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Rezensentin aus BW

Bewertungen

Insgesamt 217 Bewertungen
Bewertung vom 02.09.2020
Die Liebenden von der Piazza Oberdan
Klinger, Christian

Die Liebenden von der Piazza Oberdan


ausgezeichnet

Meine Gedanken und Eindrücke zu dem Roman „Die Liebenden von der Piazza Oberdan“ von Christian Klinger.

Tragische Liebesgeschichte, italienische Familiensaga, historischer Roman, der in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts spielt – all das vereint der Roman in sich.

Dem Leser werden die geschichtsträchtigen und folgenschwereren Jahre zwischen dem Ende des Habsburgerreichs und dem Ende des dritten Reichs vor Augen geführt, wobei die Atmosphäre spürbar und sehr authentisch vermittelt wird.

Der Vater Vittorio aus Triest erlebt die Gräuel des ersten Weltkrieges, sein Sohn Pino jene des zweiten.
Die Perspektivenwechsel helfen dabei, diesen beiden Männern näher zu kommen und nachzuvollziehen, was in ihnen vorgeht.

Beide Männer ergreifen angesehene Berufe.
Vittorio wird Rechtsanwalt, Pino wird Architekt.
Beide Mönner finden ihre Liebe.
Der Vater heiratet Elise, der Sohn liebt die junge Lehrerin Laura.
Beide Männer geraten in Gefahr. Der Vater unterstützt politisch Verfolgte im faschistischen Italien, der Sohn hat während des zweiten Weltkrieges Kontakt zu Partisanen.

Der Autor erzählt unaufgeregt, feinfühlig und mit Bedacht, wodurch es ihm gelingt, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen.
Die Charaktere werden lebendig, glaubhaft und differenziert dargestellt.

An die Zeitsprünge muss man sich erst etwas gewöhnen. Die nicht-chronologische Erzählweise ist zunächst etwas befremdlich, aber mit der Zeit wird sie einem vertraut, erscheint sie interessant und gewinnt sogar an Charme. Es ist wie ein Gedankenfluss... ein ungehemmter und frei fließender Strom an Assoziationen. Man springt mit dem Autor hin und her, ist mal hier mal da.

Es ist kein Buch für nebenher. Man sollte sich Zeit nehmen und darauf einlassen.

Es war für mich äußerst interessant und bereichernd, in die Jahre nach dem ersten Weltkrieg in Italien einzutauchen. Der Autor vermittelt gekonnt, wie die faschistischen Strömungen auftauchen und immer stärker werden.
Das Triest in der Habsburgermonarchie, das Triest unter Mussolini, das Triest, das von den Nazis besetzt wird - interessant und erschütternd.

Der Roman hat mich absolut überzeugt und bekommt einen Dauerplatz in meinem Bücherregal!

Bewertung vom 02.09.2020
Caribou
Major, Kevin

Caribou


sehr gut

Mit dem Beginn der Lektüre vollziehen wir eine Zeitreise zurück in den Oktober 1942, landen wir im Atlantik vor Neufundland, befinden wir uns im U-Boot U 69, lesen wir Notizen des Kriegstagebuchs des Ich-Erzählers Ulrich Gräf und erleben wir den Moment, in dem ein Torpedo auf die zivile Fähre Caribou, die zwischen dem kanadischen Festland und Neufundland hin- und herpendelt, abgeschossen wird.

Nach diesem kurzen und knackigen Einstieg geht es zurück in die Zeit vor dem Abschuss.

Im weiteren Verlauf verfolgen wir abwechselnd zwei Handlungsebenen.
Im „U-Boot Strang“ lernen wir Ulrich Gräf, den Kommandanten der U 69, seine Mannschaft und deren Leben in einem U-Boot kennen, im „Caribou-Strang“ begleiten wir Besatzung und Passagiere und beobachten wir das Geschehen an Bord.

Die Spannung des Romans resultiert aus dem verwendeten Präsens, dem ständig sich abwechselnden Perspektiven- und Ebenenwechsel und der Struktur, die darin besteht, dass zweimal zwei Handlungsstränge aufeinander zulaufen, sich kreuzen und in furchtbaren Höhepunkten kulminieren.

Das erste Drittel des Romans würde ich als atemberaubenden Pageturner bezeichnen. Der Rest war etwas ruhiger und zum Teil langatmiger, wobei die Geschichte gegen Ende noch einmal an Fahrt aufnimmt.

Kevin Major vermittelt die Atmosphäre authentisch und beschreibt seine Charaktere differenziert.

Für mich war es äußerst interessant und bereichernd, in eine fremde, nämlich die „nautische“ Welt, einzutauchen, mehr über Neufundland zu erfahren, das Kriegsgeschehen aus einer für mich neuen Perspektive zu betrachten und ein Ereignis zu fokussieren, das mir bisher völlig unbekannt war.

Der Roman unterhielt mich prächtig und erweiterte meinen Wissenshorizont.
Er eröffnete mir nicht nur eine neue Welt und neue Sichtweisen, sondern brachte mich auch immer wieder zum Nachdenken.
In Anbetracht dessen, dass es um ein wahres Ereignis geht, sind die Emotionen, die der an sich eher nüchtern geschriebene Roman auslöst, besonders intensiv.

Bewertung vom 01.09.2020
Meine Inselbuchhandlung / Sehnsuchtsorte Bd.10
Dittrich, Petra;Moritz, Rainer

Meine Inselbuchhandlung / Sehnsuchtsorte Bd.10


sehr gut

Meine Gedanken und Eindrücke zu „Meine Inselbuchhandlung“.

Zwei Perlen: die schöne Insel Rügen und die besondere Inselbuchhandlung von Petra Dittrich.

Beides kennen ich noch nicht.
Beide Ziele visierte ich nun an.

Wie schön ist diese Idee, über das zu schreiben, wofür sein Herz schlägt. Denn das hat die Inhaberin dieses 60qm großen Lieblingsortes für Leseratten gemacht.

Petra Dittrich beschreibt leidenschaftlich und nachvollziehbar, wie es kam, dass sie ihren Traum direkt am kleinen Marktplatz in dem beschaulichen Örtchen Gingst auf Rügen verwirklicht hat und was es bedeutet, seinen Alltag mit Büchern zu verbringen und seinen Lebensunterhalt mit Büchern zu verdienen.
Ich finde es klasse, dass diese Frau die Zuversicht hatte und den Mut aufbrachte, es anzupacken!
Nach vielen Jahren in der Großstadt entgegen allen Risiken und Einwände solch ein Projekt anzugehen und durchzuziehen ist schon bewundernswert.

Sie hat ein Konzept gefunden, das nachvollziehbar Erfolg verspricht: Perlen kleiner Verlage dicht an dicht mit bekannten und ausgezeichneten Werken.
Dazu Lesungen renommierter Autoren.
Klein aber fein!
Die Inselbuchhandlung ist eine inzwischen zweimal mit dem Deutschen Buchhandelspreis ausgezeichnete Buchhandlung, die mehr als Bücher bietet: Wein, Likörchen, Tanz und Gesang und herumschleichende Kätzchen und leckere Düfte sorgen für ein Rundum -Wohlgefühl und machen es heimelig.
Wenn wundert es da noch, dass Einheimische und Touristen gerne einen Abstecher dorthin machen.

„Meine Inselbuchhandlung“ ist unterhaltsam, kurzweilig und interessant. Das Buch macht nicht nur Lust auf Bücher und Lesen, sondern auch darauf, die Koffer zu packen und nach Rügen zu reisen. Darüber hinaus lässt man seine Gedanken durchaus mal wieder in Richtung seiner eigenen Träume schweifen und fragt sich, ob man da nicht vielleicht doch noch was umsetzen und verwirklichen könnte.

Mir persönlich hätte es gefallen noch etwas mehr über den Alltag in der Buchhandlung zu lesen. Über Anekdoten und Ereignisse, die Petra Dittrich erlebt hat, hätte ich gern mehr erfahren.

Ich mochte den ca. 200-seitigen Roman und empfehle ihn gerne weiter.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil mir die Idee gefällt, so ein Buch zusammen mit einem Literaturkritiker, hier Rainer Moritz, zu schreiben, der ja noch einmal mit ganz andern Augen draufschaut und sicherlich interessante Aspekte eingebracht hat.

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Bewertung vom 31.08.2020
Frida Kahlo und die Farben des Lebens / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.11
Bernard, Caroline

Frida Kahlo und die Farben des Lebens / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.11


ausgezeichnet

Meine Gedanken und Eindrücke zu „Frida Kahlo und die Farben des Lebens“ von Caroline Bernard.

Dieser ca. 400 Seiten lange berührende und beeindruckende Schmöker lohnt sich!
Er ist interessant, unterhaltsam und erweitert den Horizont.

Es geht um Frida Kahlo (1907-1954), eine willensstarke und mutige Frau die trotz sämtlicher Widrigkeiten ihren Weg findet und verfolgt.

Wahrscheinlich hat jeder schon einmal Bilder der Mexikanischen Malerin gesehen. Sie bestechen durch ihre Farbenfreude und können v. a. dem Naturalismus und Surrealismus zugeordnet werden.

Kahlos Lebensgeschichte ist auch eine Leidensgeschichte. Es ist tief beeindruckend, dass die Künstlerin trotz überstandener Kinderlähmung, trotz vieler Krankenhausaufenthalte, trotz einschneidender und einschränkender Operationen nach einem dramatischen Unfall in ihrer Jugend, einem verheerenden Busunglück, und trotz tiefer Enttäuschungen und quälender innerer Konflikte ein solch‘ überwältigendes Werk geschaffen hat. Trotz oder gerade wegen?

An der Biographie dieser Frau wird ganz deutlich, dass Kunst im physischen wie im psychischen Sinn lebensrettend sein kann. Hätte sie nicht diese Welt der Phantasie gehabt, in die sie eintauchen und mit der sie Bitteres verarbeiten konnte und in der sie Trost und Beruhigung fand, wäre sie vielleicht in tiefer Depression versunken oder hätte sie sich das Leben genommen. Ihr Leben war eine Gratwanderung, die sich diesen Abgründen immer wieder gefährlich näherte. Letztlich starb Frida Kahlo wohl an einer Lungenembolie; Gerüchte über Suizid sind aufgekommen, aber nicht bewiesen.

Frida Kahlo erwacht vor dem geistigen Auge des Lesers zum Leben. Das schafft die Autorin, die genau und intensiv recherchiert hat, durch die feinfühlige und präzise Darstellung der wechselnden Seelenzustände der Künstlerin.
Wir bekommen einen guten Eindruck von den inneren und äußeren Konflikten, die Frida Kahlo mit sich und ihrer großen Liebe Diego Rivera, ihrem Ehemann und ebenfalls Künstler, ausficht.

Ich empfehle den Roman, in dem neben Frida Kahlo auch der Künstler Diego Rivera beleuchtet wird, gerne weiter. Er liest sich flüssig und man kann ihn ohne weiteres als Pageturner bezeichnen.

Bewertung vom 30.08.2020
Erdbebenwetter
Alexander, Zaia

Erdbebenwetter


gut

Meine Gedanken und Eindrücke zu „Erdbebenwetter“ von Zaia Alexander.

Die 30-jährige Ich-Erzählerin Lou ist ein nahezu neutrales Wesen, das mir bis zum Ende nicht nahe kommt. Sie lebt mit ihrer „Tochter“ Lola und einer zugelaufenen Katze in Los Angeles und studiert Filmwissenschaft.

Lou führt ein recht gewöhnliches und fast eintöniges Leben. Nachdem sie einen alten Freund trifft, der sie in die Welt der Hexer einführt, bekommt ihr Leben einen Kick.
Oder ist es eine Sekte bzw. ein ausgeklügeltes und verrücktes Spiel, das ihrem Alltag Schwung verleiht?

Das Bekannte, Alltägliche und Gewöhnliche erscheint in einer neuen Dimension und Hierarchien, bekannte Rollenmuster und alte Ordnungen geraten durcheinander.

„Erdbebenwetter“ ist ein außergewöhnlicher, überraschender und verblüffender Debütroman!

Er ist trotz Kojoten, Fabelwesen, Hexen und Legenden weder eindeutig Fantasy-Roman noch Dystopie und schon gar nicht kitschig, aber immer wieder begegnet uns Märchenhaftes, Surreales und Skurriles. Etwas liegt in der Luft. Etwas Nebelig-Undurchschaubares, etwas nicht Greifbares.

Die Autorin schreibt rätselhaft-nüchtern, auch mal witzig und tiefgründig. Sie glänzt mit Einfallsreichtum und schlägt wirre Wege ein, deren Ziel unbekannt ist.
Manches wirkt verworren oder wie eine verdrehte Welt. Sie spielt mit Ideen und experimentiert.

Man kann den 320-seitigen Roman meines Erachtens nicht schnell mal nebenbei konsumieren, sondern muss sich Zeit lassen, darauf einlassen und sich konzentrieren.
Die Lektüre erfordert Geduld und die Bereitschaft, Ungewissheit und Verblüffendes auszuhalten.

Wer mal Lust auf was Anderes hat: „Erdbebenwetter“ ist dann genau das Richtige.

Bewertung vom 29.08.2020
Feierabendfood vegetarisch
Bodensteiner, Susanne

Feierabendfood vegetarisch


ausgezeichnet

Meine Eindrücke zum Kochbuch „Feierabendfood vegetarisch: 70 Rezepte zum Runterkommen“.

Diese Rezeptsammlung ist ganz nach meinem Geschmack!

Indische, israelische und mediterrane Einflüsse bereichern die innovativen und gesunden vegetarischen Gerichte, die überwiegend recht schnell zuzubereiten sind und mit einer überschaubaren Liste an Zutaten auskommen.

Die Fotos der originell angerichteten Speisen sind ansprechend und machen Appetit.
Schon beim Durchblättern bekommt man Lust aufs Kochen ... und Genießen.

Zwischendurch finden sich interessante und hilfreiche Tipps und Anregungen zu den Themen Kochen, Entspannung und Verlangsamung.

Die immer wieder eingestreuten Feierabendfotos, z. B. Straßenlaternen vor wolkigem Himmel in der Abenddämmerung oder Joggerin am abendlichen Strand mit Seemöwen und Inseln im Hintergrund, passen zum Titel und haben eine meditative Wirkung.

Einige Top-Rezepte habe ich schon gefunden:
„Kürbis vom Blech mit Tahinisauce“ ist z. B. eine starke und leckere Kombi aus Knackigem, Erfrischendem, Fruchtigem und Peppigem.

Ein weiteres Highlight ist Shakshuka, eine Spezialität aus der nordafrikanischen und israelischen Küche.

Meine Familie war auch ziemlich begeistert von den Ricotta-Spinat-Gnocchis, von der Kichererbsensuppe mit Harissa-Öl, vom Linsen-Dal mit Süsskartoffel und Kokosmilch und von den Kartoffel-Wedges mit Gewürzjoghurt.

Ich habe noch nicht alle Rezepte ausprobiert, aber der Eindruck, den ich bis jetzt habe, ist äußerst gut.

Ich freue mich schon aufs Zubereiten der anderen Gerichte (es sind kaum welche dabei, die mich nicht reizen) und kann die Rezeptsammlung überzeugt weiterempfehlen.

Bewertung vom 29.08.2020
Rose Royal
Mathieu, Nicolas

Rose Royal


ausgezeichnet

Meine Gedanken und Eindrücke zu „Rose Royal“ von Nicolas Mathieu.

Der Autor schafft es auf nicht einmal 100 Seiten, dem Leser komprimiert, verdichtet und fesselnd das Leben der geschiedenen 50-jährigen Rose Royal zu erzählen.
Eine meiner ersten Assoziationen war: „Königliche Rose“, was für ein Name für eine Frau, die beschließt, einen Revolver in ihrer Handtasche zu deponieren.
Oder rührt der Name „Royal“ einfach nur von der Bar her, die Rose oft besucht?
...schon ist die Neugier doppelt geweckt: warum dieser Revolver? Warum dieser Name?

Die attraktive Rose arbeitet als Sekretärin in Nancy und geht abends regelmäßig in ihre Stammkneipe „Royal“, in der die Geschichte beginnt.
In der Bar, die heimelige Gefühle in ihr auslöst, trifft sie meist ihre Freundin.
Rose wirkt gleichermaßen taff und resolut, wie desillusioniert und abgeklärt.
Sie hat aufgrund ihrer Erfahrungen genug von Männern, bzw. genauer gesagt von gewalttätigen Männern.
Das Leben hat sie vorsichtig und wehrhaft gemacht und deshalb ist ein Revolver zu ihrem ständige Begleiter geworden.

Es ist beeindruckend, wie Nicolas Mathieu mit wenigen Pinselstrichen ein präzises, buntes und lebendiges Bild erschafft, in dem der Betrachter einen Charakter, ein Leben und ein Milieu in all seiner Tiefgründigkeit und Vielschichtigkeit erkennen und erfassen kann.
Obwohl man Vieles nicht erfährt und trotz der Lücken und unbeantworteten Fragen, bekommt man das Gefühl, Rose und ihr Innenleben gut zu kennen.

Immer wieder lassen sich sprachliche Perlen entdecken. Wenn man z. B. den Satz „Der Suff überzog alles mit einem Schleier ewiger Gegenwart“ liest, dann erscheint vor dem geistigen Auge zwangsläufig ein Szenario, das einem das Gefühl gibt, selbst im „Royal“ zu sitzen.

Genau diese Szene stellt einen Wendepunkt im Leben von Rose dar:
Ein Knall draußen auf der Straße.
Ein Mann, der mit einem halbtoten Hund in die Bar tritt.
Rose, die dem Hund den Gnadenschuss gibt.
Der Mann, Luc, der Rose wiedersehen möchte.
Rose, die sich allen Vorsätzen zum Trotz wieder auf einen Mann, Luc, einlässt.

Es geht aufwärts, es geht abwärts... und der Revolver ist immer präsent.

Mehr darf und soll über den Inhalt nicht verraten werden, weil das das Lesevergnügen mindern würde.

Mit „Rose Royal“ erzählt Nicolas Mathieu unaufgeregt und knapp eine scheinbar unscheinbare und (fast) alltägliche Geschichte.
Ich finde es faszinierend: kein Wort zu viel, keines zu wenig. Chapeau!

Etwas Kleines kommt groß daher - so ist mein Empfinden nach der Lektüre dieses Romans, oder sollte man besser von Erzählung sprechen?

Einerlei! Ob Roman oder Erzählung, ich fühlte mich sehr gut unterhalten und empfehle das Buch sehr gerne weiter!

Bewertung vom 28.08.2020
Das Mädchen aus dem Lager - Der lange Weg der Cecilia Klein
Morris, Heather

Das Mädchen aus dem Lager - Der lange Weg der Cecilia Klein


ausgezeichnet

Lale Sokolov erzählte der Autorin Heather Morris diese auf wahren Begebenheiten beruhende und erschütternde Geschichte der mutigen und willensstarken Cecilia Klein, genannt Cilka.

Erst nach der Lektüre erfuhr ich, dass Cilka bereits in einem anderen Roman der Autorin, in „Der Tätowierer von Ausschwitz“ Erwähnung fand.
Ich habe dieses Buch nicht gelesen, hatte jedoch keine Probleme, in „Das Mädchen aus dem Lager“ einzusteigen“.

Cilka, die 1942 16-jährig mit Vater, Mutter und Schwester ins Lager Ausschwitz deponiert wurde, wo sie Lale Sokolov kennenlernte, profitierte von ihrer Schönheit.
Ein hochrangiger und einflussreicher SS-Offizier verschaffte ihr Vorteile und verbesserte Haftbedingungen.
Der Preis: Schändung. Missbrauch. Demütigung. Erniedrigung.

Cilka konnte sich auf diese Weise retten.

Die das Lager befreienden Russen interpretierten es auf ihre Weise: Kollaboration mit dem Feind.
Die Strafe: 15 Jahre Zwangsarbeit in einem Gulag in Sibirien.

Für Cilka beginnt der zweite Überlebenskampf unter unfassbar unmenschlichen Bedingungen...

Wir erfahren wechselweise von Cilkas Kindheit in der Tschechoslowakei, ihrer Zeit in Ausschwitz und den Jahren in Sibirien.

Die Zeit im Gulag (als Beispiel) wird so anschaulich beschrieben, dass einem manchmal der Atem stockt und man meint, das harte Lagerleben, Cilka bei der Arbeit im Bergwerk oder später bei der Pflege von Kranken beobachten und die unermessliche Kälte spüren und zu können.

Der Leser bekommt Einblicke in Cilkas Gedanken- und Gefühlswelt und erfährt neben all dem Furchtbaren auch von schönen Momenten in Cilkas Kindheit, von Freundschaften, Solidarität und Unterstützung in den Jahren des Grauens.

Die Autorin schreibt einfühlsam, eindrücklich und eindringlich.
Sie schafft es scheinbar mühelos, Bilder und Szenen vor dem geistigen Auge des Lesers entstehen zu lassen.

Schreckliche Ereignisse können meist nur ausgehalten werden, wenn man einen Weg findet, sich aus der Szene „wegzubeamen“. Genau diesen Vorgang der Distanzierung, der Cilkas psychisches Überleben gesichert hat, imitiert und veranschaulicht die Autorin, wenn sie von unfassbarsen Gräueltaten auf nüchterne und sachlich-spartanische Weise berichtet.

Ich empfehle diesen fesselnden und aufwühlenden Roman, der sich flüssig lesen lässt, geschichtlich interessierten Lesern gerne weiter, obwohl es schwere Kost ist, die erstmal vertraut werden muss.

Es lohnt sich übrigens sehr, das ausführliche und aufschlussreiche Nachwort der Autorin zu lesen.

Bewertung vom 27.08.2020
Enteignung
Kaiser-Mühlecker, Reinhard

Enteignung


sehr gut

Meine Gedanken und Eindrücke zu „Enteignung“ von Reinhard Kaiser-Mühlecker.

Jan, ein ca. 40-jähriger Journalist kehrt in seine Heimat zurück, nachdem er einige Zeit in Los Angeles verbracht hat. Seine Zukunft bei der Lokalzeitung ist ungewiss, beziehungstechnisch steht es nicht zum Besten und ohne Facebook läuft nichts. Kommunikation ist nicht sein Ding und entscheidungsfreudig ist er auch nicht.

Der Autor schreibt leicht und wuchtig, unprätentiös, unaufdringlich und schlicht über brisante Themen wie wirtschaftliche Probleme, Entlassungen, Arbeitsüberlastung und drohende Enteignung der Landwirte, Burnout, aber auch über Sinnsuche und komplizierte Beziehungskonstellationen.

Kaiser-Mühlecker ist ein scharfsichtiger und aufmerksamer Beobachter der Aussenwelt, der es versteht, seine Beobachtungen kurzweilig, interessant und pointiert an den Leser zu bringen und der nicht wertet, sondern beschreibt.

Bei allem Lobenswerten fehlte mir jedoch ein genauerer Einblick in die Innenwelten der Charaktere, die mir deshalb nicht wirklich nahe kamen.

Bewertung vom 27.08.2020
Zugvögel
McConaghy, Charlotte

Zugvögel


sehr gut

Meine Gedanken und Eindrücke zu „Zugvögel“ von Charlotte McConaghy.

Eine ungewöhnliche Reise: auf den Spuren der letzten Küstenseeschwalben.
Ein ungewöhnliches Reiseziel: die Antarktis.
Eine nicht ganz seltene Motivation für die Reise: sein „Ich“ suchen, um Erlösung zu finden.

Der Leser begleitet Franny, die verloren wirkt, also auf zwei Reisen:
Auf der Reise in die Antarktis und auf der Reise zu sich selbst.

Franny, eine eher menschenscheue, ruhelose und vorsichtige Frau, die schon Einiges erlebt und mitgemacht hat und deshalb eine tiefe Traurigkeit in sich trägt, hat mehr Bezug zu Vögeln und Wasser als zu ihren Mitmenschen.

Vom Wilden, Natürlichen und Freien fühlt sie sich angezogen.
Die Wanderlust der Vögel und die Unberechenbarkeit des Meeres üben einen Reiz auf sie, die selbst rastlos ist und ihre unberechenbaren und launischen Seiten hat, aus.

Umso verwunderlicher und schöner ist es, dass sie von der Liebe gefunden wird und sich darauf einlassen kann.

Im Verlauf der immer spannender werdenden Lektüre lernt man Franny und ihre Gefühlswelt nach und nach besser kennen. Aber nicht nur Franny, sondern auch die Crew des Fischerbootes, mit der sich die junge Frau auf den Weg macht, wird dem Leser vertrauter.

Die Autorin ist eine scharfsichtige Beobachterin. Sie erzählt feinfühlig, kraftvoll und poetisch und sie vermittelt eine authentische Atmosphäre.
Sie hat mit ihrem 400-seitigen Debutroman eine fesselnde und bewegende Dystopie erschaffen, die einerseits die Themen Klimawandel und Artensterben behandelt, aber andererseits eine tiefgründige individuelle Ebene beinhaltet und die düstere Lebensgeschichte der Protagonistin erzählt.

Dieser kurzweilige Roman, der die Pole Wildheit, Kraft, Gewalt, Freiheit und Liebe, Zartheit, Zerbrechlichkeit und Anmut verhandelt, gehört zu meinen Favoriten.