurde. Von den Inselbewohnern wird er nur „der Wolf von Møn“ genannt. Der Verdacht liegt nahe, dass er die grausamen Verbrechen begangen hat. Aber sowohl Jesper als auch Marit bezweifeln, dass der geistig etwas zurückgebliebene Hans Erik Rask dazu in der Lage gewesen wäre.

Dieser Fall ist wieder sehr spannend aufgebaut. Die Autorin lebt selbst zeitweise auf der Insel Møn und konnte so sehr viel Hintergrundwissen und detaillierte Landschaftsbeschreibungen einfließen lassen. Der Verdächtige Hans Erik Rask ist ein Anhänger des alten nordischen Glaubens, sodass der Leser auch einiges über die Edda und die nordischen Götter erfährt. Zudem wird über die ehemalige Forschungsinsel Lindholm berichtet, auf der früher an Tierkrankheiten geforscht wurde.

Die Figuren in dieser Geschichte sind sehr gut ausgearbeitet und handeln authentisch. Marit und Jesper sind ein gutes Gespann. Unterstützt werden sie diesmal von der jungen Inselpolizistin Lykke, die mir ausgesprochen gut gefallen hat.

Bevor es zur Lösung des Falls kommt, wird es noch einmal richtig spannend. Ich konnte das Buch kaum noch aus der Hand legen. Anne Nørdby ist mit diesem zweiten Fall für Marit und Jesper wieder ein echter Pageturner gelungen. Ich hoffe sehr auf eine Fortsetzung dieser ausgesprochen originellen und fesselnden Reihe.

Bewertung vom 11.06.2023
Provenzalische Täuschung / Pierre Durand Bd.9
Bonnet, Sophie

Provenzalische Täuschung / Pierre Durand Bd.9


ausgezeichnet

Ich habe mich sehr gefreut, dass diese Reihe um den sympathischen Dorfpolizisten Pierre Durand weiterging. Ich verfolge sie vom ersten Teil an. Die Beschreibungen der provenzalischen Landschaft und ihrer Bewohner bezaubern mich immer sehr. Zudem hat die Autorin ein Faible für die französische Küche und teilt das ein oder andere Rezept mit ihren Lesern. Spannend sind ihre Krimis zudem jedes Mal. Das ist für mich der ideale Mix.

Im nunmehr neunten Fall wird Pierre sogar selbst verdächtigt, einen Kontrahenten aus dem Weg geräumt zu haben. Gilbert Langlois wird tot in einem Bach entdeckt. Er wollte Pierre seinen Posten streitig machen. Bei Nachforschungen wird festgestellt, dass Langlois einige Dorfbewohner beobachtet und erpresst hat. Von Pierre existieren auch Fotos, was ihn hochgradig verdächtig macht. Er wird sofort von den Ermittlungen ausgeschlossen. Aber Pierre kann es natürlich nicht lassen und ermittelt auf eigene Faust weiter. Dabei stößt er auf einige Ungereimtheiten in der Vergangenheit des Bürgermeisters Marechal und des Opfers. Was verbindet die beiden Männer? Und wer ist der wahre Mörder?

Sophie Bonnet schildert in ihrem Roman nicht nur den Kriminalfall. Sie recherchiert immer sehr gut und flechtet viel Hintergrundwissen in ihre Geschichten ein. In „Provenzalische Täuschung“ erfährt man viel über Trüffel und den Algerienkrieg. Insbesondere das Thema Algerien interessiert mich sehr und ich habe mich nach der Lektüre weiter damit beschäftigt.

Auch Pierres Privatleben – seine Hochzeit mit Charlotte rückt immer näher – wird wieder sehr authentisch geschildert. Ich mag ihn und seine Braut sehr gerne. Was die Feierlichkeiten angeht, befindet sich Pierre in einem Dilemma: Charlotte möchte fein in einem teuren Hotel heiraten, Pierre hätte es lieber bescheiden in ihrem eigenen Haus. Das wirft Konflikte auf, die zusätzlich zum Kriminalfall gelöst werden wollen.

Auch der neunte Fall dieser Reihe hat mich wieder sehr gut unterhalten und mir viel Hintergrundwissen vermittelt. Der Kriminalfall ist spannend erzählt und wird am Ende schlüssig aufgeklärt. Nun bin ich bereits sehr gespannt auf den zehnten Fall und kann es kaum erwarten, wieder auf die guten alten Freunde, zu denen die Protagonisten im Laufe der Jahre wurden, zu treffen.

Bewertung vom 16.05.2023
Mörderisches aus Westfalen
Kruse, Margit

Mörderisches aus Westfalen


ausgezeichnet

In ihrem neuen Band mit Krimi-Kurzgeschichten entführt uns Margit Kruse ins „mörderische Westfalen“. Kreuz und quer durch die malerische Region in der Mitte Deutschlands lässt sie ihre Figuren zum Teil skurrile Morde begehen. Die Geschichten haben mich oft zum Schmunzeln gebracht. Das ist auch der besonderen Gabe der Autorin geschuldet, den Menschen aufs Maul zu schauen und deren dialektische Eigenheiten gekonnt und witzig aufs Papier zu bringen. Zudem baut sie auf sehr unterhaltsame Art und Weise die ein oder andere Anekdote aus der jeweiligen Region in ihre Geschichten ein.

Neben zwölf spannenden Krimis bietet dieses Buch viele wertvolle Tipps für Ausflüge in Westfalen. Von der Sparrenburg in Bielefeld über das Kloster Dalheim, das malerische Bad Sassendorf bis hin zu einer Schnapsbrennerei im Münsterland führt Margit Kruse ihre Leser durch die schöne Region.

Ganz besonders hat mich gefreut, dass meine liebste Protagonistin Margarete Sommerfeld auch in zwei Geschichten vorkam. Dieser Figur hat Margit Kruse eine ganze Reihe gewidmet, die ich mit größtem Vergnügen gelesen habe.
Eine kleine Übersichtskarte mit den Handlungsorten der Geschichten hätte ich noch hilfreich gefunden. Aber in Zeiten des stets zur Verfügung stehenden Internets ist diese verzichtbar.


Fazit:
Zwölf spannende Kurzkrimis für alle, die Westfalen bereits kennen oder aber noch kennenlernen möchten.

Bewertung vom 26.04.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

Als erstes hat mich das Cover angesprochen. Es zeigt eine Frau im roten Badeanzug, die ins Wasser taucht. Dabei wirkt das Bild wie gemalt. Dann hat mich der Titel neugierig gemacht. Denn, als ich noch regelmäßig schwimmen ging, bin ich auch immer exakt 22 Bahnen geschwommen. Die Inhaltsangabe hat mich dann vollends überzeugt, diesen Debütroman von Caroline Wahl lesen zu wollen. Und, um das mal vorwegzunehmen, ich wurde nicht enttäuscht.

Hauptfigur ist die junge Tilda, Mathematikstudentin, Kassiererin in einem Supermarkt, Schwester einer 10-jährigen und Tochter einer Alkoholikerin. Sie lebt mit Mutter und Schwester in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland und versucht, ihr Leben zu managen. Als Flucht aus diesem Kreislauf geht sie ins Freibad und schwimmt jeden Tag exakt 22 Bahnen. Eines Tages sieht sie dort den jungen Russen Viktor, mit dessen Bruder sie einst befreundet war. Aber damals ist etwas Schlimmes passiert. Deshalb versucht Tilda, Viktor aus dem Weg zu gehen, obwohl er ihr ausnehmend gut gefällt. Gleichzeitig versucht sie, ihre kleine Schwester Ida stärker und selbstbewusster zu machen, damit diese den Angriffen der alkoholisierten Mutter besser begegnen kann.

Der Schreibstil dieses Romans ist sehr außergewöhnlich. Die Geschichte wird im Präsens in der Ich-Form erzählt, die wörtliche Rede wie in einem Drehbuch dargestellt. Aber ich habe mich relativ schnell eingelesen. Auf nur 208 Seiten habe ich die Protagonistin Tilda gut kennengelernt, konnte ihr Handeln meistens gut verstehen. Sie muss, obwohl sie selbst noch jung ist, eine enorme Verantwortung übernehmen. Trotzdem resigniert sie nicht. Das hat mir sehr gut gefallen. Ihre kleine Schwester Ida ist voller Selbstzweifel. Beide sind von unterschiedlichen Vätern, beide Väter sind von der alkoholkranken Mutter fortgegangen. Diese ist völlig überfordert und neigt zu Wutausbrüchen.

Obwohl die Situation eher trostlos ist, habe ich diesen Roman sehr positiv empfunden. Das liegt sicher vor allem an der sympathischen Hauptfigur, die Caroline Wahl erschaffen hat. Aber auch die Sprache ist positiv und zeitgemäß.

Ich bin sehr gespannt auf weitere Werke der Autorin, die ich mit Sicherheit auch lesen werde.

Fazit:
Ein vielversprechendes Debut.

Bewertung vom 19.04.2023
Der Ahorn und die neue Welt
Baites, Mina

Der Ahorn und die neue Welt


ausgezeichnet

Der letzte Band der bewegenden Breitenbach-Saga spielt Anfang der 20er-Jahre in Berlin und Colorado. Der größte Teil der Familie Breitenbach ist in die USA ausgewandert. Nur Isa, die seit einem Unfall im Rollstuhl sitzt, und ihre Eltern sind in Berlin geblieben. Isa hat als Schuhdesignerin einen eigenen Betrieb gegründet, der sehr erfolgreich ist. Ihr Freund Mikail, ein jüdischer Orthopäde, bekommt den zunehmenden Hass auf Juden langsam zu spüren. Aber auch im fernen Amerika gibt es Rassismus. Hier treibt der Ku-Kux-Klan sein Unwesen. Auf dem Firmengelände der Breitenbachs geschieht ein Mord. Opfer ist ein Schwarzer. Obwohl die Familie Breitenbach alles andere als rassistisch ist, begegnet man ihnen mit großer Skepsis. Die Geschäfte laufen äußerst schleppend an. Aber die Familie hält nach wie vor zusammen.

Ich habe diese Familiensaga vom ersten Band an verfolgt. Mit Wehmut nahm ich den fünften und letzten Band zur Hand. Die Geschichte nahm mich sofort wieder gefangen. Es war, als träfe man alte Freunde wieder. Die Autorin hat mit viel Einfühlungsvermögen die Ereignisse in Deutschland und in den USA geschildert. An mancher Stelle standen mir Tränen in den Augen. Isa und Sam waren in diesem Band meine Lieblingsfiguren. Die behinderte Isa ist eine Kämpferin und auch Sam, der ein Halbblut ist, ist ein starker junger Mann, der seinen Weg geht.

Am Ende habe ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge das Buch zugeklappt. Es ist traurig, von der Familie Abschied zu nehmen. Aber die Autorin hat schon ein neues Werk in Arbeit, das ich mit absoluter Sicherheit auch wieder lesen werde.

Fazit:
Ein würdiger Abschluss einer bewegenden Familiengeschichte.

Bewertung vom 06.04.2023
Der nette Herr Heinlein und die Leichen im Keller
Ludwig, Stephan

Der nette Herr Heinlein und die Leichen im Keller


ausgezeichnet

Stephan Ludwig ist mir als Autor gut bekannt. Ich mag die Zorn-Reihe sehr und auch „Unter der Erde“, sein erster eigenständiger Roman außerhalb der Zorn-Reihe, hat mir sehr gut gefallen. „Der nette Herr Heinlein und die Leichen im Keller“ ist ebenfalls ein Kriminalroman, jedoch ganz anders als die anderen des Autors. Wie der Titel und das Cover bereits vermuten lassen, ist dieses Buch satirisch angehaucht. Die Figuren sind teilweise überzogen dargestellt und die Handlung wird im Laufe der Geschichte immer skurriler. Das hat mir ausgesprochen gut gefallen.

Herr Heinlein ist Ende fünfzig und führt bereits in dritter Generation „Heinlein’s Delikatessen- und Spirituosengeschäft“. Er ist ein Kavalier alter Schule und pflegt beste Umgangsformen. Den Prinzipien seiner Vorfahren, immer auf allerbeste Qualität zu achten, bleibt er stets treu. Seine Tage haben einen festen Ablauf. Er steht früh auf, bereitet seine berühmten Pasteten zu, eröffnet pünktlich um 10 Uhr seinen Laden und bedient seine Kunden mit ausgesuchter Höflichkeit und Fachwissen. Ihm zur Seite steht sein Gehilfe Marvin, ein autistischer junger Mann, dem er eine Chance in seinem Laden gegeben hat. Außerdem gibt es noch Norbert Heinleins Vater, der an Demenz leidet und von ihm und Marvin liebevoll gepflegt wird. Also eher alles spießig und mehr oder minder langweilig, bis eines Tages ein neuer Kunde, Adam Morlock, seinen Laden betritt. Dieser mischt sich mehr und mehr in Heinleins Belange ein, bis er eines Tages durch einen dummen Zufall ums Leben kommt, mitten in Heinleins Küche. Dieser weiß sich nicht anders zu helfen, als den Toten ins Kühlhaus zu schaffen. Aber bei einer Leiche im Keller soll es nicht bleiben …

Norbert Heinlein ist mir mit seiner etwas unbeholfenen Art sofort ans Herz gewachsen. Obwohl er ein Mann von Welt sein will, macht er auf mich einen etwas naiven und tollpatschigen Eindruck. Marvin mochte ich ebenfalls sehr. Er ist ein treuer Geselle, der seinem Chef stets zur Seite steht. Der Tod Morloks wirft die beiden aus ihrer gewohnten Routine. Heinlein verstrickt sich immer mehr in Lügen, sein Handeln wird immer skurriler. Ich habe mehr als einmal laut lachen müssen während des Lesens.
Zudem ist das Buch auch spannend. Ich habe gehofft, dass niemand Herrn Heinlein auf die Schliche kommt. Denn alle Opfer sind mehr oder weniger durch eine Verkettung unglücklicher Umstände gestorben. Mein Highlight war das Auftauchen der Figuren Zorn und Schröder. Gerade Schröder mag ich außerordentlich gerne.

Der Schreibstil ist so bildhaft, dass die Geschichte wie ein Film vor meinem inneren Auge abgelaufen ist. Sollte der Roman tatsächlich verfilmt werden, so wünsche ich mir in der Rolle des Norbert Heinlein Jan Josef Liefers. Seinen Vater könnte Dieter Hallervorden hervorragend darstellen. Aber egal, welche Schauspieler gewählt würden, ich würde mir den Film liebend gerne anschauen. Ebenso werde ich auch weiterhin jedes Buch des Autors Stephan Ludwig lesen.