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Top-Rezensenten Übersicht

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janina_el

Bewertungen

Insgesamt 38 Bewertungen
Bewertung vom 03.05.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


ausgezeichnet

Herzlich, kreativ und innovativ
Der Comic dreht sich um das junge Mädchen Lisa, das wegen ihrer Außenseiterrolle und durch Mobbing unglücklich ist. Eines Tages begegnet sie dem Außerirdischen Walter, der hinter ihrem Haus landet namens Walter und sich mit ihr anfreunden möchte, wodurch eine schöne Geschichte ihren Lauf nimmt.
Ebendiese Geschichte und die Thematik rund ums Anderssein und Mobbing ist wirklich sehr herzlich, kreativ und innovativ erzählt. Mir gefallen vor allem die wörtlichen Reden, die in Kinderbüchern oftmals hochgestochen oder für den normalen Sprachgebrauch unnatürlich wirken, während Sibylle Berg hier auch mal ein bisschen Dialekt oder Umgangssprache nutzt, wie beispielsweise „Willst du vielleicht grad den Unterricht übernehmen?“ oder „Die denken eh schon, ich bin nicht ganz dicht.“. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich dadurch Kinder und Jugendliche, die ja genau die Zielgruppe sind, besser angesprochen und abgeholt fühlen. Mir gefällt außerdem, dass sich Berg hier überhaupt nicht scheut, auch „erwachsenere“ Themen und Probleme zu thematisieren, die auch junge Leser*innen betrifft und diese dadurch früh zu einer kritischen Auseinandersetzung ermutigt.
Ebenso wichtig, wie das Geschriebene, ist bei einem Comic natürlich auch die Illustration, die ich hier genauso gelungen finde. Es sind süße und sehr detailreiche Zeichnungen, die mich direkt ansprechen, unterhalten und die ich sehr einzigartig finde.
Bei meiner Rezension und allen Komplimenten, die ich dem Buch machen möchte, muss ich allerdings auch betonen, dass ich eine 30-jährige Frau ohne Kinder oder Erfahrungen mit Kindern bin, also vielleicht nicht die verlässlichste Quelle dafür, wie geeignet oder ansprechend das Buch für die eigentlich Zielgruppe ist. Ich hoffe aber, dass das Buch einigen jungen Menschen Freude, Interesse und Mut schenkt.

Bewertung vom 08.04.2024
Alles gut
Rabess, Cecilia

Alles gut


ausgezeichnet

Tiefgreifende Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen unserer Zeit
In ihrem Roman „Alles gut“ setzt sich Cecilia Rabess nicht nur oberflächlich mit dringenden Problemen und Streitthemen unserer Gesellschaft auseinander, sondern geht tief rein in die innere Zerrissenheit und Unsicherheit der jungen, schwarzen Jess, die sozial eher in der weißen Mittel- bis Oberschicht verkehrt, aufgrund ihres Jobs und ihrer Freunde/ihres Freundes. Die Zeitspanne der Erzählung reicht von der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten bis hin zur Wahl Donald Trumps zum Selbigen, was in vielen Gesichtspunkten (kulturell, historisch, gesellschaftlich) eine ereignis- und konfliktreiche Zeit für alle darstellt. Was dieses Buch aber beindruckend herausarbeitet, ist wie viel tiefergehend und anspruchsvoll all diese Ereignisse und Konflikte für eine junge, aufstrebende aber eben schwarze Frau in den USA sein muss.
Trotz der Dicke des Buches habe ich es in 2 Tagen durchgelesen, weil ich es einfach nicht weglegen konnte und wollte. Mich haben die Geschichte und die Gedanken von Jess so sehr gefesselt und ich war schnell emotional sehr investiert in den Werdegang der Protagonistin und ihrer Beziehung zu anderen. Komplett fertig gemacht hat mich dann der Teil, in dem sie zurück bei ihrem Vater ist, ohne zu viel verraten zu wollen. Spätestens da war das Weglegen des Buches keine Option mehr und ich musste wissen, wie es weitergeht. Wollte wissen, wie man mit so etwas umgehen kann und sich wieder fangen kann.
Ich bin großer Fan von der Covergestaltung, finde sie sehr gelungen!
Mein einziger Kritikpunkt ist nicht einmal eine Kritik am Buch selbst, sondern an der Übersetzung. Ich kann natürlich nur vermuten, wie klug und authentisch die Geschichte im Original klingen muss. Die Übersetzung hingegen ist teilweise etwas hölzern und unnatürlich, vor allem wenn es um gesprochene Sprache und Gedanken geht und dann auch noch um zeitgenössische, ist eine deutsche Übersetzung oftmals schwierig. Im Deutschen würde niemand so sprechen, während ich mir gut vorstellen kann, wie dieselben Aussagen und Formulierung im Englischen komplett alltäglich sind. Da das eben nicht am Geschriebenen selbst kritisiert werden kann, ein gängiges Problem ist und zum Teil vielleicht auch einfach nur Geschmackssache, möchte ich keinen einzigen Stern von meiner finalen Bewertung abziehen.
Ich bin so froh, eine neue Autorin entdeckt zu haben, deren Schreibstil, Gedanken und Herangehensweise mich direkt begeistert haben. Die Figuren, deren Umgang und Diskussionskultur untereinander und ihre emotionale und persönliche Entwicklung waren für mich eine Offenbarung. Ich kann es schwer in Worte fassen, wieso das Buch so sehr zu mir gesprochen hat, da fehlt mir leider die literarische Finesse einer Cecilia Rabess :)

Bewertung vom 08.04.2024
Tremor
Cole, Teju

Tremor


sehr gut

Ungewöhnlich und anspruchsvoll
Das Buch habe ich eben erst fertiggelesen, daher möchte ich unbedingt vorausschicken, dass ich mir sicher bin, dass dies noch nicht meine „finale“ Rezension ist, sondern meine erste Reaktion auf das Gelesene. Von Zeit zu Zeit stößt man auf einen Roman, bei dem man sich sicher ist, dass er einen erstmal nicht loslassen wird und noch einige Zeit beschäftigen wird. Vielleicht wird sich mein Eindruck nochmal verändern, wenn ich mir alles noch eine Weile durch den Kopf gehen lasse und darüber nachdenke.
Was ich sicher sagen kann, ist, dass ich die Sprache von Teju Cole sehr interessant und einzigartig fand. Das hat das Lesen zwar nicht erleichtert, da es auch stilistisch anspruchsvoll ist, aber auf jeden Fall meine Aufmerksamkeit und mein Interesse geweckt.
Inhaltlich empfand ich die Geschichte als sehr philosophisch und vielschichtig, weshalb ich mir hierfür ein Urteil verkneife, bis ich mir selbst klarer darin bin, was ich davon halte und wie ich dazu stehe.
Diese Rezension mag eher negativ klingen, aber mein Empfinden für „Tremor“ ist ganz im Gegenteil sehr positiv und ich bin sehr froh über die Erfahrung des Lesens.

Bewertung vom 21.02.2024
Weiße Wolken
Seck, Yandé

Weiße Wolken


sehr gut

Wichtige und aktuelle Thematik
Ich habe mich wirklich auf das Lesen gefreut, da mich die aktuellen und hochbrisanten Gesellschaftsthemen, wie (Alltags-)Rassismus, Konflikte und Konfliktlösungen und Sexismus, die im Buch angesprochen werden, sehr interessieren. Zudem finde ich es wichtig, meinen Teil als weiße, privilegierte Person zur Lösung diese Probleme beizutragen und dazu gehört erst einmal Bildung und Verstehen. Das alles hat mir auch sehr gut gefallen und ich wollte den beiden Schwestern folgen und verstehen/nachvollziehen, wie sie handeln und denken.
Leider gelang das nicht immer im Laufe des Buches, welches mich immer wieder verlor, meistens wegen stilistischer anstatt inhaltlicher Punkte. Schreibstil ist natürlich Geschmackssache, deshalb ist das auch nur ein kleiner und persönlicher Kritikpunkt an einem ansonsten tollen Romandebüt: manchmal kam mir die Sprache (zwischen den Schwestern oder zwischen den jungen Leuten im Buch) etwas unnatürlich und befremdlich vor, aber dieses Problem habe ich oft bei Dialogen in Büchern, also vielleicht ist das einfach mein „Problem“. Zudem fiel es mir manchmal schwer, die Figuren und ihre Beweggründe nachzuvollziehen, was ein bisschen daran lag, dass die Figuren an manchen Stellen zu sehr und an anderen zu wenig detailliert gezeichnet und erklärt wurden. Auch hier wieder: Geschmacks- und Stilfrage, daher kein wirklicher Kritikpunkt, nur ein persönlicher Eindruck.
Trotzdem fand ich das Buch lesenswert und vor allem wichtig. Wichtig, dass sowohl nicht-weiße Autor*innen als auch Hauptcharaktere sichtbar und hörbar werden. Wenn dies dann auch noch in Kombination mit so vielen weiteren gesellschaftlich relevanten Aspekten geschieht, umso besser. Neben den oben genannten Themen spielt auch die Herkunftsgeschichte und Familiendynamiken eine große Rolle, was mich sehr angesprochen und zum Nachdenken gebracht hat. Insgesamt hat mir die Lektüre viel Stoff zum Grübeln gegeben und mich bis jetzt gedanklich noch nicht komplett losgelassen. Ich liebe es, wenn Bücher dies tun :)
Zum Schluss noch ein paar dankbare Worte zum Cover von jemandem, der sich gelesene Bücher gerne ins Regal stellt: es hat mich direkt angesprochen und meine Aufmerksamkeit gewonnen. Es ist modern, farblich wunderschön, neu und alles ohne ein bisschen Kitsch, was heutzutage gar nicht so häufig vorkommt.

Bewertung vom 20.02.2024
Im Spiegel des Kosmos
Tyson, Neil deGrasse

Im Spiegel des Kosmos


sehr gut

Interessante Denkanstöße und Perspektiven
Ich hatte sehr große Erwartungen an das Buch, da ich mit Neil de Grasse Tyson sehr sympathisiere und sein Wissen, seine Perspektiven und seine Denkweise für sehr weitläufig und umfassend halte. Umso enttäuschter bin ich über den engen Umfang seiner Betrachtungen. Während er im Untertitel des Buches von der „Menschheit“ spricht, betrachtet er im Buch selbst fast ausschließlich die Menschen und Gesellschaft der USA/Nordamerikas. Nichtsdestotrotz war es eine interessante und denkanstoßende Lektüre mit einigen wichtigen und inspirierenden Gedanken. Außerdem bin ich sehr fasziniert von US-amerikanischer Kultur, Politik und Gesellschaft, was es wirklich sehr interessant und unterhaltend für mich gemacht hat. Wie erwähnt ist es die falsche Annahme oder Behauptung, sich auf die ganze Menschheit zu beziehen, die mich stört, der man häufig in Popkultur, Medien etc. begegnet und die ich dann immer als ein Zeichen von US-amerikanischer Arroganz und Ignoranz interpretiere.
Ich möchte noch erwähnen, wie schön ich das Buch optisch und haptisch finde. Es hat etwas sehr ästhetisches und für mich etwas sehr befriedigendes, wenn man ein dickes und hochwertiges Buch in den Händen hält.

Bewertung vom 07.02.2024
Not Your Business, Babe!
Bogner, Verena

Not Your Business, Babe!


ausgezeichnet

Solidarisch und bestärkend
Ich hatte einige Vorbehalte gegenüber einem Buch, dass behauptet „Alles, was du als Frau über die Arbeitswelt wissen musst“ zu beinhalten. Allerdings hat mich das Buch mit seiner positiven und bestärkenden Message schnell überzeugt. Dass der Schreibstil locker und lustig und dennoch super smart ist, hat mich von Anfang an begeistert. Der Inhalt sprach so sehr zu mir und hat mich direkt an Freundinnen von mir denken lassen, von denen ich unbedingt wollte, dass sie sich das Buch auch zu Herzen nehmen. Hier ein Auszug aus der Notiz, mit der ich eine Ausgabe direkt an eine Freundin verschenkt habe, denn das sagt ziemlich genau aus, wie ich das Buch rezensiere würde und irgendwie trägt es wortwörtlich den Solidaritätsgedanken weiter :)
„[…] Aber das Buch geht noch tiefer und ich dachte an vielen Stellen, dass sie dir und mir und so vielen anderen aus der Seele sprechen. Und es tut immer gut, solche Wahrheiten, die man sich selbst oft nicht eingesteht, einfach mal von anderen zu hören oder sogar in Buchform zu lesen.
Ich hoffe, das Buch gefällt dir nicht nur, sondern dass du dir wirklich erlaubst, wichtige Punkte zu Herzen und zu Verstand zu nehmen. Dein toller Verstand, dein Charakter, deine Stärken, einfach alles, was dich ausmacht, sollten niemals von deiner Arbeit und von dir selbst weniger gewertschätzt werden, als sie es verdienen. Leichter gesagt als getan, ich weiß :) aber vielleicht hilft das Buch, die einiges zu vergegenwärtigen und dir nachhaltig Kraft und Mut und Resilienz zu geben“.
In diesem Sinne, danke für das wichtige, bestärkende Buch in einer Zeit, in der ich es wirklich brauchte!

Bewertung vom 14.12.2023
GUY'S GIRL
Noyes, Emma

GUY'S GIRL


ausgezeichnet

Eindrucksvolle und berührende Realitätsnähe

Der Roman erzählt die Geschichte von den jungen Erwachsenen Ginny und Adrian und ihrem Kennenlernen im gemeinsamen Freundeskreis (der WG, in die Ginny zu ihren College-Freunden zieht) und dem Beginn ihrer gemeinsamen Geschichte in New York. Zwischen ihnen funkt es direkt und in einem 08/15-Liebesroman würde sich jetzt eine nette oder witzige Liebesgeschichte entfalten, die unweigerlich auf ein Happy End rausläuft. In „Guy’s Girl“ aber wird vielmehr die Realität abgebildet und es geht viel tiefer in die Psyche und die komplizierten Beziehungsdynamiken zwischen allen Charakteren in dem Freundeskreis. Alle haben ihr Päckchen zu tragen, welche von der Autorin Emma Noyes jeweils so gut und authentisch erzählt werden, dass man gar nicht anders kann, als mitzufühlen und mitzufiebern. Man möchte am liebsten in die Geschichte eingreifen können und Ginny und Adrian zu einer besseren und offeneren Kommunikation zwingen können, aber so läuft es nunmal im echten Leben auch nicht. Kein Wunder, dass ich das Buch regelrecht verschlungen habe so sehr emotional involviert war ich.
Es ist auch auf anderen Ebenen nicht einfach „nur“ ein Liebesroman, denn die Lebensrealität, also alle Bedürfnisse, Komplikationen und Sorgen der Protagonist*innen beschränken sich nicht Liebes- und Beziehungsthemen, sondern die jeweilige Alltagsrealität und Vergangenheit bilden die Quellen ihrer Probleme und Motivationen ihrer Handlungen. Es ist beeindruckend, wie der Schreibstil der Autorin so ehrlich schonungslos und nüchtern ist, aber gleichzeitig so schön und subtil poetisch, dass man das Buch einfach nicht weglegen möchte. Die Charaktere sind sehr detailliert und liebevoll herausgearbeitet und dabei im allerbesten Sinne so originell und besonders gezeichnet, dass man mit allen sehr mitfühlt und -fiebert, trotz oder eher gerade wegen ihrer nachvollziehbaren Struggles im Leben.
Das Cover ist haptisch und optisch wirklich sehr schön, ein Pluspunkt, den die tolle Geschichte aber nicht einmal bräuchte :)
Alles in allem wirklich eine große Leseempfehlung, denn meine Erwartungen wurden bei dem schwierigen Thema (Essstörungen und weitere mentale Probleme) in dem ausgelutschten Genre „Liebesroman“ komplett übertroffen. Ich finde, solche stigmatisierten Themen aus der Mitte vieler Lebensrealitäten sollten viel mehr und öfter in Geschichten stattfinden. Wenn dies dann auch noch auf so schöne, authentische und mitreißende Art und Weise, wie hier, passiert, ist das ein rundum tolles Leseerlebnis, das mich nachhaltig beschäftigt und in Erinnerung bleibt.

Bewertung vom 22.11.2023
All dies könnte anders sein
Thankam Mathews, Sarah

All dies könnte anders sein


sehr gut

Modernes Erwachsenwerden
In „All dies könnte anders sein“ von Sarah Thankam Mathews folgen wir der jungen indisch-stämmigen Immigrantin Sneha und ihrem Leben nach dem College in ihrer neuen Heimatstadt Milwaukee. Dabei kämpft sich die queere/lesbische junge Frau sowohl im Beruflichen als auch im Privaten durch einige Probleme, die sehr nachvollziehbar sind, wenn man ans Erwachsenwerden denkt und die ihr noch durch ihre Herkunft und Sexualität erschwert werden oder dadurch zumindest noch mehr Druck entsteht. Im Laufe der Geschichte mit vielen Ups and Downs lernen wir einige Weggefährt*innen und mehr über aller Hintergrundgeschichten und Päckchen kennen.
Nachdem ich mich durch den sehr langatmigen Anfang des Buches gekämpft habe, der ehrlicherweise nicht die größte Lust aufs Weiterlesen macht, ist mir die Geschichte mit all ihren Charakteren und Handlungen immer mehr ans Herz gewachsen. Man konnte und wollte der Entwicklung durch tiefe Einblicke immer mehr folgen und ich bin froh, am Ende ein toll geschriebenes Buch gelesen zu haben. Den Schreibstil würde ich nämlich als sehr modern und lässig beschreiben, auch wenn bei der Übersetzung ins Deutsche sicherlich etwas von dieser Coolheit verloren geht, vor allem in den gesprochenen Parts zwischen Charakteren (wer hört/liest denn gerne ein „Dude“ oder „Bruh“ in ansonsten deutsch gesprochenen (übersetzten) Sätzen, ohne es als sehr sperrig und unauthentisch zu empfinden?!). Die Themen und Konflikte sind wirklich sehr zeitgemäß und wie erwähnt nachvollziehbar, was mich einfach sehr mitfühlen ließ und somit war es trotz aller Melancholie und allem Verdruss ein Leservergnügen für mich. Außerdem stelle ich das Buch jetzt sehr gerne und prominent in mein Bücherregal, die Gestaltung des Covers finde ich nämlich auch sehr gelungen mit dieser modernen und geschmackvollen Verwendung der Regenbogenfarben.

Bewertung vom 04.10.2023
Nichts in den Pflanzen
Haddada, Nora

Nichts in den Pflanzen


ausgezeichnet

So far so düster und so gut!

Leider konnte ich zur Deadline dieser Rezension das Buch "Nichts in den Pflanzen" von Nora Haddada nur bis etwa zur Hälfte lesen. Ich würde daher gerne meinen bisherigen Eindruck beschreiben und ggf. meine Rezension nochmals editieren, wenn ich das Buch durchgelesen habe. Die Geschichte von Leila beginnt direkt mit dem Kennenlernen und Verlieben in Leon und der großen Chance in Form eines Vorab-Vertrags einer Produktionsfirma. Eigentlich scheint das Leben der jungen Drehbuchautorin also super zu laufen…. Oder? Wieso also geht es ihr in den folgenden Kapiteln, die zeitlich vor und zurück springen so schlecht und wieso trifft sie so fragwürdige bis schreckliche Entscheidungen, die an Selbstsabotage erinnern? Mein Interesse ist sofort und immer wieder geweckt, wird dann aber oftmals wieder durch die schwer erträglichen Handlungen der Protagonistin, gepaart mit ungeschönter und direkter Sprache, etwas abgeschreckt, sodass ich immer wieder Pausen mache, bis ich mich „überwinde“ wieder weiterzulesen. Grundsätzlich bin ich ja sehr angetan von der Geschichte und dem Schreibstil. Vielleicht treffen die Erzählung und die Verlorenheit der jungen Leila einfach zu sehr ins Schwarze. Was jetzt etwas negativ klingt ist eigentlich ein großes Kompliment an die Autorin und ihr außerordentliches Talent zu Schreiben und zu Berühren.
Nicht unerwähnt möchte ich das Cover lassen, das meine Aufmerksamkeit als erstes weckte, weil ich das Motiv, die Farben und den Malstil wunderschön finde. Das Material, wie sich das Buch in der Hand anfühlt und die Qualität sind wirklich ganz besonders und eine große Freude für Buchliebhaber, die ihre Bücher gerne nicht nur zur Aufbewahrung ins Regal stellen, sondern auch aus ästhetischen Gründen :)
Zuallerletzt noch ein Dankeschön an Benedict Wells, der mit seiner Empfehlung mal wieder einen tollen Lesegenuss in mein Leben gebracht hat, diesmal nicht aus seinem eigenen Repertoire sondern von Nora Haddada. Sie hat einen neuen Fan in mir! :)

Bewertung vom 31.08.2023
Tasmanien
Giordano, Paolo

Tasmanien


sehr gut

Frustriert und frustrierend

Während man den Roman „Tasmanien“ von Paolo Giordano liest, erlebt man unweigerlich eine schonungslose Konfrontation mit der Realität, indem man diverse reale Ereignisse, darunter Katastrophen und terroristische Anschläge, aus den Jahren 2016-2020 noch einmal durchlebt und dabei ähnlich wie der Protagonist die schiere Macht- und Ratlosigkeit empfindet. Gleichzeitig verfolgt man ganz profane, alltägliche Dramen aus dem fiktiven Leben des frustrierten Protagonisten Paolo. Von Abstumpfung über Aussichtslosigkeit bis hin zu Empfindungen von Panik reichen die Emotionen in der Auseinandersetzung mit der Gegenwart und der Alltagsrealität darin.
Grundsätzlich erweckt der Roman beim Lesen ein mulmiges und pessimistisches Gefühl, gespickt von Momenten und Textstellen, die einen (mich zumindest) wirklich sprachlos und entsetzt zurücklassen. Mit einem großen Kloß im Hals las ich beispielsweise den historischen Exkurs über den Abwurf der Atomraketen über Hiroshima und Nagasaki mitsamt sehr expliziten und dementsprechend grausamen Beschreibungen von Augenzeugen über die unmittelbaren und langfristigen Opfer und Schäden. Das ist aber keinesfalls ein negativer Kritikpunkt, sondern ein Lob an die schonungslose Darstellungsweise und Beweis für die Notwendigkeit, Geschehnisse und Entwicklungen solcher Art immer wieder in Erinnerung zu rufen und nicht in Vergessenheit oder Ignoranz geraten zu lassen.
Der Protagonist ist dabei ein Beispiel für einen gebildeten und informierten Menschen, der ganz seiner Natur versucht, allen grausamen globalen und persönlichen Realitäten soweit zu entkommen oder eher zu entfliehen, um sein Leben zu leben und seine Karriere voranzutreiben. In diesem Zwiespalt entwickelt sich das Leben von Paolo mehr oder weniger erfolgreich.
Insgesamt gab mir das Buch unheimlich viel Stoff um nachzudenken – über die Geschichte, die Welt, das Leben, mein Leben und den Umgang mit alledem bzw. der Verarbeitung von alledem. So viel Stoff, dass es mich wohl erstmal nicht wirklich loslassen wird. Ich habe noch nicht alle Gedanken und Empfindungen sortiert bekommen, aber trotzdem möchte ich das Buch weiterempfehlen, während meine Auseinandersetzung damit noch in vollem Gange ist.