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Alais

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Insgesamt 188 Bewertungen
Bewertung vom 14.12.2023
Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1
Åslund, Sandra

Im Herzen so kalt / Maya Topelius Bd.1


ausgezeichnet

Wer diesen Krimi liest, darf sich gleich zu Beginn über einen freundlichen Willkommensgruß der Autorin an ihre Leserinnen und Leser freuen – das habe ich so noch nicht erlebt und empfand ich als eine sehr sympathische Geste.
Und es geht auch gleich sehr spannend los mit einem Leichenfund in einem tiefen, verschneiten Wald und einem kleinen Mädchen, das in Gefahr zu geraten droht … Was mir schon auf den ersten Seiten positiv auffiel, war der gute Zugang, den ich dank der Schilderungen zu den Handlungsfiguren fand. Ob zum Mädchen Frida, die trotz ihrer gerade mal neun Jahre sehr ernst und verantwortungsbewusst wirkt, und seiner alleinerziehenden, zurückgezogen lebenden Mutter, zu den beiden hinzugezogenen Ermittlern Maya und Pär aus der Großstadt und ihren etwas wortkargen Kollegen vor Ort, zu den Umweltaktivisten, die sich für den von fehlgeleiteter Forstwirtschaft bedrohten Wald einsetzen, zu dem Forstunternehmer, zu einer Serviererin oder Mayas Freundinnen – alle Figuren hatten etwas, was sie ganz besonders und interessant macht. Auch trifft man selten in Krimis auf so viel Besonnenheit und Reflektiertheit (zumindest bei einigen der Handlungsfiguren). Und dennoch ist einiges nicht, wie es scheint, und es konnte auch schon mal die eine oder andere Person aus dem Rahmen des Bildes, das ich mir von ihr gemacht habe, ausbrechen …
Innerhalb der Gesamtgeschichte entwickeln sich mehrere kleine Geschichten rund um die verschiedenen Figuren, die jedoch letztendlich alle ineinandergreifen. Ich fühlte mich sofort gefesselt und fieberte mit, denn Gefahren und Bedrohungen gibt es trotz vieler sympathischer Figuren reichlich. Der Schreibstil ist auch sehr angenehm, das Buch liest sich leicht und mit Genuss und so ganz nebenbei lässt sich ein kleiner Einblick in das Leben in Schweden gewinnen. Hierzu passend runden eine Karte, ein Stadtplan und ein reich bestückter Anhang das Buch ab: mit einem kleinen Schwedischglossar, Literaturempfehlungen zu den Themen Abholzung und Monokultur-Forstwirtschaft in Schweden und einem ziemlich außergewöhnlichen und, wie ich finde, ein bisschen verrückten, typisch schwedischen Rezept.
Ein ungewöhnlicher Krimi und eine schöne Lektüre für spannende Leseabende im Winter!

Bewertung vom 13.12.2023
Die sieben Monde des Maali Almeida
Karunatilaka, Shehan

Die sieben Monde des Maali Almeida


sehr gut

Hinter dem außergewöhnlichen, farbenfrohen Cover verbirgt sich ein ebenso außergewöhnlicher Roman, der zwischen einer schrägen Fantasiewelt mit Geistern und Dämonen und der brutalen Realität der von Gewalt geprägten jüngeren Geschichte Sri Lankas eine so skurrile wie berührende Geschichte entspinnt.
Im Mittelpunkt steht Maali, der nach seinem Tod in eine bürokratisch durchorganisierte und dennoch ziemlich chaotische Zwischenwelt gerät, in der er gedrängt wird, ins Licht zu gehen. Doch Maali, der sich an die entscheidenden Ereignisse, die zu seinem Tod führten, nicht mehr erinnern kann, ist unentschlossen …
Amüsiert und zugleich etwas fassungslos hatte ich anfangs große Mühe, mich in diesem Roman zurechtzufinden und zu verstehen, in was für eine skurrile Geschichte ich da gerade hineingeraten bin. Gleichzeitig jedoch verliebte ich mich in den fantastischen Erzählstil – ausdrucksstarke Sätze und lebendige Beschreibungen, lässig-cool und mit einem herrlich trockenen Humor verfasst. Als erstaunlich empfand ich die Erzählweise mit einem Ich-Erzähler, der von sich selbst als „du“ spricht, aber zum Glück erwies sich das als nicht ganz so verwirrend, wie ich erwartet hatte.
So wunderbar schwarzhumorig das Buch startet, so erschütternd ist auch das Bild des fürchterlich realen, absoluten Grauens, das sich allmählich herausschält. Da mir die Geschichte Sri Lankas und des 1983 begonnenen Bürgerkriegs nicht bekannt war, hat es mich eiskalt erwischt. Ein von blutigen Konflikten gebeuteltes Land, in dem Menschen den Verbrechen unterschiedlichster Gruppierungen ausgesetzt sind, spurlos verschwinden und ermordet werden – das wird umso unerträglicher, wenn in einer derart leb- und bildhaften Sprache darüber geschrieben wird und Einzelschicksale in den Fokus rücken. Der Autor arbeitete hier ein bisschen wie sein Protagonist Maali, der zu Lebzeiten als Fotograf genau dieses Grauen dokumentierte.
Neben der individuellen Geschichte Maalis und der kollektiven Geschichte Sri Lankas berührt diese mitreißende Erzählung auch große Fragen der Menschheit und geht mal spöttelnd, mal sehr weise und sorgsam mit ihnen um. Sie hat also manchmal auch einen anspruchsvollen, philosophischen Charakter, überfordert aber nicht und ist generell reich an Emotionen, packenden Ereignissen und Wendungen.
Hinweisen möchte ich noch auf die kleinen Extras des Buches, die mir eine große Hilfe waren, sich aber viel zu weit hinten verstecken: ein Stadtplan von Colombo (S. 534), eine Liste der Handlungsfiguren (auf S. 535) und ein Glossar (S. 539).
Ein wunderbares Buch, das viel zu bieten hat!

Bewertung vom 04.12.2023
Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi
Chakraborty, Shannon

Die Abenteuer der Piratin Amina al-Sirafi


ausgezeichnet

Ein wunderbares Leseerlebnis mit Magie, Abenteuern in der historischen Welt des Indischen Ozeans im Mittelalter und ganz viel Frauenpower:
Dieses Buch hat mich in vielerlei Hinsicht überrascht und verzaubert. Schon die großzügige Gestaltung macht Freude: mit einer Karte in der vorderen Buchinnenklappe, umfangreichen Anmerkungen der Autorin zu ihrer Recherchearbeit, einem kleinen Glossar und einem hübschen Bild in der hinteren Buchinnenklappe. Die Autorin beschreitet ganz eigene Wege im Fantasy-Genre, präsentiert die seltsamsten Wesen, von denen ich trotz langjähriger Fantasy-Liebe noch nie gehört hatte, ungewöhnliche Helden und Heldinnen mit altersbedingten Schwächen, Bösewichte mit hervorragendem Gruselfaktor oder auch mal hinreißend komisch in ihrer Selbstverliebtheit und mit der mittelalterlichen Welt des Indischen Ozeans auch einen weitestgehend realen, aber mir völlig unbekannten und daher für mich umso spannenderen Handlungsort.
Worum es geht: Die Piratin Amina, alleinerziehende Mutter und eigentlich eine „Banditin im Ruhestand“, möchte nach Jahren des Rückzugs doch noch einmal zu einer großen Reise aufbrechen, um die entführte Enkelin einer mächtigen und nicht ganz ungefährlichen Großmutter zu retten. Doch dazu muss sie zunächst einmal ihr Schiff und ihre Crew befreien …
Amina ist eine großartige Hauptfigur: aufbrausend, mit einem herrlich trockenen Humor sowie einem großen Herzen gesegnet, im mittleren Alter, was für Fantasy-Heldinnen ja eher ungewöhnlich ist, und, ebenfalls eher ungewöhnlich in der Fantasy-Literatur, wie die Autorin selbst eine liebevoll gläubige Muslimin. Ihre bunt gemischte Crew liegt ihr sehr am Herzen und sie ist bereit, wie eine Löwenmutter für sie zu kämpfen. Mit einigen von ihnen, wie der giftmischenden Dalila oder dem Katzenfreund Tinbu, hat sie schon so manches Abenteuer bestanden, sodass ich anfangs sogar kurz den Eindruck hatte, dass es Vorgänger-Bände geben könnte. Amina und ihre Crew beeindruckten und begeisterten mich nicht nur durch ihre ausgeprägten Charaktere und liebenswerte Seltsamkeit, sondern vor allem dadurch, dass sie einander nicht im Stich lassen und sich immer wieder den gefährlichsten Situationen stellen, auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint.
Das Eintauchen in diese exotische Welt war für mich zunächst eine Herausforderung, aber die Erzählung packte mich schnell mit ihrem Mix aus Abenteuern, Gruselmomenten, ganz viel Action, Humor, Frauenpower und Magie. Der Autorin fielen immer wieder neue überraschende, aber überzeugende Wendungen ein. Dem Piratenteam fällt nichts in den Schoß, sie müssen sich alles hart erkämpfen und auch Niederlagen einstecken. Wie die Autorin in ihren Anmerkungen im hinteren Teil des Buches verrät, griff sie bei ihren Recherchearbeiten zu diesem Buch unter anderem auf ein Gaunerhandbuch mit hilfreichen Gaunertricks aus dem 13. Jahrhundert und alte Reiseberichte zurück und ließ sich von Volkssagen und Seemannsgarn inspirieren – kein Wunder, dass daraus eine derart bunt schillernde und faszinierende Romanwelt entstand, in der nebenbei bemerkt auch Wesen aus ihrer Daevabad-Romantrilogie auftreten.
Ein wunderbares Leseerlebnis!

Bewertung vom 11.11.2023
Biblioteca Obscura: Frankenstein
Shelley, Mary

Biblioteca Obscura: Frankenstein


ausgezeichnet

Ein düster-faszinierender, unfassbar modern wirkender Klassiker in einer künstlerischen Gestaltung:
Dieses Buch wird in einer atemberaubenden bibliophilen Gestaltung präsentiert. Der Künstler Marcin Minor verarbeitet Themen wie Leben, Bedrohung, Tod und hat ergreifende Bilder in Rot, Weiß und Schwarz geschaffen, die die düstere Dramatik der Erzählung, das Schaudern und den präzisen Blick des Wissenschaftlers Frankenstein widerspiegeln.
Man kann die Erzählung als klassische Gruselgeschichte lesen, sich an der eleganten Sprache erfreuen und von der Tragik ergriffen fühlen. Aber ich würde die Geschichte heute nicht mehr allein in der Phantastik verorten, dafür wächst sie (zumindest aus unserer heutigen Sicht angesichts der erwachenden KI) doch weit darüber hinaus, wirft die stets aktuelle Frage von Wissenschaft und Verantwortung auf – Menschen, die sich zu Schöpfern machen, etwas zum Leben erwecken, das sich selbstständig macht und das sie letztendlich nicht kontrollieren können ... Angesichts der rasanten Fortschritte im KI-Bereich ein hochaktuelles Thema, zumal viele Menschen den Fortschritten der letzten paar Jahre genauso nichtsahnend gegenüberstehen wie auch das Umfeld von Frankenstein nichts von dem ahnt, was er angestoßen hat ... Verantwortungslosigkeit, das Verhalten von Menschen in höchster Not und in tiefster Krise, die Ablehnung von Unbekanntem, die hässliche Fratze, die auch scheinbar nette Menschen plötzlich zeigen können, und auf der anderen Seite die Sehnsucht nach Liebe oder einfach nur nach einem Platz in der Gesellschaft – in diesem Werk finden einige zeitlose Themen, die auch unsere heutige Gesellschaft umtreiben, ihren Ausdruck.
Frankensteins Geschichte ist eine spannende Reise mit vielen Wendungen. Sie ist erschütternd, mitreißend, voller herzzerreißender Verzweiflung und Kummer, vor allem immer wieder eines: absolut faszinierend. Während die weiblichen Nebenrollen idealisiert dargestellt werden, meidet Mary Shelley weitestgehend Schwarz-Weiß-Denken bei ihren beiden Hauptfiguren. Es gelang ihr, mir sowohl Frankenstein mit all seiner Widersprüchlichkeit als auch das von ihm geschaffene Wesen nahezubringen – soweit dies bei all dem Entsetzen überhaupt möglich ist – und mich mit beiden mitleiden zu lassen.
Thematik und Erzählweise wirkten auf mich viel frischer und eindrucksvoller als beispielsweise Bram Stokers viel später geschriebener „Dracula“, der andere große Horrorklassiker der Phantastik. Zwar bietet der dargestellte gesellschaftliche Rahmen der Erzählung durchaus eine Reise in die Vergangenheit, dennoch ist es für mich aufgrund der so modernen Fragen, die behandelt werden, unfassbar, dass Shelleys Roman tatsächlich schon über 200 Jahre alt sein soll – und ebenso unfassbar, dass seine Autorin ihn bereits in jungen Jahren verfasste, dabei ist er von sehr viel Weisheit und einem tiefen Verständnis des menschlichen Verhaltens geprägt, wie ich es eigentlich eher bei einer langen Lebenserfahrung erwarten würde.
Eine spannende und brillante Erzählung, präsentiert in einer kongenialen künstlerischen Gestaltung.

Bewertung vom 20.10.2023
Die Superkräfte der Vögel
Hartmann, Silke

Die Superkräfte der Vögel


ausgezeichnet

Verblüffendes aus der fantastischen Welt der Vögel
Ein liebevoll geschriebenes und gestaltetes Buch von zwei vogelbegeisterten Menschen: Silke Hartmann, die sich auch "die Vogelguckerin" nennt und zum Thema Vögel bloggt und podcastet, stellt in diesem Buch 16 Superkräfte verschiedener Vogelarten auf eine Weise vor, die ich sehr unterhaltsam fand. Véro Mischitz, eine Künstlerin und Biologin, hat das Buch illustriert und den Vögeln in ihren Zeichnungen dabei herrlich ausdrucksstarke Mimiken verliehen, die mich immer wieder zum Lächeln brachten.
Trotz des enormen Wissensschatzes, der vermittelt wird, liest sich das Buch sehr angenehm-entspannt. Es ist in moderner Sprache, mit einem großen Wortschatz, aber auch allgemein verständlich geschrieben. Es werden viele verblüffende Fakten präsentiert und dennoch fühlte ich mich nie erschlagen, verspürte nie das Bedürfnis nach einem Päuschen, sondern wollte fasziniert einfach immer weiterlesen - und hatte nach dem Lesen das angenehme Gefühl, ganz nebenbei erfreulich viel gelernt und auch behalten zu haben, mehr als bei manch anderem Sachbuch. Vor allem aber ist die Liebe zu den Vögeln, die aus fast jeder Zeile spricht, sehr ansteckend und ich habe danach noch viele Stunden im Internet verbracht, um mir Vogelstimmen anzuhören und Flugaufnahmen anzusehen.
Angesprochen werden auch ernste Themen wie der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die verschiedenen Vogelarten, dennoch ist es ein positiv gestimmtes, Mut machendes Buch. Besonders interessant war für mich auch der Blick auf Wissenschaft und Forschung, auf das, was sie geprägt und manchmal auch fehlgeleitet hat, und auch darauf, welche Vorstellungen, die mir noch aus der Schule vertraut waren, heute als überholt gelten.
Ein freundliches, farbenfrohes Buch, das seinen Lesern und Leserinnen viel zu bieten hat!

Bewertung vom 15.10.2023
Graffitikatz
Panizza, Kaspar

Graffitikatz


ausgezeichnet

Zwischen hoher Kunst und veganer Wurst - ihr neuer Fall stellt Kommissar Steinböck und seine Katz vor große Herausforderungen:
Während der geheimnisvolle Streetart-Künstler Banksy durch Münchens Straßen streift und seine Werke hinterlässt, ermitteln Kommissar Steinböck und sein Team in einem verwickelten Mordfall, der sie tief in die Abgründe des lokalen Adels, von Tätowierkunst und Rockmusik führt – stets begleitet von den kritischen und gerne auch etwas bissigen Kommentaren von Frau Merkel, Steinböcks mitermittelnder Katze.
Panizza präsentiert in seinem schräg-witzigen Krimi, der strenge Genreeinteilungen sprengt und sich wohl noch am ehesten, aber nicht ganz unter „Cosy-Krimi mit trockenem Humor, aber durchaus gruseligem Mordfall“ einsortieren lässt, eine bunte Palette faszinierender Charaktere. Ob Neben- oder Hauptfiguren – alle haben sie etwas an sich, was sie interessant macht. Und manche von ihnen tragen außerdem so schillernde Namen wie Luitpold von Blasenstein, Prodomo, Dr. Kotz, Frau Dr. Brocken, Sticky Needles, … Schon das Lesen der Namen im Personenverzeichnis bereitete mir großen Spaß!
Vorkenntnisse aus Steinböcks und Frau Merkels früheren Fällen werden, finde ich, nicht benötigt, um diesen achten Fall in vollen Zügen genießen zu können. Neben den neu auftretenden Handlungsfiguren werden auch die wiederkehrenden Personen und Tiere in einem Personenverzeichnis zu Beginn kurz, aber eindrücklich vorgestellt. Da ich jedoch zwei Bände dieser Krimireihe (Glückskatz und Hüttenkatz) bereits kannte, konnte ich zusätzlich das Gefühl genießen, mich in eine einigermaßen vertraute und liebgewonnene Romanwelt versenken zu können. Wie auch in den beiden mir bereits bekannten Bänden geht es in diesem typisch bayrisch, manchmal herzlich, manchmal sarkastisch und immer auch liebenswert kreativ-chaotisch zu.
Die Morde sind von grausamer Brutalität geprägt, zum Glück wird nicht alles bis in die letzten blutigen Details geschildert. Dennoch schenkte mir der Krimi neben immer wieder überraschenden Wendungen und Situationen dank Wortwitz, Running Gags und Skurrilität ein wohliges Cosy-Krimi-Gefühl, und ich amüsierte mich prächtig. Es wird zutiefst menschlich und an einigen Stellen auch abenteuerlich. Und so ganz nebenbei fließt gelegentlich auch ein kritischer Blick auf unsere Gesellschaft oder eine augenzwinkernde Anspielung auf aktuelle Themen mit ein.
Als großer Banksy-Fan freute ich mich über alle Maßen über seinen Gaststar-Auftritt in diesem Buch, aber der größte Star blieb für mich Frau Merkel mit ihren erfrischend frechen und stets treffsicheren Bemerkungen.
Kurzum: eine bunte Mischung, die für ganz viel Lesevergnügen sorgt!

Bewertung vom 24.09.2023
Helle Tage, dunkle Schuld / Kriminalinspektor Carl Bruns Bd.1
Völler, Eva

Helle Tage, dunkle Schuld / Kriminalinspektor Carl Bruns Bd.1


sehr gut

Verbrecherjagd in der Nachkriegszeit
Das Spiel mit Hell und Dunkel, das das Cover prägt, passt perfekt zu diesem Roman, der kurz nach dem Ende der Naziherrschaft spielt. Eine polizeiliche Verbrecherjagd in einem Land, in dem sich vor wenigen Jahren noch der Staat selbst und mit ihm ein Großteil der Bevölkerung auf schlimmste Weise auf Verbrecherseite gestellt hatten, das ist eine ganz besonders heikle und interessante Ausgangskonstellation für eine Kriminalerzählung ...
Eingerahmt wird die Erzählung durch eine ansprechende Gestaltung mit zwei kleinen Extras: Vorne ein kurzes Interview mit der Autorin zu den historischen Hintergründen, bei dem man nebenbei erfährt, dass die Autorin Juristin ist, was sich zum Glück nicht auf ihren Schreibstil ausgewirkt hat, denn dieser ist sehr flüssig und allgemein verständlich. Aber diese Information erklärt, warum sie in dieser spannenden Geschichte so mitreißend und viele Aspekte beachtend das Thema Schuld veranschaulichen kann. Und ganz hinten im Buch befindet sich ein historisches Foto mit zwei Kindern, bei dem ich zwar keinen direkten Bezug zur Handlung erkennen kann, das aber hilft, sich in die Zeit, in der die Geschichte spielt, zu versetzen, und einige Pressestimmen, die ich eher überflüssig fand.
Mit ihrer Geschichte gelang es der Autorin Eva Völler sehr gut, die Nachkriegszeit vor meinem inneren Auge lebendig werden zu lassen. Sie bevorzugt eine klare, schnörkellose Sprache, schreibt aber auch mit viel Gefühl und Einfühlungsvermögen. Von Seite zu Seite nahm mich die Erzählung, die ich erst nur ganz nett, dann aber zunehmend interessanter fand, immer mehr gefangen und überraschte mich immer wieder mit unvorhergesehenen Wendungen. An einigen wenigen Stellen drohte sie, ins Kitschige abzugleiten, wirkte aber auf mich stets authentisch, insbesondere, was die durch die Nazizeit belasteten Beziehungen der einzelnen Figuren untereinander anbelangt.
Der Ermittler Carl Bruns entspricht nicht den üblichen Ermittlerklischees, noch interessanter fand ich jedoch einige starke Frauenfiguren und ganz allgemein das Miteinander und manchmal Gegeneinander der Menschen in dieser in vielerlei Hinsicht herausfordernden Zeit.
Ein vielschichtiger Krimi, der mitreißt, die damalige Zeit lebendig werden lässt und dabei Fragen aufwirft, die manchmal beunruhigend aktuell scheinen - meiner Meinung nach sehr lesenswert!

Bewertung vom 19.09.2023
Als wir an Wunder glaubten
Bürster, Helga

Als wir an Wunder glaubten


ausgezeichnet

Zwischen Verzweiflung und Hoffnung – ein einfühlsamer Roman über die Nachkriegszeit und ihre Herausforderungen:
Helga Bürsters feinfühlig erzählter Roman spielt in einem kleinen Dorf kurz nach dem Ende des selbstverschuldeten Zweiten Weltkriegs, als die Lage für die Menschen in Deutschland in vielerlei Hinsicht schwierig war. Zur oft finanziellen Not und der schwelenden Schuld kommen Orientierungslosigkeit, die selbst erlittenen Verletzungen und Traumen der Diktatur- und Kriegszeit. Die Autorin beleuchtet diese Zeit in dem kleinen, im Moor gelegenen Ort mit Herzensgüte, sehr viel Tiefe und Emotionalität, aber auch oft kritischem Blick.
Nachdem ich bereits ihren ersten Roman „Luzies Erbe“ sehr mochte, konnte sie mich auch in diesem Roman wieder mit ihrem Schreibstil begeistern. Sie schreibt einfach wunderbare Sätze! Sie erzählt auf eine atmosphärische und intensive Weise, sodass ich das Gefühl hatte, alles hautnah miterleben zu können. Auch gelingt es ihr, etwas Humor und menschliche Wärme in eine Romanwelt einfließen zu lassen, die eigentlich entsetzlich ist, von emotionaler Kälte, schwerer Schuld und roher Gewalt gegenüber Mensch und Tier geprägt. Viele Menschen sind in ihrem Unglück gefangen und traumatisiert. Hilfe, beispielsweise für Kriegsversehrte und ihre Familien, gibt es, wenn überhaupt, nur unzureichend. Interessant fand ich unter anderem den Aspekt, dass Ärzte, die sich im Nazireich auf schreckliche Weise schuldig gemacht hatten, zumindest in dieser Erzählung nicht länger das allgemeine Vertrauen der Menschen genießen. Doch gerade das lässt die in dieser Zeit oft tief verzweifelten Menschen leider zur leichten Beute von Heilsversprechern werden …
Die abgeschiedene Dorfwelt wirkte auf mich manchmal regelrecht mittelalterlich. Mehr als in anderen Romanen, die in diesen Nachkriegsjahren spielen, merkte ich hier, wie viel Zeit tatsächlich seitdem vergangen ist, was sicher daran liegt, dass die wenigsten Romane, die ich zu dieser Zeit bisher gelesen habe, einen Blick auf das damalige Landleben werfen, sondern eher in größeren Städten handeln. Gleichzeitig kommen Themen vor, die geradezu beängstigend modern sind, zum Beispiel: Hetzen und seine schrecklichen Folgen.
Trotz all dieser Düsternis und den unglaublich schweren Herausforderungen, vor denen die Menschen in diesem Roman stehen, gelingt es der Autorin aber auch immer wieder das Wunderbare darzustellen – ob im Menschen oder in der Natur – und Momente der Hoffnung einzubauen. Die verschiedenen Handlungsfiguren, von denen es auch neben den Hauptfiguren eine ganze Reihe weiterer Charaktere gibt, die besonders berühren bzw. aufwühlen, werden vielschichtig und einfühlsam geschildert. Überhaupt schreibt Helga Bürster sehr angenehm differenziert. So steht die Moorwelt für das "Alte" mit der Faszination seiner überlieferten Märchen und Sagen, aber auch den schlimmen Verbrechen der nicht allzu fernen Vergangenheit. Gleichzeitig naht der Fortschritt als strahlender, aber möglicherweise zerstörerischer Hoffnungsbringer ...
Mich packte die Erzählung so sehr, dass ich das Buch wie in einem Rausch las – auf der einen Seite diese tiefberührenden Schicksale, die es ja mit Sicherheit im echten Leben zu dieser Zeit in unfassbar hoher Zahl gegeben haben muss, und auf der anderen Seite dieser ansprechende, bildhafte Schreibstil, durch den das Lesen zum Genuss wird.

Bewertung vom 17.09.2023
Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1
Bonetto, Andrea

Abschied auf Italienisch / Commissario Grassi Bd.1


gut

Ein unterhaltsamer, wenn auch nicht überragend spannender Krimi, der ideal ist, um ein bisschen von Italien zu träumen. Schon die Gestaltung weckte in mir Urlaubsgefühle - die bunten Farben der italienischen Mittelmeerküste, vorne zur Einstimmung ein kleines Interview mit dem Schriftsteller und im hinteren Teil eine liebevoll gestaltete Karte der Region.
Mit dem ermittelnden Commissario Vito Grassi, der nach dem Tod seines Vaters von Rom in sein geerbtes Haus in Ligurien zieht und prompt mit einem Mordfall konfrontiert wird, wurde ich hingegen nicht warm, obwohl er als liebender Vater einfach hinreißend ist. Seine unfreundliche Art gegenüber Menschen außerhalb seiner Familie empfand ich als ein bisschen nervend, insbesondere gegenüber seiner jungen Kollegin. Seltsamer- und unlogischerweise verliebte ich mich dafür sofort in die ebenfalls betont unfreundliche Toni, die Vito sehr zu seinem Erstaunen im Haus seines Vaters wohnend vorfindet, ohne dass sie es für nötig hält, ihm hierfür irgendeine Erklärung zu geben. Überhaupt hat der Autor Bonetto einige faszinierende Charaktere geschaffen, was auch für die Toten gilt - Vitos verstorbenen Vater und das Mordopfer, das nicht das einzige bleiben wird ... Diese Sorgfalt gefiel mir sehr, denn meiner Meinung nach werden Mordopfer von Autoren viel zu oft ein wenig vernachlässigt.
Dieser erste Fall von Vito Grassi ist knifflig, wendungsreich und berührend und doch konnten mich die Ermittlungen nicht immer hundertprozentig fesseln. Ich kann nicht genau bestimmen, was genau mir fehlte, vielleicht an einigen Stellen ein bisschen mehr Humor, vielleicht an anderen Stellen ein bisschen mehr Spannung. Dabei geschieht durchaus viel und auch der Lokalkolorit erscheint mir sehr gelungen. Ich bin zwar nicht hundertprozentig überzeugt, aber ich bin viel zu neugierig, wie die Geschichte Grassis in Ligurien weitergehen wird, um nicht weiterzulesen, wenn der nächste Band erscheinen wird ...

Bewertung vom 23.08.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


ausgezeichnet

Nilufars Kindheit ist durch den Verlust des Vaters, der in sein Geburtsland Iran zurückging, und eine kühl und unnahbar wirkende Mutter überschattet. Als junge Erwachsene gibt sie dem langen Drängen des Vaters nach und begibt sich auf eine Reise in das ferne Land ihres Vaters, um ihn und den iranischen Teil ihrer Familie zu besuchen. Eine emotionale Reise gepaart mit Rückblenden, die alte Wunden aufreißt und auch die Lesenden berührt und zum Nachdenken anregt …
In den virtuosen Umgang der Autorin mit Sprache habe ich mich gleich in den ersten Zeilen verliebt. Es ist eine sehr zarte Erzählung, getragen von Gefühlen und mit kraftvollen Bildern, die die Stimmungen, die Zerrissenheit und Verletzlichkeit der Handlungsfiguren gut vermitteln.
Als Leserin fühlte ich mich Nilufar, aber auch immer wieder ihrem Vater sehr nahe. Ich fand es berührend und inspirierend, wie er, ein Mensch mit großen Plänen, immer wieder seine Träume und Hoffnungen gegen die Gnadenlosigkeit der Welt stemmt. Er erschien mir als ein wohl sehr typischer Vertreter von Nilufars iranischer Familie, die mich mit ihrem Hang zu großen Gefühlen und Streitigkeiten nur allzu sehr an meine eigene Familie erinnerte.
Neben den Reiseeindrücken und dem Einblick in den iranischen Alltag wird auch immer wieder ein Blick zurück auf Deutschland und die dortigen Erfahrungen von Nilufar und ihrem Vater geworfen. Ein beschämender Blick, der Alltagsrassismus spürbar und miterlebbar macht ... Dass selbst Nilufar, die in Deutschland geboren und umgeben von deutscher Kultur aufgewachsen ist, solche Negativerfahrungen macht, verdeutlicht, wie absurd solche ausgrenzenden Reaktionen sind. Ein bisschen fühlte ich mich an das Stück „Andorra“ von Max Frisch erinnert, in dem Menschen einem Jungen, der unter ihnen aufwächst, das Bildnis eines Juden, das sie sich von ihm machen, so lange aufdrängen, bis er schließlich selbst überzeugt ist, diesem Bildnis zu entsprechen und nicht "einer von ihnen" zu sein.
Trotz dieser Behandlung schwerer Themen, der problematischen Beziehung zu den Eltern und des oft von außen aufgezwungenen Gefühls des Fremdseins, ist dieses Buch sehr versöhnlich und um Verständnis bemüht geschrieben. Und das in einem literarisch anspruchsvollen Schreibstil, der sich leicht und mit viel Genuss lesen lässt.