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Juti
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Insgesamt 631 Bewertungen
Bewertung vom 24.06.2022
Die Macht des Heiligen
Joas, Hans

Die Macht des Heiligen


weniger gut

Wie ein deutscher Professor ein Buch schreibt

Da liest ein Professor für Religionssoziologie ein paar Bücher und schon schreibt er ein Neues. Klar werden die ersten Kapitel benötigt, um den Rest zu verstehen, aber außer im letzten Kapitel ist der Eigenanteil gering. Wörter werden definiert, die keine Definition brauchen, aber die titelgebende Macht und Heilig kommen erst sehr spät vor. Dann wird immer schön aufgezählt, damit die Studentin auch gut geprüft werden kann, ob sie schön auswendig gelernt hat.

Also ran ans Werk: In der Einleitung schreibt der Autor, Gläubige können die Säkularisierung heute nicht mehr mit der Verlust aller Moral gleichsetzen (21). Religion werde heute als mysteriöses Phänomen empfunden (22), was schon für den Philosophen David Hume galt, der im ersten Kapitel zeigt, dass 1. mit dem Monotheismus die Religionsgeschichte nicht begann. 2. wachse aus den Emotionen der Menschen der Polytheismus und 3. oszilliere die Geschichte zwischen Mono- und Polytheismus. 4. sei der Polytheismus toleranter (33-36). Zehn Seite später schreibt er, dass die Thesen empirisch alle nicht haltbar sind.

Dennoch gab es in Deutschland aus drei Gründen Anhänger von Hume, weil
1. Glauben eher Akt des fühlenden statt des denkenden Menschen ist.
2. er Abstand nimmt vom Fortschrittsgedanken zu einem wechselnden Auf und Ab.
3. den Status religiöser Texte wie die Bibel neu formuliert (51f).

Dann behandelt er William James, der sich womöglich auf Schleiermacher bezog, aber diesen Exkurs habe ich ausgelassen. Er definiert nach Royce, dass Erfahrung notwendig, aber nicht hinreichende Bedingung für Einsicht ist. Aber Einsicht sei nicht die einzige Quelle des Glaubens. Es gäbe noch 2. Erfahrung, 3. Vernunft, 4. Willen, 5. Hingabe 6. Kummer oder Leid und 7. die Kirche mit ihren Traditionen.
Im dritten Kapitel wird Durkheimer besprochen. Er behauptet, dass ein Ritual dem Dogma vorrausgehe und letzteres nur mit ersterem zu verstehen ist. Das Ritual sei dann Quelle nicht alltäglicher Erfahrungen. Deswegen sollen man Mythen auf neue Art ernst nehmen. Und das Kapitel endet ausnahmsweise ohne jede Aufzählung.

Im folgenden geht es über Weber und Troeltsch, die zusammen in Heidelberg wohnten. Troeltsch arbeitete die innere Vielfalt des Christentums heraus: Universalismus und Individualismus mit
1. Zusammenprall von Ideal und Wirklichkeit
2. Typologie Kirche – Sekte – Mystik (ist schon Punkt 5, ich habe die ersten drei vergessen)
Weber spricht von Entzauberung was seitenlang diskutiert wird, so lang, dass Joas es nochmal systematisieren will. Und ich hätte mit dem nächsten Kapitel fortgesetzt, wenn nicht auf S.253 plötzlich das Heilige als Erfahrungen der Selbsttranszendenz definiert würde, wo das Reich des Göttlichen vom Irdischen getrennt ist.

Nun aber zur Achsenzeit, die alle Welt mit Jaspers verbindet, den Autor aber zu einem themafremden Exkurs über Lasaulx verleitet. Kapitel 6 wiederholt Kapitel 3, bis Gemeindereligiösität, Rationalisierung und Modernisierung als Prozessbegriffe eingeführt werden.
Dann werden Askese und Mystik noch jeweils mit den Adjektiven weltflüchtig und innerweltlich verbunden.

Erst das letzte Kapitel behandelt das Thema des Titels mit fünf Schritten zur Theorie der Sakralisierung:
1. Konzeption des menschlichen Handels
2.Konstitution des Selbstmordversuch
3. Prozeß [sic!] der Selbstbildung
4. Dimension des Ergriffenseins
5. Erfahrungen der Selbsttranzendenz

In der Macht des Heiligen liegen tiefen Quellen unserer Lebenskraft, wie im Akt der Weihe.
Alternative zur Heiligung des Herrscher ist die Sakralisierung des Volkes oder der Person.
Mit 1. Ausbleibende Wohlwollen beim Opfer, 2. Umverteilungswirkungen und 3. Tabuierung durch Häuptling oder Priester werden noch drei Konfliktherde genannt.

Als gebildeter Mensch kannte ich Weber vorher, der Rest war mir weitgehend neu, was mich wohl durchhalten ließ, aber nur weil ich lange nicht mehr gelesen haben, was Professoren in ihrem Elfenb

Bewertung vom 21.06.2022
Roter Hunger
Applebaum, Anne

Roter Hunger


ausgezeichnet

Stalins Terror

Durch den Ukraine-Krieg hat dieses drei Jahre alte Buch an Aktualität gewonnen. Es beschreibt die Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert. Nach einer kurzen Phase der Unabhängigkeit im Ersten Weltkrieg wird das Land Teil der Sowjetunion. Dort gab es zunächst eine Zeit, in der selbst in der Schule Ukrainisch gesprochen wurde.

Doch zunächst wurde die Intelligenz verfolgt, dann die reiche Bauern, „Kulaken“ genannt“, gejagt. Dank der Schwarzböden versprechen die ukrainischen Felder die beste Ernte, doch reiche Bauern sind im Kommunismus unerwünscht. Schon Anfang der 20er Jahre wurde versucht sie in Kolchosen einzugliedern. Doch der Erfolg dieser Maßnahme waren nur sinkende Ernteerträge. Lenin begann Ende der 20 Jahre mit einer neuen Wirtschaftsordnung, die Stalin solange fortsetzte, bis er seine innerparteilichen Gegner besiegt hatte.

Dann schickte er 15.000 Anhänger auf das Land, die den Kulaken die Ernte wegnahmen, ja sogar das Saatgut mitnahmen. Die unabhängigen Bauern sollten Teil einer Kolchose werden.
1932 begann eine Hungersnot ohne Vorbild. Um zu überleben, aßen die Bauern Katzen und Hunde, ja selbst Beispiele von Kannibalismus werden im Buch ausführlich behandelt. Die Beispiele sind so extrem, dass sie selbst beim Lesen nur schwer erträglich sind. Manche Eltern fressen regelrecht ihre Kinder, andere Eltern tun alles, damit die Kinder von der Hungersnot erzählen. Acht Millionen Menschen starben oder wurde nicht geboren. Viele überlebten nur, weil sie eine Kuh für die tägliche Milch behalten durften.

Die Kommunisten versuchten nämlich, diese Hungersnot geheimzuhalten. Wie Putin das Wort „Krieg“ verbietet, war es verboten, von Hungersnot zu sprechen. Kluge Diplomaten, wie vor allem der italienische Botschafter und andere, die das Land besuchten, bekamen den Terror dennoch mit. Glaubhafter erschien im Westen aber der Journalist der New York Times, der sich ans Regime heranschleimte, mit Stalin Interviews durchführte und wie Moskau es wünschte, nur von „Lebensmittelengpässen“ sprach.

Die Frage, ob man von einem Völkermord sprechen kann, hat mich weniger interessiert. Während die Russen in Moskau von der Hungersnot nur wenig mitbekamen, waren neben der Ukraine auch der Nordkaukasus und Gebiete an der Wolga betroffen. Und während die Bauern hungerten, bekamen die Industriearbeiter in den Städten dank Zuteilungen des Staates davon wenig mit.

Dieses Buch ist ein Dokument über ein Ereignis, das mir zuvor unbekannt war. 5 Sterne

Bewertung vom 18.06.2022
Tell
Schmidt, Joachim B.

Tell


ausgezeichnet

Überraschende Neuerzählung

Ich hätte dieses Buch gerne als Geheimtipp behandelt, doch als 95. Bewertung kann ich so nicht reden.

Erstmals gefällt mir ein multiperspektivischer Roman. Dies liegt vor allem daran, dass ich nicht wie sonst die Figuren durcheinanderwerfe, weil ich das Personal weitgehend von Schiller kenne, ergänzt um kluge, handelnde Frauen, also Mütter und Großmütter.

Gelungen ist die Darstellung Tells, der keinesfalls als schillernde Held gefeiert wird, sondern eher als kauziger Bergbauer rüberkommt. Ich weiß nicht, ob ich der einzige bin, der beim Tod des jüngeren Bruders Peters an die Messner-Brüder denken musste.

Plausibel wirkt die aus der vergessenen Begrüßung des Hutes entstehende Apfel-Szene, wenn auch die Befreiung Tells anders verläuft und der Rütli-Schwur fehlt.
Ergänzend kommt aber die Szene das ein Pfarrer seinen im Sterben liegenden Vorgänger mit einer Fleischwurst in der Größe eines errigierten männlichen Geschlechts erstickt, weil er so viele Kinder missbraucht hat. Diese aktuelle Anspielung deckt sich mit der Freiheit der Kunst.

Außerdem bleibt es kurzweilig und weil ich alle Personen behalten konnte, kritisiere ich auch nicht die gleiche Sprache, nein Schiller hat eine alternative Schullektüre bekommen. 5 Sterne. (Von mir erstmals seit langem für einen Roman).

Bewertung vom 14.06.2022
Der Erinnerungsfälscher
Khider, Abbas

Der Erinnerungsfälscher


sehr gut

gutes Sommerbuch

Eigentlich möchte ich mir noch kein Urteil erlauben, ob ich das Buch eines großen Autors gelesen habe. Dafür müsste er zunächst etwas schreiben, das nichts mit Migration zu tun hat.

Als Einheimischer fehlt in diesem kurzen Werk nichts, was ich nicht mit Flüchtlingen verbinde. Dabei ist unser Protagonist Said integriert – im Gegensatz zu seinem „Schulfreund“, eigentlich ist er nur ein zweiter Araber in seiner Klasse und plant keine Anschläge auf Khufas. Dennoch darf Said nicht mehr in der Bayerischen Staatsbibliothek ausleihen, weil er wegen eines Referats verfassungsfeindliche Bücher ausleihen musste.

Diese kleinen Anekdoten sind die Würze der Geschichte, die auch vom erschwerten Umgang mit der deutschen Polizei handelt. Dieser erscheint aber leicht, wenn man seine Familiengeschichte in seiner Heimat Bagdad bedenkt, wo die Familie seiner Schwester bei einem Terroranschlag ausgelöscht wird. Auch sein Vater hat kein Grab. Er wird als Regimegegner vermisst.


Der traurige Stoff wird in heiterer, lebensbejahender Atmosphäre erzählt. Für 5 Sterne fehlt mir aber das Überraschende, das wirklich Neue. Aber 4 Sterne mit einer Leseempfehlung für unterwegs, da die Kapitel kurz sind und man jederzeit wieder reinkommt.

Bewertung vom 06.06.2022
Zukunftsmusik
Poladjan, Katerina

Zukunftsmusik


gut

Pfingstsonntagbeschäftigung

Ähnlich wie bei „Dunkelblum“ werden hier vier verschiedene Charaktere beschrieben. Doch wird hier nur ein Tag behandelt, der Tag an dem Gorbatschow Generalsekretär der KPdSU wird. Nur kommt der Name Gorbatschow nicht vor.

Vielmehr kommen die Probleme und Freuden des Alltagsleben zum Ausdruck. Mal verliert eine Frau die Wohnung, eine andere wird schwanger, mal will eine nach Paris reisen oder erfreut sich am schönen Nachbarn. Und Männer gibt es auch, aber sie sind mir nicht in Erinnerung geblieben, außer dass Janka nicht weiß, ob Andrej oder Pawel der Vater ihres Kindes ist.

Der Vorteil gegenüber Eva Menasses Buch ist, dass 185 Seiten deutlich schneller zu lesen sind. Aber für die Kürze kann nicht mehr Sterne vergeben. Also 3 Sterne.

Bewertung vom 05.06.2022
Dunkelblum
Menasse, Eva

Dunkelblum


gut

Fehlende Spannung

Lange habe ich überlegt, ob ich dieses Buch überhaupt lesen soll. Aber da ich Eva Menasse als gute Autorin kenne und wegen der Vielzahl guter Kritiken, habe ich mich dazu entschlossen.

Dennoch war es recht mühsam. In diesem Dorfroman kommen unzählige Figuren vor. Mitgefiebert habe ich nur mit zweien: Horka, das Nazi-Ungeheuer, das Ende des Krieges noch zwei Russen platt machte, dann erst Polizeichef wurde, um sich dann ins Ausland abzusetzen.
Und Flocke, die die Kriegsverbrechen an jüdischen Zwangsarbeitern aufklären will, aber auf Widerstand stößt und dann vermisst wird.

Einerseits ist es nicht nötig, sich alle Figuren zu merken, andererseits geht durch diese umfassende Erzählweise die Spannung verloren, so dass 512 Seiten zu harter Arbeit werden. 3 Sterne

Bewertung vom 15.05.2022
Besichtigung eines Unglücks
Loschütz, Gert

Besichtigung eines Unglücks


sehr gut

Spannender Anfang

Der deutsche Buchpreis bot letztes Jahr nicht viel. Dieser hätte 5 Sterne verdient, wenn denn das Ende so wäre wie der Anfang.

Unglaublich spannend berichtet Loschütz über das größte Zugunglück der deutschen Eisenbahn 1939 in Genthin. Er geht selbst den Irrwegen nach, etwa das eine Inversionswetterlage die Sicht behindert hätte. Stattdessen wir deutlich, dass der zweite Lokführer nur wegen der im Krieg befindlichen Kollegen einen Personenzug führen durfte und mehrfach Haltesignale überfuhr. Zuletzt wurde der erste Zug in Genthin angehalten, weil das Signal 4 Sekunden zu früh auf Halt geschaltet wurde.

Auch das zweite Kapitel gefällt mir. Hier wird vor allem das Leben von Clara Finck geschildert, die mit einem Juden in Düsseldorf liiert, im Zug mit einem Italiener reist und sich später als dessen Witwe ausgibt.
Dann aber wechselt der Roman zur Mutter unseres Ich-Erzählers, die aber mit dem Unfall nur insofern zu tun hatte, als dass sie die Briefe Claras gekannt und für die Korrespondenz gesorgt hatte.

Auch wenn das kurze letzte Kapitel alles wieder zusammenführt, ist mir dieser Strang zu dünn und die Familiengeschichte nicht interessant genug. Also 4 Sterne.

Bewertung vom 12.05.2022
Museumsgeschichte

Museumsgeschichte


weniger gut

Spezialliteratur

Heute weiß jeder, das ein Museum nicht nur eine Sammlung von Merkwürdigkeiten ist. Wie eine Ordnung in die Museen kam, kann hier jeder nachlesen, aber wirklich Neues wird man nicht erfahren.

Da ich an kreativen Konzepten interssiert war, von mir nur 2 Sterne.

Bewertung vom 12.05.2022
Das mangelnde Licht
Haratischwili, Nino

Das mangelnde Licht


sehr gut

Düsteres Georgien

Dass ich kein Fan von dicken Schinken bin, habe ich mehrfach gesagt. 830 Seiten ist eine Herausforderung. Aber es lohnt sich.

Das Buch fängt an mit einer Szene von vier Mädels im Botanischen Garten in Tiflis, von denen sich drei Jahre später bei einer Ausstellung von Dinas Fotos in Brüssel wiedersehen. Letztere lebt nicht mehr.

Das erste Kapitel behandelt dann den Hof mit allen Bewohnern, das ist das Quartier in dem die Ich-Erzählerin Keto aufgewachsen ist und schon sind 150 Seiten geschafft. Da ich nicht zurückblättern wollte, machen mir dann zunächst die vielen Namen zu schaffen, aber nach weiteren hundert Seiten kannte ich meine Pappenheimer.

Georgien leidet unter der Transformation vom Kommunismus. Ständig fällt der Strom aus und es ist ein Höhepunkt dieses Werkes wie sie den Stromausfall in der Metro mit zwei der vier Protagonistinnen verbindet. Überhaupt ist die fehlende Sicherheit und die Auswirkungen der veränderten Politik, der beginnende Bürgerkrieg die Stärke dieses Buches.

Zwei Dinge stören mich jedoch. Manchmal diskutieren die Frauen über das Geschehen, das die Leserin bereits kennt. Hier hätte wirklich gekürzt werden können. Und dann ist die Geschichte im Zoo, die die FAZ spoilert. Ich will das nicht tun, halte auch nicht die Gewalt für unglaubwürdig, sondern Dinas Menschenliebe. Die Zooerzählung ist aber in der Tat prägend für den Rest des Buches.


Mir gefällt, wie die Autorin anhand der Bilder der Ausstellung die Vergangenheit rekonstruiert. Ich mag auch ihren Stil. 4 Sterne sind absolut gerechtfertigt.

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.05.2022
Serge
Reza, Yasmina

Serge


gut

Was Peter Handke nicht schreiben sollte

Keine zehn Bücher ist es her, dass ich bei der jungen niederländischen Autorin Marieke Lucas Rijneveld sicher war, dass Handke Ärger bekommen, wenn er dasselbe Buch geschrieben hätte.
Gleiches gilt für Serge. Aber zum Glück stammt die französische Autorin aus einer jüdischen Familie und wer ihren Wikipedia-Eintrag liest, wird nicht umhinkommen in den chaotischen Poppers autobiografische Züge zu vermuten.

Auf meine Leseliste kam Serge, weil ich von einer satirischen Darstellung einer Reise nach Auschwitz hörte und mich auf Ähnliches wie in Robert Menasses „Hauptstadt“ freute. In der Tat ist das der Höhepunkt des Buches und nein als Skandal eignet es sich nicht. Mir hat es gefallen wie sie das Erlebnisinteresse der Touristen mit ständigem Handyklingeln und Fotowahnsinn schildert und wie sie das historische Desinteresse auch in der jüdischen Familie veranschaulicht. Aber wenn das Wort Vernichtungslager mit Nichts oder die Desinfektionsräume mit Sauna beschrieben werden kann von Verharmlosung nicht die Rede sein.

Leider sind nur etwa 30 Seiten der Reise gewidmet. Wenn die FAZ von „Meisterschaft der gestörten, lückenhaften Dialoge“ könnte ich dem zustimmen, wenn nicht ausgerechnet diese Meisterschaft das Leseerlebnis schmälern würde. Auf Seite 149 habe ich mich zum Beispiel gefragt, wo die lange wörtliche Rede eigentlich beginnt, die mit Herzchen aufhört. Da ich trotz minutenlanger Suche die Lösung nicht gefunden habe, freue ich mich über Kommentare.
Und wie bei Annie Ernaux fehlt jede Gliederung, allein Ernauxs Bücher sind deutlich kürzer.

Eigentlich schade, dass ich außer den Kindern den Überblick über die Personen verloren habe. Denn ihre Beschreibung des Schachspiels mit dem Schachspruch des Vaters: „Ein König der Spiele, ein Spiel der Könige“ ist meisterlich. „Da wurde Partien von Spassky, Fischer , Capablanca, Steinitz und anderen analysiert, aber sein Held, dessen Noblesse und Unerschrockenheit er unablässig pries, war Mikhail Tal, das Genie des Opferns, der Alexander der vierundsechzig Felder. Die ganzen russischen oder tschechischen Champions sind Juden, erklärte er uns. Und wenn der Typ kein Jude war, war er trotzdem Jude.“ (71f)
Als Schachtrainer werde ich diese Idee des Vaters übernehmen: „Sobald er sich bedroht fühlte, sagte er, oh, interessant, sehr interessante Situation! Analysieren wir die Varianten! Er verwandelte die Partie in eine Übung, sie wurde völlig neutral, und keiner gewann sie mehr.“ (72) Das passt zu der Schlussfolgerung: „Im Schach zu verlieren war bei uns eine niederschmetternde Demütigung.“ (72)


All diese schönen Zitat können nicht verhindern, dass Serge von mir wegen des fehlenden roten Faden, der außer in Auschwitz Familienkomödie mit Längen nur 3 Sterne erhält.