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Havers
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Vaihingen an der Enz
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Top100-Rezensent und Buchflüsterer

Bewertungen

Insgesamt 148 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2024
Die weiße Stunde / August Emmerich Bd.6
Beer, Alex

Die weiße Stunde / August Emmerich Bd.6


gut

Wien 1923, die Zeit zwischen den Weltkriegen. Wien liegt am Boden, hat sich in einen Albtraum verwandelt. Die Wirtschaftslage ist katastrophal, die Inflation galoppiert, der Schwarzmarkt floriert, die Rattenfänger bekommen Zulauf. Hunger und Not bestimmen den Alltag, Angst und Verzweiflung greift um sich. Viele Menschen wissen nicht mehr aus noch ein, die Selbstmorde und ungeklärten Todesfälle häufen sich, die Opfer werden auf dem Friedhof der Namenlosen bestattet.

Aber nicht alle Toten sind ohne Namen. Als August Emmerich samt seines Assistenten Ferdinand Winter zu einem Tatort abkommandiert werden, stellen sie schnell fest, dass das Opfer sich in den höheren Kreisen bewegte und ihre Gunst recht freigiebig verteilte. Aber wer könnte ein Interesse daran haben, sie zu töten? Ein interessanter Hinweis kommt von Wertheim, einem pensionierten Inspektor, der sie auf eine ungelöste Mordserie hinweist, die zehn Jahre zurückliegt. Ist der damalige Täter etwa wieder aktiv?

Die Krimihandlung ist dünn, aber wie bereits in den fünf Vorgängern ist es auch in diesem Band vor allem den Kenntnissen der Archäologin Daniela Larcher aka Alex Beer zu verdanken, die sich redlich bemüht, die Atmosphäre in dieser schwierigen Zwischenzeit zu vermitteln. Leider konzentriert sie sich diesmal meiner Meinung nach zu sehr auf die gesellschaftlichen Aktivitäten der Wohlhabenden und die Beschreibung von historischen Gebäuden und deren Nutzung (siehe dazu auch das Nachwort), sodass für die problematischen Lebensumstände der „normalen“ Menschen in dieser Zeit wenig Raum bleibt. Sie werden zwar erwähnt, nehmen aber leider nur wenig Raum ein, und auch im zwischenmenschlichen Bereich fehlt der Charme der Vorgänger. So kommt „Das weiße Band“ leider über weite Strecken recht beliebig daher und ist somit für mich der schwächste Band der Reihe. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 22.10.2024
Wintersonnenwende / Wolf und Berg ermitteln Bd.2
Engman, Pascal;Selåker, Johannes

Wintersonnenwende / Wolf und Berg ermitteln Bd.2


weniger gut

„Wintersonnenwende“, das zweite Gemeinschaftsprojekt des schwedischen Autorenduos Pascal Engman und Johannes Selåker startet mit einem Prolog, in dem der Untergang des Ostsee-Fährschiffs Estonia 1994 thematisiert wird, bei dem 852 Menschen den Tod finden. Was dies, zumindest in Ansätzen, für die Handlung bedeutet, wird sich gegen Ende des Kriminalromans zeigen.

Wie bereits im Vorgänger „Sommersonnenwende“ laufen zunächst zwei Handlungsstränge parallel, in denen die bereits bekannten Protagonisten, Kommissar Tomas Wolf und die Journalistin Vera Berg, unabhängig voneinander agieren: Wolf und sein Kollege Zingo Johanssen werden in der Silvesternacht zu einem Einsatz beordert. Ein Mann wurde erschossen, und es wird sich im Lauf der Ermittlungen herausstellen, dass er früher für die Säpo gearbeitet hat. Aber welche Rolle spielt die junge Prostituierte, die unbekleidet fluchtartig den Tatort verließ? Vera Berg hingegen ist auf der Suche nach einer exklusiven Story, die nicht nur ihre Position in der Aftonbladet-Redaktion sondern auch ihr hohes Gehalt sichert. Und dann hat sie ja auch noch das ungute Gefühl, dass Wolf etwas mit dem bis dato ungeklärten Verschwinden seines Bruders zu tun haben könnte…

Soweit die Ausgangssituation in diesem Kriminalroman, in dem im Wesentlichen drei Themen die Story bestimmen und, warum auch immer, in eine Handlung gepresst werden, die einfach nur plump, reißerisch und derb daherkommt. Es geht um Spionage, Elternschaft und Prostitution.

Ich gehöre ja nun nicht zur zartbesaiteten Fraktion, hatte aber während des Lesens permanent ein unbehagliches Gefühl, weniger Schock als Ekel, was im Wesentlichen an den Beschreibungen der brutalen Gewalt lag, der die Frauen ausgesetzt waren.

Unsensibel mit entsprechender Wortwahl, bis ins Kleinste detailliert beschrieben, worauf man problemlos hätte verzichten können, da hier lediglich das voyeuristische Interesse der Leser bedient wird und keinerlei Bezug zum Fortgang der Handlung ersichtlich ist. Vom Ende ganz zu schweigen, in dem plötzlich eine Person aus dem Hut gezaubert wird, die während der gesamten Story kein Thema war.

Offenbar ist man in Schweden noch immer auf der Suche nach einem Nachfolger für das Autorenduo Sjöwall/Wahlöö, die mit ihrer gesellschaftskritischen, zehnbändigen Krimireihe, erschienen zwischen 1965 und 1975, ein neues Kapitel in der skandinavischen Kriminalliteratur aufschlugen. Eines ist gewiss, Engman und Selåker sind es nicht.

Bewertung vom 10.10.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


ausgezeichnet

Romane, in denen die Hauptfigur an Demenz erkrankt ist, gibt es einige, aber selten hat sich ein Autor/eine Autorin diesem Thema mit so viel Empathie und Sachverstand wie Petra Pellini gewidmet. Das mag daran liegen, dass die Autorin, wie auf der Verlagsseite zu lesen ist, lange mit der Pflege dementer Menschen betraut war.

Pellini erzählt die Geschichte von Hubert und Linda. Hubert ist der „Bademeister ohne Himmel“, dessen Gedächtnis umnebelt ist und rund um die Uhr betreut werden muss. Dafür ist Ewa, die polnische Pflegekraft zuständig, die den Erkrankten mit Liebe, Würde und Respekt behandelt. Eine kräftezehrende Aufgabe, weshalb auch sie ab und zu mal Luft holen muss, Abwechslung benötigt. Deshalb wird sie auf Bitten von Huberts Tochter von der im gleichen Haus wohnenden Linda unterstützt, die dreimal pro Woche ihre Nachmittage mit Hubert verbringt. Ein Arrangement, von dem beide profitieren. Die Fünfzehnjährige steckt mitten in der Pubertät und trägt sich mit Suizidgedanken, den familiäre Zuständen und ihrem Zweifeln an der Welt geschuldet, die allerdings dann verfliegen, wenn sie sich um Hubert kümmert. Sie hat ihre eigene Art, mit ihm umzugehen, fühlt instinktiv, was er braucht, wenn er mal wieder richtig krass neben der Spur ist. Da helfen keine Fotoalben, sondern nur noch die Erzählungen vom Schwimmbad und die Beschäftigung mit den Schwimmflügeln, die ihn zurück in seinen ehemaligen Berufsalltag versetzen und ihm die Ablenkung und Ruhe bescheren, die er braucht.

Urkomische Aktionen seitens Hubert wechseln sich mit berührend melancholischen, aber auch manchmal tragischen Situationen ab, die von Linda mit einem Maß an Fingerspitzengefühl gemeistert werden, das für einem Teenager nicht unbedingt selbstverständlich ist. Hier findet die Autorin immer wieder den richtigen Ton, erzählt ergreifend emotional, aber nie kitschig und nimmt dem Thema durch ihren feinen Humor die Schwere. Bleibt zu hoffen, dass all diejenigen, die von dieser Erkrankung betroffen sind (oder werden), Menschen wie Linda und Ewa um sich haben.

Bewertung vom 07.10.2024
Blutbuße / Hanna Ahlander Bd.3
Sten, Viveca

Blutbuße / Hanna Ahlander Bd.3


gut

Die Vorgänger habe ich gerne gelesen, aber „Blutbuße“, dritter Band der Åre-Krimis von Viveca Sten, konnte mich leider nicht überzeugen. Warum? Ganz einfach in vier Worten auf den Punkt gebracht: Dünne Story, langatmig erzählt.

Die Stockholmer Immobilienentwicklerin Charlotte Wretlind hat große Pläne. Sie möchte das verlassene Hochgebirgshotel in Storlien, mit dem sie schöne Kindheitserinnerungen verbindet, wiederauferstehen lassen. Aber da die vorhandene Bausubstanz miserabel ist, wird sie um einen Abriss nicht umhinkommen, um ihre Vorstellungen von einem großflächigen, luxuriösen Hotelkomplex in die Tat umzusetzen. Doch dazu soll es nicht kommen, fällt sie doch während ihres Aufenthaltes in den verschneiten Skiort Åre einem Mörder zum Opfer, der sie in unbändiger Wut mit einem Messer massakriert. Und sie wird nicht die Einzige bleiben. Ein neuer Fall für Hanna Ahlander, Daniel Lindskog und ihre Kollegen.

Aus den Vorgängern weiß man, dass sich die Autorin gerne Zeit lässt, um ihre Story aufzubauen. Ihr ist der persönliche Hintergrund der Protagonisten immens wichtig, aber diesmal hat sie es eindeutig übertrieben. Mittlerweile ist es doch hinreichend bekannt, dass Hanna ein Auge auf ihren Kollegen Daniel geworfen hat, der aber tabu für sie ist, da er Frau und Kind hat. Wir haben es verstand, und es gibt keinen Grund, uns wieder und wieder mit den ausführlichen Beschreibungen dieses Schmachtens zu langweilen.

Viel zu viele Nebenschauplätze, die überflüssig sind, weil sie nichts zum Fortgang der Handlung beitragen: Überflüssiges Privatgedöns der Protagonisten, der verschämte Polizeikollege mit dem problematischen Liebesleben, Gewalt gegen Frauen, eine unglückliche Kindheit. Alles schon viel zu oft gelesen.

Zwar kommt die Polizeiarbeit nicht zu kurz, wird aber auch sehr kleinteilig beschrieben, wenngleich dies durch die kurzen, alternierenden Kapitel noch am ehesten zu verschmerzen ist. Ein gewisses Maß an Spannung bringen glücklicherweise die kursiv gesetzten Erinnerungseinschübe einer jungen Kellnerin, die allmählich das Motiv des Täters offenbaren. Was zweifellos auf der Plusseite steht, sind die atmosphärischen Landschaftsbeschreibungen. Diese beherrscht die Autorin aus dem Effeff, aber von einem spannenden Kriminalroman erwarte ich dann doch etwas mehr.

Bewertung vom 02.10.2024
Bavarese
Reisinger, Leo

Bavarese


ausgezeichnet

„Man trug Lederhosen oder Dirndl, man lebte umgeben von blauen Bergen und grünen Wiesen. Die menschenliebten dieses Land und seine Hauptstadt. Hier herrschte keine Not und keine Korruption (…) Doch manchmal waren die grünen Wiesen, auf denen die glücklichen Kühe weideten, mit Exkrementen befleckt.“ (Seite 97)

Wer kennt sie nicht, die Bilder aus den Hochglanz-Zeitschriften? Küchenchefs der gehobenen Gastronomie, die allmorgendlich mit ihrem Weidenkorb über wohlbestückte Märkte schlendern, den Duft der Kräuterbündel prüfen, die prallen Tomaten mit dem unvergleichlichen Aroma kosten und sich die Zutaten für ihr Menu du Jour zusammensuchen? Die Wirklichkeit sieht in den meisten Fällen jedoch ganz anders aus. Mehrmals pro Woche hält ein Lieferfahrzeug vom Großmarkt vor dem Restaurant und stellt die Bestellungen zu, die zuvor nicht nur aus Deutschland, sondern aus ganz Europa auf dem Großmarkt angeliefert wurden.

Wolltet ihr schon immer einmal einen Blick hinter die Kulissen des „Bauchs von München“ werfen? Dann lest „Bavarese“ von Leo Reisinger, Musiker, Schauspieler und Autor, der lange Jahre sich mit einem Job auf dem Großmarkt über Wasser gehalten und seine Erlebnisse/Erfahrungen in diese Story gepackt hat.

Wir machen Bekanntschaft mit dem Brunner und dem Pfeiffer, der eine zwielichtiger Gemüselieferant, der andere Gastronom mit Ambitionen. Der Pfeiffer will Wiesnwirt werden, und dafür ist ihm jedes Mittel recht, insbesondere die Unterstützung eines Capo der ‘Ndrangheta. Nur den Brunner kann er nicht mehr in seinem Umfeld gebrauchen. Zwar hat er mit dessen Hilfe (und jeder Menge Geld am Finanzamt vorbei) sein Restaurant-Imperium errichtet, aber wenn man Wiesnwirt werden will, darf man diejenigen, die das Sagen haben zwar schmieren, sollte aber bei den Hintergrundrecherchen durch die Behörden unschuldig wie ein Neugeborenes wirken.

Und da ist dann noch die Lene, alleinerziehende Mutter, die den heruntergewirtschafteten Gemüsehandel ihres Vaters übernommen hat, und mehr schlecht als recht damit über die Runden kommt, sowie der Sepko, die rechte Hand vom Brunner. Ein Kerl mit dem Herz am rechten Fleck und einer dunklen Vergangenheit, der Gefühle für sie entwickelt.

„Bavarese“ eine Mischung aus Sozialreportage, Kriminalroman und Love-Story, nie sentimental oder kitschig. Reisingers Beschreibungen wirken nicht nur dann echt, wenn er die Abläufe und das geschäftige Treiben auf dem Großmarkt beschreibt. Sie kommen demaskierend daher, insbesondere dann, wenn er den erzählerischen Fokus auf die Spezlwirtschaft der Münchner Schickeria richtet, deren Vertreter keine Gewissensbisse kennen, wenn sie sich ihr Engagement unter der Hand honorieren lassen. Sämtliche Personen sind anschaulich beschrieben und charakterisiert, nicht nur die beiden Kontrahenten Brunner und Pfeiffer samt Entourage, sondern auch Sepko, der hin und hergerissen zwischen der Loyalität zum Brunner und seinen Gefühlen für Lene ist. Alles wirkt in höchstem Maß ungeschönt, authentisch und in der Gewichtung wohldosiert. Ein entlarvender Blick hinter die Kulissen und ein gelungener Erstling. Sehr empfehlenswert, nicht nur für Münchnerinnen und Münchner.

Bewertung vom 24.09.2024
Die April-Toten
Parks, Alan

Die April-Toten


ausgezeichnet

Glasgow war schon immer ein gefährliches Pflaster. Als dort und in der Umgebung zwischen 1970 und 1980 zahlreiche Kohleminen, Stahlwerke und Werften geschlossen wurden, führte dies zu Massenarbeitslosigkeit und sozialem Elend. Im Gefolge davon kam es zu einem rasanten Anstieg der Kriminalitätsrate, was dazu führte, dass die schottische Großstadt schnell den Ruf hatte, „Crime Capital of Europe“ zu sein. Soweit der Hintergrund, vor dem Alan Parks Harry McCoy-Reihe einzuordnen ist, deren Startpunkt das Jahr1973 ist.

Mit „Die April-Toten“ sind wir im Jahr 1974 angekommen, und wie bereits der Titel verrät, konzentriert sich die Handlung auf den Zeitraum zwischen dem 12. und 22. April. Und natürlich sind alle wieder mit an Bord, die wir bereits aus den Vorgängern kennen: Harry, der durch ein Magengeschwür gesundheitlich angeschlagen ist. Wattie, mittlerweile stolzer Vater, der mit Schlafmangel kämpft. Murray, ihr Boss, der Wattie genau auf die Finger schaut, hat er ihm doch die Leitung in seinem ersten Fall, dem Mord an Jamsie Dixon übertragen. Dieser ein Handlanger von Harrys frisch aus dem Gefängnis entlassenen Freund und Unterweltgröße Stephie Cooper, was letzteren zum Auftraggeber gemacht haben könnte. Harry wäre hier als Leitender fehl am Platz, ist er doch Stephie gegenüber (meist) loyal. Auch wenn sie auf verschiedenen Seiten stehen.

Die Handlung ist komplex, wie von Parks gewohnt, und deckt wieder verschiedene Bereiche ab, zwischen denen es Zusammenhänge gibt. Ein amerikanischer Ex-Militär bittet Harry um Hilfe bei der Suche nach seinem Sohn, der spurlos von der US-Marinebasis am Holy Loch verschwunden ist. Ein junger Mann wird bei seinem Versuch, eine Bombe zu bauen, getötet, aber die Special Branch schließt die IRA aus. Ein dubioser Ex-Colonel, der junge Männer um sich schart, die ihm helfen sollen, seine Vision von einem besseren Schottland in die Tat umzusetzen. Ein Landhaus, in dem während einer Durchsuchung schockierendes Bildmaterial gefunden wird. Nicht zu vergessen Stephies Rachefeldzug gegenüber den illoyalen Mitgliedern seiner kriminellen Organisation.

Hochspannend, intelligent, mit sympathischen Charakteren und einer ausgeklügelten Story. Hart, stellenweise brutal und blutig, direkt in der Sprache (wie immer hervorragend übersetzt von Conny Lösch) und mit jeder Menge schwarzem Humor.

„Die April-Toten“ ist der vierte Band mit Harry McCoy und Co., und, wie die Vorgänger, astreiner schottischer Noir vom Feinsten. Damit man die Personen, ihre Entwicklung und ihre Beziehungen zueinander einordnen kann, empfiehlt es sich, die Reihe chronologisch zu lesen. Es lohnt sich. Unbedingt!

Bewertung vom 23.09.2024
Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1
Voosen, Roman;Danielsson, Kerstin Signe

Tode, die wir sterben / Svea Karhuu & Jon Nordh Bd.1


sehr gut

2012 ist der erste Band der Reihe mit den Kommissarinnen Ingrid Nyström und Stina Forss erschienen. Neun weitere folgten, bis 2022 das erfolgreiche deutsch-schwedische Autorenteam Voosen/Danielsson mit „Die Spur der Luchse“ diese beendete und mit ihrem neuen Kriminalroman „Tode, die wir sterben“ den Startpunkt für die neue Reihe „Tatort Malmö“ setzen, deren inhaltliche Ausrichtung sich offensichtlich wesentlich stärker als die Vorgänger an den aktuellen gesellschaftlich-relevanten Problemen Schwedens orientiert.

Drogen, Problemviertel, Bandenkriminalität, Migranten, Vorurteile, Rassismus und, nicht zu vergessen, Russland als politisch-aktuelles Thema. Jede Menge Stoff, der hier abgedeckt wird. Dazu das Ermittlerteam aus „Ghettofrau und Superbulle“ (O-Ton Svea): Jon Nordh, Südschwede, alleinerziehender Vater, dessen Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist und die strafversetzte Svea Karhuu, Nordschwedin mit arabischen Wurzeln und lockerer Faust, immer wieder verbalen Anfeindungen ausgesetzt. Zwei, die sich erst noch zusammenraufen und ihre persönlichen Probleme bewältigen müssen. Neu ist diese Konstellation nicht, eher mittlerweile fast schon Standard in skandinavischen Krimis und Voosen/Danielsson verwenden viel Zeit dafür auf, ihre neuen Hauptfiguren vorzustellen und mit einer Hintergrundgeschichte auszustatten. Zwar hat das bei einer neuen Reihe seine Berechtigung, sollte aber nicht auf Kosten der eigentlichen Krimihandlung gehen.

Mein abschließendes Urteil fällt, mit kleinen Abstrichen, positiv aus. Man merkt, dass hier Profis am Werk sind, die in der Lage sind, eine funktionierende Story routiniert zu plotten und auszuführen. Die Protagonisten sind sympathisch und haben Potenzial, die Handlung ist zwar stellenweise leicht überfrachtet, aber dennoch spannend und topaktuell. Und zu guter Letzt fand ich auch die Einblicke in die kulturellen Eigenheiten, meint die Unterschiede zwischen den Nord- und den Südschweden, sehr interessant.

Band 2 der Reihe wird im August 2025 unter dem Titel „Schwüre, die wir brechen“ erscheinen, und ich freue mich darauf, Svea und Jon auch bei ihrem nächsten Fall über die Schulter zu schauen.

Bewertung vom 22.09.2024
Nacht der Verräter
Eckert, Horst

Nacht der Verräter


weniger gut

Max, ein Polizist, der nach einem missglückten Einsatz, den seine Kollegin mit dem Leben bezahlt, schwer traumatisiert ist. Dessen Frau, die wie ein Grab über ihr früheres Leben schweigt, ohne Vorwarnung spurlos verschwindet und ihr dreijähriges Kind zurücklässt.. Zwei Halbbrüder, beide ebenfalls Polizisten, die in dunkle Geschäfte verwickelt sein könnten. Seine Vorgesetzten, die uneingeschränkte Loyalität zum Dienst von ihm fordern und ihn auf seine Halbbrüder ansetzen. Und zuletzt eine kriminelle Organisation, die über Leichen geht.

Soweit die Eckdaten zu Horst Eckerts neuem Thriller „Nacht der Verräter“, in dem er zwar dem aus seiner Vincent und Melia-Reihe bekannten Handlungsort Düsseldorf treu bleibt, ansonsten aber alles zur Seite schiebt, was diese Vorgänger ausgezeichnet hat. Natürlich ist das legitim, und diese Story mag auch an reale Ereignisse in NRW angelehnt sein, aber auf mich wirkte sie über weite Strecken dünn, unglaubwürdig und an den Haaren herbeigezogen.

Die Gründe dafür werde ich hier aus meiner Sicht erläutern. Wer Max dienstfähig geschrieben hat, sollte den Beruf wechseln. Selbst für uns außenstehende Leser ist es schnell klar, dass das nicht verarbeitete Trauma noch immer seinen Blick vernebelt und die Verlustängste wieder an die Oberfläche holen. Und welche Partnerschaft toleriert auf Dauer das Schweigen des Gegenübers über die Vergangenheit, diese Geheimniskrämerei? Lässt eine Mutter, selbst wenn sie in einer Ausnahmesituation ist und nicht weiß, ob sie irgendwann zurückkommen wird, ihr Kind zurück? Was ist mit der familiären Loyalität? Warum müssen die Halbbrüder einen teilrussischen Hintergrund haben? Soll sie das von vornherein schon zwielichtig erscheinen lassen? Und zu guter Letzt, warum und wie könnte ein solch isoliertes Ereignis wie die Enttarnung zweier korrupter Polizisten ein wirksamer Schlag gegen die organisierte Kriminalität sein? Das wäre doch lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.

Tja, und der Schluss? Oh weia, falls dieser eine Tür für die Fortsetzung offenhalten soll, werde ich sie mit Sicherheit nicht lesen. Mir war dieser Thriller im Gegensatz zu der obengenannten Reihe, die ich sehr gerne gelesen habe, viel zu einfach gestrickt und konnte mich deshalb nicht überzeugen. Vielleicht waren meine Erwartungen aber auch zu hoch, denn bei der Mehrzahl der Leser und Leserinnen, schaut man sich die aktuellen Bewertungen an, konnte der Autor durchaus punkten.

Noch eine Bemerkung zum Schluss: Das Buch hat knapp 400 Seiten, aber hätte man eine Schriftgröße des üblichen Standards verwendet und die extrem kurzen Kapitel fließend enden lassen, würde das den Umfang erheblich reduziert haben.

Bewertung vom 17.09.2024
Aufs Land
Jones, Sadie

Aufs Land


sehr gut

„Die ganze Welt war düster und beängstigend“. Was liegt da näher, als sich nach einem Idyll zu sehnen? Aber ob diese idealisierte Vorstellung vom Landleben die Härten und Hürden des Alltags übersteht? Bleibt abzuwarten.

Der Roman setzt im Jahr 2005 ein und endet 2010. Er nimmt uns mit nach Herefordshire in den englischen West Midlands. In dieser ländlichen Gegend haben drei Familien einen heruntergekommenen Bauernhof gekauft, um ihren Traum vom Leben auf dem Land in die Tat umzusetzen.

In Sadie Jones‘ „Aufs Land“ begleiten wir die beiden siebenjährigen Kinder Amy und Lan über diesen fünfjährigen Zeitraum, beobachten das Leben auf dem Hof, stromern mit ihnen durch die Natur, feiern mit ihnen Feste und belauschen die Gespräche, die sie führen. Die alternierenden Kapitel, in denen sie zu Wort kommen, schaffen Nähe.

Ich bin immer skeptisch, wenn Erwachsene aus Kindersicht schreiben, und auch hier stolpert man zu Beginn über einige Bemerkungen, die Kinder dieses Alters wohl so nicht machen würden. Aber das schleift sich glücklicherweise im Verlauf der Geschichte zunehmend ab und weicht in den Gesprächen, in denen die Kinder das Verhalten der Erwachsenen beobachten und kommentieren, einer sehr klaren, ja fast schon entlarvenden Beobachtungsgabe.

Auch wenn wir nicht erleben, wie die beiden Kinder zu Teenagern werden, nehmen wir doch Anteil an ihren ersten Schritten dahin. Je älter sie werden, desto feiner werden ihre Antennen und sie entwickeln ein untrügliches Gefühl für die Spannungen, die in der Luft liegen und das fragile Landidyll zum Einsturz bringen könnten. Natürlich geht es um Geld, dem die Träume geopfert werden sollen, aber auch um Beziehungen, die sich verändern, plötzlich auf dem Prüfstand stehen. Und nicht zuletzt gilt es, Verluste hinzunehmen. Auch Amy und Lans großes Abenteuer, ihre unbeschwerte Kindheit, wird von einer Realität, der sie nicht entkommen können, eingeholt.

Bewertung vom 14.09.2024
Dunkles Wasser / Polizistin Kate Linville Bd.5
Link, Charlotte

Dunkles Wasser / Polizistin Kate Linville Bd.5


weniger gut

Dieser fünfte Band der Linville-Reihe bietet keine Überraschungen. 2008 werden an Schottlands Westküste zwei campende Familien überfallen und ermordet. Einzig Iris, die Tochter der einen Familie, kann sich verstecken und überlebt das Massaker. Die Ermittlungen der Polizei bleiben ergebnislos, die Mordkommission steht vor einem Rätsel.

Fünfzehn Jahre später kommt Bewegung in den Cold Case, der als die Kilbride-Morde in die Akten eingegangen ist. Ausgelöst durch Iris, die im Frankreich-Urlaub auf Caleb Hale trifft und sich hilfesuchend an ihn wendet, nachdem ihre Freundin mitsamt dem Auto, in dem sich Iris‘ Gepäck, Geld und Ausweis befanden, spurlos verschwunden ist…

Warum habe ich zu diesem Buch gegriffen, obwohl mich bereits der Vorgänger nicht überzeugen konnte? In erster Linie war es die Verortung in Schottland und die Hoffnung auf atmosphärische Landschaftsbeschreibungen. Leider tauchen diese nur sporadisch in den Rückblenden zu den Kilbride-Morden auf, denn wesentlich mehr Raum nehmen die Beschreibungen der gegenwärtigen Ermittlungen ein, die Caleb Hale und Kate Linville wieder aufnehmen.

Leider kranken diese an zahlreichen nicht nachvollziehbaren Handlungen und Logikfehlern der federführenden Ermittlerin Linville, deren persönliche Nicht-Entwicklung zusätzlich dafür sorgt, dass die fast 600 Seiten unglaublich zäh daherkommen. Dieses Gejammer und Selbstmitleid über ihr einsames Leben, ihr mangelndes Selbstbewusstsein und die unerfüllte Liebe zu Caleb…ich will’s nicht mehr lesen. Die Frau ist erwachsen, und wenn sie es nicht selbst auf die Reihe bekommt, sollte sie sich professionelle Hilfe holen.

Glücklicherweise klärt sich einer dieser genannten Punkte am Ende, aber es ist zu befürchten, dass in der Fortsetzung der Geschichte - siehe offene Fäden - das Schmachten durch unzählige vollgeheulte Taschentücher abgelöst wird.

Spannung? Leider Fehlanzeige.

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