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Benutzername: 
MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 388 Bewertungen
Bewertung vom 19.08.2022
Intimitäten (eBook, ePUB)
Kitamura, Katie

Intimitäten (eBook, ePUB)


sehr gut

Intimitäten? Der Titel des Romans "Intimitäten" war mir zunächst ei Rätsel. Es geht schon auch um Beziehung, so lernt die Ich-Erzählerin nach ihrem Umzug von New York nach Den Haag - um dort am Internationalen Gerichtshof als Dolmetscherin zu arbeiten - zwar Adriaan kennen und auch lieben... aber für den Großteil der Geschichte ist Adriaan abwesend, nämlich für Wochen verreist nach Portugal, um dort mit seiner Frau die Trennung zu besprechen. Also muss es andere Formen von Intimität geben. Und da sind die übergriffigen Männer - der wegen seiner Verbrechen an die Menschheit angeklagte, afrikanische Staatspräsident und sein Stafverteidiger, die der Erzählerin mit Blicken und Manipulationsversuchen zu nahe kommen; da ist aber vor allem der intime Einblick in die Erlebenswelt der Erzählerin, mit ihrer Sehnsucht nach dem sicheren Hafen, einer Heimat in sich selbst und in der zwischenmenschlichen Beziehung ("Jede Form von Sicherheit kann sich völlig unvermittelt in Luft auflösen."), mit ihrem Bedürfnis, die Weltgeschehnisse zu begreifen und sich die Frage beantworten zu können, ob sie selbst für diese Welt (ihren Job) geeignet sei: "Ich versuchte schon lange, die Dinge in Beziehung zu setzen, ein großes Ganzes zu erkennen." Die Ich-Erzählerin bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Weltpolitik und Privatem, Gewalt, Macht und Manipulation und der Banalität des Alltags. Genau dieses Spannungsfeld schärft die Wahrnehmung der Erzählerin und lässt sie zweifeln: "... um in dieser Welt bestehen zu können, müssen wir vergessen und tun es auch, wir leben in einem Zustand des 'Ich weiß es, aber ich weiß es nicht'."
Tatsächlich ein Buch wie ein Sog - man darf sich zwar hinein-, aber bitte nicht hinabziehen lassen. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 17.08.2022
Dein Schweigen, Vater
Benda, Susanne

Dein Schweigen, Vater


sehr gut

Ein berührend wichtiges Buch. Die Bücher von Sabine Bode (z.B. "Kriegskinder", "Kriegsenkel") haben uns aufmerksam werden lassen, wie traumatische Erlebnisse der Kriegsgeneration in die nachfolgenden Generationen nicht nur hineinwirken, sondern sich auch auswirken; wie das nicht Be-, geschweige denn Verarbeitete sich auf das Fühlen und Handeln der Kinder und deren Kinder ausgewirkt hat. Wie sich hinter der Mauer des Schweigens die traumatischen Erinnerungen eingenistet und über Tugenden wie Disziplin und Arbeit in Schach gehalten werden mussten. Wie man aufpassen musste, sich nicht seinen Emotionen hinzugeben, weil sonst zu befürchten war, dass die Dämme brechen und schreckliche Erinnerungen die 'schwach gewordene Person' überfluten würden. Und immer wenn negative Emotionen in Schach gehalten werden müssen, dann werden als Nebeneffekt auch die positiven unterdrückt. Alles wird zum Schweigen gebracht... und die Kinder verstehen sehr schnell, keine Fragen zu stellen! Und das Schweigen, die Zurückhaltung der Emotionen durch die Traumatisierten hat sich natürlich in die Atmosphären der Familien niedergelegt. Und nun hat Susanne Benda einen literarischen Versuch unternommen, basierend auf ihrer eigenen Familiengeschichte, diesem Phänomen auf die Spur zu kommen. Und dieser Versuch ist gelungen! Und zwar in einer derart intensiven Art, dass mir meine eigene Familiengeschichte mit all dem Verschwiegenen mit hoher emotionaler Intensität ins Bewusstsein gerückt ist. Im ersten Teil sind wir Zeugen der Flucht aus Tschechien, der Todesmarsch der Heimatvertriebenen Deutschen aus Brünn in Richtung Wien im Mai 1945. Im zweiten Teil erfahren wir die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen. Im dritten Teil schließlich machen die Kriegsenkel-Geschwister Maria und Uli eine Reise zur Fluchtstrecke; offen bleibt, ob das in den Vorgängergenerationen erlebte Leid jemals wird verarbeitet werden können; klar ist aber auch, dass Schweigen kein Weg ist. Ein berührend wichtiges Buch.

Bewertung vom 16.08.2022
Schlangen im Garten
vor Schulte, Stefanie

Schlangen im Garten


ausgezeichnet

Surreal. Stefanie von Schultes zweiter Roman irritiert, weil er ein wenig verrückt ist. Er verrückt im wahrsten Sinne des Wortes unsere Wahrnehmung, lädt uns dazu ein, eine völlig neue Sichtweise auf die Dinge einzunehmen, verfremdet die uns vertraute (Wahrnehmuns-) Welt; ein Stilmittel der Autorin, welches wir bereits aus ihrem Erstling kennen, welches das schnelle 'Begreifen' der Geschichte zwar nicht erleichtert, auf der anderen Seite aber auch ziemlich fasziniert. "Adam umfasst Michas Schultern. Tastet ihn ab. Ist er noch heil. Außen scheinbar unversehrt, aber innen, Er weiß genau, dort müsste er schauen, aber wie soll es ihm gelingen." Was für uns in unserer Welt eine Frage wäre, präsentiert die Autorin nicht als eine solche. Dafür erleben wir, wie eben dieser Adam in die Tüten einer Stadtstreicherin eintaucht, in denen sich eine andere Welt offenbart - die der verstorbenen Johanne, seiner Ehefrau und Mutter von Micha, Linne und Steve. Die Geschichte in "Schlangen im Garten" ist die Beschreibung der Zeit nach einem Verlust, die Beschreibung einer - aus unserer gewohnten Perspektive - ganz anderen Art, mit der Trauer umzugehen. Und die Nachbarn beobachten die Familie Mohn mit Sorgfalt, um zu kontrollieren, ob sie auch 'richtig' Trauerarbeit leistet. Und hiezu werden auch Trauerbeamte eingesetz: "Trauerbeamter zu sein bedeutet vor allem, die Dinge im Fluss zu halten. Verschleppte Trauerarbeit wieder in Gang zu setzen. Wer beim Trauern auffällt, richtet gesellschaftlichen Schaden an. Es macht Ärger, wenn einer seine Arbeit aufgibt, wie Adam es getan hat. Wenn Studenten ein Semester aussetzen wie Steve. Wenn Kinder aus der Reihe tanzen, wie diese Kinder. Es gilt, das Sterben generell fernzuhalten, denn sonst wird nicht mehr richtig gelebt und konsumiert." Und in der Tat - Familie Mohn trauert anders, fast schon in einer Parallewelt, angefüllt mit Magie; da haben Taschen eine Namen, da werden die Tagebuchseiten der Verstorbenen nach und nach verspeist (Erinnerungen einverleibt); man begibt sich mit einem imaginieren Boot (der umgedrehte Küchentisch) in eine andere Welt und die Welt konstruiert sich über Geschichten, die an Bäumen wachsen und Erinnerungen wollen erzählt werden, nur so können sie auch 'verwurzeln'... In der Tat - Verlust und Trauer erschüttern die vertraute Welt, nichts ist mehr, wie es vorher war! Und Stefanie von Schulte gelingt die literarische Umsetzung hierzu!! Hervorragend!!!

Bewertung vom 14.08.2022
Die Selbstliebe-Illusion
Schache, Ruediger

Die Selbstliebe-Illusion


gut

Gute Anleitung.
Wer die Hector-Bücher von François Lelord und Bücher von John Strelecky ("Das Café am Rande der Welt") mag, der wird mit Ruediger Schaches "Die Selbstliebe-Illusion" sehr zufrieden sein, gleichzeitig aber auch merken, selbst schon ganz viel zum Thema zu wissen, denn wer ist heute nicht irgendwie auch so ganz nebenbei Hobbypsychologe. Was ja nicht verkehrt ist, allerdings aufzeigt, dass man offensichtlich noch weiterhin neugierig auf sich selbst ist, oder sich noch nicht am Ziel glaubt (wobei hier ja die Frage ist, ob das überhaupt das Ziel sein kann). Wie auch immer... "Die Selbstliebe-Illusion" ist nichts vollständig Neues, aber eine gute Anleitung in Richtung größere Lebenszufriedenheit & 'Einklang mit sich selbst'. Der Ausgangsgedanke aber ist absolut nachdenkenswert, es gehe nämlich gar nicht darum, unbedingt den Zustand absoluter Selbstliebe zu erreichen; diese Selbstanforderung ("Ich muss mich selbst mehr lieben!") würde nämlich zu einem Druck produzierenden Tunnelblick und das Problem mangelnder Selbstliebe, statt es zu lösen, eher noch verschärfen. Der Autor schlägt vielmehr vor, sich der eigenen Selbstabwertungs- und Selbstbeschränkungsprogramme und -mechanismen bewusst zu werden. Und in bester Ratgeber-Manier schickt er uns dann auf eine mehrstufige Reise zu uns selbst. Der Autor spricht die Lesenden mit 'Du' an und schafft so die persönliche Atmosphäre eines Life-Coachings. Er hangelt sich an einer Geschichte entlang (Die Begegnung von Jona und Noa in einem 'Café am Rande der Welt'), es folgen in jedem Kapitel die Ableitungen aus einer These, Anregungen zur Selbstreflexion, Selbst-Tests, die Möglichkeit seine (neuen) Gedanken schriftlich zu fixieren ('Arbeitsbuch'), eine graphisch einprägsam aufbereitete Zusammenfassung und die Einladung, einen Abgleich der 'alten Gedanken' mit den 'neuen Gedanken' vorzunehmen, sowie selbstverständlich auch Hinweise für erste Schritte. Gleichwohl gilt auch für diesen Ratgeber: Er ist ein Ratgeber und kein Ersatz für eine Therapie.

Bewertung vom 14.08.2022
Das letzte Grab / Carla Winter Bd.1
Erler, Lukas

Das letzte Grab / Carla Winter Bd.1


sehr gut

Optimal komponiert.
"Das letzte Grab" ist mein erster Krimi von Lutz Erler - und es wird mit ganz großer Sicherheit nicht mein letzter sein! Was diesen Krimi auszeichnet? Er hat mit seinen knapp dreihundert Seiten eine optimale Länge, ufert nicht aus, wie sonst schonmal üblich. Dahinter liegt Erlers Fähigkeit, durch präziese Beschreibungen schnell auf den Punkt zu kommen und über das komplette Buch hinweg, einen optimalen Spannungsbogen aufrecht zu erhalten. Und auch die Handlung entwickelt sich in einem guten Tempo, was sich in den beständig etwas kürzer werdenden Kapiteln widerspiegelt. Auch hat Erler mit der Strafverteidigerin Carla Winter eine Hauptfigur entwickelt, der man gerne folgt, mit der man sich gerne identifiziert: Straight, entschlossen, tatkräftig, sexuell aktiv - wobei sie sich Ihre gutaussehenden Partner, sofern die Situation es gerade anbietet, gerne selbst aktiv auswählt -, und dem Alkohol sehr zugeneigt. Und so ganz nebenher gibt es auch einen höchst brisanten Handlungshintergrund, den Handel mit Raubkunst, und die für einen Krimi so förderlichen, unerwarteten Wendungen, die aber nicht an den Haaren herbeigezogen und total konstruiert sondern vielmehr ausgesprochen passend wirken. Da kann ich nur sagen - optimal komponiert!

Bewertung vom 09.08.2022
Das Letzte, was du hörst
Winkelmann, Andreas

Das Letzte, was du hörst


gut

Spannend!
Natürlich ahnt man nach den ersten Seiten noch nicht die Hintergründe, die Untergründe, die tiefere Ebene, die Vorgeschichte, die Andreas Winkelmanns neuer Thriller "Das letzte, was du hörst" so spannend und am Ende auch ein wenig verwirrend machen. Winkelmann arbeitet nach bewährten Muster: Er schafft einen unmittelbaren Bezug zum Leser, indem er ihm als Rahmenhandlung etwas anbietet, was den meisten Leser:innen vertraut sein dürfte: Podcasts hören, die einen unterstützen sollen, sich in seiner Persönlichkeit weiter zu entwickeln. Das kombiniert er mit einem zweiten bewährten Muster: Eine Familientragödie mit traumatisierender Wirkung in der Vorgeschichte des Täters. Drittes bewährtes Muster: Der ganz lange Zeit sehr offensichtliche Täter ist zwar nicht ohne Schuld, aber dann doch nicht der eigentliche Mörder. Viertes bewährtes Muster: Identifikationsfiguren geraten in Gefahr um Leib und Leben. Lässt sich flüssig lesen und anhören - total solide Thriller-Kost. Und: Man wird am Ende doch eine sehr skeptische Haltung gegenüber Podcasts entwickelt haben, die den Anspruch haben, das eigene Leben positiv zu verändern. Und das ist gut so!

Bewertung vom 08.08.2022
Elternhaus
Mentges, Jennifer

Elternhaus


ausgezeichnet

Spannung bis zum Schluss.
Es ist schon einige Zeit her, dass ich einen so gut geschriebenen und bis zur letzten Seite spannenden Thriller in Händen hatte - ein wahrer Pageturner! Der Autorin Jennifer Mentges gelingt es, eine derart düstere Atmosphäre zu kreieren, dass es einem immer wieder kalt den Rücken runterläuft. Vielleicht merkt man da auch die erfahrene Drehbuchautorin, die mit Worten nicht nur Bilder sondern auch Emotionen transportieren kann! Familie Winkler zieht aus dem Süden der Republik in eine seit Jahren leerstehende, alte Villa in einem noblen Hamburger Elbvorort. Die Welt scheint in Ordnung - aber der Schein ist trügerisch... Und natürlich hat das Haus eine Geschichte - und zwar eine düstere... und ab der ersten Beschreibung der Villa ist auch klar, was passieren wird, nämlich dass die Geschichte des Hauses Auswirkungen auf die neuen Bewohner und ihr Familienglück haben wird. Düstere Geschichten neigen zu einer Wiederholung - und das so lange bis etwas wieder gut gemacht, die Vergangenheit bereinigt wird. Und so gewinnt Tobias Hansen, um dessen Elternhaus es sich bei der Villa handelt, eine immer größere Präsenz in der Villa und im innerfamiliären Ablauf - er schleicht sich gewissermaßen zurück in sein Elternhaus. Kapitel für Kapitel werden für die Lesenden aus anfänglichen Ahnungen, dass da Bösartiges im Spiel ist, böse Gewissheiten und die Hoffnung auf Rettung. Und am Ende? Da ist es wie bei Stephen Kings 'Carry'... das Vergangene ist noch längst nicht bereinigt! Unbedingt nachts lesen, wenn man allein (...und schutzlos) zuhause ist.

Bewertung vom 03.08.2022
Die Ewigkeit ist ein guter Ort
Noort, Tamar

Die Ewigkeit ist ein guter Ort


sehr gut

Vom Suchen und vom Finden.

Bewertung vom 31.07.2022
Ein unendlich kurzer Sommer
Pfister, Kristina

Ein unendlich kurzer Sommer


ausgezeichnet

Klasse!!!
"Ein unendlich kurzer Sommer" von Kristina Pfister ist definitiv mein Sommerbuch des Jahres! Und der Titel behält Recht - ein Sommer allein ist viel zu kurz, um mehrere Leben wieder auf Kurs zu bringen. Da ist Lale, die eine Auszeit von ihrer Beziehung nimmt, und bei ihrer 'weg-von-Reise' auf einem abgewrackten Campingplatz im Niemandsland landet, mit dem diffusen Ziel, ihr Leben zu sortieren, welches durch den Tod ihres Bruders - für den sie sich die Schuld gibt - durcheinandergeraten ist. Da ist Chris, der nach dem Tod seiner demenzkranken Mutter einen Brief findet, der einen Hinweis auf seinen Vater enthält, und sich von der Insel Reunion aus aufmacht, zu eben diesem Campinfplatz (und dort natürch eine Liebesverhältnis mit Lale beginnt, die aber verheiratet ist). Da ist Gustav, fortgeschritten krebskrank, der sich mehr für sein Sterben als für seinen alten Campingplatz interessiert (und insgeheim seiner alten Liebe hinterhertrauert, der Mutter von Chris, hingegen nicht weiß, dass er vor über 30 Jahren Vater geworden ist). Da ist James, Weltenbummler mit hobbypsychologischem Lebenskonzept und alter Freund von Gustav, der von Flo's Mutter für die letzten Lebensmonate zu Griesgrams Gustavs emotionaler Unterstützung hergebeten und zum Campingplatz gerufen wird. Und da ist der 17-jährige Flo - stets Außenseiter gewesen wegen seiner Kinderlähmung, der in diesem Sommer erwachsen wird. Dies ist das Ausgangsszenario für einen auf seine ganz eigene Weise außergewöhnlichen und berührenden Sommer, der einiges verändern wird. Da sind so fantastische Passagen, in der einen erarbeitet Lale mit Gustav seine 'Löffel-Liste' und Gustav fragt daraufhin: "Habt ihr denn kein eigenes Leben?". Oder so fantastische Dialoge wie "Hier ist schon irgendwie alles leichter, findest du nicht?" "Vermutlich. Man kann ein bisschen jemand anders sein. Eine Zeitlang." Oder so ganz unvermittelt ein Satz wie "Die Welt ist größer, wenn man offen ist." Wer also jetzt noch zögert, sich diese wunderbare Geschichte zu Gemüte zu führen, dem ist auch nicht mehr zu helfen...

Bewertung vom 30.07.2022
Isidor (eBook, ePUB)
Kupferberg, Shelly

Isidor (eBook, ePUB)


sehr gut

Ein wichtiges Buch. "Ein jüdisches Leben" von Shelly Kupferberg ist ein wichtiges Buch. Kein Roman, sondern vielmehr das Ergebnis einer Frage an die eigene Familiengeschichte, der Versuch, Herkunft zu ergründen und schlussendlich eine individuelle Geschichte in Familien- und Zeitgeschichte einzubetten. Shelly betreibt Spurensuche. Über ihren Großvater Walter erfährt sie von Isidor, Walters Onkel, der es irgendwie geschafft hatte, sich aus ärmlichen Verhältnissen in Galizien hochzuarbeiten, hinein in einen mondänen Status innerhalb der Kulturmetropole Wien; Isidor hat seinen jüdischen Vornamen 'Israel' abgelegt, hat es zum Kommerzialrat Dr. Isidor Geller, Berater des österreichischen Staates, Multimillionär, Opernfreund und Kunstsammler geschafft; auf zwei gescheiterte Ehen folgt eine Liebesbeziehung zu einer ungarischen Sängerin. Der Bericht beeindruckt vor allem durch seine detaillierte Recherche und den Rückgriff auf Archivmaterial. Aber "Ein jüdisches Leben" ist weit mehr als lediglich die Rekonstruktion einer erstaunlichen Lebensgeschichte; die Einbettung in den historischen Kontext, die prägende Wirkung von Zeitgeschichte auf die individuelle Lebensgeschichte stechen besonders hervor: Der Anschluss Österreichs an Nazideutschland und die große Frage, die sich der zunehmend bedrohten und aus der Öffentlichkeit vertriebenen jüdischen Bevölkerung stellt - zu flüchten oder eine Form des sich Arrangierens zu finden. Ein Kontrast, welcher besonders gut herausgearbeitet ist, ist das Verhältnis der jüdischen, sehr der feinen Kultur verbundene Lebensart zu der grobschlächtigen Art der Nationalsozialisten. "Ein jüdisches Leben" ist ein Ausrufezeichen!