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Circlestonesbooks.blog
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Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

Bewertungen

Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 18.08.2021
Träume und Kulissen
Bremer, Alida

Träume und Kulissen


ausgezeichnet

En facettenreiches Gesellschaftsbild, großartig erzählt

„Ein kažin war auch die Politik, die in Split seit dem Beginn des Jahrhunderts fortlaufend Brüderschaften, Parteien, Verbände und Organisationen entstehen ließ, die sich für die verschiedensten Ideen so stürmisch einsetzten, dass es andauernd irgendwo krachte.“ (Zitat Seite 54)

Inhalt
Nach einer durchfeierten Nacht entdeckt der Apotheker Antonio Petrinelli im Hafen von Split einen Riesenfisch, der auf einem Berg von Fischernetzen liegt. Nur, dass es kein Fisch ist, sondern ein Toter. Es handelt sich um einen jungen Mann, Darco Barić, und er ist eindeutig ermordet worden. Kriminalkommissar Mario Bulat beginnt zu ermitteln, doch rasch erkennt er, wie schwierig es ist, zwischen Gerüchten und Wahrheit zu unterscheiden. In diesem Sommer 1936 ist Split, die nach einer wechselvollen Geschichte nun zum Königreich Jugoslawien gehörende Hafenstadt, die lebhaften Kulisse für Träume und deutsche Filmteams, ein buntes Sammelbecken für unterschiedliche Gruppierungen mit sehr unterschiedlichen politischen Interessen, Spione und die von ihnen beobachteten Flüchtlinge und Fluchthelfer. Gerüchte gibt es viele, über reale und vermutete Ereignisse und Hintergründe, nur zu diesem Mord scheint es nur wenig ernsthafte Hinweise zu geben.

Thema und Genre
Dieser Roman mit geschichtlichem Hintergrund ist ein facettenreiches Gesellschaftsbild Europas in diesem Jahr der Umbrüche, am Beispiel der adriatischen Hafenstadt Split. Es geht um das politische Geschehen und die Macht der aufstrebenden nationalen Parteien, um Schicksale, eingebettet in traumhafte Sommertage in dieser pulsierenden Hafenstadt an der Adria.

Charaktere
Die einzelnen Personen sind teilweise real, in diesem Roman jedoch sind ihre Handlungen und Schicksale fiktiv. Jede der Figuren ist einfühlsam, stimmig und ihr Verhalten nachvollziehbar geschildert.

Handlung und Schreibstil
Die vier übergeordneten Teile sind in relativ kurze einzelne Kapitel unterteilt. Die Handlung spielt im Sommer 1936 in der Hafenstadt Split, wird chronologisch geschildert und Details werden durch Informationen in Form von Zeitungsmeldungen ergänzt. Innerhalb der Kapitel wird die Geschichte in kurzen Abschnitten erzählt, in denen jeweils eine der vielen unterschiedlichen Personen im Mittelpunkt steht. Dies macht die Handlung interessant, abwechslungsreich, packend und rasant. Gleichzeitig nimmt sich die Autorin Zeit und beschreibt ihre ehemalige Heimatstadt Split mit viel Wissen und sehr viel Liebe zu den Details, sodass sich ein ungemein buntes, vielschichtiges Gesamtbild ergibt.

Fazit
Ein lebhaftes, facettenreiches Gesellschaftsbild während der Sommertage 1936 in der pulsierenden Hafenstadt Split, mit dem bunten Leben der Menschen aus vielen Nationen, mit ebenso vielen Ideen und Träumen, persönlichen und wirtschaftlichen Interessen und politischen Zielen. Poetisch und eindrücklich erzählt, ein interessantes, packendes, intensives Leseerlebnis.

Bewertung vom 14.08.2021
Revolution der Träume / Wege der Zeit Bd.2
Izquierdo, Andreas

Revolution der Träume / Wege der Zeit Bd.2


ausgezeichnet

Spannend, interessant und unterhaltsam

„Hier ist alles neu, alles dreht sich rasend schnell! Bleib stehen, und du wirst herausgeschleudert. Du musst nicht alles gut finden, Carl, aber finden musst du dich!“ (Zitat Seite 186)

Inhalt
Die Menschen, von Krieg, Hunger und Trauer gezeichnet, wollen endlich Frieden. Am 9. November 1918 wird der Kaiser gestürzt, doch damit beginnt nicht die erhoffte Freiheit, sondern eine Zeit der Bürgerkriege. Am 6. Dezember 1918 kommt der Fotograf Carl Friedländer nach Berlin, auf der Suche nach seinen Freunden Isi und Artur. Er gerät in einen Straßenkampf und ausgerechnet hier trifft er Isi, die sich politisch links engagiert und, einfallsreich wie immer, ihre Geschäfte abwickelt. Kurz darauf findet Artur die beiden. Er investiert erfolgreich in diverse Unternehmen und bewegt sich gekonnt zwischen Unterwelt, Recht und Gesellschaft. Carl erhält eine Chance als Kamera-Assistent beim Film. Isi verliebt sich in den Adeligen Aldo von Torstayn. Während das Land, Spielball der unterschiedlichen politischen Gruppierungen, hungert, die Gewalt auf den Straßen andauert, suchen die drei Freunde nach ihrer persönlichen Zukunft.

Thema und Genre
In diesem Roman mit geschichtlichem Hintergrund geht es um das Leben der Menschen nach dem Ende des ersten Weltkrieges, um die politische Situation und um Einzelschicksale. Ort der Handlung ist Berlin, Themen sind Hoffnung, Träume, Freundschaft, Liebe, aber auch Gewalt, Verrat, Rache.

Charaktere
Carl Friedländer, dreiundzwanzig Jahre alt, orientiert sich an Artur und Isi, weiß aber, dass er selbst nie so leben könnte, wie die beiden. Isi macht nach wie vor keine halben Sachen, ihr Leben muss aufregend sein. Artur legt sich mit der organisierten Kriminalität an, plant seine Schachzüge mit kreativer Genialität und Mut, doch er ist auch in der Vergangenheit verhaftet und will Falk Boysen vernichten. Alle Figuren dieser Geschichte sind überlegt und vielschichtig gestaltet. Das macht sie glaubhaft und interessant.

Handlung und Schreibstil
Carl schildert die Ereignisse als Ich-Erzähler und rückblickend. Oft lässt er daher eine Episode mit einem Hinweis auf nachfolgende Entwicklungen enden, deutet an, dass alles dann ganz anders kommen würde. Solche Hinweise (hints) werden gerne als Stilmittel verwendet, um den Spannungsbogen hoch zu halten, doch in dieser packenden Geschichte sind sie absolut entbehrlich, denn der Autor ist ein großartiger Erzähler und sowohl die realen, geschichtsbekannten Ereignisse, als auch die Erlebnisse seiner Figuren sorgen dafür, dass es diesen Seiten nie an Spannung und interessanten, überraschenden Wendungen fehlt.

Fazit
Eine spannende Geschichte zwischen wissenswerten historischen Fakten und Fiktion, stimmig, gut durchdacht, unterhaltsam und interessant. Diese Fortsetzung des ersten Bandes der »Wege der Zeit«-Reihe überzeugt und man liest sie mit Vergnügen.

Bewertung vom 11.08.2021
Die Schwarze Rosa
Rabisch, Birgit

Die Schwarze Rosa


ausgezeichnet

Vielschichtig, interessant, wichtig

„Sie begann sich für die verwickelten politischen Fragen zu interessieren, las die national ausgerichteten Zeitungen, die Paul ihr empfahl, und verstand immer besser, worüber er redete.“ (Zitat Seite 117)

Inhalt
Die Enkelin studiert schon in Hamburg, als ihre Großmutter 1975 stirbt. Doch erst zwölf Jahre später, nach dem Tod des Großvaters, findet sie im Familienstammbuch überraschende Daten und einen Zeitungsartikel über den Prozess gegen Paul Schulz. Sie erfährt, dass ihre geliebte Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist, vor vielen Jahren mit Paul Schulz verlobt war und sie beginnt zu recherchieren. Die historischen Quellen werden die Grundlage für diesen fiktiven Roman. Es ist die Geschichte von Röschen, geboren 1899 als viertes Kind einer armen Weberfamilie in einem kleinen Dorf im Selketal. Als Deutsche gesucht werden, die bereit sind, in die deutsche Ostprovinz zu ziehen, übersiedelt die Familie 1910 nach Posen, wo der Vater Landwirt wird und aus Röschen, nun elf Jahre alt, Rosa. Doch 1920 gehört Posen zu Polen, sie werden vertrieben und in Rosa beginnt der Hass auf die Polen zu wachsen. Am 19. April 1921, an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag, lernt sie den Oberleutnant Paul Schulz kennen und lieben. So beginnt sie, sich für Politik zu interessieren. Paul Schulz ist der Organisator der Schwarzen Reichswehr und Rosa unterstützt ihn. Für den Herbst 1923 wird ein Putsch vorbereitet, der bewaffnete Marsch auf Berlin soll am 1. Oktober 1923 erfolgen.

Thema und Genre
In diesem Roman mit realem geschichtlichem Hintergrund geht es um die wirtschaftlich katastrophale Lage in Deutschland in diesen Jahren nach dem Ersten Weltkrieg, die Situation der Menschen in der Weimarer Republik am Beispiel der Familie Klapproth, die unterschiedlichen politischen Ziele, die Hintergründe für das Erstarken des Rechtsnationalen Lagers.

Charaktere
Die einzelnen Personen sind einfühlsam geschildert und der geschichtliche Kontext bleibt der Realität entsprechend gewahrt, während die privaten Beziehungen, die persönlichen Erlebnisse und ergänzenden Geschichten frei erfunden sind.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird chronologisch erzählt, sie beginnt mit Rosas Geburt und endet mit der Reichstagswahl 1930. Im Mittelpunkt steht Rosa Krause, geb. Klapproth, eine intelligente, wissbegierige Frau, die durch die Erlebnisse ihrer Kindheit und Jugend geprägt wird. Damit verbunden sind die Geschicke der Familie Klapproth, im Besonderen das Leben ihres Bruders Erich und die Taten und Fememorde der Schwarzen Reichswehr unter dem Kommando von Paul Schulz.

Fazit
Dieser Roman ist eine einfühlsame, packende Geschichte, die am Beispiel eines Frauenlebens und der Geschichte einer Familie die politische Lage in der Weimarer Republik schildert. Die genau recherchierten Fakten über das Leben der Menschen in dieser Zeit, die politischen Hintergründe und die Schwarze Reichswehr zeigen auf, wie auf dieser Basis die Nationalsozialisten so rasch erstarken konnten. Ein vielschichtiger, sehr interessanter, wichtiger Roman.

Bewertung vom 07.08.2021
Alles
Hildt, Moritz

Alles


ausgezeichnet

Ein spannendes Leseabenteuer

„Ich nehme an, es ist auch meine Geschichte. Und doch verstehe ich meine Rolle darin am wenigsten. Vielleicht geht einem das immer so, wenn man aufs eigene Leben blickt.“ (Zitat Seite 9)

Inhalt
Seit vier Jahren lebt Lukas Seeger schon auf dieser Halbinsel in der Ostsee. Seiner Frau Helen gehört das Café Strandflucht und sie betreiben es gemeinsam. Vor vielen Jahren fuhren Lukas und Helen im selben Bus in die Stadt zur Schule, dann trennen sich ihre Wege. Siebzehn Jahre später begegnen sie sich in genau diesem Bus Nummer 364 wieder. Helen hatte in den USA gelebt, ist nun zurückgekehrt und Witwe. Ein halbes Jahr später sind sie verheiratet und genießen ihr ruhiges Inselleben im Ablauf der Jahreszeiten. Bis eines Abends im Oktober ein Mann im Café sitzt und ihr ganzes Leben aus den Fugen gerät.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Beziehungen, Entscheidungen und ihre Folgen und die Suche nach der Wahrheit. Ein Thema ist die philosophische Frage, wie gut man einen Menschen kennen kann, den man zu kennen glaubt und ob die intensive Suche nach Antworten immer der einzig mögliche Weg ist.

Charaktere
Lukas Seeger ist glücklich und zufrieden mit der täglichen Routine seines Lebens an der Ostsee, bis ihn die Ereignisse und seine hartnäckige Suche nach der Wahrheit auf eine abenteuerliche Reise führen. Früher hatte sein Vater manchmal zu ihm gesagt: „Lukas. Das, was du tust, hat oft mehr Folgen, als du für möglich hältst.“ (Zitat Seite 199). Er hatte nie verstanden, was sein Vater ihm damit sagen wollte, doch in den Sümpfen des Bayou Teche erinnert er sich plötzlich an diesen Satz.

Handlung und Schreibstil
Lukas schildert die Geschichte und seine Abenteuer chronologisch als Ich-Erzähler. Er erzählt sie rückblickend und wundert sich noch immer über seine Rolle in dieser Geschichte. Die einzelnen Mosaikteilchen dieser Suche nach Antworten, in der ein Detail zum nächsten führt, aber auch zu Überraschungen und immer neuen Fragen, machen die Handlung spannend und neugierig folgen wir Lukas auf seinem Weg. Die lebendigen, intensiven Beschreibungen der Natur, Landschaften und Örtlichkeiten spiegeln die langen USA-Aufenthalte des Autors wider. So kann man nur schreiben, wenn man tatsächlich dort gewesen ist.

Fazit
Ein interessanter Roman, eine spannende, abenteuerliche Spurensuche durch die Sümpfe des Bayou Teche und den Canyonlands-Nationalpark in Utah, mit poetischen Naturschilderungen und der nachdenklichen Frage, wie gut wir einen Menschen kennen, den wir genau zu kennen glauben.

Bewertung vom 07.08.2021
Ein Raum aus Blättern
Grenville, Kate

Ein Raum aus Blättern


sehr gut

Die geheimen Aufzeichnungen der Elizabeth Macarthur

„Mein Leben konnte mir noch die eine oder andere Wegbiegung bescheren. Solche Biegungen mochten zum Besseren oder Schlechteren führen, ermöglichten aber doch zumindest eine gewisse Freiheit oder zumindest Geschmeidigkeit.“ (Zitat Seite 216)

Inhalt
1788 heiratet die einundzwanzigjährige Halbwaise Elizabeth Veale den etwa gleichaltrigen Ensign John Macarthur. Ihr Ehemann ist eingebildet und arrogant, obwohl er nur seinen Sold als Einkommen hat, vor allem aber ist er ehrgeizig und skrupellos. Er meldet sich zum New South Wales Corps und 1790 treffen sie in Sydney ein. Es ist ein völlig neues Leben in einem unbekannten Land, in dem es bisher nur diese 1788 errichtete Strafkolonie gibt. Doch Elizabeth lernt rasch, sich anzupassen, um ihre eigenen Ideen und Wünsche zu verwirklichen.

Thema und Genre
Dieser Roman ist eine fiktive Geschichte, eine neue Deutung der bekannten Fakten und Biografien von Elizabeth Macarthur. Geheime Aufzeichnungen schildern ungeschönt die wahren Lebensumstände der Frauen im 18. und 19. Jahrhundert, in diesem Fall besonders der ersten Siedlerfrauen in Australien. Ein Thema ist die Frage nach dem Wahrheitsgehalt von verbrieften historischen Fakten.

Charaktere
Schon als Kind ist Elizabeth neugierig, will alle Grenzen ausprobieren und darüber hinausgehen. In Sydney lernt sie rasch, sich der Gesellschaft nach außen hin anzupassen. Sie ist liebenswürdig, charmant, bleibt gleichzeitig unscheinbar, beinahe unsichtbar. Bald durchschaut sie die Denk- und Handlungsweise ihres Ehemannes und nützt dies, um ihre eigenen Ideen durchzusetzen, indem sie ihm diese als seine präsentiert.

Handlung und Schreibstil
Elizabeth ist bereits seit zwölf Jahren Witwe, als ihr nun erwachsener Sohn James sie bittet, einen Bericht über die Geschichte der Macarthurs von Elizabeth Farm zu verfassen. Sie beschließt spontan, parallel dazu einen zweiten Bericht zu schreiben, in diesem jedoch offen und ehrlich die Wahrheit zu schildern. Es ist dieser zweite Bericht, der etwa einhundertfünfzig Jahre später von der Autorin zufällig auf Elizabeth Farm entdeckt wird und der nun in diesem Roman veröffentlicht ist. Daher sind die einzelnen Kapitel entsprechend kurz, wie es tatsächlichen persönlichen Notizen und Aufzeichnungen entspricht. Elizabeth beginnt mit Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend, schildert die einzelnen Ereignisse chronologisch. Gleichzeitig lässt sich uns an ihren persönlichen Gedanken und Handlungen in der jeweiligen Situation teilhaben. Wir erfahren auch, welche Bedeutung dieser „Raum aus Blättern“ für sie und ihre persönliche Entwicklung hat. Die Sprache ist nur in Bezug auf das Wissen und spezielle Bezeichnungen der damaligen Zeit angepasst, Elizabeth schreibt lebhaft, poetisch und mit einen feinen Humor.

Fazit
Ein angenehm und unterhaltsam zu lesender Roman mit realem geschichtlichem Hintergrund. Die Idee, die bereits vorliegenden Biografien der Elizabeth Macarthur, deren wichtige Rolle bei der Gründung der Wollindustrie Australiens bekannt und anerkannt ist, durch ihre eigenen, bisher geheimen Aufzeichnungen zu ergänzen, überzeugt und ist interessant umgesetzt.

Bewertung vom 04.08.2021
Julius oder die Schönheit des Spiels
Saller, Tom

Julius oder die Schönheit des Spiels


ausgezeichnet

Eine eindrucksvolle Geschichte, nicht nur für Tennisbegeisterte

„Mit unendlicher Ruhe verfolgte ich seine Flugkurve, nahm Maß, und noch bevor ich den Schläger nach vorn gebracht hatte, wusste ich – war gewisse – es wäre mir unmöglich, einen Fehler zu machen. Ich traf den Ball im perfekten Moment.“ (Zitat Seite 44)

Inhalt
Eines Tages wird der junge Julius von einem ungewöhnlichen Lärm geweckt, sein Großvater legt einen privaten Tennisplatz auf dem weitläufigen Areal der heimischen Burg im Rheinland an. Rasch begeistert sich die Familie für diesen Sport, doch für Julius bedeutet Tennis weit mehr. Als er für sein Jura-Studium nach Berlin zieht, genießt er das Nachtleben, tagsüber trainiert er hart, spielt erste Turniere und macht Tennis endgültig zum Mittelpunkt seines Lebens.
Am 1. Juli 1984 verfolgt ein alter Mann das Einzelturnier der Herren in Wimbledon. Ein junger Deutscher gewinnt und der alte Mann erinnert sich an seinen damaligen Rivalen Julius von Berg und ihr legendäres Match in Wimbledon 1937, als er selbst für die USA gegen Julius, der für Deutschland spielte, auf dem Platz stand. Sie waren einander ebenbürtig, doch Julius liegt im letzten, entscheidenden Durchgang in Führung.

Thema und Genre
Dieser Roman ist fiktiv, der zeitgeschichtliche Hintergrund ist jedoch real und einige der darin vorkommenden Personen sind mit ihren echten Namen genannt. Im Mittelpunkt steht der Tennissport. Auch für den fiktiven Julius von Berg gibt es ein reales Vorbild, den deutschen Tennisspieler Gottfried von Cramm, damals Platz 2 der Weltrangliste. Ein eleganter Sportler, überzeugt von der Haltung Fair play, Sportsmanship, der sich nicht von den Nationalsozialisten vereinnahmen ließ.

Charaktere
Julius von Berg liebt das Leben, auch das Berliner Nachtleben, doch sein Lebensmittelpunkt ist der Tennissport. Natürlich will er gewinnen, doch wichtiger als der Sieg ist für ihn die Schönheit des Spiels, sowie Respekt vor dem Gegner, Haltung, Anstand und Fairness. Er muss erkennen, dass sich Sport und Politik nicht trennen lassen. „Sag das nicht, Julius. Sobald du doch für ein Turnier meldest, bist du in den Augen der Öffentlichkeit nicht nur Sportler, sondern auch Deutscher und damit automatisch Vertreter deines Heimatlandes. Ob du willst oder nicht.“ (Zitat Seite 177)

Handlung und Schreibstil
Die angenehm und flüssig zu lesende Geschichte wird in drei Erzählsträngen erzählt, die einander abwechseln. Den ausführlichen Hauptteil, sein Leben bis zu den Ereignissen in Wimbledon 1937 schildert Julius als Ich-Erzähler, chronologisch, beginnend mit Episoden aus seiner Kindheit. Im zweiten Erzählstrang lässt uns Julius 1938 an seinen Gedanken teilhaben und die Erzählsprache wechselt ins Präsens. Der dritte Handlungsstrang findet 1984 statt und hier steht der damalige Finalgegner, nun ein alter Mann, personal im Mittelpunkt. Zusammengefügt ergeben diese drei Teile ein umfassendes Bild, schließen sich zu einer ganzen Geschichte mit allen Hintergründen und Details, die manche offene Fragen beantworten.

Fazit
Ein eindrucksvoller Roman, eine fiktive Geschichte mit einem realen zeitgeschichtlichen Hintergrund, deren Schilderungen der lebhaften Stadt Berlin in den Zwanzigerjahren, verbunden mit vielschichtigen Themen, dieses Buch nicht nur für Tennisbegeisterte zu einer interessanten, unterhaltsamen Lektüre machen.

Bewertung vom 31.07.2021
Was uns kostbar ist
Adimi, Kaouther

Was uns kostbar ist


ausgezeichnet

Eine interessante, großartig erzählte Geschichte, nicht nur für Bücherfreunde

„Es wird eine Bibliothek sein, eine Buchhandlung, ein Verlag, aber in erster Linie ein Ort für die Freunde, die die Literatur und das Mittelmeer lieben.“ (Zitat Seite 40)

Inhalt
Seit den 1990er Jahren ist es keine Buchhandlung mehr, sondern eine Außenstelle der Nationalbibliothek Algier, dennoch war sie zwanzig Jahre lang der Lebensmittelpunkt von Abdallah, ein alter Mann unbestimmten Alters. Nun ist die Buchhandlung endgültig geschlossen und verkauft. Abdallah beobachtet täglich den jungen Mann, er heißt Ryad und ist ein Student, der einen Praktikumsnachweis benötigt. Vierzehn Tage hat Ryad Zeit, die Buchhandlung vollständig zu räumen, die Bücher zu entsorgen und die Wände zu streichen, denn in Zukunft werden hier Beignets verkauft. Als Student der Fachrichtung Ingenieurswesen hat Ryad keine Ahnung, was für ein besonderer Ort der Literatur dies hier ist, auf dessen Stufen einst auch Albert Camus gesessen ist und er weiß nicht, wer Edmond Charlot war, der Mann auf dem großen Portrait, der ihm zusieht.

Thema und Genre
Im Mittelpunkt dieses Romans stehen die Literatur und die legendäre Buchhandlung Les Vraies Richesses in Algier, ihre Geschichte von der Gründung 1936 bis heute. Eng damit verbunden ist das Leben des Verlegers Edmond Charlots. Gleichzeitig ist dieser Roman auch ein Streifzug durch die wechselvolle Geschichte Algeriens, mit Unterdrückung und Bürgerkrieg auf dem Weg in die Unabhängigkeit.

Charaktere
Edmond Charlot war ein Verleger und Literaturförderer, der sowohl in Algier, als auch in Paris im Verlagswesen tätig war. Er förderte bekannte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts vom Beginn ihrer Laufbahn an, lebte für die Literatur und das friedliche kulturelle Miteinander und ließ sich auch durch politischen Druck nicht beeinflussen.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird, was interessant und in modernen Romanen eher ungewöhnlich ist, teilweise auktorial erzählt. Einerseits erfahren wir die aktuelle Geschichte mit Ryad und Abdallah, andererseits die Geschichte der Buchhandlung und des Verlages. Geschildert wird das ereignisreiche Leben von Edmond Charlot mit seinen Geschäftspartnern, Freunden und aufstrebenden Schriftstellern vor dem realen geschichtlichen Hintergrund, Algerien im Spannungsfeld der politischen Umbrüche im Mittelmeerraum zwischen 1930 und 1961. Parallel dazu lesen wir das fiktive Tagebuch, die persönlichen Aufzeichnungen von Edmond Charlot, beginnend 1935 und endend 1961.

Fazit
Eine einfühlsam und packend erzählte Geschichte eines legendären Verlegers und seiner besonderen Buchhandlung, wo Schriftsteller und Leser aus allen Mittelmeerländern willkommen waren, egal, welche Sprache sie sprachen und welcher Religion sie angehörten. „Das heisst eine Buchhandlung, die Neues und Altes verkauft, die Werke ausleiht und die nicht einfach ein Laden wäre, sondern ein Ort der Begegnung und Lektüre.“ (Zitat Seite 31)

Bewertung vom 30.07.2021
Mein Helgoland
Bogdan, Isabel

Mein Helgoland


ausgezeichnet

Die Nordseeinsel – ein kreativer Rückzugsort

„Ich werde wiederkommen müssen. Immer wieder. Und schreiben werde ich auch wieder.“ (Zitat Pos. 1239)

Thema
Dieses Buch von Isabel Bogdan ist eine interessante, sehr persönliche Mischung aus unterhaltsamen Schilderungen ihrer Tage auf Helgoland, der besonderen Eigenheiten dieser Insel und des Schreibprozesses, der Arbeit an ihrem Roman. Zitate aus dem Gesprächen zwischen Boy und seinem Urgroßvater, dem besten Geschichtenerzähler der Welt, aus dem zeitlosen Buch „Mein Urgroßvater und ich“ von James Krüss, ergänzen den Text.

Inhalt
Wenn die Schriftstellerin und Übersetzerin Isabel Bogdan an ihrem eigenen Buch schreibt, zieht sie sich auf die Nordseeinsel Helgoland zurück, denn nirgendwo sonst kann sie so kreativ über das Schreiben und die Unterschiede zwischen dem Übersetzen eines bereits bestehenden Romans und dem Schreiben eines eigenen Buches nachdenken. In ihren Gedanken diskutiert sie ihre Überlegungen, wie man eine Geschichte am besten erzählt, mit dem berühmten Helgoländer Schriftsteller James Krüss. Gleichzeitig wandert sie auf ihr seit Jahren vertrauten Wegen über die Insel und entdeckt trotzdem immer wieder Neues, lernt neue Menschen kennen. Wir erfahren viel über die Probleme des Insellebens, die vielfältige Vogelwelt und Natur dieser Insel, was es mit der einzigen Ampel Helgolands auf sich hatte und wissen nun auch, was „Sturmwichteln“ ist. Bei dieser Schilderung hatte ich sofort Bilder vor Augen und musste laut lachen, denn die Autorin erzählt lebendig und humorvoll.
Natürlich besucht sie bei jedem Aufenthalt auch die der Hauptinsel vorgelagerte kleine Insel Düne mit den Seehunden und Kegelrobben. Doch es gibt noch viel mehr zu erkunden, für den nächsten, den übernächsten Besuch, für irgendwann. „Man ist nämlich doch nicht so schnell fertig mit dieser Insel, wie man meint, wenn man zum ersten Mal sieht, wie klein sie ist.“ (Zitat Pos. 1226)

Fazit
Eine wunderbare, unterhaltsame Mischung aus Inselfeeling auf der manchmal rauen Nordseeinsel Helgoland und persönlichen Einblicken in den kreativen Schreibprozess der Schriftstellerin. Ein Buch für Lesebegeisterte, Reiselustige, Naturbegeisterte, Inselfans, Neugierige und Träumer.

Bewertung vom 30.07.2021
Wir für uns
Kunrath, Barbara

Wir für uns


sehr gut

Veränderungen als Chance für einen Neubeginn

„Das Dorf begegnet mir wie gewohnt. Nicht unfreundlich, aber auch nicht so, als würde ich dazugehören. Ich fühle mich geduldet, nicht zu Hause.“ (Zitat Pos. 108)

Inhalt
Seit neun Jahren führt Josie eine Dienstags-Beziehung mit dem acht Jahre älteren, verheirateten Bengt. Nun ist Josie schwanger, einundvierzig Jahre alt, doch obwohl Bengt nicht will, dass sie dieses Kind bekommt, zögert sie. Als sie auf der Straße einen Ring findet, lernt sie Kathi kennen, deren Mann Werner nach beinahe fünfzig gemeinsamen Ehejahren gerade verstorben ist. Vorsichtig beginnen die beiden so unterschiedlichen Frauen, miteinander zu reden und Josie trifft mehrere Entscheidungen, für ihr eigenes Leben, doch sie bringt auch Kathi auf neue Ideen, wobei diese erst lernen muss, sich von manchen alten, lebenslangen Vorstellungen zu lösen.

Thema und Genre
Dieser Familien- und Generationenroman handelt von unterschiedlichen Beziehungen und Familienstrukturen. Ein wichtiges Thema sind Konflikte zwischen Eltern und erwachsenen Kindern, das beharrliche Schweigen statt zu reden. Doch es geht auch um neue Möglichkeiten und Entscheidungen, um den Mut zum Neubeginn.

Charaktere
Josie ist Sozialpädagogin, doch ausgerechnet für ihr eigenes Leben fehlen ihr die Ideen. „Würde, wäre, hätte. Mein Leben mit dem Konjunktiv“ (Zitat Pos. 632) stellt sie in Bezug auf sich selbst fest. Zudem belastet ein Ereignis in der Vergangenheit, über das nicht gesprochen werden darf, das Verhältnis zu ihrer Mutter.
Kathis Ehe war mit den Jahren längst schweigsam geworden, sie lebte für ihr Lebensmittelgeschäft und hatte damals wenig Zeit für ihren Sohn Max. Den aktuellen Veränderungen im Leben von Max steht Kathi sprach- und fassungslos gegenüber.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte wird abwechselnd von Josie als Ich-Erzählerin und Kathi geschildert, wobei die Autorin hier in die personale Erzählperspektive wechselt. Dies belebt die Handlung. Der Schwerpunkt des Geschehens liegt bei den unterschiedlichen Frauenfiguren, ihrem Leben, den Möglichkeiten und ihren Entscheidungen, die meistens darin bestehen, sich nicht zu entscheiden, lieber zu verharren und zu schweigen. Die Handlung spielt in der unmittelbaren Gegenwart, wird jedoch durch Erinnerungen in Form von Gedanken und Gesprächen ergänzt, sodass sich ein nachvollziehbares Gesamtbild auch der Vergangenheit ergibt. Die Sprache entspricht dem Genre, sie beobachtet und beschreibt das Verhalten der einzelnen Figuren und ist flüssig zu lesen.

Fazit
Ein Roman, in dessen Mittelpunkt Frauenleben unserer Zeit, problematische Beziehungen und Familienkonflikte stehen.

Bewertung vom 28.07.2021
Nur hier sind wir einzigartig
Avel, Christine

Nur hier sind wir einzigartig


sehr gut

Unbeschwerte Kindheitssommer

„Die Welt ist hier und nur hier, bebt lebendig und warm unter unseren Händen, unseren Füßen. Wir werden sie niemals verlassen.“ (Zitat Pos. 23)

Inhalt
Neun Monate des Jahres sind sie Denis, seine Schwester Isabelle und Giacomo und leben in Belgien und Italien, doch in den drei Sommermonaten werden sie zu Niso, Evi und Zac. Jedes Jahr treffen sie einander mit anderen Kindern auf einer griechischen Insel. Auch Stella und Mikalis aus dem nahegelegenen Dorf gehören dazu. Während die Eltern als Archäologen auf dem Ausgrabungsgelände arbeiten und forschen, sind es für die Kinder Sommer in völliger Freiheit in der Natur, sonnige Tage am Meer, Entdeckungen und Abenteuer. Nie, denken sie, würde sich an ihrer Zusammengehörigkeit etwas ändern. Doch aus Kindern werden Jugendliche und Erwachsene. Was bleibt, sind Erinnerungen.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um unbeschwerte Ferientage am Rande einer Ausgrabungsstelle auf einer griechischen Insel. Es ist eine Coming-of-Age Geschichte, welche die unbeschwerten Feriensommer der Kinder und Jugendlichen mit ihren Zukunftsträumen der Realität des nunmehrigen Erwachsenenlebens gegenüberstellt.

Charaktere
Besonders für Niso, Evi und Zac fühlen sich diese Sommer wie ein völlig anderes Leben an, wie das einzig richtige Leben, die Monate dazwischen mit Schule und Alltag sind in dem Augenblick vergessen, in dem sie auf der Insel ankommen. Auch die Eltern sind ungezwungener, obwohl der Ehrgeiz ihre Arbeit als Archäologen antreibt und die Suche nach dem besonderen Fundstück.

Handlung und Schreibstil
Die Geschichte beginnt in der frühen Kindheit der Hauptfiguren. Erzählt werden die Ereignisse, die täglichen Erlebnisse und Entdeckungen in Form von Erinnerungen. Es sind eher Einzelepisoden, nicht immer chronologisch, aber zu jeweils einem besonderen Ereignis oder Tagesablauf, unterbrochen durch Schilderungen des aktuellen Lebens, denn aus den damaligen Kindern sind längst Erwachsene geworden. Die Ich-Erzählerstimme berichtet gleichzeitig von sich als dritter Person, im Laufe der Handlung ergeben sich Hinweise, wer die täglichen Erlebnisse damals aufgeschrieben hat. Auch wenn immer nur von einer griechischen Insel die Rede ist, ist auf Grund des Namens des nahegelegenen Dorfes und der Beschreibung der Form der Insel rasch klar, dass es sich um Kreta handelt. Was auch auf Grund der Ausgrabungen stimmig ist. Die Sprache ist poetisch und fängt den Zauber sonniger Kindheitstage am Meer ein, die Geschichte selbst verliert durch die Art des Erzählens von aneinandergereihten Episoden etwas von ihrer fließenden Leichtigkeit.

Fazit
Eine Geschichte über glückliche, völlig unbeschwerte Kindheitstage auf einer griechischen Insel, nachdenkliche Erinnerungen an Freundschaft, Sommer und Meer.