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darkola77

Bewertungen

Insgesamt 71 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2024
Die Alleinseglerin
Wolter, Christine

Die Alleinseglerin


ausgezeichnet

Eine Geschichte so ruhig wie das Meer bei Sonnenschein, so aufwühlend wie ein Sturm auf hoher See und so tief wie der Marianengraben – als Almut von ihrem Vater das Segeln auf seinem Drachen erlernt, ahnt sie nicht, dass das Boot für sie lebensentscheidend wird. Und das in vielerlei Hinsicht: Denn der Drachen bringt nach Jahren der Trennung Vater und Tochter wieder zusammen, schafft Verständnis für die Entscheidungen und das Leben des jeweils anderen und stellt zugleich einen Grund und Ort ihres regelmäßigen Zusammenkommens dar.
Als Almut das Boot schließlich von ihrem Vater übernimmt, wird der Drachen jedoch zu etwas ganz Neuem für sie: eine Bürde, Herausforderung und auch Belastung. Zumindest in den Anfängen. Denn als Alleinerziehende reicht ihr mühsam verdientes Geld nicht aus, um die anfallenden Reparatur- und Erneuerungsarbeiten zu beauftragen. Der Drachen scheint unersättlich. Almut übernimmt zusätzliche Aufgaben und verbringt im eisigen Winter doch jedes Wochenende am See, um das Boot für die anstehende Saison fit zu machen. Und hier ist sie die einzige Frau in einer männerdominierten Welt. Almut muss gegen Vorurteile angehen, sich ihren Platz unter den Bootsbesitzerin erkämpfen und ihren Kampgeist beweisen – und wird dabei selbst immer stärker.
Von ihrem ursprünglichen Plan, den Drachen in einen derart guten Zustand zu bringen, dass ein Verkauf einen ihr angemessen erscheinenden Erlös einbringt, weicht sie dabei nach und nach ab. Und das nicht nur, weil sie begreift, dass ihre eigenen finanziellen Vorstellungen auf dem Markt nicht zu verwirklichen sind. Auch ist es das Erkennen, dass der Wert, den Almut selbst dem Drachen beimisst, nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Er ist Erinnerung an ihren Vater und die gemeinsame Zeit. Doch vor allem ist er zu ihrem Heimathafen geworden, zu dem es sie immer wieder zurückzieht, und der ihr Stunden der Freiheit, des Einklangs mit sich selbst und eines Siegs über die Kräfte der Natur ermöglicht.
Diese Geschichte ist so viel: ein Entwicklungs- und Wachstumsroman, eine Erzählung über den Emanzipationsweg der Protagonistin und ein Gleichnis über den Besitz eines Bootes in einem Land, das seine Grenzen und Mauern für die Menschen geschlossen hielt. Doch vor allem ist „Die Alleinseglerin“ eine großartige Wiederentdeckung, stark und überzeugend in ihren Aussagen – heute wie zur Zeit ihrer Entstehung.

Bewertung vom 09.02.2024
Schneesturm
Walsh, Tríona

Schneesturm


gut

Eine kleine irische Insel, durch einen Schneesturm abgeschnitten von der Außenwelt – wenn das nicht schon ein hervorragendes Setting für einen spannenden Thriller ist! Und wenn dann noch eine Leiche in der rauen irische See auftaucht, geschändet und damit offensichtlich Opfer eines Verbrechens, kann die Mörderjagd beginnen.
Und die Suche nach Motiv und Schuldigen erweist sich als überaus rätselhaft und führt die Leser*innen dabei immer wieder in die Irre und im wahrsten Sinne des Wortes auf Glatteis. Denn mitten in dem Blizzard ist es an der einzigen Inselpolizistin, den Fall aufzuklären und zu ermitteln, wer ihre beste Freundin auf dem Gewissen hat. Eine besondere Herausforderung für Cara, denn ihre ehemaligen Freund*innnen gehören zum Kreis der Verdächtigen. Und nachdem sich die Clique zehn Jahre nicht mehr gesehen hat, scheint jede*r von ihnen dunkle Geheimnisse und Abgründe in dem eigenen Leben zu haben. Und ein doppeltes Spiel zu spielen – mit Clara und miteinander.
Clara schlägt sich unter diesen schwierigen Bedingungen tapfer, ist in ihrem Handeln und mit ihren kombinatorischen Fähigkeiten jedoch nicht mit einer ausgebildeten Kriminalkommissarin vergleichbar. Immer wieder unterlaufen ihr grobe Fehler im Vorgehen: mal vergisst sie, die Spuren zu sichern, mal zieht sie ihre Freund*innen ins Vertrauen und den Mörder in diesem Zuge möglicherweise gleich mit.
Auch der Autorin scheint der eine oder andere Handlungsfaden zu entgleiten. Oder lässt sie ihn möglicherweise bewusst in einer Sackgasse enden? Und nicht immer sind die Figuren in ihrem Verhalten logisch und nachvollziehbar, aber Schock und Isolation sind in ihren Auswirkungen auch nicht zu unterschätzen.
Was für mich bleibt, ist ein durchaus spannendes Lesevergnügen mit einigen Leerstellen und Fragezeichen in meinem Kopf. Und eine Geschichte, die es trotz dieser Mängel geschafft hat, dass ich Weiberfastnacht in Köln lieber mit dem Buch in der Hand abends zu Hause geblieben bin als in den Kneipen zu schunkeln und zu bützen.

Bewertung vom 04.02.2024
The Many Deaths of Laila Starr
V, Ram

The Many Deaths of Laila Starr


ausgezeichnet

Bei mir war es Liebe auf den ersten Blick! Und das geschieht mir nicht häufig. Doch diesmal hat es mich erwischt: die wunderschönen, ausdrucksstarken Bilder, eine Farbgebung, die nicht nur den Verlauf der Handlung direkt verstärkt und widerspiegelt, sondern auch Atmosphäre und Flair Indiens einfängt, und eine Geschichte so tief und doch so schwerelos in ihrem Verlauf.
Und nicht nur das: Auch Witz und gerade Wortwitz haben mir den Kopf verdreht. Denn Lachen soll doch verbinden! Hat es auch – mich mit Laila Starr und den Künstler*innen, die dieses großartige Werk geschaffen haben.
Dabei ist das Sujet, um welches Geschichte und Handlung kreisen, alles andere als leicht und erfreulich: der Tod. Oder eher: die Tod. Denn „Tod“ ist eine Göttin, mit sechs Armen – und leider arbeitslos. Denn sie wurde gefeuert, um genau zu sein: überflüssig und als Mensch auf die Erde verbannt. Grund für ihre plötzliche Arbeitslosigkeit ist Darius, ein kleiner Junge, gerade erst geboren, doch wird er in seinem weiteren Leben die Unsterblichkeit über die Menschheit bringen. Und da Tod, im Körper der Studentin Laila Starr, ihren Job geliebt hat, steht für sie fest: Darius muss sterben! Welche andere Form der Lösungsfindung sollte der Tod auch kennen.
Damit geht es los: eine Reise durch die Jahrzehnte, Begegnungen, die verstören und auch ans Herzen gehen und ein Plot, der für mich so unerwartet wie voller Gedanken und Gefühle ist.
Die Bilder scheinen dabei die Handlung geradezu mühelos zu transportieren, haben mich in einen Rausch an Farben, Formen und Bewegungen abtauchen und über die Seiten fliegen lassen. Und haben mich am Ende eines jeden Kapitels wieder staunend ausgespuckt, ihre Schatten und Trugbilder auf meinen Augen hinterlassend.
Selten hat mich ein Comic so in seinen Bann gezogen und so nachdenklich hinterlassend. Und die erläuternden Texte am Ende des Buches haben diese Empfindungen noch einmal verstärkt, denn zu wissen, dass gerade diese Geschichte mit ihrem Topos zu Zeiten der Pandemie entstanden ist, rührt und trifft noch einmal zusätzlich. Und hebt die Einzigartigkeit dieses Werkes zusätzlich hervor.

Bewertung vom 29.01.2024
Die Burg
Poznanski, Ursula

Die Burg


ausgezeichnet

Was zeichnet einen typischen Poznanski aus? Richtig! Der Sogeffekt. Die atemlose Spannung. Und ein überraschender Plot, der Dich sprachlos zurücklässt. Und mit „Die Burg“ haben wir einen Poznanski der Meisterklasse. Entsprechend waren meine vergangenen Tage und Nächte: Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.
Gemeinsam mit einer ausgesuchten Gruppe VIP-Gäste bin ich in die finsteren Gemäuer der Burg Greiffenau abgetaucht, um das neue Projekt des Milliardärs Nevio zu testen: ein Escape-Paradies, gesteuert und individuell geschaffen von einer hochentwickelten KI. Und diese KI lehrt einen das Fürchten. Denn der Gruselfaktor der virtuellen Welten lässt den Besucher*innen das Blut in den Adern gefrieren. Und die Rätsel, die Rettung und den Eintritt in den nächsten Raum versprechen, haben es in sich.
Doch statt Schnittchen und Champagner nach erfolgreicher Schnitzeljagd kommt alles ganz anders. Und die KI treibt plötzlich ihr eigenes Spiel. Und verriegelt die Türen zur Außenwelt.
Was dann folgt, wird natürlich nicht verraten. Nur so viel: Die Autorin hat ein Setting geschaffen, in welchem sie ihre schier grenzenlose Fantasie von der virtuellen Leine lassen kann. Und diese sich so richtig durch die Säle, Grotten und Verliese der mittelalterlichen Burg tobt. Starke Nerven sollten die Leser*innen schon mitbringen, denn es wird blutig. Und Abgründe tun sich auf.
Auch nach den knapp 400 Seiten hatte ich noch lange nicht genug von Gänsehaut, Luft anhalten und Wogen von Adrenalin. Und hätte immer, immer weiterlesen können. So sehr habe ich mich in der virtuellen Spielewelt verloren. Und den Plot tatsächlich nicht kommen sehen. Jetzt wird das Buch schnell weiter an meinen Mann gereicht, denn der sitzt bereits auf glühenden Kohlen. Wenn er wüsste, wie sehr.

Bewertung vom 20.01.2024
Eine Frage der Chemie
Garmus, Bonnie

Eine Frage der Chemie


sehr gut

Das Buch ist ein Plädoyer! Für Gleichberechtigung, die Stärken der Frau und deren Anerkennung in Beruf und Gesellschaft. Und auch, wenn die Geschichte in den sechziger Jahren der Vereinigten Staaten verortet ist, ist ihre Botschaft ungebrochen aktuell.
Denn was einem aufgeklärten Menschen heute selbstverständlich erscheinen mag, ist es für Teile der Bevölkerung noch lange nicht: nicht in den westlichen Industriestaaten und nicht in vielen weiteren Ländern und Regionen. Intellekt hängt nicht von Geschlecht und Rasse ab! Bildungs- und Aufstiegschancen dürfen dies auch nicht. So die Theorie. Dagegen dann die Realität.
Für Elizabeth Zott ist es keine Frage: Sie ist Wissenschaftlerin. Chemikerin, um genau zu sein. Und als diese will sie auch arbeiten und forschen. Weil es ihre Berufung ist. Und sie ein Recht hierauf hat. Glaubt sie. Doch die sechziger Jahre legen ihr Hindernisse in den Weg. Ganze Felsblöcke. Granitberge.
Mit Calvin Evans scheint sich alles zum Besseren zu wenden. Privat, denn er ist ihre große Liebe. Ihr Seelenverwandter. Und in ihrer Forschung. Auch hier ergänzen sie sich hervorragend. Doch dann kommt alles anders. Und Elizabeth ist gezwungen, wieder alleine gegen eine Gesellschaft zu kämpfen, in welcher die Frauen eine Schürze und keinen Laborkittel zu tragen haben.
Doch um für sich und ihre kleine Tochter ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wagt sie ein Experiment. Und stößt damit eine Revolution an, welche die Gesellschaft und damit die Rolle der Frau für immer verändert.
So wie Elizabeth ihre viele tausend Zuschauer*innen mit „Essen um sechs“ in ihren Bann zieht, so ging es mir auch mit der Geschichte. Die vergnüglich, traurig und stark in der Message ist. Und das ist auch mein einziger Kritikpunkt: Die Botschaft schiebt sich für mich vor die Handlung. Lenkt diese. Und wird damit plakativ. Aber kann Garmus es denn tatsächlich zu oft wiederholen? Frauen können alles erreichen, was sie wollen! Und ohne Frauen ist die Gesellschaft nichts. Und auch die Wissenschaft ein träger Dampfer mit nur einem Motor.

Bewertung vom 07.01.2024
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


sehr gut

Wer konnte diesem Cover schon widerstehen?
Mein Mann jedenfalls nicht, als er mir das Buch geschenkt hat. Und ich auch nicht, als ich es mir von ihm gewünscht habe.
Doch: Don’t judge a book by its cover.
Computerspiele sind das, was Sadie und Sam schon seit frühester Kindheit verbinden. Und für Sam der Fluchtweg aus einer Welt, die nach einem folgenschweren Autounfall nur noch aus Schmerz, Trauer und monatelangen Krankenhausaufenthalten zu bestehen scheint. In der Gestalt von Super Mario und weiterer bunter Helden sind seine Leiden und Handicaps für Stunden und Tage vergessen – und seine Einsamkeit ebenso, denn Sadie leistet ihm Gesellschaft und nimmt zunehmend einen Platz in seinem Kopf und seiner Gefühlswelt ein.
Doch während sie in den späteren Jahren beruflich zusammenfinden und gemeinsam mit Sams bestem Freund Marx ein erfolgreiches Team und Unternehmen werden, ist ihr Verhältnis zueinander eine Serie von Missverständnissen, Verletzungen, Unausgesprochenem. Und auch das überstehen ihre tiefen Gefühle füreinander.
Hört sich nach einer klassischen Liebesgeschichte an? Das habe ich viele Seiten lang auch gedacht und war schon ein wenig enttäuscht und auch irritiert über den Hype.
Doch kurz nach der Hälfte des Buches kommt auf einmal die Wende für mich, die mich die vielen folgenden Seiten noch einmal in ihren Bann gezogen hat. Und traurig zurückließ. Denn das Leben verläuft selten so wie geplant, und manchmal ist das Schicksal unberechenbar. Und auch nicht fair.
Und wohl auch diese Entwicklung ist der Grund, warum mir die Geschichte noch immer im Kopf ist und ich Sadie und Sam nicht verlassen möchte. Und schon einmal gegoogelt habe, ob bereits der nächste Roman der Autorin angekündigt ist. Meine Erwartungen sind hoch!

Bewertung vom 27.12.2023
Fallen Princess / Everfall Academy Bd.1
Kasten, Mona

Fallen Princess / Everfall Academy Bd.1


sehr gut

Weihnachten hat mir dieses wunderbare Wohlfühlbuch versüßt. Alles war da, was ich mir erhofft hatte und die schöne Zeit noch ein wenig leuchtender gestaltet hat: Magie, Liebe und ein großes Geheimnis. Oder um genau zu sein: eine magische Welt, die als Teil der unseren existiert, Figuren, die ihre unterschiedlichen Fähigkeiten erst nach und nach entdecken und zum Einsatz bringen, und ein Bad Boy, der schon nach der ersten Begegnung den Kopf verdreht – und Seelen raubt.
Und mittendrin: Zoey. Zoey hat all das, wovon andere träumen. Hineingeboren in eine mächtige und einflussreiche Ratsfamilie und als Nachfahrin Cliodhnas steht sie auf der Sonnenseite des Lebens. Ihr Freund Beau und ihre zahlreichen Freund*innen machen ihr Glück komplett – zumindest beinahe. Denn was ihr noch fehlt, ist ihre eigene Magie, ihre Gabe, die noch nicht erwacht sind. Und sie eine große und anerkannte Heilerin werden lässt, wie ihre Mutter es ist – da ist sich Zoey sicher. Und der Rest der Everfall Academy ebenfalls.
Doch als ihre Kräfte sich dann tatsächlich zeigen, kommt alles anders als erwartet. Und Zoeys Leben liegt in Trümmern. Nicht nur, dass sie den Zweig an der Schule wechseln muss, auch ihre Freund*innen wenden sich von ihr an und haben plötzlich Angst vor ihr. Doch wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine neue, und plötzlich ist da Dylon, der mit seiner Todesmagie Seelen rauben kann, und der Zoey als die Person annimmt, die sie war und zu der sie geworden ist. Und auch neue Freund*innen treten in ihr Leben. Gemeinsam versuchen sie den Tod eines Mitschülers aufzuklären und sind plötzlich einer Verschwörung unbekannten Ausmaßes auf der Spur.
Wenn ich etwas an diesem fesselnden und zum Herzen gehenden Pageturner benennen sollte, was ein Lichtlein an dem hell erleuchteten Weihnachtsbaum getrübt hat, dann, dass gerade zum Finale doch sehr Harry Potter durchkam. Da wäre ein wenig „anders“ schön gewesen. Aber davon abgesehen, war dieser Roman genau das: so schöne Unterhaltung! Und Balsam für meine nach den vergangenen Wochen arg geschundene Seele. Und Glücksgefühle zwischen Buchdeckeln.

Bewertung vom 16.12.2023
Ich träumte von einer Bestie
Blazon, Nina

Ich träumte von einer Bestie


sehr gut

Wenn die Vergangenheit ihre Finger nach Dir ausstreckt, Dich festhält, jede Nacht aufs Neue – das ist es, was Fleur in ihren Albträumen erlebt. Sie ist die Gejagte, eine unbekannte Meute ist hinter ihr her und hetzt sie zu durch Wälder, Zeit und Raum. Verstörend und bis in die Gegenwart beunruhigend und Angst einflößend.
Fleur lebt in ihrem Alltag sehr zurückgezogen, scheut den Kontakt zu Menschen, verkriecht sich in ihrem „Versteck“, ihrer digitalen Welt. Als ihr leiblicher Vater überraschend verstirbt, werden die Ängste und Traumata ihrer Kindheit wieder gegenwärtig, und das ungelöste Geheimnis ihrer Familiengeschichte drängt an die Oberfläche.
Um ihre eigene Herkunft zu klären und dem Fluch, der auf ihr und ihren Ahnen zu lasten scheint, auf den Grund zu gehen, begibt sich Fleur auf Spurensuche nach Frankreich. Und die Reise in die eigene Vergangenheit wird für sie zu einem Weg, ihr Leben, ihre eigene Gegenwart zu verstehen – auch, wenn die einzelnen Schritte mühsam und schmerzhaft sind und das Erkennen und Verstehen Fleur verstören und erschrecken.
Doch je mehr Puzzleteile Fleur zusammensetzt, je größer das Bild ist, das sich vor ihr entfaltet, um so waghalsiger und gelöster kann sie ihren Ängsten entgegentreten. Denn aus der jungen Frau, die seit ihrer Kindheit Opfer und Beutetier auf der Flucht ist, ist eine Jägerin geworden – stark, mutig, bereit zum Kampf. Und Fleur ist entschlossen, diesen Kampf zu gewinnen und sich von den Fesseln, die ihr ein glücklichen Leben verwehren, endgültig zu befreien. Und ihr großes Glück: Es sind Menschen da, die sie in die Schlacht begleiten. Und plötzlich ist da auch die Liebe, gegen die sich Fleur so lange verschlossen hat.
Trotz einiger Längen hat die Geschichte eine große Faszination auf mich ausgeübt. Denn die Legende der Bestie des Gévaudan, welche Kern und Ausgang der Erzählung bildet, ist ebenso ein rätselhaftes Verwirrspiel wie Zeugnis einer Zeit, in welcher Mythen und Aberglaube die heutige Wissenschaft ersetzten. Das Netz aus Fakten und Fiktion lässt die Jahrhunderte vergessen und bereitet spannende und unterhaltsame Lesestunden.

Bewertung vom 24.11.2023
Die kleinen Lügen der Ivy Lin
Yang, Susie

Die kleinen Lügen der Ivy Lin


ausgezeichnet

Willst Du glücklich sein? Und wenn ja, zu welchem Preis?
Doch vor allem: Was bedeutet Glück für Dich?
Ivy Lin kann die Frage ganz klar für sich beantworten: Sie möchte die ärmlichen Verhältnisse ihrer Familie verlassen, ein sorgloses Leben führen – und auch die romantische Liebe darf nicht zu kurz kommen. Das Objekt ihrer Begierde ist dabei Gideon Speyer, aus sogenanntem guten, wohlhabende Hause stammend, distinguiert in Auftreten und Erscheinung und – nicht ganz unerheblich – für Ivys Geschmack äußerst attraktiv.
Nachdem Ivy noch in der Schulzeit das graue Entlein für Gideon war, scheinen sich ihre Chancen bei dem Millionär einige Jahre später erheblich zu verbessern. Verkuppelt von Gideons Schwester ist plötzlich eine gemeinsame Zukunft denkbar, doch vieles bleibt ungeklärt und mehr Illusion und schöner Schein als der große Traum und all die Sehnsüchte, die Ivy ein Leben lang begleitet haben. Und dann taucht in Form ihres ehemaligen Schulfreundes und Nachbarsjungen Roux auch noch die Vergangenheit in Ivys neuem, wohlgeordnetem Leben auf. Und für Ivy steht wieder einmal alles auf dem Spiel – auch ihre Moral und die Grenzen, die sie zu überschreiten bereit ist.
Die Erzählung um die junge Aufsteigerin Ivy Lin, die als Tochter chinesischer Einwanderer*innen in den USA ihr Glück zu erzwingen versucht, ist so vieles: Krimi, Pageturner und Studie einer Gesellschaft, die diejenigen Zugänge und Aufstieg verwehrt, die „fremd und anders“ sind und sich von Herkunft, Tradition und Werten unterscheiden zu den bisherigen Inhaber*innen sozialer (Macht-) Positionen. Doch vor allem ist der Roman für mich ein fesselndes Leseerlebnis, die Entdeckung einer aufstrebenden Autorin und ein Versprechen auf weitere Werke, die mit feinem Blick Gesellschaftsstudie und -kritik sowie hochkarätige Unterhaltung miteinander zu verbinden verstehen.

Bewertung vom 28.10.2023
Lichtspiel
Kehlmann, Daniel

Lichtspiel


ausgezeichnet

Mit Fokus, Schärfe und einer Brennweite, die den Einzelnen hervortreten lässt – Daniel Kehlmann ist mit „Lichtspiel“ großer Roman und Pageturner zugleich gelungen. Obwohl das Sujet so schwer ist. Und die Geschichte selbst dafür umso faszinierender.
Denn Hauptdarsteller seiner Erzählung ist der Österreicher G. W. Pabst, eine historische Figur und zugleich Ausgangspunkt von Kehlmanns ganz eigener „Dichtung und Wahrheit“. An den Fersen des großen Regisseurs entrollt sich dann die Zeit des Zweiten Weltkriegs, der fortschreitenden Zerstörung von Freiheit, Leben, Mensch und Menschlichkeit sowie die Frage, in welchem Verhältnis Kunst und Macht zueinanderstehen. Und ob und in wieweit Wunsch oder Drang nach einem unabhängigen kulturellen Schaffen in einem System der Unterdrückung ihre Berechtigung finden.
Und in genau diesem Spannungsverhältnis befindet sich Pabst als er zurück nach Österreich kehrt, inzwischen angeschlossen an das „Großdeutsche Reich“ – und es mit seiner Familie nicht mehr vermag, die inzwischen sogenannte „Ostmark“ wieder zu verlassen. Wie geht es nun weiter mit den großen Ambitionen eines ehemals auch großen Regisseurs, der Greta Garbo ins Rampenlicht führte und doch selbst an seinem Fluchtpunkt Hollywood klein und unbedeutend zu werden drohte?
Die Antwort darauf ist für Pabst eindeutig: Die Kunst selbst will er auf den Thron heben! Ein Meisterwerk nach dem anderen schaffen. Und das Regime, das ihm das ermöglicht, unter besten Bedingungen? Bedingt seine Filme, findet sich in einer jeden Szene, in jeder Einstellung wieder und soll, wenn es nach Pabst selbst ginge, doch nur Mittelgeber sein.
Ein schier unlösbarer Konflikt, ein Patt, eine innere Zerrissenheit, der so viele Menschen und auch Künstler*innen im sogenannten Dritten Reich ausgesetzt waren. Die Folgen, die sind für jeden individuell, ganz eigen, doch kollektiv nähern sich Ethik und Moral dem Abgrund, verschwimmen die Grenzen von Recht und Unrecht, und die „Freiheit der Kunst“ sind nur mehr Worte. Leer.
Reich gefüllt und voll von Ideen, Inspirationen und einer Sprache, so präzise und klingend zugleich, ist dagegen das Meisterwerk, das Kehlmann zu schaffen vermag. Und sein „Lichtspiel“ entfaltet sich wie ein Film vor den Augen der Leser*innen, lässt Wörter und Text vor den Augen verschwimmen und leuchtende Bilder und Figuren vor einem scharfen Hintergrund entstehen. Und diese noch lange nachwirken – in Geist, Herz und Verstand seiner begeisterten Zuschauer*innen.