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Benutzername: 
heinoko
Wohnort: 
Bad Krozingen

Bewertungen

Insgesamt 587 Bewertungen
Bewertung vom 01.05.2021
Hinterland / Bette Hansen Bd.1
Luttmer, Nora

Hinterland / Bette Hansen Bd.1


ausgezeichnet

Unterhaltsam, kurzweilig, lesenswert

Diesen Band 1 der Krimiserie um die Ermittlerin Bette Hansen habe ich sehr gerne gelesen. Denn err hat mich durchweg gut unterhalten. Außerdem weiß ich jetzt, was die Dove-Elbe ist (auch wenn ich als unwissende Süddeutsche beim Lesen irgendwie dauernd eine Assoziation mit „doofe Elbe“ hatte…), und wo Hamburg-Ochsenwerder liegt, einer ländlich-ruhigen Gegend, in der ich gerne wohnen würde, wenn ich Google glauben darf.

Worum geht es? Bette Hansen findet in ihrem Garten ein Holzscheit, auf dem eine Muschel mit Kreuz eingeritzt ist. Ein Fund, der Bette Hansen aufschreckt. Denn dieses Zeichen hatte sie auch in ihrem letzten unaufgeklärten Fall gefunden. Bette Hansen musste ihren Beruf als Kommissarin vorzeitig beenden, da sie an Narkolepsie erkrankt ist und durch die unkontrollierbaren Schlafattacken ihren Dienst nicht mehr ausüben kann. Doch der ungeklärte Mord, der von einem extrem wütenden Täter zeugte, lässt Bette nicht los. Sie beginnt zu ahnen, dass dieser Täter es nun auf sie abgesehen hat.

Nora Luttmer gelingt es sehr eindrücklich, das Lokalkolorit des ländlichen Hinterlandes nahe Hamburg atmosphärisch dicht und vorstellbar einzufangen. Sie erzählt in relativ kurzen Kapiteln und aus verschiedenen Perspektiven sehr kurzweilig über früheres und gegenwärtiges Geschehen. Der Spannungsbogen bleibt über das gesamte Buch hinweg mäßig gespannt. Erst im letzten Buchdrittel nimmt die Spannung erheblich zu, sodass sich das Buch zu guter Letzt noch zu einem wahren Pageturner entwickelt. Zunächst war ich etwas befremdet und irritiert, dass sich der Täter bereits zur Hälfte des Buches offenbart, aber genau dieser geschickte Coup bewirkt überraschenderweise die Zunahme der Spannung. Vielleicht sollte das enge Zeitraster, das sich aufgrund der krankheitsbedingt erforderlichen Ruhezeiten von Bette ergibt, zusätzlich die Spannung erhöhen. Bei mir jedoch hatte das im Laufe der Seiten einen gegenteiligen Effekt, denn es begann mich zunehmend mehr zu nerven. Ich bin mir deshalb unsicher, ob eine solche Erkrankung, die ständig präsent und handlungsbestimmend ist, in einem Kriminalroman wirklich gut platziert ist.

Dennoch bleibt mein Fazit: Ein lesenswerter, unterhaltsamer Kriminalroman mit vielschichtigen Figuren und bildhaft-eindrücklichem Lokalkolorit.

Bewertung vom 29.04.2021
Hauskonzert
Levit, Igor;Zinnecker, Florian

Hauskonzert


ausgezeichnet

Hinreißend geschriebenes Porträt

Man muss kein Musikkenner sein und kein Konzertgänger, um an diesem hinreißend geschriebenen Buch seine wahre Freude zu haben. Hilfreich jedoch ist es, neugierig zu sein. Neugierig auf Menschen, auf ihr Werden und Leben, auf ihr Denken und Sein. Auf das, was Berufung sein kann, im Leichten und im Schweren.

Florian Zinnecker öffnet mit seinem Porträt eine sensible, feinfühlige und vielschichtige Sicht auf Igor Levit. Dieser ist nicht nur ein begnadeter Konzertpianist, er ist ein Jahrhundertkünstler, ein Ausnahmetalent, doch das möchte er nicht sein, zumindest nicht das allein. Zu viel gleichzeitig will er, in der Musik wie im Leben - das ist Igor Levit. Und er ist ein Getriebener seiner selbst, ein Ich-Sager. Und ein Bestimmer, denn er mag nicht hinter die Werke treten, die er spielt, sondern er möchte in jedem Augenblick des Spiels die Regeln selbst festlegen, und diese Regeln speisen sich einzig und allein vom Moment, von der Atmosphäre. Fast könnte man sagen, die Ausstrahlung des Publikums schafft die Interpretation. Denn technische Brillanz besitzen viele Pianisten, aber diese unfassbare Kreativität und schillernde Gestaltungskraft hat nur Igor Levit. Er spielt sein momentanes Empfinden und die Energie aus dem Publikum umsetzend, nicht Beethovens Intentionen, soweit man diese überhaupt kennen kann, folgend. Igor Levit ist so viel mehr als ein großer Künstler. Er ist auch ein Störfaktor, denn er bezieht klar und bedingungslos Stellung, auch ungefragt, zum wachsenden Antisemitismus zum Beispiel, egal wie viel Morddrohungen und Judenhass er erntet.

Dies und noch viel mehr Facetten der vielschichtigen Persönlichkeit des Igor Levit blättert der Journalist Florian Zinnecker vor uns auf. Er begleitete Igor Levit durch die Konzertsaison 2019/20, eine Zeit der besonderen Herausforderungen. In diesem Buch wurde mir die eigentliche Tragik und gesamte Tragweite der Pandemie im Kunstbereich deutlich. Igor Levit hat in dieser Zeit unzählige Hauskonzerte auf Twitter eingestellt und sagt doch, dass sich sein Künstlerleben durch Corona vaporisiert. Florian Zinnecker, ein Jongleur, der Wörter und Eindrücke gleichermaßen kunstvoll zu Gehör bringt, der Einfühlung und Musikverstand noch dazu nimmt und dies alles aufs Papier wirft, federleicht scheint es, und doch gewichtig im Kopf des Lesers verbleibend. Denn er jongliert nicht nur in die Höhe, er geht mit seiner Wortkunst auch in die Tiefe, mit der gleichen schwebenden Leichtigkeit, die einen beim Lesen fast umhaut. Perlend wie bei einem Klaviervirtuosen die Töne, so die Worte und Sätze des Autors. Mal kurz, mal eilig, mal verhalten, sich wiederholend, aber immer treffend. Sätze, die in ihrer Gesamtheit von einem Menschen erzählen, der in jeglicher Hinsicht außergewöhnlich ist. Das Buch hat mich begeistert.

Bewertung vom 18.04.2021
Sommernacht
Foley, Lucy

Sommernacht


gut

Viel Wind um … ja, um was eigentlich?

Das Buch macht viel Wind um sich selbst. „Spektakulär“ soll es sein. Ein „sensationeller Thriller“ soll es sein. Nun ja, in Wirklichkeit erschien mir der Thriller eher einer von der ruhigen Sorte, gut lesbar ja, aber streckenweise ermüdend langsam im Erzählen. Die Geschichte verwendet einen Plot, den man schon besser und spannender von anderen Autoren umgesetzt lesen durfte. Da werden einige unterschiedlichen Menschen an einem abgelegenen Ort einer unbekannten Bedrohung ausgesetzt bis hin zum Mord. Und der Mörder muss unter ihnen sein.
Die Stärke des Buches ist eindeutig die teils lyrisch eindrückliche Schilderung des Handlungsortes, nämlich die abgelegene kleine Insel Cormorant Island, im Atlantik vor der irischen Küste gelegen. Es gibt gefährliche Klippen und ein ebenso gefährliches Torfmoor. Ein teils verfallener Friedhof erzählt von vielen Toten in der Vergangenheit. Jetzt leben nur noch Aoife, von Beruf Hochzeitsplanerin, und Freddy, leidenschaftlicher Koch, auf dieser winzigen Insel. Und zum ersten Mal soll nun eine Hochzeit auf dieser Insel gefeiert werden, mit allem denkbaren Luxus, der dem Brautpaar würdig ist. Jules heiratet Will, einen gefeierten Fernsehstar. Nur eine Handvoll Gäste werden an der Zeremonie und anschließenden Feier teilnehmen. Das Wetter wird zunehmend schlechter. Sturm kommt auf mit viel Wind natürlich. Der Strom fällt zeitweilig aus. Die Gäste benehmen sich zunehmend schlechter. Eine Leiche wird gefunden…
Was nun macht den Thriller eigentlich so langatmig? Vielleicht sind es die vielen Ich-Erzähler, die wechselnd ihre Sicht des Erlebens schildern. Vielleicht sind es die winzigen Gegenwartssequenzen, die von Mal zu Mal das kontinuierliche Lesen stören. Vielleicht sind es die teils ausufernden Berichte über die Interaktionen in der Freundesgruppe rund um den Bräutigam. Vielleicht ist es auch einfach die Tatsache, dass es auf dieser Insel einfach zu viele kaputte, nervige, gestörte und extrem unsympathische Akteure gibt, die sich ständig daneben benehmen. Einzig das zunehmend bedrohliche Naturambiente, das Sturmgetöse, das Brüllen des Meeres, was Lucy Foley wirklich großartig und eindrucksvoll beschreibt, lässt eine schaurige Stimmung entstehen. Wenn man ungefähr 300 Seiten durchhält, wird man allerdings durch ein wirklich spannendes, beeindruckend überraschendes Ende belohnt.

Bewertung vom 16.04.2021
Rothaarig und wild entschlossen!
Kammann, Jutta

Rothaarig und wild entschlossen!


sehr gut

Ein stärkendes, Mut gebendes Buch

Es ist immer interessant, den Lebenslauf eines Menschen näher kennen zu lernen. Umso mehr, wenn man nachverfolgen kann, wie sich dieser Mensch aus widrigsten Umständen entwickelt hat zu einer kreativen, lebens- und menschenzugewandten Persönlichkeit. Jutta Kammann widerspricht mit ihrem eigenen Leben vehement all denen, die sich so gerne als Opfer „schwerer Kindheit“ darstellen und ihr persönliches Scheitern damit entschuldigen. Denn über allem siegt der eigene Wille, aus seinem Leben das Beste herauszuholen, was möglich ist. Und das sind nun mal nicht die äußeren Werte.

Ich bin mit großem Interesse durch die Lebensstationen von Jutta Kammann gegangen, habe mit innerem Schaudern die vielen Szenen ihrer Kindheit verfolgt mit unzähligen Umzügen, Schulwechseln und Pflegeeltern, mit einer ichbezogenen, emotional kalten Mutter. Habe verfolgt, wie sie sich zwischen Naivität und kraftvoller Sturheit zur Schauspielerin entwickelte und mit großer Stärke den Widrigkeiten des Lebens die Stirn bot. Da ich ungefähr im gleichen Alter bin wie Jutta Kammann, hat mich insbesondere der letzte Teil des Buches sehr berührt, wenn es darum geht, im Alter, auch wenn der Körper zunehmend Schwierigkeiten bereitet, den Blick auf das Gute im Leben zu richten, auf das, was wirklich wichtig ist. Ein stärkendes, Mut gebendes Buch!

Allerdings komme ich nicht umhin anzumerken, dass ich Jutta Kammann von Herzen eine Co-Autorin gewünscht hätte, die etwas weniger „professionell“, wie in der Danksagung angemerkt, mitgearbeitet hätte, sondern mehr sprachliche Kraft, mehr kreativ-gestalterische und lebendigere Formulierungsfähigkeit hätte einfließen lassen können. Denn es wird leider in einem sachlich-reduzierten, wenig ausgestalteten Sprachstil erzählt. Es gibt nervige Wiederholungen und mitunter werden einzelne Schilderungen aus der Kindheit mit einer Art „Erwachsenen-Kommentar“ abgeschlossen, was den Leser immer wieder aus dem einfühlsamen Lesen herausreißt. Der Inhalt des Buches hätte mehr schriftstellerische Fähigkeiten verdient!

Bewertung vom 13.04.2021
Sie weiß von dir
Pinborough, Sarah

Sie weiß von dir


ausgezeichnet

Ein Psychothriller par excellence

Einen Thriller dieser Art habe ich noch nie gelesen. Noch nie wurde mein Mitfühlen und Mitdenken beim Lesen am Ende so vollkommen auf den Kopf gestellt wie bei diesem Buch. Absolut raffiniert und brillant geschrieben.

Louise, alleinerziehender Mutter eines kleinen Sohnes, arbeitet in einer psychiatrischen Praxis. In einem Pub lernt sie einen Mann kennen, dessen anziehender Art sie sich kaum erwehren kann. Doch ein paar Tage später kommt die Ernüchterung: Dieser Mann ist ihr neuer verheirateter Chef. Kurze Zeit später stößt sie auf der Straße mit einer Frau zusammen, der Frau ihres Chefs. Adele ist eine wunderschöne Frau, wirkt sehr zart und verletzlich. Und die beiden werden Freundinnen. Mehr darf über den Inhalt nicht vorab erzählt werden.

Der Roman macht den Einstieg nicht ganz leicht. Wie einzelne unzusammenhängende Puzzlestückchen werden dem Leser verschiedene Szenen resp. einzelne Personen und Perspektiven näher gebracht, aus denen man sich erst einmal keinen Reim machen kann. Über das Buch hinweg werden mit jeder einzelnen Szene immer wieder manche der vielen kleinen Puzzlestücke zusammengefügt, sodass man zunehmend glaubt, eine Ahnung vom fertigen Bild zu bekommen. Die Autorin erzählt so detailreich, dass man in manchen Passagen geneigt ist, die vielen kleinen Beschreibungen etwas unaufmerksam zu lesen, was man jedoch nicht tun sollte. Der Thriller ist trotz seiner ständigen Perspektivwechsel und Detailfreude niemals langweilig, denn man spürt von Seite zu Seite mehr, dass sich im Hintergrund etwas zusammenbraut. Und man glaubt zu wissen, was. Doch das unfassbar verstörende, fulminante Ende lag meilenweit entfernt von meinem Vorstellungsvermögen!

Fazit: Sarah Pinborough ist ein Thriller gelungen, mit dem sie den Leser im wahrsten Sinn des Wortes grenzenlos schwindelig zurücklässt.

Bewertung vom 10.04.2021
Völlig hundelos
Franklin, Jo

Völlig hundelos


ausgezeichnet

Wunsch und Wirklichkeit

Dieses Jugendbuch ist ein sehr liebevoll in Szene gesetztes Buch, das sich in kindgerechter Form mit dem Thema auseinandersetzt, wie stark Wunschvorstellungen und Realität oftmals voneinander abweichen und wie das, was man sich wirklich von ganzem Herzen und mit aller Kraft wünscht, auf überraschende Weise Wirklichkeit werden kann, wenn man sich ernsthaft dafür einsetzt.

Für Becca gibt es keinen größeren Traum, als einen Hund zu besitzen. Sie blättert endlos in ihrem Lieblingsbuch „Die Welt der Hunde“ und spielt mit ihrer besten Freundin Emily „Hundesalon“. Doch die Eltern bleiben beim Nein. Denn die Wirklichkeit ist in Beccas Familie Anforderung genug. Beccas Mutter ist schwanger und fühlt sich schlecht, der Vater muss deshalb das Kochen übernehmen, der kleine Bruder Stevie nervt ohne Ende und Emily hat offensichtlich anstelle von Becca eine neue beste Freundin gefunden. Eine Familien-Weihnachtsfeier steht vor der Tür, da hat niemand Zeit für Becca und ihre Wünsche und Sorgen. Als ihr Cousin Tim sie überraschend und sehr dringend bittet, für eine Woche auf den Hund seiner Freundin aufzupassen, ist Becca überglücklich. Doch Monty stellt sich als völlig unerzogener, großer und wilder Hund heraus, der alles auf den Kopf stellt und Becca und ihre Familie an den Rand der Verzweiflung bringt. Was dann alles passiert, das müsst ihr unbedingt selber lesen.

Das Buch ist sehr humorvoll und lebendig geschrieben und ist in seiner Gesamtgestaltung hervorragend auch für Wenigleser geeignet, denn die große Schrift lässt sich leicht und schnell lesen. Beccas Tagebuch-Einträge sind durch die Wahl einer anderen Schrift gut erkennbar, und die eingestreuten ausdrucksstarken Illustrationen unterstreichen die Handlung aufs Beste. Das geschilderte Familienleben wirkt realitätsnah. Und die Nöte und Sehnsüchte von Becca sind Kindern mit Sicherheit aus ihrem eigenen Leben vertraut. Wie Becca tapfer, lernbereit und verantwortungsvoll mit all den Herausforderungen umgeht, ist sehr gut geeignet, den Kindern Mut zu machen, bei auftretenden Schwierigkeiten nicht gleich aufzugeben. Mir hat das Buch großen Spaß bereitet, und diesen Spaß werden mit Sicherheit auch „meine“ Lesepatenkinder beim Vorlesen haben.

Bewertung vom 08.04.2021
Trügerischer Sog
Kui, Alexandra

Trügerischer Sog


sehr gut

Ein Buch mit der Wucht eines Vorschlaghammers

Wenn ein Buch mit solch einer wütenden Kraft daher kommt wie dieses, ist es gekonnt geschrieben, keine Frage. Aber welche Intention steckt hinter dieser Geschichte? Ein Thriller soll es sein. Stimmt, denn ein Thriller ist per definitionem eine Geschichte, die mit wenigen Auf und Ab eine Art Dauerspannung erzeugt. Und diese Dauerspannung liegt tatsächlich über den Seiten. Bis zum bitteren Ende. Aber gibt es noch etwas darüber hinaus, was dieses Buch aus der reinen Unterhaltungsliteratur hinausheben würde?

Es geht um eine Schulklasse, die geradezu vergitet ist. Da gibt es Sara, die alles beherrscht und die die Königin der Gemeinheiten ist. Ihre permanenten Bosheiten lassen bei etlichen Mitschülern ihre jeweils schlechtesten Seiten zum Vorschein kommen. Frau Hoppe ist als blutjunge Lehrerin völlig überfordert mit all dem Hass, der in dieser Klassengemeinschaft herrscht. Sie hat die Idee, eine einwöchige Klassenreise auf eine einsame Nordseeinsel zu unternehmen, um den Klassengeist zu stärken. Doch ihre guten Absichten scheitern aufs Entsetzlichste.

Ohne zu spoilern, lässt sich über die Sinnfrage dieses Buches in dieser Rezension nicht wirklich spekulieren. Ich war entsetzt über die Brutalität der Schüler untereinander, über ihre Gehässigkeit, Respektlosigkeit, über ihre fehlende Achtung für alles und jeden, aber auch über ihre Feigheiten und Unehrlichkeiten. So als würde ein vergiftender Klassengeist jegliches Moralgefühl zerstört haben, so als hätten bei jedem Schüler die Eltern generell versagt. Entsetzt war ich über die engagierte Lehrerin, die letztlich zwischen zwei Männern tändelt, statt ihrer von ihr selbst initiierten pädagogischen Aufgabe gerecht zu werden. Gut, man könnte ein klein wenig Verständnis gewinnen können für den zerstörerischen Hass, der eigentlich Trauer und Angst kaschieren soll. Aber diese Sinngebung leuchtet im Buch nur wenig auf. Nach Lektüre dieses Romans macht sich in mir als Leserin der älteren Generation neben Entsetzen nur noch Angst breit. Diesen Protagonisten möchte ich im wahren Leben nie und nimmer begegnen müssen. Und was sollen dann Jugendliche von dieser Lektüre mitnehmen? Auch das macht mir Angst.

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Bewertung vom 06.04.2021
Die Modeschöpferin
Maybach, Katja

Die Modeschöpferin


sehr gut

In herausfordernder Geschwindigkeit erzählt

Weil die Autorin selbst ehedem als Model und Modedesignerin in Paris gearbeitet hatte, waren meine Erwartungen an das Buch hoch. Denn es geht um die Modeschöpferin Simonetta de Rosa, die 1961 in Rom wie besessen an ihrer neuen Kollektion arbeitet, um sie im Herbst auf einer fulminanten Modenschau präsentieren zu können. Sie erfährt, dass ihre Schwester Chiara, ebenfalls Modedesignerin, zu der sie seit Jahren keinen Kontakt mehr hat, offensichtlich auf Rache aus ist. Angeblich hat sie eine Affäre mit dem Partner von Simonetta. Und wie gelangen zwei ihrer streng geheim gehaltenen Entwürfe in die Hände eines amerikanischen Modehauses, das Massenware vertreibt? Misstrauen macht sich breit. Ein Mord lässt die persönliche Verunsicherung allerdings plötzlich unwichtig werden.

Ich empfand es als sehr interessant und bereichernd, tief in die Welt der Mode der Sechziger Jahre in Rom eintauchen zu können. Die Autorin schildert so lebendig und intensiv, dass ich ständig Bilder dieser Zeit vor Augen hatte, umso mehr, da ich selbst in dieser Zeit, damals im Teenie-Alter, Modezeitschriften und Filme mit allergrößtem Interesse verfolgte. Katja Maybach hat meiner Meinung nach den Geist der Zeit perfekt eingefangen, weit über die Mode-Perspektive hinaus. Denn einerseits gab es den Drang nach wachsender Freiheit, andererseits die gesellschaftlichen Einschränkungen und Verbote, die noch längst nicht alle in Frage gestellt wurden. In vielen Perspektivwechseln, die mir allerdings bisweilen zu rasch hintereinander erfolgten, wird die Handlung flott vorangetrieben. So rastlos, wie Simonetta arbeitet, so schreibt auch die Autorin. Sie eilt von Szene zu Szene in großem Tempo, wodurch ich mich zeitweilig geradezu gehetzt fühlte. Die komplizierte Beziehung zwischen den Schwestern wird geschickt und psychologisch nachvollziehbar beleuchtet, indem der Leser die Denk- und Sichtweise jeder der Schwestern vor Augen geführt bekommt. Ich habe diesen temporeichen Roman sehr gerne gelesen.

Fazit: Bilderreicher, in herausfordernder Geschwindigkeit erzählter historischer Familien-Roman aus der italienischen Modewelt. Sehr lesenswert.

Bewertung vom 06.04.2021
Blütengrab
Fink, Ada

Blütengrab


sehr gut

Viel Trostlosigkeit spannend verpackt

Wer verbirgt sich hinter dem Pseudonym Ada Fink? Auf jeden Fall ein(e) Autor(in), der/die das Schreib-Handwerk versteht. Denn der vorliegende Thriller ist gut geschrieben. Er fesselt, hat einen sich steigernden Spannungsbogen, ein interessantes Sujet zum Thema und lässt zudem ein ungewöhnliches Ermittler-Paar tätig werden. Ich habe das Buch sehr gern gelesen.

Wir bewegen uns in zwei Zeitebenen, zum einen 1993, also relativ kurz nach der Wende, in Ostdeutschland und 1975 in der ehemaligen DDR. Zudem gibt es noch gelegentlich eingestreute kursiv gesetzte Erinnerungsfragmente. Die in der mecklenburgischen Provinz tätige Kommissarin Ulrike Bandow und ihr neuer Kollege Ingo Larssen aus Westdeutschland müssen erstmals gemeinsam in einem rätselhaften Mordfall ermitteln. Eine seltsam aufgebahrte Mädchenleiche wurde in einem abgelegenen Waldstück gefunden, mit mehreren auf der Haut eingeritzten Runen. Die rätselhaften Spuren führen das Ermittlerpaar immer tiefer in die deutsch-deutsche Vergangenheit und zu einer bislang unentdeckten bizarr anmutenden Mordserie, aber auch tief in Ulrikes verdrängte Vergangenheit.

Der Thriller macht es dem Leser erst einmal nicht ganz leicht. Der Einstieg geht langsam voran. Denn Ada Fink erzählt detailreich, allerdings dadurch auch atmosphärisch dicht. Gleichzeitig schaffen die ungekennzeichneten, etwas unstrukturiert wirkenden Perspektivwechsel allerlei Verwirrung. Doch man liest sich ein und die Geschichte nimmt zunehmend an Fahrt auf. Im Präsens geschrieben, hat man das Gefühl, dass einem die Sätze manchmal sehr hart um die Ohren fliegen, was das Lesen knackig macht, aber ganz und gar nicht sympathisch. Die Grundstimmung ist trostlos. Die Örtlichkeiten sind trostlos. Und was sind bitte „DDR-Büromöbel“? Auch die stelle ich mir trostlos vor. Interessant ist es zu beobachten, wie Ulrike und Ingo zunächst alle Klischees von Ost und West als Gegenspieler verkörpern, aber sich im Fortlauf der Geschichte zunehmend annähern, je mehr sie die Stärken des anderen erkennen und respektieren. Die Handlung vertieft sich mehr und mehr in altgermanisches rituelles Denken, in Fremdenfeindlichkeit, in blühendes Nazi-Gedankengut dank der vorherrschenden Perspektivlosigkeit, aber auch in Mauscheleien und Lügen bis in die obersten Ränge hinein. Auch das ist im Grunde alles trostlos. Aber eben auch spannend erzählt.

Bewertung vom 03.04.2021
Wer wohnt denn da im tiefen Wald?
Piercey, Rachel

Wer wohnt denn da im tiefen Wald?


ausgezeichnet

Rundum gelungenes Wimmelbuch mit Mehrfachnutzen

Von diesem ganz besonderen Bilderbuch bin ich restlos überzeugt. Und das nicht nur, weil es rein äußerlich betrachtet sehr hochwertig gemacht ist mit stabilem Einband und kräftigem Seitenpapier, sodass das Buch ohne Schaden zu nehmen oft und oft angeschaut, vorgelesen und vor- und zurückgeblättert werden kann.

Wir begleiten den kleinen Bär in sein Zuhause, er zeigt uns über die verschiedenen Jahreszeiten hinweg seine Freunde und noch vieles mehr, was im Wald so um ihn herum arbeitet oder faulenzt oder spielt oder schläft.
Es gibt unendlich viel zu entdecken auf jeder einzelnen Seite. Wenn man nach einer kleinen Pause das Buch wieder zur Hand nimmt, sieht man immer wieder Neues, was man zunächst übersehen hatte. Doch nicht nur das Betrachten der Wimmelbilder an sich hat seinen schier unerschöpflichen Reiz. Zu jedem Wimmelbild gibt es zusätzlich detaillierte Fragen, wo zum Beispiel das Stinktier, das gerade ein Nickerchen macht, zu finden ist oder wo ist bloß dieser schüchterne Frosch? All diese Fragen fordern heraus zum ganz genauen Hinschauen und dem stolzen Ankreuzen bei erfolgreicher Suche. Freya Hartas hat mit ihren liebevollen, überraschenden und witzigen Zeichnungen ganz Großartiges geleistet, denn ihre Illustrationen erzählen in all den vielen, vielen Details eigene winzig kleine Geschichten. Im Anhang gibt es auch noch ein paar weitere Informationen und Anregungen zum Entdecken und Spielen draußen in der Natur. Was mir persönlich weniger gefällt, sind die Gedichte, deren spezielles Reim-Maß nicht besonders eingängig ist für Kinder.

Fazit: Ein wunderschönes, rundum gelungenes Wimmelbuch, das auf vielseitige Weise und für lange Zeit stets aufs Neue Anregungen und Unterhaltung bietet.