Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Jack Crabb

Bewertungen

Insgesamt 14 Bewertungen
12
Bewertung vom 08.12.2021
Todesliste
Audio88 & Yassin

Todesliste


sehr gut

Deutschraps schlechtes Gewissen meldet sich zurück. Jahre lang rappten Audio88 & Yassin über das Leben im Falschen und ihrem Ekel vor der eigenen Szene. Jetzt richtet sich ihre Wut gegen Neu-Rechte und ihre stillen Befürworter.

Realness. Ein Wort, dass in der Welt vieler Rapper eine absurd große Bedeutung hat. „Real“ sein heißt authentisch, also echt sein. Die beiden Wahl-Berliner Audio88 & Yassin nahmen ihre ersten zwei Alben „Zwei Herrengedeck, bitte“ und „Nochmal zwei Herrengedeck, bitte“ zum Anlass um von Alkoholkonsum, Frust, Existenzängsten und den allgemeinen Unzulänglichkeiten des Lebens zu erzählen. Mittlerweile hat sich das Blatt für das Duo gewendet. Mann lebt nun von der Musik, hat mit „Normale Musik“ ein eigenes Label und rangiert zum vierten Mal in Folge mit einem Release auf den oberen Chartplätzen.

Eine gute Nachricht gleich vorweg: auch wenn auf „Todesliste“ auf das traurige Deutschrap-Elend nicht mehr ganz so oft gespuckt wird wie früher, können Audio88 & Yassin immer noch herrlich gegen ihre Kollegen ätzen. Besonders Audio88 läuft in „Kein Regen“ und „Todi“ zur Höchstform auf. Thematisch knüpft das fünfte Album der Rapper dort an, wo sie auf „Halleluja“ mit „Warum ich Menschen nicht mag“ und „Schellen“ aufgehört haben. Die meiste Reibung erzeugen jedoch die Momente, bei denen der Finger auf unsere Gesellschaft zeigt. „WUP“ (Weiß und privilegiert) ist eine zynische Erörterung über Hautfarbe und gesellschaftliche Privilegien. Das schon fast entspannt dahinschlendernde, umso gemeinere „Ende in Sicht“ könnte auch ein übrig gebliebener Track von Yassin`s grandiosem Soloalbum „Ypsilon“ sein. Die größte Überraschung ist das mehrdeutig interpretierbare „Garten“, eine Kollaboration mit dem früherem SIXTN-Mitglied Nura.

In puncto Sounddesign ist „Todesliste“ ein erfrischend zeitgenössisches Album geworden. Die Mischung aus schmuddeligem Bumm Tschak und modernen Elementen ist vollends geglückt. Auf Audio`s und Yassin`s guten Geschmack bei der Produzenten-Wahl bleibt Verlass. Seien es enge Freunde aus den Anfangstagen der MC`s wie Torky Tork oder Suff Daddy oder Haftbefehl`s Haus- und Hof-Sounddichter Bazzazian: der Input ist vielfältig- die Beats sind alle wie aus einem Guss. Und dass Yassin nun Sänger und Rapper in einer Person ist, tut kein bisschen weh und fügt der Farbpalette eine neue Nuance hinzu.

Natürlich spült einen Musik mit solch schwerem Inhalt in keine Modus Mio-Playlist. Aber darum scheren sich Audio88 & Yassin ohnehin nicht. Viel mehr liefern sie mit ihren teils poppig angehauchten Tracks die politischen Ansagen, die sich in der hiesigen Szene nach wie vor die wenigsten trauen. Zum differenzierten Diskurs laden sie den Zuhörer aber nicht ein. Dafür bleiben sie ihrer Battlerap-Herkunft zu nah. Sie tragen ihr Herz nun mal auf der Zunge. Und das ist auch völlig in Ordnung so.

Bewertung vom 08.12.2021
Tyron
Slowthai

Tyron


ausgezeichnet

Auf dem Cover seines Albums „Nothing Great About Britain“ posierte Tyron Kaymone Frampton noch nackt und eingequetscht in einem Pranger. Ein Bild mit provokanter Symbolkraft. Machte er doch im Vorfeld der Veröffentlichung mit seiner lautstarken Anti-Brexit-Haltung von sich reden. Seine öffentlichen, teils aggressiven Anfeindungen gegenüber Theresa May und Boris Johnson darf man gerne im Nachhinein als pubertär und naiv abtun. Dennoch sorgten sie für ein mediales Echo, welches der Karriere des jungen Engländers nicht ganz unnütz gewesen war. Zwei Jahre später legt Slowthai, so der Künstlername, unter dem Frampton seine Musik herausbringt, mit „Tyron“ endlich nach. Und auch wenn der Zweitling wesentlich persönlicher geraten ist, versteht es der Rapper wieder, sich auch hier mit Bildsprache auszudrücken. An einem Apfelbaum lehnend sitzt der Protagonist, dem ein Pfeil im Auge steckt, in einem Teufelskostüm und mit einem Apfel auf dem Kopf. Eine Metapher für den vollzogenen EU-Austritt Großbritanniens? Vom einstigen Satansbraten steckt in Slowthai noch genug drin. Der neueste Streich ist dennoch ein gelungener Versuch, seine Kunst auf ein seriöseres Niveau zu hieven.

Eigentlich stecken in „Tyron“ zwei Alben drin. Auf der ersten Hälfte rappt Slowthai zu aggressiven, aufgepumpten Grime-Beats und gibt sich dabei gewohnt großspurig, so wie in „Cancelled“ (mit seinem Freund und Idol Skepta) oder er berichtet in „Mazza“ über seine Drogen-Fehltritte vergangener Tage. In den Songs weiter hinten beleuchtet er mehr sein Inneres. Musikalisch präsentiert sich Frampton hier facettenreicher, was auch den spannenden Gäste zu verdanken ist. Im folkigen „Push“ kommt die Stimme der hierzulande noch wenig bekannten Singer-Songwriterin Deb Never zu tragen. Vermutlich der brüchigste Moment auf „Tyron“, der, wie alle Songs auf diesem Album, viel zu schnell vorbei ist. „NHS“ ist ein zu Tränen rührendes Loblied auf den „National Health Service“ des Vereinigten Königreichs in Corona-Zeiten. „Feel Away“ mit James Blake ist der herausragende Nummer Sicher-Hit und eine geschmackvolle Vermählung von Pop und Rap. Die Art und Weise wie Slowthai auf „Tyron“ mit Genre-typischen Größenwahn und seiner eigenen Verletzlichkeit jongliert, ist schlichtweg virtuos. Dazu passt auch der progressive Sound des Albums. Der 27-jährige Brite hat merklich an Reife gewonnen (von der ein oder anderen albernen Video-Auskopplung mal abgesehen) und steckt dieses Jahr wieder all seine Konkurrenten in die Tasche.

Bewertung vom 08.12.2021
Glow On
Turnstile

Glow On


sehr gut

Auch wenn die Pandemie die Event-Branche immer noch fest im Griff hat, darf man gerne schon mal folgende Prognose stellen: Turnstiles aufgedrehter Hardcorepunk ist für verschwitzte Moshpit`s wie gemacht.

Es sind Bilder wie aus einer anderen Zeit: mehrere hundert Menschen tummelten sich im vergangenen Sommer anlässlich der Release-Show zu „Glow On“ eng an eng vor einer Open-Air-Bühne irgendwo in Baltimore. Möglich machten das die in den USA wieder fallen gelassenen Einschränkungen trotz hoher Inzidenz. Längst hat sich herumgesprochen, wie es auf den Shows von Turnstile abgeht. Schließlich gehören Pogotanz und Stagediving bei einer jeden Hardcore-Show zur Pflicht. Und auch wenn uns die Geburtsjahre der Bandmitglieder verraten, dass hier nur die Enkel der ersten Generation am spielen sind, versprüht ihre Musik doch jene unschuldige Wildheit, die in diesem Genre nur noch die Wenigsten zu vermitteln wissen.

„Time & Space“ zog bereits das jüngere Publikum in Scharen an und ließ die Älteren in Nostalgie schwärmend versinken. Vermutlich wäre es für Turnstile das Leichteste gewesen sich einfach zu wiederholen. Stattdessen biegt „Glow On“ mit seiner dicken und modernen Produktion kurz vor der Sackgasse scharf in Richtung großer Bühne ab. Produziert wurde das Album von Mike Elizondo, der sich bislang durch seine Zusammenarbeit mit Mainstream-Künstlern wie Alanis Morissette, Ed Sheeran oder Dr. Dre einen Namen gemacht hat. Niemand, den man mit einer Punkband in Verbindung bringen würde, klar. Vielmehr stellt Elizondo hier eine klangliche Spielwiese bereit, dessen äußere Markierung zwar von allen Spielarten des Punkrocks bestimmt wird, auf der aber Alles erlaubt ist, was Spaß macht.

Turnstile bedienen sich wahlweise bei New-York-Hardcore-Legenden wie Sick Of It All, progressiven Feingeistern wie Snapcase oder 90er Skatepunk. Ausgekleidet sind ihre Songs mit ätherischen Synthesizern, wirbelnden 80`s-Drumfils oder entspannten Hip Hop-Beats, kurz und knapp zusammen gefasst im stürmischen „T.L.C (Turnstile Love Connection)“. Zu den neu gewonnen Facetten gehören von nun an aber auch poppig akzentuierte Songs wie „Underwater Boi“ (mit Julien Baker als Gastsängerin) oder das sonnige, an New Wave angelehnte, „New Hear Design“. Mit Devonté Hynes (Blood Orange, Lightspeed Champion) gesellt sich dann ein weiterer unerwarteter Gast hinzu. “Alien Love Call” klingt nicht von ungefähr wie ein Song von Blood Orange, auf dem Turnstile gefeatured werden und nicht andersrum. Gut tut diese Entschleunigung mittendrin aber trotzdem, genauso wie der träumerische Dreampop von „No Surprise” kurz vor Ende, wenn dieser nicht vom letzten Song „Lonely Dezires“ (ebenfalls mit Devonté Hynes) nach nur wenigen Sekunden für beendet erklärt werden würde. Ein derartiger Twist ist aber nur zu typisch für so ein erfrischendes und abwechslungsreiches Album.

Bewertung vom 07.11.2021
As Days Get Dark
Arab Strap

As Days Get Dark


sehr gut

Schon 2016 reformierten Aidan Moffat und Malcolm Middleton Arab Strap für die Bühne. Ein paar Jahre hat es aber gedauert, bis die Schotten bereit für neue Songs sind. Auf „As Days Get Dark“ gibt sich das Duo so mies gelaunt, wie in besten Tagen. Manche Dinge ändern sich zum Glück nie.

„I don't give a fuck about the past. Our glory days gone by. All I care about right now. is that wee mole inside your thigh“ raunzt einen Sänger Moffat in „The Turning Of Our Bones“ an, dem besten Stück auf ihrem siebten Album und verspricht allen, die auf eine Rückkehr von Arab Strap gewartet haben das altbewährte Programm aus Lüsternheit, Frust und Alkohol. Dabei war es gerade der Sänger mit dem wärmendem Bariton, der es leid war auf das Image des traurigen Indierockers reduziert zu werden. „As Days Get Dark“ ist eine lustvolle wie rücksichtslose Rückkehr in die dunklen Abgründe der menschlichen Seele.

Neben dem bereits erwähnten Eröffnungssong befinden sich besonders auf der ersten Hälfte des Albums die stärksten Songs. Die melancholische Brise von „Another Clockwork Day“ durchweht wohltuend die dort besungene Tristesse einer enterotisiertern Beziehung und könnte auch von The National`s „Boxer“ stammen. Im verträumten „Bluebird“ lädt ein von einer Akustikgitarre begleitete Diskobeat zum Tanzen ein. Moffat gibt hier einen rätselhaften Text zum Besten, der sowohl vom Shite-Hawk, ein auf der Insel lebender Schwarzmilan und vom ungebremster Lust erzählt. Auch der peitschende Indierocker „Here comes Comus!“ mit seiner Hookline aus perlenden Wave-Gitarren ist eine sichere Nummer.

Wer auf diesem rundum überzeugenden Comeback von Arab Strap nach Schwächen suchen möchte, der findet sie vielleicht im etwas ziellosen Durchhänger „Tears on Tour“, ein rührseliger Nachruf Moffat`s auf seinen verstorbenen Vater, dessen pathetischer Synthesizer-Schauer leider ziemlich gleichgültig und lauwarm auf einen nieder plätschert. Auch den aufgeblasenen und etwas deplatziert wirkenden Hip Hop-Unterbau in „I Was Once A Weak Man“ hätte es nicht gebraucht. Da lässt sich aber drüber hinweg hören, denn das grandiose Finish aus der albtraumhaften Halbballade „Sleeper“ und dem versöhnlich stimmendem „Just Enough“, bestätigt, dass man den wohltuenden Schmerzensrock von Moffat und Middleton viel zu lange vermisst hat.

12