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miss.mesmerized
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Deutschland
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Bewertungen

Insgesamt 1245 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2021
Russische Botschaften
Musharbash, Yassin

Russische Botschaften


sehr gut

Gerade ist die Journalistin Merle Schwalb beim „Globus“ befördert worden, ihre Recherchen haben sie zu den top Investigativjournalisten der Republik gemacht. Zufällig wird sie Zeugin eines Unfalls, wie sie vermutet, ein Mann stürzt vom Balkon und ist sofort tot. Doch der Polizeibericht spricht eine andere Sprache, was ihre Neugier weckt. Das Opfer war offenbar russischer Staatsbürger und hat geheime Informationen an deutsche Sicherheitsdienste weitergegeben. Mit einem Kollegen der Norddeutschen Zeitung, der scheinbar an derselben Geschichte nur von einem anderen Ende her arbeitet, schließt sich Merle zusammen, denn offenkundig haben sie brisantes Material in Händen: eine kryptische Liste mit Namen von Menschen, die, so scheint es, aus Russland gezielt Geld für Desinformation bekommen haben. Darunter auch die Chefs der beiden Zeitungen. Es kann Merles größte Story werden – oder ihr Untergang.

Yassin Musharbash ist Journalist der Wochenzeitung „Die Zeit“, kennt also die Arbeit seiner Protagonistin aus eigener Erfahrung. Auch das Thema Fake News und gezielte Beeinflussung der Öffentlichkeit durch Steuerung der Nachrichten beschäftigt nicht erst seit Donald Trumps erstem Wahlkampf die Medien, die oftmals Täter und Opfer zugleich sind und daher auch immer wieder der Kritik ausgesetzt sind. Die Zusammenarbeit mit John Le Carré, für den der Autor als Rechercheur arbeitete, hat sicherlich auch seine Spuren in dem Politthriller hinterlassen.

Was dem Roman hervorragend gelingt, ist die journalistische Arbeit darzustellen. Wie akribisch und aufwändig Nachforschungen sein können, die manchmal dann doch im Sand verlaufen, Quellen, die mal mehr mal weniger glaubwürdig sind, Zufälle, die zu nützliche Informationen führen und auch immer der Druck durch die Konkurrenz, die eigenen Vorgesetzten und unter Umständen auch eine reale Gefahr, je nachdem, mit wem man sich gerade beschäftigt.

Man hat keine Zweifel daran, dass ein Fall wie in dem Thriller erzählt, sich so zutragen könnte. Die Verstrickungen von Politik, Wirtschaft, Medien, dazu Geheimdienste und Individualinteressen sind kaum mehr zu überblicken. das meiste finde im Verborgenen statt, nur selten erfährt die Öffentlichkeit durch aufsehenerregende Ereignisse wie der Vergiftung Skripals oder dem Tiergartenmord von diesen Vorgängen. Die Entwicklung der Geschichte, das langsame Zuspitzen und sich annähern an die Urheber der ominösen Liste folgt einem überzeugenden Spannungsbogen, auch die „Seiteneinschläge“, die die Arbeit der Journalisten behindern, sind dramaturgisch passend platziert.

Was mir etwas fehlte, war der Zugang zur Protagonistin, eigentlich ist eine junge und ehrgeizige Frau gut dafür geeignet, die Sympathien der Leser zu gewinnen, Merle blieb mir aber fremd. Dies lag womöglich daran, dass der Autor sie immer wieder mit Vor- und Nachnamen adressierte, was eine Distanz schafft. Sicherlich muss ei eine gewisse Abgebrühtheit und Nervenstärke mitbringen, um in ihrem Job zu bestehen, leider erscheint sie aber dadurch etwas emotionskalt und abgeklärt, dass ihre Recherchen mit echten Menschen zu tun hat und diese Dinge auch Auswirkungen auf diese haben – immerhin gibt es einen Toten! – lässt sie unverhältnismäßig kalt. Das jedoch der einzige Schwachpunkt für mich.

Bewertung vom 17.08.2021
Heimatsterben
Höflich, Sarah

Heimatsterben


ausgezeichnet

Der nahende Tod ihrer geliebten Großmutter bringt Hanna aus den USA zurück nach Deutschland. Eigentlich sollte es nur ein kurzer Besuch werden, doch die Journalistin beobachtet fasziniert, was sich in ihrer Heimat tut. Konservative Kräfte haben immer mehr Zulauf, geradezu völkisch mutet das an, was die neue Partei BürgerUnion in ihrem Programm stehen hat. Ganz weit vorne in der Bewegung ist Felix von Altdorff, Spross einer alten Adelsfamilie, Ehemann von Hannas Schwester Trixie und aussichtsreichster Kandidat auf die Kanzlerschaft. Als er Hanna überraschend um Unterstützung bittet, ist die Journalistin zunächst geneigt, dies abzulehnen, aber die Chance, ein Gegengewicht zu bilden und das Abdriften an den rechten Rand verhindern und am Rädchen der großen Politik mitdrehen zu können, überzeugen sie dann. So erlebt sie unmittelbar, wie sich die Regierung 80 Jahre nach der schlimmsten Katastrophe wieder in selbige bewegt.

„Pass bloß auf. Das da drüben ist nicht mehr Deutschland, Hanna.“ Ihre Stimme klang heiser. „Das ist das Vierte Reich!“

Sarah Höflichs Roman greift aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen auf und treibt diese gar nicht mal so unheimlich viel weiter. Eine vorgeblich bürgerliche Partei, jedoch mit radikalem rechten Flügel, der alte Parolen nur etwas moderner verpackt, kann weite Teile der enttäuschten Bevölkerung erreichen. All die Abgehängten und Enttäuschten, die einen Sündenbock für das suchen, was in ihrem Leben nicht glückt, werden bedient und finden sich wieder. Unheilvoll rast die einstmalige Musterrepublik auf den Abgrund zu.

Dramaturgisch raffiniert aufgebaut beginnt der Roman mit Flucht und endet mit dieser. Der alte Spruch, dass Geschichte sich wiederholt, wird in „Heimatsterben“ überzeugend umgesetzt. Nicht nur zeigt er, dass ein gewisses Gedankengut schlichtweg nicht totzukriegen ist, sondern auch, dass gemäßigte Kräfte, die mit besten Ansinnen an ihre Aufgaben gehen, letztlich auch zum Opfer der Geister werden können, die sie selbst gerufen und gestärkt haben. Es ist nicht der plötzliche große Umsturz, sondern der schrittweise Marsch in eine Richtung, die die gemäßigten, weltoffenen Bürger ihr Land nicht mehr erkennen lässt. Man hat es kommen sehen, nur: niemand hat etwas dagegen getan.

Wenn Literatur relevant sein möchte, muss sie auf das reagieren, was sich in der Welt tut. Genau das gelingt der Autorin, sie zeichnet ein erschreckendes Szenario, das nicht schwarz/weiß ist, sondern auch die feinen Schattierungen aufweist, die das Leben so komplex und undurchschaubar machen. Ihre Figuren wirken dabei authentisch, was die Handlung ausgesprochen real wirken lässt. Das, was sie in ihrem Roman schildert, könnte genau so Realität werden. Ein charismatischer Anführer für ein enttäuschtes und frustriertes Volk – viel mehr benötigt es manchmal nicht, um den Stein ins Rollen bringen, der sich nicht mehr aufhalten lässt.

Bewertung vom 15.08.2021
The Wedding Party
Cohen, Tammy

The Wedding Party


ausgezeichnet

All her life Lucy has dreamt of the perfect wedding. It took her 18 months to plan everything to detail so that her nuptials to Jason would be the most spectacular moment. The wedding party arrives on the beautiful Greek island of Kefalonia already a couple of days prior to enjoy themselves and to prepare for the big day. Yet, from the start, things do not run as smoothly as expected. Lucy’s sister Jess appears with a stranger in tow, her parents behave strangely and her wedding planner Nina is asking repeatedly for the pay of the last bill which Lucy simply couldn’t settle as she has been overspending and is totally broke. It is only her best friend Shelly who supports her unconditionally. But this is only the beginning, with the strange woman Vivian, a doomy omen seems to have arrived at their luxurious hotel threatening not only to destroy the best day of her life but her whole family.

I have been a huge fan of Tammy Cohen for years and thus was looking forward to reading her latest novel. Again, she did not disappoint me but created a gripping plot which had me struggle to put the book down once I had started. Brilliantly crafted, suspense is high from the beginning as you know that something absolutely terrible is going to happen, yet, the big question is: what?

Lucy just wants her wedding to be perfect, not necessarily for herself, but much more for her Instagram followers and colleagues. She seems to be doing everything right except for spending money she does not have and not telling her husband-to-be about it. Her sister, on the contrary, is more on the rebel side of life not caring too much about outer appearances and following her own ideals. That she might spoil her sister’s wedding by bringing a total stranger does not really occur to her, it is just her way of having a bit of fun. Their parents, too, seem to have fallen apart, even though the girls do not have a clue why this might be. Just for the sake of the wedding, they all try at least to play their assigned role for a couple of days longer.

Even though it could be a carefree week under the sun, smaller and bigger secrets surface one after the other leading to an increasingly dense atmosphere among the party and opening up all doors for speculation about what might happen. From the police interviews interjected, you can only guess so much, but this is this theorising that makes reading the novel great fun.

Wonderfully depicted characters who all have their flaws and shortcomings mixed with a lot of drama and suspense – a perfect summer read.

Bewertung vom 14.08.2021
Gewittertiere
Kutschke, Svealena

Gewittertiere


ausgezeichnet

Cornelia, genannt Colin, und ihr Bruder Hannes waren ihr Leben lang Außenseiter. In der Schule sind sie gemobbt worden und waren regelmäßig den Gewaltexzessen ihrer Mitschüler ausgesetzt. Nur die Tatsache, dass sie sich gegenseitig hatten, hat ihnen Halt gegeben. Ihren Eltern konnten die davon nichts erzählen. Beide verwiesen immer nur auf ihre eigene schwere Kindheit; der Vater, dessen Familie nach dem Krieg nichts für ihn hatte außer Geschimpfe und die Mutter, die bei einer nicht-sorgenden Alkoholikerin aufgewachsen ist, die sie bis ins Erwachsenenalter hinein schikaniert und ihr ein schlechtes Gewissen macht. Anfang der 90er Jahre versinkt der Vater dann vollends in einer Parallelwelt, in der er sich bedroht fühlt, von den Flüchtlingen, der Regierung, die sich nicht kümmert, und den Druck spürt, für seine Familie Verantwortung zu übernehmen. Also beginnt er, im Garten einen Schutzbunker zu bauen.

Svealena Kutschkes Roman „Gewittertiere“ lässt sich inhaltlich nicht auf einen einzigen Punkt reduzieren, viele verschiedene Themen greift sie auf, während die beiden Protagonisten beim Erwachsenwerden und –sein begleitet werden: Mobbing und Ausgrenzung; dysfunktionale Familien, in denen Eltern ihre eigenen negativen Erfahrungen ungefiltert an die Kinder weitergeben; das Leben als lesbische Frau oder mit Migrationshintergrund in einer zunehmend homophoben Welt; große Träume, die an der Realität scheitern und schlichtweg die Suche nach dem Platz in der Welt. Colin und Hannes sind keine außergewöhnlichen Menschen, die sind eigentlich authentische Durchschnittskinder und –jugendliche in einer Gesellschaft, die jedoch schon minimales Abweichen von der Norm als Bedrohung empfindet und bekämpft.

Die Eltern taugen als Vorbilder nicht. Zwar bewundert Colin ihre Mutter Nora für deren Attraktivität und die Tatsache, dass diese stets hübsch zurechtgemacht ist, sie sieht aber auch, dass es den Alkohol, zunehmend mehr, benötigt, damit diese den Alltag erträgt. Weder ihrer Mutter hat sie sich widersetzt, noch tut sie das bei ihrem Ehemann. Nora fügt sich und leidet leise in einem Leben, dass sie sich nicht gewünscht hat. Der Vater steigert sich völlig in seine Prepper-Phantasie, der Bau des Bunkers gibt ihm jedoch Beschäftigung und ein Ziel, auch wenn er immer wieder zurückgeworfen wird.

Hannes und Colin haben nie wirkliche Freunde, zu hässlich die selbstgestrickten und ältlichen Klamotten, die unförmigen Haarschnitte und Körper. Über ihr Leid schweigen sie, den Schmerz ertragen sie schweigend und nehmen die Demütigungen mit ins Erwachsenenalter. Colin ist eigentlich eine gute Schülerin und schafft erfolgreich das Studium, fühlt sich jedoch als Verkäuferin in ihrem Späti wohler als vor einer Klasse als Lehrerin. Weder im Beruf findet sie den Platz, der angemessen wäre, noch ist sie in Beziehungen fähig, sie selbst zu sein. Es bleibt immer die Angst, nicht zu genügen, etwas falsch zu machen. Hannes muss den Traum vom Zugführer früh begraben und wird schließlich Gerichtsvollzieher. Endlich hat er ein bisschen Macht, kann andere demütigen und das heimzahlen, was er selbst erleiden musste. In seiner schäbigen Hinterhauswohnung ohne Partnerin und Freunde, findet er jedoch auch kein Glück.

Es ist die Geschichte einer Familie, die es eigentlich gut hätte haben können. Keiner von ihnen hat den Krieg erlebt, mit dem Mauerfall war auch die diffuse Bedrohung des Kalten Krieges beendet und so führen sie ihren innerfamiliären Krieg, einen psychologischen, der jedoch vielleicht noch viel schlimmere Wunden hinterlässt. Nach außen wird der Schein gewahrt, es erfolgt die Abgrenzung als Schutz vor der Bedrohung, dabei liegt die größte Gefahr hinter den eigenen Mauern. Eine schonungslose Geschichte aus Deutschland, die sich so überall zutragen konnte, aber immer im Schutz des vermeintlich trauten Heims, das so gar keine Geborgenheit lieferte.

Bewertung vom 14.08.2021
Something New Under the Sun (eBook, ePUB)
Kleeman, Alexandra

Something New Under the Sun (eBook, ePUB)


gut

Patrick Hamlin leaves the east coast when his novel is turned into a film. This promises to be his big breakthrough, especially since Cassidy Carter is going to play the lead role. The young film and internet star is sure to attract a great audience. But from the start, Patrick has the sensation that strange things are going on. First, the bunch of youngsters who should care for him but do not seem to have a clue about the job and also Brenda and Jay who hardly show an interest in the film they are about to produce. That life on the west coast differs from his eastern home does not surprise Patrick, yet the extent is astonishing since people heavily rely on a product called WAT-R instead of the ordinary water he knows. At the beginning, he is just annoyed by all the things which seem to go wrong and Cassidy’s diva attitude, however, after a couple of days, the hints that there is something really going on behind the scenes are hard to ignore anymore and thus, Patrick starts to investigate.

Alexandra Kleeman‘s novel is the perfect read of the moment. Many people around the globe are unsure about what to believe and convinced that there is some kind of deep going conspiracy the ordinary people cannot see and therefore are just figures in a game without realising it. The ecological crisis with water shortage and raging wildfires in California is another aspect she cleverly incorporates into the plot.

The reader, together with Patrick, tries to make sense of the things he experiences in California while his wife and daughter at home seems to have fallen prey to a strange cult which goes into the complete opposite rejecting all modern technology and focussing on basic needs and a reduced life on a farm outside town. While worrying about his family, Patrick cannot see clear and lacks support in his mixed feelings about the incidents on the film set.

Cassidy is first presented in a way you would expect a young superstar to behave. However, her personality turns out to differ heavily from the public egocentric diva image thus revealing one of the few critically thinking and actually caring people.

Even though the idea behind the plot is great and alluring, it was hard for me to really indulge in the novel. Yet, I liked Kleeman’s style of writing and will surely look out to read more of her.

Bewertung vom 08.08.2021
Was fehlt dir (eBook, ePUB)
Nunez, Sigrid

Was fehlt dir (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die namenlose Erzählerin besucht eine Freundin, die mit Krebs im Endstadium im Krankenhaus liegt. Sie wohnt derweil bei einer pensionierten Bibliothekarin und deren Katze, die jedoch sehr zurückgezogen lebt und kaum mit ihrem Gast interagiert. Zwischen den Besuchen im Spital verliert sie sich in Gedanken über ihr Leben: ihren ehemaligen Partner, eine Frau aus dem Fitnessstudio – alles kann Ausgangspunkt für tiefe Reflexion werden. Die Begegnungen spiegeln eine große Bandbreite an unterschiedlichen Personen wider und zeigen so die Übel unserer Zeit: wie Frauen in der Öffentlichkeit behandelt und bewertet werden, wie wir mit Alten umgehen, und vor allem: wie wir mit dem Thema Tod und Sterben umgehen und was von uns bleibt, wenn wir einmal nicht mehr sind.

Ebenso wie in ihrem vorherigen Roman „Der Freund“ ist es ein kleines Ereignis – dort der verlassene Hund, hier der Krankenhausbesuch – der eine interessante Reise in die Tiefe der menschlichen Natur initiiert. Die Erzählerin analysiert und hinterfragt ihre Erfahrungen und Erlebnisse, die jedoch gar nicht so persönlich sind, sondern letztlich jeden betreffen. Insbesondere mitzuerleben, wie ein enger Freund stirbt, kann die wichtigen Fragen im Leben aufwerfen.

Das zentrale Moment ist das Leiden und die Frage, wie viel ein Mensch ertragen kann. Wie kann man in einer Welt leben, die keine Zukunft mehr hat, oder keine erstrebenswerte. Der Plot ist geradezu minimal, manchmal fast anekdotisch, in der Gesamtschau entsteht ein komplexes Bild der Persönlichkeit der Erzählerin. Sie ist traurig und desillusioniert, aber nicht verbittert. Sie kann Bindungen eingehen und Mitgefühl empfinden, auch wenn sie weiß, dass all dies endlich ist. Daher wird aber jeder Moment bedeutsam und sollte mit entsprechender Sorgfalt behandelt werden.

Immer wieder auch erleben wir Einschübe, in denen wir von den Lesegewohnheiten der Erzählerin erfahren, womit die Autorin einmal mehr die Genregrenzen durchbricht und den Leser zum Nachdenken anregt. Insbesondere die Frage danach, inwieweit überhaupt etwas durch Sprache transferiert werden kann und wer das Recht hat, dies zu tun, gerade wenn es um Dinge von allgemeinem Interesse geht, lockt zum Versinken nicht nur in einen inneren, sondern ganz sicher auch zum äußeren Dialog.

Bewertung vom 08.08.2021
Liebe Rock
Zürcher, Tom

Liebe Rock


gut

Timm hat gerade die Schule abgebrochen, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Eigentlich ist er nicht besonders gut darin, aber jeder gute Schriftsteller hat auch immer viel Alkohol getrunken und das kann er. Für seinen neuen Lebensschritt muss er natürlich auch ausziehen und so landet er bei der Kellnerin Rock, ihrem Mitbewohner Marc und dem namenlosen Hund in der Rumpelkammer. Lose Sätze sammelt Timm in seinem Wachsheft, doch mehr noch ist er damit beschäftigt, die Aufmerksamkeit von Rock zu erlangen, in die er sich gnadenlos verliebt hat, was jedoch nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Dank seines Vaters eröffnet sich plötzlich die Chance auf eine Veröffentlichung, dumm nur, dass er gar keinen Roman hat, den man veröffentlichen könnte. Sein Verleger, ein ehemaliger Kollege seines Vaters aus der Versicherungsbranche, empfiehlt ihm daher eine zweifelhafte Methode und schnell schon ist das Meisterwerk fertig – und ebenso noch mehr Probleme als die, in die sich Timm bereits geritten hat.

Tom Zürcher konnte mich mit seiner kafkaesken Bankensatire „Mobbing Dick“ herrlich unterhalten, weshalb meine Erwartungen an seinen neuen Roman groß waren. Leider bleibt „Liebe Rock“ weit hinter diesen zurück. Zwar finden sich wieder herrlich komische Szenen, aber dieses Mal kann vor allem der Protagonist mich nicht überzeugen. Zwar kann die Anlage als rücksichtslos-egoistisches, sich gnadenlos selbstüberschätzendes Machomännchen durchaus seinen Reiz haben, hier jedoch finde ich es eher primitiv abstoßend und nicht faszinierend.

Timm laviert sich durchs Leben. Mit Gelegenheitsjobs im Supermarkt hält er sich über Wasser, während er allen erzählt, dass er Schriftsteller sei. Das Eigentum anderer Leute – Handy, Fahrrad, sogar der Dissertation des Mitbewohners – betrachtet er entspannt als seins und er hat nicht einmal ein schlechtes Gewissen, wenn er etwas verliert oder zerstört. Er lügt sich erfolgreich so durch. Respekt kennt er nicht, auch nicht gegenüber Tieren, die Misshandlung der Katze ging dann doch über meine Schmerzgrenze hinaus. Wenn er nicht bekommt, was er will, wird er patzig und bockig wie ein Dreijähriger, so etwas wie Empathie ist ihm völlig fremd. Er lebt in seiner eigenen Welt, nur der Hund scheint ihn zu verstehen – dass dies kein gutes Ende nehmen kann, ist jedoch vom ersten Satz an bekannt.

Man fragt sich immer, was der Autor mit seiner Geschichte zum Ausdruck bringen möchte. Die Absurdität des Literaturbetriebs, wo Timms Roman unerwartet ein Erfolg wird, obwohl es schlichtweg Bockmist ist, den er da zusammengestückelt hat? Oder das Gefangensein eines Menschen mit offenkundiger narzisstischer Persönlichkeitsstörung, die als Krankheit von seiner Umgebung nicht erkannt wird? So richtig Sympathien kann man nicht für ihm empfinden, aber auch gegenteilige Emotionen, die einem durch die Handlung tragen könnten, stellen sich nicht ein, weil man noch am ehesten Verachtung und Mitleid empfindet, was es nicht leicht macht, den Roman zu schätzen, trotz der passend lockeren Sprache und humorvollen Szenen.

Bewertung vom 07.08.2021
You Again?
Spalding, Nick

You Again?


ausgezeichnet

It was an offer they could not let go by: one week on the Maldives for an unbeatable price, the perfect island for a couple. Joel has been there before, for the honeymoon with his ex-wife Amy, but now he is with Cara and wants to relive the happy time on the sandy beach. Yet, when they arrive at the airport, he spots Amy with her new boyfriend Ray. This can only be a coincidence. But it isn’t. Amy, too, has seen the offer and wanted to go there again. Thus, the two of them find each other on the same plane heading to the same destination after two years of hateful ignorance. Trapped on a small island, they cannot get out of each other’s way and therefore, quite some complicated days lie ahead of the former couple.

Nick Spalding’s novel fulfilled all my expectations of a hilariously funny summer read: a great surrounding with beautiful nature, characters who easy fall prey to their own shortcomings and over and over again find themselves victim of their own doings - but in a comical and not too hurtful way.

Even though it is clear from the start what is going to happen, I enjoyed following the alternating accounts of Joel and Amy offering their respective views which are filled with unattended to emotions. Underneath the hatred, you sense that there is still something that binds them and that makes them matter to each other. If it wasn’t, they could easily ignore the ex-partner. Both of them are totally predictable and too much caught in their maelstrom of negative emotions to stand above what happened in the past. Yet, just the fact that they know each other so well allows them to play really foul tricks.

It is totally hilarious to see how they get worked up in trying to outplay each other. A light and entertaining read, perfect for the summer holiday on the beach.

Bewertung vom 04.08.2021
Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen
Adomeit, Janine

Vom Versuch, einen silbernen Aal zu fangen


ausgezeichnet

Das kleine Städtchen Villrath florierte wunderbar, dank seiner Heilquelle lockte es Besucher von nah und fern an. Doch dann kam vor 17 Jahren nachts ein Erdbeben und die Quelle versiegte. Mit ihr auch der Geldfluss und zunehmend ging es bergab. Bauarbeiten an der nahegelegenen Bahntrasse befördern jetzt unerwartet einen neuen Zugang zu dem heilenden Wasser hervor. Bei den Bewohnern weckt dies hohe Erwartungen: der Bürgermeister will wieder Glanz in seiner Stadt sehen; Vera will die heruntergekommene Kneipe gegen einen Friseursalon eintauschen und den feinen Damen die Haare legen; der alte Kamps wünscht sich einfach nur Ordnung und Sauberkeit zurück und dass jemand etwas gegen die Diebesbanden tut, die sich des nächstens herumtreiben. Johannes ist zu jung, um sich an die alten Zeiten zu erinnern, der Schüler träumt nur von einem eigenen Motorrad und davon, dass ihn seine Mutter und die Lehrer in Ruhe lassen. Kann das kleine Rinnsal die großen Erwartungen erfüllen?

Janine Adomeit fängt in ihrem Debütroman das Kleinstadtleben ein, ein Leben, in dem die Erinnerung an die vergangene, einstmals glanzvolle Zeit der einzige Lichtstrahl im Alltag ist. Kleine Menschen mit bescheidenen Träumen, die doch eigentlich gar nicht zu viel vom Leben erwarten und doch auch immer wieder von selbigem enttäuscht werden. Die Chance tut sich auf, sie wollen sie packen, doch wie ein glitschiger Aal flutscht sie ihnen durch die Hände.

Vera war die letzte Nixe, die die Stadt repräsentieren durfte. Doch ihre Amtszeit wurde jäh verkürzt und nun hofft sie auf die zweite Möglichkeit im Paillettenkostüm zu repräsentieren. Auch aus ihrem erlernten Beruf als Friseurin konnte sie nichts machen, stattdessen führt sie nach der Scheidung und dem Umzug der Mutter ins Altenheim deren Kneipe weiter, wo sich der Bodensatz der Stadt allabendlich versammelt. Mit der neuen Quelle keimt die Hoffnung, das alte Haus verkaufen und einen Neustart wagen zu können. Ihr Sohn Johannes ist schon im ersten Nebenjob gescheitert, zu langsam ist er beim Einräumen der Supermarktregale, doch dann trifft er einen Lumpensammler, der ihm für seine Hilfe nicht nur das lange gewünscht Motorrad in Aussicht stellt, sondern auch noch cool und so ganz anders ist als die anderen Erwachsenen. Auch seine Träume scheinen plötzlich in greifbarer Nähe.

Der alte Kamps kann nur noch in der Erinnerung leben, seit seine Angelika verstorben ist, hält er sich mental gerade so über Wasser, beobachtet aber, wie der Ort langsam verfällt. Ausgerechnet in den Jugendlichen aus dem Umweltschutzcamp, die gegen die Bahntrasse protestieren, findet er plötzlich Gleichgesinnte, doch diese schwache Verbindung kann auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine Zeit - und auch die von Villrath - vorbei ist.

So schrullig die Figuren sind, mag man sich doch gerne leiden und wünscht ihnen eigentlich das bescheidene Glück, von dem sie träumen. Sie verlangen gar nicht viel vom Leben, kein großer Reichtum oder Ruhm, aber eben ihr kleines Quäntchen, das ihnen zusteht. Überzeugend gelingt es der Autorin, dies einzufangen. Ein Roman mitten aus dem Leben, eine kurze Phase von Hoffnung und Erwartung, bevor sich vielleicht wieder der dunkle Schleier über alles legt und der Verfall doch unaufhaltsam weitergeht.

Ein großer Roman von der Hoffnung auf das kleine Glück.

Bewertung vom 02.08.2021
The Turnout
Abbott, Megan

The Turnout


ausgezeichnet

Ballet has always been the world of sisters Dara and Marie. Their glamourous mother, a former ballet soloist, had kept them close and after the parents’ death, they have taken over the Durant School of Dance together with Dara’s husband Charlie who had become a family member as a boy. When a fire destroys one of their studios amidst the preparations of their biggest annual event, the performance of “The Nutcracker”, they hire Derek, a seemingly highly skilled contractor, to have everything restored as quickly as possible. Yet, they do not have the least idea of whom they let into their studio and lives. The fire was just the beginning of a series of dreadful events which will change their lives forever.

“No one wanted to face the truth. That every family was a hothouse, a swamp. Its own atmosphere, its own rules. Its own laws and gods. There would never be any understanding from the outside. There couldn’t be.”

Megan Abbott is a master of foreshadowing and again has created unique characters who reveal their full potential slowly throughout the novel. The title – “The Turnout” – is quite ambiguous but perfectly fits in several respects. A turnout is a demanding move in ballet and that’s what the sisters expects from their élèves. Secondly, it is also the moment where you are confronted with different directions and have to decide for one. Thirdly, it is a clearing out, an act of cleaning what has been spoilt. All three can be found in the novel. The preparation for the ballet performance is at the centre when the sisters get into a deep conflict in which they decide for different roads and, in the end, the initial state is restored and all disruptive factors are cleared. At least they might think so.

The novel moves at a rather slow pace but this adds the creepy atmosphere which makes the plot quite authentic. The threat does not come in in an obvious way, it is sneaking into their lives with a friendly and smiling face like a predator who observes his prey, gets closer and tenaciously waits for the perfect moment to attack.

It is also a novel about family structures and sisterly bonds. Quite obviously, their mother’s way of keeping the girls away from other children, of treating them in a special – or rather: strange – way to form them according to her own ideals cannot be healthy. Dara and Marie become like two sides of one coin, an inseparable unit which even cannot be divided by Charlie who integrates into their union. No wonder, at a certain point in life, such a bond is threatened and the lack of experience with people makes them even more vulnerable than others might have been.

From a psychological point of view, an outstanding novel which is also full of spine-chilling suspense.