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Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 20.06.2021
Die Karte / Kerner und Oswald Bd.4
Winkelmann, Andreas

Die Karte / Kerner und Oswald Bd.4


ausgezeichnet

Diesmal viel Persönliches, weniger nervenzerreißende Spannung

Zugegebenermaßen, meine Erwartungen waren hoch. Bislang habe ich alle Thriller aus der Reihe mit Kerner und Oswald gelesen und war jedes Mal restlos begeistert. Insofern musste sich der vorliegende vierte Band an seinen Vorgängern messen lassen. Leider fand ich ihn ein wenig schwächer als die ersten drei Bände.

Die Geschichte beginnt mit dem Frauenpaar Eva und Laura. Eva entscheidet sich, abends im Dunkeln noch eine Laufrunde zu drehen und wird wenig später brutal ermordet aufgefunden. Der Ermittler Kerner ist betroffen, denn er hatte noch kurze Zeit zuvor mit Eva bezüglich eines anderen Falls gesprochen. Nur wenige Tage vergehen, und eine weitere Joggerin wird tot aufgefunden. Ein Serientäter?

Wie immer gelingt es Andreas Winkelmann, von Anfang an so zu erzählen, dass man sofort mitten in die Geschichte gerät. Detailreich und lebendig schreibt Andreas Winkelmann, sodass der Leser schnell sehr plastische Bilder in der Vorstellung entwickelt. Verschiedene Perspektiven, auch Rückblicke in die Vergangenheit, sind wohldosiert eingesetzt, ohne den Lesefluss zu unterbrechen oder Verwirrung zu schaffen. Verstörend die Kapitel, in denen der Täter Einblicke in sein Denken und Fühlen gibt und seiner Hybris, sich gottgleich zu fühlen, Herr über Leben und Tod zu sein, Ausdruck verleiht. Was die Ermittler Jens Kerner und Rolf Hagenah betrifft, ebenso die Polizistin und Rollstuhlfahrerin Rebecca Oswald, so erfährt man in diesem Buch sehr viel mehr Persönliches als in den Vorgänger-Bänden. Psychologisch feinfühlig und sehr differenziert in seinen sichtbaren und unsichtbaren Seiten wird Jens Kerner geschildert, auch die klug analysierende Sicht von Rebecca trägt ihren Teil dazu bei, dass uns in diesem Band Jens Kerner persönlich sehr nahe rückt. Der Plot ist raffiniert und überraschend, wie erwartet. Einzig fehlt mir an diesem Thriller die erwartete nervenzerreißende Spannung. Zwar ist man beim Lesen durchwegs neugierig auf den Fortgang der Geschichte, aber es gab meiner Meinung nach zu wenig Szenen der absoluten hochgradigen Spannung. Dennoch bleibt für mich Andreas Winkelmann einer der besten Thriller-Autoren, die ich kenne.

Bewertung vom 13.06.2021
Der Nachlass
Winner, Jonas

Der Nachlass


ausgezeichnet

Ein absolut spannender, genial komponierter Thriller

Puh!
Erschöpft schließe ich das Buch. Welch eine Geschichte! Ich fühle mich, als sei ich durch einen Fleischwolf gedreht worden. Jonas Winner hat mich schwindelig geschrieben, hat mich geradezu geschreddert mit seiner Erzählkunst.

Wir lernen zunächst Theo kennen, den professionellen Pokerspieler, aktuell mit großen Geldproblemen und Albträumen. Er erhält den Anruf eines Notars aus Berlin, dass Theo‘s Mutter Hedda Laurent im Sterben liege und ihn unbedingt noch einmal sehen möchte. Es sei Eile geboten. Nach 30 Jahren Abwesenheit! Noch bevor Theo in Berlin eintrifft, ist Hedda Laurent gestorben. Es finden sich in Trauer zusammen Heddas Mann Artur, ihr Bruder Ruben und ihre 4 Kinder Jannick, Sophia, Theo und Patricia. Bei der Testamentseröffnung verliest der Notar eine sehr befremdliche Anforderung. Das beträchtliche Vermögen soll derjenige der Angehörigen in Gänze erhalten, der in einer Art Wettkampf als Sieger hervorgeht. Es müssen 27 Aufgaben gelöst werden, und nur einer kann gewinnen. Es beginnt alles wie ein Spiel. Doch Runde um Runde gerät dieses Spiel zunehmend in eine Spirale des Bösen.

Gut, dass eine Übersicht, eine Art Stammbaum der Familie, der Geschichte vorangestellt wurde. Zu Beginn musste ich mehrfach wieder nachschauen, wer wer ist. Denn Jonas Winner erzählt nicht chronologisch und schafft bei mir gehörige Verwirrung mit dem scheinbar willkürlichen Spiel der Szenen vor und zurück zwischen Gegenwart, jüngerer Vergangenheit und Kindheitserinnerungen, zudem durch Perspektivwechsel der Erzähler. Man beginnt beim Lesen im aktuellen Leben von Theo, glaubt, mit ihm die Person kennen gelernt zu haben, an deren Seite man durchs Geschehen geht, aber – und das fand ich zunächst irritierend – man verliert Theo schnell aus den Augen, verliert sich stattdessen im Gestrick der Familienmitglieder. Mir gefallen die wirklichkeitsnahen Dialoge. Sie bestehen oftmals aus halben Sätzen, unfertigen Wortteilen, ohne ausgefeilten Satzbau, wie Menschen eben miteinander sprechen, die beim Reden überlegen oder sich ins Wort fallen. Das Szenario des großen, alten, verwinkelten Hauses mit vielen Zimmern und Fluren, mit Seidentapeten und Gemälden ist geradezu prädestiniert für unerklärliche, beängstigende Geschehnisse. Jonas Winner spielt nicht nur mit Szenen, er spielt auch mit Genres. Und so hatte ich sowohl Assoziationen zu einer tragischen Oper mit großen Gefühlen, Theatralik und langen Sequenzen des Quälens, als auch zu sagenartigen Horrorgeschichten aus der Kindheit. Die Gegenwart wiederum spielt mit psychologischen Verstrickungen, mit Angst, Bedrohung und Tod. Und immer wieder dreht sich die Spirale, schneller und schneller…

Fazit: Ein herausfordernder, absolut spannender und genial komponierter Thriller.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.06.2021
FLEISCHESLUST IN UNTERFILZBACH
Adam, Eva

FLEISCHESLUST IN UNTERFILZBACH


sehr gut

Deftig in jeder Hinsicht

Spaß hat das Lesen dieses Buches auf jeden Fall gemacht. Umso mehr, da ich selbst 10 Jahre in Niederbayern verbringen durfte und mich deshalb sehr hingezogen fühlte zu den Bewohnern von Unterfilzbach.

Wenn der beste Metzger des Ortes zum Vegetarier mutiert, als Kuhflüsterer der ortsansässigen Tierärztin das Geschäft vermiest und schließlich tot im Stall neben dem ebenfalls toten Eber gefunden wird und wenn der zuständige Kommissar offensichtlich die Dinge völlig falsch sieht, dann kann sich Hansi Scharnagel gar nicht mehr zurückhalten und muss seiner geheimen Leidenschaft, dem Ermitteln, nachgehen. Wobei die Liste der möglichen Täter immer länger wird und dem Hansi beim vielen Nachdenken der Magen knurrt…

Ja, gegessen wird viel im Buch, eigentlich fast ständig, und das von fast allen handelnden Personen, auch von den überzeugten Vegetariern. Und wenn nicht gegessen wird, dann wird getrunken. Und wenn nicht gegessen und nicht getrunken wird, wird zumindest über Essen diskutiert. Und deftig geht es nicht nur beim Essen und Trinken zu! Eva Adam hat sich allerlei einfallen lassen, um Niederbayern in seiner ureigensten Direktheit abzubilden. Sie spielt mit allen denkbaren Klischees und Verallgemeinerungen, die nur denkbar sind. Zu bewundern ist ihr Ideenreichtum, was Situationskomik und sinnig-unsinnige Dialoge betrifft. Und wenn die Fußpflegerin Hornhaut-Hanni heißt und der Schäferhund auf den Namen Paulaner hört, ist das einfach nur lustig.

Man muss sie schon mögen, die Gattung der Regionalliteratur, um Freude daran zu haben. Die gängige Definition ist „Literatur aus einer Provinz für Leser derselben Provinz, also mit Themen und einer Sprache, die diesen Lesern geläufig ist“. Was letztlich bedeutet, dass der Leser Spaß daran hat, seine eigene Heimat im Geschriebenen wiederzuerkennen, möglichst verpackt in ein spannendes oder lustiges Geschehen. Nach dieser Definition ist der vorliegende Krimi von Eva Adam in jeder Hinsicht perfekt geraten.

Bewertung vom 07.06.2021
Der Tod der Schlangenfrau
Bliefert, Ulrike

Der Tod der Schlangenfrau


sehr gut

Lebendig erzählter historischer Krimi im Berlin Ende 19. Jh.

Welch ein Zufall – ich durfte zwei historische Kriminalromane hintereinander lesen, die beide Ende des 19. Jahrhunderts spielten. Einmal befand ich mich mit Oliver Pötzsch 1893 in Wien und direkt danach mit Ulrike Bliefert im Jahr 1896 in Berlin. Eine doppelt interessante Leseerfahrung!

Im vorliegenden Kriminalroman ist die Hauptperson Auguste Fuchs, eine offene und temperamentvolle junge Frau. Sie ist die engagierte Mitinhaberin des väterlichen Fotoateliers in der Friedrichstraße in Berlin. Ihre Leidenschaft ist das Fotografieren, doch die damals üblichen steifen Familienfotos sind ihr eher lästig. Als während einer Foto-Serie im Wintergarten-Varieté die Schlangenbeschwörerin Samirah zu Tode kommt, entdeckt Auguste auf einem ihrer Fotos einen merkwürdigen Gegenstand, doch der ermittelnde Kommissar beachtet diesen Hinweis nicht. Ist er möglicherweise die Tatwaffe? Auguste verfolgt zusammen mit ihrer Tante und dem Kriminalassistenten Jakob Wilhelmi weiter die Spur des möglichen Mörders, ohne zu ahnen, dass sie dies letztlich in die finstersten Ecken der wilhelminischen Kolonialpolitik führen wird.

Dass dem Buch von Ulrike Bliefert sorgfältige Recherchen zugrunde liegen, konnte ich gerade auch im direkten Vergleich mit „Das Buch des Totengräbers“ von Oliver Pötzsch feststellen. Berlin war Wien mit den technischen Neuerungen dieser Zeit um mehrere Jahre voraus. Sehr bildhaft und lebendig schildert die Autorin diese spannende Zeit zwischen kaiserlicher Tradition und Einzug neuer Techniken. Mit Auguste Fuchs ist ihr eine sympathische Figur gelungen, die unkonventionell denkt und handelt. Über die finstere, geradezu menschenverachtende Seite der deutschen Kolonisation in Afrika liest man mit Bedrückung. An den etwas überstilisierten Schreibstil von Ulrike Bliefert musste ich mich erst ein wenig gewöhnen, wenngleich er absolut stimmig in die geschilderte Zeit passt. Weniger gut gefielen mir die Einfügungen in Kiswaheli bzw. ich fand sie unnütz, da der durchschnittliche Leser sicher nicht bewandert ist in dieser oder einer anderen afrikanischen Sprache und somit auch kein Ohr hat für Aussprache oder Klang der abgedruckten Sätze. Alles in allem jedoch habe ich diesen besonderen Kriminalroman, gerade aufgrund seiner besonderen Thematik der Kolonialpolitik, sehr gerne gelesen.

Bewertung vom 06.06.2021
Das Karlgeheimnis
Wilke, Jutta

Das Karlgeheimnis


ausgezeichnet

So, genau so sollte ein Kinderbuch sein

Ja, genau so stelle ich mir das ideale Kinderbuch vor: Spannend, humorvoll, ideenreich, liebenswert und gut lesbar. Nicht nur oberflächlich unterhaltend, sondern auch mit einer ernsthaften Seite.

Emil hat eine wichtige Mission: Er möchte Krimiautor werden. Ein Krimiautor verdient Geld. Und mit diesem Geld könnte er Mama helfen. Seit Papa nicht mehr bei der Familie lebt, bleibt Emil oft alleine, weil Mama so viel arbeiten muss. Mit Karl, dem Büdchen-Besitzer, hat sich Emil angefreundet. Denn der kann gut zuhören. Da taucht überraschend Finja am Büdchen auf, Finja mit Skateboard und ihrem Hund Watson. Erst ist Emil sehr skeptisch, aber als Karl über Nacht verschwindet, ist er sehr froh, bei diesem verzwickten Fall auf die Hilfe von Detektivin Finja zählen zu können.

Emil ist ein liebenswerter Junge. Er erzählt kindlich und ernsthaft zugleich von seinen Erlebnissen, und das so witzig und lebendig und lebensnah, dass ich immer wieder laut lachen musste. Dazu kommt die rätselhafte Geschichte um das plötzliche Verschwinden von Karl, was der ganzen Geschichte Spannung gibt. Jutta Wilke ist mit diesem Buch etwas richtig Gutes gelungen, weil sie neben Humor und Spannung auch so manch trauriges Thema mit ganz leichter Hand, sozusagen fast nebenbei, in die Gedanken und Empfindungen von Emil einfließen lässt. So wie das Leben halt ist. Schwer und leicht, oft lustig, manchmal traurig. Doch Freundschaft hilft und Zusammenhalt. Die Illustrationen und besonders die verschiedenen Steckbriefe der handelnden Personen ergänzen die Geschichte auf eine ganz eigene, eindrückliche Weise.
Fazit: Ein rundum gelungenes, herzerwärmendes Kinderbuch, das ich uneingeschränkt empfehle.

Bewertung vom 03.06.2021
Das Buch des Totengräbers / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.1
Pötzsch, Oliver

Das Buch des Totengräbers / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.1


ausgezeichnet

Pittoreskes Zeitbild, spannend erzählt

Wien Ende des 19. Jahrhunderts. Eine aufregende Zeit, in der das Leben und Denken des Kaiserreiches kollidiert mit befremdlich erscheinenden technischen Neuerungen und althergebrachtem Aberglauben. Historie geschickt verpackt in eine spannende Handlung.

Der junge Leopold von Herzfeldt beginnt aus Graz kommend in Wien als Polizeiagent. In seinem Koffer befinden sich allerlei rätselhafte Instrumente, die zusammen mit seinem Hochdeutsch und seiner vornehmen Kleidung bei den alteingesessenen Kollegen größtes Misstrauen erregen. Als mehrere Dienstmädchen ermordet vorgefunden werden, jedes von ihnen brutal gepfählt, beginnen Herzfeldt und ein kauziger Totengräber vom Wiener Zentralfriedhof gemeinsam zu ermitteln. Der Totengräber Augustin Rothmayer ist hochgebildet und weiß alles über Todesarten und Verwesungsstufen. Und dass das Pfählen eine uralte Methode ist, um Untote unter der Erde zu halten…

Oliver Pötzsch versteht es meisterhaft, den Leser auf bildhaft-eindrückliche Weise in die dunkle Seite des nach außen hin so glamourösen Wien Ende des 19. Jahrhunderts zu entführen. Er schreibt so eindringlich, dass man Moder und Unrat in den dunklen Gassen zu riechen glaubt. Das Buch ist nichts für Zartbesaitete! Es ist die Zeit der beginnenden Elektrifizierung, erster Automobile, erster Telefone, was mit Neugier und Angst gleichermaßen aufgenommen wird. Kein Wunder also, dass Leopold von Herzfeldt mit seiner Leidenschaft für moderne Kriminalistik Missfallen erregt. Der Autor machte mir das enorme Spannungsfeld zwischen modernen Errungenschaften und dem Festhalten am Altbekannten sehr augenfällig. Erschreckend auch der allgegenwärtige Antisemitismus und die Brutalität, die sich hinter Unwissenheit, Angst und Aberglauben versteckt. Geschickt werden überlieferte und sorgfältig recherchierte historische Details und rückständiges Denken dieser Zeit im Buch eingestreut, ohne dass die immanente Spannung des Kriminalromans darunter leidet. Ein Kriminalroman mit Mehrwert, farbig-lebendig erzählt.

Bewertung vom 21.05.2021
Die Augenzeugin / Harriet Vesterberg Bd.1
Bagstam, Anna

Die Augenzeugin / Harriet Vesterberg Bd.1


sehr gut

Eine Ermittlerin, die noch erwachsen werden muss

Und wieder ein Kriminalroman aus Schweden, den ich gerne gelesen habe. Seine Handlung ist in einem malerischen Fischerort an der südschwedischen Küste angesiedelt ist, wobei mir zugegebenermaßen weder die Örtlichkeiten noch das Wetter Lust auf einen Schweden-Besuch machen trotz der vielen atmosphärisch-bildhaften Naturbeschreibungen.

Harriet Vesterberg, eine junge Ermittlerin, zieht von Stockholm zurück in ihre alte Heimat, in das Fischerdorf Lerviken an der Küste. Dort beginnt sie ihre Arbeit bei der hiesigen Polizei. Ein Grund für den Umzug ist, dass sie näher bei ihrem Vater, einem pensionieren Juraprofessor, leben möchte, weil er besorgniserregende Anzeichen von Demenz zeigt. Kaum angekommen, wird sie bereits mit einem grausamen Mordfall konfrontiert, der ihr alles abfordert. Denn je weiter sie in die Ermittlungen eintaucht, desto deutlicher wird ihr, dass sie den Mörder kennen könnte…

Wohltuend ist, dass die Autorin klar und folgerichtig erzählt. Ihre solide Erzählweise kommt glücklicherweise ohne die inzwischen so beliebten und oftmals nervigen Rück- und Vorblicke und Perspektivwechsel aus. Gewöhnungsbedürftig empfand ich, dass der Kriminalroman nur im Präsens geschrieben ist, was beim Lesen unerwartet besondere Aufmerksamkeit erfordert. Der Kriminalroman ist unterhaltsam und abwechslungsreich zu lesen. Es finden sich einzelne Sätze, die im Gedächtnis bleiben: „Sie gehört zu den Leuten, die beim Denken oft Pech haben“, ist solch eine witzig-böse Beschreibung zum Beispiel. Der Spannungsbogen baut sich zwar nur langsam auf, aber erreicht seinen überraschenden Höhepunkt gegen Ende. Probleme hatte ich mit der Darstellung der Person Harriet. Sie ist 29 Jahre alt, benimmt sich allerdings oftmals wie ein junges, verunsichertes Mädchen, sie wirkt unselbständig, naiv, ungeschickt, vertritt ihre Interessen nicht, scheint ohne Selbstbewusstsein zu sein. Das passt nicht wirklich zu der Tatsache, dass Harriet ein Studium und eine fundierte Ausbildung und Berufserfahrung hinter sich hat. Damit gewinnt ihre Gegenspielerin, ihre unsympathische Chefin Margareta, mit ihrer harten Persönlichkeit viel zu viel Gewicht im Handlungsgeschehen, wie ich finde. Auch erscheinen mir über das Buch hinweg die vielen Textnachrichten an Lisa, Harriet’s langjährige Freundin, unnötig. Auch damit wird die Figur Harriet eher zu einer unreifen Jugendlichen abgestempelt statt zu einer klugen und souveränen Ermittlerin. Wobei – der Cliffhanger am Ende des Buches will mir etwas anderes sagen…

Bewertung vom 10.05.2021
Der Verdacht
Audrain, Ashley

Der Verdacht


ausgezeichnet

Eine Fülle von Begriffen fällt mir zu diesem Buch ein: beeindruckend, schaurig, kraftvoll, schonungslos, mitreißend, beängstigend, erschütternd, intensiv, bedrückend, spannend und lange nachwirkend. Kurzum: großartig.

Blythe bekommt endlich ihr Wunschkind Violet. Doch irgendetwas fühlt sich falsch an, wenn Blythe ihr Neugeborenes anschaut. Obwohl sie alle Liebe geben wollte, wächst mehr und mehr die Ablehnung, ja sogar Angst vor ihrem Kind, was ihr Mann Fox, der seine Tochter abgöttisch liebt, nicht begreifen kann. Doch Blythe wird sich immer sicherer, dass Violet böse ist, von Grund auf und mit voller Absicht. Bis etwas Entsetzliches geschieht…

Fast möchte ich diesen Roman einen Psychothriller nennen. Denn es liegt auf den Seiten von Beginn an eine unheilvolle Spannung, die sich zunehmend steigert. Wir lernen Blythe im Laufe des Buches sehr gut kennen, ihr großes Bemühen, alles gut und richtig zu machen, eine liebevolle, fürsorgliche Mutter zu sein. Wir erfahren von ihrer eigenen Kindheit und wir erfahren die Geschichte ihrer Mutter. Und je mehr man eindringt in die Vergangenheit, umso verschwommener wird die Sicht des Lesers auf Blythe in der Gegenwart. Was ist Realität? Was ist irreale Angst? Was diktieren frühe Traumata? Gibt es tatsächlich Kinder, die aus sich heraus von Geburt an böse sind, die von zerstörerischen Kräften getrieben werden? Das Thema Mutterschaft wird dem Leser ohne Weichzeichner in allen Facetten auf schonungslose Weise zugemutet, und dies in einer direkt-klaren Sprache, die unter die Haut geht. Eine aufwühlende Leseerfahrung!