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odile

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Insgesamt 32 Bewertungen
Bewertung vom 28.11.2024
Zürcher Verrat
Kasperski, Gabriela

Zürcher Verrat


ausgezeichnet

Ein ganz besonderer Krimi

Seit zehn Jahren werden an Mittsommer Arien aus dem Züricher Opernhaus live auf den Sechsläutenplatz übertragen. Dieses Mal findet die beliebte Veranstaltung ein jähes Ende als ein Toter im Orchestergraben entdeckt wird. Wurde er gestoßen oder ist er gefallen?

Ein Verbrechen im Opernhaus hat seinen ganz besonderen Reiz. Die Einblicke in die Örtlichkeiten und Abläufe haben mich fasziniert. Davon unabhängig entwickelt sich der Kriminalfall rasant. Wir folgen gleich drei Handlungssträngen, die uns an den Tatort Zürich, mit auf eine Flucht quer durch Europa und in die Vergangenheit während des Zweiten Weltkriegs führen. Schnell wird klar, dass mehr hinter dem Tod in der Oper steckt. Gleich mehrere der Protagonisten werden verfolgt, bedroht und erpresst. Vordergründig ermittelt die Polizei in einem verdächtigen Todesfall nach dem heftigen Streit eines ehemaligen Paars. Doch was ist wirklich geschehen?

Für mich war es der erste Krimi mit Schnyder & Meier, den Ermittlern in diesem Fall. Mit Gabriela Kasperskis Buchfigur Tereza Berger war ich schon öfters in der Bretagne als Detektivin unterwegs. Dieses Mal ging es also in die Schweiz. Der Fall ist auch für Neueinsteiger in die Schnyder & Meier-Reihe geeignet.

Gabriela Kasperskis neuester Kriminalroman schlug mich umgehend in seinen Bann. Sie schreibt fesselnd und mitreißend. Ich konnte mich gut in die Atmosphäre im Opernhaus, die besondere Dynamik dort, einfühlen. Die Sequenzen, die vor über 80 Jahren spielen, haben mich gepackt. Übergänge und Perspektivwechsel sind fließend, der Leser befindet sich immer mitten im Geschehen, ohne aus seinem Flow gerissen zu werden. Schauplätze, Personen und das Jahrhundert wechseln, die Fülle an Information ist zunächst verwirrend. Doch allmählich rutschen die Puzzleteile an ihren vorbestimmten Platz.

Die Haupt- und Nebencharaktere wirken glaubwürdig und lebensnah. Das Paar Schnyder und Meier hat eine ganz eigene Dynamik und kommt mitsamt den Kindern im Krimi nicht zu kurz. Die selbstbewusste Zita Schnyder bremst den manchmal eher konservativen Meier, etwa wenn er glaubt, seinen Söhnen wesentlich mehr zumuten zu können als seiner Tochter, „weil sie Jungs sind.“ Besonders gefallen haben mir die Figur der Margrit Müller, die viel erlebt hat und einen originellen Weg findet, ihre Familie zu schützen. Und der Buchhändler Greve, ein aufrechter Mensch in dunklen Zeiten.

Mein Fazit:

Falsches oder gar verbrecherisches Handeln wirkt lange nach und kann sich bis auf die nachfolgenden Generationen auswirken, bei Opfern wie Tätern. Im vorliegenden Krimi „Zürcher Verrat“ zeigt die Autorin, wie ein lange zurückliegendes ungesühntes Verbrechen nach über 80 Jahren erneut zu schweren Straftaten führt. Es ist widerwärtig, wie sich die perfiden Täter wiederholt durch Verunglimpfung und Verleumdung ihrer Opfer bei gleichzeitiger Überhöhung ihrer eigenen Person, ein gutes Gewissen konstruieren. Und diese Hybris wiederholt sich bis heute.

Das Lesen der eingestreuten Zeitdokumente aus dem 2. Weltkrieg schlug mir teilweise auf den Magen, teilweise machte es mich wütend. So authentisch wirken sie. Die akribische Recherche seitens der Autorin ist hier deutlich zu spüren. Kasperski gelingt es, ein aktuelles Verbrechen so mit historischen Fakten zu verknüpfen, dass daraus ein spannender Krimi entsteht, der berührt und erschüttert. Gleichzeitig wird der Leser aber auch gut unterhalten. Die Erzählung liest sich flüssig, es wird nicht moralisiert und der erhobene Zeigefinger fehlt. Die Geschichte steht für sich selbst. Und am Ende bleiben keine Fragen offen.

Ich habe diesen Krimi wirklich gern gelesen. Er ist sehr gut gelungen, unterhält, berührt und informiert. An die spezielle Beziehungsdynamik des Paares Zita Schnyder und Werner Meier werde ich mich noch gewöhnen, denn ich habe mir fest vorgenommen, auch die anderen Bände der Reihe zu lesen

Ich vergebe die volle Punktzahl, 5 von 5 Sternen.

Bewertung vom 24.11.2024
Nur Mord im Kopf / Skulduggery Pleasant Bd.16
Landy, Derek

Nur Mord im Kopf / Skulduggery Pleasant Bd.16


ausgezeichnet

Ein Skelett in Hochform

Ein mysteriöser Serienkiller, der sich Ersatz nennt, tötet scheinbar grundlos gewöhnliche Sterbliche. Dabei geht er äußerst brutal vor. Skulduggery Pleasant und Walküre Unruh nehmen sich des Falls an, da schnell klar wird, dass der Täter ein Magier sein muss. Trotzdem geht das Morden weiter. Dann finden sie heraus, dass die Tötung der jungen Magierin Rumour Mills der Auslöser der Mordserie zu sein scheint. Aber wie hängt alles zusammen? Die Ermittlungen stagnieren. Da erreicht sie eine Botschaft von Ersatz ...

Als echter Fan der Serie um Skulduggery Pleasant und Walküre Unruh von Beginn an, war der neueste Band „Nur Mord im Kopf“ Pflichtlektüre für mich. Wenn nur alle Pflichten derart angenehm wären! Autor Derek Landy hat mich mal wieder überrascht. Gegen Ende der zweiten Staffel fragte ich mich gelegentlich, warum sich die Serie so weit von ihren Anfängen entfernt hat. Ich zweifelte. Dann wurde die dritte Staffel angekündigt. Und schon nach den ersten Seiten des aktuellen Buches konnte ich aufatmen. Ich habe Band 16 in kürzester Zeit verschlungen.

Derek Landys Schreibstil überzeugt mich seit dem ersten Band dieser Reihe. Bildhaft, locker, mit schwarzem Humor und anscheinend nie versiegender Fantasie ausgestattet, zieht er mich immer schnell in seine Geschichten hinein. Szenen, wie die im Hotel als Skulduggery das reiche Paar verbal daran hindert, mit ihm im selben Lift zu fahren oder Walküres Sprüche wie: „Ich habe soviel Zeit mit dir verbracht, dass ich jetzt ein Reservoir an überschüssiger Albernheit habe, das ich alle paar Tage leeren muss“ erklären, was ich meine. Konstante Spannung, überraschende Wendungen und ein flottes Tempo tun ein Übriges. Das gilt auch für Band 16.

Mein Fazit

Ich bin sehr zufrieden mit dem neuen Band, der sich wieder mehr den Anfängen annähert. Walküre ist keine Nervensäge mehr und Skulduggery ist cool und super intelligent wie gewohnt. Sein Hang zu fragwürdigem Wissen - ehrlich, wer interessiert sich für Türklinken oder Spezifika der Zahl 34 - hat sich eher verstärkt. Brillant löst er in Windeseile jedes noch so komplizierte Rätsel, das Ersatz ihm stellt. Und jetzt hat er sogar ein süßes Geheimnis. Winter/Alison hat sich weiterentwickelt und gesteht sich ein, dass sie ihre Schwester bei aller Liebe auch ein klein wenig hasst. Was bleibt ihr noch zu tun, nachdem Walküre wiederholt die Welt gerettet hat? Sie kocht ihr eigenes Süppchen. Wohin das wohl führt?

Erfreut durfte ich miterleben, dass verloren geglaubte Personen aus früheren Bänden wieder auftauchen. Einer der wenigen neuen Charaktere, der lang genug lebt, um in Erinnerung zu bleiben ist Sexy. Sexy Whitlock, äußerst gutaussehend, dumm wie Stroh, ichbezogener als Fletcher jemals war, nerviger als ein Schwarm Stechmücken – man muss ihn einfach gern haben. Hoffentlich bleibt uns der Experte für Feuchtigkeitscremes erhalten. Selten habe ich so dämliche Kommentare wie seine gelesen – einfach köstlich.

Der Fall erweist sich als vielschichtig – im eigentlichen Sinn des Wortes. Doch unseren Detektiven gelingt, es bis zum Kern vorzudringen. Der Fall wird zu meiner Zufriedenheit gelöst und ganz nebenbei ergibt sich genügend Material für weitere Ermittlungen. Wie immer endet das Buch mit einem fiesen Cliffhanger. Was soll’ s? Ich freue mich schon auf den nächsten Band.

Volle Punktzahlung und dringende Leseempfehlung für alle, die das Genre schätzen.

Bewertung vom 22.11.2024
Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes
Becker, Giulia

Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anderes


ausgezeichnet

Was lehrt mich ein 165 Millionen Jahre altes tibetisches Laubmoos ohne Hobby, das untätig im Himalaya herumlungert?

Kürzlich las ich ein Interview mit Giulia Becker. Darin schlug sie vor, in Deutschland Humor als Schulfach einzuführen. Mit ihrer Sammlung von Kurzgeschichten, Gedankenspielen, Selbsttests „Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anders“ hat sie bereits ein Lehrbuch für dieses fiktive Fach geliefert.

Es ist das erste Buch von Giulia Becker, das ich gelesen habe. Bisher kannte ich sie nur von ihrem Podcast und aus dem Fernsehen. Aber es wird nicht das letzte bleiben. Ich habe mich gut amüsiert, obwohl der Humor der Autorin eher mit dem Säbel als dem Florett vergleichbar ist.

Bist du ein potenzieller Serienmörder oder machst du dir Gedanken darüber, wie du am liebsten sterben willst (Totlachen, weil ein Hund in Sandalen den Moonwalk macht) und woran besser nicht (Verdursten, weil nur Eistee zur Verfügung steht)? Fährt, wenn du müde bist, ein Rauhaardackel mit Latzhose Rhönrad in deinem Kopf oder lässt du dich lieber über Nacht im MediaMarkt einschließen? Wenn ja oder falls dir diese Ideen durchaus nicht fremd sind, bist du hier richtig. Es ist offensichtlich, dass die Autorin das Absurde liebt und speziell Alltagssituationen ihre Fantasie befeuern. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie oft nur überzeichnet, was sie beobachtet oder erlebt hat. Ihre Geschichten aber einen wahren Kern haben.

Mein Fazit

Mit ihren skurrilen Einfällen brachte mich Giulia Becker wiederholt zum Schmunzeln und Lachen. Ich schätze es sehr, dass sie für ihre Art von Humor keine Witze auf Kosten anderer benötigt. Wer mal eine Pause von der politischen Lage, Umweltproblemen und anderen Katastrophen machen will, ist mit „Wenn ich nicht Urlaub mache, macht es jemand anders“ bestens versorgt. Auch als Geschenk oder kleine Aufmunterung kann ich mir das Buch gut vorstellen. Mir hat es gefallen, ganz ohne Bedeutungsschwere oder höheren Zweck einfach zu lachen und eine gute Zeit zu verbringen.

Das Buch spielt in einer eigenen Liga: Gute-Laune-Wohlfühlbuch mit Lachgarantie für alle, die Giulia Beckers Humor mögen oder sich darauf einlassen können.

Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.11.2024
BOX - Nimm dich in Acht vor dieser KI
Linell, Alexa

BOX - Nimm dich in Acht vor dieser KI


ausgezeichnet

Rachefeldzug oder späte Reue?

Veda kann nicht glauben, dass ihr Ex-Freund Danilo Selbstmord begangen hat. Damit steht sie nicht allein. Auf seiner Beerdigung trifft sie ehemalige Kommilitonen, die ihre Zweifel teilen. Ralph, der jüngere Bruder des Verstorbenen, kontaktiert Veda, weil Danilo geheimnisvolle Unterlagen für sie hinterlassen hat. Zweifelnd erklärt sie sich bereit, die mysteriösen Dokumente anzusehen und löst damit eine Kette von Ereignissen aus. Zusammen mit ihrem besten Freund Philipp und der Polizistin Talli versucht sie, das Rätsel um Danilos Tod zu lösen.

„Box – Nimm dich in Acht vor dieser KI“ ist mein erstes Buch von Alexa Linell. Neugierig hat mich ihre Biografie gemacht. Jurastudium und Tätigkeit in der Rechtsmedizin, wenn das keine idealen Voraussetzungen für einen guten Thriller sind.

Die Charaktere sind in Haupt- und Nebenrollen stimmig. Veda war mir von Anfang an sehr sympathisch. Mit ihren Vorlieben und kleinen Schrullen wirkt sie sehr authentisch. Obwohl sie grundsätzlich weiß, was sie kann, lässt sie sich andrerseits leicht verunsichern. Ihr bester Freund Philipp leidet nicht unter diesem Problem. Sehr selbstbewusst und ordnungsliebend, verkörpert er den erfolgreichen jungen Anwalt, ohne überheblich zu sein. Talli, die Kriminaloberkommissarin, die gegen ihren Willen von der Mordkommission in die Abteilung organisierte Kriminalität versetzt wurde, stößt erst im zweiten Drittel des Buches zum recherchierenden Duo. Und mit ihr, die zunächst undurchsichtig wirkt, nimmt die Geschichte an Tempo und Spannung zu.

„Er hat an den Professoren geklebt wie Naturkaugummi“ oder „wenn sie nicht so ein Besen wäre, täte sie Veda leid“ - Alexa Linells lockerer Stil gefällt mir. Sie schreibt klar und anschaulich. Als es um die KI geht, erklärt sie dieses komplizierte Thema so verständlich, dass auch ein Technik-Muffel wie ich, daraus schlau wurde.

Die Spannung steigt nach einem verhaltenen Start kontinuierlich an. Dazu tragen die kurzen Kapitel aus der Sicht von ehemaligen (?) Straftätern und attackierten Personen entscheidend bei. Ereignisse, wie Philipps kurzzeitig blockierter Tesla oder unerklärliche Unfälle, verstärken die bedrohliche Stimmung.

Mein Fazit:

KI und neue Medien liegen derzeit im Trend. Ob ihr Nutzen oder mögliche Gefahren überwiegen, ist eine Frage, auf die es noch keine abschließende Antwort gibt. In Alexa Linells Thriller spielt diese Diskussion eine große Rolle. Neben den moralischen Fragen, ob Selbstjustiz und Rache ein ordentliches Gerichtsverfahren ersetzen sollten oder wie neutral eine von Menschen programmierte und mit Daten versorgte KI agiert. Obwohl es für mich mit der Zeit voraussehbar war, wer hinter der Verschwörung steckt, blieb für mich die Spannung erhalten. Ich wollte unbedingt, das Wie und Warum erklärt haben. Die Lösung und die daraus resultierenden (Nicht-) Folgen waren für mich nachvollziehbar und logisch.

Eine kleine Kritik am Rande: Die häufige Thematisierung von Vedas Verzicht auf ihr zweites Staatsexamen. Da wäre weniger mehr gewesen. Insgesamt wurde ich gut unterhalten und habe beunruhigendes Neues erfahren.

Von mir 4,5 von 5 möglichen Sternen und eine Leseempfehlung an alle, die sich für KI und Justiz interessieren.

Nach dem Lesen dieses Thrillers würde ich Einsteins Zitat modifizieren: „Nicht nur die Dummheit, sondern auch die Hybris (mancher) Menschen ist unendlich“.

Bewertung vom 18.11.2024
Der König
Nesbø, Jo

Der König


ausgezeichnet

Es kann nur einen geben

Carl und Roy Opgard sind ein Brüderpaar, das in Os, einem Dorf in Nordnorwegen lebt und arbeitet. Während Carl ein florierendes Spa-Hotel betreibt, ist Roy der Besitzer der örtlichen Tankstelle und der Kneipe „Freier Fall“. Carl plant, seine Hotelanlage zu vergrößern und sucht Investoren, während Roy vom Bau eines Vergnügungsparks träumt. Diese Pläne drohen zu scheitern, da ein Tunnelbau den Autobahnverlauf ändern soll. Dadurch würden die Touristenströme versiegen und Os wäre wirtschaftlich am Ende.

„Der König“ ist der zweite Band von Jo Nesbø über die Brüder Roy und Carl nach „Ihr Königreich“. Der Roman ist auch ohne Kenntnis des Vorgängers gut lesbar, da Rückblenden erklären, was der Leser wissen sollte.

Roy Opgard als Ich-Erzähler steht im Mittelpunkt des Romans. Sein Bruder und er wollen um jeden Preis verhindern, dass die Autobahn verlegt wird. Der aussichtsreichste Weg dahin, scheint die Sabotage des geologischen Gutachtens für den Tunnelbau zu sein. Denn ohne Tunnel keine neue Autobahn. Während Roy dem zuständigen Geologen ein Angebot macht, dass dieser nicht ablehnen kann, erinnert er sich an ähnliche Ereignisse in der Vergangenheit. Nicht von ungefähr sind die Opgard-Brüder so erfolgreich. Während Carl den charismatischen Sonnyboy mit hochfliegenden Plänen gibt, ist der ältere Roy eher der stille Vollstrecker, der für die Familie auch vor Mord nicht zurückschreckt. Beide werden vom Dorfpolizisten Kurt Olsen verfolgt, der überzeugt ist, dass Roy seinen Vater getötet hat.

Jo Nesbø überzeugt einmal mehr mit seiner klaren Sprache und den lebensnah gezeichneten Charakteren in Haupt- und Nebenrollen. Er beschreibt akribisch das Leben in der tiefen norwegischen Provinz, das so anders verläuft als in Oslo. Überhaupt ist die erzählte Geschichte eher in ruhigen Tönen geschrieben, mit vielen Wendungen, aber ohne pausenlose Action. Hier kommt es auf die Zwischentöne an und die erfordern aufmerksames Lesen. Trotzdem mangelt es nicht an Spannung. Die Besonderheiten des norwegischen Landlebens haben mich fasziniert, z. B. Medikamente in der Tankstelle zu kaufen oder dort Rezepte einzulösen.

Anfänglich hatte ich Probleme in die Geschichte einzutauchen, aber die haben sich schnell gelegt. Es hat mich fasziniert, das Dorf und seine Einwohner so gut kennenzulernen. Was sie antreibt, bewegt. Welche Abgründe in manchen Menschen lauern. Nichts ist hier weiß oder schwarz, die Zwischentöne dominieren. So ist Roy nicht nur der gefühllose Killer, als der er zunächst erscheint. Er besitzt durchaus moralische Werte und kann sich in Menschen hineinversetzen. Lange habe ich mich gefragt, warum er immer noch hinter seinem wenig sympathischen Bruder aufräumt, bzw. die Drecksarbeit übernimmt. Doch letztlich schafft es Carl durch sein Verhalten, dass Roys Loyalität schließlich bröckelt. Es hat mich etwas irritiert, dass mir der scheinbar eiskalte Mörder Roy allmählich sympathisch wurde und ich ihm gegen Ende die Daumen drückte. Eine Meisterleistung des Autors, der eine düstere Stimmung heraufbeschwört und aufzeigt, wie schnell Menschen sich manipulieren oder gar korrumpieren lassen. Die Gewaltbereitschaft Einzelner verbirgt sich nur unter einer hauchdünnen Schicht Zivilisation.

Ich würde „Der König“ zu gleichen Teilen als Gesellschafts- und Kriminalroman bezeichnen. Nach kurzem anfänglichen Zögern hat mich die Geschichte eingefangen und nicht mehr losgelassen. Ich wurde sehr gut unterhalten. Vielleicht ist „Der König“ kein typischer Nesbø, aber wieder brillant erzählt. So war es doch ein Glücksfall für uns Leser, dass der Autor seinen Traum, Profi-Fußballer zu werden, nicht realisiert hat.

Ich gebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung für alle, die, die Verknüpfung von Krimi und Gesellschaftsroman schätzen.

Bewertung vom 16.11.2024
Break the Cycle
Buque, Dr Mariel

Break the Cycle


sehr gut

Wie wirst du ein Cycle-Breaker?
Ein Podcast über Transgenerationale Traumatisierung weckte mein Interesse am Thema. Auf der Suche nach einer Einführung in Buchform entdeckte ich „Break the Cycle“ von Dr. Mariel Buqué. Zunächst hat das grüne Cover meinen Blick angezogen. Bei genauer Betrachtung entdeckte ich den Kreis aus Blättern in allen Laubfarben – von Frühlingsgrün bis zu herbstlichem Braun. An einer Stelle ist der Kreis durchbrochen … Das ansprechende Cover erklärt damit das Thema des Buches in einem Bild.

Dr. Mariel Buqué, US-Amerikanerin mit dominikanischen Wurzeln, studierte Psychologie an der Columbia Universität, New York. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf der Behandlung generationenübergreifender Traumata. Sie verfolgt dabei einen ganzheitlichen Ansatz, der Geist, Körper und Seele berücksichtigt. Wie es dazu kam, erläutert sie anhand ihrer eigenen Biografie.

Der Ratgeber ist in drei Teile gegliedert. Darin gelingt es der Autorin überzeugend darzulegen, worum es sich bei dem Titel gebenden (Teufels-) Kreis handelt, wie er entsteht und wie er zu durchbrechen ist.

Teil 1: Was du geerbt hast.

Teil 2: Die Schichten des Traumas

Teil 3: Die Transformation deines Erbes

Mir gefällt, dass die Autorin uns nicht nur die Theorie des Themenkomplexes generationsübergreifende Traumata erklärt. Vielmehr hilft sie uns auch, das neue Wissen in unser Leben einzubringen. Dazu dienen Übungen, ein Resümee des Gelernten und vertiefende Fragen an den jeweiligen Kapitelenden. Ein weiteres Hilfsmittel gibt uns Dr. Buqué mit den Klangbad-Meditationen im Anhang.

Angenehm ist der Umgangston der Autorin. Niemals herablassend, kein erhobener Zeigefinger, sondern freundliche Anrede, ohne Anbiederung. Sie macht ihren Lesern Mut, ohne Wunder zu versprechen. Vielmehr verweist sie auf die Beharrlichkeit, Geduld und Arbeit, die eine dauerhafte Transformation voraussetzt.

„Break the cycle“ verbindet in vorbildlicher Weise Information, Erklärung und Methoden zur Selbsthilfe. Das Buch sehe ich als Einstieg ins Thema und eine gute Möglichkeit auszuprobieren, inwiefern es den Leser anspricht.

Wer dagegen ernsthafte Probleme hat, sollte nicht zögern, sich professionelle Hilfe zu holen. Darauf verweist auch Dr. Buqué bereits am Anfang ihres Buches und nennt entsprechende Kontaktmöglichkeiten.

Eine kritische Bemerkung muss noch sein: Die häufige Wiederholung des Wortes „generationsübergreifend“ erschwert das Lesen ungemein. Auf mancher Seite wird der Begriff bis zu siebenmal genannt. Das ist ätzend.

Das Schlusswort überlasse ich Dr. Buqué: „Wir tragen ein generationsübergreifendes Trauma in uns, aber wir tragen auch eine generationsübergreifende Resilienz in uns.“

Bewertung vom 15.11.2024
KillerBells
Waltz, Franziska; Schönhofer, Claus; Peter, Norbert

KillerBells


sehr gut

Wenn Weihnachtsglocken schaurig erklingen

Was für ein perfektes Cover! Selten hat mir ein Buch auf den ersten Blick so gut gefallen, wie „KillerBells“. Dieser Weihnachtsbaum des Grauens verkörpert eine etwas andere Deko für das Fest des Jahres. Dasselbe gilt auch für den Inhalt des Buches: „Weihnachtliche Mordsgeschichten“, so der Untertitel. Klingt vielversprechend.

Drei Autoren hatten beim gemütlichen Kaffeeplausch eine Idee. Schreiben wir doch mal andere Weihnachtsgeschichten als üblich. Gesagt, getan. Jeder steuerte drei Kurzgeschichten bei und das Ergebnis war „KillerBells“. Zugegeben, diese Episode habe ich frei erfunden. Aber so könnte es gewesen sein. Wie gut hat die Zusammenarbeit funktioniert?

Eigentlich bin ich keine große Freundin von Kurzgeschichten. Kaum hat man sich auf einen Schreiber eingelassen, schon kommt der nächste, um es salopp auszudrücken. Die Beschränkung auf drei Autoren für neun Geschichten erweist sich für mich als wohltuender Kompromiss. Einerseits nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Abwechslung. Die drei Schriftsteller unterscheiden sich deutlich. Dem Leser fällt es leicht sie zu identifizieren, so divers sind Stil, Humor und Syntax.

Ob ein zusätzlicher Schneemann oder ein fragwürdiges Geschenk unterm Weihnachtsbaum, die Kurzgeschichten sind originell, abwechslungsreich und nicht allzu blutig. Meine beiden Favoriten, die nicht verraten werden, stammen von zwei verschiedenen Erzählern. Da die Autoren drei echte, also geborene Wiener sind, kann der Leser ganz nebenbei seinen österreichischen Wortschatz erweitern.

Die Protagonisten sind naturgemäß divers. Während ein Autor seine junge Kommissarin gleich in zwei seiner Geschichten auftreten lässt, wechseln ansonsten die Charaktere bezüglich Alter oder Gesellschaftsschicht. Bevorzugt werden Örtlichkeiten, die einen Bezug zum Christfest haben, wie Weihnachtsmärkte oder Winterurlaubsorte. Diese Wechsel sind unterhaltsam und sorgen für anhaltenden Lesespaß. Erfahrenen Krimilesern mag es vielleicht etwas an Spannung mangeln und Fans blutrünstiger Thriller werden nur bedingt auf ihre Kosten kommen. Die weihnachtlichen Mordsgeschichten kommen eher gemächlich daher, was ihren Unterhaltungswert aber nicht schwächt.

Weil er mir wirklich ausgezeichnet gefällt, will ich noch einmal den Christbaum vom Cover erwähnen. Ich wünschte, es gäbe ihn als Weihnachtsposter. Im Buchinneren überraschen weitere gelungene Illustrationen, etwa der Sensenmann als Nikolaus oder ein alternativer Schneemann.

Ich vergebe gute 4 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung für alle, die Spaß an etwas anderen Weihnachtsgeschichten haben. Auch als Geschenk unterm Christbaum oder adventliches Mitbringsel kann ich mir „KillerBells“ sehr gut vorstellen.

Bewertung vom 12.11.2024
Die steinerne Krone
Peinkofer, Michael

Die steinerne Krone


ausgezeichnet

Stauferkaiser Friedrich II. - Das Staunen der Welt

Nach seinem Buch „Barbarossa – Im Schatten des Kaisers“ bleibt Michael Peinkofer den Staufern treu. Sein neuester historischer Roman beschäftigt sich mit Rotbarts Enkel, dem legendären Friedrich II.

Die Erzählung beginnt überraschend 1941. Reichsmarschall Hermann Göring schickt einen Professor für mittelalterliche Geschichte nach Sizilien. Dort soll er Relikte aus der Regentschaft des Staufers am Castel del Monte suchen. Der Historiker findet tatsächlich Manuskripte aus dem Mittelalter und übersetzt diese für seinen Aufpasser. Eingebettet in die Suche nach Material für Nazi-Propaganda, erzählt der Autor die Lebensgeschichte des letzten Stauferkaisers.

Wir schreiben das Jahr 1212. Der junge Friedrich befindet sich auf seinem Zug gen Norden. In der feindlich gesonnenen Lombardei werden der Staufer und seine Begleiter von gegnerischen Soldaten aus Mailand und Lodi überfallen, um den unliebsamen Thronbewerber auszuschalten. Michael Peinkofer schildert uns von diesem Ereignis ausgehend die Lebenschronik des letzten Stauferkaisers so anschaulich und lebendig, dass es dem Leser leicht fällt, in die Erzählung einzutauchen. Dem Autor gelingt es, die beiden Zeitebenen so geschickt zu verknüpfen, dass die Übergänge den Lesefluss nicht behindern. Aus der Perspektive eines geheimnisvollen Erzählers zu berichten, trägt zur Spannung bei.

Zunächst lernen wir den erst 17-jährigen Friedrich kennen. Er fühlt sich dem Vermächtnis der berühmten Vorfahren zeitlebens verpflichtet. Seinem Großvater, dem legendären Barbarossa, gelang die Vereinigung des Normannenreichs mit dem staufischen Imperium. Sein Enkel ist klug, mutig und fähig, anderen zuzuhören. So seinem Ratgeber und väterlichen Freund Berard von Castacca, Erzbischof von Bari, der ihm jahrzehntelang zur Seite steht. Ein weiterer Protagonist ist Parceval Doria, genuesischer Ritter und Dichter, im gleichen Alter wie Friedrich, der ihm ein oft ungestümer, aber wahrer Freund ist. In Deutschland kommt ein weiterer, vielleicht der wichtigste Berater des zukünftigen Kaisers, Hermann von Salza, 4. Hochmeister des Deutschordens, hinzu. Ihm gelingt es wiederholt im Dauerstreit zwischen Kurie und Kaiser zu vermitteln.
Auf der anderen Zeitebene treffen wir nur zwei Protagonisten. Geschichtsprofessor Josef Gruber, ein Kriegsveteran des Ersten Weltkriegs, desillusioniert und sarkastisch und seinen Aufpasser, den schneidigen Oberleutnant Günther Hoffmann. Mich überzeugen die Charaktere auf beiden Zeitebenen.

Michael Peinkofers lebendigen Schreibstil kenne und schätze ich vom Barbarossaband und mehreren Fantasybüchern. Er schreibt sehr anschaulich und lebendig. Geschickt verknüpft er Fakten und Fiktives. Im Nachwort erfährt der Leser, was historisch belegt und was Dichtung ist. Beeindruckt hat mich Peinkofers Aussage, dass Friedrichs andauernder Streit mit der Kurie, zur ersten großen Propagandaschlacht der Geschichte führte. Seine Argumente überzeugen, ebenso der Bezug zur gegenwärtigen politischen Lage.

Naturgemäß bleiben bei einem historischen Roman einige Fragen offen. So sind aus Friedrichs Kindheit und Jugend viele Legenden, die schon seine Geburt begleiten, aber wenig Fakten bekannt. Ob er den oft zitierten "Waisenkinderversuch" jemals durchführen ließ, ist umstritten, da der einzige Chronist, Salimbene von Parma, ein politischer Gegner des Kaisers war. Der in Ungnade gefallene Petrus von Vinea, war er wirklich ein Verräter? Anscheinend war seine Beteiligung am Anschlag auf Friedrich nicht eindeutig beweisbar. Es besteht auch die Möglichkeit, dass er diskreditiert werden sollte.

Mein Fazit:

Für das Geschlecht der Staufer interessiere ich mich schon lange. So kann ich eine Reise zur „Straße der Staufer“ nur empfehlen, vom Wäscherschloss bis zum Kloster Lorch. Mir hat es sehr gefallen bereits den zweiten spannenden Band zu „meinem Thema“ aus Peinkofers Feder zu lesen.
Spannend war zu verfolgen, wie der erst aufgeschlossene, weltoffene, tolerante Taktiker, der eine neue Ordnung schaffen will, mit zunehmendem Alter allmählich seinen Instinkt und sein Verhandlungsgeschick verliert und vermehrt zur Gewalt greift. Bedenkt man, wie sehr sich Friedrich II. seinem Erbe verpflichtet fühlte und was er dessen Erhalt alles opferte, ist es desillusionierend zu erfahren, dass sein Geschlecht nur 18 Jahre nach seinem Tod in direkter Linie endete. Michael Peinkofer hat erneut einen überzeugenden historischen Roman geschrieben, den zu lesen, ich jedem Geschichtsinteressierten nachdrücklich empfehle.

Die Rahmenhandlung finde ich so gut gelungen, dass ich dem Buchcharakter Professor Gruber das hervorragend passende Schlusswort überlasse:

„Wann wohl, so fragte er sich, würde der Mensch damit aufhören, Erze aus dem Boden zu graben und daraus Waffen zu schmieden? Reiche zu erobern, die doch wieder vergingen? Ströme von Blut zu vergießen, um Macht zu behaupten, die so flüchtig und vergänglich war wie die menschliche Natur selbst?“

Bewertung vom 12.11.2024
Verdorbene Saat (Thriller)
Schwarz, Gunnar

Verdorbene Saat (Thriller)


ausgezeichnet

Ich werde nie mehr eine Herbstzeitlose betrachten, ohne Gänsehaut zu bekommen

Köln wird von einer Mordserie erschüttert. Wer ist der grausame Serienkiller, der Frauen lebendig begräbt?

Ein Bernhardiner buddelt die Leiche seines Frauchens im Garten ihres Hauses aus. Offensichtlich wird so das Opfer früher entdeckt als vom Täter geplant. Kriminalhauptkommissarin Katharina, Kat, Winkler übernimmt den Fall. Zur Unterstützung wird ihr Sebastian Fischer, genannt „das Uhrwerk“ zugeteilt. Dieser vermeidet seit Jahren konsequent jeden Außeneinsatz, da er sich die Schuld an der tödlich misslungenen Deeskalation eines Banküberfalls gibt. Die beiden Kriminalbeamten arbeiten nach einem holprigen Start unerwartet gut zusammen. Das erweist sich als Glücksfall, denn der Mörder ist noch lange nicht fertig und schreckt auch vor Anschlägen auf die Polizei nicht zurück. Sein nächstes Opfer hat er längst gefunden.

„Verdorbene Saat“ ist mein erstes Buch vom Thriller-Autor Gunnar Schwarz. Das schaurig-schöne Cover hat meine Aufmerksamkeit erregt und auch der Titel machte mich neugierig.

Kat Winkler war mir von Beginn an sympathisch. Eine ziemlich unkonventionelle Kommissarin mit tadelloser Einstellung zu ihrer fordernden Arbeit. Ihre kleinen Eigenheiten, sie zeichnet detaillierte Skizzen zu jedem Fall und pflegt ein geordnetes Chaos in ihrem Büro, machen sie nur noch authentischer. Ihr Gegenpart Sebastian Fischer ist dagegen perfekt durchorganisiert und ein Muster an Effektivität. Die beiden Ermittler sind sehr verschieden, teilen sich aber ihre vorbildliche Einstellung zur Arbeit. Es ist spannend zu beobachten, wie sie sich allmählich zusammenraufen und gerade aufgrund ihrer Eigenheiten zum perfekten Team reifen. Der Täter ist naturgemäß sehr speziell. Narzisstisch, überheblich, arrogant, intelligent, eiskalt, frei von Empathie, dazu sehr gerissen. Auch die Nebencharaktere wirken glaubwürdig.

Ich bin schnell in die Geschichte hineingekommen. Die kurzen Kapitel und der klare, fast nüchterne Schreibstil sorgen für ein gutes Tempo. Der Spannungsbogen passt und hält, dank zahlreicher Wendungen und Verwicklungen. Es hat mir gut gefallen, die akribische Ermittlungsarbeit Kats und ihres Teams zu beobachten. So war die Vorgehensweise der Kripo immer nachvollziehbar. Der Autor beschreibt die Innenwelt des Serienkillers unheimlich gut. Die Einblicke in seine Gedanken waren, naturgemäß, verstörend. Mit seinen bizarren Ritualen sorgte der Mörder für Gänsehaut bei mir. Die Kapitel aus seiner Perspektive erhöhen die Spannung und sorgen für zusätzlichen Grusel.

Die Ausführungen der Wissenschaftlerin im Botanischen Institut rund um die Herbstzeitlose fand ich sehr aufschlussreich und informativ. Hier wird die gründliche Recherche des Autors gut spürbar. Besonders stimmig fand ich die einfühlsame Beschreibung des verstörenden Trauerverhaltens vom Ehemann des ersten aufgefundenen Opfers.

„Verdorbene Saat“ hat mich sehr gut unterhalten. Ich konnte das Buch fast nicht aus der Hand legen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Das hat mich selbst verblüfft, da ich eigentlich Krimis bevorzuge, weil mir Thriller oft zu grausam sind. Im vorliegenden Fall überwog aber meine Neugier das Grauen. Dem Autor ist es gelungen, mich derart zu fesseln, dass ich mit den brutalen Szenen und Gewalttaten gut zurechtgekommen bin. Dazu beigetragen hat das sympathische Ermittlerduo, das den Fall der Herbstzeitlosen-Mordserie zu meiner vollen Zufriedenheit löst. Lediglich zum Täter hätte ich noch ein, zwei offene Fragen.

Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung an alle, die spannende Thriller schätzen.

Bewertung vom 10.11.2024
Gefährliche Betrachtungen
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


ausgezeichnet

Thomas Mann war verdammt cool. Bis auf die Strumpfhalter ...

Der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris hat einen Traum. Er möchte die „Buddenbrooks“, Thomas Manns preisgekrönten Gesellschaftsroman, in die litauische Sprache übersetzen. Dank zäher Beharrlichkeit kann er einen glücklichen Zufall nutzen und sein Idol kennenlernen. Ungewollt bringt Miuleris den Dichter jedoch in große Gefahr.

1930. Es herrschen unruhige Zeiten. In Deutschland droht der Zusammenbruch der Weimarer Republik und das braune Schreckgespenst erhebt bereits sein Haupt. Selbst hier an Thomas Manns Zufluchtsort Nidden führen die jungen Männer Wehrübungen durch und verwenden den Hitlergruß. In dieser Situation begegnen sich der Literaturnobelpreisträger und der junge litauische Übersetzer. Aufgerüttelt durch die jüngsten Ereignisse, hat sich Thomas Mann entschlossen, die deutsche Bevölkerung vor der Bedrohung durch die Nationalsozialisten zu warnen. Durch einen Zufall erhält Miuleris Kenntnis davon und fertigt eine Abschrift des Redeentwurfs an. Während einer Wirtshausschlägerei kommt ihm die Kopie abhanden und er muss Thomas Mann seine gefährliche Unbesonnenheit eingestehen. Notgedrungen beschließen die beiden Männer, den Dieb zu entlarven und den brisanten Text zu sichern.

„Gefährliche Begegnungen“ ist mein erstes Buch des Autors Tilo Eckardt. Das Cover trug zur Entscheidung für das Buch bei. Ein Mann im Anzug, mit Hut und Stock, Thomas Mann, steht an einem verlassenen Strand und blickt hinaus aufs Meer. Was sieht er? Ausschlaggebend war aber der Plot, mit dem hatte der Autor mich sofort in der Tasche. Thomas Mann auf den Spuren Sherlock Holmes? Das konnte ich mir nicht entgehen lassen.

Tilo Eckardt verleiht seinen Haupt- und Nebencharakteren Individualität und Glaubwürdigkeit. Der junge Übersetzer Žydrūnas, der beharrlich sein Ziel verfolgt und mit seiner Unbesonnenheit das Team Mann/Miuleris bzw. Müller in manche groteske Situation bringt, der erfolgreiche, komplizierte Schriftsteller, der sich Gesichter aber keine Namen merken kann und aus Miuleris kurzerhand Müller macht, die tatkräftige, patente Pensionswirtin Frau Bryl, die dem naiven Miuleris mehr als einmal hilft, der knorrige Fischer und Kutscher Pinkis, die illustre Trinkgemeinschaft im Gasthof Blode um Ernst Mollenhauer und Max Pechstein. Nicht zu vergessen Ludvik, den riesigen Kaukasischen Owtscharka, dessen Namen sich Thomas Mann durchaus merken kann, wie Miuleris angesäuert mitteilt.

Tilo Eckardt passt seinen Schreibstil der Sprache der 1930er Jahre an, was die Erzählung noch authentischer wirken lässt. Ihm gelingt es, die Atmosphäre jener Zeit wieder aufleben zu lassen und mit dem Leser in die Vergangenheit zu reisen. Mit seiner bildhaften Sprache beschreibt er die beeindruckende Landschaft der Kurischen Nehrung, die eine Hauptrolle in der Geschichte übernimmt. Seine Naturbeobachtungen kann der Autor wirklich gut in Sprache übersetzen, allerdings war es mir manchmal ein bisschen viel Landschaft. An Humor mangelt es ihm auch nicht, was der Titel meiner Rezension beweist. So beschreibt Miuleris sein Idol beim ersten Zusammentreffen am Strand.

Die Idee, die Geschichte aus der Sicht des über Hundertjährigen Miuleris zu erzählen, erweist sich als sehr gelungen. Augenzwinkernd merkt dieser an, dass er keine nachweisbare Spur im Leben Thomas Manns hinterlassen habe. Es bleibt dem Leser überlassen, zu entscheiden, was Fiktion und was Fakt ist. Die Rede, deren gestohlenes Manuskript den Ausgangspunkt des Kriminalfalls darstellt, hat Thomas Mann tatsächlich gehalten am 17. Oktober 1930 in Berlin. Sein Sommerhaus auf der Kurischen Nehrung dient heute als litauisch-deutsches Kulturzentrum. Im lesenswerten Nachwort gibt der Autor Auskunft darüber, was historisch belegt ist und was fiktiv. Leider entspricht das Schlusswort, das er Thomas Mann überlässt, damals wie heute der Wahrheit.

Mein Fazit:

Tilo Eckardt hat mit „Gefährliche Betrachtungen“ einen Roman geschrieben, dessen Plot mich sofort angesprochen und meine Erwartungen voll erfüllt hat. Die Erzählung ist mehr eine Hommage an Thomas Mann als ein spannender Krimi, Trotzdem hat das Detektivteam Mann & Müller durchaus Potenzial. Gut gefallen haben mir auch die Einblicke in die Denkweise eines Übersetzers. In seinen Rückblicken deutet Miuleris wiederholt an, dass es noch mehr zu erzählen gebe, bspw. angesichts der rauchenden Ruinen von Frau Bryls Villa Bernstein. Auf diese Fortsetzung, die der Autor gerade schreibt, bin ich schon sehr gespannt.


Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung an alle, die eine Erzählung mit gemächlichem Tempo genießen können.