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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
EmiliAna
Wohnort: 
Fulda

Bewertungen

Insgesamt 54 Bewertungen
Bewertung vom 18.10.2017
Die Mutter meiner Mutter
Rennefanz, Sabine

Die Mutter meiner Mutter


sehr gut

Sabine Rennefanz erzählt die Geschichte ihrer Großmutter Anna, die nach dem Krieg als Heimatvertriebene in einem kleinen Ort in der sowjetischen Besatzungszone landet, den sie nie mehr verlassen sollte, obwohl er ihr zu keinem Zeitpunkt ihres Lebens zur Heimat wurde.
Die Enkelin erinnert sich an die Großmutter als harte Frau, die nie Nähe zuließ, und von ihrer Mutter, Annas Tochter, weiß sie, dass sie auch als Mutter nicht dem landläufigen Ideal entsprach, denn sie schlief gerne lange, kochte nicht für ihre Kinder und ließ sie nicht selten schmutzig zur Schule gehen. Das Verhältnis zu ihr blieb distanziert!
Der Großvater jedoch, Annas Mann, treusorgend er, wurde nicht nur von seinen Töchtern verehrt sondern auch die Enkelin hat ihn in liebevoller Erinnerung. Bis eines Tages, bereits nachdem der Großvater gestorben war, der Mutter der Autorin Ungeheuerliches über den geliebten Vater zu Ohren kommt, das sie sehr zögerlich mit ihrer Tochter teilt und das diese die Vergangenheit der Großeltern in einem neuen, verstörenden Licht sehen lässt...

So steht also ein Familiengeheimnis im Mittelpunkt der Geschichte, dem die Autorin langsam auf den Grund kommt.
Auf ihrer Spurensuche lernt sie mehr über ihre Großeltern, vor allem über ihre Großmutter, die ihrer Familie so fern und doch auf seltsame Art eine verlässliche Konstante in ihrer aller Leben war, da sie einfach immer da war.
Sabine Rennefanz erfährt von Annas Jugendzeit im heutigen Polen, von der Vertreibung der deutschstämmigen Bevölkerung am Ende des Krieges, zu der auch Annas Familie gehörte, von den ersten Jahren in dem Dorf, in das es die Großmutter, ihre Stiefmutter und zwei kleine Brüder verschlagen hatte und in dem sie sich, erst vierzehnjährig, als schwerarbeitende Magd verdingen musste.
Und schließlich erfährt die Autorin auch den Grund für das merkwürdig distanzierte Verhältnis der Großeltern, für ihre von gegenseitiger Abneigung, ja sogar von Hass geprägten Ehe.

Doch gleichzeitig nähert sie sich der Großmutter an, die sie neu kennen- und immer besser verstehen lernt, je mehr Einzelheiten aus ihrem Leben und dem unaussprechlichen Vorfall zwischen den Großeltern ans Tageslicht kommen.
Es handelt sich dabei um eine Gewalttat, die beim Leser sicherlich eine Menge Fragen aufwirft und auch Unverständnis hervorrufen mag.
Wie konnte dieses Unrecht so lange vertuscht werden, wie konnte es ohne Folgen bleiben für den Schuldigen? Die Antwort ist so unspektakulär wie auf der Hand liegend und erklärt sich aus der Zeit vor 70 Jahren, als noch andere Moralvorstellungen herrschten als heute, als die Menschen, die während des Krieges und auch danach vielfach dem Tod entronnen waren, weit Schlimmeres erlebt hatten und in der das Überleben an sich wichtig war.
Zudem war Anna ein ungeliebter Flüchtling, ohnehin von den Dorfbewohnern misstrauisch beäugt. Wer hätte ihr geglaubt, wär hätte ihre Partei ergriffen?

Anna, das Opfer, hat nach der Vergewaltigung einfach alle Hoffnungen auf einen Neuanfang, auf ein besseres Leben begraben, hat sich zurückgezogen in ihre eigene Welt, schweigsam, unnahbar und ließ dadurch zu, dass ihr Erlebnis Schatten auch auf ihre Nachkommen warf, die von immer wiederkehrenden Ängsten geplagt werden, ja sogar die gleichen Albträumen haben.
Und erst gegen Ende ihres Lebens, nachdem die Wahrheit ans Tageslicht gekommen ist und die Großmutter ihre verlorene Heimat noch einmal wiedersieht, weicht der harte Panzer auf, wird die Großmutter zugänglich und so mitteilsam, wie sie es nie zuvor gewesen ist....

All dies erzählt Sabine Rennefanz in ruhiger, unaufdringlicher, undramatischer Sprache - ein Stück Gegenwartsgeschichte, deren Erinnerung es zu bewahren und auch in den folgenden Generationen aufzuarbeiten gilt.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2017
Die Melodie meines Lebens
Laurain, Antoine

Die Melodie meines Lebens


ausgezeichnet

Alain, Stanislas, Sebastien, Frederic, Pierre, JBM und Berangere hatten große Träume im Paris der 80er Jahre! Sie wollten mit ihrer Band [i]Hologrammes[/i] berühmt werden und die Konzertsäle auf der ganzen Welt erobern. Doch es kam anders.
Nachdem auf ihre Bewerbung bei einer großen Plattenfirma nie eine Antwort kam, zerfielen ihre Träume langsam zu Staub und sie gingen auseinander.
Den meisten von ihnen begegnen wir mehr als dreißig Jahre später wieder, als sich nämlich etwas Unerhörtes ereignet: Alain, inzwischen ein einigermaßen desillusionierter Arzt, im täglichen Einerlei steckengeblieben, erhält nämlich, sehr verspätet, die Antwort jener Plattenfirma, die die Band zu Probeaufnahmen eingeladen hatte! Wie konnte das geschehen?
Nun, der Brief war ganz banal auf der Poststation verlorengegangen - um nach langen Jahren bei Umbaumaßnahmen doch noch aufzutauchen. Von Stund an ist für Alain nichts mehr so, wie es war. Er erinnert sich alter Zeiten, alter Träume - und beschließt, die Freunde von einst aufzusuchen, um sein Wissen um die vertanen Möglichkeiten mit ihnen zu teilen.
Aber auch für die anderen Bandmitglieder ist die Zeit nicht stehengeblieben, - und auf seiner Reise in die Vergangenheit erlebt Alain nicht nur manch Unerwartetes, sondern er darf am Ende sogar feststellen, dass trotz aller vermeintlich verpasster Chancen das Leben noch immer gut ist für Überraschungen, die sein eigenes und das Leben seiner Freunde von damals in neue Bahnen lenken werden...

"Laurains Humor und sein Sinn für Melancholie sind unvergleichlich. Wäre der Roman nicht so komisch, würde man schluchzen ob all der verpassten Möglichkeiten". So äußert sich "Le Figaro" zu dem Roman des Franzosen Alain Laurain.
Nachdem ich die Geschichte zum ersten Mal gelesen hatte, stellte ich fest, dass ich "Le Figaros" Einschätzung zunächst nicht teilen konnte, zumal ich sie ganz und gar nicht komisch und auch nicht melancholisch fand. Ich mutmaße, dass der Grund dafür in der Art und Weise zu suchen ist, auf die französische Autoren Romane schreiben, und dass mir ihr Charme nicht leicht zugängig ist. Auch mit den Protagonisten konnte ich nur wenig anfangen, sowohl ihre Verhaltensweisen als auch ihre Lebensart erschienen mir fremd, sperrig, unverständlich und überhaupt nicht nachvollziehbar.

Doch begann, weit nach der Hälfte des Buches, der Schleier sich zu lichten und ich bekam ein Gefühl für die Geschichte. So entschloss ich mich, sie ein zweites Mal zu lesen - und siehe da, ich war plötzlich eingefangen in dem Gespinst von zerborstenen Träumen, das Alain Laurain hier gewebt hat, mit federleichter Hand, mit feinem Humor, der, wie ich mutmaße, typisch französisch ist und, ja, mit eben jener, von "Le Figaro" zitierten Melancholie.
Die vorher verschwommenen Akteure nahmen Kontur an, ließen mich ihre Sehnsüchte, ihre Trauer, ihren Lebensüberdruss und Zynismus, aber auch ihren Pragmatismus spüren, mit denen sie nach dem Ende ihres Traums von Ruhm und Ehre entweder scheiterten oder aber ein ganz anderes Leben aufgebaut haben, in dem die meisten von ihnen am Ende des Romans auch zuhause sind.

Eine irreale Geschichte? Ganz bestimmt! Ein Roman mit märchenhaften Zügen über Scheitern, Verzagen, Aufgeben und Weitermachen - über dem eine ganz bestimmte Melodie schwebt, die nämlich des einen Liedes, das Alain sein Leben lang verfolgt hat und das der Band zum Welterfolg hätte verhelfen können!
Oder vielleicht doch nicht! Dies herauszufinden bleibt jedem Leser des Buches, das vielleicht erst auf den zweiten Blick, aber dann um so nachdrücklicher verzaubert, selbst überlassen....

Bewertung vom 09.10.2017
Teufelskatz / Frau Merkel Bd.2
Panizza, Kaspar

Teufelskatz / Frau Merkel Bd.2


ausgezeichnet

Ein ehemaliger Pfarrer wird ermordet. Kurz vor seinem Tod hatte er sich mit einigen hohen Kirchenvertretern in Verbindung gesetzt, weil ihm Informationen zu Ohren gekommen waren, die einen bislang vertuschten Fall von Kindesmissbrauch aufzudecken drohten, der sich vor rund dreißig Jahren in einem Augsburger Jungeninternat zugetragen hatte und im Zuge dessen zwei als Selbstmorde getarnte Morde verübt wurden.
Der Mord an dem ehemaligen Geistlichen ruft Kommissar Steinböck auf den Plan, einen recht ungewöhnlichen Ermittler, der von seiner Katze mit dem schönen Namen Frau Merkel begleitet wird, mit der er regen Gedankenaustausch pflegt.
Zusammen mit seinen bewährten und nicht minder ungewöhnlichen Mitarbeitern Ilona Hassleitner und Emil Mayer jr. und der ewig dazwischenfunkenden Reporterin Sabine Husup kommt Steinböck einer ungeheuerlichen Sache auf die Spur, bei der er mehr als einmal in dem üblichen Sumpf von Klüngel- und Vetternwirtschaft steckenbleibt, bis es ihm dennoch gelingt, Licht in diesen scheinbar unauflöslichen Wirrwarr zu bringen...

Für seinen zweiten Krimi um das Ermittlergespann Steinböck und dessen schwarze Katze mit dem sprechenden Namen Frau Merkel hat sich Kaspar Panizza eine Thematik ausgesucht, die auch harte Gemüter zum Schaudern bringen kann: sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, dessen Aufdeckung durch eine Reihe von Morden verhindert werden soll. Ein Thema, das per se abstößt und vielleicht nur so zu ertragen ist, wie der Autor es uns darbietet: verpackt nämlich in eine aberwitzige, oftmals surreale Rahmenhandlung, in der Klamauk eine wichtige Rolle spielt, die vor Wortwitz nur so sprüht und bei der man aus dem Lachen kaum herauskommt.

Da folgen wir einem Kommissar, der zwar das Herz auf dem rechten Fleck hat, aber eine Anzahl von Marotten sein eigen nennt, unter denen die verbale Kommunikation mit seiner respektlosen, spöttischen und schlagfertigen schwarzen Katze, die vielleicht seltsamste ist. Desweiteren begegnen wir Menschen, die mit Nudelsieben auf dem Kopf herumlaufen und sich so äußerlich zum Kult der Pastafari, der Anhänger des fliegenden Spaghettimonsters bekennen. Und den es, so erfährt man durch Google, sofern man es nicht schon wusste, tatsächlich gibt und der in dem Krimi für slapstickreiche Szenen sorgt. Wir lernen darüberhinaus einen Polizeipsychologen kennen, der reif für seine eigene Couch ist, undurchsichtige, zwielichtige oder halbdemente Kirchenvertreter, schleimige Politiker, originelle Münchner Typen, denen der Kommissar auf der Straße begegnet und, um das Maß vollzumachen, eine Gruppe von japanischen Kriminalisten, die sämtliche Stereotypen erfüllen und dennoch, oder gerade deswegen, die Lachmuskeln strapazieren.

Funktioniert das, habe ich mich während des Lesens immer wieder gefragt? Wie geht das - Klamauk und bierernstes Thema in einem?
Wie auch immer Kaspar Panizza es geschafft haben mag - es funktioniert hervorragend! Nie verliert er das Verbrechen aus den Augen, das er durch die unkonventionellen, aber dennoch überaus cleveren Ermittler aufdecken lässt. Immer auch gelingt es ihm, den Leser zu erschüttern - um ihn dann, quasi als Ausgleich für so viel Böses, mit einer weiteren skurrilen Einlage zu erfreuen, die Lust auf mehr macht, auf viel mehr aus der Feder von Kaspar Panizza!

Und so kann ich natürlich nicht umhin, jedem Krimileser mit viel Sinn für Humor die Teufelskatz aufs Wärmste zu empfehlen!

Bewertung vom 09.10.2017
Frostkalt
Skalecki, Liliane;Rist, Biggi

Frostkalt


ausgezeichnet

Heiner Hölzle, der schwäbische Kommissar, den es nach Bremen verschlagen hat, ermittelt wieder - sehr zur Freude seiner Fangemeinde!

Diesmal bekommt er es mit einem verzwickten Mordfall zu tun, der ihm einen unwillkommenen Einblick in von außen scheinbar heile, im Innern jedoch verrottete Familienstrukturen vermittelt. Und das in der besinnlichen Adventszeit!
So müssen Hölzle und seine bewährten Mitarbeiter nicht nur den Mord an einem nicht ganz so rechtschaffenen Bäckermeister, für den eine Reihe Verdächtiger ohne Alibi in Frage kommen, lösen, sondern sie werden auch konfrontiert mit dem Fall eines ausgesetzten Neugeborenen und schließlich gar noch mit einem zweiten Mord.
Als am Ende eine junge Frau brutal zusammengeschlagen wird, bringt dies Hölzle auf eine heiße Spur, dank derer es ihm gelingt, einen skrupellosen und zu allem entschlossenen Mörder dingfest zu machen...

Wieder war es ein Vergnügen, dem sympathischen Kommissar aus dem Schwabenland mit seiner Vorliebe für gutes Essen bei der Lösung eines Mordfalles zuzuschauen!
Die Geschichte, die sich die beiden Autorinnen diesmal für ihn ausgedacht haben, ist spannend und läd zum Miträtseln ein.
Denn im Grunde ist der Leser den Ermittlern um Hölzle immer einen Schritt voraus! Liliane Skalecki und Biggi Rist haben sich dafür entschieden, undatierte Rückblenden in ihre Handlung einzubauen, die allesamt Puzzlestücke der Geschichte sind und den Leser mit Informationen über vergangene Geschehnisse und, ebenso wichtig, über deren Charaktere versorgt.

Bis zum Schluss gelingt es dem Autorengespann, die Spannung aufrechtzuerhalten und sogar kontinuierlich zu steigern.
Nein, vorhersehbar war die Auflösung nicht, - und wie die Kommissare, so tappen auch die Leser lange Zeit im Dunkeln, folgen Spuren, die ins Nichts führen, machen die Bekanntschaft von ehrlichen und weniger ehrlichen Zeitgenossen und nehmen von einem Verdächtigen nach dem anderen Abschied, die allesamt Grund genug hatten, dem ehrenwerten Bäckermeister das Lebenslicht auszublasen.
Wie es Hölzle allmählich gelingt, den Tathintergrund zu erhellen, ist nachvollziehbar-logisch und unterhaltsam zur gleichen Zeit.

Denn tatsächlich - amüsant ist dieser Kriminalroman durchaus auch, dann nämlich, wenn Hölzle und seine Kollegen und Freunde ihre Auftritte haben, wenn sie privat werden, auf dem Bremer Weihnachtsmarkt, einem der schönsten in Deutschland, wie man hier erfahren kann, bummeln und ein wenig zu heftig den Gaumengenüssen zusprechen, den dieser zu bieten hat.
Auch Einzelheiten aus dem Liebesleben Hölzles liest man immer wieder gerne...

Doch verlieren die beiden Autorinnen niemals den roten Faden, verlieren niemals das Ziel vor Augen - um am Ende den Faden zur Befriedigung des Lesers aufrollen zu können!
Und so ist auch dieser Hölzle-Fall sehr empfehlenswert, - und nicht nur zur frostkalten Weihnachtszeit....

Bewertung vom 08.10.2017
M.I.A. - Das Schneekind
Andres, Kathrin;Rai, Edgar

M.I.A. - Das Schneekind


gut

Die Hotelangestellte Sandra hat soeben die Affäre mit ihrem Chef beendet und fährt aufgewühlt über die nächtlichen, eisglatten Straßen in den Schweizer Bergen nach Hause, als ihr ein Wagen entgegenkommt. Sie hat Glück und kann ausweichen, doch der Wagen auf der Gegenfahrbahn stürzt ab, der Fahrer stirbt, noch während Sandra hinzueilt, und sie nimmt sich des kleinen, verängstigten Mädchens an, das auf dem Rücksicht gesessen hatte. Nachdem die kleine Mia schließlich wohlbehalten bei ihrer eigenartig kalten, distanzierten Adoptivmutter abgegeben worden ist, beginnen sich seltsame Vorfälle in Sandras Umfeld zu häufen: das Haus ihres Nachbarn, dem sie von dem Unfall erzählt hatte, brennt plötzlich bis auf die Grundmauern nieder, eine Leiche wird gefunden, bei der alles darauf hindeutet, dass es die des hilfreichen Nachbarn ist. Sandra wird von schwarzen Autos verfolgt, sie erhält verschlüsselte Warnungen, - und als sie Mia, das Kind, das ihr in jener Schneenacht ans Herz gewachsen ist, besuchen möchte, sagt man ihr, dass die Kleine wegen ihres Gesundheitszustandes in ein Krankenhaus gebracht wurde, das sich sehr bald als Forschungsinstitut herausstellt. Sandras Misstrauen ist geweckt und sie beschließt, auf eigene Faust der rätselhaften Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Ein gefährliches Unterfangen...

Der Thriller lässt sich zugegebenermaßen spannend an und scheint meine aufgrund des Klappentextes in ihn gesetzten Erwartungen in jeder Beziehung zu erfüllen.
Doch in dem Maße, wie sich die Spannung bis zur Hälfte des Buches steigert, häufen sich auch die Unklarheiten und Verwirrungen, die bald überhand nehmen und eine durchaus realistische Geschichte um größenwahnsinnige Forscher, die Gott spielen und denen, um ihr Ziel zu erreichen, nichts heilig und kein Menschenleben achtenswert ist, immer mehr abflachen lassen bis zu einem abrupten, überstürzten und allzu glatten, beschönigenden Ende, bei dem nicht nur viele Fragen, die sich im Laufe der Handlung auftun, unbeantwortet bleiben, sondern das gleichzeitig neue aufwirft und insgesamt wenig befriedigen kann.

Das Thema an sich, Eingriffe in das menschliche Erbgut von einer Art, die zumindest in Deutschland nicht zulässig ist, ist interessant und aktuell, und bis zu einem gewissen Punkt gelingt es den Autoren auch, diese Aktualität und auch Unerhörtheit zu vermitteln. Leider bleiben sie an der Oberfläche, gehen nicht tief genug, um den auf dem Gebiet der Genforschung wenig bewanderten Durchschnittsleser mit den nötigen Informationen zu versorgen, die das Rätsel um die kleine Hauptperson Mia, die bedauernswerterweise nach dem fulminanten Beginn nur noch einmal kurz zum Schluss auftaucht, wirklich zu erhellen.

Die zweite Protagonistin, Sandra, hingegen, begleitet den Leser kontinuierlich. Und dennoch will es mir nicht gelingen, mich ihr anzunähern, mich mit ihr anzufreunden, so blass und unbedeutend, unbedarft und naiv erscheint sie mir während der gesamten Handlung.
Das kann man von ihrer patenten, unkonventionellen Mutter Heide, der sich Sandra schließlich anvertraut, nicht behaupten! Sie ist diejenige Figur in dem Thriller, die diesem ein wenig Spritzigkeit und auch Witz verleiht und die einzige, die nicht so stereotyp gezeichnet ist wie ausnahmslos alle anderen handelnden Personen, die bösen wie die guten. Die einzige auch, die nach dem Lesen noch eine Weile im Gedächtnis des Lesers bleiben mag, während die anderen, sogar das allzu abwesende Schneekind Mia, sich schon bald in immer schwächer werdende graue Schatten verwandelt haben.
Alles in allem kommt mir der Thriller wie der bloße Entwurf für etwas Größeres, Bedeutenderes, Stimmigeres vor, das hier aber leider nur zu ahnen ist. Schade!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.10.2017
Das Haus im Amselgarten
Hein, Silke

Das Haus im Amselgarten


ausgezeichnet

Die Erzählerin der herzerwärmenden Geschichte hält es, nachdem sie einen Bauarbeiter, der ihr den Frühling durch seinen Lärm vergällt, mit einem Pfeil in den Allerwertesten verwundet hat, für geraten, ihrem Zuhause zu entfliehen. Sie nistet sich bei der Großmutter in einem kleinen Dorf im Thüringischen ein - und verbringt dort, im Land ihrer Kindheit, einen wunderschönen, unvergesslichen Sommer im Einklang mit dem Rhythmus der Natur und dem, was sie so freigiebig zu bieten hat.

Das kleine, rundum fröhliche Buch hat mir wunderschöne Lesestunden beschert!
Es bringt mir ein Stück heile Welt zurück mitten im Stress und Getriebe unsrer hektischen Zeit.
Auf dem Land, bei der Großmutter der Erzählerin, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, alles atmet Ruhe und Muse und Gelassenheit. Großmutters Ort erinnert mich in vielem an meine eigene Kindheit, die ich gar nicht weit von Silke Heins idyllischem Schauplatz verbracht habe.
Einfach leben in diesem Frühling, dem folgenden Sommer und dem abschließenden Altweibersommer, mit all den Pflanzen und Düften und Lichtern, all dem kleinen und großen Getier, dem beschaulichen Dorfleben, den Festen, die anfallen und für kleine Höhepunkte sorgen - Silke Heins liebevoll-lebendige Beschreibungen bringen mir Erinnerungen an die heile Welt meiner Kindheit zurück!

Obwohl die sich auf der Flucht befindliche Erzählerin als auch deren Großmutter, die aus der Zeit meiner eigenen Urgroßeltern zu kommen scheint, sind uneingeschränkt zum Liebhaben! Sie arrangieren sich so wunderbar miteinander, harmonisieren so perfekt, dass Altersbarrieren überhaupt keine Rolle spielen. Herzerwärmend fürwahr!

Darüberhinaus flicht Silke Hein bezaubernde kleine Begebenheiten mit Menschen und Tieren in ihre Geschichte ein, bei denen man herzlich lachen kann ob ihrer Skurrilität oder einfach nur gerührt und berührt ist ob ihrer Wärmen und Freundlichkeit.
Und beide, Großmutter und Enkelin, haben dazu noch ein großes Herz für Tiere! Während des Aufenthalts der Enkelin ziehen nach und nach Hund, Katze und Hängebauchschwein in Großmutters Haus im Amselgarten ein - zur Freude des Lesers, der gar nicht genug bekommen kann von den liebenswerten, anstrengenden, eigenwilligen neuen Mitbewohnern, die Großmutters Herz und das der Enkelin im Sturm erobern.

Nur ungern trennt man sich am Ende des Sommers, der längst in den Herbst übergegangen ist, von den Bewohnern des Häuschens, das so liebevoll mit all dem bestückt ist, das das Leben vor vielen Jahrzehnten bereichert hat und von der Großmutter in Ehren gehalten wird.

Einen Gutteil seines Charmes verdankt die Geschichte auch den detaillierten Beschreibungen der Autorin - sei es einer blühenden Wiese, eines schön gedeckten Kaffeetisches, der Amselschar, die dem Häuschen seinen Namen gegeben hat, oder der Zubereitung allerlei alter Gerichte, Marmeladen oder Likören.
Obendrein werden auch noch Rezepte, zur Freude des Lesers, in die Geschichte integriert!
Und zu meinem ganz persönlichen Vergnügen, denn gerade reift bei mir der köstliche Schlehenlikör nach dem Rezept, das die Verfasserin in der Originalhandschrift einer Urur...großmutter mit den entzückten Lesern teilt...

Und weil mir das Büchlein eine solche Freude bereitet und meinen Alltag mit Sonne geflutet hat, möchte ich ihm eine herzliche Leseempfehlung hinterherschicken!

Bewertung vom 03.09.2017
Pirasol
Kreller, Susan

Pirasol


ausgezeichnet

Der Roman um die schweigsame Gwendolin, die sich erst im hohen Alter dazu durchringt, zu sich selbst zu stehen und alle Bevormundung von außen abzuschütteln, berührt wie kaum ein anderer, den ich je gelesen habe!

Er ist ein wahres Kleinod, geschrieben in einer poetischen Sprache, die so leicht und dabei so eindringlich ist, dass man beim Lesen die Zeit vergisst und sich ganz verliert in einem bezaubernden Gespinst von Bildern und einfühlsamen Sätzen.
Und dies, obwohl Susan Kreller dem Leser eigentlich sehr viel Leid und Schmerz und Traurigkeit zumutet! Doch ist es tatsächlich ihre wunderschöne, völlig unsentimentale Sprache, die es möglich macht, auch das Schwere zu ertragen, es zwar in den Fokus zu rücken, aber gleichsam unscharfe Bilder davon zu malen und diese wie durch einen seidenen Vorhang sehen zu lassen.

Der Leser begegnet Gwendolin, die gegen ihren Willen ihre Villa Pirasol mit der herrischen, einige Jahre jüngeren Thea teilt, die ihr Stück für Stück den Platz streitig macht. Von allerlei Schuldgefühlen geplagt gelingt es Gwendolin nicht, sich ihrer zu entledigen - bis eines Tages angeblich der vor vielen Jahren vom Vater vertriebene Sohn in der Stadt gesehen wird.

Dies ist der Anlass für Gwendolin, schmerzhafte Lebenserinnerungen aufkommen zu lassen und sich ihnen zu stellen: ihre geliebten Eltern, die letzten Kriegs- und ersten Nachkriegsjahre in Berlin, ihr Weggang, der Neuanfang weit im Westen Deutschlands, ihre Heirat mit dem herrschsüchtigen Papierfabrikanten Willem, der den gemeinsamen Sohn mit äußerster Strenge und Willkür behandelte, ihn dabei seiner Mutter entfremdete, die niemals in der Lage war, ihn zu schützen...

Und indem die Autorin Gwendolin mit Trauer im Herzen ihr Leben Revue passieren lässt, gelingt es dieser allmählich, all das, wofür sie vermeintlich Schuld auf sich geladen hat, in neuem Licht zu sehen und sich mit ihrem Leben soweit es eben möglich ist zu versöhnen.
Zur Befriedigung des Lesers, dem die, wie es im Klappentext heißt, "scheue Gwendolin" längst ans Herz gewachsen ist, der bereits von Anfang an auf ihrer Seite steht und mit Betroffenheit ihre Geschichte liest, die sich langsam vor ihm entfaltet. Der aber auch Bedauern darüber verspüren mag, dass die so einsame und verzagte Gwendolin erst so spät lernt, sich zu behaupten, dass sie erst so spät ihren Frieden gefunden hat.

Dennoch macht dieser großartige Roman einer wundervollen Schriftstellerin von hohem Niveau auch Mut, denn er hat eine Botschaft! Es ist nie zu spät, sein Leben in die Hand zu nehmen! Und selbst wenn der Roman-Gwendolin nicht mehr viele Jahre beschert sein mögen, so wird sie diese selbstbestimmt leben und bis zur Neige auskosten!

Bewertung vom 02.09.2017
Kein guter Ort
Stäber, Bernhard

Kein guter Ort


sehr gut

Der Ort, an dem sich die Handlung dieses Romans abspielt und an den es den Psychologen Arne Eriksen, der vielen Lesern bereits aus zwei Vorgängerbänden bekannt sein dürfte, verschlagen hat, ist tatsächlich kein guter oder zumindest kein einladender Ort!
Und er ist es nicht nur wegen einer selbsternannten Bürgerwehr, die die Gegend unsicher macht und die die Asylsuchenden aus dem Nahen Osten, die in der südnorwegischen Provinz Telemark Unterschlupf gefunden haben, misstrauisch beäugt!
Arne erfährt darüber hinaus auch noch von einem noch immer ungeklärten Mordfall, der sich vor zehn Jahren in der Rabenschlucht zugetragen hat und der ihn nicht loslässt. So macht er sich eigenständig daran, ihn aufzuklären, wobei er zwar immer weiter ins Zentrum des unheimlichen Rätsels vordringt, aber gleichzeitig auch in immer größere Gefahr gerät...

Bernhard Stäber hat mit dem dritten Band um den Halbnorweger Arne Eriksen einen in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Kriminalroman geschrieben.
Arne ist kein Ermittler, doch gerät er immer wieder an Verbrechensfälle, bei denen seine Expertise gefragt ist und die ihn dazu verleiten, über die bloße Beurteilung hinaus, eigenmächtig Nachforschungen anzustellen. Er lässt sich dabei maßgeblich von seiner Intuition leiten, seitdem er in den Vorgängerbänden in engen Kontakt gekommen ist mit der Spiritualität und den fremdartig und gleichzeitig faszinierend anmutenden Mythen der Volksgruppe der Samen. Von ihnen hat er gelernt, Zeichen und Schwingungen wahrzunehmen und zu deuten, sein Bewusstsein zu öffnen, was ihm Einsichten vermittelt, die ihn auch über sein Fachwissen als Psychologe hinaus der Polizei oft einen Schritt voraus sein lassen.
Doch lässt er dabei oft die Vorsicht außer Acht, wird über Gebühr leichtsinnig und geht dabei ungewöhnlich unprofessionell vor.

Er ist gewiss ein Einzelgänger, der es sich nicht leicht tut mit zwischenmenschlichen Kontakten. Doch gibt es zum Glück die Bergener Polizistin Kari, die ihm nicht nur gelegentlich zur Seite steht und ihn aus mancher prekären Situation rettet, sondern von der er sich auch angezogen fühlt, ohne, so scheint es zumindest, so recht zu wissen, wie er eine Beziehung mit ihr beginnen kann.

Um beide Hauptakteure, wobei Arne dabei die eigentliche im Zentrum stehende Figur ist, lässt der Autor eine Reihe weiterer Charaktere auftreten, die alle auf mehr oder minder schicksalhafte Weise in den alten Mordfall beziehungsweise seine Auflösung involviert sind.
Sie alle sind glaubhaft und realistisch dargestellt, ihre Handlungen sind, genau wie bei den Menschen, die einem tagtäglich begegnen, oft nicht nachvollziehbar oder gar zu billigen, sie besitzen Eigenschaften, die durchaus polarisieren und keiner von ihnen ist eigentlich ein Sympathieträger, nicht einmal Arne selbst.
Denn zu spröde ist er, zu unbeständig. Er entgleitet einem immer wieder aufs Neue, wenn man denkt, ihn nun einigermaßen einschätzen zu können.

Doch gerade das gefällt mir gut an diesem Roman, der vor allem von seiner Atmosphäre lebt, von dem, was man zwischen den Zeilen ahnen kann.
Großartig sind auch die intensiven Schilderungen der gewaltigen Natur, in und mit der Arne immer mehr zu leben lernt, die ihm zur Kraftquelle wird.
Und lange schon, bevor tatsächlich etwas "geschieht" und die Handlung an Fahrt zunimmt, liegt eine unglaubliche, nicht zu benennende Spannung über dem Krimi, die seltsamerweise nachlässt, als er auf dem Höhepunkt, bei seiner dramatischen Auflösung, angekommen ist! Diese hat mich seltsam unbefriedigt zurückgelassen, sie erscheint mir wie ein Bruch mit dem so Dichten, so Beklemmenden, das sich durch beinahe den gesamten Roman zog.

Doch - Arne Eriksen wird sicher nicht das letzte Mal auf seine unspektakulär-eigenwillige Art ermittelt haben! Und vielleicht muss man ihn einfach noch besser kennenlernen, um ihm und dem Autor, der ihn ins Leben gerufen hat, gerecht werden zu können!