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QueerLeserin
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NRW

Bewertungen

Insgesamt 18 Bewertungen
12
Bewertung vom 11.10.2024
Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten / Wayfarer Bd.1
Chambers, Becky

Der lange Weg zu einem kleinen zornigen Planeten / Wayfarer Bd.1


sehr gut

Worum es geht:
Eine Raumschiff-Crew baut Wurmlöcher als Verkehrswege im Weltall. Aus verschiedenen Perspektiven erzählt das Buch von der Reise der Crew zum Auftragsort, den Abenteuern, die sie auf dem Weg erleben, und ihren Beziehungen untereinander.

Was ich gut fand:
Die episodische Erzählweise fand ich durchaus interessant, weil es mal etwas anderes war. Schön ist auch der Fokus auf die Charaktere und ihre Beziehungen und das detaillierte Worldbuilding. Anhand der verschiedenen Alien-Spezies werden verschiedene Vorstellungen von Familie und Partnerschaft gezeigt sowie geschlechtliche, körperliche und kulturelle Vielfalt. So sorgt die unterschiedliche Herangehensweise von Menschen und Aandrisks an Sexualität für einige erheiternde Szenen, und ganz nebenbei kommt viel Queerness vor.

Was mich gestört hat:
Die Cozyness ist etwas zu dick aufgetragen. Alle Charaktere sollen unbedingt liebenswert sein, bis auf einen, der im Gegensatz als besonders antisozial dargestellt wird.
Nicht nur das, auch viele Konflikte werden meiner Meinung nach zu schnell gelöst (was vielleicht an der episodischen Struktur liegt) und die dunklen Seiten des Worldbuildings werden nur kurz angeteasert, aber nicht konsequent weiter ausgeführt.
Ein Beispiel ist die Situation der Akaraks, die gezwungen sind, als Piraten ihren Lebensunterhalt zu verdienen, nachdem ihr Planet von einer Kolonialmacht ausgeplündert wurde, oder die Tatsache, dass ein wichtiges Erz für Elektronik von Gefangenen abgebaut wird. Oder auch, dass man Geld für medizinische Behandlungen / Implantate braucht (gibt es keine Krankenversicherung?). Diese Probleme werden nur kurz angesprochen, sind eine Seite später aber schon wieder vergessen.
Außerdem hat Ashby als Chef des Raumschiffs eigentlich einen Interessensgegensatz zur Crew. Hier könnte ja mal gestritten werden, z.B. über die Höhe des Gehalts oder die Länge der Arbeitszeiten. Aber diese Konflikte werden, wenn überhaupt, scherzhaft angesprochen und dann sind alle wieder beste Freunde.
Aus solchen Themen hätte sich meiner Meinung nach mehr machen lassen. Andererseits passt das dazu, wie in der realen Welt Armut und Ausbeutung hingenommen wird. Vielleicht werden diese Themen ja auch in den Folgebänden vertieft.
Etwas seltsam fand ich außerdem die Aussagen zum Thema Krieg: Die Tatsache, dass manche Spezies, wie die Menschen oder die Grum, innerhalb ihrer Spezies Krieg führen, wird biologistisch über angeborene Grausamkeit erklärt. Zugleich wird behauptet, der Krieg, den die Aeluons gegen die Rosk führen, wäre voll in Ordnung und die Aeluons wären einfach von Natur aus „besser“ im Kriegführen. Was denn jetzt? Mal ist Krieg schlecht, mal in Ordnung? Und Krieg resultiert meiner Meinung nach nicht aus der Biologie, sondern aus den Zwecken, die die Staaten verfolgen.
Also: Insgesamt ein Buch, das Spaß macht, aber mit ein paar Unstimmigkeiten.

Bewertung vom 11.10.2024
We Who Are About To...
Russ, Joanna

We Who Are About To...


ausgezeichnet

Worum geht es:
Um eine, die sich nicht fortpflanzen will, und damit auf Feindschaft stößt.
Das Buch beginnt an einem recht häufigen Ausgangspunkt in der SF: Ein Raumschiff stürzt auf einem unbewohnten Planeten ab, ohne Möglichkeit, Hilfe zu rufen. Die Überlebenden stehen vor der Frage, was jetzt. Wie üblich entscheiden sie sich, eine neue Zivilisation aufzubauen. Denn die menschlichen Gene müssen ja weitergegeben werden! Das heißt, die Männer entscheiden das und die Frauen dürfen ihre Gebärmütter herhalten.
Doch die Ich-Erzählerin möchte sich nicht fortpflanzen, erst recht nicht unter diesen Bedingungen. Mit dieser Ansicht steht sie in kompletter Opposition zu den anderen und bald wird blutige Feindschaft daraus. Das Buch zeigt, wie eine Person nur aufgrund ihres Wunsches nach körperlicher Selbstbestimmung zur Antagonistin (gemacht) wird.

Kommentar:
Das Buch ist ziemlich düster und mit beißendem Zynismus geschrieben. Konsequent wird der Konflikt bis aufs Äußerste eskaliert. Dabei gibt es kein einfaches Gut gegen Böse, denn auch die Handlungen der Protagonistin lassen sich in Frage stellen. Das Ende zieht sich meiner Meinung nach unnötig lang hin und ist recht konfus geschrieben, was aber auch am geistigen Zustand der Protagonistin liegt. Das Buch ist definitiv keine einfache Lektüre, sondern eine, auf die man sich bewusst einlassen muss, dafür aber mit interessanten Gedanken belohnt wird.
Insgesamt ein wichtiges Buch, gerade in Zeiten, wo das Recht auf Abtreibung vielerorts in Gefahr ist und körperliche Selbstbestimmung längst noch nicht für alle FLINTA möglich ist.

Bewertung vom 11.10.2024
Dies ist mein letztes Lied
Richter, Lena

Dies ist mein letztes Lied


ausgezeichnet

Worum geht es?

In einer fernen Zukunft hat sich die Menschheit über viele Planeten ausgebreitet. Doch ohne Geld kommt man nicht vom eigenen Planeten weg, nicht mal im Notfall. Qui hat sich mit einem eintönigen Dasein als Arbeiter*in abgefunden, da entdeckt Qui die Fähigkeit, durch selbstgespielte Musik Raumportale zu öffnen. Die Geschichte ist episodisch gestaltet, jede Episode spielt auf einem anderen Planeten oder Raumschiff, zu denen Qui gelangt. Anfangs glaubt Qui, von den Portalen für eine besondere Mission auserwählt worden zu sein, wird jedoch bald ernüchtert. Auf der Reise wird Qui mit verschiedenen (meist kapitalistischen) Missständen konfrontiert, die sich nicht auf magische Weise lösen lassen. Kann eine einzelne Person überhaupt etwas ändern?

Kommentar:

Stilistisch ist die Geschichte sehr schön und atmosphärisch erzählt und sticht mit dem episodischen Ansatz aus anderen Space Operas heraus (wenn die Idee auch gewisse Ähnlichkeiten mit Lukianenkos „Spektrum“ hat).
Thematisch dreht sich die Erzählung um die Frage, wie viel ein Mensch ändern kann, und was Kunst bewirken kann. Die Autorin erteilt bewusst Heldenmythen eine Absage, also der Vorstellung, eine einzelne auserwählte Person könne auf magische Weise die Welt retten.
Dabei finde ich allerdings, dass die Autorin ein wenig über das Ziel hinausschießt. Am Ende ist Qui recht desillusioniert, und die einzige Sache, die Qui einfällt, um etwas zu bewegen, ist, mit den Einnahmen aus der Musik eine wohltätige Stiftung einzurichten. Hier scheint Qui hinter den Möglichkeiten zurückzubleiben, denn Qui hätte die Berühmtheit ja auch für politisches Engagement nützen können, vielleicht zusammen mit anderen. Denn dass eine einzelne Person nicht auf magische Weise die Welt retten kann, heißt ja nicht, dass man nicht gemeinsam durchaus etwas verändern könnte.
Insgesamt eine lesenswerte Novelle, die mich aber mit dem Gedanken zurückgelassen hat, dass mehr möglich gewesen wäre.
Aber das ist Meckern auf hohem Niveau ^^

Bewertung vom 11.10.2024
Die Angestellten
Ravn, Olga

Die Angestellten


sehr gut

Ein ungewöhnlicher SF-Roman.

Worum geht es:
Ein Raumschiff umkreist einen neu entdeckten Planeten. An Bord sind sowohl menschliche als auch künstliche Arbeitskräfte, sogenannte Humanoide, sowie einige seltsame außerirdische Objekte. Diese Objekte rufen unerwartete Gefühle in der Besatzung hervor. Insbesondere die Humanoiden entwickeln Gefühle, die so nicht vorgesehen sind und die - Schockschwerenot - die Arbeitsproduktivität bedrohen.
Die Missionsleitung ergreift Gegenmaßnahmen und es kommt zur Eskalation.
Das Buch ist dabei in Form von Zeugenaussagen der Besatzungsmitglieder geschrieben.

Kommentar:
Keine leichte Lektüre, denn man muss sich beim Lesen die Geschehnisse aus den Zeugenaussagen zusammen puzzeln. Daraus ergibt sich ein zunächst verwirrendes, aber zunehmend beklemmendes Bild. Deutlich wird, wie brutal alle, egal ob Menschen oder Humanoide, der Produktivitätslogik unterworfen sind. (Die Humanoiden wurden geschaffen, weil sie nach nur zwei Jahren Aufzucht arbeitsfähig sind und nicht wie Menschen erst nach ca 18 Jahren und weil sie keine Pausen brauchen.) So enthält das Buch eine gewisse Portion Kapitalismuskritik, ohne erhobenen Zeigefinger.
Die Sprache ist sehr lyrisch (die Autorin hat zuvor Lyrikbände veröffentlicht), für meinen Geschmack manchmal zu Lasten der Verständlichkeit. Insgesamt eine Lektüre, die einen mit mehr Fragen als Antworten zurücklässt. Aber genau das kann ja zum Nachdenken anregen.

Bewertung vom 11.10.2024
Freie Geister
Le Guin, Ursula K.

Freie Geister


ausgezeichnet

Ein Klassiker der SF, der es immer noch sehr wert ist, gelesen zu werden.

Worum geht es:
Zwei Welten werden gegenübergestellt: eine anarchokommunistische und eine patriarchal-kapitalistische. Der Physiker Shevek reist zwischen den Welten und passt in keine so richtig hinein.
Aufgewachsen auf dem anarchistischen Mond, reist Shevek zum kapitalistischen Planeten, um sich mit anderen Wissenschaftlern (dort nur Männer) auszutauschen. Mit seinen Ansichten eckt er an und hält der kapitalistischen Welt den Spiegel vor, bis die Lage eskaliert.

Kommentar:
Ein großartiges Buch. Besonders mag ich, wie die anarchistische Welt bis ins Detail konsequent zu Ende gedacht wird. Auch neue Konzepte von Beziehungen und Sexualität werden thematisiert. Dabei werden die Schattenseiten nicht ausgespart. Trotz diesen bleibt für mich ein Hoffnungsschimmer. Denn ansonsten wird in der SF meist nur Kapitalismus mit seinen dystopischen Folgen dargestellt, als könnten wir uns eher ein Ende der Welt vorstellen als ein Ende dieses Wirtschaftssystems. Daher schätze ich jede Geschichte, die Alternativen aufzeigt.
Das Buch ist außerdem wunderschön geschrieben, es gibt viele nachdenkliche Passagen, in denen die Atmosphäre der fremden Welt aufgebaut oder die Innenwelt der Charaktere erforscht wird.
Eine klare Empfehlung!

Bewertung vom 11.10.2024
Das Buch der Augen
Niemann, Swantje

Das Buch der Augen


ausgezeichnet

Zusammenfassung:
Die perfekte Lektüre für dunkle Herbstabende kurz vor Halloween. Das Buch ist nämlich ziemlich gruselig, es geht darum, dass Dämonen in unsere Welt eindringen und die Heldin sich diesen ebenso stellen muss wie ihrer Essstörung. (Das recht düstere Buch ist dankenswerterweise mit Inhaltswarnungen ausgestattet.)
Nachdem Renia an der Uni und in ihrer letzten Beziehung gescheitert ist, kehrt sie nach Berlin zurück, wo die Halluzinationen einer anderen Welt, die sie schon immer hatte, plötzlich höchst real werden. Sie schließt sich einer Gruppe von Dämonenjäger*innen an, die versuchen, die drohende Dämoneninvasion aufzuhalten.

Kommentar:
Schön fand ich den intelligenten und sarkastischen Schreibstil, die atmosphärischen Beschreibungen und die Repräsentation von queeren Figuren, insbesondere Frauenliebender Protagonistin. Super auch, dass das Erfahren von Misserfolgen, Orientierungslosigkeit und Leistungsdruck sowie psychische Erkrankungen thematisiert werden.
Man muss allerdings die Kröte von anscheinend grundlos bösen Dämonen schlucken, deren einziger Lebensinhalt die Jagd nach Menschen zu sein scheint. Solche grundlos bösen Monster in Geschichten kommen mir meist wie ein billiger und etwas fragwürdiger Deus ex Machina im umgekehrten Sinn vor. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja irgendwann eine Fortsetzung, wo die Existenz der Dämonen noch mehr erklärt wird? Aber auch so, ist das nur ein kleiner Wermutstropfen. Viel Spaß beim Lesen!

Bewertung vom 11.10.2024
Gezeitenruf
Stahl, Yola

Gezeitenruf


ausgezeichnet

Worum geht es:
Das Setting ist an ein mittelalterliches Irland angelehnt, in dem es Fabelwesen wie Selkies und Drachen wirklich gibt. Muriel arbeitet als Ridare (eine Art Ritterin) für den König. Als der König erkrankt, will sie das Herz eines Drachen erbeuten, um ihn damit zu heilen. Sie heuert die Druvid Glenna an, um ihr auf der Suche nach dem Drachen zu helfen. Doch die beiden kommen sich unerwartet näher, und nichts ist so, wie es scheint ...

Was ich gut fand:
Ein dicker Fantasyschmöker zum Hineinträumen, mit detailreichem Weltenbau und viel Atmosphäre. Die beiden Komponenten der Handlung – die Liebesgeschichte zwischen Muriel und Glenna und der Plot um die Bedrohung des Königreichs – sind zumeist gut ausbalanciert. Die Sprache ist meistens angenehm lyrisch, nur manchmal für meinen Geschmack etwas zu dick aufgetragen. Es gibt viele überraschende Wendungen und emotional berührende Szenen. Auch das Buch ist liebevoll gestaltet mit schönen Illustrationen, Dekoelementen und fiktiven Zitaten, Gedichten und Liedtexten, über die man einiges an Lore erfährt. Man merkt, wie viel Hingabe die Autorin in alles gesteckt hat. Mir gefällt auch, dass trotz des mittelalterlichen Settings gleichgeschlechtliche Beziehungen als etwas Selbstverständliches gezeigt werden, ohne Patriarchat.

Was ich nicht so gut fand:
Ich habe beim Lesen gemerkt, dass klassische Liebesgeschichten mit ihrem vielen Drama mich nicht so richtig abholen. Ein Teil des Dramas ergibt sich verständlich daraus, dass beide Frauen sehr verletzlich sind, keine leichte Kindheit hatten und nun mühsam lernen müssen, vernünftig zu kommunizieren. Aber an manchen Stellen fand ich es unrealistisch. Eine Person bedroht eine andere mit einem Messer, und das Erste, was der Bedrohten auffällt, sind die schönen Augen der anderen? Ernsthaft? Aber anscheinend ist ein unzureichender Selbsterhaltungstrieb üblich in Liebesgeschichten ...

Mein Fazit:
Insgesamt ein schöner, stimmungsvoller Fantasyroman mit einer lesbischen Liebesgeschichte. Die Romanze hat mich nicht immer überzeugt. Aber Menschen, die dieses Genre lieber lesen als ich, empfinden das vielleicht anders.

Bewertung vom 01.06.2022
Frozen, Ghosted, Dead
Jehanzeb, Sameena

Frozen, Ghosted, Dead


ausgezeichnet

Das Buch ist eine Mischung aus Thriller, Science Fiction und einer Liebesgeschichte zwischen zwei ungleichen Frauen, der kreativen und lebenslustigen Niobe und der eher kühlen, mysteriösen L. Da Niobe von einem Stalker verfolgt wird (hier kommt der Thriller ins Spiel), ist sie auf die Hilfe der Personenschützerin L angewiesen, was der Ausgangspunkt der Romanze ist. Jeder der Teile in diesem Genremix funktioniert in sich gut und auch die Gesamtmischung ist stimmig. So ist das Buch zugleich spannend mit immer neuen Wendungen, hin und wieder lustig und auch die Romantik kommt nicht zu kurz. Auch das Worldbuilding steckt voller liebevoller Details. Insbesondere der schöne bildhafte Stil der Autorin schafft es, Atmosphäre aufzubauen und hebt das Buch vom Niveau her deutlich über andere Genreromane.

Zugleich sorgt das dystopische Science Fiction-Setting für einen düsteren Hintergrund und die Autorin bringt eines an Gesellschaftskritik ein. Nach den sogenannten Ressourcenkriegen ist die Erde zerstört und wurde von Außerirdischen übernommen, die die Menschen in wiederhergestellten Bereichen wie in einer Art Reservaten leben lassen. Innerhalb der menschlich kontrollierten Gebiete herrscht härtester Kapitalismus mitsamt den aus anderen SF-Werken bekannten Auswüchsen: Technisch oder genetisch modifizierte Menschen haben keine Rechte und werden als billige Arbeitskräfte oder Organlieferanten ausgebeutet; Straftäter werden zur Zwangsarbeit auf Asteroiden geschickt, die Todeslagern gleichkommen. Das alles ist nicht neu, aber verleiht der Geschichte einen ernsten Hintergrund, insbesondere da die beiden Heldinnen, wie sich herausstellt, auf die eine oder andere Weise von dieser Entrechtung bedroht sind. Auch der Kriminalfall, der Niobes Leben durcheinander bringt, wurde im Grunde durch das soziale Gefälle in der Klassengesellschaft verursacht.
Letztlich scheint die einzige Alternative zu diesem System das Entkommen auf einen anderen Planeten zu sein. Die Hoffnung am Ende ist fragil und lässt nachdenken: Haben wir solche Zustände nicht auch bei uns? Und wie können wir solch eine unfreundliche Zukunft verhindern?

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