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Benutzername: 
Hennie
Wohnort: 
Chemnitz

Bewertungen

Insgesamt 268 Bewertungen
Bewertung vom 10.01.2019
Herbststurm / Kommissär Reitmeyer Bd.3
Felenda, Angelika

Herbststurm / Kommissär Reitmeyer Bd.3


sehr gut

Fall 3 für Reitmeyer: Zwei Morde bei Bund Treu-Oberland

Nach "Wintergewitter", das ich im November 2016 las, folgte nun der dritte Teil mit "Herbststurm". Ich bin recht schnell wieder in die Geschichte um den Protagonisten Kommissär Reitmeyer und seinem klugen Mitarbeiter Korbinian Rattler reingekommen. Wie schon beim Vorgängerband werden die gesellschaftlichen und die politischen Verhältnisse im München der 20er Jahre des 20. Jh. gut beschrieben. Radikale rechte Gruppierungen wie der Bund Treu–Oberland machen sich überall breit, auch die Behörden sind infiltriert. Reitmeyer spürt diese Entwicklung unmittelbar bei seinem unentschlossenen, übervorsichtigen Vorgesetzten und wird in seinen Ermittlungen um zwei Mordfälle in dieser Szene des Öfteren ausgebremst. Es geht um die Abspaltung Bayerns vom übrigen Deutschland, um die Vorbereitung eines Putsches, um die politische Macht und viel Geld. Aus Rattler, der im "Wintergewitter" noch ein Polizeischüler war, scheint ein ziemlich talentierter, umsichtiger und gefragter Kriminalist geworden zu sein. Hier ist er etwas zu sehr abgelenkt von den Reizen einer jungen schönen Frau aus dem Baltikum. Dass die hübsche Larissa etwas im Schilde führt, da wird man als Leser richtig draufgeschubst. Rattler ist jung und sehr verliebt. Deshalb verläßt ihn ab und zu sein sonst so sicherer, kriminalistischer Instinkt.
Es gibt für mich viel Zeitgeschichte zum Nachlesen da ich vorher mit den Gegebenheiten dieser Jahre nicht so vertraut war. Die Autorin hat mit dem Bund Treu-Oberland und tatsächlich existierenden Personen (Georg Fuchs, Hugo Machhaus, Ruge) viel Zeitkolorit eingebracht. Im Gegensatz zum ausgewogenen Vorgängerband sind mir hier aber zu viele Informationen enthalten, zu viele Personen involviert und zu viele Nebenhandlungen. Als sich der Kriminalfall dann auflöste, war ich regelrecht erstaunt, wie trotzdem alles in allem stimmig war. Doch der gleiche Effekt hätte sich bei mir eingestellt mit weniger Seiten.

Zusammenfassung:
Angelika Felenda studierte Geschichte und Germanistik. Das merkt man ihrem Roman durchaus an. Sie versteht es in atmosphärischer Dichte die Kriminalgeschichte mit dem tatsächlichen Verlauf der historischen Ereignisse zu verflechten. Sie beschreibt eindrucksvoll die Stimmungen im München Anfang der 20er Jahre. Die Figuren in ihrem Roman wirken lebendig und ausdrucksstark sowohl in der positiven als in der negativen Darstellung. Die Hauptpersonen erfahren eine Weiterentwicklung. Zum Beispiel werden Sebastian Reitmeyer und Caroline von Dohmberg endlich ein Liebespaar, nachdem der Kommissär im vorherigen Band noch an Kriegsfolgen litt und sich deswegen seiner Angebeteten nicht näherte.
Wer sich wie ich auf dieses Buch einläßt, wird viel über die Verhältnisse in der Zeit erfahren. Ein Werk, das bildet trotz der etwas ausufernden Handlung. "Herbststurm" kann man als Einzelband lesen, aber besser ist es, wenn man die beiden Vorgänger kennt.
Das Cover vermittelt die allgemeine Stimmung sehr gut und unterstützt den Titel des Buches.

Ich vergebe für diesen Krimi 4 von 5 Sternen.

Bewertung vom 06.01.2019
Der Wortschatz
Vorpahl, Elias

Der Wortschatz


ausgezeichnet

Ein literarisches Kleinod

Nach der langen intensiven Lektüre dieses außergewöhnlichen Debüts des sprachgewandten Autors Lukas Vorpahl, weiß ich nicht so recht, wo ich mit meiner Laudatio beginnen soll.
Den Ausgangspunkt, ein Wort zur Hauptfigur eines Romanes zu machen, fand ich sehr innovativ und ich war gezwungen, mich in die ungewohnte Sprachwelt hineinzudenken.
Es beginnt damit, dass das Wort Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater hat. Der Vater sagt u.a.: [S. 14] „Wir dürfen die Menschen nicht nur verteufeln. Wir brauchen sie, sie lesen und schreiben uns. Sie lassen uns existieren. Ohne sie wird unsere Welt verschwinden. Viel schneller als wir glauben.“
In seinem Ärger über den Papa läuft das Wort aus dem Haus zu seinem stummen Freund Zeig. Dort widerfährt ihm das Unglück, in dem es zwischen Stimmbänder gerät und seine Erinnerung, seine Bedeutung, seine Zugehörigkeit zu (s)einer Wortfamilie verliert. Das Wort nimmt den Leser von da ab auf eine fantastische Reise mit, auf der Suche nach seinem Sinn, nach seinem Ursprung. Auf dieser Reise zu sich selbst macht es wertvolle Erfahrungen.

[S. 61] "Den Weg zu erkennen, der dir Sinn gibt, ist die größte Herausforderung."

In dieser Geschichte wird gezeigt, wie vielfältig Sprache ist und wie wirkungsvoll sie sein kann in ihrem Gebrauch. „Der Wortschatz“ ist für mich eine Wundertüte. Ich habe das Werk in einer Leserunde gelesen. Es war erstaunlich, zu erfahren, wieviel Raum der Autor zur Interpretation seines Textes gibt oder zu geben scheint. Jeder entdeckte etwas Neues. Ein wunderbares Buch voller genialer Einfälle (Da gibt es z. B. Babel, einen Ort, der als Müllplatz für unnütze, sinnlose Worte dient. Wurde Babel gewählt in Anlehnung an das Sprachwirrwarr, das dort angeblich herrschte?) Elias Vorpahls Zeilen musste ich oft mehrmals lesen, um den vollen Sinn zu begreifen bzw.besser zu verstehen. Diese vielen Anspielungen, Wortspielereien...
Der Roman ist wirklich ein Schatz und noch nie habe ich so lange gebraucht, um zum Ende zu kommen. Er erzählt eine bezaubernde, märchenhafte Geschichte mit Fantasieelementen, die ich immer wieder mal lesen werde, um weitere Feinheiten zu entdecken.
Elias Vorpahl, von Beruf Mathematiker, kann erstaunlich gut mit Worten umgehen. Ein Wortakrobat! Ich finde es ist ihm meisterhaft gelungen mit einer einfachen Geschichte, aber mit wohlgesetzten Worten eine parabelhafte Erzählung in mehreren Ebenen zu erschaffen. Ich empfinde es fast schon als philosophisch, dieser tiefgründige, manchmal spitzfindige, spielerische Umgang mit der Sprache. Der Autor schafft mit den Metaphern, den Sinnbildern, den vielen Anspielungen und Anlehnungen an bekannte literarische Werke eine märchenhafte Atmosphäre.
Ich habe mir jede Menge Sätze notiert, die ich als zitatwürdig erachtete. Das Buch hat nur 176 Seiten/11 Kapitel mit Prolog und Epilog, aber der Inhalt ist komprimiert. Es regt in hohem Maße die eigene Fantasie an. So fielen mir mit der Erwähnung des Teekesselspiels Dinge ein, die mit der Geschichte nichts zu tun haben. (Das ist ein Sprachspiel, das Anregungen gibt zur Förderung der Sprachkompetenz, indem Wörter mit doppelter oder mehrfacher Bedeutung gefunden werden sollen.)
Der Leser wird zum Ende des Buches direkt angesprochen, mit einbezogen. Auch das eine Klasse für sich.
Die gesamte Aufmachung des Romans ist hervorragend, Hardcover und mit Lesebändchen. Er enthält wunderschöne Illustrationen als ganzseitige Zeichnung vor jedem Kapitel sowie kleine Zeichnungen im Text von Julia Marie Stolba.
Ich vergebe für den „Wortschatz“ das Prädikat wertvoll. Mich hat seine Botschaft erreicht.
Das Buch wendet sich an Literaturliebhaber, ein wortgewaltiges Erstlingswerk, ein Werk, dass Gründlichkeit beim Lesen verlangt. Kein Buch zum einfach weglesen.
Von mir gibt es die Höchstbewertung und meine unbedingte Kauf-/Leseempfehlung!

Bewertung vom 29.12.2018
Lukas und die Meckerschweinchen
Friedrich, Joachim;McMaster, Minna

Lukas und die Meckerschweinchen


ausgezeichnet

EIN TIERISCH GUTER KINDERKRIMI
Lukas ist die Hauptfigur in der Geschichte, wie es aus dem Titel schon erkennbar ist. Er hat eine gesundheitliche Einschränkung mit dem Gehör, die durch ein Hörgerät behoben wird. Wenn er es ausschaltet, kann er die Tiere verstehen und sich mit ihnen unterhalten. Er nennt es von Menschen- auf Tierfunk umschalten.

Zum Inhalt:
Lilli, das Meerschweinmädchen, eine Bewohnerin des Wildparks ist weg. Das stellte erst einmal nichts Besonderes bei ihr dar, da sie sehr gerne und oft abenteuerlustige Ausflüge unternahm. Bis jetzt war sie immer wieder gekommen und konnte dann tolle Geschichen erzählen. Deshalb ist sie auch bei allen Tieren so beliebt. Doch nun machen sich die Tiere Sorgen, weil ihre Abwesenheit ungewöhnlich lange dauert. Lukas und seine kleine Freundin Marie werden zu Detektiven, begeben sich auf die Suche und erleben dabei verschiedene Abenteuer. Ihnen zur Seite stehen ihre Haustiere. Das sind die kecke, streitfreudige Katze Millicent von Lukas und die ängstliche, übervorsichtige, aber riesige Dänische Dogge Horst von Marie.

Meine Meinung:
Nach dem Auftaktband „Lukas und das Geheimnis der sprechenden Tiere“ (erschienen im März 2017) lernt man die Fortsetzung der Abenteuer kennen. Sie sind so geschrieben, dass sie unabhängig voneinander gelesen werden können. Ich habe erst nach der Lektüre erfahren, dass es sich hier schon um den 2. Band handelt.
Mir gefielen die Charaktere von Lukas und Marie. Er ist ein Junge mit Handicap, dass er aber nicht als solches empfindet, sondert gewitzt einzusetzen versteht. Das Mädchen nutzt ihre zierliche, winzige Gestalt, um sich unsichtbar zu machen. Diese Vorzüge setzen die beiden Kinder, gemeinsam mit ihren tierischen Freunden ein, um einen Fall zu lösen. Die Geschichte liest sich spannend über die 175 Seiten. Und in 18 Kapitelüberschriften wird der Leser auf das Geschehen eingestimmt. Ich war als Erwachsene begeistert von den witzigen, neckischen, frechen Dialogen, die zwischen Millicent und Horst stattfanden. Die Katze treibt es schon manchmal ziemlich arg mit dem armen Hund, der aber auch manchmal richtig treudoof rüberkommt. Eine sehr ungewöhnliche Freundschaft zwischen Hund und Katze! Der Humor kommt dabei nicht zu kurz.

Fazit:
· Ein lustiger Kinderkrimi (schon den Titel „Meckerschweinchen“ finde ich sehr amüsant), der liebenswürdig, ausdrucksstark, spritzig erzählt wird.
· Dazu ein origineller, eigener Illustrationsstil (mit Wiedererkennungswert) von Astrid Henn.
Ein rundum gelungenes Kinderbuch (empfohlenes Lesealter ab 8 Jahre), dem ich gern die volle Sternenanzahl zuspreche.

Bewertung vom 12.12.2018
Ofirs Küche
Graizer, Ofir Raul

Ofirs Küche


ausgezeichnet

VEGETARISCHE KÜCHE HERVORRAGEND PRÄSENTIERT
„Ofirs Küche“- Dieses Kochbuch machte mich total neugierig. Ich besitze nur ein einziges Kochbuch mit 1680 Rezepten. Es ist das Standardwerk aus der DDR, heißt „KOCHEN“ und befand sich damals fast in jedem Haushalt. Meine Familie und ich, wir sind und waren außerordentlich zufrieden mit den Rezepten, da wir nicht unbedingt Freunde des übermäßigen Experimentierens bei der Essenszubereitung sind. Nun las ich die Leseprobe von „Ofirs Küche“. Danach musste ich dieses Kochbuch unbedingt selbst in den Händen halten.
Nachdem mein Mann und ich erste Erfahrungen machen durften, setzt sich die Erkenntnis mit jedem neuen Gericht durch, dass dieses Werk eine wunderbare Ergänzung, Erweiterung zu unserem Kochbuch ist. Wir werden nachkochen, was das Zeug hält.
Der israelische Filmemacher Ofir Raul Graizer läßt überwiegend seine persönlichen Erfahrungen einfließen, die er schön und nachvollziehbar beschreibt. Ofir selbst nennt seine Anleitungen zum Zubereiten der Gerichte, Erfahrungen aus der israelisch-palästinensisch-jüdisch-arabischen Küche.
Er gibt sehr geeignete Hinweise zum Gebrauch seines Kochbuchs. Die durchaus raffinierten Rezepte bestechen durch ihre Einfachheit. Sie sind für jeden zugänglich. Nur wenige benötigen besonderes Zubehör (z. B. Kieselsteine für das Brot Frena). Und immer wieder erfährt man über die Herkunft der Rezepte, ihre Geschichte, die Hintergründe.
Das gesamte Kochbuch gefällt mir durch seine Einteilung. Einem Besuch in der Bäckerei mit u. a. der Vorstellung von traditionellen Broten und natürlich deren Herstellung folgen Beilagen, Dips, Salate und Käse zum Selbermachen. Es schließen sich Kapitel über die Bedeutung der Hitze bei der Zu- bzw. Vorbereitung, dann Gerichte mit Eiern und Gerichte mit Gemüse an. Alles wird sehr informativ, unkompliziert, klar und verständlich beschrieben. Ich möchte auf die Gerichte Sheikh Mahshi – Auberginen mit Tomate und Käse – und den Arme Pilze – Auflauf eingehen. Beides sind Gerichte, die ohne Aufwand zubereitet werden können, die aber sehr gut schmeckten und in geringen Portionen sättigten. Das Wichtigste, was ich mir für diese Küche mitnahm, ist die Erkenntnis, dass ich unbedingt frische Kräuter benötige (frischer Basilikum, frischer Oregano).
Die Gestaltung des Kochbuches, die gesamte Aufmachung und die optische Präsentation der Speisen ist hervorragend gelungen!
Am Ende des Buches befindet sich ein Index mit detaillierten Angaben zu besonderen Zutaten sowie eine kleine Tabelle mit Maßeinheiten.

Ofirs Küche empfehle ich vollmundig! Mit seinen 70 bis 80 pfiffigen, wohlschmeckenden, vegetarischen Rezepten kann dieses Kochbuch für Jeden nur eine Bereicherung des Speisezettels sein. Ich vergebe fünf von fünf Sternen.

Bewertung vom 02.12.2018
Vielleicht tanzen wir morgen
Hogan, Ruth

Vielleicht tanzen wir morgen


ausgezeichnet

ZURÜCK INS LEBEN
Mascha hat trotz großer Achtsamkeit schuldlos durch einen einzigen unglücklichen Moment ihr Liebstes verloren. Ihr kleiner Sohn Gabriel verunglückte und wurde nie gefunden. Ihre grenzenlose Trauer versucht sie seitdem durch morgendliches Schwimmen im eiskalten Wasser zu betäuben bzw. möchte sie nachempfinden, was ihr Kind vor dem Ertrinken gespürt haben muss. Durch ihre täglichen Begegnungen mit einzigartigen Menschen u. a. auf dem Friedhof, in der Praxis, wo sie arbeitet, mit ihrem Freund Edward , mit ihrem herrlichen Hund Haizum, findet sie langsam ins reale Leben zurück. Sie lernt wieder zu genießen und eines Tages kommt die Vergangenheit zurück...
Für mich ist es das zweite Buch von Ruth Hogan. Nach „Mr. Peardews Sammlung der verlorenen Dinge“, die auch schon eine sehr gefühlvolle Story beinhaltete, legt sie hier wieder eine wundervolle, detailreiche Geschichte vor.
Mir zog es alles zusammen, als ich las, welchen Temperaturen sich Mascha aussetzte, um sich zu bestrafen. Eigentlich wollte sie nicht mehr leben. Sie band alle ihre Verwandten und Bekannten in ihre tiefe Trauer mit ein.
„ Ich habe sie zu einer lähmenden Behutsamkeit verdammt, um meine Gefühle zu schonen...“[S. 68].
Ich fühlte mich durch die Autorin ganz sacht in die Gefühlswelt der Protagonistin einbezogen. Maschas Überlebensplan konnte ich begreifen. Dazu gehörte das Schwimmen im eiskalten Wasser, ihr Hund Haizum, die neue Ausbildung zur Psychotherapeutin. Trotzdem will es ihr lange nicht gelingen in das ganz normale Leben zurückzufinden. Sie fühlt sich den Toten näher als den Lebenden, legte sich eine neue (imaginäre) Familie auf dem Friedhof zu. Ihr umfangreiches Wissen, was sie sich in den zwölf Jahren nach dem Ableben ihres Sohnes über die in den Gräbern liegenden Menschen zulegte, prädestiniert sie zur Friedhofsführerin. Mascha nimmt nicht wirklich am wahren Leben teil. Sie kann sich zum Beispiel auch nicht mehr am Frühling erfreuen.
[S. 95] „Ich hasse den Frühling. Was ich nicht will.....Sobald die Bäume frische Blätter zur Schau tragen, Blüten austreiben und die Sonne wärmer und heller wird, fallen Schatten über meine Welt...Für mich ist der Frühling ein Vorbote des Untergangs.“
Die Geschichte um Mascha wird eigentlich im wesentlichen getragen durch die beiden starken weiblichen Charaktere. Das ist zum einen die anscheinend obdachlose Stadtstreicherin Sally Red Shoes, die Mascha des öfteren auf dem Friedhof tanzend antrifft. Zum anderen gibt es da Kitty Muriel, eine ältere, bewundernswerte, attraktive Lebenskünstlerin. Durch sie lernt Mascha ihre Lektion fürs Leben, fürs Überleben.
[S. 220] „Um den Tod eines Kindes durchzustehen, braucht man viel Mut,...aber man braucht noch viel mehr Mut, um ohne sie weiterzuleben.“
Ein bißchen fällt für mich leider der Part um Alice und ihren Sohn Mattie ab. Die sehr kranke Alice blieb mir in der Beschreibung zu blass. Lange Zeit wußte ich nicht, was die Autorin mit den beiden Protagonisten bezweckte. Alle anderen Figuren fand ich sehr gelungen. Die Sprache ist auf eine einfühlsame, sensible Weise poetisch.

Insgesamt ist „Vielleicht tanzen wir morgen“ für mich ein zuversichtlicher, realistischer Roman, der mit viel Gefühl und Zukunftsperspektive erzählt wird. Ein Roman, der Hoffnung selbst nach einer Tragödie verspricht.
„Mr. Peardew“ konnte mich zwar noch mehr begeistern, aber trotzdem möchte ich meiner Bewertung keinen Stern abziehen.
Ich vergebe die Höchstbewertung und meine Lese-/Kaufempfehlung.

Bewertung vom 28.11.2018
Mörderische Renovierung
Cantero, Edgar

Mörderische Renovierung


sehr gut

CANTERO - EIN NEUER LOVECRAFT?
Was als allererstes im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge springt ist dieses tolle Cover. Zwar wurde es total in schwarz/weiß in feinen Abstufungen gehalten, aber so gut gestaltet, dass es ein absoluter Hingucker ist. Über dem Rahmen des Covers sind ringsum Titel zu lesen, die ganz sicher dem Autoren viele Inspirationen lieferten für dieses Buch (z. B. The Juggernaut: Das ist eine fiktive Figur, die in amerikanischen Comics von Marvel Comics erscheint).
Der Roman von dem jungen Katalanen Edgar Cantero setzt ein großes Spukhaus in den Mittelpunkt des Geschehens. Es befindet sich in Point Bless/Virginia und nennt sich das Axton House nach seinen ersten Bewohnern, die sich Sklaven hielten und äußerst grausam und brutal waren. Die Bewohner der Neuzeit, die beiden Wells, kamen jeweils durch einen nebulösen Fenstersturz um Leben. Sie gehörten einer geheimen Gesellschaft an, deren Mitglieder sich jährlich zur Wintersonnenwende in dem Haus trafen, um sich einem mysteriösen Ritus zu unterwerfen. Sie warten zu einem bestimmten Zeitpunkt auf die Offenbarungen einer kristallenen Speicherkugel. Das jährliche Treffen rückt immer näher und jetzt ist der Erbe der Gastgeber.
A. (so der Name, der im gesamten Buch nicht konkretisiert wird) lebt seit kurzem in den USA, weil er von dem ihm völlig unbekannten Cousin 4. Grades, Ambrose Wells, dieses große Anwesen und dazu eine Menge Geld erbte. Der junge Mann ist 23 Jahre alt und mit ihm gemeinsam bewohnt seine 17jährige irische, stumme Gefährtin Niamh (sprich: Nief) das Haus. Auf Wunsch einer zunächst nicht näher vorgestellten Tante Liza soll sie auf A. aufpassen und ihn beschützen. Was so alles passiert, nachdem die beiden jungen Leute das scheinbar verfluchte Haus in Beschlag nehmen, ist gleichzeitig phantasiebeladen als auch horrormäßig erzählt.
„Mörderische Renovierung“ ist eine Spukgeschichte der besonderen Art. Für mich war dieser Roman ein durch und durch ungewöhnliches Leseformat. Es ließ sich auf keinen Fall leicht lesen wegen der ständig wechselnden Arten der Berichterstattung wie u. a. Tagebucheinträge, Protokolle, wissenschaftliche Beiträge, Briefe, Botschaften zum Dechiffrieren, Videos u. v. mehr. Diese wechseln sich fortwährend ab mit der normalen Erzählweise. Ich empfand es als sehr anstrengend, da zudem die Mysterien, die Rätsel kein Ende zu finden scheinen. Erst fast zum Schluss kommt etwas Erhellung in die ganze Geschichte. Trotzdem war die Erzählweise für mich widerspenstig, sehr ungewöhnlich. A. und Niamh sind sehr geduldige, ausdauernde, mit einer großen Wißbegier ausgestattete Charaktere. Ihre persönliche Beziehung zueinander ist mehr als seltsam. Alles dies zusammen faszinierte mich an diesem Buch und schließlich blieb ich dran. Das Ende überraschte mich und ließ mich etwas ratlos zurück.
Mein Fazit:
“Mörderische Renovierung” (Originaltitel: The Supernatural Enhancements) - übrigens ein Titel, den ich nicht sehr passend finde – ist phantastische Horrorliteratur mit übernatürlicher
Atmosphäre und einigen Ungereimtheiten.
Wer Lovecraft mag, wird auch dieses Buch mögen!

Ich bewerte mit vier von fünf Sternen und empfehle den Roman für alle, die Fantasie gepaart mit Horror mögen.

Bewertung vom 21.11.2018
Gangsterblues (MP3-Download)
Bausch, Joe

Gangsterblues (MP3-Download)


ausgezeichnet

HOTEL WERL
Bisher kannte ich Joe Bauschs charakteristisches Gesicht sowie seine markante Stimme nur aus den Kölner Tatort-Folgen. Dort spielt er seit 1997 den Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth an der Seite von Ballauf und Schenk.
Mit „Gangsterblues – Harte Geschichten“ legte er nun ein Buch vor, indem er aus seinem realen Berufsalltag berichtet. Seit über 30 Jahren behandelt er in der Justizvollzugsanstalt Werl als Gefängnisarzt die Schwerstverbrecher. Man kann sich durchaus einen leichteren Job in diesem Beruf vorstellen. Ich zolle Joe Bausch meine Hochachtung und bewundere ihn für die jahrzehntelange, gesundheitliche Betreuung der Außenseiter unserer Gesellschaft. Wie er selbst betonte, ist seine Arbeit auch nicht ungefährlich.
Ich habe sein Werk nun als Hörbuch erleben dürfen. Die 12 Knastgeschichten liest der Autor auf 6 CDs und in 450 Minuten selbst. Sie wirkten auf mich sehr authentisch. Seine eindringliche Stimme hat ein Timbre, das bei mir Wirkung zeigt. Ich war vom ersten Ton an sofort aufmerksam. Ab und zu hatte ich das Gefühl, dass er die Intonierung nicht an der richtigen Stelle einsetzt. Doch das war für mich für den guten Gesamteindruck nicht weiter von Belang. Ich gewöhnte mich an seine etwas ungewöhnliche Betonung und Modulation der Stimme.
Gleich zu Beginn hat mich die Story um einen zu Unrecht Verurteilten ganz schön mitgenommen. Die Umstände, die den jungen Bankangestellten eines grausamen Mordes an einer jungen Frau beschuldigten und überführten, fand ich skandalös. Letzten Endes war es für den unschuldigen Mann leider dumm gelaufen. Wenn nicht noch ein Wunder geschehen sollte, wird er voraussichtlich sein Leben weiterhin auf unbestimmte Zeit hinter Gittern verbringen. Da hat meiner Meinung nach zuerst die Polizei und dann die Justiz total versagt. Ich finde es einfach fatal, dass es keine Möglichkeit zu geben scheint, auch mal Fehler einzugestehen.
Wie Joe Bausch seine Knastologen und ihre Verbrecherkarrieren
vorstellt, zeigt mir auf eine besondere, beeindruckende Weise, dass er auch diesen Menschen nicht nur als zuständiger Mediziner Beachtung und seine volle Aufmerksamkeit schenkt. D.h. allerdings, wenn sie es wollen! Er legt es nicht darauf an z. B. den Seelenklempner zu geben. Wer seinen Rat oder sein Zuhören benötigt, bekommt das auch.
Ohne jegliche Klischees versteht der Arzt die Verurteilten im Kontext zur Gesellschaft, zu den Normen darzustellen. Er bezieht dabei ihre Sicht auf ihre Tat(en) mit ein, ohne selbst zu werten. Die Taten stehen für sich und wie die Täter sich selbst dazu bekennen. Es wird über Fälle berichtet, die wirklich interessant, und ausgefallen sind. Sie wirken manchmal sogar absurd. Die harten Geschichten, die Joe Bausch im Laufe der Jahre erfährt, schildert er in einer Weise, die eine Identifikation schwierig machen. Er hat sie wirklich im Knast erlebt. Die Namen und andere Dinge veränderte der Autor, fiktionalisierte sie zum Teil und entwickelte sie weiter. Somit wurde die Privatsphäre der Betroffenen gewährleistet.

Wie schon im Klappentext zu erfahren ist, hat Joe Bausch die besten dieser Geschichten aufgeschrieben. Wahre Geschichten, die unter die Haut gehen.

Für mich war das Hörbuch fünf von fünf Sternen wert und wer ein wenig aus der härtesten Justizvollzugsanstalt Deutschlands erfahren will, dem möchte ich „Gangsterblues“ empfehlen.

Bewertung vom 15.11.2018
Der Apfelbaum
Berkel, Christian

Der Apfelbaum


ausgezeichnet

Brillante Erzählung deutscher Familiengeschichte

Nun kann der Schauspieler auch noch schreiben! Mir gefiel Christian Berkels Debütroman außerordentlich. Er hat eine wahre, schriftstellerische Begabung!
In „Der Apfelbaum“ beschreibt er ein ganzes Jahrhundert deutscher Geschichte anhand der ungewöhnlichen Liebe seiner Eltern in der Zeit der Nationalsozialisten. Diese aufregende Story der Beiden bildet den Kern des Buches.
Die außergewöhnliche Handlung beginnt in Berlin im Jahre 1932. Sala und Otto verlieben sich Knall auf Fall ineinander bei einer sehr bizarren Situation. Zu dem Zeitpunkt ist sie zarte 13 und er erst 17 Jahre alt. Sie stammen aus vollkommen unterschiedlichen Welten – Otto ist ein typisches Arbeiterkind mit Berliner Schnauze, Sala hat einen intellektuellen, jüdischen Hintergrund.
Christian Berkel gelingt ein tiefes Eintauchen in die Persönlichkeiten, besonders von Sala und Otto. Hier zeigt sich, dass sich der Autor äußerst gründlich mit seiner Familiengeschichte beschäftigt hat. Seine Recherchen müssen außerordentlich zeitaufwendig gewesen sein.
Beide Eltern werden von ihm durchdringend analysiert und mit konkreten, fassbaren, substantiellen Charaktereigenschaften versehen. Seine Mutter Sala und die eigenwillige, distanziert wirkende Großmutter Iza, die Jüdin ist, stellt er als starke Frauen dar. Sala wächst sehr unkonventionell beim Vater auf, da Iza sie beide für einen anderen Mann verläßt. Der Vater, ein feinsinniger gebildeter Mann, sexuell nicht auf ein Geschlecht festgelegt, läßt dem Mädchen viele Freiheiten. Sala leidet unter der scheinbaren Gefühlskälte ihrer Mutter. Sie gibt ihr außerdem u. a. die Schuld an ihrer Orientierungslosigkeit, an ihrer Unwissenheit, was das Judentum betrifft. Sie fühlt sich als Deutsche und muss trotzdem die Repressalien der Nazis erleiden. Durch Umwege über Frankreich, wo sie bei Verwandten lebt, gerät sie doch in die Fänge des Systems. Sie wird in einem Lager in der französichen Ortschaft Gurs (Pyrenäen) interniert, übersteht Hunger, unsägliche unhygienische Zustände und entkommt durch Glück der Deportation nach Auschwitz. Es ist sehr spannend wie sich ihr weiterer Weg gestaltet. Otto hingegen zieht als Sanitätsarzt mit der Wehrmacht in den Krieg, gerät in russische Kriegsgefangenschaft, wo auch er unfaßbare Dinge erleben und überleben muss. Erst 1950 kehrt er zurück ins zerstörte Berlin. Die beiden Liebenden müssen noch manche Hürde überwinden, bis sie sich endlich wieder in die Arme schließen können. -
Über 48 Kapitel wechselt der auktoriale Schreibstil mit Abschnitten, die in der Ich-Form geschrieben wurden. Diese abwechselnde Erzählweise brachte mich anfänglich leicht aus dem Takt des Leseflusses. Das ist meine einzigste, leichte Kritik am Buch. Eventuell wären passende Überschriften hilfreich gewesen, mit dem Wechsel der Zeitebenen besser zurecht zu kommen. Die Ich-Perspektive berichtet aus der Gegenwart und der Autor tritt als Interviewer seiner betagten, leicht vergeßlichen Mutter in Erscheinung.
Mich beeindruckte sehr die gewandte, detaillierte, wohlformulierte Sprache des Autors, die mich vergessen ließ, dass dies sein erster Roman ist. Dialoge entwickelten oft eine eigene Dynamik und wirkten nicht erdacht. Die autobiografischen Elemente wurden geschickt mit fiktionalen Handlungsebenen verwoben. Spannungsreich und sehr souverän erzählt er die Geschichte seiner Familie über drei Generationen von Ascona (Künstlerkolonie), Berlin, Paris, Lager in Gurs, Leipzig, Rußland bis nach Argentinien. Gerne würde ich noch ein Buch über diese Familie lesen. Vielleicht ein weiterer Roman, in dem Christian Berkels Großeltern die Hauptrollen einnehmen? Beide, der Großvater Johannes Nohl und die Großmutter Iza-Gustava Gabriele Prussak, lebten ein sehr ungewöhnliches Leben.

Chapeau, Christian Berkel! Ich empfehle dieses Buch sehr gern mit der Höchstbewertung!

Bewertung vom 08.11.2018
Stern des Nordens
John, D. B.

Stern des Nordens


ausgezeichnet

ENTSETZENERREGENDE EINBLICKE IN EIN ABGESCHOTTETES LAND
Von der ersten Seite an fesselte mich D. B. Johns Thriller. Es beginnt im Juni 1998 an einem Inselstrand Südkoreas. Die neunzehnjährige Soo-min und ihr gleichaltriger Freund Jae-hoon verschwinden, ohne Spuren zu hinterlassen.
Es vergehen zwölf Jahre. Der Autor befördert den Leser abwechselnd an drei verschiedene Schauplätze und zu drei sehr unterschiedlichen Protagonisten. Zunächst ist da die frischgebackene CIA-Agentin Jenna Williams aus den USA, die für eine geheimnisvolle Mission nach Nordkorea entsendet wird. In der Zeit ihrer Spionageausbildung entdeckt sie, dass ihre Zwillingsschwester nach Nordkorea entführt wurde. Die beiden anderen Handlungsorte befinden sich in Nordkorea. Der loyale Oberst Cho in Pjöngjang ist ein hoher Parteifunktionär, der die Privilegien in der verbotenen Stadt mit seiner Familie genießen darf. Die Bäuerin Moon indes kämpft in einem Dorf der nordkoreanischen Provinz ums Überleben.
Wie die Handlungsstränge zusammengeführt werden, das ist atemberaubend spannend. Im Prolog, in den 57 Kapiteln von angenehmer Länge und schließlich im Epilog berichtet der Autor über einen Zeitraum von etwa 16 Monaten (Oktober 2010 bis Februar 2012). Er erzählt von Geschehnissen, von denen man glauben mag, dass sie nicht in unserer Welt passieren. Des öfteren geriet ich an meine Grenzen des Verstehens der so unglaublichen Ereignisse. Vor dem Teil 1 ist ein Zitat abgedruckt:
„Die Saat der Klassenfeinde, wer auch immer sie sind, muss bis in die dritte Generation ausgerottet werden.“ (KIM IL-SUNG, im Jahre 1970)
Und danach wird bis zum heutigen Tag gnadenlos gehandelt. Stammbäume werden bis in die dritte Generation zurückverfolgt. Das ist auch Thema dieses Buches und ließ mich ebenfalls fassungslos zurück.
Ich fand die Story sehr aufschlussreich, informativ und vor allem nachvollziehbar in einem angenehmen Schreibstil erzählt. Dazu waren die Hinweise, Erläuterungen des Autors im Anhang sehr hilfreich. Was mir bis zum Ende des Thrillers teilweise als unmöglich, als fiktiv erschien, erklärten die Anmerkungen ausführlich. Sie trugen dazu bei, die Situationen, Vorgänge, Vorgehensweisen in dem abgeschotteten Land, besser zu verstehen. Außerdem bemühte ich die Suchmaschine Google. Es ist vieles im Buch verarbeitet, worüber es sich lohnt, Näheres zu erfahren.
Da ansonsten Nordkorea eher selten Thema ist, war das Buch für mich eine große Bereicherung. „Stern des Nordens“ wird als Thriller ausgewiesen und so sollte die Story um die drei Protagonisten auch bewertet werden. Nicht alles ist bis ins letzte realistisch, aber gerade die grausamsten, brutalsten Szenen der Folterungen, die qualvollen Zustände in den Lagern, die unerträglichen Arbeits- und Lebensbedingungen eines großen Teils der Bevölkerung, die menschenverachtenden Programme der Regierung, sind es doch. Ein Teil der Handlung ist nichts für zart besaitete Seelen. Entsetzlich, was Menschen in unserer Zeit und auf unserer Erde ertragen und erdulden!
Ein sehr aufwühlender Thriller, der auf Realität basiert. Grausam. Unvorstellbar. Zustände, die es auf dieser Welt nicht mehr geben sollte. Nordkorea ist noch immer ein totalitäres Regime mit großen Widersprüchen. Wie lange noch?
Das Cover zeigt den Zug des Großen Führers (Bestandteil der Handlung), der durch eine schneebedeckte, hier nicht sichtbare Landschaft fährt. Darauf in großen, roten erhabenen Lettern der Autor, der Titel und ein roter Stern. Im Anhang gibt es ein Glossar nordkoreanischer Wörter, die im Buch Erwähnung finden.

Ich bewerte mit fünf von fünf Sternen und spreche für alle Freunde des Politthrillers eine unbedingte Lese-/Kaufempfehlung aus.