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Circlestonesbooks.blog
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Lesebegeisterte Literaturbloggerin, https://www.circlestonesbooks.blog/

Bewertungen

Insgesamt 411 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2021
Nebelmeer #7
Flörke, Lutz

Nebelmeer #7


ausgezeichnet

Ein facettenreiches Lesevergnügen

„Weshalb soll ich Bücher lesen, über die ich mit meinen Freunden nicht reden kann?, fragt mich die Blumenhändlerin. Suchen Sie sich andere Freunde!, sage ich zu ihr.“ (Zitat Seite 217)

Inhalt
HP hat studiert, doch anders als sein Freund Maximilian hält er an dem Beschluss ihrer Jugend fest, sich nicht dem Erfolgszwang zu unterwerfen. Heute ist HP Museumswärter in der Hamburger Kunsthalle, während Maximilian ein erfolgreicher Unternehmer ist. Nun ist Maximilian verschwunden und HP soll ihn suchen. Er findet heraus, dass sein Freund an einem Bildungsroman schreibt. Durch einen Zufall entdeckt HP das Skript, beginnt zu lesen und stutzt. Diese Geschichten kennt er genau, denn es sind seine eigenen Erlebnisse. Maximilian hat nur die Namen geändert und will sie offensichtlich als seine Biografie veröffentlichen. HP will seine Lebensgeschichte zurück und er folgt weiter Maximilians Spuren, die ihn zurück in seine Jugend und Erinnerungen führen.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Jugenderinnerungen, die Frage nach dem Platz im eigenen Leben, Philosophie, aber auch um Literatur, Erzähltheorien, Bücher, Beziehungen und natürlich ist auch die Liebe ein Thema. Nicht ohne Grund gab Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ diesem Roman den Namen.

Charaktere
HP will endlich die Hauptperson in seinem eigenen Leben sein, seine eigene Geschichte schreiben. Unterstützung findet er bei der unbekümmerten Marnie, die er am Beginn seiner Reise kennenlernt.

Handlung und Schreibstil
„Ich fliehe vor einer Karriere in die Kunsthalle. Ich fliehe aus der Kunsthalle in ein Roadmovie, vom Roadmovie zurück in die Kunsthalle, von dort in die Ottenser Hauptstraße, aus der ins Theater.“ (Zitat Seite 223)
HP ist Hauptperson und gleichzeitig Ich-Erzähler in diesem Roman, der in der Gegenwart spielt. HP besucht die Orte seiner Kindheit und Jugend, seine Reise wird chronologisch geschildert, ergänzt durch Rückblenden und Erinnerungen. Zitate und Textauszüge über das Schreiben, Erzählformen, Textanalyse, gesellschaftskritische und philosophische Überlegungen ziehen facettenreich immer wieder durch die Gedanken von HP. Ein Roman wie eine Wundertüte, jede Geschichte birgt in sich eine weitere Geschichte, die Ebenen verschieben sich, werden neu zusammengefügt. HP liebt Anfänge und probiert sie alle aus. Der Autor spielt vergnügt mit der Sprache, mit Möglichkeiten, Varianten und unterschiedlichen Erzählformen. Wir Lesende folgen ihm gespannt, staunend und manchmal verwirrt, dann wieder mit lautem Lachen.

Fazit
Dieser Roman ist eine Mischung aus Roadmovie und wilder Achterbahnfahrt, skurril, witzig und voll von überraschenden Wendungen, interessant und vielseitig. Hier zeigt es sich wieder, dass es sich lohnt, sich in den Programmen der kleinen, unabhängigen Verlage umzusehen und aus dieser bunten Vielfalt den persönlichen Lesestoff zu erweitern.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 14.07.2021
Im Park der prächtigen Schwestern
Sosa Villada, Camila

Im Park der prächtigen Schwestern


ausgezeichnet

„Meine Freundinnen, die trans Frauen, die meine Familie bildeten, konnten nicht nachvollziehen, wie ich die Zurschaustellung aushielt, das Tageslicht, den heterosexuellen Blick auf mich, wie ich in der Lage war, Kurse zu besuchen und Prüfungen abzulegen bei Dozenten, die von meinem nächtlichen Dasein nichts ahnten.“ (Zitat Seite 126)

Inhalt
Zu Hause ist er Cristian, der Sohn. Mit fünfzehn Jahren näht er sich selbst Frauenkleidung, schleicht sich aus dem Haus, ist nun Camila, die tanzen geht. Früh zieht sie nach Córdoba, am Tag Student, in der Nacht schützt sie die Anonymität der Stadt, sie kann sein, wer sie wirklich ist, die trans Frau Camila. Im Park Sarmiento lernt sie eines Nachts eine bunte, fröhliche Gruppe von jungen trans Frauen kennen und die alterslose Tía Encarna, die sie alle in ihrem Haus aufnimmt und sich um sie kümmert. Sie alle sind Geschöpfe der Nacht, führen ein geheimes, gefährliches Leben, sie lachen, sie weinen, sie streiten, sie feiern und sie halten zusammen. In einer argentinischen Gesellschaft, die sie verachtet und verfolgt, träumen sie den Traum von einem freien, selbstbestimmten Leben als trans Frau.

Thema und Genre
Dieser moderne Roman beschreibt autobiografisch zwischen Fakten, Fiktion, Realität und märchenhaften Mythen das Leben der trans Frauen in Südamerika mit den Gewalterlebnissen, Drogen, Armut, Sehnsucht und Liebe und ihrer intensiven Lebensfreude, denn sie alle feiern das Leben.

Charaktere
Die Kindheitserinnerungen an den gewalttätigen Vater machen es Camila unmöglich, als Mann zu leben. Sehr einfühlsam beschreibt die Autorin die prächtigen Schwestern mit ihren Eigenheiten, ihren Lebensläufen und dem gemeinsamen intensiven Wunsch, als trans Frau akzeptiert zu werden.

Handlung und Schreibstil
Die Handlung ist nicht immer chronologisch, es sind einzelne Episoden, Erlebnisse, Fragmente, besondere Situationen, fröhliche, ausgelassene Feiern, die Camila als Ich-Erzählerin schildert, und auch bittere Momente des totalen Zusammenbruchs. Wir erfahren Details aus den Lebensgeschichten der einzelnen trans Frauen, der Freier und exzessiv gelebten Nächte. Den Kern bildet die Geschichte der, wie sie selbst sagt, einhundertachtundsiebzig Jahre alten Tía Encarna und des Babys, das in einer kalten Winternacht im Park ausgesetzt worden war, um zu sterben. Sie nimmt den Jungen mit in ihr Haus, wo er aufwächst. Die Sprache umfasst das gesamte Spektrum zwischen der harten Realität der Prostitution, den mit einfühlsamer Wärme beschriebenen einzelnen Figuren und märchenhafter Poesie.

Fazit
Ein moderner, realistischer Roman, ein Bericht über die Lebensumstände der trans Frauen in Argentinien und zugleich eine eindrückliche Geschichte über Menschen, die das Leben trotz allem ausgelassen feiern und die einfach nur frei leben wollen, wie es ihnen gefällt. „Wir, die Vergessenen, wir sind schon ohne Namen. Als wären wir nie da gewesen“. (Zitat Romanende, Seite 220). Dieser Roman gibt den trans Frauen Namen.

Bewertung vom 11.07.2021
History of Wolves
Fridlund, Emily

History of Wolves


sehr gut

A gripping, demanding story

“Maybe if I’d been someone else I’d see it differently. But isn’t that the crux of the problem? Wouldn’t we all act differently if we were someone else?” (Quotation pos. 1939)

Content
Madelaine Furston, called Linda, grows up in a small cabin at a lake somewhere in the rural woods of northern Minnesota. Her parents, old hippies, treat her like an adult person, letting her make her own decisions and ideas about live. In school, they call her “freak”.
When she is fourteen, almost fifteen years old, everything changes. Across the lake, which is very narrow at this point, one late winter day a family from the city with a small child arrives at their new summerhouse. The father soon leaves but the mother and the little boy stay. Linda begins to visit and soon she is Paul’s babysitter and feels like a girl friend to his twentysix years old mother Patra. She seems to have found a happy family who cares. Linda feels that something changes when Patra’s husband Leo, a Christian Scientist, returns, but she could not explain what was wrong because Patra and Leo are still exceptionally friendly, making it easy to assume that they are happy and everything is fine.

Theme and genre
This novel, shortlisted for the 2017 Man Booker Prize, is about the difference between a truth that you create for yourself and desperately want to believe, and a reality where you should act. Important topics are outsiders, family, growing up in the lonely nature, and the strong influence of religion.

Characters
The characters of this story are not always likeable and understandable in their behavior and thinking. Linda, who is trying to find out if she is still just a kid, longing for a real family, or a teenage girl with all her worries, trying too hard to be an adult. As an outsider, she is interested in the lives of other outsiders, pretending to understand what happiness in their lives or just making things up.

Plot and writing
Madelaine “Linda”, now thirtyseven years old, tells the story of her childhood and youth as the first person narrator. Not always chronological, her memories switch between years and ages, persons, incidents, and some events that happened, and this leaves us readers with some loose ends and implausibilities. Delightful to read are the poetical descriptions of the nature, the lakes and woods, but tough, sad and sometimes depressing, when it comes to the dreams, invented stories and real living conditions of the female main characters.

Conclusion
An interesting, but not always plausible coming-of-age-story, a demanding read with only partly coherent figures, leaving the reader with some open questions.

Bewertung vom 06.07.2021
Das Lächeln der Libellen / Inselgärten Bd.2
Koelle, Patricia

Das Lächeln der Libellen / Inselgärten Bd.2


ausgezeichnet

Ein Wohlfühlroman zum Träumen

„Es ist überhaupt nicht gut, immerzu glücklich sein zu wollen. Es gibt auch eine Zeit zum Trauern. Eine Zeit, sich zurechtzufinden.“ (Zitat Seite 52)

Inhalt
Nach zwanzig glücklichen Ehejahren stirbt Junas Mann Adrian plötzlich bei einem Unfall. Seither lebt Juna zurückgezogen im Haus ihres verstorbenen Großvaters im Spreewald, umgeben von Natur, Libellen und einem wunderbaren Garten, den sie selbst angelegt hat. Doch da ist noch das Versprechen, das sie ihrem Schwiegervater Wilhelm kurz vor dessen Tod gegeben hat. Vor vielen Jahren, als Adrians Eltern ihr Hotel auf Hiddensee über Nacht verlassen mussten, hatte Wilhelm einen Anhänger gefunden, wunderbar gearbeitet, eine Libelle aus Gold. Luna musste ihm versprechen, auf Hiddensee nach der Herkunft dieses Schmuckstücks zu forschen. Als sie zufällig die junge Journalistin Linnea kennenlernt, die sich ebenfalls gerade völlig neu orientiert, fahren sie gemeinsam auf die Insel Hiddensee, erkunden die Insel, die auf Juna schon bei ihrem ersten Besuch vor vielen Jahren eine ganz besondere Anziehungskraft ausgeübt hatte, und beginnen mit ihren Nachforschungen. Bald entdecken sie, dass diese besondere Insel eine Menge Überraschungen für sie bereithält.

Thema und Genre
In diesem Roman geht es um Trauer, Erinnerungen, Ideen und Träume, und den Mut zum Neubeginn. Das Kernthema ist das Leben im Einklang mit der Natur, der bewusste Umgang mit der Umwelt und der Schutz derselben, gerade in der heutigen Zeit. Natürlich spielt auch die Liebe eine Rolle.

Charaktere
Juna hat schon als Kind wenig geredet, dafür war sie immer neugierig, eine gute Beobachterin der Natur und handwerklich kreativ. Sie zieht sich völlig in die Erinnerungen und die Trauer um ihren Mann zurück, bevor sie auch durch das Versprechen, das sie Wilhelm gegeben hatte, langsam in die Gegenwart zurückkehrt. Linnea ist engagiert, hat viele Ideen, doch sie ist manchmal eine zu detailorientierte Planerin, weil ihr das die Sicherheit gibt, die sie braucht. Als Journalistin will sie etwas bewegen, die Menschen mit ihren Beiträgen erreichen.

Handlung und Schreibstil
Die aktuelle Geschichte spielt zwischen 2015 und 2017, Handlungsorte sind der Spreewald und die Insel Hiddensee. Die einzelnen Kapitel stellen abwechselnd Juna oder Linnea in den Mittelpunkt. Ergänzt wird die Handlung durch Rückblenden. Die Sprache erzählt und schildert lebendig die Schönheiten und Vielfalt der Natur in den versteckten Wasserläufen im Spreewald und auf der Insel Hiddensee, eine Insel mit ganz besonderem Flair. Den Spreewald kenne ich nicht, aber Stralsund und die Insel Hiddensee. Daher begeistert mich die genaue Recherche, denn die versteckten Wege und Plätze, die in diesem Roman beschrieben werden, kennt nur, wer diese persönlich erwandert und für sich entdeckt hat.
Dieser zweite Band der „Inselgärten-Serie“ ist eine in sich geschlossene Geschichte, die man auch unabhängig von den anderen Teilen lesen kann.

Fazit
Es gibt Gegenwartsliteratur mit brisanten Themen unserer Zeit, deren Konflikte, Problematik und Figuren uns manchmal mit mehr offenen Fragen zurücklassen, als vor der Lektüre. Dann gibt es Bücher, bei denen wir uns von der ersten Seite an darauf verlassen können, dass die Figuren trotz ihrer Probleme und Krisen eine Lösung finden werden. Welche? Da lassen wir uns überraschen. Diese Bücher schließen wir mit einem Lächeln und es sind Wohlfühlgeschichten wie diese hier.

Bewertung vom 27.06.2021
Giovanni's Room
Baldwin, James

Giovanni's Room


ausgezeichnet

Impressing and timeless

„It became, in a way, every room I had ever been in and every room I find myself hereafter will remind me of Giovanni’s room.” (Quotation page 76)

Content
David’s mother dies when he is only five years old and he grows up with his father and his aunt Ellen, the unmarried sister of his father. As soon as possible, he leaves and lives on his own. When he feels weary of every part of his life in New York, he moves to Paris, where he meets Hella. When he asks her to marry him, she leaves him, travels to Spain to think about her future. David stays in Paris. One evening he meets the bartender Giovanni, and from the first moment, there is a deep attraction between them. Giovanni lives in a small one-room-apartment and David moves in the same evening. When Hella comes back, David leaves Giovanni on that same day, pretending that this love affair never has happened.

Theme and genre
This novel, written 1956, is about living between truth and lies, bisexuality, love, lost innocence, shame and guilt. An important topic for Baldwin’s persons is their search for their sexual identity and the related insecurity.

Characters
David, the young American, hides his feelings for men and feels sure about Hella, wants to marry, settle down and have children. His life is a perfect vision, created for the others, but a vision, he desperately tries to believe to be true. He knows that Hella will probably come back.
Giovanni is Italian, emotional and lives his feelings. That David, whom he trusts and loves, just leaves without a word destroys him.

Plot and writing
David, the first person narrator tells the story during one night, and thinking about the next day, just in the present time. The first pages contain the whole story, revealing the major points, themes and conflict. Doing so, the author is free of any timeline and suspense level. The story moves between memories and significant events in David’s childhood, teenage years, and his years in Paris, and the hours of the present night and morning. A central point of the story is Guilleaume’s bar, a place for bohemians living their sexual diversity. Baldwin uses the scenes to describe a different live, working or without work at daytime, but waiting for the evenings and living during the night. He shows a very special picture of early Parisian mornings and the locations still open or just opening, for example the famous Les Halles.

Conclusion
Not always highly acclaimed by literary critics, this novel for a long time now is a timeless classic. Written with empathy and sensivity, in a poetic narrative language, the story gives many questions to reflect on them, about human life, decisions, possible guilt and fate.

Bewertung vom 22.06.2021
Eine Geschichte, die uns verbindet
Musso, Guillaume

Eine Geschichte, die uns verbindet


ausgezeichnet

Parallelwelten

„Ich war eine Romanfigur. Hinter seiner Schreibmaschine oder wohl eher hinter dem Bildschirm seines Computers spielte jemand mit meinem Leben.“ (Zitat Seite 91)

Inhalt
Am 12. April 2010 spielt die erfolgreiche Romanautorin Flora Conway, Kafka-Preisträgerin, mit ihrer dreijährigen Tochter Carrie in ihrem eleganten Appartement in Brooklyn Verstecken, es ist das Lieblingsspiel ihrer Tochter. Bei „zwanzig“ öffnet Flora die Augen und beginnt zu suchen. Ihre Tochter ist verschwunden und auch Monate später gibt es keine Spur von ihr. Floras Verlegerin und Freundin Fantine de Vilatte drängt sie, wieder mit dem Schreiben zu beginnen um den Verlust zu verarbeiten, doch Flora kann und will nicht schreiben, sie will nur eines, ihre Tochter wiedersehen. Je tiefer sie in die Erinnerungen an Carrie eintaucht, desto intensiver wird das Gefühl, dass sie selbst die Hauptfigur in einer längst geschriebenen Geschichte ist. Irgendwo hinter einem Computer-Bildschirm sitzt jemand, Schriftsteller wie sie selbst, und es gibt sie, diese „dritte Seite des Spiegels“.

Thema und Genre
Dieser Roman handelt vom Schreiben. Es geht um die Parallelwelten, die Autor*innen beim Entwickeln der Figuren und während des Entstehens eines Romans betreten, immer auf dem schmalen Grat zwischen der fiktiven Welt der Geschichte und der Realität des eigenen Alltags.

Charaktere
Beide Hauptfiguren sind Schriftsteller, Flora Conway in New York und Romain Ozorski in Paris, sie wissen, wie man erfolgreiche Romane schreibt, sie kennen das Leben eines Autors mit seinen Figuren. Flora wird durch den Verlust von Carrie völlig aus der Bahn geworfen, Romain droht die Trennung von seinem Kind, denn seine Exfrau will mit dem gemeinsamen Sohn Théo in die USA ziehen.

Handlung und Schreibstil
Der Hauptteil der Handlung findet zwischen den Jahren 2010 und 2022 in New York und Paris statt, wird chronologisch erzählt, wobei Flora und Romain einander als Ich-Erzähler abwechseln. Besonders interessant ist dies zu lesen, wenn es sich um dasselbe Ereignis handelt, das aus unterschiedlichen Sichtweisen geschildert wird. Die gesamte Handlung ist ein ungewöhnliches, spannendes Konstrukt mit überraschenden Wendungen, die von nochmals überraschenderen Wendungen abgelöst werden. So ergibt sich ein vielschichtiges Netz aus teilweise verknüpften, teilweise ineinander gestapelten Ereignissen, Szenen und Episoden, die zu seiner gemeinsamen Geschichte werden.
Jedes Kapitel beginnt mit einem Zitat zum Hauptthema dieses Romans.

Fazit
Ein interessanter, vielschichtiger Roman über das Entstehen einer Geschichte und das Leben von Schriftsteller*innen zwischen der realen Welt und ihrem Alter Ego, der fiktiven Welt ihrer Figuren.

Bewertung vom 19.06.2021
Nur der Tod ist unsterblich
Gnettner, Reinhard

Nur der Tod ist unsterblich


ausgezeichnet

Ein ungewöhnlicher Literaturkrimi mit Wiener Charme

„Diese Herren waren das Beste, was ihr hatte passieren können. Originell, sympathisch, unterhaltsam und sie hatten, wie es ihr schon beim Einstellungsgespräch aufgefallen war, ihr natürliches Ablaufdatum ganz ungeniert überschritten. (Zitat Seite 25)

Inhalt
Nach einem Symposium sitzen sie noch zusammen im Kaffeehaus: Heimito von Doderer, Erich Fried, Leo Perutz, Friedrich Torberg und Stefan Zweig. Doch das Café Central, wie sie es kannten, gibt es längst nicht mehr, nun füllen das berühmte Kaffeehaus in Wien die Hektik und der Lärm der Touristenströme. So beschließen sie an diesem 10. Oktober, ihre Idee endgültig in die Tat umzusetzen. Sie gründen eine Wohngemeinschaft und das gemeinsame Wohnzimmer wird ihr privates Kaffeehaus. Rasch ist eine geeignete Wohnung im 9. Wiener Gemeindebezirk, zu dem sie alle eine besondere Beziehung haben, gefunden, und Ella aus Krakau als Haushälterin und Pflegerin eingestellt. Nun wollen sie endlich wieder schreiben, bevor sie endgültig in Vergessenheit geraten, doch erst, als sie ein gemeinsames Buch planen, kehrt auch die Freude am Schreiben zurück. Da wird Heimito von Doderer tot aufgefunden und bald folgt der nächste Unfall – oder war es Mord? Schon spricht ganz Wien von einem gefährlichen Literatenkiller.

Thema und Genre
Dieser literarische Kriminalroman mit Regionalbezug spielt in Wien. Im Mittelpunkt steht die Selbsthilfegruppe der vergessenen Literaten, fünf berühmte Schriftsteller, die eine WG gründen.

Charaktere
Die einzelnen Persönlichkeiten werden beim Lesen sofort lebendig, jeder auf seine Art authentisch und sofort erkennbar. Dies zeigt, wie intensiv sich der Autor mit den einzelnen Werken und Biografien beschäftigt hat. Gekonnt mischt er Fakten und überlieferte Zitate mit seinen eigenen Gedanken und Ideen.

Handlung und Schreibstil
Die aktuellen Ereignisse finden zwischen Oktober und April statt und spielen in unserer Zeit. Großartig zu lesen der Alltag und die Gespräche der alten Literaten, ihre Erinnerungen, die kleinen Streitereien. Dazu das Urwiener Ehepaar, in dessen Haus sie die Wohnung gemietet haben und der Kommissar, der in diesen letzten Wochen bis zur Pensionierung eigentlich seine Ruhe haben wollte. Wunderbar beschrieben sind das Servitenviertel, die Porzellangasse und die berühmte Strudlhofstiege. Der Fall ist eigenartig und geheimnisvoll und in Verbindung mit Humor und dem Charme Wiens ergibt dies eine Geschichte, die man mit einem vergnügten Schmunzeln liest. Ein Quellenverzeichnis und Kurzbiografien mit ausgewählten Werken der fünf Schriftsteller am Ende des Buches sind eine interessante Ergänzung.

Fazit
Eine geniale Idee und die Frage „Was wäre, wenn diese fünf großartigen Literaten noch lebten, wenn sie dank ihrer Werke unsterblich wären? Wie würde es weitergehen?“ (Zitat Seite 5) führen zu einer ebenso genialen Geschichte. Dieser Wiener Literaturkrimi ist ein literarisches, sehr unterhaltsames Lesevergnügen, ein Buch nicht nur für das eigene Bücherregal, sondern auch das perfekte Geschenk für Literaturfreunde.

Bewertung vom 16.06.2021
Leuchtfeuer im Kupfer der Dämmerung
Palmenstein, Jim

Leuchtfeuer im Kupfer der Dämmerung


ausgezeichnet

Ein außergewöhnliches Lesebuch, Füllhorn der Poesie

„und die Dunkelheit beugt sich/über das wispernde blaue Wasser/die Leuchttürme funkeln grell ins Kupfer der Dämmerung/der Wasser im Westen“ (aus „Der Leuchtturmwärter“, Seite 423)

Thema und Inhalt
Dieses Buch ist eine Sammlung von Gedichten und Erzählungen des Autors Jim Palmenstein, die im Laufe von vierzig Jahren, zwischen 1978 und 2018, entstanden sind. Schon die Herstellung, Material und Gestaltung, ich spreche von traditioneller Buchbindekunst des Klingenberg Verlages, ziehen Augen und Hände an und machen immer wieder Freude. Dieses besondere Kleinod umfasst zwischen Cover und Buchrücken eine bunte Vielfalt von Geschichten, die uns der Autor in Gedichtform, als Prosa und allen sprachlichen Möglichkeiten dazwischen, erzählt und mit eigenen Schwarz-Weiß-Fotografien ergänzt. Wir finden alle Themen des Lebens, Gefühle, Erinnerungen, Sehnsucht, philosophische Gedanken, magische Momente ebenso wie Alltagserlebnisse.

Gestaltung
Die meisten der zwölf Kapitel beginnen jeweils mit einem aktuellen Prosatext, während die poetischen Texte, Gedichte in epischer Länge, in unterschiedlichen Formen einer besonderen Erzählsprache geschrieben sind. Frei von Reimzwängen und starren Versformen widersetzen sie sich dem Versuch einer sprachlichen Zuordnung, frei wie die Gedanken bringen sie diese zu Papier und damit auch zu uns. Groß- und Kleinschreibung setzt der Autor nach eigenem Empfinden ein, Lesende, die das stört, ermuntert er mit einem Augenzwinkern, „einen Pencil zu nehmen und ein bißchen zu korrigieren“ (Seite 97).

Im Kapitel IX, „Traumreisen“ finden wir die auch als eigenes Buch erschienene Erzählung „Der fliegende Teppich“, die fantastische Geschichte einer Reise, eine Mischung aus Fantasie und Magie, ein eindrücklich überzeichnetes Bild unserer Gesellschaft.

Genial zu lesen sind einige Erzähltexte, welche Momentaufnahmen aus dem Alltag seines zweiten Erzähl-Ichs Graufeder schildern und zu einer gedanklichen Zwiesprache führen, die der schreibende Autor, ebenfalls Graufeder, mit seiner Graufeder-Figur hält.

Fazit
„Es war die Nacht mit ihren vielen tausend Bildern, die mir immer unsichtbar im Erwachen täglich entschwindet und mich mit mir selbst allein zurückläßt.“ (aus „Die Nacht“, Seite 142) Ein auch handwerklich mit Liebe und Überzeugung zum Produkt Buch gestaltetes Lesebuch, ein magisches Füllhorn der Phantasie, dessen poetische, philosophische, nachdenkliche, skurrile, alltägliche Texte, Gedichte und Erzählungen dazu einladen, es immer wieder mit großem Vergnügen zur Hand zu nehmen.

Bewertung vom 16.06.2021
Ostseeschmerz
Haller, Elias

Ostseeschmerz


ausgezeichnet

Die Vergangenheit lebt - packende Fortsetzung der Ostsee-Serie

„Damals hatten sie hier zu viert mit bloßen Händen gebuddelt. Im Sommer 1982.“ (Zitat Pos. 970)

Inhalt
Anlässlich einer Lesung der Autorin und Kriminalhauptkommissarin Greta Silber erzählt ihr Simone Dammbeck, die einige Esoterik-Ratgeber geschrieben hat, sie arbeite nun ebenfalls an einem Kriminalroman. Der Titel lautet „Der Knochenfund“ und es geht um ein 1982 auf der Insel Hiddensee geschehenes Verbrechen, dem jedoch nie nachgegangen wurde. Greta findet die Esoterikerin etwas eigenartig und aufdringlich, verspricht jedoch, sich das Exposé anzusehen. Als am nächsten Tag Simone Dammbeck tot in ihrer Sauna gefunden wird, fragen sich Greta Silber und ihr Kollege Hardy Finkel sofort, ob es sich tatsächlich um einen tragischen Unfall handelt. Oder gibt es einen Zusammenhang zu dieser Geschichte vom angeblichen Einbruch im Jahr 1982 auf Hiddensee und dem verschwundenen Jugendlichen? Was ist damals wirklich passiert? Als es in rascher Folge weitere Tote gibt, sind Finkel und Silber gezwungen, rasch nicht nur metaphorisch tief in der Vergangenheit zu graben.

Thema und Genre
Dieser Thriller mit Regionalbezug spielt an der Ostsee, auf Usedom, Rügen und Hiddensee. Es geht um Verbrechen in der Vergangenheit, Schuld und Rache.

Charaktere
Dies ist der vierte Fall des sympathischen Ermittlerteams Hardy Finkel und Greta Silber, wobei Greta plötzlich auch persönlich betroffen ist.

Handlung und Schreibstil
Nach einem Prolog im Jahr 1982 spielt die straffe Handlung in der Jetztzeit. Ergänzt wird sie durch Rückblenden, die Spuren bis in die Gegenwart aufzeigen. Doch die Rückschlüsse sind nicht immer richtig und es gibt einige überraschende Wendungen, die für zusätzliche Spannung sorgen. An den detaillierten Beschreibungen der verschiedenen Örtlichkeiten und Schauplätze erkennt man mit Freude, wie genau der Autor hier auf den Inseln recherchiert hat. Der Schreibstil entspricht dem Genre, die Ereignisse sind realistisch und logisch nachvollziehbar, Humor erhöht das Lesevergnügen.

Fazit
Ein interessant aufgebauter Ostsee-Thriller, der auf den Inseln Usedom, Rügen und Hiddensee spielt und nicht nur für Spannung, sondern auch für Urlaubsfeeling sorgt.