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QueerLeserin
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NRW

Bewertungen

Insgesamt 23 Bewertungen
Bewertung vom 11.10.2024
Arabilious
Afifi, Nadia; Saab, Sara; Barber, Jess

Arabilious


sehr gut

Bisher habe ich vorwiegend westliche Phantastik gelesen. Dies wollte ich ändern und habe mir „Arabilious“, eine Anthologie mit arabischer Science Fiction, gekauft.

Worum geht es: Science Fiction-Kurzgeschichten mit arabischem Hintergrund.

Meine Favoriten: „Pan-Humanism: Hope and Pragmatics“ von Jess Barber und Sara Saab. Die Protagonisten entwickeln in Zeiten des Klimawandels die Stadt Beirut und versuchen, den Wassermangel in den Griff zu bekommen. Das Worldbuilding ist abgesehen vom Klimawandel ziemlich hoffnungsvoll. Gleichzeitig ist es eine Liebesgeschichte, in der viele queere Partnerschaftskonstellationen vorkommen.

„The Bahrain Underground Bazaar“ von Nadia Afifi. In einem Bazar kann man die Erinnerungen anderer Menschen erleben, die mit neuralen Implantaten aufgezeichnet wurden. Die an Krebs erkrankte Protagonistin konsumiert die Erinnerungen von Verstorbenen aus dem Moment ihres Todes, um zu entscheiden, auf welche Weise sie sich das Leben nehmen will. Eine bestimmte Erinnerung weckt ihr Interesse und schickt sie auf eine Reise in die Wüste.

In „To New Jerusalem“ von Farah Kader besucht die Protagonistin ihre Heimatstadt, die aufgrund des Klimawandels überflutet wurde und nun unter Wasser liegt. Das Thema Verlust der Heimat passt beklemmend gut zur realen Erfahrung der Palästinenser und anderer vertriebener Menschen, hier verbunden mit einem futuristischen Setting.

In „Exhibit K“ von Nadia Afifi werden Menschen, die in Kryoschlaf versetzt wurden, in einer fernen Zukunft wieder auferweckt. Ein Unternehmen zwingt sie, zur Belustigung des Publikums die Klima-Kriege ihrer Zeit nach zu kämpfen. Die Protagonistin versucht, ihre Autonomie zu bewahren und zu rebellieren.

Fazit: Insgesamt besitzen viele Geschichten etwas Düsteres, das die leidvollen Erfahrungen der realen Welt widerspiegelt, aber auch eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft oder den Versuch, Widerstand zu leisten. Spannend finde ich die Mischung futuristischer Ideen mit Elementen aus den verschiedenen arabischen Kulturen. Ein gutes Buch, um einen Blick über den westlichen Tellerrand hinauszugewinnen. Nur die Sprache wirkt manchmal etwas ungelenk, was an den Übersetzungen liegen kann.

Bewertung vom 11.10.2024
Queer*Welten 12-2024 - Das queerfeministische Phantastik-Magazin
Tunnat, Yvonne; Schmeink, Lars; Campbell, Jamie-Lee; Schwarz, Kae; Juvenell, Nox; Westkott, Rebecca; Hollarius

Queer*Welten 12-2024 - Das queerfeministische Phantastik-Magazin


sehr gut

Besonders cool in dieser Ausgabe sind die Microfictions, welche die klassische Heldenreise aus einer queeren Perspektive auf den Kopf stellen. Auch #kurzgeschichten und #essays sind wieder mit dabei.
„Der späte Wurm“ von Rebecca Westkott erzählt von einem postapokalyptischen Szenario, wo Überlebende auf einem Schiff zusammenleben, die allesamt Krankheiten oder Behinderungen haben. Alle nehmen auf diese Einschränkungen Rücksicht, was pointiert mit einer Rückblende auf die heutige Welt kontrastiert wird.

Super fand ich auch „Spargelernte“ von Kae Schwarz, wo die Ausbeutung von Spargelstecherinnen thematisiert wird. Sehr aktuell, da der Spargel ja gerade wieder auf vielen Tellern landet. Der Eigentümer des Hofes wird tot aufgefunden, ein Magier muss mithilfe von Magie den Tod aufklären und stößt dabei auf die miesen Arbeitsbedingungen.
Auch die anderen Kurzgeschichten und Essays waren lesenswert.

Ein paar kleine Kritikpunkte habe ich allerdings auch. So habe ich mich gewundert, dass die Leute in „Der späte Wurm“ weiterhin für ein Gehalt arbeiten und sich freuen, wenn das Gehalt hoch ist. Denn wenn man doch wieder Geld zum Leben braucht, (und das Gehalt eigenmächtig von den Arbeitgebenden festgelegt wird), stellt dies das ganze Szenario in Frage.
In „Spargelernte“ erklärt eine Hexe die geschilderten Missstände mit einer „Maschinerie weißer Männlichkeit“. Das passt nicht so richtig, denn auch eine Frau als Hofeigentümerin und weiße männliche Spargelstecher würden wahrscheinlich zu derselben Ausbeutung führen. Das liegt nämlich nicht am Geschlecht oder der Hautfarbe, sondern am Kapitalismus.
Allerdings ist mir auch klar, dass eine Kurzgeschichte in der Analyse von gesellschaftlichen Zusammenhängen nicht dasselbe leisten kann wie ein Sachbuch.
Und etwas nerden muss ich auch: Gegenstände fallen im Schwerefeld der Erde nicht mit einer Geschwindigkeit von 9,81 km/h, sondern mit einer Beschleunigung von 9,81 m/s^2.

Bewertung vom 11.10.2024
Am Saum der Welten (eBook, ePUB)
Persson, T. B.; Asches, Jules B.; Hübel, Dennis; Richter, Lena; Helbig, Björn; Regen, Juli; Schwenk, Bjela; Schwendinger, Michael; Hobusch, Nicole; Balz, Chris; Gastel, Alex M.; Laufer, Anke; Weiß, T. N.; Schlegel, Daniel; Etter, Jassi

Am Saum der Welten (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine gute Mischung aus SF, Fantasy und Horror. Spannend fand ich, dass die meisten Texte etwas Ungewöhnliches hatten, oft auch etwas Unerklärliches, und manche Fragen offen ließen.
Hier nur ein paar Beispiele, die mir besonders gefallen haben:
„Notate“ von Anke Laufer ist eine Mischung aus wissenschaftlichem Bericht und Biografie aus einer Welt, wo Sommersprossen Lebewesen sind.
„Über Bord“ von Chris Balz erzählt von einer Schiffs-KI, die Mitgefühl für eine Drohne entdeckt, und war einfach sehr niedlich.
„Die Enyo-Expedition“ von T.N. Weiss ist eine skurrile Mischung aus Fantasy und Space Opera.
„Countdown“ von T. B. Persson erzählt offenbar von einer Alien-Landung und bindet das selten in der Literatur vorkommende Thema postpartale Depression ein. Die Geschichte lässt viele Leerstellen, die zum Nachdenken anregen, z.B. wer zur Hölle hat die Katze getötet?
Insgesamt eine klare Empfehlung!

Bewertung vom 11.10.2024
Sonnenseiten

Sonnenseiten


sehr gut

In dieser Anthologie sind Geschichten versammelt, in denen Solar Punk und Street Art eine Rolle spielen. Für die, die Solar Punk vielleicht noch nicht kennen: das ist ein Sammelbegriff für utopische Zukunftsentwürfe, in denen regenerative Energien verwendet werden. Auch Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg sind zumeist in diesen Entwürfen abgeschafft. Mir hat das entsprechend Utopische in diesen Geschichten gut gefallen. Sich einmal zur Abwechslung in Welten zu träumen, in denen Pflanzen auf Häusern blühen und Solarzellen glitzern, war Balsam für meine von der Realität geschundene Seele. ^^ Welten, die häufig auch sehr queer und divers dargestellt sind.

Zwei Schwierigkeiten ergeben sich allerdings mit dem Setting: Erstens bleibt meist im Unklaren, wie genau eine solche utopische Welt funktionieren soll. Ökonomie und Politik werden in den Geschichten nur am Rande gestreift.

Zweitens standen die Autor*innen vor der Aufgabe, nicht nur Solar Punk, sondern auch Street Art in ihre Geschichten einzubauen. Street Art hat ja eher etwas mit Rebellion gegen die Verhältnisse zu tun. Doch wogegen soll man in einer utopischen Welt rebellieren? Es musste also irgendein Konflikt eingeführt werden, um die Rebellion zu motivieren. Dieses Problem haben manche Schreibende sinnvoll gelöst, bei anderen fühlt sich der Konflikt für mich arg konstruiert an.

Die sprachliche Gestaltung zeigt eine ziemliche Bandbreite: einige Texte sind richtige Perlen, viele sind solide geschrieben, ein paar haben sprachlich noch Luft nach oben.

Insgesamt eine Empfehlung für alle, die zwischen all den real existierenden Dystopien einen Hoffnungsschimmer suchen.

Bewertung vom 11.10.2024
Neongrau
Mira, Aiki

Neongrau


sehr gut

Worum geht es?
Die Geschichte spielt im Jahr 2112 in Hamburg, das wegen des Klimawandels von Fluten und Starkregen heimgesucht wird. Die beiden Jugendlichen Go und Elll verlieben sich und werden in düstere Machenschaften hineingezogen rund um ein Gaming-Turnier. Denn zu dieser Zeit ist VR-Gaming eine riesige Industrie, ähnlich wie heute Fußball. Einerseits droht ein Terroranschlag auf dem Turnier, andererseits will der Konzern, der das Gaming kontrolliert, die menschlichen Spieler durch KI ersetzen, und dann gibt es auch noch eine Hackergruppe, die etwas im Schilde führt. Bedrohlich sind auch die Headsets, die jeder Mensch trägt, und die Gedanken aufzeichnen.

Was ich gut fand:
„Neongrau“ ist ein multiperspektivisch erzählter Gesellschaftsroman, der die Stadt der Zukunft in vielen Facetten zeigt, von der glamourösen Welt der berühmten Gamer bis zum Slum, wo Menschen in schwimmenden Containern leben, und der Unterwelt in aufgegebenen U-Bahntunneln. Mit vielen kleinen Details werden Atmosphäre aufgebaut und Gefühle erzeugt, man kann förmlich den abplatzenden Lack der Slum-Container fühlen. Das Flutwasser, in dem mutierte Ratten leben, macht die Folgen des Klimawandels hautnah spürbar. Eindrückliche Szenen zeigen gesellschaftliche Probleme, z.B. geht eine Frau an Drogenkonsum zu Grunde und erinnert sich an die einzige glückliche Zeit in ihrem Leben, als sie als lebende Schaufensterpuppe arbeiten durfte; und Gos Vater arbeitet als Social-Media-Moderator unter enormem psychischen Druck.
Auch die Charaktere sind interessant und individuell, inklusive Queerness. Z.B. ist Go genderfluid und überlegt, ob sie/er sich einer angleichenden OP unterziehen will. Ich fand auch Gos Mutter Ren eine spannende Figur, die das Dilemma einer Frau zeigt, die ein eigenes Werk schaffen will und nicht in die Mutterrolle passt.
Größtenteils gefällt mir Miras Schreibstil sehr, es gibt viele treffende Vergleiche und Metaphern. Der Text ist im Präsenz geschrieben, was Unmittelbarkeit und Dringlichkeit erzeugt.

Etwas Kritik:
Hin und wieder ist die Sprache arg gestelzt. Es klingt wie ein Produktdatenblatt, wenn technische Geräte beschrieben werden, und die Dialoge wirken manchmal, als würden die Figuren vom Blatt ablesen.
Es war etwas schwer, ins Buch hineinzukommen durch die vielen neuartige Begriffe (auch wenn sie im Glossar erklärt werden) und durch die springenden Perspektiven.
Zu den Zielen und Aktivitäten der Hackergruppe hätte ich mir noch mehr gewünscht. Sie wurde erst groß aufgebaut, kam dann aber doch nur am Rande vor.

Fazit: Insgesamt ein etwas sperriges Buch, das aber mit vielen tollen Details, sprachlichen Perlen und einigen berührenden Szenen belohnt.

Bewertung vom 11.10.2024
Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten / Wayfarer Bd.1
Chambers, Becky

Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten / Wayfarer Bd.1


sehr gut

Worum es geht:
Eine Raumschiff-Crew baut Wurmlöcher als Verkehrswege im Weltall. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt das Buch von der Reise der Crew zum Auftragsort, den Abenteuern, die sie auf dem Weg erleben, und ihren Beziehungen untereinander.

Was ich gut fand:
Die episodische Erzählweise fand ich durchaus interessant, weil es mal etwas anderes war. Schön ist auch der Fokus auf die Charaktere und ihre Beziehungen und das detaillierte Worldbuilding. Anhand der verschiedenen Alien-Spezies werden verschiedene Vorstellungen von Familie und Partnerschaft gezeigt sowie geschlechtliche, körperliche und kulturelle Vielfalt. So sorgt die unterschiedliche Herangehensweise von Menschen und Aandrisks an Sexualität für einige erheiternde Szenen, und ganz nebenbei kommt viel Queerness vor.

Was mich gestört hat:
Die Cozyness ist etwas zu dick aufgetragen. Alle Charaktere sollen unbedingt liebenswert sein, bis auf einen, der im Gegensatz als besonders antisozial dargestellt wird.
Nicht nur das, auch viele Konflikte werden meiner Meinung nach zu schnell gelöst (was vielleicht an der episodischen Struktur liegt) und die dunklen Seiten des Worldbuildings werden nur kurz angeteasert, aber nicht konsequent weiter ausgeführt.
Ein Beispiel ist die Situation der Akaraks, die gezwungen sind, als Piraten ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nachdem ihr Planet von einer Kolonialmacht ausgeplündert wurde, oder die Tatsache, dass ein wichtiges Erz für Elektronik von Gefangenen abgebaut wird. Oder auch, dass man Geld für medizinische Behandlungen / Implantate braucht (gibt es keine Krankenversicherung?). Diese Probleme werden nur kurz angesprochen, sind eine Seite später aber schon wieder vergessen.
Außerdem hat Ashby als Chef des Raumschiffs eigentlich einen Interessensgegensatz zur Crew. Hier könnte ja mal gestritten werden, z.B. über die Höhe des Gehalts oder die Länge der Arbeitszeiten. Aber diese Konflikte werden, wenn überhaupt, scherzhaft angesprochen und dann sind alle wieder beste Freunde.
Aus solchen Themen hätte sich meiner Meinung nach mehr machen lassen. Andererseits passt das dazu, wie in der realen Welt Armut und Ausbeutung hingenommen wird. Vielleicht werden diese Themen ja auch in den Folgebänden vertieft.
Etwas seltsam fand ich außerdem die Aussagen zum Thema Krieg: Die Tatsache, dass manche Spezies, wie die Menschen oder die Grum, innerhalb ihrer Spezies Krieg führen, wird biologistisch über angeborene Grausamkeit erklärt. Zugleich wird behauptet, der Krieg, den die Aeluons gegen die Rosk führen, wäre voll in Ordnung und die Aeluons wären einfach von Natur aus „besser“ im Kriegführen. Was denn jetzt? Mal ist Krieg schlecht, mal in Ordnung? Und Krieg resultiert meiner Meinung nach nicht aus der Biologie, sondern aus den Zwecken, die die Staaten verfolgen.
Also: Insgesamt ein Buch, das Spaß macht, aber mit ein paar Unstimmigkeiten.

Bewertung vom 11.10.2024
We Who Are About To...
Russ, Joanna

We Who Are About To...


ausgezeichnet

Worum geht es:
Um eine, die sich nicht fortpflanzen will, und damit auf Feindschaft stößt.
Das Buch beginnt an einem recht häufigen Ausgangspunkt in der SF: Ein Raumschiff stürzt auf einem unbewohnten Planeten ab, ohne Möglichkeit, Hilfe zu rufen. Die Überlebenden stehen vor der Frage, was jetzt. Wie üblich entscheiden sie sich, eine neue Zivilisation aufzubauen. Denn die menschlichen Gene müssen ja weitergegeben werden! Das heißt, die Männer entscheiden das und die Frauen dürfen ihre Gebärmütter herhalten.
Doch die Ich-Erzählerin möchte sich nicht fortpflanzen, erst recht nicht unter diesen Bedingungen. Mit dieser Ansicht steht sie in kompletter Opposition zu den anderen und bald wird blutige Feindschaft daraus. Das Buch zeigt, wie eine Person nur aufgrund ihres Wunsches nach körperlicher Selbstbestimmung zur Antagonistin (gemacht) wird.

Kommentar:
Das Buch ist ziemlich düster und mit beißendem Zynismus geschrieben. Konsequent wird der Konflikt bis aufs Äußerste eskaliert. Dabei gibt es kein einfaches Gut gegen Böse, denn auch die Handlungen der Protagonistin lassen sich in Frage stellen. Das Ende zieht sich meiner Meinung nach unnötig lang hin und ist recht konfus geschrieben, was aber auch am geistigen Zustand der Protagonistin liegt. Das Buch ist definitiv keine einfache Lektüre, sondern eine, auf die man sich bewusst einlassen muss, dafür aber mit interessanten Gedanken belohnt wird.
Insgesamt ein wichtiges Buch, gerade in Zeiten, wo das Recht auf Abtreibung vielerorts in Gefahr ist und körperliche Selbstbestimmung längst noch nicht für alle FLINTA möglich ist.

Bewertung vom 11.10.2024
Dies ist mein letztes Lied
Richter, Lena

Dies ist mein letztes Lied


ausgezeichnet

Worum geht es?

In einer fernen Zukunft hat sich die Menschheit über viele Planeten ausgebreitet. Doch ohne Geld kommt man nicht vom eigenen Planeten weg, nicht mal im Notfall. Qui hat sich mit einem eintönigen Dasein als Arbeiter*in abgefunden, da entdeckt Qui die Fähigkeit, durch selbstgespielte Musik Raumportale zu öffnen. Die Geschichte ist episodisch gestaltet, jede Episode spielt auf einem anderen Planeten oder Raumschiff, zu denen Qui gelangt. Anfangs glaubt Qui, von den Portalen für eine besondere Mission auserwählt worden zu sein, wird jedoch bald ernüchtert. Auf der Reise wird Qui mit verschiedenen (meist kapitalistischen) Missständen konfrontiert, die sich nicht auf magische Weise lösen lassen. Kann eine einzelne Person überhaupt etwas ändern?

Kommentar:

Stilistisch ist die Geschichte sehr schön und atmosphärisch erzählt und sticht mit dem episodischen Ansatz aus anderen Space Operas heraus (wenn die Idee auch gewisse Ähnlichkeiten mit Lukianenkos „Spektrum“ hat).
Thematisch dreht sich die Erzählung um die Frage, wie viel ein Mensch ändern kann, und was Kunst bewirken kann. Die Autorin erteilt bewusst Heldenmythen eine Absage, also der Vorstellung, eine einzelne auserwählte Person könne auf magische Weise die Welt retten.
Dabei finde ich allerdings, dass die Autorin ein wenig über das Ziel hinausschießt. Am Ende ist Qui recht desillusioniert, und die einzige Sache, die Qui einfällt, um etwas zu bewegen, ist, mit den Einnahmen aus der Musik eine wohltätige Stiftung einzurichten. Hier scheint Qui hinter den Möglichkeiten zurückzubleiben, denn Qui hätte die Berühmtheit ja auch für politisches Engagement nützen können, vielleicht zusammen mit anderen. Denn dass eine einzelne Person nicht auf magische Weise die Welt retten kann, heißt ja nicht, dass man nicht gemeinsam durchaus etwas verändern könnte.
Insgesamt eine lesenswerte Novelle, die mich aber mit dem Gedanken zurückgelassen hat, dass mehr möglich gewesen wäre.
Aber das ist Meckern auf hohem Niveau ^^

Bewertung vom 11.10.2024
Die Angestellten
Ravn, Olga

Die Angestellten


sehr gut

Ein ungewöhnlicher SF-Roman.

Worum geht es:
Ein Raumschiff umkreist einen neu entdeckten Planeten. An Bord sind sowohl menschliche als auch künstliche Arbeitskräfte, sogenannte Humanoide, sowie einige seltsame außerirdische Objekte. Diese Objekte rufen unerwartete Gefühle in der Besatzung hervor. Insbesondere die Humanoiden entwickeln Gefühle, die so nicht vorgesehen sind und die - Schockschwerenot - die Arbeitsproduktivität bedrohen.
Die Missionsleitung ergreift Gegenmaßnahmen und es kommt zur Eskalation.
Das Buch ist dabei in Form von Zeugenaussagen der Besatzungsmitglieder geschrieben.

Kommentar:
Keine leichte Lektüre, denn man muss sich beim Lesen die Geschehnisse aus den Zeugenaussagen zusammen puzzeln. Daraus ergibt sich ein zunächst verwirrendes, aber zunehmend beklemmendes Bild. Deutlich wird, wie brutal alle, egal ob Menschen oder Humanoide, der Produktivitätslogik unterworfen sind. (Die Humanoiden wurden geschaffen, weil sie nach nur zwei Jahren Aufzucht arbeitsfähig sind und nicht wie Menschen erst nach ca 18 Jahren und weil sie keine Pausen brauchen.) So enthält das Buch eine gewisse Portion Kapitalismuskritik, ohne erhobenen Zeigefinger.
Die Sprache ist sehr lyrisch (die Autorin hat zuvor Lyrikbände veröffentlicht), für meinen Geschmack manchmal zu Lasten der Verständlichkeit. Insgesamt eine Lektüre, die einen mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt. Aber genau das kann ja zum Nachdenken anregen.

Bewertung vom 11.10.2024
Freie Geister
Le Guin, Ursula K.

Freie Geister


ausgezeichnet

Ein Klassiker der SF, der es immer noch sehr wert ist, gelesen zu werden.

Worum geht es:
Zwei Welten werden gegenübergestellt: eine anarchokommunistische und eine patriarchal-kapitalistische. Der Physiker Shevek reist zwischen den Welten und passt in keine so richtig hinein.
Aufgewachsen auf dem anarchistischen Mond, reist Shevek zum kapitalistischen Planeten, um sich mit anderen Wissenschaftlern (dort nur Männer) auszutauschen. Mit seinen Ansichten eckt er an und hält der kapitalistischen Welt den Spiegel vor, bis die Lage eskaliert.

Kommentar:
Ein großartiges Buch. Besonders mag ich, wie die anarchistische Welt bis ins Detail konsequent zu Ende gedacht wird. Auch neue Konzepte von Beziehungen und Sexualität werden thematisiert. Dabei werden die Schattenseiten nicht ausgespart. Trotz diesen bleibt für mich ein Hoffnungsschimmer. Denn ansonsten wird in der SF meist nur Kapitalismus mit seinen dystopischen Folgen dargestellt, als könnten wir uns eher ein Ende der Welt vorstellen als ein Ende dieses Wirtschaftssystems. Daher schätze ich jede Geschichte, die Alternativen aufzeigt.
Das Buch ist außerdem wunderschön geschrieben, es gibt viele nachdenkliche Passagen, in denen die Atmosphäre der fremden Welt aufgebaut oder die Innenwelt der Charaktere erforscht wird.
Eine klare Empfehlung!

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