Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Havers
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 07.02.2022
Hundepark
Oksanen, Sofi

Hundepark


ausgezeichnet

Die Romane der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen sind immer geprägt von einem Spannungsverhältnis, von einer Ungleichheit, die sich aus den gegensätzlichen Lebenswelten Ost –West speist. Hier Perspektivlosigkeit und Unterdrückung, dort der ungezügelte Kapitalismus mit dem falschen Versprechen eines sorglosen Lebens.

In ihrem neuen Roman „Hundepark“ machen wir die Bekanntschaft von Olenka und Daria. Es ist das Jahr 2016, wir sind in Helsinki. Sie sitzen auf einer Parkbank und beobachten interessiert eine Familie, die mit ihren Kindern im Hundepark zugange sind. Die beiden Frauen kennen sich seit ihrer Kindheit in der Ukraine, waren einst Freundinnen, aber das ist lange her. Sie wachsen in Armut auf, warten auf die Chance, diesem Leben zu entkommen. Die erhoffte Modellkarriere in Paris bleibt für Olenka aus, aber dann findet sie an einem Strommast einen Zettel mit einem gutbezahlten Stellenangebot.

Zu diesem Zeitpunkt haben wohlhabende Paare aus dem Westen bereits die Möglichkeit entdeckt, sich ihren unerfüllten Kinderwunsch mit Hilfe junger Ukrainerinnen zu realisieren, die von skrupellosen Geschäftemachern als Eizellenspenderinnen oder Leihmütter angeboten werden. Der Markt boomt, ist ein lukratives Geschäftsmodell, das die Frauen zur bloßen Ware degradiert und deren Körper rücksichtslos ausbeutet. Schon nach kurzer Zeit fungiert Olenka als Vermittlerin, überredet ihre Freundin Daria sich ihr anzuschließen und „vermarktet“ diese höchst erfolgreich. Aber dann geschieht ein Mord, alles läuft aus dem Ruder…und endet in Helsinki auf einer Bank im Hundepark.

Diesen komplexen Roman von geplatzten Träumen, von Freundschaft, Liebe, Verrat und Schuld lässt Oksanen von Olenka erzählen, wobei die Zeitsprünge und Andeutungen bisweilen an ein Puzzle erinnern, aus dem man sich die Geschichte zusammensetzen muss. Olenka, die sowohl Täterin als auch Opfer ist, aber auch repräsentativ für die vielen jungen Frauen steht, die Träume haben, die dem perspektivlosen Leben in der postsowjetischen Ukraine etwas entgegensetzen wollen. Auch dann, wenn das einzige Kapital, mit dem sie wuchern können, ihr Körper ist, und selbst dieser ihnen nur auf Zeit gehört.

Bewertung vom 06.02.2022
Das giftige Glück
Lerchbaum, Gudrun

Das giftige Glück


ausgezeichnet

Seit Januar 2022 ist in Österreich ein Gesetz für die Beihilfe zum Suizid in Kraft getreten, das schwer bzw. unheilbar Kranken den Zugang zu Medikamenten garantiert, mit denen sie ihrem Leiden ein Ende setzen können. Das muss aber immer legal und von Medizinern abgesegnet sein. Aber was wäre, wenn plötzlich eine für alle Sterbewilligen offene Möglichkeit bestünde, diesen Weg durch die Instanzen umgehen zu können? Passender hätte der neue Roman „Das giftige Glück“ von Gudrun Lerchbaum nicht erscheinen können, ein Roman, der sich nicht nur mit dieser Thematik auseinandersetzt.

Wien im Frühjahr, die Pandemie ist endlich abgehakt, überall grünt es und über den Wäldern und Parks der Metropole liegt der Duft von Bärlauch. Nach Monaten des Eingesperrtseins ein Neuanfang. Die Menschen strömen in die Natur, sammeln die lanzettförmigen Blätter, nicht wissend, dass die Pflanzen von einem Pilz befallen sind, der bei Genuss tödlich wirkt.

Zuerst sterben die Menschen versehentlich, aber nicht, wie so oft bei giftigen Substanzen, unter unbeschreiblichen Qualen. Nein, die letzten Minuten ihres Lebens sind sie entspannt und voller Freude, denn beschert einen schmerzfreien Tod, der mit offenen Armen empfangen wird. Diese Information macht schnell die Runde und eröffnet Möglichkeiten, nicht nur für kranke Menschen sondern auch für solche, die nichts Gutes mit Vienesse Weed, wie es mittlerweile genannt wird, im Sinn haben. Natürlich ruft das die staatlichen Organe auf den Plan. Der Zutritt zu den Wäldern und Parks wird verboten, das Sammeln unter Strafe gestellt und die städtischen Gärtner mobilisiert, damit sie die Pflanzen vernichten.

Es sind viele Themen, die dieser Roman behandelt. Es geht um selbstbestimmtes Leben und Sterben, um Freundschaft und Liebe, um Sterbehilfe, um Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, um Einschränkungen der persönlichen Freiheit, um unseriöse Medienberichte und Verschwörungstheorien, um die Kontrolle der Natur durch den Menschen. Viele moralphilosophische Fragen, deren Beantwortung allerdings nicht auf einem Tablett serviert wird, die man aber durchaus auch im Kontext der aktuellen Pandemie stellen darf, wobei die Autorin die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten im Blick behält, uns nebenbei mit naturwissenschaftlichen Fakten versorgt und zum Nachdenken anregt.

Das mag sich jetzt trockener anhören, als es tatsächlich ist. Im Gegenteil, denn da gibt es auch noch diesen Handlungsstrang, der all diese Aspekte auf eine persönliche Ebene herunterbricht. Olga, die an Multipler Sklerose leidet und sterben möchte, ihre Freundin Kiki, die sie pflegt und ihr dabei helfen soll, und Jasse, die Jugendliche mit Problemen, die eher zufällig mit den beiden Frauen in Kontakt kommt. Nicht zu vergessen der ungewöhnliche Mordfall. Es sind diese ständigen Perspektivwechsel und die humorvollen, teils bissigen Dialoge, die Abwechslung bieten und die Handlung lebendig und spannend gestalten.

Von mir gibt es dafür eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.02.2022
Der Mann, der zweimal starb / Die Mordclub-Serie Bd.2
Osman, Richard

Der Mann, der zweimal starb / Die Mordclub-Serie Bd.2


ausgezeichnet

Der erste Band der Donnerstagsmordclub-Reihe von Richard Osman konnte mich nicht vollständig überzeugen. Zu langatmig, zu betulich, zu viel Drumherum-Gerede. Aber jeder verdient eine zweite Chance, auch das Rentnerquartett Elizabeth, Joyce, Ibrahim und Ron aus Coopers Chase, der Seniorenresidenz im schönen Kent, in die man sich nur einkaufen kann, wenn man ein dickes Sparkonto oder solvente Kinder mit Schuldgefühlen hat. Und es mag ja sogar Menschen dieser Altersgruppe geben, die sowohl körperlich als auch geistig noch auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit sind, wobei auch in diesem Punkt durchaus leichte Zweifel angebracht scheinen. Dass die Realität für die meisten Betagten anders aussieht, sei mal dahingestellt. Allerdings ist „Der Mann, der zweimal starb“ Fiktion, da kann man über die eine oder andere Unglaubwürdigkeit schon einmal hinwegsehen.

Worum geht es nun in diesem Krimi? Douglas, der Ex-Mann der ehemaligen MI6-Agentin Elizabeth steckt in Schwierigkeiten. Bei der Durchsuchung eines Anwesens hat er Diamanten im Wert von 20 Millionen Pfund in die eigene Tasche gesteckt, und nun sind sowohl seine Kollegen vom Service als auch der Bestohlenen sowie ein Mafioso hinter ihm her. Er muss untertauchen, und Elizabeth soll ihm dabei helfen. Zeitgleich wird Ibrahim bei einem Ausflug nach Fairhaven von einer Gruppe Teenager überfallen und schwer am Kopf verletzt. Seine Freunde kümmern sich rührend um ihn, setzen aber alles daran, mit Unterstützung von Bogdan, dem polnischen Handwerker, und Chris und Donna, den Vertretern der hiesigen Polizei, die Täter dingfest zu machen, wobei die beiden Polizisten parallel damit beschäftigt sind, einer Drogendealerin das Handwerk zu legen. Doch dann wird Douglas erschossen aufgefunden, aber er hat Elizabeth eine verschlüsselte Botschaft hinterlassen, die sie zum Versteck der Diamanten führen soll. Jetzt gilt es nur noch, diese zu entschlüsseln und die bösen Buben und Mädchen aus dem Verkehr zu ziehen.

Alles ist mit allem verbunden, und auf den ersten Blick scheint das eine Menge Stoff für einen einzigen Krimi zu sein, in dessen Dickicht man sich verirren könnte, aber keine Sorge, der Autor hat seine Story jederzeit im Griff. Da gibt es keine Ungereimtheiten, keine Handlungsstränge, die im Nirwana verschwinden. Es macht Spaß und ist höchst unterhaltsam, die Ermittlungsarbeit der liebenswerten Oldies zu begleiten, die Finten zu bestaunen, an denen Richard Osman uns teilhaben lässt. Das alles mit jeder Menge englischem Augenzwinkern in kurzen Kapiteln beschrieben, die keine Längen aufkommen lassen und das Tempo bis zum Schluss hoch halten.

Bewertung vom 02.02.2022
Weil's einfach gesünder ist
Herrmann, Alexander;Schuster, Monika

Weil's einfach gesünder ist


sehr gut

Ausgewogen und gesund sollten wir uns ernähren, das ist klar, aber leider fehlt oft das Wissen über das, was unsere Lebensmittel an Nährstoffen zu bieten haben. Hier setzt Alexander Herrmann mit seinem Kochbuch „Weil’s einfach gesünder ist“ an und vermittelt auf anschauliche und verständliche Weise Basiswissen anhand von diversen Top Ten Listen: Fette und Öle / Gewürze und Co. / Getreide und Hülsenfrüchte / Gemüse / Kräuter / Nüsse und Co. / Obst.

Aber keine Sorge, auch der Genuss wird nicht vernachlässigt. In über 70 Rezepten deckt er sämtliche Mahlzeiten von Frühstück bis Abendessen ab, die allesamt auf Zutaten basieren, die uns und unserem Körper Gutes tun: Start in den Tag, Hauptmahlzeiten, Kleine Gerichte…so die Einteilung. Und das bringt uns zu seinem nächsten Anliegen. Er plädiert nämlich für intermittierendes Fasten, heißt, man solle gewisse Zeitfenster bei der Nahrungsaufnahme einhalten, im Idealfall nach dem 16:8 Schlüssel. Ein unkompliziertes, flexibles System, das sich perfekt ins tägliche Leben integrieren lässt und Gesundheit und Wohlbefinden garantieren kann.

Die Rezepte sind unkompliziert zu realisieren, basieren im Wesentlichen auf Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse, letztere im Idealfall natürlich saisonal, ergänzt mit hoch- und vollwertigen Kohlenhydraten. Fleisch ist selbst bei den Hauptmahlzeiten selten zu finden, und wenn doch, so nimmt es eher eine Nebenrolle ein. Die Zutaten sind penibel aufgelistet und sollten überall erhältlich sein, die Zubereitungen bis ins Detail beschrieben, und selbst zum appetitlichen Anrichten gibt es hilfreiche Tipps inklusive einer professionellen Bebilderung. Ein ausführliches Register rundet dieses informative Kochbuch ab.

Einen Wermutstropfen gibt es dennoch. Vermisst habe ich die Nährwertangaben bei den jeweiligen Gerichten, im Speziellen die Werte für Kohlenhydrate und Kalorien. Diese Informationen wären bestimmt hilfreich für Nutzer, die sich nach dem Low Carb Prinzip ernähren bzw. auf die tägliche Kalorienzufuhr achten.

Bewertung vom 27.01.2022
Ende in Sicht
Rönne, Ronja von

Ende in Sicht


sehr gut

Ronja von Rönne ist eine Autorin die polarisiert, was man auch in den Besprechungen zu ihrem neuen Roman „Ende in Sicht“ feststellen kann, in dem sie sich mit dem Thema Depression und Suizid beschäftigt. Für die einen ist der Roman die einfühlsame und gelungene Beschreibung der Innenwelt zweier Frauen, die an dieser Krankheit leiden, für die anderen eine oberflächliche, auf Knalleffekte ausgelegte Geschichte, die lediglich an der Oberfläche kratzt.

Das Leben ist doch schön, oder? Diese Frage würde sowohl Hella, die Schlagersängerin, die ihre besten Jahre längst hinter sich hat und in der Bedeutungslosigkeit verschwunden ist, als auch die fünfzehnjährige Juli, aufgewachsen mit ihrem alleinerziehenden Vater, die sich all die Jahre nach ihrer abwesenden Mutter gesehnt hat, wohl mit Nein beantworten. Beide sind an dem Punkt, an dem ein Weiterleben kaum mehr möglich scheint, sie des Lebens überdrüssig sind. Die eine ist auf dem Weg in die Schweiz, wo sie mit Hilfe einer gefaketen Bescheinigung ihrem Leben ein Ende setzen will, die andere macht es kurz und schmerzlos und springt von einer Grünbrücke auf die Autobahn. Es ist Hellas Auto, vor dem Juli landet, die bei dem Sprung nicht gestorben sondern nur leicht verletzt ist. Nach einem kurzen Stopp im Krankenhaus setzen sie ihren Weg gemeinsam fort, und so entsteht aus diesem unerwarteten Zusammentreffen eine Allianz auf Zeit, in der sich die beiden scheibchenweise öffnen. Und obwohl ihr Umgang weniger von Verständnis und Mitgefühl als von Ruppigkeit geprägt ist, blitzt ab und an doch so etwas wie Einfühlungsvermögen und Interesse in den Dialogen auf.

Einfühlsam oder oberflächlich? Ganz so eindeutig kann ich die Frage für mich nicht beantworten, denn es ist beides. Einerseits tappt die Autorin nicht in die Sentimentalitätsfalle sondern konzentriert sich im Wesentlichen auf die Beschreibung der unterschiedlichen Lebens- und Gefühlswelten der Protagonistinnen, und das gelingt ihr gut. Andererseits arbeitet sie sich aber auch an den abgedroschenen Klischees der gestörten Mutterbeziehung und ab. Bei Hella ist es das Leiden an der Bevorzugung der Schwester, bei Juli das Sehnen nach der abwesenden Mutter. Gemeinsam ist ihnen die lähmende Gewöhnung, das Gefühl, fehl am Platz zu sein und von ihrem Umfeld nicht wahrgenommen zu werden. Depression und Suizid sind ernste Themen, aber hier bleibt mir von Rönne zu sehr an der Oberfläche, kratzt nur zaghaft, bevor es richtig wehtun kann. Aber das passt auch zum Ende der Geschichte.

Bewertung vom 26.01.2022
The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1
Prose, Nita

The Maid / Regency Grand Hotel Bd.1


sehr gut

Lust auf einen Cozy-Krimi, der zwar Ähnlichkeiten mit den englischen Klassikern aufweist, aber durch eine liebenswerte und sympathische Protagonistin seinen individuellen Touch erhält?

Molly „The Maid“ arbeitet als Zimmermädchen in einem Nobelhotel. Sie ist überkorrekt, liebt ihre Arbeit und erledigt alle ihr aufgetragenen Aufgaben mit wahrer Hingabe. Und sie ist ein guter Mensch, arglos wie Forrest Gump, hat immer den moralischen Kompass im Kopf, den ihr die kürzlich verstorbene Großmutter vermittelt hat. Richtig und falsch kann sie zwar unterscheiden, aber Mimik, Körpersprache und auch das Verhalten ihrer Mitmenschen zu interpretieren ist nicht wirklich ihre Kernkompetenz.

Das bringt sie in große Schwierigkeiten, als sie die Leiche eines Hotelgasts bei ihrer täglichen Putzroutine entdeckt. Die Untersuchungen der Polizei ergeben, dass dieser offenbar einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist und alle Indizien deuten auf Molly als Täterin hin.

Dafür, dass dieser Krimi ein Debüt ist, ist er ausgesprochen routiniert geschrieben und schlüssig aufgebaut. Kein Wunder, ist Nita Porse doch Cheflektorin bei Simon & Schuster. Die Atmosphäre wirkt „very british“, aber die Autorin lebt und arbeitet in Toronto, der kanadischen Metropole mit britischer Vergangenheit, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Die Lösung des Mordfalls samt der Zusammenhänge ist allerdings ziemlich offensichtlich, beeinträchtigt aber das Lesevergnügen zu keinem Zeitpunkt, was ohne Zweifel der Hauptfigur geschuldet ist.

„The Maid“ ist eine unterhaltsame Lektüre voller Charme, die man am besten mit einer Tasse Tee und Shortbread genießt. Enjoy!

Bewertung vom 24.01.2022
Das Geheimnis von Windsor Castle / Frey & McGray Bd.6
Muriel, Oscar de

Das Geheimnis von Windsor Castle / Frey & McGray Bd.6


ausgezeichnet

1889 in Edinburgh. Weihnachten steht vor der Tür, als Ian Frey und „Nine Nails“ McGray mitten in der Nacht von Premier Salisbury zu einem geheimen Treffen einbestellt werden. Die Vertreter der geheimen „Kommission zur Aufklärung ungelöster Fälle mit mutmaßlichem Bezug zu Sonderbarem und Geisterhaften“ stecken in der Klemme, ist es doch niemand geringeres als die Regentin, Queen Victoria, die ihnen ein Ultimatum stellen lässt. In der Nacht vor Heiligabend möchte sie einmal mehr mit ihrem verstorbenen Gatten, Prinz Albert, Kontakt aufnehmen, und dazu benötigt sie ein Medium. Jetzt ist es nur so, dass die die „Lieblingshexe“ der Queen bereits in „Der Fluch von Pendle Hill“ (Bd. 2 der Reihe) unter Einwirkung der beiden Detektive das Zeitliche gesegnet hat und Victoria deshalb in höchstem Maße darüber erbost ist, ihnen tödliche Konsequenzen androht, sollten sie ihrem Wunsch nicht nachkommen. Falls Frey und McGray keinen Ersatz finden, werden sie hingerichtet. Keine Diskussion. Und die Zeit drängt, denn es sind nur noch wenige Tage bis zum Fest. Also heißt es Koffer packen und los geht’s…

„Das Geheimnis von Windsor Castle“ ist mittlerweile der sechste Band in dieser Reihe, die ich noch immer so gelungen wie zu Beginn finde. Zum einen liegt das - Holmes und Watson lassen grüßen - natürlich an dem unorthodoxen Ermittlerduo. Hier der raubeinige schottische Vorgesetzte, der sämtlichen Klischees gerecht wird, dort der strafversetzte, kultivierte Engländer, der sich immer wieder mit Situationen konfrontiert sieht, die er nur mit Kopfschütteln quittieren kann. Zum anderen sind da die wunderbaren, oft respektlosen Beschreibungen, wie die von Queen Victoria im aktuellen Fall. Man kann jetzt nicht gerade behaupten, dass der Autor besonders rücksichtsvoll mit der Königin umgeht - von zweifelhafter Abstammung, launisch, neurotisch, depressiv, stark übergewichtig, rachsüchtig - obwohl die Eigenschaften, die er ihr zuschreibt, durchaus reale Hintergründe habe und in historischen Dokumenten zu finden sind. Nicht zu vergessen die stimmungsvollen Beschreibungen der Schauplätze, ob das nun Victorias Palast oder die Reise quer durch Schottland bis auf die hoch im Norden gelegenen Orkney Islands.

Ein historischer Kriminalroman vom Feinsten, kurzweilig und unterhaltsam, mit einer Prise Okkultismus, dramatischen Wendungen und jeder Menge viktorianischer Atmosphäre. Allerdings sollte man die Bücher nach Möglichkeit in Reihe lesen bzw. gelesen haben, da ansonsten die eine oder andere wichtige Information aus Bd. 2 fehlt.

Bewertung vom 23.01.2022
Unser kostbares Leben
Fuchs, Katharina

Unser kostbares Leben


weniger gut

Um es gleich vorweg zu nehmen, für mich war dieses Buch ein einziges Ärgernis. Zehnjährige, die sich für das Konstruktive Misstrauensvotum gegen Willy Brandt interessieren, Kröten Anfang der Siebziger über die Straße tragen…da war wohl der Wunsch der Autorin Mutter des Gedanken. Oder, und das scheint wesentlich wahrscheinlicher, mussten bestimmte Verhaltensweisen den Kindern zugeschrieben bzw. so hingebogen werden, dass es erkenntnisleitend dem Narrativ entsprach, das die Autorin dem Roman zugrunde gelegt und auf dem sie ihn aufgebaut hat.

Katharina Fuchs stützt sich in „Unser kostbares Leben“ auf ihre persönlichen Erlebnisse und möchte davon ausgehend die allmähliche Sensibilisierung Jugendlicher für umweltpolitische Themen beschreiben.

Der Handlungszeitraum erstreckt sich über die siebziger und achtziger Jahre, Handlungsort ist eine hessische Kleinstadt, in der im wahrsten Sinn des Wortes viele schmutzige Geheimnisse unter der Oberfläche lauern. Stellvertretend für die junge Generation lässt sie uns am Leben von Caro, Alter Ego der Autorin, Tochter aus dem gutem Haus eines Schokoladenfabrikanten, Minka, ihre Freundin und Bürgermeisterstöchterlein, sowie Claire, ein vietnamesisches Waisenmädchen, teilnehmen. In den über 600 Seiten kommen jede Menge Themen auf den Tisch: Vergiftete Flüsse, skrupellose Medikamententests an Schutzbefohlenen, das Leid von Versuchstieren, die Klüngeleien der Honoratioren, die in Gutsherrenmanier die Fäden im Städtchen ziehen.

Viel Stoff, aus dem man einen lesenswerten Roman über diese Zeit hätte stricken können. Die Betonung liegt auf hätte, denn leider ist es der Autorin weder gelungen, die Atmosphäre dieser bleiernen Jahre einzufangen (die Nennung einiger Markennamen und allseits bekannter Ereignisse genügt leider nicht), noch konnte sie, bedingt durch ihren distanzierten Umgang mit dem übergroßen Personentableau, ein Interesse an der Entwicklung der Protagonistinnen schaffen. Dazu kommen die vielen unnützen und überflüssigen Informationen (wollt ihr wissen, wie der Prozess des Conchierens abläuft?), die zwar den Umfang aufgebläht, dafür aber immer wieder das Tempo gedrosselt haben und absolut Null zum Fortgang der Geschichte beigetragen haben. Des Weiteren habe ich so meine Probleme mit der Sichtweise der Autorin, die es offenbar nur der gebildeten oberen Mittelschicht zutraut, gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen, denn die Perspektiven der „normalen“ Menschen fehlen fast vollständig. Den Vogel schießt allerdings die Betroffenheitsprosa im letzten Abschnitt des Buches ab, in dem der Bogen zur Gegenwart geschlagen wird. Ein weiteres überflüssiges Detail dieses Romans, der meine Erwartungen in keinster Weise erfüllen konnte.

Bewertung vom 20.01.2022
Sarah Jane
Sallis, James

Sarah Jane


ausgezeichnet

Sarah Jane erzählt ihre Geschichte: Aufgewachsen im amerikanischen Süden, die Eltern sind arm, ihre Beziehung problematisch. Die Kindheit schwierig, sie kommt mit dem Gesetz in Konflikt, hat die Wahl zwischen Gefängnis oder Armee. Also ab in den Irak. Zurück in den Staaten heiratet sie den falschen Mann, ist wieder für sich, schlägt sich so durch, arbeitet mal hier, mal da, bis sie schließlich irgendwo im Nirgendwo in einer Kleinstadt landet und sich Cal, der dortige Sheriff, ihrer annimmt. Er bringt ihr bei, was sie in diesem Job wissen und können muss, bildet sie aus. Doch dann verschwindet er, lautlos und ohne Ankündigung. Sarah, inzwischen widerwillig auf dem Posten als seine Stellvertreterin, muss herausfinden, was mit ihm passiert ist. Sie lüftet seine Geheimnisse, aber ihre eigenen hält sie unter dem Deckel. Gibt es das einschneidende Ereignis aus ihrer Vergangenheit, mit dem sie unerwartet konfrontiert wird?

Es sind immer die Menschen, die bei James Sallis im Mittelpunkt seiner Romane stehen. Er verzichtet auf ausufernde Beschreibungen mit einer Vielzahl von Adjektiven, aber dennoch reicht ihm ein kurzer Satz, damit man eine Situation zur Gänze erfasst und ein Gefühl für den Menschen, die Situation oder die Umgebung bekommt. Bei ihm sitzt jedes Wort genau da, wo es hingehört. Kurz, knapp, präzise, kein Drumherumgerede, oft nur Andeutungen. Es ist wie es ist. Punkt. Und genau das verleiht dem Roman seine Intensität. Sallis reduziert, komprimiert, baut Momentaufnahmen, geht in der Zeit vor und zurück, Menschen tauchen auf, bleiben kurz, verschwinden wieder, kommen zurück. Bruchstücke, die aber den Lesefluss nicht hemmen, sondern sich nach und nach zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Brillant!

Bewertung vom 18.01.2022
Milch Blut Hitze
Moniz, Dantiel W.

Milch Blut Hitze


ausgezeichnet

„Milch Blut Hitze“ ist eine Sammlung von elf Kurzgeschichten der amerikanischen Autorin Dantiel W. Moniz, die sich auf das Innenleben und die zwischenmenschlichen Beziehungen von schwarzen Mädchen und jungen Frau konzentrieren. Und obwohl alle Geschichten im Sunshine State Florida verortet sind, haftet ihnen etwas Düsteres an. Sei es das Mädchen, das wissen möchte, wie sich Fliegen anfühlt und sich vom Dach in den Tod stürzt, oder die Frau, die, noch immer von der Fehlgeburt traumatisiert, die Gliedmaßen ihres verlorenen Kindes in Alltagsgegenständen sieht, aber auch die Kellnerin, die den Teilnehmern des Supper-Clubs eine exklusive Spezialität serviert. Es sind die verschiedensten Charaktere, die sich alle mit herausfordernden Situationen konfrontiert sehen, die sowohl Licht als auch Schatten in sich tragen und deren Gemeinsamkeit in der Frage nach dem individuellen Platz in der Welt besteht. Vermutungen können wir anstellen, aber einfache Antworten darauf gibt es nicht.

Die Geschichten gehen dem/der Leser*in nahe, sind durch die auf das Wesentliche reduzierte Form sehr intensiv und setzen sich mit den verschiedensten Aspekten auseinander: Mutter/Tochter-Beziehung, Freundschaft, Hautfarbe, Frauenfeindlichkeit, Geschwisterbeziehung, Kinderwunsch, Missbrauch, Eheprobleme, Ängste, Emotionen, Tod. Ein lesenswertes Debüt vielschichtiger Geschichten rund um das Thema Weiblichkeit, die zwar komplexe Fragen stellt, aber vorhersehbare Schlussfolgerungen vermeidet. Nachdrücklich empfohlen!