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YukBook
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München

Bewertungen

Insgesamt 291 Bewertungen
Bewertung vom 08.03.2020
Das große Los
Winnemuth, Meike

Das große Los


ausgezeichnet

Ich frage mich, warum ich dieses Buch nicht schon viel früher gelesen habe. Eine Journalistin, die bei "Wer wird Millionär" eine halbe Million gewinnt, auf Weltreise geht und darüber berichtet - spannend könnte eine Geschichte doch kaum sein. Hinzu kommt, dass sie sich zwölf Großstädte ausgesucht hat, in der sie jeweils einen Monat verbringt.

Eine Stadt wie Sydney macht ihr den Einstieg leicht, ebenso San Francisco. Mit Mumbai dagegen steht sie lange Zeit auf Kriegsfuß, bis sie auch dort die schönen Aspekte entdeckt. Was ihrem Reisebericht eine besondere Würze verleiht, sind die vielen originellen Einfälle. Sie schildert zum Beispiel ihre Reise in Briefform an zwölf verschiedene Personen aus ihrer Familie und ihrem Bekanntenkreis. Zudem erledigt sie kleine Aufträge für die Leser ihres Reiseblogs, die zu ganz ungewöhnlichen Bekanntschaften und Entdeckungen führen.

Der Autorin geht es nicht darum, möglichst viele Sehenswürdigkeiten abzuhaken, sondern vielmehr zu erfahren, was die Stadt mit ihr macht und welche Gefühle, Eigenschaften und Unternehmungen sie aus ihr herauskitzeln. Einerseits genießt sie die Freiheit und den Luxus, Dinge, auf die sie gerade Lust hat, ausprobieren zu können wie Ukulele zu spielen oder einen Tauchkurs zu machen; andererseits sehnt sie sich nach Nähe und Zugehörigkeit.

Während der Lektüre habe ich eine besondere Verbindung zu Meike Winnemuth gespürt. Ich teile ihr Lebensmotto "Love it, change it or leave it" und ihre Einstellung, möglichst viele Dinge auszuprobieren und seine Überzeugungen immer wieder zu hinterfragen. Dieser wunderbar bebilderte Reise- und Selbsterfahrungsbericht hat meinen Horizont in vielerlei Hinsicht erweitert.

Bewertung vom 04.03.2020
Jäger, Hirten, Kritiker
Precht, Richard David

Jäger, Hirten, Kritiker


sehr gut

Angesichts der Macht von Konzernen wie Google oder Amazon gibt man sich schnell dem Lauf der Dinge hin und nimmt eine fatalistische Haltung ein, nach dem Motto, die Digitalisierung ist ohnehin nicht aufzuhalten. Genau hier setzt Richard David Precht an und stellt mögliche Konzepte vor, wie wir digitale Technologien sinnvoll für ein menschenwürdigeres Leben und zum Schutz der Umwelt nutzen können, ohne unsere Autonomie zu verlieren.

Im ersten Teil beschreibt der Philosoph, wie unsere Welt auf eine vierte industrielle Revolution zusteuert. Menschen werden in ihrem Verhalten immer transparenter und kalkulierbarer, gleichzeitig aber auch abhängiger und manipulierbar und verlieren damit zunehmend ihre Freiheit und Selbstständigkeit. Mehrmals fühlte ich mich ertappt, zum Beispiel wie offenherzig ich persönliche Daten zugänglich mache, um den Komfort von verschiedenen Dienstleistungen im Alltag genießen zu können. Der Autor trifft genau den Punkt, wenn er schreibt, dass das Eindringen in die Privatsphäre und die Ausweitung der Macht von IT-Konzernen in kleinen Schritten und so schleichend vor sich geht, dass man deren Auswirkungen unterschätzt.

Möchte ich in einer Welt leben, in der alle Angebote auf mein Konsumverhalten zugeschnitten und alle Erfahrungen vorhersehbar und frei von Überraschungen ist? Die Dystopie, die Precht beschreibt, ist so verstörend, dass ich bei der Lektüre immer ungeduldiger wurde zu erfahren, worin er denn nun genau eine Chance sieht. Für einen notwendigen Schritt hält der Autor unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen. Klingt einleuchtend, wenn man bedenkt, wie viele Berufe wie Fahrlehrer oder Versicherungsberater in naher Zukunft wegfallen werden.

Ich kann mir noch nicht genau vorstellen, wie Menschen mit der Möglichkeit, ihr Leben freier zu gestalten ohne auf Erwerbsarbeit angewiesen zu sein, umgehen würden. Umso wichtiger erscheint mir Prechts Appell an die Politiker und Bürger, eine Arbeitswelt und Gesellschaft anzustreben, die nicht allein auf Effizienzsteigerung, Perfektionierung und Komfortmaximierung ausgerichtet ist, sondern die menschliche Urteilskraft und Handlungskompetenz fördert und die nötigen Rahmenbedingungen für eine kreative Entfaltung und unkonventionelle Denkweisen schafft. Precht bereichert seine Ausführungen durch Zitate und Ideen von Philosophen und Ökonomen aus verschiedenen Epochen und beschert uns eine lehrreiche und anregende Lektüre.

Bewertung vom 23.02.2020
Römisches Finale / Commissario Di Bernardo Bd.2
Korsakova, Natasha

Römisches Finale / Commissario Di Bernardo Bd.2


sehr gut

Ein Mord, ein Ermittlerduo und Bella Italia als Schauplatz - Diese Kombi ist wahrlich nicht neu. Die Krimis der Schriftstellerin und Violinsolistin Natasha Korsakova haben allerding noch ein weiteres Markenzeichen: Sie spielen in der Welt der klassischen Musik.

Im zweiten Fall von Commissario Di Bernardo wird der weltberühmte Pianist Emile Gallois tot und mit zertrümmerter Hand aufgefunden. Angesichts seiner undurchsichtigen Liebesbeziehungen liegt ein Mord aus Eifersucht nahe. So sind der Kommissar und sein Kollege Roberto in der ersten Hälfte des Buches hauptsächlich mit Befragungen beschäftigt, um sich ein klareres Bild seines privaten Umfelds zu machen.

Als ein weiterer Mord geschieht und das Augenmerk auf Emiles Vergangenheit gelenkt wird, kommt die Handlung richtig in Fahrt. Es macht Spaß, das Duo quer durch Rom zu begleiten: Di Bernardo, der sich über das fehlende Mosaiksteinchen den Kopf zerbricht, während Roberto sich keine Gelegenheit der Nahrungsaufnahme entgehen lässt. Die Autorin erweckt dabei bekannte und weniger bekannte Viertel Roms mit ihren architektonischen Besonderheiten zum Leben.

Neben dem Schauplatz spielt ein gewisses Stück von Rachmaninow eine zentrale Rolle, in das ich während der Lektüre hineingehört habe. Als Insider kann Korsakova die Marotten exzentrischer Künstler, ihren Hang zur Theatralik und den extrem hohen Erfolgsdruck in der Musikwelt, der zu Neid und Missgunst führt, sehr authentisch vermitteln.

Bewertung vom 15.02.2020
Alles, was geschieht, hat seinen Grund
Portabales , Arantza

Alles, was geschieht, hat seinen Grund


ausgezeichnet

In Zeiten, wo viel Wert darauf gelegt wird, ständig erreichbar zu sein, ist die Kommunikation nur über Anrufbeantworter eher befremdlich. Genau das tun jedoch die vier Protagonistinnen in diesem Roman. Sie hinterlassen Nachrichten und reflektieren dabei über ihr Leben. Marina macht ihrem Ehemann, der sie verlassen hat, Vorwürfe; Carmela, die an Krebs erkrankt ist, verabschiedet sich von ihrem Sohn, der in der Ferne als Arzt arbeitet; Sara macht eine Psychotherapie via Anrufbeantworter und Viviana enthüllt ein Familiengeheimnis.

Je weiter man liest, desto mehr zeigt sich, wie gut diese Erzählform zu der Geschichte passt. Zum einen möchte jede der vier Frauen etwas loswerden, sich von der Seele reden ohne eine sofortige Reaktion oder Erwiderung befürchten zu müssen. Auf diese Weise meiden sie zu viel Nähe, und ihre einseitigen Botschaften bleiben vorerst ohne Folgen. Zum anderen wird man als Leser dazu angeregt, über die Kommunikation als solche nachzudenken, wie schwer sich Menschen damit tun und wieviel im Leben unausgesprochen bleibt.

Das Besondere an Portables Sprache ist, wieviel Kraft und Emotionen in den knappen, teilweise nüchternen Sätzen stecken. Aus den zahlreichen Nachrichten und Fragmenten entsteht allmählich ein immer klareres Bild von vier sehr unterschiedlichen Charakteren und Lebenswegen, die sich teilweise kreuzen. Man erlebt sowohl verstörende Enthüllungen als auch tief berührende Gesten. Ein starkes Buch über die Liebe, Ehe, Freiheit und Selbstständigkeit.

Bewertung vom 08.02.2020
Skandalös
De Stefano, Cristina

Skandalös


sehr gut

Ich muss gestehen, ich kenne nur wenige der Frauen, die Cristina de Stefano in diesem Buch vorstellt. Niki de Saint Phalle zum Beispiel, die durch ihre voluminösen Nana Skulpturen berühmt wurde. Oder Nina Simone mit ihrem unvergesslichen Song "My Baby Just Cares For Me". Doch auch über diese Künstlerinnen lernte ich völlig neue Seiten kennen, die deutlich machen, warum sie in diesem Buch aufgenommen wurden.

Frauen wie Mina Loy, Else Laske-Schüler oder Louise Bourgeois haben eines gemeinsam: Sie verwandelten ihren tiefen Schmerz aus traumatischen Kindheitserlebnissen in Energie und unglaubliche Schaffenskraft. Manche verarbeiteten ihre Wut textlich und veröffentlichten skandalöse Gedichte oder Romane, andere in Form von provozierenden Fotografien oder Skulpturen.

Mir gefiel, dass Cristina de Stefano in jedem Kurzporträt jeweils auf die Herkunft und das Umfeld eingeht, in dem die Frauen aufwuchsen. Dabei stellt sie prägende Beziehungen und einschneidende Erlebnisse heraus, die erklären, warum sie einen so unkonventionellen Weg eingeschlagen haben. Manche Frauen bewunderte ich für ihren Mut, ihre Kreativität und Produktivität, andere fand ich ein wenig furchteinflößend, da sie auch vor exzessivem Alkoholkonsum, Gewalt und kriminellen Taten nicht zurückschreckten, um zu rebellieren und zu schockieren. Schön, dass jedes Kapitel mit einer ganzseitigen Schwarzweißfotografie beginnt, so dass man jeder Person ein Gesicht zuordnen und sie in verschiedenste Länder wie Frankreich, Finnland, Kuba, Mexiko oder Vietnam begleiten kann.

Bewertung vom 04.02.2020
Auf einen Kaffee mit Kant
Robert, Marie

Auf einen Kaffee mit Kant


ausgezeichnet

Wer daran zweifelt, dass philosophische Anschauungen praxistauglich sind, sollte dieses Buch lesen. Marie Robert beschreibt höchst anschaulich zwölf typische Krisensituationen, die dem Leser mal mehr, mal weniger bekannt vorkommen dürften. Doch statt aus eigenen Erfahrungen zu schöpfen und selbst Hilfestellung zu bieten, holt sich die Autorin Rat von berühmten Philosophen wie Kant, Heidegger oder Spinoza. Was würde Aristoteles dazu sagen, wenn man sich fest vorgenommen hat, auf Parties nicht mehr über die Stränge zu schlagen und doch wieder in alte Muster verfällt? Was würde Mill dazu sagen, wenn man ehrlich zu seiner Freundin sein möchte ohne sie zu verletzen?

Selten wurde der Unterschied zwischen aktivem und passivem Nihilismus nach Nietzsche, Levinas altruistische Ethik oder Wittgensteins Auffassung von Kultur so verständlich auf den Punkt gebracht und lebensnah vermittelt. Und selten so unterhaltsam! Mehrmals musste ich laut auflachen, zum Beispiel als ein Kulturclash beim ersten Treffen mit den Schwiegereltern beschrieben wird. Die Texte sprühen nur so vor geistreicher Ironie und Situationskomik. Ich war erstaunt, wie viele philosophische Themen zeitlos sind und sich auf unsere heutige Lebenslage genauso übertragen lassen wie auf den Alltag in der Antike.

Ob verzweifelte Eltern, trauernde Singles oder enttäuschte Start-Up Unternehmer - eine sehr breite Zielgruppe könnte in diesem Büchlein Trost und aufmunternde Worte finden und Lust bekommen, sich mit dem einen oder anderen großen Denker näher zu beschäftigen.

Bewertung vom 01.02.2020
Im Licht der Zeit
Rai, Edgar

Im Licht der Zeit


ausgezeichnet

Der Tonfilm – für uns das Selbstverständlichste der Welt, in den 1920er Jahren eine Erfindung, die als revolutionär gefeiert wurde. In diesem Roman schildert Edgar Rai die Entstehung des ersten großen deutschen Tonfilms "Der Blaue Engel", der mit dem Oscar-Preisträger und Egomanen Emil Jannings und der noch völlig unbekannten Marlene Dietrich verfilmt werden soll. Bis dahin ist es für die Revue-Sängerin, die ihre Laufbahn als Geigenspielerin begann und vergeblich auf einen Durchbruch als Schauspielerin wartete, ein weiter Weg.

Von Anfang an faszinierte mich die Figur der Marlene, die Rai in all ihren Facetten zum Leben erweckt: Einerseits ist sie eine verführerische und vergnügungssüchtige Frau, die sich ohne jede Scheu nimmt, was sie begehrt; andererseits eine unglückliche und schuldbewusste Mutter, die unter der Kühle ihrer Tochter leidet; in jedem Fall aber eine schlagfertige und selbstbewusste Frau, die ihre Stärken zu ihren Gunsten einzusetzen weiß.

Ihre Wandlung von einer unbedeutenden Revuenummer zum Publikumsliebling vollzieht sich inmitten eines quirligen Settings, in dem für jeden Beteiligten, vom Darsteller über den Drehbuchautor und Regisseur bis hin zum Ufa-Boss, alles auf dem Spiel steht und die menschlichen Reibereien und kochenden Emotionen in jeder Zeile zu spüren sind. Der Autor gibt nicht nur jeder Figur genügend Raum zur Entfaltung, sondern zeichnet uns auch ein üppiges Bild der Berliner Künstlerszene, die durch Unterhaltung, Zerstreuung, Leichtfertigkeit und Zügellosigkeit geprägt war. Für Cineasten und Fans der Goldenen Zwanziger ein wahrer Lesegenuss!

Bewertung vom 16.12.2019
So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche
Knausgard, Karl Ove

So viel Sehnsucht auf so kleiner Fläche


ausgezeichnet

Schon in seinem Jahreszeiten-Zyklus beschäftigte sich Knausgård mit dem Thema Kunst und bereicherte seine Romane durch Illustrationen von Anna Bjerger und Aquarelle von Anselm Kiefer. Mit diesen Künstlern gibt es in diesem Buch ein Wiedersehen, doch im Mittelpunkt steht ein anderer Maler: Edvard Munch, dessen Ausstellung er vor zwei Jahren in Oslo kuratierte und die derzeit in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im K20 zu sehen ist.

Der Autor bringt uns in seinem Buch den eigenbrötlerischen Künstler näher, der zahlreiche persönliche Verluste erleiden musste und stellt eine Verbindung zwischen den tragischen Erlebnissen und den stark emotional aufgeladenen Bildern her. Er erläutert die verschiedenen Schaffensperioden, aus denen nur ein Bruchteil, darunter "Der Schrei", bekannt wurde. Gerade den unbekannteren Bildern will sich der Schriftsteller nähern, fährt zu Orten, an denen Munch lebte, und tauscht sich mit Kunstexperten und -kritikern aus. Wenn er das Bild "Asche" von Munch mit "Echo Lake" von Peter Doig vergleicht, stellt er sehr detailliert die Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Am liebsten möchte man beide Bilder vor sich sehen, doch das hätte den Rahmen des Buches gesprengt. Immerhin enthält es 14 Reproduktionen von bedeutenden Werken.

Der Schriftsteller schreibt über die allgemeine Rezeption von Munchs Werken, vor allem aber über seine eigene Beziehung zu dem Künstler und versucht zu ergründen, warum ein Bild wie "Kohlacker" derart starke Gefühle in ihm auslöst. Dies führt ihn wiederum zu der nächsten Frage, was Kunst eigentlich für uns Menschen bedeutet und warum wir sie brauchen. Bei dem Versuch, Munch zu verstehen, zieht er auch Vergleiche mit Künstlern aus Film, Fotografie und Literatur wie Fjodor Dostojewski oder Knut Hamsun.

In dieser sehr vielschichtigen Lektüre lernen wir nicht nur Munch und Knausgård näher kennen, sondern werden auch mit philosophischen Gedanken konfrontiert, zum Beispiel welche Rolle Wissen bei unserer Wahrnehmung und Empfindung spielt oder was die kreative Tätigkeit ausmacht. Interessant ist ebenso zu erfahren, wie Knausgård bei den Vorbereitungen der Munch-Ausstellung vorging und welche Unsicherheiten und Zweifel ihn bei der Auswahl der Gemälde und Druckgrafiken plagten. Ich kann es kaum erwarten, die aktuelle Ausstellung in Düsseldorf zu besuchen und die Sammlung sowohl mit Knausgårds als auch mit eigenen Augen zu sehen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.12.2019
In den Straßen der Welt
Brechtig, Frauke

In den Straßen der Welt


ausgezeichnet

Denkt man an Städte wie London, Berlin oder New York, kommen einem ganz bestimmte Flaniermeilen und Plätze in den Sinn. Insgesamt sechzehn stellt dieser großformatige Band vor. Schlägt man eine Doppelseite auf, taucht man gleich in das Geschehen ein, zum einen weil der Fluchtpunkt der Straßen eine Sogwirkung ausübt, zum anderen, weil die Zeichnungen von Agusti Sousa so farbenfroh und einladend sind.

Trotz der eher skizzenhaften Darstellung wird die Stimmung und Gesamtatmosphäre sehr gut eingefangen. So habe ich die Rambla in Barcelona genauso in Erinnerung wie in der Zeichnung von Sousa. Die typischen Eigenheiten wie der Doppeldeckerbus in London, die Radfahrer und Hausboote in Amsterdam oder die Gondeln in Venedig, die das jeweilige Stadtbild prägen, werden lebendig in Szene gesetzt.

Kurze Texte erläutern, wie die Straße zu ihrem Namen kam, wie sie sich historisch verändert oder welche Bedeutung sie heute hat. Wer wie ich eine Schwäche für gelungene Illustrationen und Wimmelbilder hat, wird sich sicher nicht sattsehen können an den vielen Details. Worüber unterhält sich wohl das Paar, das an einem Brunnen auf dem Platz Rynok im ukrainischen Lwiw steht? Und was für einen Ausflug plant die Familie mit Rucksäcken, die auf die Lombard Street in San Francisco zusteuert? Sowohl Kinder als auch Erwachsene werden Spaß an den Bildern haben. Sie regen die Fantasie an, inspirieren Autor/innen zu neuen Geschichten und wecken die Lust, den nächsten Städtetrip zu planen.

Bewertung vom 04.12.2019
Ein Jahr voller Wunder
Burton-Hill, Clemency

Ein Jahr voller Wunder


ausgezeichnet

Selten hat mich eine Einleitung so angesprochen wie in diesem Buch. Clemency Burton-Hill beschreibt darin die Idee zu ihrem Musikkalender und ihr persönliches Anliegen, klassische Musik jedermann zugänglich zu machen, ganz gleich, wie viel man davon versteht. Sie ist überzeugt, dass Musik Kulturen verbindet und Grenzen überwindet. Der lockere Ton, der Humor und die Leidenschaft, die in ihren Worten mitschwingt, macht die Violinistin, Radio- und Fernsehmoderation sehr sympathisch.

Sie präsentiert 365 Stücke ihrer Wahl aus tausend Jahren Musikgeschichte, ordnet sie zeitlich ein und erläutert ihre Entstehungsgeschichte. Ich begann meine Lektüre im November. Neben bekannten Komponisten, von denen ich als Kind schon mehrere Stücke auf Klavier gespielt habe, wie Edvard Grieg oder Manuel de Falla, lernte ich eine Reihe neuer Musiker kennen. Besonders begeistert haben mich die Entdeckungen "La Nuit et l'Amour" von Augusta Holmès und "For Now I am Winter" von Ólafur Arnalds. Letzterer ist ein sehr vielseitiger isländischer Künstler und produziert Musik für Film- und Fernsehproduktionen sowie Auftragsarbeiten für Konzerthallen. Komponisten wie Heitor Villa-Lobos versuchten, ihr Interesse für europäische klassische Musik mit Klängen und Themen ihrer Heimat, in seinem Fall, Brasilien, zu verbinden. Ich kann immer mehr nachvollziehen, warum die Autorin Labels wie Klassik oder Popmusik als einschränkend empfindet.

Ich lerne nicht nur viele mir bisher unbekannte Musiker kennen, sondern lese auch über tragische Schicksale wie die von Fanny Mendelssohn, die mehr als 450 Stücke schrieb, doch nur einen einzigen öffentlichen Auftritt hatte. Die zeitgeschichtlichen Hintergründe und persönlichen Lebensgeschichten sind so spannend zu lesen, dass es mir schwerfällt, mich täglich auf ein Musikstück zu beschränken. Das liegt zum einen an dem wunderbaren Schreibstil der Autorin, die den Leser augenzwinkernd direkt anspricht, sondern auch daran, dass viele Emotionen im Spiel sind – schließlich geht es um Musik! Wir erfahren nicht nur, welche Gefühle wie Liebeskummer einen Künstler inspirierten, ein Musikstück zu schreiben, sondern auch, welche persönliche Bedeutung das eine oder andere Stück für die Autorin hat und welche Stimmung oder Emotionen es bei ihr auslöst.

Allein die Musikauswahl und Texte im November haben mir das Tor zu einer spannenden, reichen Musikwelt geöffnet, auch wenn mir nicht alle gleichermaßen gefallen. Ich freue mich auf eine spannende Entdeckungsreise im kommenden Jahr.