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Benutzername: 
Barbara
Wohnort: 
Remscheid

Bewertungen

Insgesamt 175 Bewertungen
Bewertung vom 02.09.2024
Die Frauen jenseits des Flusses
Hannah, Kristin

Die Frauen jenseits des Flusses


sehr gut

Frankie McGrath meldet sich 1965 freiwillig als Krankenschwester in Vietnam und verlässt zum Entsetzen ihrer Eltern damit den vorgezeichneten Weg einer höheren Tochter, die ausschließlich nach Ehe und Mutterschaft zu streben hat. Die Gräuel des Krieges sind entsetzlich, doch Frankie wächst über sich hinaus und entwickelt sich zu einer mutigen und tüchtigen jungen Frau. Doch mit der Rückkehr in die Heimat muss sie erleben, dass die Verleugnung ihrer Umgebung und der Hass, der allen Vietnam-Veteranen entgegenschlägst, sie zu vernichten droht.
Kristin Hannah ist es wieder gelungen, ein starkes Frauenbild zu schaffen und den Unsichtbaren eine Stimme zu geben. Am Beispiel von Frankie erlebt man das Frauenbild in der Zeit um den Vietnamkrieg, erlebt mit ihr das Grauen an der Front, die Schrecken von Napalm und Agent Orange und das Kippen der Einstellung eines Großteils der amerikanischen Bevölkerung zum Krieg. Das Krankheitsbild der Posttraumatischen Belastungsstörung, unter der so viele Kriegsheimkehrer leiden, ist noch nicht anerkannt und zusätzlich wurde die Teilnahme von Frauen im Vietnamkrieg schlichtweg verleugnet. 1974, als der Krieg vorbei und Nixon zurückgetreten war, verschwanden Vietnamveteranen weitgehend von der Bildfläche, sie wurden entweder verachtet oder nicht beachtet. Die Folgen für die Betroffenen werden von Hannah schonungslos beschrieben.
Einfühlsam und eindringlich beschreibt die Autorin nicht nur den Krieg, sondern auch die Zeit der Rückkehr, das Sehnen nach der erlebten Kameradschaft, nach Zugehörigkeit und Liebe. Das Gefühl der Scham wird ebenso thematisiert wie Schlaflosigkeit, Alpträume, Alkohol- und Drogenabhängigkeit. Mit Frankie durchläuft man als Leser*in alle Stadien ihres Lebensweges mit Höhen und Tiefen und erlebt die große Kraft von Freundschaft und die verschiedenen Facetten der Liebe.
Ein mitreißender Roman, der leider auch einige Klischees aufweist, die ihn für mich an dieser Stele einen halben Stern gekostet haben. Allerdings aber auch diese Geschichte gleichzeitig zu einem historischen Roman, einem Liebesroman und einem Politischen Roman mit hohem Unterhaltungswert machen.
Eine starke Hommage an alle Frauen, die im Krieg ihr Leben riskiert haben, ohne dafür Anerkennung oder Respekt bekommen zu haben.

Bewertung vom 02.09.2024
Das Schweigen meiner Freundin
Baldelli, Giulia

Das Schweigen meiner Freundin


ausgezeichnet

Giulia und Cristi werden tief verbundene Freundinnen, bis eines Tages ein Dritter im Bunde auftaucht: Mattia will zunächst nur mitspielen. Giulia muss erleben, dass ihre beiden Freunde eine innige Verbindung zueinander haben, die sie, ohne es zu wollen, ausschließt. Mit 60 Jahren kehrt Giulia in ihr Heimatdorf zurück und erinnert sich an die gemeinsame Vergangenheit von Cristi, Mattia und ihr. Es ist eine Geschichte von Liebe, Obsession, Verrat und unerfüllten Lebensträumen.

Giulia Baldelli gelingt es in ihrem Roman "Das Schweigen meiner Freundin" ganz große Gefühle auszudrücken, ohne pathetisch oder schwülstig zu werden. Sie beschreibt das Leben der Protagonisten intensiv und berührend, so dass man mit Giulia leidet, mit Mattia zweifelt und mit Christi fast untergeht. Nicht zuletzt durch ihre Liebe zum Heimatdorf treffen die Lebenswege der drei Personen immer wieder aufeinander, dadurch schaffen sie es nicht, sich voneinander zu lösen. Dabei gelingt es der Autorin mit einem bildhaften Schreibstil auch, die Umgebung des kleinen Dorfes in den Marken den Leserinnen und Lesern genauso Nahe zu bringen wie die winzige Wohnung in Bologna und das Leben und Arbeiten in der Stadt. Dadurch ist es auch ein sehr italienischer Roman, der sich gut als etwas anspruchsvollere Urlaubslektüre eignet.

Beeindruckt hat mich in diesem Roman, wie einfühlsam die Autorin die Kraft der Gefühle dreier Menschen zueinander beschreibt. Die Geschichte bleibt dabei interessant und spannend bis zum Schluß. Eine unbedingte Leseempfehlung, vielleicht eher für Frauen als für Männer.

Bewertung vom 26.08.2024
Unsere Jahre auf Fellowship Point
Dark, Alice Elliott

Unsere Jahre auf Fellowship Point


sehr gut

Agnes und Polly sind über 80 und Freundinnen, seitdem ihre Familien die Sommer auf Fellowship Point in Maine verbringen. Obwohl beide Frauen extrem unterschiedlich sind gehen sie gemeinsam durch die Jahrzehnte, erleben Geburten und Tod, Freundschaften und Feindschaften, Liebe und Schmerz.
Agnes hat nie geheiratet, ist eine erfolgreiche Schriftstellerin und genießt ihre Freiheit und Unabhängigkeit - jedenfalls meistens. Polly ist mit einem Mann verheiratet, dem sie sich immer unterordnet und zieht dabei ihre 4 Kinder groß. Wir erleben ihre Wege durch die Jahre nicht chronologisch sondern in Rückblicken, in Briefen und Tagebüchern. Viele Erlebnisse, die Alice Elliott Dark in ihrem Roman schildert, sind ganz alltägliche Episoden. Hier geht es um das Bewältigen des täglichen Allerleis, aber auch um Umweltschutz und Engagement, um Freundschaften und Tierliebe. Doch sind es vor allem die einschneidenden Erlebnisse in beider Leben, vor allem auch das Schicksal der kleinen Nan, die ein tiefes Mitgefühl beim Lesen wecken. Und häufig stellt man fest, dass Pollys Alltagsweisheit die intellektuelle Brillanz von Agnes in den Schatten stellt.
In ihrem wunderbaren Schreibstil gelingt es der Autorin, Polly und Agnes den Lesern nahe zu bringen. Ihre detaillierten Landschaftsbeschreibungen, ihr leichter Humor und die beiden unterschiedlichen Charaktere machen dieses Buch auf ruhige Art sehr intensiv und unterhaltsam. Dark hat 17 Jahre an diesem Roman gearbeitet, das merkt man vor allem an den liebevollen Details, mit denen sie Personen und Geschehnisse darstellt.
An manchen Stellen gab es für mich jedoch ein paar kleine Längen, hier hätte man das dicke Buch sicher auch um 100 Seiten kürzen können. Trotzdem eine unbedingte Leseempfehlung an alle, die ruhige und intensive Familienromane zu schätzen wissen.

Bewertung vom 26.08.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

Schon die Geburt von Honora steht unter einem schlechten Stern und so wird das bettelarme aber intelligente Mädchen stets von den Dorfbewohnern ausgegrenzt und verhöhnt. Es ist 1849 und in Irland herrscht eine katastrophale Hungersnot, der Honora nur ganz knapp entflieht. Ihr altes und unglückliches Leben zurücklassend reist sie nach Amerika, nur um dort wieder Unterdrückung und Elend zu erleben.

Die Suche nach Freiheit ist ein immer wiederkehrendes Thema in Jacqueline
O´Mahonys Roman, der geschickt historische Fakten mit dem Schicksal einer wilden und starken jungen Frau verbindet. Die große Hungersnot in Irland und die Tragödie von Doolough berühren zutiefst, die Erlebnisse von Honora und das Leben in der damaligen Zeit werden einfühlsam und intensiv beschrieben.

Es ist kein Wunder, dass Honora immer wieder nach Freiheit strebt, erlebt sie doch von Kind an, dass sie nichts zu sagen hat und den Männern untertan ist: erst dem lieblosen Vater, dann dem Ehemann. Auch in Amerika bestimmt Armut und harte Arbeit ihr Leben, Ungerechtigkeiten soll sie als Frau hinnehmen, Rechte hat sie keine. Doch die Stärke dieser Frau ist unermesslich, Angst ist für sie ein Ansporn. Der Versuch in Amerika, ihr altes Leben hinter sich zurück zu lassen, misslingt immer wieder. Ihr Rückzug vom Sprechen entspringt dem Wunschdenken, dass etwas was nicht erzählt wird auch niemals stattgefunden hat. Es gibt ihr ein Machtgefühl in Zeiten, in denen sie sich hilflos ausgeliefert fühlt: "Sag nichts, denk nichts, und fühl nichts, ermahnte sie sich. Halt einfach durch." (S147)
Immer wieder versucht Honora, ihre Fesseln abzustreifen und glücklich zu werden. Ihre unbändige Liebe zur Natur ist von klein auf tief in ihr verwurzelt, atemlos verfolgt man beim Lesen ihre unermüdlichen Neuanfänge und die Hoffnung auf Freiheit.
Die Autorin versteht es mit einem wunderbaren Schreibstil, die Natur nahe zu bringen und die Emotionen sehr bildhaft zu beschreiben. Beim Lesen sieht man die irische Landschaft und die amerikanische Prärie, man durchlebt Hunger, Kälte und Verrat mit der Protagonistin und bewundert ihre Stärke und ihr Streben nach Glück.
Ein intensiver und berührender Roman in einer wunderbaren Sprache geschrieben, der eine unbedingte Leseempfehlung verdient.

Bewertung vom 19.08.2024
Hortensientage
Inusa, Manuela

Hortensientage


gut

Lisa und Werner sind noch Schulkinder, als sie sich kennen und bald auch lieben lernen. Doch es stehen ihnen zunächst schwere Zeiten bevor, Werner muss in den Krieg ziehen und sie müssen eine lange Trennung überstehen. Doch die Entbehrungen schweißen die beiden Liebenden nur noch mehr zusammen und die Leser*innen begleiten sie durch ihr gemeinsames, überwiegend glückliches Leben.

Manuela Inusa erzählt in diesem Roman die Geschichte ihrer Großeltern, zu denen sie ein sehr inniges Verhältnis hatte. Dabei gibt die Autorin auch viel über sich und ihre eigenen Familie Preis, was ich sehr mutig finde.

Sehr interessant ist es zu verfolgen, wie Lisas und Werners Leben die deutsche Geschichte durchläuft. Das Leben im 2. Weltkrieg, der Hunger und die Armut, die beengten Verhältnisse nach dem überstandenen Krieg und die Freude am Sohn und den Enkelkindern - durch dick und dünn gehen diese beiden Liebenden. Als Lisa ihrer Enkelin nach langem Zögern aus ihrem früheren Leben erzählt, lebt sie bereits im Heim und gibt ihre Vergangenheit in kurzen Etappen und Erinnerungen wieder. Leider wird der Erzählfluss von Lisa immer wieder durch längere Passagen aus der Gegenwart unterbrochen, in der Manuela ihre Großmutter im Heim besucht. Die immer wiederkehrenden Besuche der Enkelin, das gemeinsame Kuchenessen und die Befindlichkeiten der anderen Heimbewohner sind anfangs interessant, nehmen mir aber viel zu viel Raum ein. Dadurch kommt bei mir eine gewisse Langeweile auf, da ich die Geschichte der Großmutter viel spannender finde. Auch geht mir die Autorin oft zu rührselig mit der Geschichte um, obwohl das durch ihre große persönliche Beziehung zu den Protagonisten natürlich zu erklären ist. Zudem hätte ich mir einen etwas weniger schlichten Schreibstil gewünscht. Die Liebesgeschichte zwischen Lisa und Werner ist anrührend und zeigt, wie sehr Entbehrungen die Menschen zusammen schweißen können und macht auch die Unterschiede zu Beziehungen in der heutigen Zeit deutlich.

Bewertung vom 13.08.2024
Und dahinter das Meer
Spence-Ash, Laura

Und dahinter das Meer


ausgezeichnet

1940 wird die 11jährige Beatrix von ihren Eltern aus dem vom Krieg bedrohten London in die USA zu einer Familie nach Boston geschickt. Dort bleibt sie für 5 Jahre bei der Familie Gregory, wo sie liebevoll von allen Familienmitgliedern aufgenommen wird und sich nach einer Eingewöhnungszeit sehr wohl fühlt. Ihr Verhältnis zu den beiden Söhnen ist intensiv und verändert alle auch nach ihrer Rückkehr nach England.
Aus der Sicht der verschiedenen Familienmitglieder in England und den USA ist dieser wunderschöne Roman von Laura Spencer-Ash geschrieben, so dass man Beatrix Leben zwischen den beiden Welten aus ganz unterschiedlichen Perspektiven erleben kann. Mit viel Einfühlungsvermögen beschreibt die Autorin die Gefühlslage der beteiligten Personen und das gelingt ihr so gut, dass man mit jeder Einzelnen davon mitfühlt.
Beatrix Mutter Millie hadert mit der von ihrem Mann durchgesetzten Entscheidung, ihre Tochter zum Schutz vor dem Krieg so weit wie möglich fort zu schicken. Sie leidet nicht nur unter dem Verlust ihrer Tochter und der Eifersucht auf die Gastfamilie, sondern auch unter deren Wut und ihrem Zorn auf den Ehemann. Auch das schwierige Verhältnis zu Beatrix nach deren Rückkehr ist für sie zutiefst belastend und es ist sehr berührend zu lesen, wie sie als Mutter ihren Platz im Leben von Beatrice wieder einzunehmen versucht.
Auch Beatrix Vater kommt mit seiner rationalen Entscheidung nicht gut zurecht.
Die Gastmutter Nancy blüht hingegen auf, als Bea, wie sie in den USA genannt wird, ihre Familie bereichert. Sie hat sich immer ein Mädchen gewünscht und es fällt ihr schwer, sie wieder loszulassen.
Gastvater Ethan hat zunächst Bedenken, doch auch ihn nimmt Bea mit ihrer ruhigen und besonnen Art immer mehr für sich ein. Doch vor allem sind es die Söhne William und Gerald, die sich beide in Bea verlieben und deren Leben ebenfalls durch sie strak geprägt wird.
Vor allem jedoch ist es Beatrix Leben zwischen diesen beiden Welten, als Bea und als Trixie, durch das man sie als Leser*in begleitet, von 1940 bis 1977, mit vielen Höhen und Tiefen.
Dieser Roman übt einen Sog aus, der einen das Buch kaum aus der Hand legen lässt. Ruhig und gefühlvoll, emphatisch und intensiv versteht es Spencer-Ash, die Gefühlswelt der verschiedenen Charaktere zu beschreiben. Auch die großen zeitlichen Sprünge machen die Geschichte spannend, die zudem nicht immer chronologisch erzählt wird. Interessant ist der Schreibstil, der zum größten Teil keine klassische wörtliche Rede aufweist, sondern Dialoge oft nur in kursiver Schrift darstellt.
Eine unbedingte Leseempfehlung für jung und alt, weiblich und männlich.

Bewertung vom 29.07.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


gut

Ben Oppenheim hat es nicht leicht in seinem Leben: von seiner Frau lebt er eigentlich getrennt, die Versorgung der Kinder teilen sie sich aber im noch gemeinsam bewohnten Zuhause. Seine Freundin erfüllt zwar seine sexuellen Bedürfnisse, aber die Beziehung zu deren 4jähriger Sohn beruht auf gegenseitiger Abneigung. Als Drehbuchautor läuft es gerade nicht so gut, ein Roman ist ebenfalls nicht wirklich in Sicht. Als die Welt auf dem Weg in den dritten Weltkrieg ist flüchtet Ben mit seiner Familie nach Brasilien. Dort stellt sich bald die Frage danach, wie es weiter gehen soll.
Ben ist ein Zauderer, ein Hypochonder und von Ängsten besessen. Er ist kein wirklich gläubiger Jude, weiß aber trotzdem über die Wichtigkeit seiner Religion und der Vergangenheit. Konflikten geht er gerne aus dem Weg, irgendwie verlässt ihn immer der Mut, wenn es denn ernst wird. Auch die Flucht nach Brasilien wird von seiner Ehefrau Marina organisiert, die taff und gut strukturiert ist. Genauso wie seine Geliebte Julia, eine erfolgreiche und lebensfrohe Künstlerin, die vor allem seinem Ego und seinem Sexualleben gut tut.
Mit viel Ironie beschreibt Micha Lewinsky diesen Ben Oppenheimer und die Konflikte in seinem Leben. Das liest sich manchmal sehr komisch trotz des ernsten Themas. Die Auseinandersetzung mit dem Judentum ist hier ebenfalls Thema, da merkt man das geschichtliche Erbe.
Bei aller guten Unterhaltung die dieser Roman bietet ist mir Ben jedoch immer unsympathisch geblieben. Seine Unentschlossenheit bei anstehenden Entscheidungen, sein Egoismus in Beziehungsangelegenheiten, seine Zwiespältigkeit in der Religion summieren sich für mich zu einem rückgratlosen Menschen, der von seinem Sexualtrieb und zwei starken Frauen durchs Leben geleitet wird. Daher zwei Sterne Abzug von mir trotz der interessanten und facettenreichen Geschichte.

Bewertung vom 29.07.2024
Mein drittes Leben
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


ausgezeichnet

Lindas Leben als glückliche und heile Frau endet abrupt mit dem Tod ihrer 17jährigen Tochter, die ein Verkehrsunfall aus dem Leben gerissen hat. Daniela Krien beschreibt eine Mutter, die am Umgang mit dem Schicksal verzweifelt, die nicht weiß, wie und ob sie weiter leben kann. Auch ihr Mann Richard kann ihr nicht helfen, ihr trauern ist nicht seins, lange hat er Geduld mit ihr. Doch die Menschen aus Lindas Umgebung ermüden an ihrem Leid, so dass sie fast nur noch fremde Menschen ertragen kann. Gequält zwischen Rückzug und Einsamkeit gelingt es Linda ganz allmählich und in winzigen Schritten, einen Aufbruch in ihr drittes Leben zu finden.
Sehr emphatisch beschreibt die Autorin das Leiden einer Mutter, die Qualen, die Hoffnungslosigkeit, die Hilflosigkeit und manchmal auch die entstehende Wut. Vor allem die schlimmen Nächte, die auch erträgliche Tage wieder einreißen: "Jede Nacht ist ein Schlund, durch den ich gepresst und am anderen Morgen zurück in die Welt geworfen werde", S.196. Und trotzdem ist es kein deprimierender Roman, lässt einen dieses Buch nicht traurig zurück. Krien gelingt es, dass man als Leser*in mitfühlt mit dieser von Trauer erdrückten Frau, ihre Beschreibungen sind einfühlsam und erstaunlich nachvollziehbar. Doch bewundert man auch die Kraft von Linda und ihre Versuche, wieder einen Sinn in ihrem Leben zu finden. Und das sie es schafft, sich mit Gartenarbeit und sozialem Engagement bis zu einem Zustand zu kämpfen, in dem sie von sich sagen kann: es geht mir gar nicht schlecht.
Dieser Roman fesselt einen beim Lesen, trotz des traurigen Themas. Das liegt vor allem an der Autorin, die Gefühle so grandios beschreiben kann und sie mit genau den richtigen Worten auszudrücken versteht.
Eine unbedingte Leseempfehlung für alle, die nicht nur leichte Urlaubslektüre mögen. Und vielleicht auch jene, die selber einen ähnlichen Verlust und tiefste Trauer ertragen mussten.

Bewertung vom 11.07.2024
Alte Eltern
Kitz, Volker

Alte Eltern


ausgezeichnet

Volker Kitz beschreibt das Leben seines Vaters mit zunehmender Demenz so, wie er es aus seiner Sicht als Sohn erlebt. Er versucht zu ergründen, wann es angefangen hat, wann die ersten Symptome aufgetreten sind, wann der genaue Zeitpunkt, die Wende kam. Er hofft darauf, damit besser mit dem Verlust der Persönlichkeit seines Vaters umgehen zu könne, diesem Abschied auf Raten. Seine Beschreibungen sind zutiefst berührend, spiegeln seine Liebe zum Vater und seine Hilflosigkeit der Krankheit gegenüber wieder.
Noch mehr als der erste Teil dieses Buches, in dem es um die Verschlechterung des Zustandes seines Vaters geht, hat mich der zweite Teil berührt. Hier geht es um die Verarbeitung nach dem Tod des Vaters, der trotz allem so plötzlich kam. Viele Gedankengänge sind nachvollziehbar, namenhafte Autoren und Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, kommen auch hier zu Wort.
Das Buch ist zwar ein Sachbuch, liest sich aber trotz der vielen Zitate fast wie ein Roman.
Spätestens seit Arno Geigers Buch "Der alte König in seinem Exil" sind zahlreiche Bücher bekannt geworden zum Thema Alzheimer und Demenz. "Alte Eltern" ist ebenfalls eine berührende Aufarbeitung des Sohnes zum geistigen und körperlichem Abbau des Vaters. Es ist eine Geschichte voller Trauer, manchmal auch Ungeduld, Verdrängung und Scham. Aber sie hat auch tröstliche Aspekte und erzählt nicht nur über den Tod und das Abschiednehmen, sondern auch über das Leben.
Sehr zu empfehlen für Menschen, die noch mit (alten) Eltern gesegnet sind.

Bewertung vom 01.07.2024
Nach uns der Sturm
Chan, Vanessa

Nach uns der Sturm


sehr gut

Vanessa Chan erzählt die Geschichte Malayas, wie Malaysia früher genannt wurde, am Beispiel einer Familie zwischen 1935 und 1945.
Cecily und Gordon leben 1945 mit ihren Kindern Jujube, Abel und Jasmin in Kuala Lumpur, Malaya ist von den Japanern besetzt. Hunger und Armut bestimmt ihr Leben, die japanischen Machthaber herrschen mit Gewalt und großer Brutalität. Jasmin wird vor den Soldaten im Keller des Hauses versteckt und Jujube arbeitet als Teemädchen, als eines Tages der Sohn Abel an seinem 15 Geburtstag von den Japanern in ein Arbeitslager verschleppt wird. Cecily gibt sich die Schuld am spurlosen Verschwinden ihres Sohnes und dem Unglück, das ihnen widerfährt, da sie früher als Spionin für die Japaner gearbeitet hat.
In Rückblicken zwischen 1935 und 1945 erzählt Cecily, wie ihr Leben unter der britischen Besatzung als Kolonialsubjekt der oberen Mittelschicht aussah und wie sie als Spionin angeworben wurde. Von der Verachtung, die ihnen von den Briten entgegenschlug, ihrer Unzufriedenheit und der Sehnsucht nach ihrem japanischen Führungsoffizier. Doch auch die Kinder erzählen aus ihrer Sicht, wobei Abels Berichte aus dem Arbeitslager an der burmesisch-thailändischen Grenze besonders grausam sind. Aber auch Jujubes Leben, in dem sie versucht in der Familie alles zusammen zu halten und schließlich kläglich scheitert, ist zutiefst berührend. Dann die Sicht der kleinen Jasmin, die als Kind so viel durchmachen muss und sich zum Schluß als Bindeglied zwischen Cecilys altem und neuem Leben erweist.
Dieses Stück Zeitgeschichte über die Kolonialmächte England und Japan ist eine fremde Welt, in die man mit diesem Roman eintaucht. Einfühlsam und berührend schreibt die Autorin über die Kriegstraumata einer Familie und eine Frau, die eine Entscheidung in ihrem Leben zutiefst bereut. Sehr authentisch erzählt Vanessa Chan hier von ihren eigenen Wurzeln und erklärt im Vorwort, wie es zu diesem Roman kam.
Keine ganz einfache Lektüre, aber hochinteressant und intensiv.